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(729-800) (2,6 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />

Aufsätze<br />

Busse: Reform von BORA + FAO <strong>729</strong><br />

Kleine-Cosack: „Doc Morris“ für Anwälte 737<br />

Römermann: UWG statt BRAO + BORA 744<br />

Kommentar<br />

Streck: Satzungsversammlung 754<br />

Thema<br />

Satzungsversammlung: Wahlergebnisse 755<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Europatag der Freien Verbände 759<br />

Mitteilungen<br />

N. Schneider: Streitwertfragen 773<br />

Mayer: RVG-Gebühren im Erfolgsfall 780<br />

Rechtsprechung<br />

BFH: Versicherungsbeiträge als Lohn 790<br />

BGH: Briefkopf „& Kollegen“ 790<br />

OLG München: Keine Anrechnung<br />

der Geschäftsgebühr 797<br />

11/2007<br />

November <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag


MNEditorial<br />

Die Rede ist im Heft – neben der Fülle<br />

anderer Hinweise und Informationen –<br />

vor allem von der Satzungsversammlung<br />

und vom Berufsrecht. Vom Berufsrecht<br />

ist angesichts der sich stapelnden<br />

ungelösten Fragen (z. B.<br />

Fremdbeteiligung im anwaltlichen Gesellschaftsrecht,<br />

Michael Kleine-Cosack,<br />

Seite 737 in diesem Heft; Anwalts-<br />

Ltd?, Oliver L. Knöfel, Seite 742) immer<br />

zu handeln, von der Satzungsversammlung<br />

jedenfalls dann, wenn eine Legislatur<br />

anfängt (zu Statistik und Mitgliedern<br />

Manfred Aranowski, Seite 755).<br />

Das ist ein trefflicher Zeitpunkt, um<br />

vielen neuen Mitgliedern (74) und auch<br />

den alten (84) Ermunterndes und<br />

Nachdenkliches zuzurufen. Sie werden<br />

am 18. Januar 2008 erstmals zusammentreten.<br />

Felix Busse gibt ab Seite <strong>729</strong> einen<br />

ausgreifenden Rückblick auf die Arbeit<br />

der Satzungsversammlung seit deren<br />

Anfang 1995 und bezeichnet sehr genau<br />

deren künftiges Arbeitsprogramm<br />

und die Methodik, mit der es bewältigt<br />

werden könnte. Sicher ist solches Gelingen<br />

nicht. Es bedarf einer Besinnung<br />

und einer neuen Orientierung.<br />

In der Satzungsversammlung leuchtet<br />

zwar alles, was an anwaltlicher Selbstverwaltung<br />

über den bloßen Verwaltungsvollzug<br />

durch Berufsangehörige<br />

hinaus die anwaltliche Seele bewegt.<br />

Die Satzungsversammlung wurde 1995<br />

für selbstverständlich und sogar unverzichtbar<br />

gehalten. Inzwischen hat sich<br />

aber herausgestellt, dass ihr normativer<br />

Aktionsradius entgegen gehegter Erwartung<br />

im Einklang mit den Grundsätzen<br />

des deutschen Verfassungs- und<br />

Verwaltungsrechts doch recht dürftig<br />

ist. So kam es zu den Flauten in den<br />

Ermunterndes und Nachdenkliches<br />

Dr. Peter Hamacher, Köln<br />

Rechtsanwalt,<br />

Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />

Legislaturen 2 und 3. Wenigstens schuf<br />

man eine große Zahl neuer Fachanwaltschaften,<br />

denen aber nach wie<br />

vor kein stimmiges Konzept zugrunde<br />

liegt. Außerdem kann man sie bald nur<br />

noch verwalten (Benno Heussen, Seite<br />

766, spricht das an), wenn man einen<br />

Fachanwalt für den Fachanwalt hat.<br />

Ob als weitere Legitimationsgrundlage<br />

für die Satzungsversammlung die<br />

gesellige, informative, kurzweilige Diskussion<br />

und Information in Betracht<br />

kommt (Michael Streck, Seite 754), ist<br />

offen. Diskussions- und Informationsforen,<br />

die die Anwaltschaft zweifellos<br />

braucht, gehören eher zu Artikel 9 GG<br />

als zu einem zweckgebundenen autonomen<br />

Organ sui generis des öffentlichen<br />

Rechts, dem auch ohne weiteres<br />

keine DAV und BRAK überhöhende<br />

Funktion für die Herstellung von „Geschlossenheit“<br />

(Felix Busse, Seite 734)<br />

zukommt. Hierfür bedürfte es ohne<br />

Eingriff des Gesetzgebers wenigstens<br />

der „gewohnheitsrechtlichen“ Weiterentwicklung<br />

der normativen Instrumente,<br />

ein Verfahren, dass im Recht<br />

der freien Berufe erstaunlicherweise<br />

immer noch am Werk ist, bis es dem<br />

Bundesverfassungsgericht jeweils zu<br />

bunt wird.<br />

Volker Römermann (Seite 744) verneint<br />

die Notwendigkeit eines besonderen<br />

anwaltlichen Werberechts. Das<br />

meint der DAV auch in seinem Vorschlag<br />

zur Neuregelung der BRAO aus<br />

dem Jahr 2006 (jetzt aktualisiert in<br />

AnwBl 2007, 682, 684). Es wird angeregt,<br />

§ 43 b BRAO ersatzlos zu streichen.<br />

Was man sich 1994 nicht vorstellen<br />

konnte, nämlich ein Berufsrecht<br />

ohne besondere Regeln zur Werbung,<br />

hat sich in gut 10 Jahren aufgrund ei-<br />

ner intensiven Rechtsprechungslinie<br />

als vernünftig herausgestellt. Das<br />

UWG reicht aus zur Regelung der Außendarstellung<br />

des Rechtsanwalts. Es<br />

entfällt so natürlich mit den zwangsläufig<br />

entbehrlichen §§ 6 bis 10 BORA<br />

ein markantes Arbeitsfeld der Satzungsversammlung.<br />

So ist es mit vielen in § 59 b BRAO<br />

versammelten Regelungsgegenständen,<br />

z. B. der Interessenkollision, deren Regelung<br />

(§ 3 Abs. 2 BORA) Wolfgang<br />

Hartung (Seite 752) neben einer Anzahl<br />

weiterer Normen der BORA als reparaturbedürftig<br />

bezeichnet. Das gilt auch<br />

für die von Volker Hagemeister (Seite<br />

748) angesprochene Schweigepflicht<br />

bei der Werbung. – Unglaublich spannend<br />

ist das alles.<br />

AnwBl 11 / 2007 I


Editorial<br />

I Ermunterndes und Nachdenkliches<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />

Berichte aus Berlin und Brüssel<br />

IV Raue Zeiten in Berlin<br />

Stefan Schnorr, Berlin<br />

VI Syndikusanwälte: Rückschritt durch<br />

Akzo Nobel-Urteil<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

VIII Informationen<br />

Aufsätze<br />

<strong>729</strong> Die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer:<br />

Was bleibt zu tun?<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Troisdorf<br />

737 Gesellschaftsrecht der freien Berufe<br />

auf dem Prüfstand<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

742 Zulassung einer „Anwalts-Ltd.“<br />

als Rechtsanwaltsgesellschaft?<br />

Dr. Oliver L. Knöfel, Hamburg<br />

744 Das UWG – besser als das anwaltliche<br />

Werberecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />

748 Schweigepflicht und Anwaltswerbung<br />

Rechtsanwalt Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />

752 Reparaturbedarf in der BORA –<br />

und eine gewollte Lücke<br />

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />

Kommentar<br />

754 Langeweile zu Tode oder Kurzweile<br />

der Kommunikation<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />

Thema<br />

755 Jünger, weiblicher und zwei Drittel wählen nicht:<br />

Die Ergebnisse der Wahlen zur vierten<br />

Satzungsversammlung<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

II AnwBl 11 / 2007<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 57, 11 / 2007<br />

Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Gastkommentar<br />

758 Der Fall Ermyas M. – ein (selbst-)kritischer<br />

Rückblick<br />

Frank Bräutigam, SWR Fernsehen, Karlsruhe<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung)<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

759 Europatag der Freien Verbände<br />

761 DAV-Pressemitteilung: Syndikusanwälte<br />

761 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

762 AG Mietrecht und Immobilien: Doppeljubiläum<br />

763 Landesverband Hessen: Parlamentarischer Abend<br />

764 6. Landesanwaltstag Sachsen-Anhalt<br />

764 Landesverbandskonferenz 2007<br />

764 AV Freiburg: 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte<br />

765 Deutsche Anwaltakademie: 3. Pferderechtstag<br />

765 Personalien: Neue Vorsitzende / Ehrennadel<br />

verliehen / Auszeichnung von Anwälten<br />

Meinung & Kritik<br />

766 Demnächst: Fachanwalt für<br />

Rechtsdurchsetzung?“<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Mitteilungen<br />

Strafprozessrecht<br />

767 Keine Überwachung<br />

der mandatsinternen Kommunikation<br />

DAV-Stellungnahme Nr. 41/2007<br />

Anwaltrecht<br />

769 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Sassenberg, Gießen und<br />

Rechtsanwalt Thilo Schulz, Berlin<br />

Anwaltsvergütung<br />

773 Der Steitwert muss stimmen<br />

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />

780 Das Erfolgshonorar – was heute schon möglich ist<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />

RVG-Frage des Monats<br />

782 Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr<br />

anrechnen?<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Soldan Institut<br />

783 Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerrich, Bergisch Gladbach und<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln


Bücherschau<br />

785 Anwaltsrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Haftpflichtfragen<br />

787 Der Rechtsanwalt als Treuhänder –<br />

ein unterschätztes Risiko<br />

Rechtsanwalt Jo Müller, München<br />

Rechtsprechung<br />

Anwaltsrecht<br />

790 BFH: Versicherungsbeiträge als Arbeitslohn<br />

790 BGH: Briefkopfgestaltung bei<br />

Kanzleinamen „& Kollegen“<br />

791 AGH Celle: Keine Schein-Sozietät<br />

mit „Dipl.-Ökonom“<br />

793 AGH Rheinland-Pfalz: Bearbeitungsdauer<br />

für Verleihung des Fachanwaltstitels<br />

794 AGH Berlin: Englische „Limited“ als<br />

deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

794 OLG Düsseldorf: Erstberatung im Café<br />

Anwaltshaftung<br />

795 BGH: Fristverlängerung als „Holschuld“<br />

796 BGH: Fristenkalender<br />

Anwaltsvergütung<br />

797 OLG München: Keine Anrechnung der<br />

Geschäftsgebühr<br />

799 BGH: Keine Streitwerterhöhung durch<br />

anwaltliche Geschäftsgebühr<br />

Prozesskostenhilfe<br />

<strong>800</strong> OLG Nürnberg: Auswärtiger Anwalt<br />

<strong>800</strong> Fotonachweis, Impressum<br />

LI <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag aktuell<br />

LII Bücher & Internet<br />

LIV Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />

Schlussplädoyer<br />

LVI Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service


MNBericht aus Berlin<br />

Raue Zeiten in<br />

Berlin<br />

Die Debatte um die Innere Sicherheit<br />

wird zunehmend zu einer Belastungsprobe<br />

für die Große Koalition.<br />

Die Union wird nicht müde, ständig<br />

vor neuen Terrorgefahren zu warnen<br />

und immer wieder neue Gesetzesverschärfungen<br />

zu fordern – sehr zum<br />

Verdruss des Koalitionspartners SPD,<br />

der dies als Panikmache kritisiert und<br />

zur Besonnenheit in der Innen- und<br />

Rechtspolitik aufruft.<br />

Krach im Bundestag<br />

Wie sehr es bei dem Thema nicht nur<br />

hinter den Kulissen rumort, zeigte eine<br />

scharfe Auseinandersetzung im Bundestag.<br />

Dort ging es um die Warnung<br />

von Bundesinnenminister Schäuble<br />

(CDU) vor der Gefahr eines Terrorangriffs<br />

mit Atommaterial und die<br />

Ankündigung von Verteidigungsminister<br />

Jung (CDU), er würde den rechtswidrigen<br />

Befehl zum Abschuss eines<br />

Passagierflugzeuges geben, wenn es als<br />

Waffe eingesetzt werden soll. Nicht nur<br />

die Opposition rügte die Minister deshalb<br />

in ungewohnt scharfer Form, die<br />

FDP bezeichnete etwa Schäuble als<br />

Nostradamus unserer Zeit.<br />

In einer Aktuellen Stunde bezeichnete<br />

selbst SPD-Innenexperte Benneter<br />

Schäubles Panikmacherei als „verrückt,<br />

absurd und abwegig“. Und SPD-Fraktionsvize<br />

Körper hielt dem Minister vor,<br />

er erzeuge mit seinen Warnungen nur<br />

Beunruhigung in der Bevölkerung. Der<br />

Chef der CDU/CSU-Fraktion verließ<br />

danach aus Protest sogar demonstrativ<br />

den Plenarsaal. Die Stimmung in der<br />

Koalition hatte zwischenzeitlich einen<br />

„Tiefpunkt erreicht, der nicht mehr unterschritten<br />

werden könne“, wie der<br />

stellvertretende Unionsfraktionsvize<br />

Bosbach in der Presse erklärte. Vizekanzler<br />

Müntefering (SPD) sagte, Jung<br />

und Schäuble hätten „eine rote Linie<br />

überschritten“. Ein wahrlich nicht üblicher<br />

Umgangston zwischen Koalitionspartnern.<br />

Nun mussten die beiden Parteivorsitzenden<br />

ran. SPD-Chef Beck<br />

rief zur Mäßigung auf; man dürfe sich<br />

das Leben nicht gegenseitig schwer machen.<br />

Und Bundeskanzlerin Merkel<br />

forderte alles zu vermeiden, was zur<br />

Verunsicherung der Bevölkerung<br />

führe.<br />

IV AnwBl 11 / 2007<br />

Dissens in der Koalition<br />

An den großen Unterschieden zwischen<br />

Union und SPD bei der Frage,<br />

was zum Schutz der Inneren Sicherheit<br />

erforderlich ist, ändert das freilich<br />

nichts. Nach wie vor fordert die Union<br />

etwa eine Grundgesetzänderung zum<br />

Einsatz der Bundeswehr im Innern. Sie<br />

beharrt auf der Onlinedurchsuchung,<br />

also der staatlich eingesetzten PC-<br />

Wanze, die bei Rechtspolitikern nahezu<br />

unisono auf Ablehnung stößt. Und was<br />

die Union gegen den Willen der SPD<br />

nicht im Bundeskabinett durchsetzen<br />

kann, versucht sie über ihre Mehrheit<br />

im Bundesrat zu erreichen. Ein Unterfangen,<br />

das Kanzlerin Merkel bislang<br />

noch dem Koalitionsfrieden zuliebe in<br />

Grenzen halten konnte. Aber die bevorstehenden<br />

Landtagswahlen in Hessen<br />

und Niedersachsen, bei denen SPD<br />

und Union als Kontrahenten antreten,<br />

dürften einer Konfliktvermeidung nicht<br />

gerade dienlich sein.<br />

Verschärfungen im Strafgesetzbuch<br />

Nun hat auch Bundesjustizministerin<br />

Zypries (SPD) ein Maßnahmenpaket<br />

für neue strafrechtliche Regelungen<br />

präsentiert. Mit ihren Eckpunkten will<br />

sie ihren Aussagen zufolge die Balance<br />

zwischen Freiheit und Sicherheit wahren;<br />

genau das nämlich spricht die<br />

SPD der Union ab. Und so kann das<br />

Vorpreschen der sozialdemokratischen<br />

Ministerin auch als Abgrenzung gegenüber<br />

dem Koalitionspartner gedeutet<br />

werden.<br />

In einem neuen § 89a StGB sollen<br />

nach Zypries Vorschlag künftig die<br />

Ausbildung und das Sich-Ausbilden-<br />

Lassen in einem Terrorcamp mit Freiheitsstrafe<br />

von sechs Monaten bis zu<br />

zehn Jahren bestrafen werden können.<br />

Den Betroffenen muss aber eine terroristische<br />

Absicht nachgewiesen werden.<br />

Erfasst werden sollen auch die Herstellung<br />

oder Beschaffung von Waffen<br />

oder Stoffen (wie u.a. Chemikalien) zur<br />

Ausführung einer Straftat. Und ferner<br />

soll bestraft werden, wer Geldmittel für<br />

einen Terroranschlag zur Verfügung<br />

stellt oder dafür Geld sammelt – sei es<br />

für den Kauf von Waffen, die Anmietung<br />

einer Wohnung oder die Buchung<br />

eines Flugtickets. Ferner soll nach dem<br />

Vorschlag der Bundesjustizministerin<br />

in einem neuen § 91 StGB die Anleitung<br />

zu einer Gewalttat mit bis zu drei<br />

Jahren Haft bestraft werden. Erfasst<br />

werden sollen dabei das Verbreiten,<br />

Anpreisen oder Beschaffen von terro-<br />

ristischen „Anleitungen“, auch das<br />

Herunterladen im Internet. Für Ermittlungen<br />

wegen dieser Taten sollen<br />

Durchsuchungen, Beschlagnahme,<br />

Wohnraum- oder Telefonüberwachung<br />

möglich sein. In bestimmten Fällen<br />

soll der Generalbundesanwalt die Strafverfolgung<br />

übernehmen können. Ferner<br />

soll das Aufenthaltsrecht geändert<br />

werden, um Ausländer, die wegen solcher<br />

Taten verdächtig sind, ausweisen<br />

oder an der Wiedereinreise nach<br />

Deutschland hindern zu können.<br />

Weiterer Streit vorprogrammiert<br />

Zypries Forderungen nach der Strafbarkeit<br />

des Besuchs von Terrorcamps sind<br />

freilich nicht neu – genau dazu hatte<br />

das Land Hessen kurz zuvor einen Gesetzentwurf<br />

im Bundesrat eingebracht,<br />

der allerdings nicht den Nachweis einer<br />

terroristischen Absicht verlangt. Die<br />

Union kritisierte denn auch prompt<br />

den Ansatz der Ministerin als völlig unzureichend,<br />

da man eine solche Absicht<br />

nur schwer nachweisen könne. Bestraft<br />

werden müsse vielmehr auch, wer sich<br />

in einem Terrorcamp gezielt zu Terrorhandlungen<br />

ausbilden lasse, aber erst<br />

nach seiner Rückkehr mit konkreten<br />

Anschlagsplanungen beginne.<br />

Und so wurde der Zypries-Vorstoß<br />

von einigen Kommentatoren als einer<br />

der wenigen konstruktiven Beiträge zur<br />

Sicherheitsdebatte bewertet und von<br />

anderen als großkoalitionäre Pflichtübung,<br />

gerade so viel, um sich nicht<br />

angreifbar zu machen. Überdies fordern<br />

Teile der Union, auch die Strafbarkeit<br />

der so genannten Sympathiewerbung<br />

für terroristische Vereinigungen<br />

wieder einzuführen, die vor fünf Jahren<br />

unter rot-grün abgeschafft worden<br />

war. Seit dem sind nur noch das Anwerben<br />

von Mitgliedern und die Unterstützung<br />

von Terror-Gruppen strafbar.<br />

Im weiteren Gesetzgebungsverfahren<br />

dürfte es also noch manche Kontroverse<br />

geben.<br />

Stefan Schnorr,<br />

Berlin<br />

Der Autor ist Leitender<br />

Ministerialrat und Leiter<br />

des Referats Justiz der<br />

Vertretung des Landes<br />

Rheinland-Pfalz beim<br />

Bund und der<br />

Europäischen Union.


MNBericht aus Brüssel<br />

Syndikusanwälte:<br />

Rückschritt durch<br />

Akzo Nobel-Urteil<br />

Das Europäische Gericht Erster Instanz<br />

(EuG) hat am 17. September 2007 sein<br />

Urteil in der Rechtssache Akzo-Nobel<br />

(T-125/03; T 253/03) verkündet. Über<br />

den Verlauf der mündlichen Verhandlung<br />

hatte das <strong>Anwaltsblatt</strong> im Bericht<br />

aus Brüssel in der Ausgabe August/<br />

September (Heft 8+9/2007) berichtet.<br />

Das EuG hat es abgelehnt, Syndikusanwälten<br />

denselben Schutz des<br />

Berufsgeheimnisses zu gewähren wie<br />

anderen Rechtsanwälten. Zwar entschied<br />

das EuG, dass die Kommission<br />

durch die Untersuchung im konkreten<br />

Fall gegen das „Legal Professional Privilige“<br />

(LPP) verstoßen hat, da sie nicht<br />

berechtigt ist, in Streit stehende Dokumente<br />

auch nur kursorisch zu lesen.<br />

Erfreulich hierbei ist, dass das Gericht<br />

die Bedeutung des LPP für den Rechtsstaat<br />

stärkt und auch lediglich vorbereitende<br />

Dokumente als vom Berufsgeheimnis<br />

gedeckt ansieht, sofern<br />

diese zwecks Einholung von Rechtsrat<br />

bei einem externen Rechtsanwalt erstellt<br />

wurden. Allerdings erteilt das<br />

EuG der Ausweitung der LPP auf Syndikusanwälte<br />

– bei Untersuchungen<br />

der Kommission – eine Absage.<br />

Keine Änderung der deutschen Rechtslage<br />

Wichtig ist zunächst festzuhalten, dass<br />

die Bewertung des Gerichts Erster Instanz<br />

nichts an der berufsrechtlichen<br />

Bewertung der Syndikusanwälte nach<br />

deutschem Recht ändert. Stehen also<br />

nicht Untersuchungen der Europäischen<br />

Kommission, sondern deutscher<br />

Ermittlungsbehörden an, kann sich<br />

auch ein Syndikusanwalt auf sein Mandat<br />

berufen. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

der Syndikusanwälte im DAV und auch<br />

die politischen Entscheidungsorgane<br />

des Verbands vertreten seit vielen Jahren<br />

die Auffassung, dass nach deutschem<br />

Berufsrecht anwaltliche Tätigkeit<br />

auch dann vorliegt, wenn ein<br />

angestellter Anwalt für ein Unternehmen,<br />

bei dem er angestellt ist, rechtsgestaltende,<br />

rechtsberatende oder<br />

rechtsentscheidende Tätigkeit erbringt.<br />

Insofern gelten auch Verschwiegenheitsrecht<br />

und -pflicht sowie die Pflicht<br />

zur Vermeidung jedweder Interessen-<br />

VI AnwBl 11 / 2007<br />

kollision. So sind Syndikusanwälte in<br />

der Sache des Rechts unabhängig.<br />

Deutsche Gerichte der unteren Instanzen<br />

haben das Privileg in verschiedenen<br />

Entscheidungen gewährt, es gibt<br />

noch keinen höchstrichterlichen Richterspruch.<br />

Die ablehnende Entscheidung des<br />

EuG ist unter anderem – leider muss<br />

man sagen – darauf zurückzuführen,<br />

dass sich die verschiedenen Anwaltsorganisationen<br />

in Europa nicht auf ein<br />

europäisches Syndikusanwaltsbild einigen<br />

können. Das EuG stellt fest, dass<br />

nur einige Mitgliedstaaten – wie auch<br />

Deutschland – Syndikusanwälte als<br />

Rechtsanwälte zulassen. Andere Mitgliedstaaten<br />

tun das nicht. Da die Anerkennung<br />

des Berufsgeheimnisses für<br />

Syndikusanwälte eine Beschränkung<br />

der Untersuchungsrechte der Kommission<br />

bedeuten würde, sah sich das Gericht<br />

letztlich außer Stande von der<br />

Rechtssprechung des EuGH in AM&S<br />

(Rs 155/79) abzuweichen.<br />

Hier liegt jedoch eine der Schwachstellen<br />

des Urteils. Zur Begründung<br />

warum die Ausweitung des Berufsgeheimnisses<br />

auf Syndikusanwälte<br />

nicht möglich ist, verweist das Gericht<br />

pauschal auf die AM&S-Entscheidung.<br />

Dort hatte der EuGH festgelegt, dass<br />

nur externe Rechtsanwälte unabhängig<br />

sind. Es wird auf die dort gefundene<br />

Definition der Unabhängigkeit Bezug<br />

genommen, ohne zu erläutern, was<br />

Unabhängigkeit inhaltlich bedeutet<br />

und warum beispielsweise die Funktion<br />

des „Mitgestalters der Rechtspflege“<br />

nicht auch durch den Syndikusanwalt<br />

erfüllt werden kann. Das EuG<br />

scheut sich damit, zu einer echten Definition<br />

von Unabhängigkeit zu kommen,<br />

die der Tatsache Rechnung trägt,<br />

dass sich nicht nur die rechtliche, sondern<br />

auch die tatsächliche Stellung des<br />

Rechtsanwalts seit AM&S geändert hat.<br />

Es war dem Gericht überdies nicht<br />

möglich, dem Vorschlag des Rates der<br />

Europäischen Anwaltschaften zu folgen,<br />

der lautete, die Beurteilung der<br />

Anwendbarkeit des Berufsgeheimnisses<br />

nach dem jeweiligen nationalen Berufsrecht<br />

des Rechtsanwalts zu richten.<br />

Dem stünde die Notwendigkeit einer<br />

einheitlichen Anwendung der Untersuchungsrechte<br />

der Kommission entgegen.<br />

Insgesamt ist es zu bedauern, dass<br />

der Grundsatz der einheitlichen Anwendung<br />

der Untersuchungsbefugnisse<br />

der Kommission über den Schutz<br />

der Grundrechte gestellt wird. Das Ge-<br />

richt nimmt hier nur eine sehr kursorische<br />

Prüfung der Grundrechte vor<br />

(siehe zu diesem Thema den Beitrag<br />

von Eichler/Peukert zur „Vertraulichkeit<br />

der Rechtsberatung durch Syndikusanwälte<br />

und EMRK“, AnwBl<br />

2002, 189, auch unter www.syndikus<br />

anwaelte.de, Rubrik „Texte“).<br />

Wie geht es weiter?<br />

Gegen die Entscheidung kann innerhalb<br />

von zwei Monaten ein Rechtsmittel<br />

beim EuGH eingelegt werden. Ob<br />

Akzo Nobel oder einer der Nebenintervenienten<br />

von dieser Möglichkeit Gebrauch<br />

machen wird, entscheidet sich<br />

in den kommenden Wochen. Der Geschäftsführende<br />

Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />

führt in diesem Zusammenhang<br />

Gespräche mit am Verfahren<br />

beteiligten Rechtsanwälten. Unter dem<br />

Titel „Die Akzo Nobel-Entscheidung –<br />

Auf der Seite der Freiheit?“ wird das<br />

Thema auf dem vom 9. bis 11. November<br />

2007 in Berlin stattfindendenden<br />

Syndkikusanwaltstag diskutiert werden.<br />

Satzungsversammlung:<br />

CCBE Berufsregeln umsetzen<br />

Die neu gewählte 4. Satzungsversammlung<br />

wird sich gleich zu Anfang auch<br />

mit europäischen Themen beschäftigen<br />

müssen. Ganz konkret geht es um die<br />

Einbeziehung der Berufsregeln des Rates<br />

der Europäischen Anwaltschaften<br />

(CCBE) in das deutsche Recht. § 29<br />

BORA enthält einen statischen Verweis<br />

auf die CCBE-Berufsregeln in der Fassung<br />

vom 28. November 1998. Seit dieser<br />

Zeit sind die Berufsregeln 2002<br />

und 2006 mehreren Änderungen unterlaufen,<br />

die noch nicht in das deutsche<br />

Berufsrecht umgesetzt sind. Auch<br />

hinsichtlich der Dienstleistungsrichtlinie<br />

wird die Satzungsversammlung<br />

gefordert sein, die Regelungen der<br />

BORA an der Richtlinie zu messen.<br />

Eva Schriever,<br />

LL. M., Berlin/<br />

Brüssel<br />

Die Autorin ist Rechtsanwältin<br />

und Geschäftsführerin<br />

des DAV.


MNInformationen<br />

Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

____________________________________<br />

<strong>Deutscher</strong> Bundestag<br />

verabschiedet RDG<br />

Die Reform des Rechtsberatungsrechts<br />

ist durch den Bundestag: In 3. Lesung<br />

verabschiedeten die Abgeordneten am<br />

11. Oktober 2007 das Rechtsdienstleistungsgesetz.<br />

Zuvor hatte der Rechtsausschuss<br />

des Bundestags noch eine<br />

Reihe von Änderungen in dem Regierungsentwurf<br />

beschlossen. Gestrichen<br />

wurde unter anderem die für die<br />

BRAO vorgesehene Regelung zur beruflichen<br />

Zusammenarbeit von Anwälten<br />

mit anderen „vereinbaren“ Berufen.<br />

Die jetzige Fassung des RDG greift<br />

viele Forderungen des DAV auf. Mit einem<br />

Einspruch des Bundesrats wird in<br />

Berlin nicht gerechnet. Bei einer<br />

Verkündung des Gesetzes im Dezember,<br />

wird die Reform zum 1. Juli 2008<br />

in Kraft treten.<br />

Anwaltsrecht<br />

____________________________________<br />

Erleichterte Abtretung von<br />

Honorarforderungen<br />

Verbot der Sternsozietät fällt<br />

Die BRAO bleibt eine Baustelle: Nach<br />

den Änderungen der BRAO zum 1. Juni<br />

2007 wird die BRAO im Zuge der Verabschiedung<br />

des Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

erneut angepasst. Der Bundestag<br />

beschloss am 11. Oktober 2007 in<br />

3. Lesung, das die Abtretung von anwaltlichen<br />

Honorarforderungen erleichtert<br />

werden soll. Sie ist zukünftig<br />

mit ausdrücklicher, schriftlicher Zustimmung<br />

des Mandanten zulässig.<br />

Außerdem fällt das Verbot der Sternsozietät<br />

in § 59e Abs. 2 BRAO. Anwälte<br />

können damit mehreren Berufsausübungsgemeinschaften<br />

angehören. Gestrichen<br />

wird auch § 59a Abs. 2 BRAO.<br />

Die Vorschrift ist mit dem Wegfall des<br />

Zweigstellenverbots obsolet. Auch Sozietäten<br />

können seit dem 1. Juni 2007<br />

Zweigstellen haben. Mit einem Einspruch<br />

des Bundesrats gegen das Gesetz<br />

wird in Berlin nicht gerechnet.<br />

Diese Änderungen der BRAO werden<br />

am Tag nach der Verkündung in Kraft<br />

treten. 2008 steht dann die Reform des<br />

Verbots des Erfolgshonorars an. Die<br />

Umsetzungsfrist des Bundesverfassungsgerichts<br />

endet am 30. Juni 2008.<br />

Universität Hannover<br />

____________________________________<br />

Erfolgshonorar nicht nur<br />

für Sozialfälle<br />

Verfassungsrichter erläutert<br />

Beschluss des BVerfG<br />

Die Lockerung des strikten Verbots des<br />

Erfolgshonorars soll sich nicht nur auf<br />

Sozialfälle beziehen: „Die Entscheidung<br />

des Bundesverfassungsgerichts<br />

geht von einem flexiblen Maßstab aus“,<br />

erläuterte Dr. Reinhard Gaier, Richter<br />

des Bundesverfassungsgerichts und Berichterstatter<br />

in dem Verfahren zum<br />

Erfolgshonorar (BVerfG, AnwBl 2007,<br />

297), auf dem 4. Hannoveraner ZPO-<br />

Symposium am 22. September 2007.<br />

Auch dem Mittelständler mit einem<br />

großen Bauprozess hätte das Bundesverfassungsgericht<br />

den Weg zum Erfolgshonorar<br />

eröffnen wollen. Gaier<br />

verwies darauf, dass auch die früheren<br />

anwaltlichen Standesrichtlinien kein<br />

striktes Verbot des Erfolgshonorars gekannt<br />

hätten. Die Entscheidung des<br />

Gerichts sei daher wenig revolutionär.<br />

Zugleich betonte Gaier, dass mit<br />

der Öffnung des Erfolgshonorars keine<br />

Streichungen bei der Prozesskostenhilfe<br />

einhergehen dürften. Die Prozesskostenhilfe<br />

sei ein verfassungsrechtlich<br />

abgesichertes Leistungsgrundrecht.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hatte<br />

das strikte Verbot des Erfolgshonorars<br />

für verfassungswidrig erklärt. Bis zum<br />

30. Juni 2008 muss nun der Gersetzgeber<br />

eine neue Regelung schaffen.<br />

Ein Gesetzesvorschlag des DAV findet<br />

sich in AnwBl 2007, 676.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Bundesgerichtshof<br />

____________________________________<br />

Neuer Präsident der<br />

BGH-Anwaltskammer<br />

Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Dr.<br />

Norbert Gross ist im September 2007<br />

neuer Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />

beim BGH geworden. Er löst<br />

Rechtsanwalt beim BGH Dr. Eilert<br />

Osterloh ab. Der 66jährige Gross ist<br />

Mitglied des Vorstands des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s und Ehrenvorsitzender<br />

des BGH-<strong>Anwaltverein</strong>s. Er ist seit<br />

zwölf Jahren Rechtsanwalt beim BGH.<br />

Quelle: Pressemitteilung des BGH


MNInformationen<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere<br />

____________________________________<br />

Einstiegsgehälter: Familienrecht<br />

vor Insolvenzrecht<br />

Die Überraschung des zweiten Einstellungs-<br />

und Gehälterreport von <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Karriere: Die Einstiegsgehälter im<br />

Insolvenzrecht liegen in vielen Fällen<br />

unter denen des Familienrechts. Während<br />

im Westen (Nordrhein-Westfalen,<br />

Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarbrücken)<br />

im Familienrecht im Schnitt<br />

39.000 Euro gezahlt werden, liegt das<br />

Insolvenzrecht nur bei 37.000 Euro.<br />

Eine Erklärung: Im Insolvenzrecht<br />

können junge Anwälte am Anfang<br />

keine eigenen Umsätze machen – und<br />

viele Kanzleien leben von Verbraucherinsolvenzen.<br />

Die zweite Ausgabe von<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere, dem Magazin<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s für Studierende<br />

und Referendare, wird Mitte<br />

November erscheinen.<br />

In den „Anwaltshauptstädten“ (Berlin,<br />

Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg,<br />

Köln, München und Stuttgart)<br />

liegen die Insolvenzrechtler dagegen<br />

mit einem Schnitt von 42.000 Euro<br />

beim Einstiegsgehalt 4.000 Euro vor<br />

den Familienrechtlern. In der Spitze<br />

kann aber auch im Familienrecht ein<br />

Berufsanfänger auf 60.000 Euro kommen.<br />

Allerdings: Die Stellen im Familienrecht<br />

sind extrem rar. 2007 haben<br />

94 Prozent der befragten Kanzleien<br />

keine Stelle besetzt. Die meisten Stellen<br />

und die im Schnitt besten Einstiegsgehälter<br />

haben beim Report die<br />

Kanzleien im Medizinrecht geboten.<br />

Beim Einstellungs- und Gehälterreport<br />

für das Familienrecht, Insolvenzrecht<br />

und Medizinrecht wurden mehr<br />

als 300 Kanzleien telefonisch befragt,<br />

von denen 150 Auskünfte erteilt haben.<br />

Anders als beim ersten Einstellungsund<br />

Gehälterreport aus dem Mai 2007<br />

haben viele Kanzleien im Familien- und<br />

Insolvenzrecht keine Angaben gemacht.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Die Einstellungs- und Gehälterreporte aus<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere finden Sie im Internet unter<br />

www.anwaltsblatt-karriere.de. Dort kann auch das<br />

aktuelle Heft 2 bestellt werden.<br />

Universität Münster<br />

____________________________________<br />

Kurzfortbildung für Anwälte<br />

an der Universität<br />

Die Forschungsstelle Anwaltsrecht der<br />

Westfälischen Wilhelms-Universität<br />

Münster bietet Fortbildungsvorträge<br />

für Anwälte an. Die Veranstaltungen:<br />

24. Oktober 2007: „Die streitige Gesellschafterversammlung<br />

in einer Zwei-<br />

Personen-GmbH“ mit Rechtsanwalt<br />

Dr. Ralf Bergjan, LL.M. (München); 28.<br />

November 2007: „Aktuelles zur Reform<br />

des Rechtsberatungsrechts und der beruflichen<br />

Zusammenarbeit der Rechtsanwälte“<br />

mit Dr. Kurt Franz (Ministerialrat,<br />

Bundesjustizministerium); 16.<br />

Januar 2008: „WEG-Reform 2007: Änderungen<br />

für das Beratungs- und Prozessmandat“<br />

mit Dr. Walter Boeckh<br />

(Richter am OLG München).<br />

Die Veranstaltungen finden jeweils von 16 bis 18<br />

Uhr im Kettelerschen Hof, Königsstr. 51-53,<br />

48143 Münster statt. Um Anmeldung wird gebeten.<br />

Informationen unter www.anwaltsrecht.net.


MNInformationen<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

____________________________________<br />

Fortbildung online mit<br />

Anwaltzertifikat<br />

Neue Wege für die Fortbildung: Die<br />

Deutsche Anwaltakademie und Juris<br />

bieten mit ihrem so genannten „Anwaltzertifikat<br />

online“ eine Möglichkeit<br />

der orts- und zeitunabhängigen Fortbildung<br />

für Rechtsanwälte. Das Angebot<br />

besteht aus einem zweiwöchentlichen<br />

Informationsdienst per E-Mail und<br />

vierteljährlichen Online-Prüfungen.<br />

Gestartet im Oktober, werden zunächst<br />

sechs Rechtsgebiete angeboten: Arbeitsrecht,<br />

Bau- und Architektenrecht,<br />

Familienrecht, IT-Recht, Miet- und<br />

Wohnungseigentumsrecht sowie das<br />

Verkehrsrecht. Weitere Rechtsgebiete<br />

sollen in Kürze folgen.<br />

Der Informationsdienst enthält sowohl<br />

Rechtsprechung als auch Hinweise<br />

zu Änderungen der Gesetzgebung<br />

und praxisbezogene Aufsätze.<br />

Vierteljährlich können Online-Prüfungen<br />

absolviert werden. Die erfolgreiche<br />

Teilnahme wird durch ein Zertifikat<br />

der Deutschen Anwaltakademie be-<br />

scheinigt. Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte können so ihren Weiterbildungserfolg<br />

selbst überprüfen und<br />

nach außen dokumentieren. Abgerundet<br />

wird das Angebot durch ein Online-<br />

Archiv, in dem die bereits erschienenen<br />

Beiträge einschließlich der<br />

zitierten Entscheidungen und Normen<br />

recherchiert werden können.<br />

Der Preis für das „Anwaltzertifikat<br />

online“ liegt bei acht Euro pro Monat,<br />

DAV-Mitglieder zahlen sechs Euro.<br />

Weitere Informationen zum<br />

„Anwaltzertifikat online“ erhalten Sie im Internet unter<br />

www.anwaltzertifikat.de.<br />

Universität Hannover<br />

____________________________________<br />

Vortragsreihe<br />

„Studentenfutter“<br />

Die Leibnizuniversität Hannover setzt<br />

die Vortragsreihe „Studentenfutter“ im<br />

Rahmen der anwaltsorientierten Ausbildung<br />

im Wintersemester fort. Die<br />

Veranstaltungen: 30. Oktober 2007:<br />

„Politische Prozesse“ mit Prof. em. Dr.<br />

Dr. h.c. Hans-Peter Schneider; 6. November<br />

2007: „Anwaltsbiographien“<br />

mit Rechtsanwalt Rainer M. Bähr;<br />

27. November 2007: „Außer der Reihe“<br />

mit Dr. Daniel Biene, LL.M.; 15. Januar<br />

2008: „Anwaltsbiographien“ mit<br />

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Büchner;<br />

22. Januar 2008: „Rechtsanwältinnen“<br />

mit Rechtsanwältin Jutta Wagner;<br />

29. Januar 2008: „Unternehmergespräche“<br />

mit Sepp D. Heckmann (Deutsche<br />

Messe AG).<br />

Die Veranstaltungen finden jeweils Dienstag, ab<br />

18 Uhr, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover,<br />

Raum II/203, statt. Informationen: Institut für<br />

Prozessrecht und anwaltsorientierte Ausbildung,<br />

05 11/7 62-82 68, www.jura.uni-hannover.de/ipa.


<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 57, 11 / 2007<br />

Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Die Satzungsversammlung<br />

bei der Bundesrechtsanwaltskammer:<br />

Was bleibt zu tun?<br />

Rückblick und Ausblick<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Troisdorf<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung)<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Die vierte Satzungsversammlung ist gewählt und wird am<br />

18. Januar 2008 erstmals zusammentreten. Ihre Funktion<br />

erschöpft sich nicht darin, im Rahmen der Ermächtigung<br />

des § 59 b BRAO das anwaltliche Berufsrecht der BRAO<br />

durch erläuternde Satzungsnormen (BORA und FAO) auszugestalten.<br />

Die Satzungsversammlung – erst 1995 geschaffen<br />

– ist auch ein Diskussionsforum. Der Autor war von<br />

Anfang an ihr Mitglied. Nachdem er für die vierte Satzungsversammlung<br />

nicht mehr kandidiert hat, zieht der Autor eine<br />

persönliche Bilanz. Der Beitrag liest sich wie ein Arbeitsprogramm<br />

für die vierte Satzungsversammlung. Sie sollte sich<br />

vor allem mit dem Fachanwaltssystem beschäftigen.<br />

I. Warum eine Satzungsversammlung?<br />

Im Juli dieses Jahres waren 20 Jahre vergangen, seit das<br />

BVerfG 1 mit seinen sog. Bastille-Entscheidungen im Zusammenhang<br />

mit Fällen zum anwaltlichen Werbeverbot und<br />

zum Gebot sachlicher Berufsausübung den Freiraum für<br />

eine freie und unreglementierte anwaltliche Berufsausübung<br />

pro libertate neu abgesteckt und in diesem Zusammenhang<br />

entschieden hat: Die Richtlinien zu den „Grundsätzen des<br />

anwaltlichen Standesrechts“ können nicht mehr als Hilfsmittel<br />

zur Auslegung und Konkretisierung der Generalklausel<br />

über die anwaltlichen Berufspflichten (§ 43 BRAO damaliger<br />

Fassung) herangezogen werden. Einer der tragenden Gründe<br />

dafür war 2 , dass der Richtliniengeber BRAK nicht von den<br />

Berufsangehörigen als Mitgliedern gewählt, also nicht demokratisch<br />

zu Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit legitimiert<br />

sei. Hierzu bedürfe es vielmehr einer durch gesetzliche<br />

Ermächtigung begründeten Satzungskompetenz eines durch<br />

Wahl der Berufsangehörigen gebildeten Selbstverwaltungsgremiums.<br />

3<br />

Dies war der maßgebliche Anstoß für die – leider erst sieben<br />

Jahre später durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts<br />

der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. September<br />

1994 4 mit den §§ 191 a ff. BRAO erfolgte – Schaffung<br />

einer Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />

Die Satzungsversammlung nahm ihre Arbeit 1995 auf.<br />

Im Sommer 2007 ist die Wahlperiode der dritten Satzungsversammlung<br />

zu Ende gegangen. Das Ende der ersten Wahlperiode<br />

habe ich hoffnungsfroh als das „Ende des Anfangs“<br />

bezeichnet. 5 Kleine-Cosack hat nach Ende der dritten Wahlperiode<br />

in Umkehrung meiner Worte unter der Überschrift<br />

„Anfang vom Ende der Satzungsversammlung“ einen derben<br />

Abgesang angestimmt. 6 Was ist in diesen zwölf Jahren geschehen,<br />

das dies rechtfertigen könnte, und wie sieht die Zukunft<br />

aus?<br />

II. BORA und FAO:<br />

Viel Licht und ein wenig Schatten<br />

Nach den Bastille-Entscheidungen des BVerfG entbrannte<br />

zwischen BRAK und DAV ein erbitterter Kampf um den Inhalt<br />

der nun notwendig gewordenen Neugestaltung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts. Nach Erlass des Gesetzes zur Neuordnung<br />

des Berufsrechts vom 2. September 1994 wurde von<br />

vielen angenommen, dieser Streit werde sich in der neu gebildeten<br />

Satzungsversammlung fortsetzen. Solche Unkenrufe<br />

wurden enttäuscht. Ich konnte in meinem Schlusswort<br />

1 AnwBl 1987, 598 ff.; 603 ff.<br />

2 AaO S. 601.<br />

3 So schon Kleine-Cosack AnwBl 1986, 505.<br />

4 BGBl 1994, 2278<br />

5 Busse, BRAK-Mitt. 1999, 135 f.<br />

6 AnwBl 2007, 409 ff.<br />

Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 <strong>729</strong>


MN Aufsätze<br />

zur ersten Wahlperiode mit Zufriedenheit feststellen 7 , dass<br />

die erste Satzungsversammlung zu keiner Zeit in ein Kammer-<br />

und ein DAV-Lager zerfallen ist. Nur dadurch ist es der<br />

Satzungsversammlung, noch dazu in der erstaunlich kurzen<br />

Zeit von nur zwei Jahren, gelungen, eine am 11. März 1997<br />

in Kraft getretene Berufsordnung (BORA) und eine Fachanwaltsordnung<br />

(FAO) zu verabschieden 8 , denen die Mehrheit<br />

der stimmberechtigten Mitglieder zustimmen konnte.<br />

Das erforderte viele Brückenschläge zwischen den Vertretern<br />

eines in den Kernfragen breit gefächerten Meinungsspektrums,<br />

war aber auch Ergebnis der aus dem persönlichen Kennenlernen<br />

untereinander gewachsenen wechselseitigen<br />

Wertschätzung. Sie hat viele Gegensätze relativiert. Sie hat<br />

dem Gefühl für die Vertretbarkeit abweichender Meinungen<br />

des Anderen mehr und mehr Gewicht verliehen. BORA und<br />

FAO haben rechtlich und berufspolitisch in wesentlichen Teilen<br />

bis heute „gehalten“, weil sich die Satzungsversammlung<br />

von den alten Standesrichtlinien wirklich weg bewegt und<br />

selbst zu der so umstrittenen Frage des anwaltlichen Werberechts<br />

den neuen Inhalt des § 43b BRAO – kein Werbeverbot<br />

mit Erlaubnisvorbehalt, sondern Werbefreiheit mit gesetzlichen<br />

Einschränkungen – voll erfasst hat und dem Grundsatz<br />

„in dubio pro libertate“ gefolgt ist.<br />

Dass die erste Satzungsversammlung in einigen wenigen<br />

Fällen versucht hat, bis an die Grenze der Satzungsermächtigung<br />

zu gehen und diese dabei überschritten hat, so dass die<br />

Beschlüsse vom Bundesjustizministerium aufgehoben wurden,<br />

ist in einer Umbruchsituation nichts Besonderes und<br />

verdient den von Kleine-Cosack 9 geäußerten Spott nicht. Berufspolitisch<br />

und verfassungsrechtlich lag sie damit übrigens,<br />

sieht man einmal von der unzulässigen Erstreckung<br />

der Regelungen auf ausländische Anwälte und Rechtsbeistände<br />

ab 10 , gar nicht so falsch.<br />

9 Es ging zum einen um die in § 21 Abs. 2 BORA vorgesehene<br />

vorsichtige Lockerung des Verbots erfolgsabhängiger<br />

Vergütungsvereinbarungen 11 , die im Lichte der Entscheidung<br />

des BVerfG vom 12. Dezember 2006 zu § 49b<br />

Abs. 2 BRAO 12 bei der vom Gesetzgeber bis zum 30. Juni<br />

2008 geforderten Neuregelung wohl keine Probleme bereiten<br />

würde.<br />

9 Zum anderen ging es 13 um die durch einen § 31 Abs. 2<br />

BORA versuchte Lockerung des aus § 59a Abs. 1 Satz 1<br />

BRAO nach höchst umstrittener Auffassung herausgelesenen<br />

und vom BGH 14 bestätigten Verbots der Sternsozietät<br />

15 , dessen verfassungsrechtliche Haltbarkeit höchst<br />

zweifelhaft ist. 16 Dieses auch berufspolitisch wenig sinnvolle<br />

Verbot wird im Zuge der Reform des Rechtsdienstleistungsrechts<br />

17 wohl nun fallen. Damit wird sich auch<br />

der durch die Neufassung von § 31 Satz 1 BORA 18 nicht<br />

erledigte Streit um die verfassungsrechtliche Haltbarkeit<br />

von § 31 Satz 2 BORA 19 erledigen.<br />

Als Fehlleistung der 1. Satzungsversammlung kann allenfalls<br />

die als § 13 BORA beschlossene Beschränkung des Rechts,<br />

gegen eine anwaltlich vertretene Partei ein Versäumnisurteil<br />

zu nehmen, angesehen werden. Viele hatten vorausgesehen,<br />

dass diese Regelung an Art. 12 GG scheitern würde, wie dies<br />

das BVerfG am 9. November 1999 dann auch entschieden<br />

hat. 20<br />

III. Erledigtes und Unerledigtes<br />

Nach Verabschiedung von BORA und FAO lagen die Schwerpunkte<br />

der Arbeit der Satzungsversammlung bei folgenden<br />

berufsrechtlichen Themenstellungen:<br />

9 nähere Regelungen zum Verbot der Wahrnehmung widerstreitender<br />

Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO),<br />

9 nähere Regelungen zum Außenauftritt der Rechtsanwälte<br />

als besonderer Ausprägung des in § 43b BRAO geregelten<br />

Werberechts durch §§ 6, 7, 7a und 9 BORA,<br />

9 Erweiterung der zugelassenen Fachgebietsbezeichnungen,<br />

9 Möglichkeiten der Überprüfung der vom Bewerber um<br />

die Verleihung von Fachgebietsbezeichnungen vorgelegten<br />

Nachweise besonderer theoretischer und praktischer<br />

Kenntnisse auf seinem Fachgebiet und<br />

9 Fortbildung des Fachanwaltes und allgemein anwaltliche<br />

Fortbildung.<br />

1. Interessenkollision<br />

Durch den von der 1. Satzungsversammlung beschlossenen<br />

§ 3 Abs. 2 BORA hatte die Berufsordnung das Verbot der<br />

Wahrnehmung widerstreitender Interessen auf alle ausgedehnt,<br />

die mit dem durch § 43a Abs. 4 BRAO gesperrten<br />

Rechtsanwalt zur gemeinschaftlichen Berufsausübung oder<br />

in Bürogemeinschaft verbunden sind. Das BVerfG hat § 3<br />

Abs. 2 BORA in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2003 21 für<br />

nichtig erklärt, weil § 3 Abs. 2 BORA keinen Raum für eine<br />

Einzelabwägung lasse. 22 Im entschiedenen Fall ging es um<br />

einen (angestellten) Sozietätswechsler, der in die Kanzlei gewechselt<br />

war, die die Gegenseite in der von der abgebenden<br />

Kanzlei vertretenen Sache vertrat. Dabei maß das BVerfG,<br />

weil der Wechsler nicht selbst in dem widerstreitenden Mandat<br />

vertreten hatte, – und dies war eine gravierende Neuausrichtung<br />

des Inhalts des § 43a Abs. 4 BRAO – entscheidende<br />

Bedeutung bei, ob die Mandanten im widerstreitenden Mandat<br />

nach umfassender Information mit der Fortführung des<br />

Mandats durch die aufnehmende Kanzlei einverstanden<br />

sind.<br />

7 BRAK-Mitt. 1999, 135.<br />

8 BRAK-Mitt. 1996, 241 ff.; 1997, 81.<br />

9 AnwBl 2007, 409.<br />

10 Beschlüsse zu § 15 FAO a. F., aufgehoben durch Bescheid des BJM vom<br />

07.03.1997, BRAK-Mitt. 1997, 81.<br />

11 Aufgehoben durch Bescheid des BJM vom 07.03.1997, BRAK-Mitt. 1997, 81.<br />

12 AnwBl 2007, 297 ff. mit Anmerkung Hamacher.<br />

13 Aufhebung durch Bescheid des BJM vom 25.02.1999, BRAK-Mitt. 1999, 121.<br />

14 AnwBl 2006, 210.<br />

15 Hierzu näher Römermann in Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Auflage 2006,<br />

§59aRdnr8ff.<br />

16 Hartung-Römermann, aaO; Kilian, NZG 2001, 150 ff.<br />

17 Begründung zu Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts,<br />

BTDrs. 16/3655, S. 181.<br />

18 BRAK-Mitt. 2001, 177.<br />

19 Erstreckung des Verbots auf die Verbindung mit anderen Berufsangehörigen sozietätsfähiger<br />

Berufe, vgl. dazu Hartung-Römermann aaO § 31, Rdnr 31 mit Nachweisen.<br />

20 AnwBl 2000, 122.<br />

21 AnwBl 2003, 521.<br />

22 AaO S. 524.<br />

730 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse


MN Aufsätze<br />

Die Satzungsversammlung stand vor der Entscheidung,<br />

ob sie aus Anlass der Entscheidung des BVerfG auf eine Sozietätserstreckung<br />

gänzlich verzichten sollte, von der höchst<br />

umstritten war, ob sie von der Satzungsermächtigung des<br />

§ 59b Abs. 2 Nr. 1e BRAO überhaupt gedeckt wäre, 23 oder an<br />

der Sozietätsertreckung unter Berücksichtigung der Forderungen<br />

aus dem Sozietätswechslerurteil festhalten sollte.<br />

Auch das Wie dieser Berücksichtigung war höchst umstritten.<br />

Der zuständige Ausschuss 4 der Satzungsversammlung<br />

hat dazu in der 2., 3., 4. und 5. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />

mehrfach dem Diskussionsverlauf angepasste<br />

Regelungsvorschläge unterbreitet.<br />

Die schließlich in der 5. Sitzung vom 7. November 2005<br />

beschlossene Neufassung des § 3 BORA 24 hält grundsätzlich<br />

an der Sozietätserstreckung fest, misst dem Einverständnis<br />

der Mandanten beider Seiten in Bezug auf mit der Sache<br />

nicht befasste Anwälte jedoch entscheidendes Gewicht bei,<br />

wenn nicht im Einzelfall Belange der Rechtspflege entgegen<br />

stehen. Diese Regelung ist weder verfassungswidrig noch<br />

verstößt sie gegen § 43a Abs. 4 BRAO 25 . Das ist inzwischen<br />

durch die Entscheidung der 3. Kammer des BVerfG vom<br />

20. Juni 2006 26 geklärt. Insofern war die Satzungsversammlung<br />

vorausschauender, als es ihr selbst Kleine-Cosack zugestehen<br />

wollte. 27<br />

2. Werbung mit Teilbereichen der Berufstätigkeit<br />

Gemäß § 49b BRAO in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BORA<br />

darf der Anwalt über seine Dienstleistung und seine Person<br />

mit sachlichen und berufsbezogenen Angaben unterrichten.<br />

Soweit es um die Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit<br />

geht, ist dies Regelungsgegenstand des § 7 BORA.<br />

Nach § 7 BORA a. F. durften unabhängig von Fachgebietsbezeichnungen<br />

als Teilbereiche der Berufstätigkeit nur<br />

Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunkte, und dies auch nur<br />

zahlenmäßig beschränkt, angegeben werden. § 7 BORA war<br />

und blieb berufspolitisch und verfassungsrechtlich umstritten.<br />

Die Diskussion um § 7 BORA flammte deswegen schon<br />

in der zweiten Satzungsversammlung wieder auf. Dabei<br />

standen Einschränkungen und Erweiterungen wie auch<br />

seine gänzliche Streichung zur Diskussion. Auf ihrer 4. Sitzung<br />

vom 25. April 2002 beschloss die zweite Satzungsversammlung<br />

28 eine Neufassung. Sie löste die strittige Frage der<br />

Höchstzahl solcher Benennungen jedoch nicht. Deswegen<br />

verstummte die Diskussion auch danach nicht, sondern beschäftigte<br />

die zweite und danach auch die dritte Satzungsversammlung<br />

weiterhin maßgeblich.<br />

Die Diskussion wurde schließlich wesentlich von der sog.<br />

Spezialistenentscheidung des BVerfG 29 vom 28. Juli 2004 beeinflusst.<br />

Sie hat der durch die bisherigen Regelungen geformten<br />

Qualitäts-Stufenleiter vom Interessenschwerpunkt<br />

über den Tätigkeitsschwerpunkt zur Fachanwaltschaft die<br />

Grundlage entzogen. Das führte zur gänzlichen Neufassung<br />

des § 7 BORA in der 4. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />

vom 21. Februar 2005 30 . Hierdurch ist die Beschränkung<br />

auf Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte und<br />

deren zahlenmäßige Begrenzung weggefallen. Die Benennung<br />

von Teilbereichen der Berufstätigkeit wurde zugelassen,<br />

wenn der Anwalt die entsprechenden Kenntnisse nachweisen<br />

kann.<br />

Hätte sich der Ausschuss 2 mit seiner Forderung durchgesetzt,<br />

schon für die bloße Benennung von Teilbereichen<br />

seien „besondere“ Kenntnisse nachzuweisen, wäre eine solche<br />

Regelung ausweislich eines Schreibens des Bundes-<br />

ministeriums der Justiz (BMJ) vom 3. Mai 2005 schon am<br />

BMJ 31 gescheitert. Für „qualifizierende Zusätze“ 32 werden dagegen<br />

mit Recht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BORA) besondere Kenntnisse<br />

und eine umfangreiche Tätigkeit auf diesem Gebiet verlangt.<br />

Die von der Satzungsversammlung als § 7 Abs. 3<br />

BORA beschlossene besondere Fortbildungspflicht für diejenigen,<br />

die Teilbereiche benennen, wurde mangels Regelungskompetenz<br />

der Satzungsversammlung vom BMJ aufgehoben.<br />

33 In ihrer 5. Sitzung vom 7. November 2005 hat die<br />

dritte Satzungsversammlung an § 7 BORA n. F. im Übrigen<br />

festgehalten. 34 Die aus § 7 Abs. 1 und 2 folgenden Rechte gelten<br />

auch für Berufsausübungsgemeinschaften (§ 7 Abs. 3<br />

BORA n. F.). 35<br />

Es bleibt zu hoffen, dass damit der leidvolle Klärungsprozess<br />

um eine rechtlich und berufspolitisch haltbare Ausgestaltung<br />

des § 7 BORA beendet ist und sich die vierte Satzungsversammlung<br />

anderen Themen zuwenden kann, auch<br />

wenn vereinzelt die Verfassungswidrigkeit auch der Neuregelung<br />

geltend gemacht wird. 36 Hält man sich die Entstehungsgeschichte<br />

der jetzigen Regelung vor Augen, liegt nahe: Am<br />

Ende wird einmal die Streichung von § 7 BORA stehen, insbesondere<br />

wenn sich die Regelung erwartungsgemäß neben<br />

den Regelungen des UWG als zahnloser Tiger erweist. Der<br />

dritten Satzungsversammlung fehlte dazu noch der Mut.<br />

3. Werbung mit Mandaten und Mandanten/<br />

Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />

In der von der ersten Satzungsversammlung beschlossenen<br />

Regelung des § 6 Abs. 2 BORA 37 sollten andere als die in § 7<br />

BORA gestatteten Angaben zum Gegenstand der beruflichen<br />

Tätigkeit nur in Praxisbroschüren, Rundschreiben und vergleichbaren<br />

Informationsmitteln zulässig sein, nach § 6<br />

Abs. 3 Angaben über Erfolgs- und Umsatzzahlen überhaupt<br />

nicht und Angaben zu Mandanten und Mandaten nur bei deren<br />

Einverständnis. Hieran hat auch die von der zweiten Satzungsversammlung<br />

auf ihrer 4. Sitzung beschlossene Neufassung<br />

des § 6 Abs. 2 BORA 38 nichts geändert. Die dritte<br />

Satzungsversammlung hat § 6 Abs. 2 BORA in ihrer Sitzung<br />

vom 21. Februar 2005 39 erneut neu gefasst, nachdem das<br />

BVerfG 40 klargestellt hatte, dass kein Werbeträger per se als<br />

23 Verneinend z. B. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Auflage 2003, § 43a, Rdnr 119; bejahend<br />

Henssler/Prütting – Eylmann BRAO, 2. Auflage 2004, § 3 BORA, Rdnr 7; Hartung-Hartung<br />

§ 3, Rdnr 95.<br />

24 BRAK-Mitt. 2005, 273<br />

25 So aber Hartung-Hartung, § 3, Rdnr 107.<br />

26 AnwBl 2006, 580.<br />

27 AnwBl 2005, 95, 98.<br />

28 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />

29 AnwBl 2004, 596.<br />

30 BRAK-Mitt. 2005, 183 ff.<br />

31 Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BVerfG.<br />

32 Z. B. „Spezialist“, „Experte“ o. ä. m.<br />

33 BRAK-Mitt. 2005, 184.<br />

34 BRAK-Mitt. 2005, 273.<br />

35 Was bereits die zweite Satzungsversammlung in ihrer 5. Sitzung vom 7.11.2002,<br />

BRAK-Mitt. 2003, 67, beschlossen hatte.<br />

36 Hartung-Römermann § 7, Rdnr 45.<br />

37 BRAK-Mitt. 1999, 124.<br />

38 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />

39 BRAK-Mitt. 2005, 183.<br />

40 AnwBl 2000, 449.<br />

Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 731


MN Aufsätze<br />

möglicher Träger anwaltlicher Werbung ausscheidet. Die Beschränkung<br />

auf Praxisbroschüren o. ä. war also nicht haltbar.<br />

Den Anforderungen des BVerfG genügt aber auch die Neufassung<br />

des § 6 Abs. 2 BORA nicht. Sie will nach wie vor Angaben<br />

zu Mandanten und Mandaten nur in Broschüren,<br />

Rundschreiben und vergleichbaren Informationsmitteln zulassen.<br />

Das ist nach der erwähnten Entscheidung des BVerfG<br />

verfassungswidrig 41 . Die untersagte Werbung mit Erfolgsund<br />

Umsatzzahlen bedeutet ebenfalls eine unzulässige Einschränkung<br />

des Werberechts aus § 43b BRAO in Verbindung<br />

mit Art. 12 GG. Denn sie ist sachlich und auf die anwaltliche<br />

Tätigkeit bezogen. 42 Die vierte Satzungsversammlung sollte<br />

nicht warten, bis § 6 Abs. 2 und 3 BORA für nichtig erklärt<br />

werden, sondern die Regelungen schnellstmöglich ersatzlos<br />

streichen.<br />

4. Werbeaussage Mediator<br />

Eine besondere Tätigkeitsform und berufliche Qualifikation<br />

ist auch für den Anwalt die Tätigkeit als Mediator. In dem in<br />

der 2. Sitzung der zweiten Satzungsversammlung beschlossenen<br />

§ 7a BORA 43 ist geregelt, dass ein Anwalt sich als Mediator<br />

bezeichnen darf, wenn er nachweisen kann, dass er<br />

die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. Da es<br />

kein rechtsverbindliches Berufsbild des Mediators gibt, lässt<br />

sich nicht bestimmen, was Inhalt dieser „Grundsätze des<br />

Mediationsverfahrens“ ist. Schon aus diesem Grunde ist die<br />

Regelung mangels hinreichender Bestimmtheit verfassungswidrig.<br />

44 Die Führung der Bezeichnung Mediator ist, weil<br />

sachlich und berufsbezogen, nach § 43b BRAO ohne weiteres<br />

zulässig. § 7a BORA ist deswegen überflüssig. Die Bedeutung<br />

der Vorschrift liegt eher darin, dass die Anwaltschaft<br />

seinerzeit Flagge zeigen wollte, dass Mediation auch Teil anwaltlicher<br />

Berufstätigkeit ist. Die vierte Satzungsversammlung<br />

wird zu beobachten haben, ob (z. B. im Zusammenhang<br />

mit den Beratungen des Deutschen Juristentages 2008)<br />

berufsrechtliche Aspekte der Mediation vom Gesetzgeber<br />

aufgegriffen werden, denen § 7a BORA anzupassen wäre.<br />

5. Kurzbezeichnung der Kanzlei<br />

In § 9 BORA ist geregelt, dass zulässigerweise in Berufsausübungsgesellschaften<br />

verbundene Personen eine Kurzbezeichnung<br />

führen dürfen. Nachdem die Rechtsprechung<br />

neben den Namen früherer und gegenwärtig tätiger Berufsträger<br />

in der Kurzbezeichnung auch Sachbezeichnungen<br />

zuließ 45 , versuchte die zweite Satzungsversammlung in ihrer<br />

5. Sitzung vom 7. November 2002, Sach- und Fantasiebezeichnungen<br />

berufsrechtlich auszuschließen. 46 Damit ist sie<br />

aber am BMJ gescheitert 47 und hat daraufhin in der 2. Sitzung<br />

der dritten Satzungsversammlung die mit der Rechtsprechung<br />

kollidierenden beschränkenden Regelungen des<br />

§ 9 Abs. 2 und 3 BORA a. F. aufgehoben. 48 Damit ist ein der<br />

gesetzlichen Vorgabe entsprechender Rechtszustand hergestellt.<br />

6. Anforderungen an Zweigstelle<br />

Nachdem der Bundesgesetzgeber durch das Gesetz zur Stärkung<br />

der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom<br />

26. März 2007 49 das Zweigstellenverbot ab 1. Juni 2007 abgeschafft<br />

hat, beantragten in der dritten Satzungsversammlung<br />

die Münchener Rechtsanwälte Kempter und Horn, in die<br />

BORA eine Regelung über die personellen und sächlichen<br />

Anforderungen an eine Zweigstelle aufzunehmen. Der An-<br />

trag fand in der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />

am 11. Juni 2007 keine Mehrheit 50 . Auch für Anträge, die Anforderungen<br />

des § 5 BORA an eine Kanzlei auf die Zweigstelle<br />

auszudehnen, fand sich keine satzungsändernde Mehrheit.<br />

Die vierte Satzungsversammlung sollte dieses Thema<br />

nicht erneut aufgreifen. Weder das Gesetz noch die BORA<br />

haben bisher konkrete Anforderungen an eine Kanzlei statuiert.<br />

Schwierigkeiten sind daraus nicht entstanden. Wenn<br />

schon für die Kanzlei kein praktisches Bedürfnis für nähere<br />

Regelungen besteht, muss dies für Zweigstellen erst recht<br />

gelten. Eine Zweigstelle wird nach den Umständen im Einzelfall<br />

weder Personal noch Praxisschild oder Festnetzanschluss<br />

voraussetzen, sondern nur einen für die Anwaltstätigkeit<br />

(mit)benutzten Raum und eine, und sei es mobile,<br />

Telefonverbindung. 51<br />

7. Neue Fachanwaltschaften<br />

Die vierte Satzungsversammlung hatte bereits mit der FAO<br />

neben den in § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO genannten vier Fachgebietsbezeichnungen<br />

Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht<br />

und Sozialrecht geregelt, dass auch die Fachgebietsbezeichnungen<br />

Familienrecht und Strafrecht verliehen<br />

werden können. Dem hat sie in der 7. Sitzung 52 die Fachgebietsbezeichnung<br />

Insolvenzrecht hinzugefügt. Im Übrigen<br />

war sie der Auffassung, über weitere Fachgebietsbezeichnungen<br />

solle erst entschieden werden, nachdem sie sich auf ein<br />

Fachanwaltskonzept geeinigt hätte. Vorschläge aus berufenem<br />

Munde dazu kamen bald. 53<br />

Durch den Umgang mit den Themen „neue Fachgebietsbezeichnungen“<br />

und „Fachanwaltskonzept“ war die zweite<br />

Satzungsversammlung dann aber drauf und dran, ihre ganze<br />

in der ersten Wahlperiode zu Recht gewonnene Reputation<br />

zu verspielen. Nach quälenden und heftigen Diskussionen<br />

beschloss sie in ihrer Sitzung vom 15./16. Februar 2001 zwar<br />

einen vom Vorschlag des zuständigen Ausschusses 1 abweichenden<br />

Kriterienkatalog für die Zulassung neuer Fachgebietsbezeichnungen.<br />

Sie lehnte dann aber, obwohl einige<br />

der vorgeschlagenen Fachanwaltschaften diese Kriterien geradezu<br />

offensichtlich erfüllten, alle Vorschläge ab. 54<br />

41 So auch Kilian in Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rdnr 297; Hartung-<br />

Römermann, § 6, 148.<br />

42 ebenso Koch/Kilian aaO; Hartung-Römermann § 6, 138 ff.; OLG Nürnberg, AnwBl<br />

2004, 526.<br />

43 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />

44 Kleine-Cosack §7a,Rdnr3,4;Henssler-Prütting-Hartung, § 7a BORA, Rdnr 2 ff.;<br />

Hartung-Römermann § 7a, Rdnr 12.<br />

45 BGH vom 17.12.2001 BRAK-Mitt. 2002, 92 („CMS“).<br />

46 Beschluss eines § 9 Abs. 1 Satz 2 BORA, BRAK-Mitt. 2003, 67.<br />

47 Aufhebungsbescheid vom 21.02.2003, BRAK-Mitt. 2003, 68.<br />

48 BRAK-Mitt. 2004, 177.<br />

49 BGBl 2007, 358.<br />

50 Protokoll vom 11.06.2007, S. 25 ff.<br />

51 Weitergehend allerdings Hommerich-Kilian NJW 2007, 2311; Koch/Kilian Rdnr 214<br />

ff.; Römermann, AnwBl 2007, 609 sieht für eine solche Regelung keine Satzungskompetenz.<br />

52 BRAK-Mitt. 1999, 121.<br />

53 Fachanwaltskonzept des DAV, AnwBl 1999, 668 ff.; Quaas BRAK-Mitt. 2000, 211;<br />

Scharmer BRAK-Mitt. 2001, 5 ff.<br />

54 Hierzu Busse BRAK-Mitt. 2001, 65 ff. und AnwBl 2003, 294.<br />

732 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse


MN Aufsätze<br />

Dieser Verhaltenswiderspruch war bestenfalls mit Existenzängsten<br />

und auf der Hand liegenden Eigeninteressen<br />

vieler Mitglieder zu erklären. Dass die zweite Satzungsversammlung<br />

in ihrer 6. Sitzung am 20. März 2003 dann doch<br />

noch die neue Fachgebietsbezeichnung Versicherungsrecht<br />

beschloss 55 , die sich der Sache nach kaum in erster Linie aufdrängte,<br />

war auf die geradezu flehentliche Aufforderung des<br />

Vorsitzenden des Ausschusses 1 van Bühren und wohl auch<br />

auf das schlechte Gewissen zurückzuführen, dass die Mehrheit<br />

der Satzungsversammlung wegen ihrer bisher in der<br />

zweiten Wahlperiode gezeigten Verweigerungshaltung wahrscheinlich<br />

beschlich.<br />

Gleichwohl hatte der Beschluss richtungsweisende Bedeutung.<br />

Mit dem beschlossenen Kriterienkatalog wurde<br />

Ernst gemacht. Davon konnte es für die dritte Satzungsversammlung<br />

kein Zurück mehr geben. So kam es dann auch.<br />

Dass dem vom Ausschuss 1 eine von Frau Offermann-<br />

Burkhard initiierte Ergänzung des Kriterienkataloges um<br />

eine Gewichtung der vier Kriterien vorausging, hat dies erleichtert,<br />

hatte vielleicht aber auch eine Alibifunktion, diente<br />

der Gesichtswahrung im Blick auf frühere ablehnende Entscheidungen.<br />

Eingeführt wurden von der dritten Satzungsversammlung<br />

auf ihrer 3. Sitzung vom 22./23. November 2004 56 die<br />

Fachgebietsbezeichnungen Medienrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht,<br />

Verkehrsrecht, Bau- und Architektenrecht<br />

57 , Erbrecht sowie Transport- und Speditionsrecht, auf<br />

der 5. Sitzung vom 7. November 2005 58 die Fachgebietsbezeichnungen<br />

Gewerblicher Rechtsschutz und Handelsund<br />

Gesellschaftsrecht, auf der 6. Sitzung vom 3. April 2006<br />

die Fachgebietsbezeichnungen Urheber- und Medienrecht<br />

und Informationstechnologierecht 59 sowie auf ihrer letzten,<br />

der 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 die Fachgebietsbezeichnung<br />

Bank- und Kapitalmarktrecht. 60<br />

Nach der Vielzahl neuer Fachgebietsbezeichnungen fragt<br />

sich, ob diese Entwicklung einstweilen abgeschlossen ist<br />

oder sich für die vierte Satzungsversammlung weiterer<br />

Handlungsbedarf ergibt. Schon war in der letzten Sitzung<br />

der dritten Satzungsversammlung vom Fachanwalt für<br />

Agrarrecht die Rede. Rechtlich sind weiteren Fachgebietsbezeichnungen<br />

naturgemäß keine Grenzen gesetzt, berufspolitisch<br />

aber sehr wohl. Es besteht die Gefahr, dass mit einer<br />

Atomisierung der für Fachgebietsbezeichnungen<br />

freigegebenen Gebiete und mit zunehmenden Überschneidungen<br />

mit bereits beschlossenen Fachgebietsbezeichnungen<br />

die Außenwirkung des Fachanwalts an sich, das Gewicht,<br />

das man dem einzelnen Fachgebiet beimisst, erodiert.<br />

Das hätte die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte der<br />

Fachgebietsbezeichnungen nicht verdient, die per 1. Januar<br />

2007 bereits von 27.953 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten<br />

(= 19,57 %) geführt werden. 61 Die vierte Satzungsversammlung<br />

sollte sich wieder ernsthaft des beschlossenen<br />

Kriterienkatalogs erinnern und an das Bekenntnis, auch dem<br />

Allgemeinanwalt seinen berechtigten Platz im anwaltlichen<br />

Rechtsberatungsangebot zu belassen, statt für jeden Anwalt<br />

eine Fachanwaltsbezeichnung bereit zu halten. Nach dem<br />

mit 30 % gewichteten Kriterium 2 ( ob das neue Fachgebiet<br />

eine hinreichend breite Nachfrage potentieller Mandanten erfasst<br />

62 ) muss im Moment weiterer Bedarf bezweifelt werden.<br />

Eine Fachgebietsbezeichnung, für die sich – wie beim Transport-<br />

und Speditionsrecht 63 – auch nach Jahren mangels entsprechender<br />

Nachfrage nur wenige Berufsträger entscheiden,<br />

sollte sich nicht wiederholen.<br />

8. Zugang zur Fachanwaltschaft<br />

Seit geraumer Zeit ist neben dem Ruf nach weiteren Fachgebietsbezeichnungen<br />

in den Mittelpunkt der Diskussion<br />

um die Fachanwaltschaften der Gesichtspunkt der Qualitätssicherung<br />

gerückt. Das betrifft sowohl die besonderen Kenntnisse<br />

als auch die praktischen Erfahrungen, die der Bewerber<br />

um die Verleihung der Fachgebietsbezeichnung nachzuweisen<br />

hat, ebenso die Frage, ob und inwieweit es qualitätssichernde<br />

Anforderungen an den Fachanwalt geben sollte,<br />

die nachgewiesene Kompetenz auch nach der Verleihung der<br />

Fachgebietsbezeichnung aufrecht zu erhalten.<br />

a) Status-quo: Nachweissystem von<br />

Kenntnissen und Erfahrung<br />

Anstoß für die Diskussion gab die Klage vieler Fachausschüsse<br />

bei den Kammern, Lehrgangsanbieter würden im eigenen<br />

kommerziellen Interesse das Niveau der Kurse und<br />

die Anforderungen an die schriftlichen Leistungskontrollen<br />

zum Teil so niedrig halten, dass trotz bestandener Leistungskontrollen<br />

besondere Kenntnisse des Bewerbers fraglich<br />

seien. Verschiedene Fachausschüsse haben nach selbst vorgenommener<br />

negativer Beurteilung der vorgelegten (bestandenen)<br />

Lehrgangsklausuren und Arbeitsproben die Verleihung<br />

der Fachgebietsbezeichnung von einem positiven<br />

Verlauf eines Fachgesprächs abhängig machen wollen.<br />

Dem hat die Rechtsprechung einen Riegel vorgeschoben.<br />

Sie legte § 43c BRAO in Verbindung mit § 7 FAO dahin aus,<br />

dass die Prüfung anhand der vorzulegenden Nachweise weitgehend<br />

formalisiert sei und dem Fachausschuss kein Raum<br />

für eine eigenständige Beurteilung der fachlichen Qualitäten<br />

des Bewerbers verbleibe, der die nach der FAO geforderten<br />

Nachweise erbracht habe. 64 Daraufhin hatte die zweite Satzungsversammlung<br />

auf ihrer 4. Sitzung vom 25./26. April<br />

2002 durch Neufassung von § 7 Abs. 2 FAO 65 versucht, zum<br />

Nachweis der besonderen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen<br />

ein Regelfachgespräch einzuführen. Das damit angestrebte<br />

Ziel hat sie nicht erreicht. Der BGH blieb dabei 66 ,<br />

dass nach seiner Auslegung von § 43c Abs. 2 BRAO durch<br />

die FAO keine Möglichkeit für eine individuelle Ermittlung<br />

des Wissens oder der Erfahrungen des Bewerbers durch den<br />

Fachausschuss geschaffen werden kann.<br />

55 BRAK-Mitt. 2003, 125.<br />

56 BRAK-Mitt. 2005, 77.<br />

57 die alle von der zweiten Satzungsversammlung noch abgelehnt worden waren,<br />

vgl. hierzu die Abstimmungsergebnisse in BRAK-Mitt. 2001, 67.<br />

58 BRAK-Mitt. 2006, 168 ff.<br />

59 BRAK-Mitt. 2006, 168.<br />

60 SV-Mat. 15/2007.<br />

61 BRAK-Mitt. 2007, 111.<br />

62 Protokoll der 3. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 22./23.11.2004,<br />

S. 6.<br />

63 Zu dem bisher nur 60 Anwälten die Fachanwaltsbezeichnung verliehen worden ist,<br />

BRAK-Mitt. 2007, 111.<br />

64 BGH BRAK-Mitt. 2003, 25.<br />

65 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />

66 AnwBl 2006, 413, 415/416.<br />

Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 733


MN Aufsätze<br />

Damit steht fest, dass die Satzungsversammlung hierzu<br />

nur neue Beschlüsse fassen kann, wenn sich der Gesetzgeber<br />

zu einer entsprechenden Änderung von § 43c Abs. 2<br />

BRAO entschließen sollte. Die dritte Satzungsversammlung<br />

hat auf ihrer 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 die Empfehlung<br />

an den Gesetzgeber beschlossen 67 : „Die Satzungsversammlung<br />

regt eine Änderung des § 43c Abs. 2 BRAO dahingehend<br />

an, dass die Rechtsanwaltskammern bei der Entscheidung<br />

über den Antrag auf Erteilung einer<br />

Fachgebietsbezeichnung eine inhaltliche Prüfungskompetenz<br />

zum Vorliegen der besonderen theoretischen Kenntnisse<br />

und besonderen praktischen Erfahrungen haben. Das<br />

Nähere regelt die Satzung.“ Für diesen Beschluss haben sich<br />

88 der anwesenden 98 Mitglieder der Satzungsversammlung<br />

ausgesprochen. Auch der DAV-Entwurf einer BRAO-Änderung<br />

sieht eine Prüfungskompetenz des Fachausschusses<br />

vor. 68<br />

Die Bundesjustizministerin hat unter dem 6. August<br />

2007 geantwortet: „Die Auffassungen, ob und ggf. wie die<br />

Zugangsregelungen zur Fachanwaltschaft geändert werden<br />

sollten, gehen weit auseinander. Die Auswirkungen, die Änderungen<br />

des Fachanwaltsrechtes auf den Anwaltsmarkt insgesamt<br />

haben können, können erheblich sein. Auch die<br />

Rechtsuchenden, für die die mit dem System der Fachanwaltschaften<br />

geförderte berufliche Spezialisierung und die<br />

durch die Fachgebietsbezeichnungen bewirkte Information<br />

und Orientierung große Bedeutung haben, sind von Änderungen<br />

betroffen. Angesichts der noch nicht abgeschlossenen<br />

Überlegungen halte ich die Zeit für eine Gesetzesänderung<br />

noch nicht für gekommen. Ich bin aber gerne bereit,<br />

Änderungsvorschläge im Rahmen einer künftigen BRAO-<br />

Novellierung aufzugreifen.“ Diese Auffassung war die logische<br />

Folge der kontroversen Diskussionen, die zu diesem<br />

Thema innerhalb und außerhalb der Satzungsversammlung<br />

bis zuletzt geführt worden sind. Bevor der Gesetzgeber handelt,<br />

muss sich die deutsche Anwaltschaft erst einmal auf ein<br />

tragfähiges Konzept einigen, wie die Zugangsregelung der<br />

Satzung bei entsprechender gesetzlicher Ermächtigung aussehen<br />

sollte.<br />

b) Reformbedarf und Reformvorschläge<br />

Diese Arbeit kommt auf die vierte Satzungsversammlung zu.<br />

Sie sollte ein zentraler Punkt ihrer Arbeit sein. Die Satzungsversammlung<br />

ist nicht nur, auch ohne dass davon in § 59b<br />

BRAO die Rede ist, zu Empfehlungen an den Gesetzgeber<br />

berechtigt und hierfür kompetent. Vielmehr wird nur sie –<br />

wenn es überhaupt gelingt – die Klammer sein, die divergierenden<br />

Meinungen zusammenzuführen. Das betrifft nicht<br />

nur Auffassungsunterschiede zwischen BRAK und DAV,<br />

sondern ebenso solche innerhalb dieser Organisationen.<br />

Kein Gremium bietet ein ähnlich bewährtes gemeinsames<br />

Gesprächsforum wie die Satzungsversammlung und ihre<br />

Fachausschüsse. Der Satzungsversammlung ist die Kraft zuzutrauen,<br />

zu wiederholen, was ihr bei Verabschiedung von<br />

BORA und FAO schon einmal gelungen ist, ein von einer<br />

großen Mehrheit getragenes einheitliches Votum der Anwaltschaft<br />

herbeizuführen, von der die Glaubwürdigkeit des<br />

Fachanwalts anhängen wird, und der sich dann der Gesetzgeber<br />

kaum verschließen kann. Schon deswegen ist entgegen<br />

Kleine-Cosack 69 die Satzungsversammlung nicht „am<br />

Ende“, sondern an einem neuen Anfang ihrer Arbeit.<br />

Vorrangig wird die vierte Satzungsversammlung sich<br />

dazu die Frage beantworten müssen, ob ein Paradigmen-<br />

wechsel bei der Regelung des Zugangs und des Erhalts von<br />

Fachanwaltschaften überhaupt erforderlich ist. Die behaupteten<br />

Missstände im Bereich mancher Lehrgangsanbieter<br />

können nicht einfach unterstellt, sie müssen belegt und<br />

quantifiziert werden. Hier müssen die Fachausschüsse der<br />

Kammern Vorarbeit leisten. Von Art und Umfang etwaiger<br />

Fehlentwicklungen hängt ab, ob und inwieweit sich verschärfte<br />

Zugangsvoraussetzungen rechtfertigen lassen.<br />

Auch wenn das vom Ausschuss 1 angenommene negative<br />

Bild zutrifft, stellt sich die Frage der möglichen Reaktionen.<br />

Das vom Ausschuss 1 der dritten Satzungsversammlung vorgestellte<br />

und der vierten Satzungsversammlung zur Beratung<br />

hinterlassene Konzept 70 setzt beim Nachweis der theoretischen<br />

Kenntnisse an. Es sieht für den Fall der<br />

Begründung einer eigenen Prüfungskompetenz der Fachausschüsse<br />

vor, dass die von den Bewerbern vorzulegenden<br />

schriftlichen Leistungsnachweise durch drei vor den Kammern<br />

geschriebene Klausuren erbracht werden müssen,<br />

deren Themen bundeseinheitlich von einer sog. Aufgabenkommission<br />

vorgegeben 71 und von einem Erst- und Zweitkorrektor<br />

des Ausschusses korrigiert und beurteilt werden. 72<br />

Eine nicht bestandene Klausur kann durch ein erfolgreiches<br />

Fachgespräch ausgeglichen werden. Das Gleiche gilt für bis<br />

zu zehn Prozent der nachzuweisenden Fälle. 73 Der Besuch eines<br />

Fachanwaltslehrganges soll nicht mehr obligatorisch<br />

sein. Der DAV nimmt bei seinem Fachanwaltsmodell 74 in erster<br />

Linie die praktischen Erfahrungen des Bewerbers in den<br />

Blickpunkt. Er schlägt vor, die Mindestzulassungszeit des Bewerbers<br />

von drei auf in der Regel vier Jahre zu erhöhen 75<br />

und geht zum Nachweis der praktischen Erfahrungen von<br />

den Falllisten ab. Er verlangt in der Regel eine Fachanwaltsausbildung<br />

von einem Jahr 76 bei einem Fachanwalt 77 .Für<br />

die Nachweise besonderer theoretischer Kenntnisse belässt<br />

es der DAV-Vorschlag im Wesentlichen beim geltenden System,<br />

sieht aber ein obligatorisches Fachgespräch mit Aktenvortrag<br />

vor. Erst nach dem Ergebnis dieses Fachgespräches<br />

entscheidet der Prüfungsausschuss aufgrund eigener individueller<br />

Beurteilung, ob die besonderen theoretischen und<br />

praktischen Kenntnisse nachgewiesen sind. 78<br />

Der Vorschlag des Ausschusses 1 der dritten. Satzungsversammlung<br />

ist auf deren 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 diskutiert<br />

worden. Dabei ergab sich ein sehr uneinheitliches,<br />

vielfach skeptisches Meinungsbild. Der Ausschuss 6 der<br />

dritten Satzungsversammlung steht dem Vorschlag des Ausschusses<br />

1 überwiegend ablehnend gegenüber. In der Literatur<br />

hat der Vorschlag des Ausschusses 1 Kritik erfahren. 79<br />

67 Protokoll S. 13.<br />

68 § 43 c BRAO-E DAV, AnwBl 2007, 679, 690 f.<br />

69 AnwBl 2007, 409.<br />

70 SV-Materialien 08/2007.<br />

71 §16aFAO-E.<br />

72 §23bFAO-E.<br />

73 §7Abs.1FAO-E.<br />

74 AnwBl 2006, 746 und AnwBl 2007, 690 f.<br />

75 § 3 FAO-E DAV; § 43 c Abs. 1 BRAO-E DAV AnwBl 2007, 684.<br />

76 §4FAO-EDAV.<br />

77 Diese Ausbildungszeit soll auch in der Anwaltsausbildungsstation der Referendarzeit<br />

liegen können.<br />

78 §24FAO-EDAV.<br />

79 Kleine-Cosack, AnwBl 2007, 409; Römermann aaO S. 411; Kilger aaO S. 412; neutral<br />

Koch in Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, Rdnr 150.<br />

734 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse


MN Aufsätze<br />

Beiden Vorschlägen ist gemein, dass eine eigene<br />

Prüfungskompetenz des Fachausschusses für erforderlich<br />

gehalten wird. In der Tat ist es mit den Worten von Frau<br />

Offermann-Burkhard 80 „geradezu paradox, dass in einem<br />

System der Selbstverwaltung das einzige kleine Bisschen an<br />

Überprüfung (der Bewerber) außerhalb der Anwaltschaft<br />

stattfindet“, nämlich bei völlig unkontrolliert tätigen erwerbswirtschaftlich<br />

organisierten Lehrgangsanbietern. Das spricht<br />

für die von der dritten Satzungsversammlung angeregte gesetzlich<br />

zu begründende eigene Prüfungskompetenz der<br />

Fachausschüsse. In diesem Zusammenhang wird die vierte<br />

Satzungsversammlung aber auch Befürchtungen nachgehen<br />

müssen, wie sie z. B. Römermann 81 mit einer solchen<br />

Prüfungskompetenz verbindet. Die Bestellung neuer Fachanwälte<br />

durch bisherige Fachanwälte öffne „Protektionismus“<br />

und „Willkür“ Tür und Tor. Solche Vorwürfe werden<br />

seit Jahren vereinzelt erhoben. Sie decken sich allerdings<br />

nicht mit meinen eigenen Erfahrungen und denen der Fachanwälte<br />

meiner Sozietät. Über Vorsorgeregelungen kann<br />

man nachdenken. Das vom Ausschuss 1 vorgeschlagene System<br />

von Klausuren, erstellt von einem Gremium außerhalb<br />

des Fachausschusses und anonymisiert, kann ein geeigneter<br />

Schritt sein.<br />

Ob man, wie der Ausschuss 1, in erster Linie beim Nachweis<br />

theoretischer Kenntnisse ansetzt oder, wie der DAV,<br />

mehr beim Nachweis praktischer Erfahrungen, wird letztlich<br />

sekundär sein. Keinesfalls sind, wie Kilger meint 82 , die theoretischen<br />

Kenntnisse beim Ersterwerb der Fachgebietsbezeichnung<br />

der „unwichtigste“ Punkt. Positive praktische<br />

Erfahrungen kann der Bewerber in dem angestrebten Spezialgebiet<br />

nur auf der Grundlage fundierter besonderer Kenntnisse<br />

auf diesem Gebiet sammeln. Andererseits ist unbestreitbar,<br />

dass besondere praktische Erfahrungen mindestens<br />

die gleiche Bedeutung haben, weil die Kompetenz des Fachanwalts<br />

eine kompetente, an den Mandanteninteressen orientierte<br />

Anwendung des theoretischen Wissens voraussetzt.<br />

Niemand als wir Anwälte weiß besser, dass erst die Bewährung<br />

der Wissensanwendung in der Praxis den guten Anwalt<br />

ausmacht.<br />

Unbestritten ist auch, dass das System der Falllisten von<br />

Anfang an ein Notbehelf war und vielen begründeten Zweifeln<br />

ausgesetzt ist. Der DAV-Vorschlag, dieses System durch<br />

eine Fachanwaltsausbildung beim Fachanwalt abzulösen, erscheint<br />

deswegen auf den ersten Blick einleuchtend. Ihm begegnen<br />

gleichwohl erhebliche Bedenken. Zum einen wage<br />

ich keine Prognose, ob sich genügend Fachanwälte finden<br />

lassen, die bereit sind, potentielle künftige Konkurrenten bei<br />

sich auszubilden. Wenn nein, muss das Modell scheitern,<br />

weil nicht hingenommen werden dürfte, dass dann nur noch<br />

die Bewerber Chancen haben, deren weitere Tätigkeit in der<br />

Ausbildungskanzlei vorgesehen ist und die deswegen dort einen<br />

ausbildungsbereiten Fachanwalt finden. Das liefe auf<br />

einen closed shop des Kreises der Fachanwalts-Kanzleien<br />

hinaus. Die Möglichkeit der so Ausgegrenzten, für sich wahrheitsgemäß<br />

als „Experten“ oder „Spezialisten“ zu werben,<br />

gleicht das nicht aus, solange der Markt geprüfter Kompetenz<br />

den Vorzug einräumt.<br />

Als Alternative zum Erfahrungsnachweis über Falllisten<br />

ist die Fachanwaltsausbildung nicht erforderlich. Mitarbeiter<br />

von Fachanwälten haben ohnehin in aller Regel aufgrund ihrer<br />

Tätigkeit in der Fachanwalts-Kanzlei keine Mühe, die notwendigen<br />

Fallzahlen nachzuweisen. Gegen den DAV-Vorschlag<br />

spricht auch, dass er, außer von Referendaren, nur<br />

von Berufsanfängern aufgegriffen werden kann. Wer bereits<br />

in eigener Praxis arbeitet, kann dort kaum für eine Ausbildungszeit<br />

beim Fachanwalt für ein Jahr aussteigen, ohne<br />

seine schon erarbeitete wirtschaftliche Basis zu zerstören<br />

oder zu gefährden. Ein neues Fachanwaltskonzept darf aber<br />

diesen Personenkreis beim Erwerb von Fachgebietsbezeichnungen<br />

nicht ausgrenzen oder behindern. Der Weg praktischer<br />

Nachweise über Fälle muss also, würde eine Fachanwaltsausbildung<br />

vorgesehen, daneben weiter möglich sein.<br />

Positiv am Vorschlag des Ausschusses 1 ist zu bewerten,<br />

dass in begrenztem Umfange Fall-Defizite durch ein erfolgreiches<br />

Fachgespräch auf dem betreffenden Gebiet ausgeglichen<br />

werden können. Dies würde im Rahmen der vom DAV<br />

vorgeschlagenen Fachanwaltsprüfung ebenso vorgesehen<br />

werden können. Damit wird auch den Bewerbern der Weg<br />

zur Fachanwaltschaft eröffnet, die in bestimmten Teilgebieten<br />

die erforderlichen Fallzahlen nicht zusammen bringen<br />

können, weil Mandate mit solchen Gegenständen typischerweise<br />

nur ausgewiesenen Fachanwälten anvertraut werden.<br />

Das Fachgespräch muss solche Lücken füllen können.<br />

Der Vorschlag des Nachweises theoretischer Kenntnisse<br />

über das Schreiben zentral von einer Aufgabenkommission<br />

der BRAK vorgegebener Klausuren, der schon mit „Zentralabitur“<br />

oder „Drittem Staatsexamen“ betitelt worden ist, ist<br />

zwar in sich schlüssig. Er wirft aber nicht nur hinsichtlich<br />

seiner praktischen Durchführbarkeit Zweifel und viele Fragen<br />

auf. So schon die Frage, ob eine solche Regelung nicht<br />

weit über das Erforderliche hinausgeht. Auch bei juristischen<br />

Staatsexamen wird bisher keine Notwendigkeit bundeseinheitlicher<br />

Klausuren gesehen. Die dezentrale Erarbeitung<br />

von Klausuraufgaben pro Bundesland oder Kammerbezirk,<br />

die eine freiwillige Abstimmung über Kammergrenzen hinweg<br />

nicht ausschlösse, hätte keinen schlechteren Effekt.<br />

Aber selbst dies zu fordern, muss überlegt sein. Ich frage<br />

mich, warum es nicht auch ausreichen soll, dass ein mit eigener<br />

Überprüfungskompetenz ausgestatteter Fachausschuss<br />

Zweifel, die ihm bei Durchsicht der Leistungsnachweise<br />

und Falllisten gekommen sind, durch ergänzende<br />

Überprüfung im Fachgespräch ausräumt. Das spricht für die<br />

vom DAV bevorzugte Fachgesprächslösung. Andererseits ist<br />

zum DAV-Vorschlag zu fragen, warum ein obligatorisches<br />

Fachgespräch notwendig sein soll und nicht ausreicht, dass<br />

der Fachausschuss bei Zweifeln in eine ergänzende Überprüfung<br />

der vorgelegten schriftlichen Nachweise im Fachgespräch<br />

eintritt. Zu beiden Vorschlägen stellt sich die Frage,<br />

ob sie nicht ein von der Satzungsversammlung zu beschließendes<br />

strukturiertes Ausbildungsprogramm voraussetzen,<br />

aus dem allein die Klausurthemen und Gegenstände der<br />

Fachgespräche entnommen werden dürfen. Auch dies<br />

bedürfte möglicherweise der ergänzenden Satzungskompetenz.<br />

Ein solches Ausbildungsprogramm könnte, wie z.B.<br />

vom DAV gewünscht, auch die Anforderungen heraufsetzen.<br />

80 Protokoll der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 11.06.2007, S. 11.<br />

81 AnwBl 2007, 411.<br />

82 AnwBl 2007, 413.<br />

Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 735


MN Aufsätze<br />

9. Fortbildung des Fachanwalts<br />

Zutreffend hat Kilger 83 betont, dass die Voraussetzungen des<br />

Zugangs zur Fachanwaltschaft keinesfalls wichtiger seien als<br />

der Erhalt der erworbenen Fachkenntnisse. Rechtsprechung,<br />

rechtswissenschaftlicher Meinungsstand und die Rechtsordnung<br />

selbst sind in einer sich ständig beschleunigenden Bewegung.<br />

Wer sich nicht fortbildet, kann schon schnell den<br />

an sein Fachgebiet gestellten Anforderungen nicht mehr<br />

genügen. Hier bestehen nach derzeitiger Rechtslage Defizite.<br />

Das Absitzen von fachgebietsbezogenen Fortbildungsveranstaltungen<br />

mit jährlich zehn Fortbildungsstunden allein<br />

hält den erforderlichen Standard nicht aufrecht.<br />

Der DAV schlägt 84 die Erhöhung der jährlichen Fortbildungsstunden<br />

von zehn auf 15 vor. Das ist erwägenswert,<br />

wäre aber nicht ausreichend, wenn der Fachanwalt auch<br />

diese erhöhte Stundenzahl nur „absitzt“, im Fachgebiet aber<br />

nicht mehr oder nur noch minimal tätig ist. Es könnte überlegt<br />

werden, neben dem Nachweis der bisherigen Zahl von<br />

Fortbildungsstunden den jährlichen, zwei- oder dreijährlichen<br />

Nachweis von Fallzahlen zu verlangen, die in begrenztem<br />

Umfange durch eine auf 15 oder 20 Fortbildungsstunden<br />

jährlich erhöhte Fortbildungszeit ausgeglichen werden<br />

können. Überlegt werden sollte auch, ob für Art und Inhalt<br />

der Fortbildungsveranstaltungen – natürlich fachgebietsbezogen<br />

– Fortbildungsmodule vorgeschrieben werden sollten,<br />

ein System, wie dies der Ausschuss 6 der dritten Satzungsversammlung<br />

für den Bereich der allgemeinen anwaltlichen<br />

Fortbildung konzipiert hat 85 und dies in freiwilligen Fortbildungsangeboten<br />

von BRAK, DAV und einzelnen Kammern<br />

bereits umgesetzt wird.<br />

10. Fortbildungspflicht eines jeden Anwalts<br />

Die dritte Satzungsversammlung hat auf ihrer 6. Sitzung<br />

vom 3. April 2006 zur Frage der allgemeinen Fortbildungspflicht<br />

des Anwalts den Ausschuss 6 mit großer Mehrheit gebeten<br />

86 : „Die Satzungsversammlung bittet den Ausschuss 6,<br />

Modelle einer sanktionierten und einer nicht sanktionierten<br />

Fortbildungspflicht zu entwickeln und der Satzungsversammlung<br />

zur Abstimmung vorzulegen.“ Auch diese Arbeit<br />

hat die dritte Satzungsversammlung der vierten Satzungsversammlung<br />

hinterlassen. Bislang hat die Satzungsversammlung<br />

keine Kompetenz, die anwaltliche Fortbildungspflicht<br />

(§ 43a Abs. 6 BRAO) näher zu regeln. Eine Gesetzesänderung<br />

ist dafür Voraussetzung. Auch hierzu ist vom Gesetzgeber<br />

keine Initiative zu erwarten, so lange die Anwaltschaft<br />

sich nicht über die anzustrebende Lösung einig wird. Der<br />

DAV-Entwurf bleibt dazu noch einen Regelungsvorschlag<br />

schuldig. 87 Die Bedeutung des Themas ist nicht zu unterschätzen.<br />

Hellwig 88 weist mit Recht darauf hin, dass das Anwaltsmonopol<br />

unabhängig vom Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

sehr schnell schon von Europa her kippen kann, wenn die<br />

Anwaltschaft die Aufrechterhaltung ihrer zur Rechtfertigung<br />

des Monopols angeführten besonderen Kompetenz nicht in<br />

den Griff bekomme.<br />

83 Protokoll der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 11.6.2007, S. 211.<br />

84 §26FAO-EDAV.<br />

85 SV-Mat. 03/2006.<br />

86 Protokoll der 6. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 3.4.2006, S. 13.<br />

87 Vgl. Vorschläge des DAV zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung: AnwBl<br />

2007, 679, 690 f.<br />

88 Protokoll der 5. Sitzung der 3. Satzungsversammlung, S. 28.<br />

89 Koch-Kilian-Koch, Anwaltliches Berufsrecht, Rdnr 151.<br />

IV. Qualitätssicherung als Aufgabe<br />

Zusammenfassend zeigt der Rückblick auf drei Wahlperioden<br />

Satzungsversammlung: Die Satzungsversammlung hat<br />

durch an der Berufsfreiheit orientierte berufsrechtliche Regelungen<br />

die integere und geradlinige Wahrnehmung anwaltlicher<br />

Aufgaben unterstützt, die besondere Stellung und Bedeutung<br />

des Anwalts in unserer Gesellschaft deutlich<br />

gemacht, durch entsprechende Pflichtenkataloge die Sicherung<br />

von Kompetenz und Professionalität anwaltlicher Tätigkeit<br />

gefördert und dem Anwalt in seiner Außendarstellung<br />

Freiräume eröffnet, die er braucht, um sich im allgemeinen<br />

Beratungsmarkt und im Rechtsberatungsmarkt im Besonderen<br />

zu behaupten.<br />

Diese Arbeit ist nicht abgeschlossen. Gerade zum Thema<br />

Qualitätssicherung ist weitere Arbeit erforderlich. Ein neues<br />

Fachanwaltskonzept und ein Fortbildungskonzept sind erforderlich,<br />

um die Glaubwürdigkeit qualitativ hochwertiger anwaltlicher<br />

Leistungsangebote zu bewahren. Hier gibt es für<br />

die vierte Satzungsversammlung viel zu tun, wenn sie den<br />

Wunsch Ludwig Kochs einlösen will 89 , „dass sich die Anwaltschaft<br />

hier insgesamt einigt und BRAO-Ermächtigungsnormen<br />

sowie FAO-Bestimmungen bis zum 50-jährigen Jubiläum<br />

der BRAO im Kalenderjahr 2009 im Gesetzblatt<br />

stehen.“ Dazu wünsche ich der vierten Satzungsversammlung<br />

Geduld, Ausdauer, Mut und Erfolg.<br />

Felix Busse, Troisdorf<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er war Mitglied der ersten drei<br />

Satzungsversammlungen (von 1995 bis 2007) und Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s von 1994 bis 1998.<br />

736 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse


MN Aufsätze<br />

Gesellschaftsrecht<br />

der freien Berufe<br />

auf dem Prüfstand<br />

„Doc-Morris“ für die rechts- und<br />

steuerberatenden Berufe?<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

Das anwaltliche Gesellschaftsrecht kennt als ungeschriebenen<br />

Rechtssatz das Dogma der aktiven Mitarbeit. Fremdbeteiligungen<br />

durch Berufsfremde sind ausgeschlossen. Interprofessionelle<br />

Sozietäten sind nur in Ausnahmefällen<br />

möglich. Das Gesellschaftsrecht der freien Berufe steht nun<br />

mit seinen Fremdbesitzverboten auf dem Prüfstand. Der Autor<br />

vertritt die Auffassung, das die strikten Verbote bei Anwälten<br />

in dieser Form weder europa- noch verfassungsrechtlich<br />

gerechtfertigt werden können. Das hätte die „Doc<br />

Morris“-Rechtsprechung beim Fremdbesitzverbot für Apotheken<br />

gezeigt.<br />

Die Ikone der Freiberuflichkeit ist einem massiven Entmythologisierungsprozess<br />

ausgesetzt. Vermehrt stehen die in<br />

früherer Zeit unangefochtenen berufsrechtlichen Normen,<br />

welche Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern<br />

einen Sonderstatus einräumten (mit besonderen<br />

Rechten, aber auch und vor allem Pflichten) auf dem<br />

Prüfstand der Politik und der Gerichte. Nach dem Wegfall<br />

zahlreicher Berufspflichten (wie zum Beispiel dem Werbeverbot<br />

oder dem strikten Verbot des Erfolgshonorars) rücken<br />

nunmehr sogar gesellschaftsrechtliche Restriktionen in das<br />

Blickfeld. Bisher vollständig tabuisierte Verbote interprofessioneller<br />

Sozietäten wie auch einer Fremdbeteiligung an Anwalts-<br />

oder Steuerberatergesellschaften werden erstmals in<br />

Frage gestellt. Der EuGH wird demnächst über die Europarechtskonformität<br />

entsprechender Regelungen bei Apotheken<br />

entscheiden. 1 Es stellt sich dann die Frage, warum die<br />

Grundsätze der zu erwartenden „Doc Morris“-Entscheidung<br />

nicht auch für Rechtsanwälte und Steuerberater gelten sollen,<br />

zumal bei den Ärzten vergleichbare Verbote schon seit<br />

langem „ausgedient“ haben.<br />

I. Abwehrgefechte<br />

Das Verbot des Fremdbesitzes an freiberuflichen Gesellschaften<br />

ist bisher von den deutschen Gerichten nicht als problematisch<br />

angesehen worden. 2 Der BGH hat noch bis in die<br />

jüngste Zeit sogar das nur für Rechtsanwälte noch bestehende<br />

Verbot der Sternsozietät als verfassungskonform erachtet.<br />

Das Verbot der Aufnahme Berufsfremder in den<br />

Kreis der Sozien entgegen § 59 a Abs. 1 BRAO wird ebenfalls<br />

von der Anwaltsgerichtsbarkeit nicht in Frage gestellt.<br />

Als das Bundesministerium der Justiz (BMJ) im Rahmen<br />

der Reform des Rechtsberatungsrechts den Vorschlag<br />

machte, interprofessionelle Sozietäten über den bisherigen<br />

Umfang bei Rechtsanwälten zuzulassen, sah es sich von einer<br />

massiven Protestwelle überrollt. Noch größer war das<br />

Entsetzen, als eine australische Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

ankündigte, an die Börse zu gehen. Als dann auch noch von<br />

der britischen Insel Bestrebungen zur Zulassung von Fremd-<br />

kapital bekannt wurden, sah sich in einem Akt der Verzweiflung<br />

der damalige Präsident der BRAK in einer Don<br />

Quichote zur Ehre reichenden Verteidigungsakt sogar veranlasst,<br />

einen Drohbrief an das englische Parlament über<br />

den Kanal zu senden. Er kündigte an, englischen Gesellschaften<br />

mit bemakelter Fremdbeteiligung den Zutritt auf<br />

den deutschen Rechtsboden zu verwehren; 3 deutsche und<br />

englische Anwälte, die Teil einer in Deutschland auftretenden<br />

alternativ finanzierten Sozietät seien, verstießen gegen<br />

hiesiges Standesrecht und dürften daher ihre Tätigkeit hierzulande<br />

nicht mehr ausüben.<br />

Auch die Rechtswissenschaft sah sich veranlasst, massiv<br />

gegen eine Lockerung des freiberuflichen Gesellschaftsrechts<br />

zu Felde zu ziehen. Verfassungs- und europarechtliche Probleme<br />

der Beschränkungen im deutschen Recht wurden<br />

nicht ausgemacht. Jestaedt 4 erklärt kurzerhand die deutschen<br />

Sanktionen für europarechtsfest und spricht allen Ernstes davon<br />

, dass „im Zweifel für die Standesregeln“ zu plädieren<br />

sei. Römermann sieht die Niederlassungsfreiheit nicht einmal<br />

berührt, da ausländische Kanzleien sich schließlich in<br />

Deutschland niederlassen könnten, ohne allerdings – was<br />

wenig hilfreich ist – hier zugelassene Anwälte zu beschäftigen.<br />

Henssler 5 hält im derzeitigen Stadium des Erkenntnisprozesses<br />

allenfalls im Anwaltsrecht das für politisch einführbar,<br />

was bereits bei anderen freien Berufen gilt.<br />

II. Verfassungs- und europarechtliche Problematik<br />

Sämtliche Stellungnahmen leiden darunter, dass sie letztlich<br />

allein an der Tradition ausgerichtet sind. Die eigentlich entscheidende<br />

Frage nach der Verfassungs- und Europarechtskonformität<br />

wurde aber nicht gestellt. Die gesellschaftsrechtlichen<br />

Verbote enthalten aber massive Eingriffe in europaund<br />

verfassungsrechtlich geschützte Grundfreiheiten und<br />

Grundrechte. Aus dem Gemeinschaftsrecht berühren sie vor<br />

allem die in Art. 43, 48 EGV garantierte Niederlassungsfreiheit,<br />

welche auch für juristische Personen gilt. 6 Verfassungsrechtlich<br />

ist durch Sozietätsbeschränkungen vorrangig die<br />

Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG berührt. 7 Zur<br />

Berufsausübung gehört schließlich auch das Recht, sich beruflich<br />

zusammenzuschließen. 8 Auf das Freiheitsrecht<br />

können sich über Art. 19 Abs. 3 GG auch Gesellschaften und<br />

juristische Personen berufen.<br />

1 VorlagebeschlüssedesOVGSaarlouisvom20.und21.03.2007–3K361/06und<br />

3 K 364/06. Es geht in der Vorlage zum EuGH um Vereinbarkeit des Fremdbesitzverbotes<br />

für Apotheken (§ 7 ApothekenG) mit der Niederlassungsfreiheit gem.<br />

Art. 43, 46 EGV für Kapitalgesellschaften. Siehe auch die im vorläufigen RechtsschutzergangenenBeschlüssedesOVGSaarlouisvom22.01.2007–3W14/06<br />

und 3 W 15/06, LKRZ 2007, 155 (156), zum Betrieb einer „Doc Morris“-Filialapotheke<br />

durch eine niederländische Kapitalgesellschaft.<br />

2 Vgl. ausführlich Kleine-Cosack, Der Betrieb 2007, 1851 ff.<br />

3 Vgl. Juve Rechtsmarkt 2007, Heft 7, S. 32.<br />

4 Vgl. Juve ebd. S. 31<br />

5 AnwBl. 2007, 553, 558<br />

6 EuGHE 2005, 1377; dazu Kruis, EuZW 2007 S. 175; Diekmann, WRP 2007 S. 407.<br />

7 Betrifft eine gesetzliche Regelung die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher<br />

Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden<br />

hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine<br />

Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. 10.<br />

1984–1BvR35,356,794/82,BVerfGE68S.193[223f.]; vom 6. 10. 1987 – 1<br />

BvR 1086, 1468, 1623/82, BVerfGE 77 S. 84 [118] = DB 1988 S. 605; vom 22. 1.<br />

1997–2BvR1915/91,BVerfGE95S.173[188]).<br />

8 BVerfG, Beschluss vom 4.07.1989 – 1 BvR 1460/85, 1239/87, BVerfGE 80 S. 269<br />

(278); BVerfG NJW 2003, 2520, 2522.<br />

Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 737


MN Aufsätze<br />

Eingriffe in die europa- wie verfassungsrechtlich verbürgten<br />

Rechte durch die hier in Rede stehenden gesellschaftsrechtlichen<br />

Restriktionen sind nur dann rechtmäßig, wenn<br />

sie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. So<br />

sind Behinderungen der Niederlassungsfreiheit der Art. 43,<br />

48 EGV nach dem kumulativ anzuwendenden Schrankenquartett<br />

nur zulässig, wenn sie nicht diskriminierend, aus<br />

zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt,<br />

zur Zielverwirklichung geeignet sind und nicht darüber hinausgehen,<br />

was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich<br />

ist. 9 Vergleichbare Schranken gelten für die grundgesetzlich<br />

in Art 12 Abs. 1 GG verbürgte Berufsfreiheit. So hat das<br />

BVerfG 10 erst jüngst im Erfolgshonorarverbotsfall ausgeführt:<br />

„Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist nur dann erforderlich, wenn<br />

ein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger einschränkendes<br />

Mittel nicht zur Verfügung steht Auch soweit die<br />

Freiheit der Berufsausübung betroffen ist, dürfen Eingriffe nicht<br />

weiter gehen, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern“<br />

Die bloße Möglichkeit und noch weniger der schlichte<br />

Anschein von Gefahren können nach der ständigen Rechtsprechung<br />

das BVerfG 11 nicht generelle Verbote – z. B. im<br />

Bereich der Berufsfreiheit der Freiberufler – rechtfertigen.<br />

Vielmehr sind Gefahren dort zu bekämpfen, wo sie tatsächlich<br />

bestehen. 12 Die gesellschaftsrechtlichen Verbote aber betreffen<br />

die verantwortungsvolle und erhöht gemeinwohlrelevante<br />

Berufsausübung unmittelbar überhaupt nicht.<br />

Dementsprechend sind sie auch nicht Essentiale des freien<br />

Berufs, wie sie § 1 PartGG auflistet. Es geht bei ihnen<br />

schließlich nicht direkt um die ärztliche Tätigkeit oder die<br />

Funktion als Rechtsanwalt oder Apotheker. Vielmehr ist die<br />

Berufsausübung nur mittelbar betroffen, was – wie das<br />

BVerfG 13 z. B. im Hinblick auf Werbeverbote zu recht herausgestellt<br />

hat – eher gegen ihre Gemeinwohlerforderlichkeit<br />

spricht.<br />

Unterschieden wird deshalb bei den Freiberuflergesellschaften<br />

zwischen einem internen und einem externen Bereich.<br />

14 Ersterer umfasst das Eigentum bzw. den Besitz an<br />

dem Geschäft oder der Praxis, Letzterer dagegen die Beziehungen<br />

zu Kunden, Klienten oder Patienten und damit die<br />

eigentlich allein relevante freiberufliche Berufsausübung.<br />

Diese Bereichsdifferenzierung ist unverzichtbar, um bei der<br />

Prüfung der Verhältnismäßigkeit weniger schwerwiegende<br />

Folgen für die Freiheitsrechte zu erreichen. 15 Die Trennung<br />

der Bereiche ermöglicht die klare Unterscheidung, in welchem<br />

Bereich die Gefahren für die Klienten, Kunden oder<br />

Patienten vorhanden sind und wo die zu prüfenden staatlichen<br />

Maßnahmen ansetzen.<br />

Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts – nichts anderes<br />

gilt für das Verfassungsrecht – liegen die eigentlichen Gefahren<br />

bei Freiberuflerbetätigungen im Umgang mit dem Klienten,<br />

Kunden oder Patienten. Diesen Bereich hat der EuGH<br />

im Auge, soweit er z. B. im Optikerfall 16 darlegt, dass das Ziel<br />

des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dadurch zu erreichen<br />

ist, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer<br />

oder als Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein<br />

müssen. Gemeinwohlrelevant ist auch hier vorrangig nur die<br />

freiberufsspezifische Berufsausübung, wie z. B. die Erbringung<br />

einer Rechtsdienstleistung.<br />

Wenn somit die fehlende Gemeinwohlrelevanz gesellschaftsrechtlicher<br />

Restriktionen bei Freiberuflern durch ihre<br />

bloße Innenbereichsrelevanz bereits indiziert wird, so erweisen<br />

sich auch zahlreiche weitere bisher standardmäßig zu ih-<br />

rer Verteidigung vorgebrachte Argumente als unhaltbar.<br />

Dies hat der EuGH ebenfalls in der Optikerentscheidung 17<br />

betont und die darin angestellten Erwägungen wurden vom<br />

OVG Saarlouis 18 zu recht auf den Bereich des Apothekenwesens<br />

übertragen. Im Grundsatz beanspruchen sie aber in<br />

gleichem Maße Gültigkeit bei den rechts- und steuerberatenden<br />

Berufen, da allein die Unterschiedlichkeit der freiberuflichen<br />

Betätigungen der Übertragung der kritischen Erwägungen<br />

auf diese Berufe nicht entgegensteht. Dies zeigt eine<br />

Überprüfung der stereotyp gegen eine Liberalisierung ins<br />

Feld geführten Aspekte der Verantwortlichkeit, der Kommerzialisierung<br />

sowie der Konzernierung; sie erweisen sich bei<br />

näherer Überprüfung sämtlich als irrelevant. 19<br />

III. Freiberufliches Gesellschaftsrecht<br />

auf dem Prüfstand<br />

Somit gehört das gesamte freiberufsspezifische Gesellschaftsrecht<br />

auf den Prüfstand. Sämtliche Restriktionen sind<br />

auf ihre Gemeinwohlerforderlichkeit zu untersuchen.<br />

1. Umfassende Prüfung<br />

Dies gilt z. B. für die Spezialregelungen zur Rechtsanwalts-<br />

GmbH in den §§ 59 c ff. BRAO; verfassungsrechtliche Bedenken<br />

gegen Einzelbestimmungen wie § 59 k oder auch die extrem<br />

hohe Haftpflichtversicherung liegen auf der Hand.<br />

Keinesfalls vermag auch die bereits eingangs erwähnte Verteidigung<br />

des nur noch für Rechtsanwälte geltenden Verbots<br />

der Sternsozietät durch den BGH 20 – es sei „zur Zeit nicht<br />

verfassungswidrig“ – zu überzeugen. Es wird mit der Verabschiedung<br />

des RDG in Kürze fallen. Schon beim bis zuletzt<br />

nicht in Frage gestellten – vom Gesetzgeber nunmehr<br />

endlich aufgehobenen – Zweigstellenverbot konnte der BGH<br />

nur Kopfschütteln auslösen, wenn er daran festhielt trotz gegenteiliger<br />

liberaler Regelungen bei Steuerberatern oder<br />

Wirtschaftsprüfern.<br />

2. Fremdbesitz- und Beteiligungsverbote<br />

Vor allem aber erweisen sich am Maßstab der verfassungsund<br />

europarechtlichen Kriterien Fremdbesitz- und Beteiligungsverbote<br />

bei freiberuflichen Gesellschaften als<br />

9 EuGH vom 21.04.2005 – RS C-140/03, Optikerentscheidung, Kommission/Griecheland,<br />

EuGHE 2005, 3177 (Rdnr. 34), zur Niederlassungsfreiheit für Optikergeschäfte,.<br />

Grundlegend bereits EuGH im Urteil Gebhard vom 30.11.1995 – Rs.<br />

C-55/94, DB 1996 S. 35, Rdn. 37.<br />

10 BVerfG,Beschlussvom12.12.2006–1BvR2576/04,NJW2007S.979; dazu<br />

Kleine-Cosack, NJW2007S.1405ff.<br />

11 Vgl. nur BVerfGE 76, 196, 206.<br />

12 So vor allem der EuGH: vgl. EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9), Rdn. 34.<br />

13 BVerfG,Beschlussvom22.05.1996–1BvR744/88,DB1996S.1920=NJW<br />

1996 S. 3067.<br />

14 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12.2004 – C-140/03, Rdn. 34.<br />

15 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12.2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />

36.<br />

16 EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9).<br />

17 EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9).<br />

18 OVG Saarlouis LKRZ 2007, 155.<br />

19 Vgl. dazu ausf. Kleine-Cosack, Der Betrieb 2007, 1851 ff. m.w.N.<br />

20 NJW 2006 S. 1132 ff.<br />

738 AnwBl 11 / 2007 Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack


MN Aufsätze<br />

fragwürdig. Sie finden sich z. B. bei den Apotheken oder den<br />

rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen. Das Fehlen ihrer<br />

Gemeinwohlrelevanz wird grundsätzlich dadurch indiziert,<br />

dass sie nur den internen Bereich betreffen, nämlich die Eigentumsform;<br />

sie berühren unmittelbar jedoch nicht die gemeinwohlrelevante<br />

freie Berufsausübung des Apothekers<br />

oder Rechtsanwalts. Da sie auch nicht mit den Argumenten<br />

der Verantwortlichkeit, der Kommerzialisierung und der<br />

Konzernierung gerechtfertigt werden können, sind sie unmittelbar<br />

nicht gemeinwohlrelevant und daher im Prinzip<br />

mit der Niederlassungs- bzw. Berufsausübungsfreiheit nicht<br />

zu vereinbaren.<br />

Diese Unhaltbarkeit von Fremdbesitzverboten haben der<br />

EuGH 21 im Optikerurteil und das OVG Saarlouis 22 in der Übertragung<br />

von dessen Grundsätzen auf den Apothekenbereich<br />

verdeutlicht. Danach reicht als milderes Mittel, dass<br />

die in Rede stehende Dienstleistung sei es des Optikers oder<br />

des Apothekers durch die allein dazu berechtigten Berufsangehörigen<br />

erbracht wird. Nach dem EuGH muss aus der<br />

Sicht des Gemeinschaftsrechts die öffentliche Gesundheit<br />

der Patienten nicht vorbeugend vor der Eigentumsform der<br />

Kapitalgesellschaft geschützt werden. Das Fremdbesitzverbot<br />

vermische den internen Bereich der Inhaberschaft mit dem<br />

externen Bereich der angebotenen Dienstleistungen zum<br />

Nachteil der im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit. 23<br />

Trenne man dagegen die beiden Bereiche der Patientenbeziehung<br />

und der Eigentumsform, so hätte dies bei der Prüfung<br />

des Übermaßverbotes weniger schwerwiegende Folgen für<br />

die gemeinschaftsrechtliche Freiheit 24 . Es werde klar erkennbar,<br />

dass das staatliche Verbot der Niederlassungsfreiheit<br />

nicht dort ansetzt, wo die Gefahr ist. Gemessen daran gibt es<br />

z. B. – so zu Recht das OVG Saarlouis 25 – keinen zwingenden<br />

Grund dafür, dass eine Kapitalgesellschaft schon vorbeugend<br />

als solche als Gefahr bekämpft werden muss und z. B. keine<br />

Apotheke erwerben darf. Es sollte Klarheit dahingehend bestehen,<br />

dass es bei der zu erwartenden Bestätigung der Ansicht<br />

des OVG durch den EuGH zu einem Dammbruch im<br />

deutschen Apothekenrecht kommen wird. Dessen allein<br />

durch – europarechts- und verfassungswidrigen – Konkurrenzschutz<br />

bestimmte gesellschaftsrechtliche Verbote werden<br />

keinen Bestand haben. Die gesamte Branche stellt sich<br />

bereits auf diese Veränderungen ein. Ein Apothekensterben<br />

in Deutschland wird die Folge diese Veränderungen sein.<br />

Ein solcher Tod steht zwar den steuer- und rechtsberatenden<br />

Berufen nicht bevor. Aus vergleichbaren Erwägungen bestehen<br />

aber auch hier erhebliche europa- und verfassungsrechtliche<br />

Bedenken gegen die Beteiligungsverbote bei den<br />

rechts- und steuerberatenden Berufen wie z. B. des § 50 a<br />

StBerG 26 , des § 28 Abs. 4 Satz 1 WPO oder des § 59 c Abs. 2<br />

BRAO. Es ist in jedem Fall genau zu prüfen, ob sie im Interesse<br />

des Gemeinwohls erforderlich und daher mit der Niederlassungsfreiheit<br />

der Art. 43, 48 EGV sowie der verfassungsrechtlich<br />

verbürgten Berufsfreiheit des Art 12 GG bzw.<br />

der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG – sie ist bei einem<br />

Widerruf der Zulassung ebenfalls tangiert – vereinbar<br />

sind.<br />

Indiz für die Gemeinwohlwidrigkeit dieser Beteiligungsverbote<br />

ist einmal der Umstand, dass auch die EU sie nicht<br />

für notwendig hält. Verwiesen sei nur auf die für Wirtschaftsprüfer<br />

bedeutsame Richtlinie vom 17. Mai 2006 über<br />

Abschlussprüfungen. 27 Danach ist nur entscheidend, dass die<br />

Abschlussprüfungen von Abschlussprüfern vorgenommen<br />

werden, die Mehrheit der Stimmrechte bei entsprechend<br />

qualifizierten Personen liegt und das Verwaltungs- und Leitungsorgan<br />

sich mit einer Mehrheit von bis zu 75% aus<br />

Prüfungsgesellschaften zusammensetzt.<br />

Auch ein Blick in die Vergangenheit der freien Berufe in<br />

Deutschland zeigt, dass man Fremdbeteiligungsverbote<br />

früher nicht für erforderlich gehalten hat. Der Ausschluss<br />

der (Kapital-)Beteiligung Berufsfremder an Steuerberatungsoder<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wurde erst 1985<br />

bzw. 1989 28 , bei Rechtsanwälten noch später im Jahre 1999<br />

mit der erstmaligen Regelung der GmbH eingeführt, ohne<br />

dass ein sie rechtfertigender konkreter Anlass bestand. Die<br />

fehlende Erforderlichkeit von Beteiligungsverboten speziell<br />

für freiberufliche Gesellschaften ergibt sich auch daraus,<br />

dass der Gesetzgeber z. B. bei Steuerberatern bei ihrer Einführung<br />

für bestehende Gesellschaften mit Fremdbeteiligungen<br />

Bestandsschutz gewährt hat ohne zeitliche Limitierung. 29<br />

Verwiesen sei auf § 154 StBerG. Ein konkreter Fall zur Reichweite<br />

des Bestandsschutzes ist beim FG Hannover anhängig.<br />

30 Wären wirklich dringende Gemeinwohlgründe erkennbar,<br />

dann hätte sichergestellt werden müssen, dass nach<br />

einer Übergangsfrist alle Steuerberatungsgesellschaften<br />

keine Fremdbeteiligungen aufweisen. Eine solche Regelung<br />

findet sich jedoch nicht im Gesetz. Die Folge ist, dass es<br />

heutzutage nach wie vor eine große Zahl von Steuerberatungsgesellschaften<br />

mit Fremdbeteiligung gibt, ohne dass<br />

Beanstandungen vorgebracht werden können. Derartige Gesellschaften<br />

können auch auf ihren Geschäftspapieren und<br />

ihren Praxisschildern auf ihren Fremdgesellschafter wie einen<br />

Verein hinweisen; der entgegenstehende § 19 Abs. 6<br />

Satz 2 BOStB ist nach dem OVG Lüneburg 31 unwirksam;<br />

eine Gesellschaft brauche die Fremdbeteiligung nicht, wie es<br />

die Steuerberaterkammer annehme, „verstecken“. Die Angabe<br />

erhöht vielmehr die Transparenz.<br />

21 EuGH aaO (Fn. 9).<br />

22 OVG Saarlouis, aaO (Fn. 1).<br />

23 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12. 2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />

55.<br />

24 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12. 2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />

55.<br />

25 OVG Saarlouis LKRZ 2007, 155.<br />

26 Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) vom 19. 12. 1985 (BGBl. 1985 S. 2355), zum 1.<br />

1. 1986 in Kraft getreten. § 28 Abs. 4 Satz 1 WPO gilt seit diesem Zeitpunkt; § 50a<br />

StBerG wurde etwas später eingeführt durch Gesetz vom 9. 6. 1989 (BGBl. 1989<br />

S. 1062) mit Wirkung ab 16. 6. 1989, siehe dazu auch Haibt, Die Kapitalbeteiligung<br />

Berufsfremder an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, 1998, S. 61, 64 ff.<br />

27 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5.<br />

2006 über Abschlussprüfungen u. a.<br />

28 Die Ende 1985 bzw. 1989 eingeführten Restriktionen der § 50a Abs. 1 StBerG,<br />

§ 28 Abs. 4 Satz 1 WPO gehen auf Vorgaben in Art. 2 Abs. 1 der 8. EG-Gesellschaftsrechtsrichtlinie<br />

von 1984 zurück. Da für Deutschland kein Richtlinienumsetzungszwang<br />

bestand und auch keine Bindungswirkung (vgl. Art. 249 Abs. 3 EGV<br />

n. F.) eingetreten ist, kann das Erfordernis der Stimmen- und Anteilsmehrheit bei<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wieder zurückgenommen werden; bei Steuerberatungsgesellschaften<br />

gilt dies ohnehin. Vgl. Pluskat, DStR 2004 S. 58 ff.<br />

29 Dazu Mittelsteiner, DStR 1991 S. 328; Stöcker, DStR 2000 S. 656.<br />

30 FG Hannover, Az. 6 K 296/07.<br />

31 OVGLüneburg,Urteilvom8.12.2005–9LB50/03,NJW2006S.3799.<br />

Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 739


MN Aufsätze<br />

3. Verbot interprofessioneller Sozietät mit Berufsfremden<br />

Verfassungs- und europarechtlich nicht haltbar sind auch die<br />

bisher bestehenden rigiden Verbote der Bildung interprofessioneller<br />

Sozietäten bei den rechts- und steuerberatenden Berufe.<br />

Am rigidesten ist das Anwaltsrecht mit § 59 a BRAO.<br />

Anders als das StBerG sieht die BRAO nicht einmal Regelungen<br />

für Todes- und Erbschaftsfälle vor. Auch die ausnahmsweise<br />

Zulassung besonders qualifizierter Personen ist anders<br />

als im StBerG nicht erlaubt. Dementsprechend hat z. B. die<br />

Rechtsanwaltskammer Celle es für unzulässig erklärt, dass<br />

schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht tätige Rechtsanwälte<br />

einen Dipl. Ökonomen in ihre Sozietät aufnehmen und diesen<br />

Umstand durch entsprechende Aufführung auf dem<br />

Briefkopf öffentlich machen. Der Fall ist beim BVerfG 32 anhängig,<br />

nachdem der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof<br />

(AGH) durch Beschluß vom 27. April 2006 den Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen hat. 33<br />

Im Gegensatz zu schlichten Beteiligungsverboten betreffen<br />

die hier in Rede stehenden Regelungen zwar durchaus<br />

den gemeinwohlrelevanten Aussenbereich der freiberuflichen<br />

und eigenverantwortlichen Berufsausübung. Gegen<br />

ihre Erforderlichkeit zu deren Sicherung spricht jedoch einmal<br />

der Umstand, dass die Zulässigkeit einer Zusammenarbeit<br />

bzw. Einzelfallkooperation von niemandem bisher in<br />

Frage gestellt wurde. Sie wird auch z. B. von Rechtsanwälten<br />

mit Ärzten, Architekten oder Unternehmensberatern praktiziert.<br />

Die Zusammenarbeit kann zudem auch auf der Basis<br />

von Festanstellungen erfolgen. Es gibt keinerlei Restriktionen,<br />

soweit es um den freiberuflichen sozietätsinternen Innenbereich<br />

34 geht.<br />

Die „gemeinschaftliche“ Berufsausübung kann auch zudem<br />

nach aussen kundbar gemacht werden. Schließlich ist<br />

es im Rahmen der verfassungsrechtlich und gesetzlich verbürgten<br />

Werbefreiheit jeder Kanzlei unbenommen, ihre Mitarbeiter<br />

z. B. auf dem Briefkopf oder in Praxisbroschüren anzugeben<br />

oder gar abzulichten. Es ist dann aber nicht<br />

verständlich, warum nicht auch eine (Schein-)Sozietät mit einem<br />

solchen Berufsfremden begründet werden kann. Allein<br />

der Umstand des Wechsels vom Anstellungsstatus zum Sozius<br />

rechtfertigt nicht ein Verbot, da es nicht zur Sicherung<br />

des Gemeinwohls zwingend erforderlich wäre. 35 Das StBerG<br />

sieht schon jetzt vor, dass ausnahmsweise auch fachlich<br />

nicht einschlägig qualifizierte Personen in der Geschäftsführung<br />

tätig sein können (§ 50 Abs. 3 StBerG), sodass sich die<br />

Frage der Vereinbarkeit von Verboten für vergleichbare freie<br />

Berufe stellt. Auch der spezielle Aspekt der nach dem Gesetz<br />

im Prinzip nur den Freiberuflern zustehenden Verschwiegenheitspflicht<br />

legitimiert bei näherem Zusehen kein Verbot.<br />

Schließlich erstreckt sich diese Pflicht nach § 203 StGB<br />

oder § 43 a Abs. 2 BRAO auf alle Mitarbeiter des Freiberuflers,<br />

der zudem berufsrechtlich verpflichtet ist, sie unabhängig<br />

von ihrer Stellung zur Verschwiegenheit zu verpflichten.<br />

Eine Liberalisierung des Rechts zur Bildung interprofessioneller<br />

Sozietäten für Freiberufler ist somit geboten. Entsprechend<br />

drängt auch die Europäische Kommission darauf,<br />

dass auch Nichtfreiberufler sich an freiberuflichen Gesellschaften<br />

wie Rechtsanwaltsgesellschaften, Steuerberatungsgesellschaften<br />

und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beteiligen<br />

sollen. 36 Rechtspolitisch weitsichtig beabsichtigte daher<br />

der Bundesgesetzgeber 37<br />

im neuen Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

(RDG) Rechtsanwälten die Möglichkeit einer Zusammenarbeit<br />

auch in der Form einer Sozietät mit sonstigen Be-<br />

rufsfremden zu geben. 38 Nach dem Gesetzentwurf vorerst in<br />

einem neuen § 59 a Abs. 4 BRAO-E die Möglichkeit der Sozietätsbildung<br />

mit Angehörigen „vereinbarer Berufe“ – wie<br />

z.B. Ärzten, Architekten oder Mediatoren – geschaffen werden.<br />

Der Gesetzgeber geht zutreffend davon aus, dass die totale<br />

Beschränkung des Abs. 1 BRAO auf Berufsfremde nicht<br />

am Maßstab des Art. 12 1 GG – erforderlich ist. Nachdem<br />

sich dieser Reformvorschlag nicht durchgesetzt hat, droht –<br />

was die Kritiker vor allem in den Kammern wieder einmal<br />

übersehen – erneut eine verfassungsgerichtliche „Verurteilung“<br />

zur Reform aus Anlass des beim BVerfG anhängigen<br />

Verfahrens.<br />

Fraglich kann allein sein, ob und in welchem Umfang<br />

noch Restriktionen im Hinblick auf die Geschäftsführung<br />

aufrechtzuerhalten bzw. einzuführen sind. Der Entwurf des<br />

BMJ sah keinerlei Beschränkungen vor. Immerhin kennt<br />

auch das Arztrecht – was nachdenklich stimmen muss – bei<br />

Kliniken keine besonderen Erfordernisse. Letztlich muss<br />

aber in jedem Fall die unabhängige Erbringung der freiberuflichen<br />

Dienstleistung gesichert werden. Eine Öffnung zur erweiterten<br />

interprofessionellen Sozietät von Freiberuflern wie<br />

Rechtsanwälten erscheint aber nur insoweit rechtspolitisch<br />

sinnvoll, als es um Berufe geht, bei denen ein Sachzusammenhang<br />

mit der anwaltsspezifischen rechtsbesorgenden Tätigkeit<br />

i. S. des §§ 1 – 3 BRAO bzw. des § 2 RDG besteht.<br />

Auch erscheint es geboten, dass der Anteil Berufsfremder zumindest<br />

in der Geschäftsführung beschränkt wird, wie dies<br />

z. B. für Wirtschaftsprüfgesellschaften europarechtlich vorgegeben<br />

ist. Nur dann ist es auch rechtspolitisch vertretbar,<br />

dieser Gesellschaft die Berufspflichten z. B. der Rechtsanwälte<br />

aufzuerlegen wie ihnen auch deren Rechte – erwähnt<br />

seien nur das Zeugnisverweigerungsrecht sowie das<br />

Beschlagnahmeprivileg – zuzubilligen.<br />

32 BVerfG, Az. 1 BvR 1367/06.<br />

33 Niedersächsischer AGH, Beschluss vom 27.4.2006 – AGH 18/05, in diesem Heft<br />

ab Seite 791.<br />

34 Dies gilt auch für Organe der Gesellschaften. Fraglich ist, ob z. B. Steuerberatungsgesellschaften<br />

im Fremdbesitz nach § 145 StBerG einen Aufsichtsrat haben<br />

dürfen.Vgl.OVGLüneburg,Urteilvom10.3.2003–5A4251/00,indemaberder<br />

Aufsichtsrat Entscheidungskompetenzen hatte.<br />

35 Gegen eine Erforderlichkeit der beschränkenden Regelung spricht weiter der Umstand,<br />

dass § 59a BRAO Rechtsanwälten nicht verbietet, zweitbe„ufliche Gesellschaften<br />

zu gründen und z. B. als Insolvenzverwaltungsge„ellschaft neben der<br />

Rechtsanwaltskanzlei aufzutreten, das Berufsrecht gilt – so der BGH und das<br />

BVerwG für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – nicht. Vgl. auch AGH Hamburg,<br />

AnwBl. 1999 S. 226.<br />

36 Das BMJ weist auch auf in die gleiche Richtung gehende Überlegungen in England<br />

hin: der Regierungsbericht des Department for Con„titutional Affairs vom Oktober<br />

2005 schlägt vor, die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und Nichtanwälten in<br />

sog. Alternative Business Structures (ABS) zuzulassen und die hierfür erforderlichen<br />

Schutzvorkehrungen (Safe Guards) zu treffen.<br />

37 Vgl. BT-Drucks. 16/3655 vom 30. 11. 2006.<br />

38 Vgl. dazu ausführlich Kleine-Cosack, DB 2006, S. 2797.<br />

740 AnwBl 11 / 2007 Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack


MN Aufsätze<br />

4. Rechtsanwälte als Subunternehmer bzw. Erfüllungsgehilfen<br />

Aus vergleichbaren Erwägungen kann es auch am Maßstab<br />

des Rechtsdienstleistungsrechts – nichts anderes gilt im übrigen<br />

für andere freiberufliche Bereiche wie z. B. das Steuerberatungsrecht<br />

– nicht als europa- und verfassungsrechtskonform<br />

angesehen werden, wenn Rechtsanwälten untersagt<br />

sein soll, als Subunternehmer oder Erfüllungsgehilfen für<br />

Dritte tätig zu werden. Das bisher nach der Rechtsprechung<br />

zum RBerG bestehende Verbot, nach dem nur der Vertretene<br />

selbst und nicht ein von ihm beauftragter Vertreter einen<br />

Rechtsanwalt beauftragen kann, 39 war und ist unhaltbar.<br />

Zu Recht hatte daher der Gesetzgeber des RDG 40 in § 5<br />

Abs. 3 des Entwurfs vorgesehen, dass Rechtsdienstleistungen<br />

in Zusammenarbeit mit oder unter Hinzuziehung einer Person<br />

erbracht werden dürfen, „der die selbständige entgeltliche<br />

Erbringung dieser Rechtsdienstleistungen erlaubt ist, wenn diese<br />

Person den rechtsdienstleistenden Teil der Tätigkeit eigenverantwortlich<br />

erbringt.“ Die Bestimmung ist zwar zwischenzeitlich<br />

als Konzession an die Anwaltschaft wieder aus dem Änderungsentwurf<br />

gestrichen worden. Diese Streichung ist jedoch<br />

bloße Augenwischerei, da sich die Zulässigkeit der Beauftragung<br />

von Rechtsanwälten durch Vertreter bereits aus der teleologischen<br />

wie auch der verfassungskonformen Auslegung<br />

des noch geltenden RBerG entsprechend dem Erbensucherbeschluss<br />

des BVerfG 41 ergibt. Daran kommt auch der Gesetzgeber<br />

nicht vorbei.<br />

Es ist schließlich kein sachlicher Grund erkennbar, warum<br />

ein Vertreter, der nach allgemeinem Recht alle Verträge<br />

im eigenen Namen abschließen kann, speziell bei Rechtsdienstleistungen<br />

Restriktionen unterliegen soll. Niemand hat<br />

bisher dem Bürger das Recht abgesprochen, sich durch<br />

Dritte vollständig vertreten zu lassen und anonym im Hintergrund<br />

zu bleiben. Entsprechend ist auch die allgemeine Praxis<br />

des Rechts- und Wirtschaftslebens, was die Verteidiger<br />

der Vertretertheorie in ihrer anwaltsperspektivischen beschränkten<br />

Sicht verkennen. Das (Berufs-)Recht kann niemanden<br />

zwingen, stets selbst mit einem Rechtsanwalt zu<br />

kontrahieren bzw. aus gewollter Anonymität herauszutreten,<br />

ganz abgesehen davon, dass bei verdeckter Vertretung potentielle<br />

Verstöße ohnehin überhaupt nicht entdeckt werden<br />

(können). 42 Anwaltsverträge Verträge zugunsten Dritter waren<br />

schon immer anerkannt. 43<br />

39 Vgl. krit. Kleine-Cosack, RBerG,2004,Art.1§3Rdn.11ff.,m.w.N.<br />

40 Vgl. BT-Drucks. 16/3655 vom 30. 11. 2006.<br />

41 BVerfG NJW 2002, 3531. Danach muß betreibt ein Erbensucher keine unerlaubte<br />

Rechtsberatung, wenn er auf eigene Kosten und Rechnung zu Gunsten des Erben<br />

einen Rechtsanwalt bestellt, der für ihn tätig wird.<br />

42 Entgegen immer wieder aufgestellten Behauptungen stellen sich hier auch keine<br />

nennenswerten Probleme im Hinblick auf Einhaltung der Berufspflichten wie vor<br />

allem der Verschwiegenheitspflicht. Der eingeschaltete Rechtsanwalt ist zu ihrer<br />

Einhaltung im Umfang des § 203 StGB bzw. des § 43 a II BRAO verpflichtet und<br />

zwar vorrangig seiner Vertragspartei. Der im Hintergrund bleibende Auftraggeber<br />

ist damit weitgehend ebenfalls geschützt vor einer Preisgabe von dem Rechtsanwalt<br />

anvertrauten Geheimnissen. Schaltet er anstelle der unmittelbaren Kontrahierung<br />

mit einem Rechtsanwalt einen Dritten ein, dann verzichtet er zudem mit<br />

dessen Information partiell auf die Verschwiegenheit, wie dies z. B. auch bei der<br />

Einschaltung einer Rechtsschutzversicherung der Fall ist.<br />

43 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, 306; OLG Köln NJW 1978, 896.<br />

44 Dies war nicht der Fall in der Entscheidung des OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. 11.<br />

2006–4U174/05.<br />

45 Vgl. dazu krit. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003„ § 7 Rdn. 59 ff.<br />

Nach Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsrechts<br />

kann es letztlich nur darauf ankommen, dass zur Vornahme<br />

der Rechtsdienstleistung ein (selbstständiger und unabhängiger)<br />

Rechtsanwalt eingeschaltet wird, der selbstverständlich<br />

alle Berufspflichten zu erfüllen hat. Wer der Auftraggeber<br />

ist, das ist am Maßstab der Zielsetzungen des Rechtsdienstleistungsrechts<br />

genauso irrelevant wie die Frage von Fremdbesitz-<br />

und Beteiligungen. Hier gilt im Rechtsberatungsbereich<br />

nichts anderes als bei den Heilberufen, deren Recht<br />

auch nur fordert, dass der Arzt z. B. die Operation vornimmt.<br />

Unerheblich ist hingegen, wer ihm den Auftrag erteilt oder<br />

bezahlt, sei es der Patient selbst oder Dritte. Entscheidend ist<br />

am Maßstab des Rechtsberatungsrechts allein, dass der als<br />

Subunternehmer tätige Rechtsanwalt selbständig und unabhängig<br />

seine Dienstleistung erbringt. 44 Schon derzeit können<br />

daher Unternehmen, Verbände, Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

Rechtsdienstleistungen anbieten<br />

und abrechnen, wenn sie zu ihrer Erbringung Rechtsanwälte<br />

einschalten. Sie sind nicht zwingend auf das<br />

vermehrt praktizierte „Umgehungsmodell“ angewiesen, indem<br />

sie ihre Syndikusanwälte eine Rechtsanwalts-GmbH<br />

gründen lassen.<br />

IV. Zusammenfassung<br />

Es sollte außer Frage stehen, dass die Überprüfung freiberufsspezifischer<br />

Beschränkungen im Gesellschaftsrecht<br />

am Maßstab des Europa- und Verfassungsrechts unvermeidlich<br />

geworden ist. Freiberuflichkeit allein ist kein Argument<br />

mehr, um einen Dispens vom Gebot der Verhältnismäßigkeit<br />

zu rechtfertigen. Nur bei nachweislicher Gemeinwohlerforderlichkeit<br />

können Beschränkungen noch gerechtfertigt<br />

werden. Soweit dies nicht möglich ist, erscheint eine Liberalisierung<br />

des Gesellschaftsrechts bei allen freien Berufen erforderlich.<br />

Ebenso bedarf die bisherige Bewertung der Rolle<br />

der Syndikusanwälte einer Überprüfung, 45 soweit vor allem<br />

die Möglichkeiten der interprofessionellen Sozietät unter<br />

Aufgabe von Fremdbeteiligungsverboten erweitert werden.<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht.<br />

Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 741


MN Aufsätze<br />

Zulassung einer<br />

„Anwalts-Ltd.“ als<br />

Rechtsanwaltsgesellschaft? *<br />

Dr. Oliver L. Knöfel, Hamburg<br />

Die „englische Limited“ erreicht das Sozietätsrecht. Deutsche<br />

Anwälte lassen nur für die „Rückniederlassung“ nach<br />

Deutschland hinein in England eine Ltd. inkorporieren, die<br />

dann als vermeintlich bequemer, vor allem aber als ebenso<br />

kapital- wie haftungsarmer Anbieter von Rechtsberatung am<br />

Inlandsmarkt auftritt. Der AnwGH Berlin hat sich nun – soweit<br />

ersichtlich als erstes Obergericht – dafür ausgesprochen,<br />

eine „Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft (§§ 59c –<br />

59m BRAO) zuzulassen, sie also einer deutschen Anwalts-<br />

GmbH gleichzuachten. Der Autor setzt sich kritisch mit der<br />

Entscheidung auseinander und weist auf Verwerfungen zwischen<br />

dem Gesellschaftsrecht und dem anwaltlichen Berufsrecht<br />

hin.<br />

I. Internationales Gesellschaftsrecht und<br />

Berufsrecht<br />

Im fünften Jahr nach „Überseering“ 1 kann nicht mehr zweifelhaft<br />

sein, dass sich das Gründungsstatut einer Anwaltsgesellschaft<br />

über europäische Binnengrenzen hinweg „mitnehmen“<br />

lässt. 2 Ebenso klar liegt aber, dass das<br />

Gesellschaftsrecht getrennt vom Berufsrecht zu sehen<br />

bleibt. 3 Ersteres knüpft sich allseitig an den frei gewählten<br />

„Geburtsort“ der Gesellschaft an, letzteres wird aus deutscher<br />

Sicht einseitig angeknüpft und bringt sich als Ordnungsrecht<br />

zur Geltung, wenn und soweit der Inlandsmarkt nachhaltig<br />

berührt ist. 4 Das deutsche Recht der reglementierten Berufe<br />

hat rasch bewiesen, dass es „gründungsfest“ ist. 5 Das Berufsrechtsverhältnis<br />

hängt von persönlichen Merkmalen des Berufstätigen<br />

ab, der hinter dem Rechtsgebilde steht. Daran ändert<br />

sich gar nichts, wenn das Rechtsgebilde nach einem<br />

anderen Recht als nach deutschem Recht gegründet wurde. 6<br />

II. Register- und Zulassungsverfahren<br />

Vermeintliche Vorzüge der „englischen Ltd.“ haben das Modell<br />

der Gründung in England mit „Rückniederlassung“<br />

nach Deutschland hinein für gewerbliche Unternehmer<br />

längst als Massenprodukt notorisch werden lassen. 7 Im Normalfall<br />

wichtigste – und gegenüber unzähligen unprofessionellen<br />

„Biliggründungen“ durchaus wirksame – Hürde ist<br />

das deutsche Handelsregister. Die Pflicht, nicht nur „echte“,<br />

tatsächlich einer ausländischen Unternehmensleitung subordinierte<br />

Zweigniederlassungen, sondern gerade auch die<br />

einzige Niederlassung einer „scheinbar ausländischen“, faktisch<br />

aber nur im Inland tätigen Ltd. nach §§ 13d ff. HGB<br />

eintragen zu lassen, ist inzwischen allgemein anerkannt. 8<br />

Eine „Anwalts-Ltd.“ scheint sich zwei verzahnten Verfahren<br />

gegenüberzusehen: ohne Handelsregistereintragung keine<br />

Zulassung, 9 ohne Zulassung keine Registereintragung (§ 8<br />

Abs. 1 Nr. 6 GmbHG, § 13e Abs. 2 S. 2, Var. 2 HGB). Um ein<br />

bürokratisches Dilemma zu vermeiden, hat die Berufsrechts-<br />

praxis das Instrument einer Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />

der Kammer als „Vorleistung“ entwickelt. Damit jenes<br />

Doppelverfahren – und nicht nur das von jeder Ltd. zu beachtende<br />

Handelsregisterverfahren – ausgelöst ist, müsste<br />

eine „Anwalts-Ltd.“ freilich in den sachlichen Anwendungsbereich<br />

der §§ 59c-59m BRAO fallen. Davon ist nicht auszugehen.<br />

10<br />

III. Keine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

Wenngleich nirgends geregelt ist, dass sich eine deutsche<br />

Anwalts-GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft zulassen<br />

muss, 11 so nimmt man doch allgemein an, dass eine Rechtspflicht<br />

zum Durchlaufen des Zulassungsverfahrens besteht. 12<br />

Korrelat der Pflicht ist ein Zulassungsrecht, sofern alle gesetzlichen<br />

Voraussetzungen (§ 59d BRAO) erfüllt sind. 13 Einfachgesetzlich<br />

fällt ein solches Recht – wie auch der AnwGH<br />

Berlin annimmt – keinesfalls ausländischen Kapitalgesellschaften<br />

zu. § 59c Abs. 1 BRAO wendet sich an „Gesellschaften<br />

mit beschränkter Haftung“; dies können nur inländische,<br />

also solche sein, die das GmbHG als „nach Maßgabe der Bestimmungen<br />

dieses Gesetzes () errichtet“ (§ 1 GmbHG) ansieht,<br />

bzw. die künftig einen Satzungssitz „im Inland“ haben<br />

(§ 4a GmbHG i.d.F. des RegE-MoMiG 14 ). Sollten auch ausländische<br />

Substitute gemeint sein, so bedürfte es einer Regelung<br />

wie in § 13g HGB, der sich an „Gesellschaften mit beschränkter<br />

Haftung mit Sitz im Ausland“ wendet.<br />

Das vom AnwGH Berlin gar nicht geprüfte deutsche Verfassungsrecht<br />

gebietet die Zulassung nicht. Art. 12 GG setzt<br />

nicht beim einzelnen Anwalt als Gründer oder Gesellschafter<br />

an, sondern bei der Gesellschaft selbst. 15 Berührt eine<br />

Körperschaft aber nicht nur die deutsche Rechtsordnung, so<br />

ist zu klären, ob sich der Verband so nachhaltig der inländischen<br />

Rechtsordnung aussetzt, dass zum Ausgleich dafür<br />

eine Zuweisung von Grundrechten geboten erscheint. 16 Eine<br />

* Zugleich Anm. zu AnwGH Berlin, Beschl. v. 5.4.2007 – I AGH 17/06 (n.r.), Leitsatz<br />

in diesem Heft, S. 794 und Volltext im Internet unter www.anwaltsblatt.de<br />

(= BRAK-Mitt 2007, 171).<br />

1 BGH 13.3.2003, BGHZ 154, 185, 188 f.<br />

2 Knöfel, RIW 2006, 87 ff.<br />

3 Siehe nur Behrens, in:Behrens (Hrsg.), Die GmbH im internationalen und europäischen<br />

Recht, 2. Aufl. 1997, IPR Rn. 26 sowie Knöfel, Grundfragen der internationalen<br />

Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005, S. 318 ff.<br />

4 Knöfel, AnwBl 2007, 264 f.<br />

5 Siehe OLG Celle v. 10.12.2002, GmbHR 2003, 530 = EWiR Art. 43 EG 3/03, 703<br />

m. Anm. Mankowski.<br />

6 Bereits RG 16.12.1913, RGZ 83, 367, 370; in neuerer Zeit zur Steuerberatung LG<br />

Frankfurt 8.11.2002, DStRE 2003, 1013 f.; siehe auch BGH 26.1.2006, NJW-RR<br />

2006, 1071, 1072.<br />

7 Eingehend Knöfel, BB2006,1233ff.<br />

8 Zuletzt BGH 7.5.2007, NJW 2007, 2328 f.; siehe auch BGH 14.3.2005, BB 2005,<br />

1016; KG 18.11.2003, BB 2003, 2644; OLG Zweibrücken 26.3.2003, BB 2003,<br />

864; MünchKommBGB/Kindler, XI, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rn. 195; Mankowski/Knöfel,<br />

in:Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 13<br />

Rn. 11. Anders Wernicke, BB 2006, 843 ff.<br />

9 Anders Henssler, in:Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, E<br />

Rn. 49; ders., in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59g Rn. 3: Keine Reihenfolge<br />

vorgeschrieben.<br />

10 Tendenziell anders Henssler, FS Busse, 2005, S. 127, 143 f.; Kilian, JR 2006, 206,<br />

208; Henssler/ Mansel, NJW 2007, 1393, 1398.<br />

11 § 59c Abs. 1 BRAO spricht nur davon, dass GmbHs mit Rechtsbesorgung als Unternehmensgegenstand<br />

zugelassen werden „können“.<br />

12 Henssler, in: Henssler/Prütting (Fn. 9), § 59c BRAO Rn. 8; Römermann, in:Hartung,<br />

Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. 2006, § 59d BRAO Rn. 1.<br />

13 Römermann, in: Hartung (Fn. 12), § 59d BRAO Rn. 5.<br />

14 BT-Drs. 16/6140, Stand 23.5.2007.<br />

15 BayObLG 24.11.1994, BayObLGZ 1994, 353, 356; BayObLG 27.3.2000, Bay-<br />

ObLGZ 2000, 83, 85<br />

16 Grundlegend Wiedemann, Gesellschaftsrecht, I: Grundlagen (1980), S. 839 ff. (§ 15<br />

I 4 a, b).<br />

742 AnwBl 11 / 2007 „Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft?, Knöfel


MN Aufsätze<br />

juristische Person ist danach nicht bereits „inländisch“ i. S. v.<br />

Art. 19 Abs. 3 GG, wenn sie den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen<br />

Tätigkeit im Inland hat, 17 sondern erst, wenn sie tatsächlich<br />

nach deutschem Recht gegründet wurde. 18<br />

Auch die europäische Niederlassungsfreiheit vermittelt<br />

kein Recht auf Zulassung. Dass sich „Kapitalgesellschaften<br />

aus dem europäischen Ausland“ auf Art. 11 der Niederlassungsrichtlinie<br />

98/5/EG berufen könnten – so der AnwGH<br />

Berlin –, ist rechtsirrig. Die Norm wendet sich mitnichten an<br />

„Kapitalgesellschaften“, sondern allein an gruppenzugehörige<br />

„Rechtsanwälte“, und zwar durchweg an solche, die aus<br />

einem „Herkunftsstaat“ stammen, in dem sie bereits „unter<br />

ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung“ tätig sind und dies<br />

nun auch in einem „Aufnahmestaat“ tun wollen. Man<br />

müsste also solicitors, die als solche in Deutschland tätig sein<br />

wollen, eine Niederlassung oder Zweigstelle ihrer Sozietät<br />

(„Gruppe“) im Inland gestatten (Art. 11 Nr. 1 NiederlassungsRL)<br />

und ihnen dafür ggf. inländische Berufsausübungsformen<br />

zugänglich machen (Art. 11 Nr. 2 NiederlassungsRL),<br />

einschließlich Mischsozietäten mit inländischen<br />

oder anderen europäischen Rechtsanwälten (Art. 11 Nr. 3<br />

NiederlassungsRL). Im entschiedenen Sachverhalt ging es<br />

aber gar nicht um ausländische, geschweige denn um europäische<br />

Rechtsanwälte (§ 1 EuRAG), sondern einzig und allein<br />

um inlandsansässige deutsche Berufsträger als Inhaber<br />

einer Scheinauslandsgesellschaft.<br />

IV. Keine Diskriminierung<br />

Niemand hindert eine „Anwalts-Ltd.“, sich ohne Zulassung<br />

als Rechtsanwaltsgesellschaft im Inland rechtsbesorgend zu<br />

betätigen, solange dem handelsrechtlichen Pflichtenkreis<br />

durch die Eintragung einer Zweigniederlasung genügt ist<br />

und niemand anders als ein Anwalt tatsächlich tätig wird.<br />

Man könnte zwar erwägen, die ausländische Gesellschaft als<br />

solche dem RBerG zu unterwerfen, wird dies in sachgerechter<br />

Auslegung des Art. 1 § 3 Nr. 2 RBerG aber unterlassen. 19<br />

Nach dieser Norm in der „Berufstätigkeit“ nicht berührt werden<br />

Verbände, die „durch im Rahmen ihrer beruflichen Befugnisse<br />

handelnde Personen“ tätig werden. Ein deutscher<br />

Anwalt als Inhaber einer Ltd. darf also in Deutschland zweifellos<br />

rechtsberaten, weil er Anwalt ist, ohne dass die von<br />

ihm innegehabte Gesellschaft einer Rechtsberatungserlaubnis<br />

bedürfte oder eine solche erlangen könnte.<br />

Man wende nicht ein, dies mache den Zweck der Ltd. diskriminierend<br />

zunichte, weil dann nicht die Gesellschaft Vertragspartner<br />

des Anwaltsvertrages werde, sondern der Anwalt<br />

rechtsgeschäftlich im Vordergrund und haftungsmäßig<br />

„in der Schusslinie“ bleibe. Auch die inländische rechts-<br />

17 So BVerfG 1.3.1967, BVerfGE 21, 207, 209; BVerfG 16.6.2000, NVwZ 2000, 1281,<br />

1282.<br />

18 Staudinger/Groûfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Bearb. 1998, IntGesR<br />

Rn. 1043.<br />

19 Näher Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1398. Das RDG verzichtet auf „eine gesonderte,<br />

redundante Regelung“ (RegE-RDG, BT-Drs. 16/3655, S. 32, re. Sp.),<br />

ohne dass sich die Rechtslage ändern soll.<br />

20 Statt aller Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2005, Kap. VII Rn. 13<br />

(S. 279).<br />

21 BGH 6.7.1971, BGHZ 56, 355, 359; anders zuletzt noch Arndt, NJW 1969, 1200.<br />

22 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1399.<br />

23 Umfassende Charakterisierung bei Henssler/Mansel, FS Norbert Horn, 2006, 403,<br />

404 ff.<br />

24 Siehe Knöfel, AnwBl 2007, 264.<br />

25 BGH 7.5.2007, NJW 2007, 2328, 2329 f.<br />

26 So unlängst der Titel des Beitrags von Kleine-Cosack, DB 2007, 1851.<br />

fähige Anwalts-GbR wird heute zweifellos selbst Partei des<br />

Anwaltsvertrages, 20 ist aber selber weder Rechtsanwalt noch<br />

Rechtsanwaltsgesellschaft, ohne dass sich das RBerG oder<br />

das übrige Berufsrecht daran stieße. 21 Selbstverständlich<br />

kann also die Ltd., die durch einen Anwalt handelt, Vertragspartner<br />

werden, ggf. aufgrund klarstellender Vereinbarung.<br />

V. Ausblick<br />

Wer sich der „Anwalts-Ltd.“ in den Weg stellt, muss sich fragen,<br />

ob die bei internationalen Anwaltssozietäten in<br />

Deutschland so beliebte LLP nicht dieselbe Kritik verdient.<br />

Man kann mit einigem Recht behaupten, dass sie ebenso in<br />

das Partnerschaftsregister gehört wie die Ltd. in das Handelsregister.<br />

22 Unterschiede bestehen dennoch. Zum einen erhält<br />

sich die moderne LLP als Personengesellschaft zumindest einen<br />

Nukleus partnerschaftlicher, darin zutiefst freiberuflicher<br />

Prägung. 23 Zum anderen lässt sich ihre Relation zur<br />

Ltd. rechtstatsächlich leider deutlich, wenngleich unpopulär<br />

als Verhältnis von „oben“ zu „unten“ wahrnehmen. Die Erfahrung<br />

zeigt, dass sich alles, aber auch alles rechtlich relevante<br />

Treiben um die englische Ltd. im „unteren“, d. h. im<br />

kaum konsolidierten, wirtschaftlich und sozial nicht selten<br />

prekären Marktsegment abspielt. 24 Im gewerblichen Bereich<br />

ist der mittellose Kleinunternehmer typischer „Abnehmer“<br />

der Ltd.; im anwaltlichen Bereich dürfte dieselbe Rolle Existenzgründern<br />

am Berufsanfang zufallen. Der pfiffige director<br />

der Berliner „Anwalts-Ltd.“ ist erst im Jahre 2004 zur Rechtsanwaltschaft<br />

zugelassen worden. Denkt man diese Entwicklung<br />

weiter, so kann sie ohne weiteres bei einer von der Arbeitsagentur<br />

geförderten „anwaltlichen Ich-Ltd.“ enden.<br />

Gelangte die Sache an den BGH, so dürfte bedeutsam<br />

werden, dass sich der II. Zivilsenat unlängst – endlich! –<br />

dazu verstanden hat, dem Gedanken „Rechtsmissbrauch der<br />

Niederlassungsfreiheit“ näherzutreten. 25<br />

Berufspolitisch<br />

muss entschieden werden, ob der in die Jahre gekommene,<br />

aber immer noch geäußerte Schlachtruf „Liberalisierung des<br />

Gesellschaftsrechts der Freiberufler“ 26 unter den Vorzeichen<br />

eines ruinösen Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen<br />

nicht besser verstummen sollte. Liberalität ist nicht Beliebigkeit.<br />

Freie Rechtsformenwahl darf Rechtssuchende und<br />

Anwälte nicht derart in die Begleiterscheinungen ausländischer<br />

Gesellschaftsformen verstricken, dass im Zweifel nur<br />

noch Sachverständigengutachten über englisches Recht helfen.<br />

Wer will z. B. im Haftungsprozess von einem zum Gutachter<br />

(§ 293 ZPO) bestellten Professor für Internationales<br />

Privatrecht erklärt bekommen, wie die eigene Sozietät funktioniert?<br />

Dr.OliverL.Knöfel, Hamburg<br />

Der Autor ist Habilitand am Seminar für ausländisches und<br />

internationales Privat- und Prozessrecht der Universität<br />

Hamburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Peter Mankowski).<br />

„Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft?, Knöfel AnwBl 11 / 2007 743


MN Aufsätze<br />

Das UWG – besser als das<br />

anwaltliche Werberecht<br />

Warum das Berufsrecht bei der Werbung<br />

des Anwalts ausgedient hat<br />

Rechtsanwalt Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat den Anwälten die Werbefreiheit<br />

beschert. Die Maßstäbe des UWG gelten auch für<br />

Anwälte. Wozu noch anwaltliches Werberecht? Es ist überflüssig,<br />

wie der Autor anhand konkreter Beispiele des seit<br />

2004 geltenden neuen UWG schildert.<br />

Auslöser für die grundlegende Neuordnung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts, ja: des Freiberuflerrechts im Ganzen waren<br />

zwei Beschlüsse, in denen das BVerfG am 14. Juli 1987 das<br />

bis dahin rigide anwaltliche Werbeverbot für verfassungswidrig<br />

erklärte – und bei dieser Gelegenheit feststellte, dass es<br />

den überkommenen „Standesrichtlinien“ überhaupt an einer<br />

gesetzlichen Grundlage fehlte 1 . In den zwei Jahrzehnten, die<br />

seitdem vergangen sind, liegt ein Schwerpunkt der berufsrechtlichen<br />

Diskussion auf der Frage, inwieweit die Außendarstellung<br />

von Anwälten spezifischen Beschränkungen unterliegen<br />

muss. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass es im<br />

Grunde keiner berufsrechtlichen Vorschriften bedarf, da das<br />

Wettbewerbsrecht ausreichende Grenzen vorsieht.<br />

I. Vom Werbeverbot zum Werberecht<br />

Als das anwaltliche Werbeverbot im Jahre 1987 zur Beurteilung<br />

durch das BVerfG anstand, war es schon Jahrhunderte<br />

alt und gehörte nach damaligem Verständnis der Kammern,<br />

aber durchaus auch von weiten Teilen der Anwaltschaft zu<br />

den Grundfesten des Berufsbildes. Zahlreiche Rechtsvorschriften<br />

hatten in der frühen Neuzeit dazu gedient, die<br />

Fürsten vor Advokaten zu schützen, die womöglich die Untertanen<br />

gegen die Obrigkeit vertreten und ihren Rechten<br />

zur Durchsetzung verhelfen wollten. So bestimmte die<br />

berühmt gewordene Fuldische Advokatenordnung von 1775<br />

ein Verbot, „auf dem Lande herumzuziehen, Prozesse zu<br />

werben, die Bauern aufzutreiben und bei ihnen zu zechen.“ 2<br />

Später hatte sich die Zielrichtung des Werbeverbotes verändert,<br />

der Inhalt blieb aber gleich. Nun sollte es um die<br />

Würde des Standes gehen, die es (scheinbar) zu schützen<br />

galt. So erklärt sich auch, dass es bei Inkrafttreten der<br />

Rechtsanwaltsordnung, des Vorläufers der heutigen BRAO,<br />

im Jahre 1879 kein ausformuliertes Werbeverbot gab. Dieses<br />

wurde vielmehr in die Generalklausel des § 28 RAO, der nahezu<br />

unverändert als § 43 BRAO fortgilt, hineininterpretiert.<br />

Dort heißt es, der Rechtsanwalt habe sich durch sein Verhalten<br />

in Ausübung des Berufs der Achtung würdig zu zeigen,<br />

die der Beruf erfordere. In den untergesetzlichen Normen,<br />

die seit dem „Vademecum“ des Jahres 1929 und den Richtlinien<br />

der damals neuen Reichs-Rechtsanwaltskammer aus<br />

dem Jahre 1936 bis 1987 die Generalklausel konkretisierten,<br />

hieß es zuletzt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 RichtlRA vom 21.6.1973):<br />

„Der Rechtsanwalt handelt standeswidrig, wenn er um Praxis<br />

wirbt.“ Mit den Beschlüssen des BVerfG vom 14. Juli 1987<br />

waren diese Richtlinien praktisch über Nacht weggefallen.<br />

Allgemeine Orientierungslosigkeit setzte ein. Erst 1994<br />

schuf die BRAO-Novelle, also die gesetzgeberische Reaktion<br />

auf die „Bastille“-Beschlüsse des BVerfG, eine Grundlage für<br />

eine neue Berufssatzung. Werbung wurde im Gesetz in einem<br />

Paragraphen, nämlich in § 43 b BRAO, geregelt. Näheres<br />

folgte in der Berufsordnung von 1997 in den §§ 6 bis 10.<br />

Bemerkenswert ist aus dieser „gesetzlosen Periode“ von nahezu<br />

einem Jahrzehnt vor allem eines: „Keine besonderen<br />

Vorkommnisse“.<br />

Obwohl es doch zunächst gänzlich, ab 1994 bis 1997<br />

dann weitgehend an spezifischen Berufsrechtsnormen mangelte,<br />

ist kein einziger „Werbeexzess“, keine einzige von den<br />

Zeitgenossen als besonders fragwürdig empfundene Werbehandlung<br />

bekannt geworden. Es scheint, als habe niemand<br />

Notiz von der neuen Freiheit genommen, diese jedenfalls<br />

aber nicht missbraucht. Der Gedanke liegt nahe, dass der<br />

Markt selbst ein hinreichendes Regulativ darstellte, dass also<br />

derjenige, der sich intuitiv zum Kanzleischild mit Laufschrift<br />

und Neonfarben hätte hinreißen lassen, eingedenk des damit<br />

verbundenen, wenig vertrauensfördernden und damit akquisitionsmässig<br />

kontraproduktiven Effekts dann doch Abstand<br />

von solchen Fantasien genommen hat. Oder war es vielleicht<br />

auch die Drohung des UWG, die damals allzu exzentrischen<br />

Werbeideen einen Riegel vorgeschoben hat?<br />

II. Die gesetzliche Regelung: Sachlichkeitsgebot<br />

und Verbot der Einzelfallwerbung<br />

1. Fortdauer des alten Geistes<br />

In den neu geschaffenen Normen und in der nachfolgenden<br />

berufsrechtlichen Diskussion flackerten überall noch Elemente<br />

des alten Geistes auf. Es beginnt mit der misslungenen<br />

Formulierung von § 43 b BRAO. Dort heißt es: „Werbung<br />

ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die<br />

berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet<br />

und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet<br />

ist.“ Werbung ist also „nur erlaubt, soweit ...“ Das indiziert<br />

nach klassischer Lesart ein grundsätzliches Verbot<br />

mit Ausnahmen. So sah und verstand es die Rechtsprechung,<br />

bis der BGH im Jahre 2001 („Anwaltswerbung II“) 3<br />

zu der freiheitsfreundlichen Interpretation fand, die auf dem<br />

Boden von Art. 12 GG nun einmal von einer grundsätzlichen<br />

Berufsfreiheit ausgehen muss und das Verbot ist die Ausnahme.<br />

2. Sachlichkeitsgebot<br />

Sowohl in § 43 b BRAO als auch in § 6 Abs. 1 BerufsO ist das<br />

Gebot „sachlicher“ Werbung normiert. Was darunter genau<br />

zu verstehen sein soll, hat die Rechtsprechung und Literatur<br />

beschäftigt wie kaum ein anderer berufsrechtlicher Begriff 4 .<br />

Es erscheint müßig, die Irrungen und Wirrungen dieser Debatte<br />

im einzelnen nachzuzeichnen, daher nur so viel: Die<br />

Auswechselung des einen ausfüllungsbedürftigen Begriffs<br />

1 BVerfG, AnwBl 1987, 598 ff. und 603 ff.<br />

2 Zit. n. Prinz, Anwaltswerbung, 1986, S. 85.<br />

3 BGH, NJW 2001, 2087 = EWiR 2001, 669 (Römermann).<br />

4 Ausführlich Römermann, in: Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Aufl. 2006, § 6<br />

BerufsO Rdn. 69 bis 121 m. zahlr. Nachw.<br />

744 AnwBl 11 / 2007 UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann


MN Aufsätze<br />

„sachlich“ durch einen anderen, etwa „nicht reklamehaft“,<br />

hat viele in eine Sackgasse geführt. Gleiches gilt für Kriterien,<br />

die bei näherer Betrachtung ebenfalls nicht eingrenzbar<br />

und im übrigen bei objektiver Betrachtung nicht sinnvoll<br />

sind, etwa: „Hat das Publikum insoweit ein Informationsbedürfnis?“<br />

Auch das häufig in die Diskussion geworfene<br />

Schreckensbild einer „Kommerzialisierung des Berufes“ –<br />

von der bis heute niemand plausibel sagen und abgrenzen<br />

konnte, was das eigentlich sein soll – hat zur Klärung der Begriffsbestimmung<br />

nichts beigetragen. Im Kern geht es nach<br />

zutreffender – und im übrigen in der Rechtsprechung des<br />

BVerfG schon angelegter – Auffassung bei dem werberechtlichen<br />

Sachlichkeitsgebot nur um zwei Elemente: Um die<br />

Vermeidung einer Irreführung des Adressaten 5 und um die<br />

Vermeidung aufdringlicher, aggressiver Werbemethoden 6 .<br />

Wenn man dem folgt, drängt sich die Frage auf, wie das Verhältnis<br />

zwischen diesen und den im wesentlichen gleichgerichteten<br />

Vorschriften aus dem UWG ist, denn auch dort sollen<br />

Irreführung und aggressive Werbemethoden verhindert<br />

werden. Doch bevor wir darauf zurückkommen, ist ein Blick<br />

auf den zweiten Regelungsgehalt des § 43 b BRAO angezeigt:<br />

Das Verbot der Einzelfallmandatswerbung.<br />

3. Einzelfallwerbungsverbot<br />

Nach § 43 b BRAO darf Werbung nicht auf die Erteilung eines<br />

Auftrags im Einzelfall gerichtet sein. Diese Vorschrift<br />

wurde in der Berufsordnung nicht näher konkretisiert, sie ergibt<br />

sich also einzig und unmittelbar aus dem Wortlaut des<br />

Gesetzes. Als sie geschaffen wurde, hatte der Gesetzgeber<br />

ebenfalls eine Konstellation aggressiver und inakzeptabler<br />

Werbung um Mandate im Blick. Die Giftgaskatastrophe im<br />

indischen Bhopal lag erst wenige Jahre zurück. Damals waren<br />

etwa 2000 Menschen getötet und mehr als 200.000 zum<br />

Teil schwer verletzt worden. US-amerikanische Anwälte waren<br />

wie „Heuschrecken“ in Indien eingefallen und hatten<br />

unter anderem gegen Zahlung von Prämien mehr als 24.000<br />

unterschriebene Vollmachten erlangt. Ein solches Verhalten<br />

zu verbieten, leuchtet unmittelbar ein. Wiederum ist das anwaltsrechtliche<br />

Verbot jedoch nicht neu, derartige Verhaltensweisen<br />

sind seit jeher als Überrumpelung bzw. Belästigung<br />

nach dem UWG untersagt. Darauf wird im nächsten<br />

Abschnitt einzugehen sein.<br />

Freilich bietet § 43 b BRAO einen über die Belästigungsfälle<br />

hinausgehenden Anwendungsbereich. Nach § 43 b<br />

BRAO verboten ist es auch, wenn Daimler und Chrysler<br />

ankündigen, sich wieder zu trennen, und daraufhin die 20<br />

größten internationalen Wirtschaftskanzleien bei den dortigen<br />

Rechtsabteilungen vorstellig werden, um in dreistündigen<br />

Power-Point-Präsentationen darzulegen, warum gerade<br />

sie geeignet sind, diesen Mega-Deal zu begleiten. Gleichwohl<br />

geschieht so etwas jeden Tag und die Kammern schreiten dagegen<br />

erkennbar nicht ein. Das beruht – soweit ersichtlich –<br />

nicht auf tiefergehenden berufsrechtlichen Überlegungen,<br />

sondern liegt wohl eher an der von Zufällen und persönlichen<br />

Beziehungsgeflechten geprägten Arbeitsweise vieler<br />

Kammern. In der Sache ist eine teleologische Reduktion des<br />

Einzelfallwerbungsverbots aber auch geboten. Niemand ist<br />

5 Vgl. nur BVerfG NJW 1988, 194; 1990, 2122, 2123; Stbg. 1992, 252; BRAK-Mitt.<br />

1993, 227; 2000, 89.<br />

6 Vgl. nur BVerfG BRAK-Mitt. 1992, 61; 1993, 227.<br />

Gesetzestext<br />

______________________________________________<br />

Anwaltswerbung und UWG<br />

§ 43b BRAO sowie die §§ 6 bis 10 der BORA regeln die<br />

anwaltliche Werbung. Wichtiger sind jedoch die Regelungen<br />

des 2004 in Kraft getretenen neuen UWG. Zentrale<br />

Vorschriften lauten in Auszügen:<br />

§3UWG<br />

Unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind,<br />

den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher<br />

oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur<br />

unerheblich zu beeinträchtigen, sind unzulässig.<br />

§4UWG<br />

Unlauter im Sinne von § 3 handelt insbesondere, wer<br />

1. Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet<br />

sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder<br />

sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck,<br />

in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen<br />

unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen;<br />

2. Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind,<br />

die geschäftliche Unerfahrenheit insbesondere von Kindern<br />

oder Jugendlichen, die Leichtgläubigkeit, die Angst<br />

oder die Zwangslage von Verbrauchern auszunutzen; ...<br />

7. die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten<br />

oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse<br />

eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft;<br />

8. über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen<br />

eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer<br />

oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen<br />

behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den<br />

Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers<br />

zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich<br />

wahr sind; ...<br />

§5UWG<br />

(1) Unlauter im Sinne von § 3 handelt, wer irreführend<br />

wirbt.<br />

(2) ...<br />

§6UWG<br />

(1) Vergleichende Werbung ist jede Werbung, die unmittelbar<br />

oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem<br />

Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen<br />

erkennbar macht.<br />

(2) ...<br />

§7UWG<br />

(1) Unlauter im Sinne von § 3 handelt, wer einen Marktteilnehmer<br />

in unzumutbarer Weise belästigt.<br />

(2) Eine unzumutbare Belästigung ist insbesondere anzunehmen<br />

1. bei einer Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der<br />

Empfänger diese Werbung nicht wünscht;<br />

2. bei einer Werbung mit Telefonanrufen gegenüber<br />

Verbrauchern ohne deren Einwilligung oder gegenüber<br />

sonstigen Marktteilnehmern ohne deren zumindest<br />

mutmaßliche Einwilligung; ...<br />

UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann AnwBl 11 / 2007 745


MN Aufsätze<br />

schließlich in irgendeiner Weise schutzwürdig, wenn sich<br />

Anwaltskanzleien in „beauty contests“ vor Rechtsabteilungen<br />

zur Schau stellen. Mit einer Konstellation der Überrumpelung<br />

hilfsbedürftiger Verbraucher hat dies nichts zu tun. Wir<br />

halten zum Einzelfallwerbungsverbot fest: Soweit sich<br />

hierfür ein legitimer Gesetzeszweck finden lässt, handelt es<br />

sich um die auch vom UWG ins Auge gefassten Fallgruppen.<br />

Nun ist es an der Zeit, sich näher dem schon mehrfach erwähnten<br />

UWG zuzuwenden.<br />

III. Fallgruppen des UWG<br />

1. Generalklausel mit Beispielkatalog<br />

Nach § 3 UWG sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die<br />

geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber,<br />

der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer<br />

nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, unzulässig. Beispiele<br />

für die Erfüllung der Voraussetzungen dieser Generalklausel<br />

finden sich in § 4 UWG. Nr. 1 dieser Vorschrift führt<br />

an: Die Vornahme von Wettbewerbshandlungen, die geeignet<br />

sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder<br />

sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck oder<br />

sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen.<br />

Nr. 2 erwähnt die Vornahme von Wettbewerbshandlungen,<br />

die geeignet sind, die geschäftliche Unerfahrenheit,<br />

Leichtgläubigkeit, Angst oder Zwangslage von<br />

Verbrauchern auszunutzen. Viel genauer als im Einzelfallwerbungsverbot<br />

des § 43 b BRAO werden hier also die Umstände<br />

beschrieben, die eine Abgrenzung von dem erlaubten<br />

zum verbotenen Herantreten an potentielle Klientel ermöglichen.<br />

Praktisch wird dies etwa in den „Unfallfällen“. In einem<br />

noch nach früherer Rechtslage vom EGH Celle entschiedenen<br />

Fall hatte nach einem schweren Verkehrsunfall<br />

ein Rechtsanwalt einer Geschädigten seine Visitenkarte übergeben<br />

mit den Worten: „Ich bin Rechtsanwalt, wenn Sie<br />

Hilfe brauchen ...“ 7 Die Wettbewerbsrechtsprechung sah es<br />

schon immer als unlauter an, wenn an einer Unfallstelle die<br />

Beteiligten unaufgefordert angesprochen werden, um Reparatur-,<br />

Abschlepp- oder Kfz-Mietverträge abzuschließen 8 .<br />

2. Belästigung<br />

Um Belästigungen geht es auch in § 7 UWG. Unlauter handelt<br />

nach dessen Absatz 1, wer einen Marktteilnehmer in unzumutbarer<br />

Weise belästigt. Als erstes Beispiel nennt § 7<br />

Abs. 2 Nr. 1 UWG Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der<br />

Empfänger diese Werbung nicht wünscht. Das ist etwa der<br />

Fall, wenn Handzettel oder Mailings in einen Briefkasten<br />

eingeworfen werden, obwohl dessen Aufschrift derartige<br />

Werbung klar untersagt. Das Beispiel nach Nr. 2 der Norm<br />

bezeichnet Telefonanrufe gegenüber Verbrauchern ohne deren<br />

Einwilligung oder gegenüber sonstigen Marktteilnehmern<br />

ohne deren zumindest mutmaßliche Einwilligung.<br />

„Cold calling“ zum Zweck der Mandatswerbung ist damit<br />

untersagt.<br />

3. Verunglimpfung<br />

Unlauter ist nach § 4 Nr. 7 UWG das Herabsetzen oder Verunglimpfen<br />

von Dienstleistungen, Tätigkeiten, der persönlichen<br />

oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers.<br />

Nach Nr. 8 der Vorschrift ist die Behauptung oder Verbreitung<br />

von Tatsachen über die Dienstleistungen oder die Kanzlei<br />

eines Mitbewerbers oder über die dortigen Partner unlau-<br />

ter, die geeignet sind, die Kanzlei zu schädigen, sofern die<br />

Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Auch die gezielte Behinderung<br />

von Mitbewerbern ist unlauter.<br />

4. Vergleichende Werbung<br />

Vergleichende Werbung ist durch § 6 UWG eingegrenzt. Das<br />

OLG Thüringen hat im Jahre 2005 eine wettbewerbswidrige<br />

Herabsetzung im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG angenommen,<br />

wenn ein Rechtsanwalt in einem Werberundschreiben<br />

behauptet, dass fachlich nicht spezialisierte Anwaltskanzleien<br />

„allenfalls nur durchschnittliches Wissen“ anbieten<br />

könnten 9 .<br />

5. Irreführung<br />

Das Irreführungsverbot findet sich in § 5 UWG. Irreführend<br />

können auch wahrheitsgemäße Informationen sein, soweit<br />

sie geeignet sind, irrige Vorstellungen bei den Empfängern<br />

hervorzurufen. Wenn in einer Zeitungsanzeige behauptet<br />

wird: „Und wenn Sie rechtsschutzversichert sind, zahlen Sie<br />

sowieso keinen Pfennig dazu“, so ist das nach einer Entscheidung<br />

des AnwG Hamburg unzulässig, da Kosten für<br />

den Mandanten auch bei abgeschlossener Rechtsschutzversicherung<br />

nicht generell ausgeschlossen werden können 10 .<br />

IV. Überschießender Regelungsgehalt der<br />

§§ 6 bis 10 BerufsO?<br />

1. Sachlichkeitsgebot<br />

In § 6 Abs. 1 BerufsO findet sich im wesentlichen nur das<br />

aus § 43 b BRAO übernommene Sachlichkeitsgebot. Soweit<br />

es dort zusätzlich heißt, die Angaben müssten „berufsbezogen“<br />

sein, kommt dem keine besondere Bedeutung zu. Ob<br />

ein Rechtsanwalt der katholischen Kirche angehört, wird im<br />

Zweifel das rechtsuchende Publikum nicht interessieren, außer<br />

wenn es gerade nach einem Kirchenrechtler sucht – und<br />

dann ist das Merkmal durchaus „berufsbezogen“. Ein Gemeinwohlinteresse<br />

daran, Anwälten zu verbieten, sich selbst<br />

als Weintrinker oder Golfspieler zu outen, ist nicht erkennbar,<br />

das Verbot insoweit also verfassungswidrig.<br />

2. Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />

Nach § 6 Abs. 2 BerufsO ist die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />

unzulässig. Wer pauschal damit wirbt, er gewinne<br />

alle Prozesse, ruft bei potentiellen Mandanten einen irreführenden<br />

Eindruck hervor und handelt somit § 5 UWG<br />

zuwider. Einer berufsrechtlichen Spezialvorschrift bedarf es<br />

insoweit nicht. In einem Fall hat das OLG Frankfurt a.M. im<br />

übrigen die Angabe von anwaltlichen Erfolgen gebilligt 11 .Ein<br />

Rechtsanwalt hatte einem Hochschulmagazin ein Interview<br />

gegeben und dabei wahrheitsgemäß erwähnt, dass fast alle<br />

seiner Mandanten nach einem gerichtlichen Verfahren einen<br />

7 EGH Celle, BRAK-Mitt. 1991, 549.<br />

8 So etwa BGH, NJW 2000, 586 – „Werbung am Unfallort IV“.<br />

9 OLG Thüringen, BRAK-Mitt. 2005, 201.<br />

10 AnwG Hamburg, BRAK-Mitt. 2000, 202.<br />

11 OLG Frankfurt a.M., GRUR 2000, 1098.<br />

746 AnwBl 11 / 2007 UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann


MN Aufsätze<br />

Studienplatz erhalten hätten, trotz vorheriger Ablehnung<br />

durch die ZVS. Der Artikel erschien unter der Überschrift<br />

„Erfolgreich klagen“. In einer Konstellation, in der ein nachweisbarer<br />

Erfolg vorhanden, die Angabe also wahrheitsgemäß<br />

ist, hindert die Vorschrift des § 6 Abs. 2 BerufsO Werbung<br />

also nicht. Der zweite Teil der Vorschrift – das Verbot<br />

der Angabe von Umsätzen – dürfte verfassungswidrig sein,<br />

zumal es bei anwaltlichen Kapitalgesellschaften mit der<br />

Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses kollidiert 12 .<br />

Die Wirtschaftskanzleien befolgen das Verbot schon lange<br />

nicht mehr, wie zahlreiche Presseberichte über „ewig wachsende“<br />

Umsatzzahlen der jeweiligen Sozietäten belegen.<br />

3. Schwerpunktangaben<br />

In § 7 BerufsO geht es um Schwerpunktangaben. Seit das<br />

System der früheren „Qualifikations-Stufenleiter“ vom Interessenschwerpunkt<br />

über den Tätigkeitsschwerpunkt bis zum<br />

Fachanwalt aufgegeben werden musste, ergibt sich aus § 7<br />

Abs. 1 BerufsO eigentlich nur noch die Banalität, dass derjenige,<br />

der von eigener Kompetenz schwärmt, das darin enthaltene<br />

Qualifikationsversprechen auch einhalten muss. Das<br />

entspricht dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot.<br />

In Absatz 2 der Vorschrift heißt es: „Benennungen nach<br />

Absatz 1 sind unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechselung<br />

mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst<br />

irreführend sind.“ Die Erkenntnis, dass irreführende Benennungen<br />

unzulässig sind, wird hier also in einer untergesetzlichen<br />

Norm wiederholt. Das darf ohne Verlust gestrichen<br />

werden. Soweit es um die Gefahr von Verwechselungen mit<br />

Fachanwaltschaften geht, läuft die Norm praktisch leer und<br />

ist ebenfalls entbehrlich 13 . Nach Absatz 3 sind die Vorschriften<br />

– selbstverständlich – auch auf Berufsausübungsgesellschaften<br />

anzuwenden.<br />

4. Bezeichnung des Mediator<br />

Nach § 7 a BerufsO darf sich als Mediator bezeichnen, wer<br />

durch geeignete Ausbildung nachweisen kann, dass er die<br />

Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. Im Kern<br />

geht es offenbar um das Irreführungsverbot. Auf weitere Einzelheiten<br />

zu dieser Norm, insbesondere auf die Verfassungswidrigkeit<br />

wegen Unbestimmtheit, soll hier daher nicht näher<br />

eingegangen werden 14 .<br />

5. Berufliche Zusammenarbeit<br />

Auch die Bestimmung des § 8 BerufsO über die Kundgabe<br />

beruflicher Zusammenarbeit ist heute nicht mehr als eine<br />

Ausformung des Irreführungsverbotes. Der gemeinsame Außenauftritts<br />

von Sozien und Angestellten ist – selbstverständlich<br />

– zulässig. Als die Norm geschaffen wurde, ging es zudem<br />

um die Klarstellung, dass Außensozietäten zulässig<br />

sind 15 . Das ist inzwischen ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.<br />

Im übrigen lässt sich der Vorschrift im Grunde nur das<br />

Verbot entnehmen, auf Einzelfallkooperationen, die nicht<br />

verfestigt sind, hinzuweisen. Insoweit muss unterschieden<br />

werden: Besteht in Wahrheit gar keine Kooperation, ist also<br />

alles nur „Bluff“, dann verbietet schon das UWG eine der-<br />

12 Näher Römermann, in: Hartung, § 6 Rdn. 141 ff.<br />

13 Vgl. auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 275, 277.<br />

14 Näher Römermann, in: Hartung, § 7 a Rdn. 12 ff.<br />

15 Das ergibt sich aus den Materialien: SV-Prot. 2, 35.<br />

16 Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen<br />

in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG),<br />

BGBl. 2007 I, S. 2178.<br />

artige Irreführung. Ist die Einzelfallkooperation hingegen<br />

echt, dann kann bei verfassungskonformer Auslegung § 8 BerufsO<br />

einen Hinweis darauf nicht verhindern.<br />

6. Kurzbezeichnung<br />

In § 9 BerufsO, der aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben<br />

mehrfach verändert werden musste, wird heute nur<br />

noch geregelt, dass Anwaltssozietäten Kurzbezeichnungen<br />

führen dürfen – das ist wenig überraschend und seit über<br />

100 Jahren gängige Übung – und dass bei Unterhaltung<br />

mehrerer Kanzleien die Bezeichnung einheitlich sein muss.<br />

Vergessen hat man bei der Formulierung die Möglichkeit,<br />

dass sogar in einer einzigen Kanzlei unterschiedliche Kurzbezeichnungen<br />

anzutreffen sein können – praktische Beispiele<br />

zeigen, dass es so etwas tatsächlich gibt. Sendet<br />

Rechtsanwalt X in der Z-Stadt den Brief ab, lautet die Kurzbezeichnung<br />

„X & Y“, ist es der Y, so lautet sie „Y & X“. Dies<br />

alles verstößt gegen das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot,<br />

einer speziellen Berufsrechtsnorm bedarf es nicht.<br />

7. Briefbogengestaltung<br />

Zu guter Letzt § 10 BerufsO: Hier finden sich Regeln über<br />

die Briefbogengestaltung. Auf Briefbögen müssen mindestens<br />

so viele Anwälte erscheinen wie es der Zahl der Namen<br />

in der Kurzbezeichnung entspricht. Das ist nichts anderes<br />

als eine Verhinderung der Irreführung über die Größe der<br />

Kanzlei. Die Anschriften müssen für jeden Kanzleisitz genannt<br />

werden. Bei ausgeschiedenen Sozien muss das Ausscheiden<br />

kenntlich gemacht werden, auch das entspricht<br />

dem Irreführungsverbot.<br />

V. Schluss<br />

Schon eine kleine tour d ´ horizon durch die Vorschriften des<br />

anwaltlichen Werberechts zeigt: Keine einzige Norm, die einer<br />

verfassungsrechtlichen Prüfung inhaltlich standhalten<br />

könnte, geht über die Verbote hinaus, die ohnehin in den allgemeinen<br />

wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des UWG<br />

festgelegt sind. Könnte sich die Satzungsversammlung zur<br />

Streichung der §§ 6 bis 10 BerufsO entschließen, so wäre das<br />

nur ein konsequenter Schluss. Der Beruf der Wirtschaftsprüfer<br />

hat dies im übrigen schon erkannt. In § 52 WPO in<br />

der Fassung des BARefG vom 3. September 2007 16 , in Kraft<br />

seit 6. September 2007, heißt es zur Werbung in schlichter<br />

Eleganz: „§ 52 Werbung – Werbung ist zulässig, es sei denn,<br />

sie ist unlauter.“ Vorbildlich.<br />

Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin.<br />

UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann AnwBl 11 / 2007 747


MN Aufsätze<br />

Schweigepflicht und<br />

Anwaltswerbung<br />

Änderungsbedarf in der BORA<br />

Rechtsanwalt Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />

Die Pflicht zur Verschwiegenheit gehört zu Alleinstellungsmerkmalen<br />

der Anwaltschaft. Doch beim Kanzleimarketing<br />

kollidiert sie immer wieder mit dem Wunsch, mit werbeträchtigen<br />

Mandantennamen zu werben. Der Beitrag erläutert,<br />

wie mit Mandantennamen (und den Namen von Prozessgegnern)<br />

geworben werden darf. Zugleich zeigt er auf,<br />

dass die vierte Satzungsversammlung die Berufsordnung der<br />

Rechtsanwälte (BORA) beim § 6 BORA nachbessern sollte.<br />

I. Einleitung<br />

Vor sechs Jahren appellierte der damalige Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV), Michael Streck, mit der<br />

Verschwiegenheit des Anwalts und nicht mit klangvollen<br />

Mandantennamen zu werben. 1 Dieser Appell ist ungehört<br />

verhallt. Im Hinblick auf die eigene Kundschaft ist für viele<br />

Rechtsanwälte Schweigen Silber und Reden Gold. PR ist aufgrund<br />

der Liberalisierung des Berufsrechts und des wachsenden<br />

Konkurrenzdrucks für viele Rechtsanwälte eine Selbstverständlichkeit<br />

geworden, und alle Großkanzleien<br />

beschäftigen dafür mittlerweile eigenes Fachpersonal. 2 Sie<br />

geben Pressemitteilungen heraus, wenn sie ein nicht ganz<br />

unbedeutendes Mandat erfolgreich betreut haben, und die<br />

gesammelten Meldungen sind jede Woche im Internet unter<br />

www.juve.de bzw. einmal im Monat in der Zeitschrift „Juve<br />

Rechtsmarkt“ nachzulesen. Im jährlich seit 1998 erscheinenden<br />

Juve Handbuch Wirtschaftskanzleien finden sich bei fast<br />

allen, auch bei kleinen und mittleren Kanzleien, Referenzmandate.<br />

Auf ihren Internetseiten umschreiben die meisten<br />

Kanzleien zwar noch ihre Mandanten etwa mit „regionaler<br />

Energieversorger“, doch manche sind auch in dieser Beziehung<br />

transparent: Die Kanzlei Jones Day etwa präsentiert im<br />

Internet eine Liste mit Namen von fast 150 Mandanten. 3<br />

Auch in manchen Kanzleibroschüren werden Mandantennamen<br />

offen genannt. 4 Einige auf Kapitalmarktrecht und Anlegerschutz<br />

spezialisierte Kanzleien teilen auch mit, gegen<br />

wen sie schon tätig geworden sind. 5<br />

Die anwaltliche Schweigepflicht scheint durch ein unstillbares<br />

Mitteilungsbedürfnis ersetzt worden zu sein. Im<br />

Folgenden soll kurz dargestellt werden, welche Grenzen zu<br />

beachten sind, sofern Kanzleien zu Werbezwecken Mandantennamen<br />

öffentlich machen.<br />

II. Die rechtlichen Grundlagen<br />

Mit der Berufsrechtsnovelle 1994 wurde die Schweigepflicht<br />

in § 43 a Abs. 2 in die BRAO aufgenommen, doch als Grundlage<br />

für das Vertrauensverhältnis von Anwalt und Mandant<br />

zählte sie immer schon zu den berufsrechtlichen Kernprinzipien<br />

und lässt sich sogar bis zu den Kammergerichtsordnungen<br />

von 1495 und 1555 zurückverfolgen. 6 Mit Erlass der Berufsordnung<br />

1997 durch die Satzungsversammlung wurde<br />

auch in der BORA in § 2 die Schweigepflicht normiert. Allerdings<br />

kommt § 2 BORA mangels eines eigenen Normzwecks<br />

im wesentlichen nur Programmcharakter zu. 7 Dass die Verschwiegenheit<br />

auch nach Ende des Mandatsvertrages fortbesteht,<br />

wie § 2 Abs. 2 BORA ausdrücklich festschreibt, ist<br />

eine Selbstverständlichkeit, die sich bereits aus dem Mandatsvertrag<br />

ergibt. 8 Die Schweigepflicht bezieht sich gemäß<br />

§ 43 a Abs. 2 S. 2 BRAO auf alles, was dem Anwalt in Ausübung<br />

seines Berufes bekannt geworden ist und geht damit<br />

über § 203 Abs. 1 StGB hinaus, der nur „fremde Geheimnisse“<br />

schützt. Unter die Schweigepflicht fällt auch die Tatsache,<br />

dass jemand einen Anwalt konsultiert hat. 9 Ausgenommen<br />

sind nach § 43 a Abs. 2 S. 3 BRAO nur offenkundige<br />

Tatsachen und solche, die ihrer Art nach keine Geheimhaltung<br />

erfordern. Die unbefugte Offenbarung eines fremden<br />

Geheimnisses ist für einen Rechtsanwalt strafbar, sofern es<br />

ihm in seiner beruflichen Tätigkeit anvertraut oder bekanntgeworden<br />

ist. (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB). An der Verfassungsmäßigkeit<br />

der Verschwiegenheitspflicht bestehen keine<br />

Zweifel. 10<br />

Die Pflicht zur Verschwiegenheit entfällt, wenn der Mandant<br />

den Rechtsanwalt davon entbindet, denn der Mandant<br />

ist „Herr des Geheimnisses“, und das Vertrauen der Allgemeinheit<br />

in die Verschwiegenheit der Anwälte erfordert<br />

nur, dass die Anwälte das ihnen Anvertraute nicht gegen<br />

oder ohne Willen des Klienten offenbaren. 11 Der Verzicht auf<br />

die Schweigepflicht kann nach allgemeinen Grundsätzen<br />

auch durch schlüssiges Handeln erklärt werden. 12 Eine konkludente<br />

Einwilligung kann zum Beispiel angenommen werden,<br />

wenn der Mandant selbst der Presse Informationen zu<br />

seinem Fall gibt. Allerdings verlangt § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />

für werbende Hinweise auf Mandate und Mandanten eine<br />

ausdrückliche Einwilligung und beschränkt die Nennung<br />

von Mandanten und Mandaten auf Praxisbroschüren, Rundschreiben<br />

oder vergleichbare Informationsmittel oder auf<br />

Anfrage? Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Einschränkungen<br />

soll im folgenden näher untersucht werden.<br />

1 Vgl. Streck, NJW 2001, 3605, 3606.<br />

2 Der Autor hat zu dem Thema „Rechtsanwaltskanzleien und PR“ bei Prof. Dr. Thomas<br />

Hoeren an der Universität Münster promoviert. Die Dissertation ist 2007 im<br />

Wissenschaftlichen Verlag Berlin erschienen.<br />

3 Unter www.jonesday.com/de/firm/clients/<br />

4 Z. B. in der Broschüre „Praxisgruppe Gesellschaftsrecht“ von Lovells.<br />

5 Z. B. die Kanzlei KWAG unter www.kwag-recht.de<br />

6 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Henssler/Prütting-Eylmann, 2. Auflage 2005, § 43 a<br />

BRAO Rn. 28f.<br />

7 Hartung/Holl-Hartung, 2. Auflage 2001, § 2 BerufsO Rn. 9; zur Entstehungsgeschichte<br />

Rn. 1 ff.<br />

8 Hartung/Holl-Hartung, §2BerufsORn.9.<br />

9 Henssler/Prütting-Eylmann, §43aBRAORn37ff.<br />

10 Hartung/Holl-Hartung, §2BerufsORn.36m.w.N.<br />

11 Vgl. Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Auflage 2003, § 43 a BRAO<br />

Rn. 26; Henssler/Prütting-Eylmann, § 43 a BRAO Rn. 32; Hartung/Holl-Hartung, §2<br />

BerufsO Rn. 23.<br />

12 Henssler/Prütting-Eylmann, § 43 a BRAO Rn. 62.<br />

748 AnwBl 11 / 2007 Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister


MN Aufsätze<br />

1. Beschränkung auf bestimmte Informationsmittel und<br />

Anfragen<br />

Warum § 6 Abs. 2 S. 2 BORA werbende Hinweise auf Mandanten<br />

und Mandate auf bestimmte Informationsmittel beschränkt,<br />

ist nicht mehr verständlich. Die Vorschrift steht in<br />

Zusammenhang mit § 7 BORA a. F., wonach Tätigkeitsschwerpunkte<br />

und Interessenschwerpunkte auch nur in den<br />

genannten Informationsmitteln angegeben werden durften.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat aber schon vor zehn Jahren<br />

klargestellt, dass wegen der Berufsausübungsfreiheit gemäß<br />

Art. 12 Abs. 1 GG auch den freien Berufen nicht generell<br />

einzelne Werbeträger verboten werden können, sondern<br />

es auf den Inhalt der Werbung ankommt. 13<br />

Mit der Neuregelung der Angabe von Teilbereichen der<br />

Berufstätigkeit und qualifizierenden Zusätzen zum 1. März<br />

2006 wurde in § 7 BerufsO die Beschränkung auf die genannten<br />

Informationsmittel gestrichen. Leider wurde bei der<br />

Neuregelung versäumt, auch § 6 Abs. 2 S. 2 BORA zu ändern.<br />

Nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA dürfte<br />

ein Rechtsanwalt bei einem Vortrag oder in einem sogenannten<br />

„pitch“ oder „beauty contest“, also einer Kanzleipräsentation<br />

zur Gewinnung eines konkreten Mandates, ungefragt<br />

keine Namen von Mandanten nennen, wohl aber in an die<br />

Zuhörer verteilten Kanzleibroschüren. Diese Unterscheidung<br />

ist mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nicht<br />

zu vereinbaren. In der Praxis ist dieses Problem über eine<br />

verfassungskonforme Auslegung von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />

zu lösen, wonach die Nennung von Mandanten und Mandaten<br />

unabhängig von dem Informationsmittel zulässig ist,<br />

sofern die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die Einwilligung<br />

des Mandanten, vorliegen. Eine „Anfrage“ ist dafür<br />

entgegen dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA nicht erforderlich.<br />

Es gibt keinen nachvollziehbaren Gemeinwohlgrund,<br />

warum die Werbemöglichkeiten für einen Anwalt<br />

nur bei „Anfragen“ erweitert werden dürfen. Entscheidend<br />

im Zusammenhang mit werbenden Hinweisen auf Mandanten<br />

und Mandate kann nur die Einwilligung des Mandanten<br />

sein, denn die Schweigepflicht dient seinem Schutz. Daher<br />

besteht auch in der Literatur Einigkeit, dass die Beschränkungen<br />

von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA hinsichtlich bestimmter<br />

Informationsmittel und Anfragen verfassungswidrig sind. 14<br />

2. Ausdrückliche Einwilligung<br />

Bei werbenden Hinweisen auf Mandanten und Mandate ist<br />

gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 BORA eine ausdrückliche Einwilligung<br />

des Mandanten erforderlich. Es ist allerdings nicht ersichtlich,<br />

warum bei werbenden Hinweisen ein anderer Maßstab<br />

für die Einwilligung gelten soll als für den Verzicht auf die<br />

Schweigepflicht in anderen Fällen. Mit der Begründung, spätere<br />

Unklarheiten und Differenzen zu vermeiden, 15<br />

ließe<br />

sich genauso gut eine ausdrückliche Einwilligung für jede<br />

Entbindung von der Schweigepflicht fordern. Zudem ist der<br />

Bezug auf die Anfrage missverständlich. Auch wenn ein<br />

Mandant einmal seine Einwilligung zur Bekanntgabe der<br />

Mandatsbeziehung zu Werbezwecken gegeben hat, müsste<br />

streng genommen eine Kanzlei bei jeder neuen Anfrage,<br />

etwa von einer anderen Zeitung, eine neue ausdrückliche<br />

Einwilligung einholen. Sofern es sich um das gleiche Mandat<br />

oder die allgemeine Mandatsbeziehung handelt, ist dies<br />

überflüssiger Formalismus und zum Schutz des Mandanten<br />

nicht erforderlich.<br />

Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn es sich um ein anderes<br />

Mandat handelt, etwa wenn der Dauermandant bei einer<br />

bestimmten Transaktion beraten wurde. Hier kann der<br />

Mandant ein Interesse daran zu haben, dieses Geschäft nicht<br />

bekannt werden zu lassen, so dass vor der Bekanntgabe die<br />

Einwilligung des Mandanten einzuholen ist. 16 An das Vorliegen<br />

einer konkludenten Einwilligung sind zudem – wie<br />

sonst auch – strenge Anforderungen zu stellen. Empfehlenswert<br />

ist im Interesse des Mandanten eine ausdrückliche,<br />

möglichst schriftliche Einwilligung. Darin sollte auch genau<br />

festgehalten werden, welche Informationen weitergeben werden<br />

dürfen und welche nicht.<br />

III. Vertrauliche Weitergabe von<br />

Mandantennamen?<br />

Manchmal sollen Mandantennamen und Mandate nicht<br />

öffentlich bekannt gemacht werden, sondern nur zur vertraulichen<br />

Information Dritter dienen. Besonders relevant ist dieses<br />

Problem für Kanzleien, die mit der Redaktion des „Juve<br />

Handbuchs Wirtschaftskanzleien“ zusammenarbeiten. Einmal<br />

jährlich verschickt die Juve-Redaktion einen Fragebogen<br />

an die Kanzleien, in dem neben Informationen über die Anzahl<br />

der Anwälte und die Tätigkeitsgebiete auch wichtige<br />

Mandate des vergangenen Jahrs („Deal-Liste“) genannt werden<br />

sollen. Ausdrücklich gefragt wird, ob das Mandat als Referenz<br />

freigegeben ist. Nur dann erfolgt eine Nennung im redaktionellen<br />

Teil des Handbuchs. Aber auch wenn das<br />

Mandat nicht als Referenz freigeben ist, geben manche<br />

Kanzleien gegenüber Juve die Mandantennamen an mit der<br />

Auflage, diese Informationen vertraulich zu behandeln.<br />

Sie sind in einer Zwickmühle: Zwar wäre eine Umschreibung<br />

des Mandanten („regionaler Energieversorger“)<br />

möglich, aber aussagekräftiger sind konkrete, bekannte Mandantennamen.<br />

Zudem ist für die Bewertung eines Mandates<br />

bei Unternehmenskäufen die Größenordnung der Transaktion<br />

wichtig, doch die Mandanten wünschen häufig gerade<br />

nicht, dass der Kaufpreis bekannt wird. Wenngleich die<br />

meisten Journalisten ihre Schweigeverpflichtung beherzigen<br />

und derartige Hintergrundinformationen für Journalisten in<br />

Politik und Wirtschaft durchaus üblich sind, wird ein entsprechendes<br />

Vorgehen von Rechtsanwälten ihrer Schweigepflicht<br />

nicht gerecht.<br />

13 BVerfG NJW 1996, 3067.<br />

14 Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Auflage<br />

2004, Rn. 788; Hartung/Holl-Römermann, § 6 BerufsO, Rn 147 ff.; Henssler/<br />

Prütting-Eylmann, §6BerufsORn.9ff.<br />

15 Hartung/Holl-Römernann, § 6 BerufsO Rn. 152 unter Verweis auf die Satzungsmaterialien.<br />

16 Hartung/Holl-Römermann, § 6 BerufsO Rn. 145.<br />

Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister AnwBl 11 / 2007 749


MN Aufsätze<br />

Denn nach unbestrittener Auffassung gilt die Schweigepflicht<br />

gegenüber jedermann, also auch gegenüber Personen,<br />

die ihrerseits – wie etwa andere Rechtsanwälte – zur<br />

Verschwiegenheit verpflichtet sind. 17 Nur sofern es sich um<br />

eigene Mitarbeiter oder andere Sozietätsmitglieder des<br />

Rechtsanwaltes handelt, scheidet eine Verletzung der<br />

Schweigepflicht aus. 18 Journalisten sind weder berufsrechtlich<br />

noch strafrechtlich gemäß § 203 StGB zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtet, sondern nur aufgrund eines freiwilligen<br />

Verhaltenskodex, so dass die Angabe von Mandaten und<br />

Mandantennamen ihnen gegenüber erst recht die Offenbarung<br />

eines fremden Geheimnisses i. S. d. § 203 Abs. 1<br />

Nr. 3 StGB und einen Verstoß gegen die Schweigepflicht aus<br />

§§ 43 a BRAO, 2 BerufsO darstellt.<br />

Das gilt jedoch nur, sofern wirklich keine Einwilligung<br />

vorliegt. Aus den oben genannten Gründen ist insbesondere<br />

zu prüfen, ob nicht in diesen Fällen eine konkludente Einwilligung<br />

in die vertrauliche Weitergabe vorliegen kann. So<br />

dürfte Rechtsabteilungen größerer Unternehmen die Praxis<br />

der Zusammenarbeit von Kanzleien und Juve mittlerweile<br />

bekannt sein. Dennoch kann ohne das Vorliegen besonderer<br />

Anhaltspunkte eine solche konkludente Einwilligung nicht<br />

angenommen werden. Für eine mutmaßliche Einwilligung<br />

bleibt in der Regel kein Raum, weil zuvor eine ausdrückliche<br />

Erklärung des Berechtigten eingeholt werden könnte. 19 Um<br />

straf- und berufsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein, sollten<br />

Kanzleien daher eine Einwilligung auch für die nur vertrauliche<br />

Weitergabe von Mandantennamen und Mandaten<br />

einholen.<br />

IV. Nennung von Prozessgegnern?<br />

Mit Mandantennamen können nur Kanzleien werben, die<br />

Mandanten mit prestigeträchtigen Namen vertreten. Kanzleien,<br />

die von ganz normalen Bürgern beauftragt werden –<br />

also den meisten Kanzleien –, nutzt diese Möglichkeit nichts.<br />

Für sie kann es aber von großem Interesse zu sein, der Öffentlichkeit<br />

und potenziellen Mandanten mitzuteilen, gegen<br />

wen sie erfolgreich Prozesse geführt haben, wenn der Gegner<br />

bekannte Unternehmen oder Prominente waren. Manche<br />

auf Anlegerschutz spezialisierte Kanzleien versuchen<br />

ihre Leistungsfähigkeit nachweisen, indem sie Fonds, Banken<br />

und Wertpapieremittenten benennen, gegen die sie<br />

schon erfolgreich Schadensersatzprozesse geführt haben.<br />

Nach einer Entscheidung des KG Berlin soll aber die Veröffentlichung<br />

von Listen mit Prozessgegnern einer Anlegerschutzkanzlei<br />

– zwar nicht berufsrechtlich, aber äußerungsrechtlich<br />

– unzulässig sein. 20<br />

Das Ergebnis mag in diesem speziellen Fall richtig sein,<br />

die Begründung des Kammergerichts überzeugt jedoch<br />

nicht. 21 Das Kammergericht bejaht zwar ein Interesse eines<br />

potentiellen Mandanten bei der Auswahl eines Rechtsanwaltes,<br />

ob die Kanzlei schon Verfahren gegen den eigenen potenziellen<br />

Gegner geführt habe. Ein darüber hinausgehendes<br />

Interesse der Öffentlichkeit bestehe aber nicht. Die Kanzlei<br />

betreibe mit der Nennung der Gegner ihrer Mandanten<br />

„schlicht“ Werbung und mache sich deren Namen für ihre<br />

wirtschaftlichen Interessen zu Nutzen. Daher überwiege das<br />

unternehmerische Persönlichkeitsrecht des Unternehmens<br />

gegenüber dem Recht der Kanzlei auf Freiheit der Berufsausübung<br />

(Art. 12 Abs. 1 GG), zumal diese auch ohne na-<br />

mentliche Nennung der Gegner auf ihre Kompetenz aufmerksam<br />

machen könne.<br />

Diese Wertung wird Art 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG unterfällt die<br />

Außendarstellung inklusive der Werbung von Rechtsanwälten<br />

dem Schutzbereich von Art 12 Abs. 1 GG, so dass staatliche<br />

Einschränkungen Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung<br />

sind. 22 Auch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1<br />

GG ist bei werbenden Aussagen von Rechtsanwaltskanzleien<br />

einschlägig, denn sie schützt auch die kommerzielle Werbung.<br />

23 Vorrangig ist bei der Werbung von Berufsangehörigen<br />

aber das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1<br />

GG. 24 Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des<br />

BVerfG kommen als Beschränkungen rechtfertigende Gemeinwohlziele<br />

nur in Betracht: Die Unabhängigkeit des<br />

Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern, und<br />

das Vertrauen der Rechtsuchenden zu stärken, der Anwalt<br />

werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die<br />

Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten. 25 Zu<br />

recht geht das Kammergericht davon aus, dass auch eine Abwägung<br />

mit dem durch eine Veröffentlichung des Prozessverhältnisses<br />

betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

des Unternehmens (Art. 2 Abs. 1 GG) erfolgen muss.<br />

In diesem Fall mag das Persönlichkeitsrecht des Unternehmens<br />

überwiegen, doch das liegt daran, dass die Kanzlei<br />

durch die schlagwortartige Nennung des Unternehmens in<br />

einer Liste im Zusammenhang mit zweifelhaften Finanzanlagen<br />

potenziellen Mandanten keine sachlichen Informationen<br />

bietet, auf das Unternehmen aber ein schlechtes Licht<br />

wirft. Es bleibt völlig offen, worum es in den jeweiligen Verfahren<br />

ging, wann sie stattfanden und ob das Unternehmen<br />

verurteilt wurden. Anhand des bloßen Namens eines Prozessgegners<br />

können potenzielle Mandanten die Leistungen<br />

einer Kanzlei nicht einschätzen. Hier besteht eher eine Irreführungsgefahr.<br />

Werden aber sachliche und zutreffende Informationen<br />

über Zeitpunkt, Sachverhalt und Prozessverlauf gegeben, so<br />

muss jedenfalls bei rechtskräftigen Urteilen das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht der Prozessgegner hinter dem Informationsbedürfnis<br />

potentieller Mandanten und dem Recht auf<br />

Außendarstellung der Kanzlei aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückstehen.<br />

Denn Gerichtsverfahren sind aus gutem Grund<br />

öffentlich (§ 169 GVG) und auch die Presse darf wahre Tatsachen<br />

bezüglich eines privaten Rechtsstreits veröffentlichen,<br />

sofern nicht die Diffamierung der Person im Vordergrund<br />

steht, was bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf<br />

17 Tröndle/Fischer, 53. Auflage 2006, § 203 Rn. 30 b; Henssler/Prütting, § 43 a Rn. 43<br />

jeweils m. w. N.<br />

18 BGH v. 10.8.1995, IX ZR 220/94, juris Rn. 17 m. w. N.<br />

19 Vgl. Tröndle/Fischer, 53. Auflage 2006, § 203 Rn. 36 m. w. N.<br />

20 Vgl. im folgenden KG Berlin v. 30.9.2005, 9 U 21/04, NJW-RR 2005, 1709, gegen<br />

die Entscheidung und die Nichtzulassung der Revision durch den BGH ist eine<br />

Verfassungsbeschwerde zu dem Aktenzeichen 1 BvR 1625/06 beim Bundesverfassungsgericht<br />

anhängig. Der Verfassungsrechtsausschuss des DAV hält die Verfassungsbeschwerde<br />

in der DAV-Stellungnahme 16/2007 für begründet (unter<br />

www.anwaltverein.de/03/05/index.html).<br />

21 A. A. Kleine-Cosack, NJ 2006, 84, der dem Kammergericht uneingeschränkt Zustimmung<br />

zollt.<br />

22 Zuletzt BVerfG, NJW 2004, 2656; BVerfG, GRUR 2003, 965.<br />

23 BVerfG AnwBl 2002, 60; vgl. Jarass/Pieroth, 7. Auflage 2004, Art. 5 Rn. 3 m. w. N.<br />

24 BVerfG, NJW 1996, 3067.<br />

25 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2656, 2657; BVerfG, MDR 2000, 730, 731.<br />

750 AnwBl 11 / 2007 Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister


MN Aufsätze<br />

in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage<br />

stets zu verneinen ist. 26 Hier ist ein Interesse von möglicherweise<br />

geschädigten Anlegern an Informationen über Kanzleien,<br />

die in gleichen oder ähnlichen Fällen schon Prozesse<br />

geführt haben, nicht zu leugnen; eines darüber hinausgehenden<br />

Interesses der Öffentlichkeit bedarf es nicht.<br />

In manchen sehr öffentlichkeitswirksamen Fällen dürfte<br />

die Information über einen Prozess ohnehin eine offenkundige<br />

Tatsache sein. Dass die Kanzlei zugleich auch eigene<br />

(Werbe-)zwecke verfolgt, ist ihr gutes Recht aus Art. 12<br />

Abs. 1 GG und kann allein die Abwägung nicht zu ihren Ungunsten<br />

ausfallen lassen. 27 Daher bestehen gegen eine umfassende<br />

Information potenzieller Mandanten über geführte,<br />

rechtskräftig beendete oder offenkundig bekannte Prozesse<br />

auch unter Nennung des Prozessgegners keine Bedenken,<br />

sofern ein Bedürfnis für die Namensnennung bei den potenziellen<br />

Mandanten und der Kanzlei besteht. 28<br />

V. Weitere Grenzen für die Nennung von<br />

Mandanten, Mandaten und Prozeßgegnern<br />

Kanzleien müssen ferner die allgemeinen berufs- und wettbewerbsrechtlichen<br />

Grenzen für Werbung einhalten, wenn<br />

sie Namen von Mandanten, Prozessgegnern oder Mandate<br />

öffentlich machen. Grundsätzlich stehen Berufsrecht und<br />

Wettbewerbsrecht unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander.<br />

29 Die Angaben dürfen nicht unsachlich sein, weil<br />

es sich um Werbung i. S. d. §§ 43 b BRAO, 6 BORA handelt. 30<br />

Sie dürfen ferner nicht irreführend i. S. d. §§ 3, 5 UWG sein.<br />

Auch wenn die Tatsachen zweifelhaft oder missverständlich<br />

sind, besteht die Gefahr einer Irreführung. Eine Kanzlei darf<br />

daher nicht in einer Pressemitteilung behaupten, sie habe in<br />

einem konkreten Fall eine bestimmte Zahl von Mandaten geworben,<br />

wenn noch zweifelhaft ist, ob es endgültig zu den<br />

Mandaten kommt. So hatte eine Anlegerschutzkanzlei behauptet,<br />

10.000 Mandate im Zusammenhang mit einem zusammengebrochenen<br />

Fonds akquiriert zu haben; tatsächlich<br />

kooperierte sie lediglich mit sechs Finanzdienstleistern, die<br />

10.000 Fondanleger repräsentieren. Eine andere Kanzlei erwirkte<br />

eine einstweilige Verfügung gegen die Pressemeldung.<br />

31 Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Irreführung<br />

bestehen auch gegen reine Mandantenlisten ohne Angaben<br />

zu Zeitpunkt, Umfang und Inhalt der Vertretung. Eine Ir-<br />

26 Vgl. BGH vom 19.4.2005, X ZR 15/04, juris Rn. 34 f., weitergehend noch BGH vom<br />

15.11.2005, VI ZR 287/04, juris Rn. 25 ff.: Öffentliches Interesse auch an gravierenden<br />

Verkehrsverstößen Prominenter.<br />

27 A. A. noch BGH vom 8.2.1994, VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, wonach der Veranstalter<br />

eines steuerrechtlichen Seminars nicht auf die negativen Punkte in der<br />

veröffentlichten Jahresabschlußbilanz eines Unternehmens hinweisen darf. Offenbar<br />

hat aber nun auch der BGH Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils, vgl. BGH<br />

vom 19.4.2005, X ZR 15/04, juris Rn 37.<br />

28 Vgl. auch die Informationen zu Prozessgegnern der Kanzlei Tilp unter www.tilp.de/<br />

urteile.html, die erstrittene Urteile zum Teil mit Namensnennung veröffentlicht.<br />

Dieses Vorgehen ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden.<br />

29 Fezer-Becker-Eberhard, Lauterkeitsrecht, § 4-S3, Rn. 45; Henssler/Prütting-Eylmann,<br />

§ 43 b BRAO Rn. 81; Hartung/Holl-Römermann, vor § 6 BerufsO Rn. 137;<br />

Feuerich/Weyland, 6. Auflage 2003, § 43 b BRAO Rn. 4.<br />

30 KG Berlin v. 30.9.2005, 9 U 21/04, juris Rn. 24 unter Verwendung des herrschenden<br />

weiten Werbungsbegriffes der Rechtsprechung. Aber auch für Vertreter eines<br />

engeren Werbungsbegriffes (vgl. dazu Hartung/Holl-Römermann, §6BerufsO<br />

Rn. 31 ff.) liegt hier Werbung vor, weil berufsbezogene Informationen kommuniziert<br />

werden.<br />

31 Vgl. Nohlen, Juve Rechtsmarkt 07/05, S. 45 ff.<br />

reführung dürfte zum Beispiel dann zu bejahen sein, wenn<br />

eine Kanzlei ein prominentes Unternehmen als Mandanten<br />

angibt, tatsächlich aber nur ein ganz unbedeutendes Mandaten<br />

wahrgenommen oder zuletzt vor geraumer Zeit für<br />

das Unternehmen tätig war.<br />

VI. Ergebnis<br />

Für die Außendarstellung von Kanzleien ist die Angabe von<br />

Referenzen aufgrund des sich verschärfenden Konkurrenzkampfes<br />

unverzichtbar geworden. Weil dafür in der Regel<br />

auch Mandanten Verständnis haben, sollte die Absprache<br />

mit ihnen zu diesem Thema gesucht werden. Im Übrigen<br />

gilt: § 6 Abs. 2 S. 2 BORA ist verfassungskonform so auszulegen,<br />

dass Rechtsanwälte Mandanten und Mandate unabhängig<br />

von bestimmten Informationsmitteln und Anfragen<br />

öffentlich nennen dürfen, wenn der Mandant eingewilligt<br />

hat. Entgegen dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />

genügt wie sonst auch gemäß § 43 a Abs. 2 BRAO eine konkludente<br />

Einwilligung. Eine vertrauliche Nennung von Mandanten<br />

und Mandaten ohne Einwilligung gegenüber zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtenden Dritten, insbesondere<br />

gegenüber Journalisten, verstößt gegen §§ 43 a Abs. 2 BRAO,<br />

203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Die Nennung von Prozessgegnern<br />

kann nach einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />

des Prozessgegners zulässig sein, wenn über<br />

Zeitpunkt, Inhalt und Ausgang des Rechtsstreits informiert<br />

wird und bei potentiellen Mandanten ein legitimes Interesse<br />

an diesen Informationen besteht. Im übrigen gelten die Anforderungen<br />

von §§ 43 b BRAO, 3, 5 UWG für die Nennung<br />

von Mandanten, Prozessgegnern und Mandaten, d. h. die Angaben<br />

müssen sachlich und nicht irreführend sein.<br />

Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist in der Kanzlei Wilmer Hale<br />

tätig.<br />

Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister AnwBl 11 / 2007 751


MN Aufsätze<br />

Reparaturbedarf in<br />

der BORA – und eine<br />

gewollte Lücke<br />

Hinweise für die neue Satzungsversammlung<br />

aus der Sicht eines Kommentators<br />

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />

Der Gesetzgeber zeigt es ständig: Eine Rechtsordnung ist<br />

nicht fertig – immer gibt es etwas zu tun. Warum sollte es<br />

der Satzungsversammlung anders gehen? Sie kann aufgrund<br />

der Ermächtigung in der BRAO Satzungsrecht setzen. Die<br />

vierte Satzungsversammlung wird am 18. Januar 2008 erstmals<br />

zusammentreten und sich in der ersten Sitzung ein Arbeitsprogramm<br />

geben. Der Autor – Herausgeber eines bekannten<br />

Kommentars zur Berufsordnung – fasst zusammen,<br />

welche Vorschriften der BORA aus seiner Sicht reparaturbedürftig<br />

sind.<br />

I. Berufsordnung und Grundgesetz<br />

Als die 1. Satzungsversammlung am 29. November 1996 in<br />

Berlin die Berufsordnung nach mehr als einjähriger Beratung<br />

mit überwältigender Mehrheit beschloss, würdigte der<br />

damalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer in seiner<br />

Eigenschaft als Vorsitzender der Satzungsversammlung<br />

die Abstimmung als denkwürdigen Augenblick. Das war sie<br />

auch wirklich in der Geschichte der deutschen Anwaltschaft,<br />

hatte doch das „Parlament der Rechtsanwälte“, wie die Satzungsversammlung<br />

hin und wieder genannt wird, mit der<br />

Verabschiedung der Berufsordnung erstmalig ein eigenes<br />

anwaltliches Berufsrecht geschaffen.<br />

Doch schon in den ersten Jahren danach erwiesen sich<br />

einzelne Vorschriften der Berufsordnung als verfassungswidrig.<br />

Erinnert sei an das ursprünglich in § 13 BerufsO geregelte<br />

Verbot, gegen einen anwaltlich vertretenen Gegner ein<br />

Versäumnisurteil zu erwirken. 1 Zu erinnern ist auch an das<br />

Verbot einer Sternsozietät mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern<br />

2 oder an die ursprüngliche Regelung des Verbots<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen beim Sozietätswechsel<br />

eines Rechtsanwalts in § 3 BerufsO, 3 um nur einige<br />

Beispiele zu nennen.<br />

Auch heute nach mehr als zehn Jahren seit Inkrafttreten<br />

der Berufsordnung lässt sich nicht behaupten, dass sie uneingeschränkt<br />

gesetzes- und verfassungskonform ist. Im Gegenteil:<br />

Es gibt unverändert eine ganze Reihe „reparaturbedürftiger“<br />

Vorschriften. Dazu gehören neben den §§ 3 und<br />

7a BerufsO unter anderem die §§ 4, 4 5, 5 9, 6 10, 7 21, 8 26, 9 27, 10<br />

30 11 und 31 12 BerufsO. Nur zwei ausgewählte Beispiele sollen<br />

hier näher erörtert werden.<br />

1. § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO<br />

In seiner geltenden Fassung erlaubt der Wortlaut des § 3<br />

Abs. 2 Satz 2 BerufsO die Vertretung widerstreitender Interessen<br />

auch innerhalb einer Sozietät, wenn sich im Einzelfall<br />

die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten<br />

mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklären<br />

und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen.<br />

Höchst fragwürdig ist, ob die Satzungsversammlung aus<br />

§ 59 b Abs. 2 Nr. 1 a BRAO die Ermächtigung ableiten kann,<br />

die gesetzliche Regelung das § 43 a Abs. 4 BRAO durch § 3<br />

BerufsO lockern oder gar aufheben zu können. Das aber ist<br />

durch die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO n. F. geschehen,<br />

weil sie die Vertretung widerstreitender Mandate<br />

unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt. Darin<br />

liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass das Gesetz Vorrang<br />

vor Satzungsrecht hat und Satzungsrecht Gesetzesrecht<br />

nicht brechen kann. 13<br />

Die in § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO durch die Einverständniserklärung<br />

der Parteien eröffnete Möglichkeit einer Befreiung<br />

vom Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />

innerhalb einer Sozietät ist – abgesehen von der Gesetzeswidrigkeit<br />

der Regelung wegen fehlender Satzungskompetenz<br />

– auch aus zwei weiteren Gründen gesetzeswidrig.<br />

Zum einen verstößt die Neufassung des § 3 Abs. 2 Satz 2<br />

BerufsO gegen § 43 a Abs. 4 BRAO. Die Vorschrift dient unter<br />

anderem dem Interesse der Rechtspflege an einer eindeutigen<br />

und geradlinigen Rechtsbesorgung durch den Rechtsanwalt<br />

in jedem ihm angetragenen Mandat. Dabei handelt es<br />

sich um ein Gemeinwohlgut, zu dessen Schutz der Gesetzgeber<br />

das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />

als statusbildende Grundpflicht ausgebildet hat. Die Regelung<br />

statusbildender Normen aber ist ausschließlich dem<br />

Gesetzgeber vorbehalten. Das gilt auch für eine inhaltliche<br />

Lockerung solcher Normen.<br />

Zum anderen widerspricht die Neuregelung des § 3<br />

Abs. 2 Satz 2 BerufsO bei Anwendung innerhalb einer Sozietät<br />

grundsätzlich auch den Belangen der Rechtspflege. Dazu<br />

gehören neben der Wahrung des Vertrauensverhältnisses<br />

zum Mandanten, das auf der Zuverlässigkeit und Integrität<br />

der Anwaltschaft beruht, auch die Geradlinigkeit anwaltlicher<br />

Berufsausübung und die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts.<br />

Über sein Vertrauensverhältnis zum Rechtsanwalt<br />

mag der Mandant im Einzelfall selbst bestimmen können.<br />

Über die beiden anderen Gemeinwohlgüter können die Mandanten<br />

aber nicht disponieren. Der Gesetzgeber hat in die<br />

von Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des Rechtsanwalts<br />

gerade wegen der zu wahrenden anwaltlichen Unabhängigkeit<br />

und wegen der von einem Rechtsanwalt als Organ der<br />

Rechtspflege (§ 1 BRAO) zu fordernden Geradlinigkeit in<br />

seine Berufsausübung eingegriffen. Zumindest die Verletzung<br />

dieser beiden Gemeinwohlgüter bei einer Anwendung<br />

des § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO innerhalb einer Berufsausübungs-<br />

oder Bürogemeinschaft ist weiterer Grund für<br />

die Gesetzeswidrigkeit dieser Norm.<br />

1 BVerfG AnwBl 2000, 122.<br />

2 BGH AnwBl 1999, 553 m. Anm. Römermann.<br />

3 BVerfG AnwBl 2003, 521:<br />

4 Hartung-Nerlich § 4 BerufsO Rdn. 41.<br />

5 Hartung § 5 BerufsO Rdn. 64.<br />

6 Hartung-Römermann § 9 BerufsO Rdn. 36 ff.<br />

7 Hartung-Römermann §10BerufsORdn.24ff.<br />

8 Hartung-Nerlich § 21 BerufsO Rdn. 68.<br />

9 Hartung-Nerlich § 26 Rdn. 182.<br />

10 Hartung-Römermann §27BerufsORdn.17ff.<br />

11 Hartung-Römermann §30Rdn.4.<br />

12 Hartung-Römermann § 31 BerufsO Rdn. 29-32.<br />

13 A.a. Busse, AnwBl 2007, <strong>729</strong>, 730 f. (in diesem Heft).<br />

752 AnwBl 11 / 2007 Reparaturbedarf in der BORA, Hartung


MN Aufsätze<br />

Die 4. Satzungsversammlung sollte deshalb die durch § 3<br />

Abs. 2 Satz 2 BerufsO eröffnete Möglichkeit, innerhalb einer<br />

Sozietät Mandanten im widerstreitenden Interesse vertreten<br />

zu dürfen, schleunigst wieder aufheben.<br />

2. § 7a BerufsO<br />

Gemäß § 7a BerufsO dürfen sich Rechtsanwälte als Mediator<br />

nur bezeichnen, wenn sie durch geeignete Ausbildung nachweisen<br />

können, dass sie die Grundsätze des Mediationsverfahrens<br />

beherrschen. Allein schon berufspolitisch ist es<br />

kaum zu verstehen, dass die Anwaltschaft sich mit dieser<br />

überflüssigen Regelung ohne Not den Zugang zum Markt<br />

der Mediation selbst erschwert und damit Wettbewerbsnachteile<br />

gegenüber anderen Berufsgruppen geschaffen hat. Von<br />

der Satzungsversammlung als Parlament der Rechtsanwälte<br />

sollte erwartet werden dürfen, dass es die Interessen der Anwaltschaft<br />

vertritt und keine Vorschriften zu deren Nachteil<br />

beschließt.<br />

Die Regelung des § 7a BerufsO ist aber auch verfassungswidrig<br />

und wird im Fall einer Verfassungsbeschwerde beim<br />

Bundesverfassungsgericht kaum Bestand haben. Zum einen<br />

stellt sie gegenüber nichtanwaltlichen Mediatoren eine die<br />

Anwaltschaft benachteiligende Hürde auf, die es Rechtsanwälten<br />

erschwert, sich durch Werbung am Markt der Mediation<br />

zu positionieren. 14 Darin liegt ein Verstoß gegen die<br />

Vorschriften des Europäischen Wettbewerbsrechts. Des Weiteren<br />

verletzt die Norm das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20<br />

GG. Sie lässt unklar, was unter einer „geeigneten Ausbildung“<br />

zu verstehen ist. Auch erschließt sich aus ihr nicht,<br />

welche „Grundsätze des Mediationsverfahrens“ der Rechtsanwalt<br />

beherrschen muss, um mit der Bezeichnung „Mediator“<br />

werben zu dürfen. Schließlich greift § 7a BerufsO verfassungswidrig<br />

in die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte aus<br />

Art. 12 Abs. 1 GG ein, denn es ist kein Gemeinwohlinteresse<br />

erkennbar, durch das die Norm gedeckt sein könnte.<br />

Die Satzungsversammlung ist auch insoweit aufgerufen,<br />

die Regelung des § 7a BerufsO aufzuheben und damit die<br />

Wettbewerbsnachteile zu beseitigen, denen sich Rechtsanwälte<br />

ausgesetzt sehen, die Mediation betreiben und mit dieser<br />

Tätigkeit werben und Geld verdienen wollen.<br />

II. Ausblick: Zweigstelle<br />

Die 4. Satzungsversammlung wird sich in einer ihrer ersten<br />

Sitzungen möglicherweise auch mit der Einrichtung und<br />

Unterhaltung einer Zweigstelle befassen wollen, die seit dem<br />

1. Juni 2007 erlaubt ist, nachdem das bis dahin geltende<br />

Zweigstellenverbot des früheren § 28 BRAO durch das Gesetz<br />

zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft<br />

aufgehoben worden ist.<br />

Der Wegfall des Zweigstellenverbots mit Wirkung ab<br />

1. Juni 2007 führte bereits in der 7. und letzten Sitzung der<br />

3. Satzungsversammlung vom 11. Juni 2007 zu einer lebhaften<br />

Diskussion über die Frage, ob der nunmehr zulässige Betrieb<br />

einer Zweigstelle berufsrechtlich zu regeln sei. 15 So sei<br />

zu fragen, ob die Zweigstelle auf dem Briefbogen des Rechts-<br />

14 Hartung-Römermann §7aBerufsORdn.14.<br />

15 SV-Prot. 7/3 S. 25 ff.<br />

16 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191.<br />

17 So auch Römermann AnwBl 2007, 609.<br />

anwalts genannt werden müsse und wie viele Zweigstellen<br />

erlaubt seien. Für die Regelung dieser und anderer Fragen<br />

fand sich jedoch Mehrheit. Dabei sollte es verbleiben. Der<br />

Rechtsanwalt übt einen freien Beruf selbstbestimmt und unreglementiert<br />

aus, soweit Gesetz oder Berufsordnung ihn<br />

nicht besonders verpflichten. So steht es in § 1 Abs. 1 BerufsO.<br />

So hat es auch das Bundesverfassungsgericht gesehen.<br />

16 Das heißt mit anderen Worten: Was nicht ausdrücklich<br />

verboten ist, ist erlaubt.<br />

Das Gesetz regelt hierzu in § 27 Abs. 2 BRAO n. F., dass<br />

der Rechtsanwalt die Errichtung einer Zweigstelle der<br />

Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen hat und<br />

das, wenn die Zweigstelle im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer<br />

errichtet wird, dies auch dieser Rechtsanwaltskammer<br />

anzuzeigen ist. Diese gesetzliche Regelung<br />

ist ausreichend. Für eine Regelung in der Berufsordnung<br />

durch die Satzungsversammlung fehlt es zudem in § 59b<br />

BRAO an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die<br />

4. Satzungsversammlung sollte sich dieser Rechtslage bewusst<br />

sein und etwaigen Bestrebungen, für die Zweigstelle<br />

berufsrechtliche Regelungen aufzustellen, erneut eine Absage<br />

erteilen. 17<br />

Dr.WolfgangHartung,Mönchengladbach<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Herausgeber des<br />

in 3. Auflage erschienenen Kommentars<br />

„Anwaltliche Berufsordnung“ aus dem Verlag C.H.Beck.<br />

Reparaturbedarf in der BORA, Hartung AnwBl 11 / 2007 753


MNKommentar<br />

Die vierte Satzungsversammlung ist gewählt.<br />

Man weiß nichts Gesichertes,<br />

wie Wahlerfolge Einzelner erreicht<br />

oder verhindert wurden. Es soll aber<br />

zum ersten Mal taktisch gewählt worden<br />

sein. Taktisch wählen konnte man.<br />

Man musste ja nicht alle möglichen<br />

Stimmen abgeben, sondern konnte die<br />

Stimmabgabe reduzieren und dadurch<br />

der eigenen Stimme ein größeres Gewicht<br />

geben. Der Prozentsatz der gewählten<br />

jungen Anwältinnen und Anwälte<br />

ist gestiegen sein. Erstaunliche<br />

Wahlniederlagen soll es geben – und<br />

überraschende Erfolge. Kammerpräsidenten<br />

bemühten sich wiederum mit<br />

Erfolg, gewählt zu werden; das durch<br />

die BRAO bereits vermittelte Teilnahme-<br />

und Rederecht reicht ihnen<br />

nicht. Zusammengefunden hat sich die<br />

neue Satzungsversammlung noch<br />

nicht. Man darf aber gespannt und<br />

neugierig sein.<br />

Und dann der Schwanengesang<br />

von Kleine-Cosack im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

2007, 409. Aber Schwanengesang ist<br />

die falsche Metapher. Man kann<br />

Kleine-Cosack schlecht mit einem<br />

Schwan vergleichen. Vielleicht ist es<br />

eher der grelle Ruf der Kassandra. Die<br />

Satzungsversammlung habe nichts<br />

mehr zu tun. Für die Mitglieder gelte<br />

alles andere als ein drohender „Burnout“.<br />

Richtiger sei es, von einem „Boreout“<br />

zu sprechen, was Kleine-Cosack<br />

wie folgt erläutert: „Die von dieser<br />

Krankheit Infizierten leiden an akuter<br />

Unterforderung, schwerem Desinteresse<br />

an ihrer Arbeit und langweilen<br />

sich (englisch: to bore) am Schreibtisch<br />

zu Tode.“ Also könnte man auch sagen:<br />

Die gewählte Satzungsversammlung,<br />

ein Rudel Lemminge, die blindwütig<br />

754 AnwBl 11 / 2007<br />

Langeweile zu Tode<br />

oder Kurzweile der<br />

Kommunikation<br />

Dr. Michael Streck, Köln<br />

Rechtsanwalt, Mitglied der vierten Satzungsversammlung,<br />

Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (1998 bis 2003)<br />

zwar nicht in ihren Meerestod, aber in<br />

ihren Langeweile-Tod rennen.<br />

Ich habe mich ein drittes Mal zur<br />

Wahl gestellt, und zwar in Kenntnis<br />

dessen, was Kleine-Cosack schrieb und<br />

ständig von sich gibt. Ich teile seine<br />

Meinung nicht. Sie ist falsch, abgrundtief<br />

falsch. Und im Übrigen hat gerade<br />

er einerseits für mich den Grund geliefert,<br />

warum ich mich wieder zur Wahl<br />

gestellt habe, und zum anderen bedachte<br />

er selbst diesen Grund nicht, als<br />

er darauf verzichtete, sich in Feiburg –<br />

seiner Rechtsanwaltskammer – wieder<br />

zur Wahl zu stellen. Er wäre sicher gewählt<br />

worden.<br />

„Die Satzungsversammlung<br />

vereinigt alle Strömungen<br />

der Anwaltschaft.“<br />

Langweilt sich die künftige Satzungsversammlung<br />

zu Tode? Wenn ich<br />

zurückblicke, gibt es Themen, die alles<br />

andere als Langeweile versprechen. Die<br />

Diskussion um die Fachanwaltschaft<br />

ist nicht in der dritten Satzungsversammlung<br />

beendet worden. Dort hat<br />

ein Ausschuss hervorragende Arbeit<br />

geleistet, dessen Ergebnis ich nicht billige,<br />

was nicht die Qualität der Arbeit<br />

berührt. Die Anträge zur Berufsordnung<br />

zeigen, dass von Arbeitslosigkeit<br />

keine Rede sein kann. Und im Übrigen<br />

ist hier nicht mein Anliegen,<br />

buchhalterisch über Zuständigkeiten<br />

zu streiten. Die Satzungsversammlung<br />

hat Sachthemen, die bereits deshalb<br />

faszinierend sind, weil ständig darüber<br />

diskutiert wird, ob es überhaupt eine<br />

eigene Zuständigkeit gibt – was die<br />

Meinungsbildung eher fördert als hindert.<br />

Die Satzungsversammlung ist der<br />

einzige Ort, wo sich alle Strömungen<br />

der Anwaltschaft treffen. Hier diskutieren<br />

die Großsozietäten mit den kleinen<br />

Sozietäten, die Konservativen mit den<br />

Progressiven, die Anwälte mit den Anwältinnen,<br />

die extrem liberalen mit den<br />

extrem gebundenen, die dem Kammerwesen<br />

verschworenen und die den<br />

freien Anwaltsverband zugeneigten.<br />

Und das waren für mich außerordentlich<br />

bereichernde Erfahrungen der letzten<br />

Jahre. Und das ist der zentrale<br />

Grund, warum ich mich zur Wahl gestellt<br />

habe. Nirgendwo kann ich so mit<br />

großer Aufmerksamkeit die interne<br />

Auseinandersetzung und Kommunikation<br />

der Anwaltschaft erfahren. Und<br />

das wird sich in der vierten Satzungsversammlung<br />

fortsetzen. Und deshalb<br />

bin ich neugierig auf jede Tagung dieser<br />

Versammlung. Und deshalb ist sie<br />

gerade das Gegenstück der Langeweile,<br />

sondern eine große, erwartete Kurzweil<br />

(dies nicht nur als Unterrichtung, sondern<br />

auch als Unterhaltung verstanden).<br />

Und das Kleine-Cosack fehlen wird,<br />

schmerzt. Denn er war in allen Satzungsversammlungen<br />

ein Kollege, an<br />

dem die Diskussion entbrannte.<br />

Ich weiß, dass das Argument der<br />

Kosten in der Satzungsversammlung<br />

eine Rolle spielt. Die Kosten trägt die<br />

Bundesrechtsanwaltskammer, die Reisekosten<br />

der einzelnen Mitglieder tragen<br />

die örtlichen Kammern. Über diesen<br />

Kostenaufwand kann man<br />

räsonieren, aber nicht, wenn man gerade<br />

gewählt ist. Denn die Wahl zur<br />

Satzungsversammlung ist verpflichtend<br />

und alles andere sind Rechtsfolgen.<br />

Und ich ändere nichts an diesen<br />

Rechtsfolgen, wenn ich mich nicht zur<br />

Wahl stelle.<br />

Fazit: Ich bin neugierig auf die<br />

vierte Satzungsversammlung.


MNThema<br />

Jünger, weiblicher und zwei Drittel wählen nicht<br />

Die Wahlen zur vierten Satzungsversammlung: Wahlbeteiligung, die Namen der 158 Mitglieder<br />

und Hintergründe zu den Wahlen in den Kammbezirken<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

Haben Sie es gemerkt? Die neue Satzungsversammlung mit<br />

ihren 158 stimmberechtigten Mitgliedern ist gewählt worden.<br />

Bei gerade knapp 35 Prozent lag die Wahlbeteiligung –<br />

trotz der bequemen Möglichkeit der Briefwahl. Die Satzungsversammlung<br />

ist – obwohl immer wieder plakativ so bezeichnet<br />

– kein Parlament. Sie kann nur im beschränkten Rahmen<br />

der Ermächtigung des § 59b BRAO Satzungsrecht<br />

setzen. Als bundesweit gewähltes Organ hat sie gleichwohl<br />

eine besondere Stellung in der anwaltlichen Selbstverwaltung.<br />

Zu ihrer konstituierenden Sitzung wird die vierte<br />

Satzungsversammlung am 18. Januar 2008 zusammentreten.<br />

144.216 Anwältinnen und Anwälte waren für die vierte Satzungsversammlung<br />

wahlberechtigt. 38.927<br />

machten sich die Mühe, ihre Stimme per<br />

Brief abzugeben. Das entspricht einer Wahlbeteiligung<br />

von gerade 34,64 Prozent. Wäre<br />

die Satzungsversammlung tatsächlich das<br />

„Anwaltsparlament“, wie sie immer wieder<br />

irreführend genannt wird, dann müsste man<br />

erschreckt darüber sein, dass gut zwei Drittel<br />

der Anwaltschaft von ihrem Wahlrecht keinen<br />

Gebrauch machen.<br />

Nun ist die Rechtssetzungsgewalt der Satzungsversammlung<br />

– in diesem Zusammenhang<br />

möchte man sagen zum Glück – überschaubar.<br />

Dennoch werden in der<br />

Satzungsversammlung wichtige berufsrechtliche<br />

Weichen gestellt. Dazu gehören nicht<br />

nur Fragen der Interessenkollision und des<br />

anwaltlichen Werberechts in der Berufsordnung<br />

der Rechtsanwälte, sondern nicht zuletzt<br />

das Fachanwaltssystem. Im Rahmen der<br />

Ermächtigung des § 43c BRAO regelt die<br />

Fachanwaltsordnung den Zugang zu Fachanwaltstiteln,<br />

die Fortbildung sowie Zahl<br />

und Zuschnitt der Fachanwaltschaften (zu<br />

den Aufgaben der Satzungsversammlung<br />

siehe AnwBl 2007, 118 f). Wählen hätte also<br />

Sinn gehabt.<br />

Wahlbeteiligung in den Kammerbezirken<br />

Bei der Wahlbeteiligung in den einzelnen<br />

Kammerbezirken lässt sich ein gewisser<br />

Trend ablesen: Je kleiner die Kammer, desto<br />

größer ist die Wahlbeteiligung. Die Wahlbeteiligung<br />

unter den (zum Zeitpunkt der<br />

Wahl noch 31) BGH-Anwälten einmal außen<br />

vorgelassen, da sie mit 93,55 % zeigt, dass es<br />

dort wieder mal anders als überall sonst zugeht,<br />

kamen die Spitzenwerte aus den kleinen<br />

Kammerbezirken Bremen, Kassel,<br />

Tübingen und Sachsen-Anhalt. Hier lag die<br />

Wahlbeteiligung um die 50%. Die großen Kammerbezirke<br />

Frankfurt (20,05 Prozent), Hamburg (25,09 Prozent), Hamm<br />

(26,62 Prozent), Köln (25,57 Prozent) und München I und II<br />

(22,74 Prozent) liegend deutlich niedriger. Mit großem Abstand<br />

Schlusslicht ist Berlin mit einer Wahlbeteiligung von<br />

gerade einmal 11,6 Prozent. Das entspricht 1.308 Wahlbriefen<br />

für zwölf Mitglieder der Wahlversammlung – oder anders<br />

gewendet: In Berlin mit 11.292 Wahlberechtigten reichten<br />

noch 379 Stimmen für einen Platz in der<br />

Satzungsversammlung. In Bremen mit 1.733 Wahlberechtigten<br />

und 878 Wahlbriefen waren 504 Stimmen notwendig.<br />

Doch wem haben diejenigen, die gewählt haben, ihre<br />

Stimme gegeben? Ein Blick in die Übersicht auf Seite 756 f.<br />

Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski AnwBl 11 / 2007 755


MN Thema<br />

Rechtsanwaltskammer<br />

(RAK)<br />

Wahlberechtigte Wahlbriefe Wahlbeteiligung<br />

in %<br />

Gesamt 144.216 38.927 34,64<br />

verrät zunächst einmal die Namen. Daraus wird zuerst deutlich,<br />

dass es in der 4. Satzungsversammlung viele neue Gesichter<br />

geben wird. Denn fast die Hälfte der Mitglieder ist<br />

neu (74 der 158 Mitglieder).<br />

Jünger und weiblicher<br />

Wie setzt sich die neu gewählte Satzungsversammlung aber<br />

strukturell zusammen? Verändert hat sich im Vergleich zur<br />

letzten Wahl im Jahr 2003 das Verhältnis von Männern und<br />

Frauen. Lag 2003 der Anteil der Anwältinnen noch bei 26 %,<br />

ist der Anteil nun auf 34 % gestiegen. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwältinnen des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, die sich<br />

für eine stärkere Beteiligung von Anwältinnen in dem Gremium<br />

stark gemacht hatte, kann dies als Fortschritt verbuchen.<br />

Und eine weitere Gruppe dürfte nicht unzufrieden<br />

sein: Die jüngeren Kollegen. Das Forum Junge Anwaltschaft<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> hatte bei den Wahlen Kandidatinnen<br />

und Kandidaten aus den eigenen Reihen unterstützt.<br />

Von diesen haben es immerhin 17 in die Satzungsversammlung<br />

geschafft und dies teilweise mit beachtlichen Einzelergebnissen.<br />

Die Forumsmitglieder stellen damit gut ein<br />

Zehntel der stimmberechtigten Mitglieder und – um das Par-<br />

Mitglieder<br />

(in der Reihenfolge der Stimmergebnisse)<br />

BGH 31 29 93,55 Dr. Thomas von Plehwe<br />

Bamberg 2.548 872 34,20 Gregor Böhnlein, Monika Träger, Wolfgang Baumann<br />

Berlin 11.292 1.308 11,58 Ulrich Schellenberg, Ulrike Zecher, Bernd Häusler, Dr. Hans-Michael Giesen,<br />

Stefanie Brielmaier, Eva Pätzold, Edith Kiefer, Silvia Groppler, Harald Remé,<br />

Monika Risch, Hansgeorg Birkhoff, Jürgen Tribowski<br />

Brandenburg 2.233 634 28,40 Dr. Thomas Jürgens, Dr. Dirk Engel, Olaf Baur<br />

Braunschweig 1.559 558 35,80 Martina Pfeil, Stefan Ebeling<br />

Bremen 1.733 878 50,70 Dr. Rembert Brieske, Edith Kindermann<br />

Celle 5.435 1.681 30,93 Dieter Ebert {, Dr. Thomas Remmers, Gabriele Küch, Margarete Fabricius-Brand,<br />

Friedrich-Eckart Klawitter, Katja Keul, Dr. Norbert Joachim<br />

(Nachrücker)<br />

Düsseldorf 10.417 2.659 25,52 Herbert Schons, Christiane Vohmann, Dr. Klaus E. Böhm, Dr. Susanne Offermann-Burckart,<br />

Lothar Lindenau, Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Karin Holloch,<br />

Dr. Rainer Maschmeier, Dr. Klaus Lohmar, Dr. Karl-Heinz Göpfert, Dr. Dietrich Max<br />

Frankfurt 15.516 3.112 20,05 Hans-Peter Benckendorff, Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Dr. Claudia Junker<br />

LL.M. (Cornell), Dr. Rudolf Lauda, Antje Boldt, Dr. Helga Pense,<br />

Dr. Leona Brunhilde Haack, Heide Krönert-Stolting, Dr. Rainer Wieland,<br />

Dr. Thomas Gasteyer, Kerstin Müller, Prof. Dr. Dr. Dr. Lutz Simon, Wolfgang<br />

Greilich, Kurt Degenhard, Petra Maria Müller<br />

Freiburg 3.247 912 28,08 Sabine Geistler, Dominik Hammerstein, Hedwig Hanhörster, Christoph Möller<br />

Hamburg 8.188 2.054 25,09 Otmar Kury, Hartmut Scharmer, Corinna Struck, Dr. Henning von Wedel,<br />

Dr. Kai Greve, Thomas Bliwier, Dr. Werner Neubauer, Friedrich Engelke,<br />

Nikolaus Piontek<br />

Hamm 12.822 3.414 26,62 Dr. Dieter Finzel, Dr. Rita Höing-Dapper, Dr. Katja Mihm, Sibylle Böttger,<br />

Marion Meichsner, Annette Rüb, Peter Bohnenkamp, Dietrich Meißner,<br />

Christoph Meyer-Schwickerath, Jochen Wiegand, Frank Gladisch,<br />

Annette Frommhold-Merabet, Kerstin Friebertshäuser-Kauermann<br />

Karlsruhe 4.269 1.101 25,79 Silke Klein, Walter Becker, Andreas Wolff, Thomas Väth, Hartmut Stegmaier<br />

Kassel 1.631 799 48,98 Dr. Volker Klippert, Dr. Martina Rottmann<br />

lamentsbild zu bemühen – haben damit Fraktionsstärke erreicht.<br />

Auch die Großkanzleien scheinen an der Satzungsversammlung<br />

nicht spurlos vorbeigehen zu wollen. Immerhin<br />

finden sich unter den Gewählten etwas mehr als zehn Anwältinnen<br />

und Anwälte aus internationalen oder nationalen<br />

Großkanzleien. Das ist absolut gesehen zwar keine hohe<br />

Zahl, zeigt aber, dass auch die ganz Großen bei der Einrichtung<br />

neuer Fachanwaltschaften und beim Zugang zum Fachanwaltstitel<br />

ein Wörtchen mitreden wollen.<br />

Die meisten sind Fachanwälte<br />

Und da die Satzungsversammlung gerade im Bereich der<br />

Fachanwaltschaften über Gestaltungsbefugnisse verfügt, verwundert<br />

es nicht, dass 58 % aller Gewählten selbst über einen<br />

oder mehrere Fachanwaltstitel verfügen. Den einen oder<br />

anderen mag da die Befürchtung beschleichen, hier könnten<br />

Fachanwälte für Zugangshürden zu den Fachanwaltschaften<br />

sorgen wollen. Doch die Umwandlung des Fachanwaltssystems<br />

in einen „Closed-Shop“ dürfte kaum zu befürchten<br />

sein, zumal die Satzungsgewalt der Satzungsversammlung<br />

hierfür gar nicht weit genug reicht.<br />

756 AnwBl 11 / 2007 Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski


MN Thema<br />

Rechtsanwaltskammer<br />

(RAK)<br />

Wahlberechtigte Wahlbriefe Wahlbeteiligung<br />

in %<br />

Schließlich ist auch der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Hartmut Kilger (bestes Ergebnis im Kammerbezirk<br />

Tübingen) und aus dem DAV-Präsidium Dr. Rembert Brieske<br />

(Bremen) und Dr. Michael Streck (Köln) vertreten. Die Präsidenten<br />

der örtlichen Rechtsanwaltskammern müssen nicht<br />

in die Satzungsversammlung gewählt werden, weil sie dort<br />

hinein geboren werden (man spricht in diesem Zusammenhang<br />

tatsächlich von geborenen Mitgliedern). Dieses Geburtsrecht<br />

geht allerdings nicht mit einem Stimmrecht einher,<br />

weswegen sich auch dieses mal wieder einige<br />

Präsidenten örtlicher Kammern in die Satzungsversammlung<br />

haben wählen lassen. Um genau zu sein: Sieben von<br />

27 regionalen Kammern. Daneben haben sich auch acht Geschäftsführer<br />

örtlicher Kammern wählen lassen – wäre die<br />

Satzungsversammlung ein echtes Parlament, dann käme<br />

man an einer Inkompatibilitätsdebatte wohl kaum vorbei.<br />

Vorsitzender der Satzungsversammlung ist der Präsident<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Mit der Wahl von<br />

Rechtsanwalt Axel C. Filges Mitte September auf der Hauptversammlung<br />

der BRAK ist damit die neue Satzungsversammlung<br />

nun endgültig komplett. Sie wird zur ersten,<br />

konstituierenden Sitzung am 18. Januar 2008 in Berlin zu-<br />

Mitglieder<br />

(in der Reihenfolge der Stimmergebnisse)<br />

Koblenz 3.125 1.064 34,05 JR Dr. Rolf Schneider, JR Dr. Hans Gert Dhonau, Verena Schnatterer,<br />

Karl Otto Armbrüster<br />

Köln 11.458 2.930 25,57 Dr. Hubert van Bühren, Dr. Rainer Klocke, Dr. Peter Thümmel, Dr. Michael Streck,<br />

Dr. Heike Glahs, Yvonne Batzdorf, Marion Praceius, Dr. Claus Recktenwald,<br />

Ulrike Schramm, Albert Vossebürger, Harald Klinke, Frank Grävert<br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

1.605 661 41,18 Juliane Eifler, Hans-Jörg Schüler<br />

München I + II 17.544 3.989 22,74 Wahlkreis I<br />

Sabine Feller, Hansjörg Staehle, Ottheinz Kääb, Petra Heinicke,<br />

Dr. Wieland Horn, Florian Kempter, Regina Rick, Martin Lang,<br />

Dr. Frank Remmertz, Andrea Hellmann, Gudrun Fischbach<br />

Wahlkreis II<br />

Anne Riethmüller, Dr. Werner Scheuer, Andreas Dietzel, Dr. Heinrich Thomas<br />

Wrede, Harald Seiler, Helmut Müller, Klaus P. Wittmann<br />

Nürnberg 4.149 1.248 30,08 Hans Link, Silvia Denk, Fritz Weißenfels, Dr. Joachim Reitenspiess,<br />

Heinz Plötz<br />

Oldenburg 2.490 768 30,85 Jan J. Kramer, Fritz Graf, Wolfgang Schwackenberg<br />

Saarbrücken 1.362 441 32,38 JR Eberhard Gelzleichter, Volker Schuh<br />

Sachsen 4.448 1.558 35,00 Nadja Straube, Gabriele Wagner, Astrid Janowski, Dr. Gerhard Baatz,<br />

Stefan Paul<br />

Sachsen-Anhalt 1.804 892 49,45 Lothar Haferkorn, Stefan Richter<br />

Schleswig-<br />

Holstein<br />

3.538 1.036 29,28 Dr. Wolfgang Manfred Weißleder, Dr. Michael Purrucker, Thomas Elvers,<br />

Jürgen Doege<br />

Stuttgart 6.476 2.194 33,87 Dr. Alexandra Schmitz, Ines Schwarz, Frank E.R. Diem, Dr. Martin Diller,<br />

Harald Bofinger, Dr. Stefan Mühlbauer, Georg Cless<br />

Thüringen 1.958 806 41,16 Ralf Seeler, Christian Meier<br />

Tübingen 1.942 967 49,80 Hartmut Kilger, Hans-Christoph Geprägs<br />

Zweibrücken 1.396 407 29,15 Sabine Wagner, Gabriele Becker<br />

sammenkommen. Die Satzungsversammlung wird dann<br />

Ausschüsse bilden und für vier Jahre arbeiten. Welche Auswirkungen<br />

die neue Zusammensetzung der Satzungsversammlung<br />

auf deren Arbeit haben werden, wird abzuwarten<br />

bleiben. Eines wird der Satzungsversammlung jedenfalls<br />

nicht schaden. Unter den gewählten Mitgliedern befindet<br />

sich eine Rechtsanwältin, die über eine gewinnbringende<br />

Zusatzqualifikation verfügt: Sie ist Diplompsychologin.<br />

Manfred Aranowski, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied der Geschäftsführung<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />

Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski AnwBl 11 / 2007 757


MNGastkommentar<br />

19.45 Uhr ist für so einen Anruf der<br />

Bundesanwaltschaft genau die richtige<br />

Zeit. Das reicht noch für eine Meldung<br />

in der Tagesschau. „Wir haben zwei<br />

Verdächtige in Potsdam festgenommen“,<br />

hieß es an jenem Abend im<br />

April 2006.<br />

Zur Erinnerung: Am Ostersonntag<br />

wird der Deutsch-Äthiopier Ermyas M.<br />

in Potsdam mit einem Faustschlag niedergestreckt<br />

und liegt mit lebensgefährlichen<br />

Verletzungen zwei Wochen<br />

im Koma. Zufällig zeichnet seine<br />

Mailbox mit, was die Täter ihm auf den<br />

Weg gaben: „Scheißnigger“. Die vermeintlichen<br />

„No-go-areas“ im Osten<br />

haben gerade die Runde gemacht. Generalbundesanwalt<br />

Nehm übernimmt<br />

die Ermittlungen. Kurz vor Beginn der<br />

Fußball-WM schaut Deutschland nach<br />

Potsdam.<br />

Am nächsten Morgen auf dem<br />

BGH-Gelände. An Hubschrauber und<br />

vorgeführte Verdächtige sind wir in<br />

Karlsruhe gewöhnt. Doch dieser Anblick<br />

lässt den Kameramann und mich<br />

zusammenzucken. Wir haben die beiden<br />

genau vor der Linse. Zwei kahlgeschorene<br />

Männer in orangefarbenen<br />

Overalls steigen langsam aus, mit Augenbinden,<br />

Ohrenschutz und Handfesseln,<br />

begleitet von maskierten Beamten.<br />

Kurze Zeit später schicken wir die Bilder<br />

(verfremdet) über den Bildschirm, jeder<br />

Sender übernimmt sie sofort. „Mensch,<br />

das sieht ja aus wie in Guantanamo“, so<br />

die spontane Reaktion einer Tagesschauredakteurin.<br />

Am Abend erlässt der<br />

BGH Haftbefehl. Dringender Tatverdacht:<br />

versuchter Mord.<br />

Gut ein Jahr später. Der Generalbundesanwalt<br />

hat die Ermittlungen<br />

schon lange wieder abgegeben. Die Anklage<br />

ist auf gefährliche Körperverlet-<br />

758 AnwBl 11 / 2007<br />

Der Fall Ermyas M.<br />

–ein(selbst-)<br />

kritischer Rückblick<br />

Frank Bräutigam, Karlsruhe<br />

SWR Fernsehen, Recht und Justiz<br />

zung und unterlassene Hilfeleistung<br />

geschrumpft. Nach 20 Verhandlungstagen<br />

vor dem Landgericht Potsdam im<br />

Juni 2007: Freispruch aus Mangel an<br />

Beweisen. Ein klassischer Fall für den<br />

Zweifelssatz. Freispruch! Sofort kommen<br />

mir die „Guantanamo-Bilder“ aus<br />

Karlsruhe wieder in den Sinn. Welch<br />

krasser Gegensatz.<br />

Die Stimmgutachten können die<br />

hohe Stimme eines Verdächtigen dem<br />

Mailbox-Mitschnitt nicht eindeutig zuordnen.<br />

Ermyas M. als Nebenkläger akzeptiert<br />

das Urteil.<br />

„Schlimm ist, dass die<br />

wahren Täter weiter frei<br />

herumlaufen.“<br />

Doch dann kommt noch sie ins Spiel.<br />

Der Vorsitzende Richter beklagt sie, die<br />

allgemeine Hysterie, die nicht gut gewesen<br />

sei, damals nach der Tat. Auch<br />

der Anwalt des Opfers findet, die<br />

öffentliche Aufregung sei zwar gut gemeint,<br />

aber kontraproduktiv gewesen.<br />

Große Teile des Blätterwaldes schließen<br />

sich an. Ganz klar, von Anfang an<br />

wurde der gesamte Fall viel zu sehr aufgebauscht.<br />

Ja, von wem denn wohl?<br />

Es macht sich immer sehr gut, pauschal<br />

die Hysterie nach einer Tat zu beklagen.<br />

Wer so spricht, schreibt, sendet,<br />

egal ob in Justiz oder Medien,<br />

macht es sich aber zu einfach. Im<br />

Nachhinein ist klar, dass vieles übertrieben<br />

war. Genau, im Nachhinein.<br />

Ein (selbst)kritischer Rückblick ist angebracht.<br />

Entscheidend, finde ich,<br />

muss die Situation „ex ante“ sein: Kurz<br />

vor der Fußball-WM in Deutschland<br />

(„Die Welt zu Gast bei Freunden“).<br />

Eine Reihe ausländerfeindlicher Über-<br />

griffe hat es bereits gegeben. In dieser<br />

Situation wird ein Schwarzer mit den<br />

Worten „Scheißnigger“ fast zu Tode geschlagen.<br />

Zeugen wollen auf der Mailbox<br />

die Stimme eines Verdächtigen erkannt<br />

haben.<br />

Das ist eine Lage, in der sich die<br />

Nation Sorgen machen darf und die<br />

Justiz gefragt ist.<br />

Das ist eine Lage, in der der Generalbundesanwalt<br />

die Sache prüfen darf.<br />

Gefragt sind schnelle Entscheidungen.<br />

Wie wäre wohl die Reaktion gewesen,<br />

wenn die Justiz zögerlich gehandelt<br />

hätte? Rasch wäre sie „auf dem rechten<br />

Auge blind“ gewesen.<br />

Auch die Anklage in Potsdam<br />

scheint nicht abwegig gewesen zu sein,<br />

sonst hätte das Landgericht sie nicht<br />

zugelassen. Ein Freispruch ist das korrekte<br />

Ergebnis, wenn die Beweise letztlich<br />

nicht reichen. Ob selbst Worte wie<br />

„Scheißnigger“ einen fremdenfeindlichen<br />

Hintergrund der Tat nicht eindeutig<br />

beweisen, wie das Gericht meint,<br />

mag jeder selbst beurteilen. Natürlich<br />

wurde das Ganze auf dem Rücken der<br />

Angeklagten ausgetragen. Doch waren<br />

zumindest ausreichende Indizien vorhanden.<br />

Wo ist dann die Alternative?<br />

Schlimm ist, dass die wahren Täter weiter<br />

frei herumlaufen.<br />

Was kann man also lernen aus dem<br />

Fall Ermyas M.?<br />

Ja, es ist auch bei schlimmen Fällen<br />

nötig, Besonnenheit zu wahren, und<br />

nicht einfach mitzuschwimmen auf<br />

der Empörungswelle. Das gilt für uns<br />

Medien und die Justiz.<br />

Ja, die Verdächtigen wurden möglicherweise<br />

übertrieben streng vorgeführt.<br />

Aber auch: Ja, bei rechtsradikaler<br />

Gewalt darf ein Volk Solidarität zeigen,<br />

und die Medien müssen das transportieren.<br />

Es darf konsequent ermittelt<br />

werden, wenn ein Schwarzer mit den<br />

Worten „Scheißnigger“ beinahe tot geprügelt<br />

wird.<br />

Was mir widerstrebt, ist eine Besserwisserei<br />

im Nachhinein, angereichert<br />

mit einem Hauch Überheblichkeit,<br />

ganz gleich von welcher Seite. Hysterie<br />

geschürt? Haben nur die anderen.<br />

Ob wir die Lehren tatsächlich ziehen<br />

– Bewährungsproben gibt es reichlich.<br />

Mal sehen, was aus der „Verfolgungsjagd“<br />

auf eine Gruppe von Ausländern<br />

im sächsischen Mügeln wird.<br />

Wieder ist „Hysterie“ ausgebrochen.<br />

Ob es am Ende zu Verurteilungen<br />

kommen wird? Falls nicht – mal<br />

ehrlich: haben wir doch von Anfang an<br />

gewusst, oder?


MNAus der Arbeit des DAV<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

759 Europatag der Freien Verbände:<br />

Kommerzialisierung der Freien Berufe:<br />

Wo liegen die Grenzen?<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

761 DAV-Pressemitteilung<br />

Kein Schutz des Berufsgeheimnisses für<br />

Syndikusanwälte<br />

Anmerkung zum Akzo Nobel-Urteil<br />

761 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben<br />

9 GmbH-Reform<br />

9 Änderung des ArbGG<br />

9 Erb- und Verjährungsrecht<br />

9 Neuer Beruf: „Legal Assistant“<br />

9 Jugendstrafvollzugsgesetz<br />

9 Rechtliches Gehör<br />

762 AG Mietrecht und Immobilien<br />

Von50auf2.000inzehnJahren<br />

Zehnjähriges Jubiläum der AG<br />

Rechtsanwältin Dr. Katharina Freytag, Berlin<br />

763 Landesverband Hessen<br />

Patientenverfügung: Wunsch und Wirklichkeit<br />

Parlamentarischer Abend<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

764 Landesverband Sachsen-Anhalt<br />

Fortbildung, Diskussion, Begegnung<br />

6. Landesanwaltstag<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

764 DAV-Landesverbände<br />

Landesverbandskonferenz 2007<br />

764 Freiburger <strong>Anwaltverein</strong> und<br />

Forum Junge Anwaltschaft<br />

Anwälte denken schneller als sie laufen<br />

Rechtsanwältin Anke Hertle, Freiburg i. Br.<br />

765 Deutsche Anwaltakademie<br />

DasPferdalsMandatsbringer<br />

Rechtsanwalt Daniel von Bronewski, Berlin<br />

765 Personalien<br />

Neue Vorsitzende / Ehrennadel verliehen /<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Kommerzialisierung der Freien<br />

Berufe: Wo liegen die Grenzen?<br />

Europatag der Freien Verbände in Brüssel: EU-Kommission zu ihren<br />

Plänen zur Liberalisierung der Berufsrechte<br />

Die Freien Berufe gehören zu den reguliertesten<br />

Berufen in der EU. Das<br />

sieht die EU-Kommission – trotz zahlreicher<br />

Lockerungen gerade im anwaltlichen<br />

Berufs- und Vergütungsrecht in<br />

Deutschland– seit langem kritisch.<br />

Doch wie viel Wettbewerb verkraften<br />

die Freien Berufen? In Brüssel richtete<br />

im September der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

zusammen mit dem Deutschen<br />

Steuerberaterverband und dem Freien<br />

Verband <strong>Deutscher</strong> Zahnärzte den ersten<br />

Europatag der Freien Verbände aus.<br />

Mehr als 150 Teilnehmer kamen.<br />

Kein Wildwuchs bei der Werbung<br />

Das strikte Werbeverbot für deutsche<br />

Anwälte ist bereits vor zwanzig Jahren<br />

gefallen. Doch der befürchtete Wildwuchs<br />

ist ausgeblieben: „Der Berufsstand<br />

ist verantwortlich mit der Werbung<br />

umgegangen“, sagte Hartmut<br />

Kilger, Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

in Brüssel. Ginge es nach<br />

dem DAV, werde anwaltliche Werbung<br />

ausschließlich durch das UWG geregelt.<br />

„Auch eine Vorschrift wie § 43c<br />

BRAO brauchen wir nicht“, sagte Kilger.<br />

Selbst marktschreierische Werbung<br />

müsse nicht verboten sein. Sie<br />

sei ohnehin zwecklos: „Der Verbraucher<br />

merkt, wenn Eigenlob stinkt.“<br />

Eine überraschende Erkenntnis für<br />

die EU-Kommission in Brüssel: Die<br />

Präsidenten der Freien Verbände zeigten<br />

sich zukunftsorientierter als von ihnen<br />

erwartet. Nicht jede berufs- oder<br />

vergütungsrechtliche Vorschrift sei ihnen<br />

wichtig, betonte nicht nur Kilger,<br />

sondern auch der Präsident des Deutschen<br />

Steuerberaterverbandes Jürgen<br />

Pinne und der Bundesvorsitzende des<br />

Freien Verbands <strong>Deutscher</strong> Zahnärzte<br />

Dr. Karl-Heinz Sundmacher. Allerdings:<br />

Wenn es an den Kern der Ausübung<br />

des Freien Berufs gehe, müsse<br />

sehr wohl geprüft werden, ob Regelungen<br />

erforderlich seien. Die Orientierung<br />

am Gewinn dürfe nicht einziges<br />

Kriterium der Berufsausübung sein.<br />

Bei der Werbung hat Deutschland<br />

längst Werbefreiheit. „Die Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgericht<br />

wird von den Berufsträgern akzeptiert“,<br />

sagte Dr. Reinhard Gaier, Richter des<br />

Bundesverfassungsgerichts. Das Sachlichkeitsgebot<br />

in den Berufsrechten<br />

lasse natürlich emotionale Elemente zu<br />

– und damit gebe es auch gegen eine<br />

Imagewerbung durch Sponsoring<br />

keine Bedenken. „Das ist das Salz in<br />

der Suppe“, meinte Gaier. Die Grenze<br />

liege erst bei der Irreführung der Verbraucher.<br />

Fremdbesitzverbot<br />

Strikte Grenzen kennen die Berufsrechte<br />

der Freien Berufe dagegen fast<br />

überall in Europa beim Fremdbesitz.<br />

Nur die in der Gesellschaft aktiven Berufsträger<br />

können auch Gesellschafter<br />

sein. Maria Martin-Prat von der EU-<br />

Kommission wies darauf hin, dass die<br />

EU-Staaten bei der Umsetzung der<br />

Dienstleistungsrichtlinie bis Ende 2009<br />

auch die Fremdbesitzverbote prüfen<br />

werden müssen. Diese seien grundsätzlich<br />

unzulässig, könnten aber aufgrund<br />

einer Öffnungsklausel unter gewissen<br />

Umständen von den EU-Staaten gerechtfertigt<br />

werden. „Wir werden das<br />

genau beobachten“, kündigte sie an.<br />

Wo die Reise hingehen könnte, ließ sie<br />

offen. „Gewisse Beschränkungen sind<br />

für gewisse Berufe denkbar“, sagte sie.<br />

Gleichzeitig verwies sie auf die EuGH-<br />

Rechtsprechung zu Optikern in Griechenland.<br />

Dort seien Fremdbesitzverbote<br />

gekippt worden.<br />

„Kommerzialisierung: Nein,<br />

Professionalisierung: Ja.“<br />

Einen klaren Standpunkt nahm dagegen<br />

Prof. Dr. Martin Henssler von der<br />

Universität Köln ein: „Wir brauchen<br />

keine Aufweichung des Berufsrechts“,<br />

sagte Henssler. Die Fremdbesitzverbote<br />

bei den Anwälten sicherten deren Unabhängigkeit.<br />

Diese Regelung verstieße<br />

– auch wenn die Freiheit des Kapitalverkehrs<br />

dadurch eingeschränkt werde<br />

– nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Der<br />

nationale Gesetzgeber habe einen Ermessensspielraum,<br />

um auf die Gefährdung<br />

der anwaltlichen Unabhängigkeit<br />

durch Fremdbesitz zu reagieren. Nur<br />

wenige Ausnahmen vom Fremdbesitzverbot<br />

seien sinnvoll, so zum Beispiel<br />

für ehemals aktive Berufsträger. Ähnlich<br />

unproblematisch sei es, Mitarbei-<br />

AnwBl 11 / 2007 759


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

tern aus dem Kanzleimanagement eine<br />

unternehmerische Beteiligung zu<br />

ermöglichen. Henssler begründete das<br />

knapp: „Kommerzialisierung: Nein,<br />

Professionalisierung: Ja.“<br />

Mindestgebühren<br />

Doch die EU-Kommission nimmt nicht<br />

nur die Fremdbesitzverbote unter die<br />

Lupe. Auch die Regelungen im RVG zu<br />

den Mindestgebühren für die anwaltliche<br />

Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren<br />

stehen nach wie vor auf dem<br />

Prüfstand, wie Dr. Rüdiger Dohms von<br />

der EU-Kommisision berichtete. Ansatzpunkt<br />

für die EU-Kommission sei<br />

die EuGH-Entscheidung Cipolla<br />

(AnwBl 2007, 149). Der EuGH habe<br />

zwar festgestellt, dass vom Gesetzgeber<br />

festgesetzte Gebührenordnungen dem<br />

EU-Wettbewerbsrecht grundsätzlich<br />

entzogen seien. Gleichwohl behinderten<br />

sie den Binnenmarkt. „Sie können<br />

nur bei strikter Einhaltung des Proportionalitätsgrundsatzes<br />

gerechtfertigt<br />

werden“, sagte Dohms. Dabei gelte<br />

nicht der Grundsatz, dass hohe Honorare<br />

eine minderwertige Dienstleistung<br />

verhinderten. Er räumte aber ein, dass<br />

für die Beratungs- und Prozesskostenhilfe<br />

Festpreise notwendig seien. „Der<br />

Rezipient leidet hier nicht am fehlenden<br />

Wettbewerb“, so Dohms.<br />

Deutsche Gebührenregelung bestätigt<br />

„Die gesetzliche Regelung von Mindestgebühren<br />

kann gerechtfertigt werden“,<br />

betonte dagegen Rechtsanwalt<br />

Giuseppe Scassellati Sforzolini aus<br />

Rom. In der Amok-Entscheidung aus<br />

dem Jahre 2003 habe der EuGH in einem<br />

wirklich grenzüberschreitenden<br />

Fall eines österreichischen Anwalts, der<br />

in Deutschland tätig geworden war, die<br />

deutschen Gebührenregelungen bestätigt.<br />

Der Cipolla-Fall sei ein Pseudo-Fall<br />

(„mock case“), weil der grenzüberschreitende<br />

Bezug konstruiert sei.<br />

Der Europatag war in einer Hinsicht<br />

ein Novum: Die Freien Verbände<br />

suchten das Gespräch mit den Vertretern<br />

der europäischen Institutionen –<br />

und die Diskussionen zeigten, dass es<br />

in den Freien Berufe ganz unterschiedliche<br />

Strömungen gibt. „Wir haben<br />

nichts zu fürchten, außer uns selbst“,<br />

resümierte dann auch ein Teilnehmer.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

760 AnwBl 11 / 2007<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

8 9<br />

1 Mitveranstalter des Europatags der Freien Verbände: Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong>.<br />

2 Der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger.<br />

3 Stellte das Werberecht der Anwälte vor: Richter des Bundesverfassungsgerichts Dr. Reinhard Gaier.<br />

4 Sprach zu Fremdbesitzverboten: Prof. Dr. Martin Henssler von der Universität Köln.<br />

5 Die Auffassung der EU-Kommission zu Fremdbesitzverboten steltte Maria Martin-Prat von der EU-Kommission vor.<br />

6 Sprach zu anwaltlichen Mindestgebühren: Rechtsanwalt Giuseppe Scassellati Sforzolini aus Rom.<br />

7 Die Auffassung der EU-Kommission zu Mindestgebühren stellte Dr. Rüdiger Dohms von der EU-Kommission vor.<br />

8 Der Bundesvorsitzende des Freien Verbands der Zahnärzte Dr. Karl-Heinz Sundmacher und der Präsident des<br />

Deutschen Steuerberaterverbands Jürgen Pinne. Ihre Verbände waren Mitveranstalter des Europatags.<br />

9 DAV-Präsident Kilger im Gespräch mit Europaparlamentarier Kurt Lechner.<br />

5<br />

6<br />

7


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

Kein Schutz des<br />

Berufsgeheimnisses für<br />

Syndikusanwälte<br />

Das Europäische Gericht Erster Instanz<br />

(EuG) hat es in seiner Entscheidung<br />

vom 17. September 2007 in der Rechtssache<br />

Akzo/Acros gegen die Europäische<br />

Kommission (T-125/03; T-253/03)<br />

abgelehnt, Syndikusanwälten denselben<br />

Schutz des Berufsgeheimnisses zu<br />

gewähren wie anderen Rechtsanwälten.<br />

Das Gericht ist dem Antrag der Kläger<br />

nicht gefolgt, den Anwendungsbereich<br />

des „Legal Professional Privilege“ (LPP<br />

– Berufsgeheimnis) bei Ermittlungen<br />

der Kommission auch auf Syndikusanwälte<br />

auszuweiten (siehe auch den<br />

„Bericht aus Brüssel“ in diesem Heft,<br />

Seite VI). Zwar hebt das Gericht in seinem<br />

Urteil die Bedeutung des LPP für<br />

den Rechtsstaat hervor und betrachtet<br />

auch lediglich vorbereitende Dokumente<br />

als vom Berufsgeheimnis gedeckt,<br />

sofern diese zwecks Einholung<br />

von Rechtsrat bei einem externen<br />

Rechtsanwalt erstellt wurden. Der Ausweitung<br />

des LPP auf Syndikusanwälte<br />

wurde jedoch – für europarechtliche<br />

Zusammenhänge – eine Absage erteilt.<br />

„Das Urteil ist aus deutscher Sicht<br />

nicht recht verständlich, ändert jedoch<br />

nichts am Status des Syndikusanwalts<br />

nach deutschem Berufsrecht. Der DAV<br />

wird sich nach wie vor für die Anerkennung<br />

der Gleichstellung von Syndikusanwälten<br />

und externen Rechtsanwälten<br />

aussprechen“, so Rechtsanwalt Hartmut<br />

Kilger, DAV-Präsident, in einer<br />

ersten Stellungnahme.<br />

So vertritt der DAV seit jeher die<br />

Auffassung, dass anwaltliche Tätigkeit<br />

auch dann vorliege, wenn ein angestellter<br />

Anwalt für ein Unternehmen, bei<br />

dem er angestellt ist, rechtsgestaltende,<br />

rechtsberatende oder rechtsentscheidende<br />

Tätigkeit erbringt. Verschwiegenheitsrecht<br />

und pflicht sowie Vermeidung<br />

jeder Interessenkollision als<br />

weitere unverzichtbare Bestandteile anwaltlicher<br />

Tätigkeit gelten uneingeschränkt<br />

auch für die Tätigkeit eines<br />

angestellten Anwalts in einem Unternehmen<br />

(siehe die Reformvorschläge<br />

zur Bundesrechtsanwaltsordnung, abgedruckt<br />

in AnwBl 2007, 679, Rdnr. 40).<br />

Die Entscheidung ist noch nicht<br />

rechtskräftig.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 32/07<br />

DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

______________________________________________________________<br />

Stellungnahmen zu<br />

Gesetzesvorhaben<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> begleitet<br />

aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />

auf nationaler als auch auf europäischer<br />

und internationaler Ebene.<br />

Stellungnahmen des DAV werden<br />

von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen<br />

erarbeitet. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

weist regelmäßig auf wichtige<br />

Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen<br />

finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/<br />

index.html.<br />

Handelsrechtsausschuss<br />

9 GmbH-Reform<br />

Zum zweiten Mal hat der DAV durch<br />

den Handelsrechtsausschuss zur Reform<br />

des GmbH-Rechts (MoMiG)<br />

ausführlich und kritisch Stellung genommen.<br />

Bereits zum Referentenentwurf<br />

vom Mai 2006 hatte er sich<br />

geäußert. Zum Teil wurden die DAV-<br />

Vorschläge im Regierungsentwurf<br />

aufgegriffen, grundsätzliche Kritikpunkte<br />

bleiben. So wird die Senkung<br />

des Niveaus des Stammkapitals nach<br />

wie vor kritisch gesehen.<br />

Insolvenzrechtsausschuss<br />

9 GmbH-Reform (MoMiG)<br />

Der DAV nimmt durch den Insolvenzrechtsausschuss<br />

zur GmbH-Reform<br />

(MoMiG) ergänzend Stellung.<br />

Die Stellungnahme befasst sich ausschließlich<br />

mit speziell insolvenzrechtlich<br />

relevanten Aspekten des<br />

Gesetzesvorhabens.<br />

Arbeitsrechtsausschuss<br />

9 Änderung des ArbGG<br />

Mit den Änderungen im Arbeitsgerichtsgesetz<br />

im Referentenentwurf<br />

zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes,<br />

Arbeitsgerichtsgesetzes und<br />

anderer Gesetze hat sich der DAV<br />

durch seinen Arbeitsrechtsausschuss<br />

beschäftigt. Die Gesetzesinitiative<br />

wird begrüßt, greift jedoch an vielen<br />

Stellen zu kurz.<br />

Erbrechtsausschuss<br />

9 Erb- und Verjährungsrecht<br />

Der DAV hat durch seinen Erbrechtsausschuss<br />

zum Entwurf eines Gesetzes<br />

zur Änderung des Erb- und<br />

Verjährungsrechtes Stellung genommen.<br />

Der DAV hält die vorgesehene<br />

Anpassung des Verjährungsrechtes<br />

an das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz<br />

für sinnvoll. Der DAV<br />

begrüßt auch die vorgeschlagenen<br />

behutsamen Veränderungen im<br />

Pflichtteilsrecht.<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />

9 Neuer Beruf „Legal Assistant“<br />

Der DAV hat sich mit dem Vorschlag<br />

der Rechtsanwaltskammer Frankfurt<br />

am Main für einen neuen Ausbildungsberuf<br />

„Legal Assistant“ beschäftigt.<br />

Angesichts der Diskussion<br />

über die Einführung von Bachelorund<br />

Masterstrukturen in die universitäre<br />

Ausbildung empfiehlt der DAV<br />

Zurückhaltung. Richtig sei es aber,<br />

sich auf die geänderten Anforderungen<br />

für unterstützende Berufe in<br />

Kanzleien einzustellen.<br />

Strafrechtsausschuss<br />

9 Jugendstrafvollzugsgesetz<br />

Zu dem Entwurf eines Gesetzes über<br />

den Vollzug der Jugendstrafe (Jugendstrafvollzugsgesetz<br />

Schleswig-<br />

Holstein) nimmt der DAV durch seinen<br />

Strafrechtsausschuss Stellung.<br />

Der Strafrechtsausschuss begrüßt<br />

den gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes<br />

über den Jugendstrafvollzug,<br />

an dem auch das Land Schleswig-<br />

Holstein neben acht anderen Bundesländern<br />

mitgewirkt hat, da dadurch<br />

eine Zersplitterung von Recht<br />

und Praxis auf dem Gebiet des Jugendstrafvollzugs<br />

verhindert werden<br />

könne. Auf einzelne Vollzugsregelungen<br />

geht der Ausschuss in<br />

seiner Stellungnahme kritisch ein.<br />

Verfassungsrechtsausschuss<br />

9 Rechtliches Gehör<br />

Der DAV nimmt durch seinen Verfassungsrechtsausschuss<br />

zu Verfassungsbeschwerden<br />

Stellung, die die<br />

anwaltliche Berufsausübung berühren.<br />

In der Sache 1 BvR 2599/06 ging<br />

es um eine mögliche Verletzung des<br />

Anspruchs auf rechtliches Gehör in<br />

einem Zivilprozess. Der Ausschuss<br />

hält die Verfassungsbeschwerde für<br />

unbegründet, weil der Beklagte anwaltlich<br />

vertreten war.<br />

AnwBl 11 / 2007 761


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

AG Mietrecht und Immobilien<br />

Von 50 auf 2.000 in<br />

zehn Jahren<br />

Doppel-Jubiläum und<br />

Herbsttagung in Dresden<br />

Rund 240 Mietrechtlerinnen und Mietrechtler<br />

feierten am 21. und 22. September<br />

in Dresden im Rahmen der<br />

Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und Immobilien des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s das zehnjährige<br />

Bestehen der Arbeitsgemeinschaft.<br />

Gegründet 1997 von nur 50 engagierten<br />

Anwältinnen und Anwälten des<br />

DAV sind die Mitgliederzahlen der Arbeitsgemeinschaft<br />

seitdem stetig gestiegen.<br />

Zählte die Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht damals noch zu einer der<br />

kleineren Arbeitsgemeinschaften des<br />

DAV ist sie heute bei den Top-7 dabei.<br />

Namenswandlungen<br />

Im Laufe dieser Zeit machte sie verschiedene<br />

Namenswandlungen durch,<br />

aus der „Arbeitsgemeinschaft Mietrecht“<br />

wurde die „Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und WEG“ und schließlich,<br />

seit dem 1. März 2007, die heutige „Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und Immobilien“.<br />

In den jährlichen Herbsttagungen<br />

werden Rechtsgebiete rund um das Immobilien-,<br />

Makler-, Miet- und WEG-<br />

Recht behandelt. Dieses umfassende<br />

und spannende Programm ist nicht<br />

nur für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

sondern auch für Richterinnen<br />

und Richter interessant. So verfolgte<br />

dieses Jahr die Richterin am BGH Dr.<br />

Karin Milger die Herbsttagung.<br />

Neues zur Zwangsverwaltung<br />

Unter der Moderation des Vorsitzenden<br />

der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt<br />

Thomas Hannemann (Karlsruhe)<br />

referierte zum Tagungsauftakt<br />

Rechtsanwalt Dr. Egbert Kümmel (Berlin)<br />

zum Thema „Zwangsversteigerung<br />

und Zwangsverwaltung von Wohnungseigentum<br />

nach der Novellierung<br />

des ZVG“. Er erläuterte die Auswirkungen<br />

des Gesetzes zur Änderung des<br />

Wohnungseigentumsgesetzes und anderer<br />

Gesetze vom 26. März 2007 auf<br />

die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung<br />

von Wohnungs- und Teileigentum.<br />

Es folgte der Vortrag von<br />

Rechtsanwalt Jürgen Hillmayer<br />

762 AnwBl 11 / 2007<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

7<br />

1 Trotz des Jubiläums standen die Fachvorträge im Mittelpunkt (hier Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank Stellmann).<br />

2 Sprach über das selbständige Beweisverfahren: Richter am Landgericht Jürgen Ulrich (Dortmund).<br />

3 Richterin am BGH Karin Milger mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt Thomas Hannemann.<br />

4 Der Vorsitzende begrüßte als 2.000. Mitglied Rechtsanwalt Michael Gaugele aus Dresden.<br />

5 Der Referent Jürgen Ulrich (Dortmund) begeisterte die 240 Teilnehmer.<br />

6 Erinnerte an die Geschichte der Arbeitsgemeinschaft: Der ehemalige Vorsitzende Rechtsanwalt Norbert Schönleber.<br />

7 Zur Herbsttagung trafen sich die Mietrechtler in einem Hotel in der Nähe der Dresdner Frauenkirche.<br />

5<br />

6


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

(München) zur „Kausalität im Maklerrecht<br />

und aktuelle Rechtsprechung“.<br />

Dabei erläuterte er aktuelle Entscheidungen,<br />

zum einen zur Pflichtverletzung<br />

und Schadensersatz, welcher oft<br />

auf falschen Angaben im Expose des<br />

Maklers begründet ist. Der zweite aktuelle<br />

Fall befasste sich mit der Anlagenvermittlung.<br />

Versorgungssperre<br />

Um die Teilnehmer der Tagung aus<br />

der mittäglichen Müdigkeit zu wecken,<br />

hatte die Arbeitsgemeinschaft zur Feier<br />

des zehnjährigen Jubiläums den Kabarettisten<br />

Georg Schweitzer verpflichtet.<br />

Er trug – im Stile eines Fachvortrags –<br />

zu dem wichtigen Thema „Behandelt<br />

das AGG wirklich alle gleich“ vor und<br />

führte auch durch den gesellschaftlichen<br />

Abend. Durch diese kurze Einlage<br />

endgültig hellwach, folgten die<br />

Teilnehmer dem Vortrag von Rechtsanwalt<br />

Jürgen Herrlein (Frankfurt/<br />

Main) zu den „Rechtsproblemen rund<br />

um die Versorgungssperre“. Dabei<br />

drehte es sich zum einen um den<br />

Komplex Versorgungssperre und Verbotene<br />

Eigenmacht und zum anderen<br />

um die Durchsetzung der Versorgungssperre.<br />

Selbständiges Beweisverfahren<br />

Anschließend hielt der Vorsitzende<br />

Richter am Landgericht Jürgen Ulrich<br />

(Dortmund) einen packenden Vortrag<br />

zum Thema „Das selbstständige Beweisverfahren<br />

im Miet- und Wohnungseigentumsrecht<br />

und die Haftung des<br />

gerichtlichen Sachverständigen“. Darin<br />

plädierte er unter anderem auch dafür,<br />

dass selbständige Beweisverfahren im<br />

Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeit<br />

als eigenen Fall in den richterlichen<br />

Statistiken zählen zu lassen, um<br />

die Motivation der Richter zu stärken.<br />

Zudem gab er einen Überblick über die<br />

zehn bedeutsamen Umstände für<br />

Rechtsanwälte im Bezug auf das selbstständige<br />

Beweisverfahren und die<br />

Besonderheiten des selbstständigen<br />

Beweisverfahrens im WEG-Streit. Der<br />

erste Tag schloss mit dem Vortrag<br />

von Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank<br />

Stellmann (München) zum Thema<br />

„Instandsetzung, Instandhaltung,<br />

Schönheitsreparaturen in der Gewerberaummiete<br />

– was geht?“. Er erläuterte<br />

die Rechtsprechung und die Lehre im<br />

Bezug auf Individualverträge und Formularverträge.<br />

Rückblick auf zehn Jahre<br />

Zur Feier des zehnjährigen Jubiläums<br />

und des 2.000. Mitgliedes lud die Arbeitsgemeinschaft<br />

im Anschluss zu einem<br />

Sektempfang im Foyer ein. Im<br />

Rahmen der Abendveranstaltung hielt<br />

der ehemalige Vorsitzende des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses, Rechtsanwalt<br />

Norbert Schönleber (Köln), einen<br />

Kurzvortrag über die Geschichte<br />

und Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und Immobilien. Das<br />

Abendessen wurde zudem durch das<br />

Programm des Kabarettisten Georg<br />

Schweitzer zum Thema 10 Jahre AG<br />

umrahmt. Anschließend bot sich Gelegenheit<br />

zum fachlichen Austausch im<br />

Rahmen des traditionellen Kicker-Turniers.<br />

Rechtsprechungsfenster<br />

Am Samstag begann die Tagung mit<br />

dem Vortrag des Notars Dr. Gregor<br />

Basty (München) zum Thema „Die<br />

MaBV und Vollmachten im Kaufvertrag<br />

zur Änderung der Gemeinschaftsordnung“.<br />

Mit „Der BGH und die Betriebskosten:<br />

Auswirkungen auf die<br />

anwaltliche Praxis“ widmete sich<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Lützenkirchen<br />

(Köln) der aktuellen Rechtsprechung<br />

des BGH zu den Betriebskosten. Im<br />

Anschluss gab es – thematisch passend<br />

– „Rechtsprechungsfenster“. Mit diesen<br />

will die Arbeitsgemeinschaft jedes Jahr<br />

vier „Newcomern“ die Möglichkeit gegeben,<br />

je ein aktuelles Urteil vorzustellen.<br />

Besonders hervorzuheben ist in<br />

dieses Mal der Vortrag der Hamburger<br />

Rechtsanwältin Ruth Breiholdt zu einem<br />

Beschluss des OLG München vom<br />

5. Juni 2007 im Bereich des WEG. Zudem<br />

überzeugten Rechtsanwalt Carl<br />

Christian Voscherau (Hamburg) zum<br />

Bauträgerrecht, Rechtsanwältin Sandra<br />

Walburg (Berlin) zum Wohnraummietrecht<br />

sowie Rechtsanwalt Dr. Klaus<br />

Knipschild (Frankfurt/Main) zum Gewerberaummietrecht.<br />

Rechtsanwältin Dr. Katharina Freytag, Berlin<br />

Die Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht und Immobilien wird im Rahmen des<br />

Deutschen Anwaltstags am 1. Mai 2008 in Berlin<br />

stattfinden. Die nächste Herbsttagung findet vom<br />

25. bis 26. September 2008 in Salzburg statt.<br />

Landesverband Hessen<br />

Patientenverfügung:<br />

Wunsch und Wirklichkeit<br />

Parlamentarischer Abend<br />

Der Landesverband Hessen hat eine<br />

alte Tradition wieder aufgegriffen: Seit<br />

2000 veranstaltete er erstmals wieder<br />

einen parlamentarischen Abend im traditionsreichen<br />

Hotel Schwarzer Bock<br />

in der Landeshauptstadt Wiesbaden.<br />

Eingeladen hatte der Landesverband<br />

am 25. September zu einer Podiumsdiskussion<br />

zum Thema „Patientenverfügung<br />

– Wunsch und Wirklichkeit“.<br />

Gekommen waren neben dem<br />

Landesjustizminister und seinem<br />

Staatssekretär zahlreiche Landtagsabgeordnete,<br />

Gerichtspräsidenten und weitere<br />

Gäste aus Justiz und Anwaltschaft<br />

und wegen des Themas auch Vertreter<br />

von Wohlfahrtsverbänden.<br />

Auf dem Podium diskutierten Regierungsdirektorin<br />

im Bundesjustizministerium<br />

Andrea Mittelstädt, der<br />

Präsident der Evangelischen Kirche in<br />

Hessen und Nassau Professor Steinacker<br />

und Professor Weber, Direktor<br />

des „Instituts für Arbeitsmedizin, Prävention<br />

und Gesundheitsförderung an<br />

den HSK“ über ethische, rechtliche<br />

und medizinische Fragen, die bei einer<br />

nach wie vor angestrebten gesetzlichen<br />

Regelung der Patientenverfügung<br />

zwangsläufig aufgeworfen werden. Ein<br />

Schwerpunkt, der von dem Darmstädter<br />

Rechtsanwalt Dirk Langner moderierten<br />

Diskussion, lag auf dem<br />

Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung<br />

des Einzelnen und staatlicher<br />

Fürsorgepflicht: Müssen dem<br />

Selbstbestimmungsrecht Grenzen gesetzt<br />

werden? Regierungsdirektorin<br />

Mittelstädt, die im Bundesjustizministerium<br />

federführend für das Thema Patientenverfügung<br />

verantwortlich ist,<br />

plädierte für ein möglichst weitreichendes<br />

Selbstbestimmungsrecht, machte<br />

aber deutlich, dass eine gesetzliche<br />

Regelung letzten Endes auf einem breiten<br />

gesellschaftlichen Konsens fußen<br />

müsse. Die Diskussion müsse daher in<br />

allen Teilen der Gesellschaft fortgeführt<br />

werden. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion<br />

lud der Landesverband zu<br />

einem Empfang, der allen Anwesenden<br />

Gelegenheit zu einem weiteren Gedankenaustausch<br />

bot.<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

AnwBl 11 / 2007 763


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Landesverband Sachsen-Anhalt<br />

Fortbildung, Diskussion,<br />

Begegnung<br />

6. Landesanwaltstag<br />

Landesanwaltstage sind anders als der<br />

Deutsche Anwaltstag. Sie sind übersichtlicher,<br />

etwas gemütlicher, dabei<br />

aber nicht weniger anspruchsvoll. Eine<br />

bereits feste Größe ist der Landesanwaltstag<br />

Sachsen-Anhalt, der dieses<br />

Jahr am 31. August und 1. September<br />

in Magdeburg stattfand.<br />

18 Fachveranstaltungen in fünf parallelen<br />

Blöcken, verteilt auf zwei Tage,<br />

stellten die rund 330 Teilnehmer vor<br />

die Qual der Wahl. Das achtbare Fortbildungsangebot<br />

mit Referenten aus<br />

aller Herren Bundesländer reichte von<br />

A wie arbeitsrechtliche Rechtsprechung<br />

bis Z wie Zivilprozesstaktik. „Die Fortbildung<br />

ist aber nur eine Säule des<br />

Anwaltstages“, so Thomas Markworth,<br />

Vorsitzender des Landesverbandes<br />

Sachsen-Anhalt, der neben dem Magdeburger<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Mitveranstalter<br />

war. Der Landesanwaltstag sei immer<br />

auch ein Begegnungsort mit Politik<br />

und Justiz des Landes.<br />

Auf dem Festabend fanden sich<br />

dementsprechend auch dieses Jahr wieder<br />

die Vertreter der Fraktionen des<br />

Landtages und die Präsidenten aller<br />

obersten Landesgerichte ein. Organisiert<br />

wurde der Festabend vom Magdeburger<br />

<strong>Anwaltverein</strong> mit viel Liebe<br />

zum Detail im Jahrtausendturm, einem<br />

modernen kegelförmigen Bauwerk, in<br />

welchem über 2.000 Jahre Menschheitsgeschichte<br />

in einer Dauerausstellung<br />

anschaulich gemacht werden; im<br />

untersten Stockwerk das Altertum,<br />

ganz oben das Atomzeitalter. Dass die<br />

Gäste den Abend im Altertum verbrachten<br />

war nur dem dort vorhandenen<br />

größeren Platzangebot geschuldet.<br />

Aus der Gegenwart kamen dann<br />

auch die Themen, die der Justizstaatssekretär<br />

Burkhard Lischka in seiner<br />

Rede ansprach. So nahm er unter anderem<br />

zum Erfolgshonorar Stellung. Eine<br />

völlige Freigabe sehe er kritisch, Rechtsanwälte<br />

dürften nicht zu reinen Kaufleuten<br />

werden. Zur Juristenausbildung,<br />

die im nächsten Jahr wieder Thema der<br />

Justizministerkonferenz sein wird, erklärte<br />

Lischka, dass die Vorschläge des<br />

DAV zur Einführung einer Spartenausbildung<br />

durchaus zur Kenntnis genommen<br />

würden. Immerhin.<br />

764 AnwBl 11 / 2007<br />

Keine Gerichtsschließungen<br />

Der Landesverbandsvorsitzende von<br />

Sachsen-Anhalt Thomas Markworth<br />

nutzte die Gelegenheit, kritisch auf die<br />

weiter voranschreitende Schließung<br />

von Gerichtsstandorten im Lande einzugehen.<br />

Am Beispiel des von der<br />

Schließung bedrohten Verwaltungsgerichtes<br />

Dessau verdeutlichte er, dass<br />

Gerichte keine reinen betriebswirtschaftlichen<br />

Einheiten seien, sondern<br />

gerade die Aufgabe hätten, Staat und<br />

Rechtspflege flächendeckend zu repräsentieren.<br />

Mit dem Rückzug der Gerichte<br />

aus den Regionen gäbe man diese<br />

Regionen auch immer ein Stück auf.<br />

Der Vizepräsident des DAV, Dr.<br />

Rembert Brieske, erinnerte die Teilnehmer<br />

daran, dass die ersten Landesanwaltstage<br />

in den 1860er Jahren noch<br />

als Geheimtreffen stattfinden mussten.<br />

Die Errungenschaft einer freiheitlichen<br />

Gesellschaft, so Brieske, gehe nicht zuletzt<br />

auch auf das Engagement der Anwaltschaft<br />

zurück. Eine Errungenschaft,<br />

derer man sich nicht leichtfertig<br />

begeben sollte. „Was tut die Anwaltschaft<br />

für die Freiheit der Bürger?“,<br />

fragte Brieske schließlich in einem<br />

durchaus emotionalen Appell an die<br />

Teilnehmer und lud Sie ein, dieser<br />

Frage auf dem nächsten Deutschen Anwaltstag<br />

2008 in Berlin, der unter dem<br />

Thema „Freiheit“ stehe, nachzugehen.<br />

Der nächste Landesanwaltstag wird<br />

2008 in Dessau stattfinden<br />

Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />

DAV-Landesverbände<br />

Konferenz 2007<br />

Die Landesverbandskonferenz tagte am<br />

7. September 2007 in Bremen. Die Landesverbandskonferenz<br />

ist die Vertreterversammlung<br />

der Landesverbände im<br />

DAV. Diskussionsthemen waren u.a.<br />

die Stellung der Landesverbände im<br />

Gesamtverband und die Steigerung der<br />

Aktivitäten zwischen Landesverbänden<br />

und DAV. Daneben wurden rechtspolitische<br />

Themen erörtert, die für alle<br />

Länder gleichermaßen von Belang sind<br />

und gegenseitige Erfahrungen ausgetauscht.<br />

Die nächste Landesverbandskonferenz<br />

wird noch in diesem Jahr als<br />

kleine Konferenz am 7. Dezember in<br />

Düsseldorf mit dem Schwerpunktthema<br />

Pressearbeit der Landesverbände<br />

stattfinden.<br />

Freiburger <strong>Anwaltverein</strong> und<br />

Forum Junge Anwaltschaft<br />

Anwälte denken schneller,<br />

als sie laufen<br />

Anwälte liefen beim 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte in<br />

Freiburg mit.<br />

Werbung muss nicht immer als Plakat<br />

an der Wand hängen. Deshalb nutzte<br />

ein gemeinsames Läuferteam des Freiburger<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s und des Forums<br />

Junge Anwaltschaft im Landgerichtsbezirk<br />

Freiburg im Breisgau neue<br />

Wege und trat nach 2006 zum zweiten<br />

Mal beim 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte<br />

an.<br />

Das Wetter war uns in diesem Jahr<br />

gnädig – ohne die Hitze des vorangegangen<br />

Jahres und nahezu ohne Regen<br />

traten wir im Juli im Freiburger<br />

Seepark an. Mit Sicherheit hat die gute<br />

Stimmung auf der Bahn und im Stadion<br />

dazu beigetragen, dass unser<br />

Rundenergebnis wirklich beachtlich ist.<br />

Wir haben es auf stolze 662 Runden gebracht!<br />

Um es noch etwas beeindruckender<br />

auszudrücken – 264,8 Kilometer<br />

sind von uns zurückgelegt<br />

worden. Damit belegen wir Platz 17<br />

(von 28 Mannschaften) und haben unser<br />

Laufpensum deutlich gesteigert.<br />

Und wir können sicher sein – mit unseren<br />

neonfarbigen Leibchen und unserem<br />

Spruch „Anwälte denken schneller<br />

als sie laufen!“ sind wir auf jedem<br />

Kilometer aufgefallen.<br />

Insgesamt wurden über 25.000<br />

Euro für Kinderprojekte im Raum Freiburg<br />

zusammengetragen. Wer wissen<br />

möchte, für welche Projekte das Geld<br />

verwandt wird, kann dies unter<br />

www.24hlauf-freiburg.de erfahren. Mit<br />

821,60 Euro belegen wir Platz 12 der<br />

Statistik.<br />

Wir sind aufgefallen und haben die<br />

Anwaltschaft positiv ins Gespräch gebracht.<br />

Unser Fazit: Es ist gut, dass wir<br />

uns nicht nur vor Gericht und bei Fortbildungen<br />

treffen und es ist wichtig,<br />

dass wir uns in der Öffentlichkeit positiv<br />

präsentieren.<br />

Rechtsanwältin Anke Hertle, Freiburg i. Br.


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Das Pferd als<br />

Mandatsbringer<br />

3. <strong>Deutscher</strong> Pferderechtstag in<br />

Essen<br />

Die Deutsche Anwaltakademie bietet<br />

auch für Rechtsgebiete Veranstaltungen<br />

an, die nur auf den ersten Blick abseitig<br />

scheinen.<br />

Anlässlich der Weltmesse des Pferdesports<br />

Equitana trafen sich bereits<br />

zum dritten Mal Pferderechtsanwälte,<br />

Fachtierärzte für Pferde und Pferdesachverständige<br />

zum größten Fachkongress<br />

für Pferderecht in Deutschland.<br />

Die Veranstalter, die Agentur Equimedia<br />

sowie die Deutsche Anwaltakademie,<br />

konnten auch in diesem Jahr<br />

wieder herausragende Persönlichkeiten<br />

aus allen Bereichen des Pferderechts<br />

als Referenten gewinnen.<br />

Von Pferdekauf bis Doping<br />

Die zunehmende Bedeutung des Pferderechts<br />

wird insbesondere durch eine<br />

Vielzahl von aktuellen und wegweisenden<br />

Urteilen höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />

in diesem Bereich dokumentiert.<br />

Daneben bestätigen die<br />

umfangreichen Rechtsprechungshinweise<br />

der Referenten, dass das derzeitige<br />

Schuldrecht neben Entscheidungen<br />

zum Gebrauchtwagenhandel vor<br />

allem durch Entscheidungen zum Pferdehandel<br />

entscheidend geprägt wird.<br />

Zu diesem Thema diskutierten am Vorabend<br />

der Tagung beim sogenannten –<br />

Pferderechtsforum, in einer von Frank<br />

Henning moderierten Talkrunde, Experten<br />

aus der Praxis über aktuelle Entwicklungen<br />

des Pferdehandels. Dabei<br />

waren Dr. Ulf Möller aus dem Stall<br />

Kasselmann, Norbert Boley vom Hol-<br />

steinerverband sowie Rechtsanwalt<br />

Eduard von Westphalen und Ekkehard<br />

Brysch vom International Sporthorse<br />

Registry (USA).<br />

Neben der Darstellung und Vertiefung<br />

von sowohl alltäglichen Standardals<br />

auch praxisrelevanten Spezialproblemen<br />

aus den Bereichen Pferdekaufrecht,<br />

Versteigerungsrecht, internationale<br />

Sportgerichtsbarkeitsnormen,<br />

medizinische Problemstellungen und<br />

Haftungsfragen wurden auch durchaus<br />

sensible Themen kritisch durchleuchtet.<br />

Dazu gehörten insbesondere Einzelfragen<br />

internationaler Dopingfälle<br />

im Pferdesport. Es gilt – nach Ansicht<br />

der Experten – präventiv daran zu arbeiten,<br />

dass auch im Pferdesport alles<br />

getan wird, einen sauberen und dopingfreien<br />

Sport zu demonstrieren und<br />

dass die Reitsportathleten offensiver gegen<br />

Doping eintreten müssen. Eine<br />

vertiefende Fragerunde zeigte das<br />

große Interesse an dieser Thematik.<br />

Der Deutsche Pferderechtstag hat<br />

sich europaweit als anerkannte Fachund<br />

Fortbildungsveranstaltung etabliert.<br />

Er gilt mittlerweile als Forum<br />

zum Knüpfen von Kontakten sowie<br />

zum fachlichen Austausch. Die Agentur<br />

Equimedia sowie die Deutsche Anwaltakademie<br />

als Veranstalterduo<br />

freuen sich daher schon jetzt, im kommenden<br />

März 2008 den 4. Deutschen<br />

Pferderechtstag als wichtigste Plattform<br />

rund um das Pferderecht mit einschlägigen<br />

Experten und einem standesgemäßen<br />

Rahmenprogramm anbieten zu<br />

können.<br />

Rechtsanwalt Daniel von Bronewski, Berlin<br />

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter<br />

www.pferderechtstag.de. Die Agentur Equimedia<br />

sowie die Deutsche Anwaltakademie als Veranstalterduo<br />

planen für März 2008 den 4. Deutschen<br />

Pferderechtstag.<br />

Schneller als die Konkurenz sein. Der Deutsche Pferderechtstag hat sich europaweit als anerkannte Fach- und Fortbildungsveranstaltung<br />

etabliert.<br />

Personalien<br />

Neue Vorsitzende<br />

Wiesbadener Anwalt-<br />

und Notarverein:<br />

Rechtsanwältin<br />

Daniela Best aus<br />

Wiesbaden wurde<br />

zur neuen Vereinsvorsitzendengewählt.<br />

Ihr Vorgänger war Rechtsanwalt<br />

Götz-Peter Fünfrock, der dem Verein<br />

19 Jahre vorstand.<br />

Anwaltsverein Westerwald<br />

e.V.: Rechtsanwalt<br />

Hubertus<br />

Kempf, Westerburg,<br />

hat den Vorsitz<br />

übernommen. Er<br />

löst Rechtsanwalt<br />

Ulrich Sankjohanser nach 13jähriger<br />

Amtszeit ab.<br />

Ehrennadel verliehen<br />

Anwaltsverein Heidelberg: Rechtsanwalt<br />

Bodo E. Schütt und Rechtsanwalt<br />

Dr. Jobst Wellensiek sind mit<br />

der Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet<br />

worden. Wellensiek war u. a.<br />

22 Jahre Vorsitzender des Vereins.<br />

Schütt war viele Jahre, zuletzt bis 2003,<br />

als stellvertretender Vorsitzender im<br />

Verein aktiv.<br />

Auszeichnung von<br />

Anwälten<br />

Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />

Dr. Siegfried Beck, Nürnberg,<br />

das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />

Peter Edmund Georg Kernbach,<br />

Berlin, das Verdienstkreuz am Bande<br />

des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />

und Notar Herbert Moritz,<br />

Brake, das Verdienstkreuz am Bande<br />

des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />

Dr. Jürgen Neuhaus, Köln, das<br />

Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

AnwBl 11 / 2007 765


MNMeinung & Kritik<br />

Demnächst: Fachanwalt für<br />

Rechtsdurchsetzung?<br />

Über den Unterschied zwischen Fachärzten und<br />

Fachanwälten<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Ein Handelsvertreter erhält wegen Trunksucht eine Außerordentliche<br />

Kündigung, daraufhin droht seine Frau mit<br />

Scheidung, vor lauter Entsetzen lässt er sich in der nächsten<br />

Bar volllaufen, fährt betrunken bei Rot über die Kreuzung,<br />

prallt gegen drei parkende Autos und findet sich andern Tags<br />

im Krankenhaus mit Knochenbrüchen und ausgenüchtert<br />

wieder. Ein Facharzt für Chirurgie flickt ihn wieder zusammen<br />

und überweist ihn an einen Psychotherapeuten.<br />

Welchen Rat sollen wir ihm geben, wenn er für die Vielzahl<br />

seiner Rechtsprobleme nun auch den richtigen Fachmann<br />

sucht? Er braucht doch offenbar die Fachanwältin für<br />

Arbeitsrecht (möglichst mit Spezialkenntnissen bei Handelsvertreterverträgen),<br />

die Familienrechtlerin, den Verkehrsunfallexperten<br />

(im Zivil- und Strafrecht!), die Verwaltungsrechtlerin<br />

(für die Wiederbeschaffung des Führerscheins), den<br />

Versicherungsrechtler wegen des Versicherungsregresses, der<br />

ihm droht und wenn er falsch behandelt wurde: auch noch<br />

den Medizinrechtler, der den Chirurgen verklagen wird.<br />

Mir ist in über dreißig Praxisjahren noch kein Mandant<br />

untergekommen, der ernsthaft daran gedacht hätte, mit sieben<br />

Rechtsproblemen, die aus einem typischen Lebenssachverhalt<br />

stammen, sieben Spezialisten zu beschäftigen. In aller<br />

Regel nimmt er sich nur einen Anwalt und vertraut<br />

darauf, dass der innerhalb oder außerhalb seines Büros die<br />

Spezialisten schon finden wird, wenn er sie benötigt.<br />

Ganz anders aber verhält er sich gegenüber den Medizinern:<br />

Wenn der Knochenbruch zur Thrombose führt, diese<br />

wiederum zum Herzstillstand, der zu Gehirnausfällen und so<br />

weiter und so weiter ... wird ein Spezial-Arzt nach dem anderen<br />

sich des jeweiligen Themas annehmen und immer wieder<br />

von vorne anfangen. Die Patienten-Akte wird siebenmal neu<br />

erstellt, die Blutproben siebenmal neu genommen und der Patient<br />

erzählt geduldig zum siebenten Mal das Gleiche.<br />

Von uns hingegen wird etwas ganz anderes erwartet: Anwälte<br />

haben den Auftrag, Recht durchzusetzen und zwar mit<br />

allen erlaubten Mitteln – darunter auch denjenigen des<br />

Rechts. Sie müssen sich etwas einfallen lassen. Sie müssen<br />

ungewöhnliche (aber immer noch sichere) Wege gehen. Die<br />

größte Freude für einen jungen Anwalt ist es, einen alten<br />

Hasen vor Gericht schlecht aussehen zu lassen, weil der vor<br />

lauter Routine die kleinen Besonderheiten des Falles übersehen<br />

hat. Wenn man Fleiß und Phantasie in die Sachverhaltsanalyse<br />

steckt, kann man solche Erfolgserlebnisse auch ohne<br />

besonderes Fachwissen auf dem jeweiligen Rechtsgebiet haben.<br />

Tausende Kollegen beweisen das jeden Tag. Langfristig<br />

beruht anwaltlicher Erfolg immer auf Wissen und Erfahrung,<br />

aber uns hilft der Zufall mehr als den Ärzten: Ein junger<br />

Chirurg, der noch nie eine saubere Naht genäht hat, wird<br />

eine Operation am offenen Herzen kaum durch witzige Argumente<br />

erfolgreich abschließen. Deshalb können wir Anwälte<br />

uns an den Fachärzten als Modell für Spezialisten kein<br />

Beispiel nehmen. Wir haben derzeit 18 Fachanwaltschaften<br />

und in der Anwaltsauskunft finden sich über 140 „Rechtsgebiete“,<br />

die sich in jedem beliebigen Fall ebenso beliebig mit-<br />

einander mischen und kreuzen können. Natürlich gibt es<br />

Standardfälle, wie eben jenen des Handelsvertreters. Aber gerade<br />

an ihm kann man sehen, wie komplex sich ein einfaches<br />

Unglück in seinen vielfältigen Schattierungen entwickeln<br />

kann. Wer Recht durchsetzen will, muss die Aufgabe lösen,<br />

Komplexität dieser Art zu reduzieren und Lösungen zu erreichen,<br />

die praktikabel und akzeptabel sind. Vieles lernt man<br />

aus den Reaktionen der Gegenanwälte und der Gerichte, die<br />

einem oft genug ironisch vor Augen führen, woran man alles<br />

nicht gedacht hat. Den Ärzten fehlen solche Gegenspieler,<br />

denn der Tod steht schweigend am Kopfende jeden Krankenbetts.<br />

Mit ihm kann man nicht argumentieren. Wenn ein Anwalt<br />

es einmal gelernt hat, die Aussagen anderer auf den<br />

Prüfstand zu stellen, ohne es selbst besser zu wissen, hat er<br />

eine der wichtigsten Qualitäten entwickelt, die er für seine<br />

Arbeit braucht. Dem Arzt wäre damit nicht geholfen.<br />

Allerdings ist nicht zu leugnen, dass man sich in seiner<br />

Praxis nicht beliebig vielen Problemen widmen kann. Die<br />

meisten Spezialisierungen folgen nicht den Rechtsgebieten,<br />

sondern entwickeln sich aus den typischen Mandaten, denen<br />

„Kein Beispiel für Anwälte:<br />

Die Fachärzte als Modell für<br />

Spezialisten.“<br />

man immer wieder begegnet. Wer wie Mechthild Düsing<br />

(Münster) für Landwirte dauernd um Milchsubventionen in<br />

der EU kämpft, ist nach ein paar Jahren, auch ohne es gewollt<br />

zu haben, eine „Fachanwältin für Milchsubventionen“.<br />

Ich habe hinter- und nebeneinander einige solcher<br />

Schwerpunkte gebildet z. B.: Das Recht der Kleinkredite und<br />

der Zwangsvollstreckung, Baurecht, Wirtschaftsstrafrecht,<br />

Grundstücks- und Immobilienrecht, Computerrecht, Wiedervereinigungsrecht<br />

(was immer das ist!) und derzeit beschäftigt<br />

mich das Schiedsverfahrensrecht am intensivsten. Ich<br />

war nie Fachanwalt und würde vermutlich die Anforderungen<br />

an die Prüfung für IT-Anwälte nicht bestehen, denn ich<br />

habe keine Ahnung vom öffentlichen Vergaberecht für IT-<br />

Projekte und will das auch nicht mehr lernen. Aber natürlich<br />

hat die Berliner Kammer angefragt, ob ich die Kollegen im<br />

Fachausschuss prüfen möchte. Für Juristen ist das typisch:<br />

Wir werden oft von Leuten unterrichtet und geprüft, die von<br />

einzelnen Spezialgebieten nichts verstehen. Könnte man<br />

sich aber einen Professor für Chirurgie vorstellen, der nie<br />

operiert hat?<br />

Kurz: Es war vernünftig, die Zahl der Fachanwaltschaften<br />

auszuweiten und vielleicht können wir noch zwei oder drei<br />

neue Bereiche definieren, in denen die Sichtbarkeit im Markt<br />

für einige Spezialisten vergrößert werden kann. Irgendwann<br />

muss aber Schluss sein, denn sonst verlieren nicht nur unsere<br />

Mandanten, sondern auch wir selbst den Überblick über<br />

so viele Spezialisten, die am Ende von wenigem alles, von allem<br />

aber nichts verstehen.<br />

Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor der<br />

Leibniz Universität Hannover.<br />

766 AnwBl 11 / 2007 Fachanwalt für Rechtsdurchsetzung? Heussen


MNMitteilungen<br />

Strafprozessrecht<br />

_______________________________________________________<br />

Keine Überwachung<br />

der mandatsinternen<br />

Kommunikation<br />

Stellungnahme des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s zum<br />

Telekommunikationsüberwachungsgesetz<br />

Der Gesetzgeber will mit dem Gesetz zur Neuregelung der<br />

Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter<br />

Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie<br />

2006/24/EG („Vorratsdatenspeicherung“) die Möglichkeit<br />

schaffen, das Gespräch des Anwalts mit seinem Mandanten<br />

zu überwachen, solange der Anwalt nicht als<br />

Strafverteidiger tätig ist. Nur dann soll ein umfassendes Beweiserhebungs-<br />

und Beweisverwertungsverbot gelten (§ 53b<br />

Abs. 1 StPO-E). Für Rechtsanwälte allgemein soll das Verbot<br />

nicht gelten. Beweiserhebung und Beweisverwertung sollen<br />

lediglich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen.<br />

Diese Differenzierung ist mit der rechtsstaatlich gebotenen<br />

unkontrollierten Berufsausübung der Anwälte nicht zu vereinbaren.<br />

Die Unterscheidung zwischen Strafverteidigern<br />

und sonstigen Anwälten lehnt der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

(DAV) ab. Sein Vorstand hat das im Oktober 2007 in einer einstimmig<br />

beschlossenen Resolution bekräftigt. Zuvor hatte der<br />

DAV durch seinen Strafrechtsausschuss zu dem Gesetzentwurf<br />

Stellung genommen. Das <strong>Anwaltsblatt</strong> druckt Auszüge<br />

aus der Stellungnahme Nr. 41/2007 vom August 2007:<br />

I. Einleitung<br />

Die Bundesregierung hat mit dem Entwurf eines Gesetzes<br />

zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und<br />

anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung<br />

der Richtlinie 2006/24/EG (Bundestags-Drucksache<br />

16/5846) das Resultat beachtlicher Anstrengungen vorgelegt,<br />

die heimlichen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen,<br />

besonders im Bereich der Telekommunikationsüberwachung,<br />

in ein kohärentes, schlüssiges System zu bringen 1 .<br />

Die folgende Stellungnahme zu diesem Entwurf widmet<br />

sich einzelnen ausgesuchten Aspekten, bei denen uns Anmerkungen<br />

aus der Sicht von Strafverteidigerinnen und<br />

Strafverteidigern angezeigt scheinen.<br />

Im Wesentlichen geht es um:<br />

9 die vom Entwurf vorgeschlagene Regelung des besonderen<br />

Schutzes der Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern.<br />

Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen<br />

verschiedenen Berufsgruppen erscheint dem<br />

Ausschuss nicht angemessen. Auch sind die Voraussetzungen,<br />

wann Ermittlungsbehörden in diese Sphäre ausnahmsweise<br />

eindringen dürfen, nicht eng genug gefasst.<br />

9 Die Stellungnahme widmet sich ausführlich dem Vorschlag<br />

der Grünen, anstelle eines Kataloges von Anlasstaten<br />

bei der Telekommunikationsüberwachung (in § 100a<br />

Abs.2 StPO i.d.F. des Entwurfs) eine generalklauselartige<br />

Bestimmung einzuführen, mit der der Kreis der Delikte,<br />

zu deren Aufklärung Telekommunikation überwacht werden<br />

darf, beschränkt werden soll. Der Strafrechtsaus-<br />

schuss des DAV hat dieses Modell nach ausführlichen<br />

Diskussionen verworfen, weil er der Auffassung ist, dass<br />

damit das Gegenteil des Beabsichtigten erreicht würde.<br />

Er ist freilich auch der Auffassung, dass die vorgesehene<br />

Ausweitung des Kataloges nicht akzeptabel ist.<br />

9 Wir unterstützen das Anliegen des Entwurfs, den Ermittlungsrichter<br />

bei dem Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft<br />

anzusiedeln. Freilich halten wir weitergehende<br />

Regelungen angesichts der ernüchternden<br />

Befunde wissenschaftlicher Untersuchungen zur Praxis<br />

ermittlungsrichterlicher Tätigkeit für dringend erforderlich<br />

und unterbreiten hierzu konkrete Vorschläge.<br />

9 Die vorgesehenen Berichtspflichten über Verlauf, Ergebnisse<br />

und Umfang von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen<br />

begrüßen wir nachhaltig, sehen<br />

allerdings auch hier Ergänzungsbedarf.<br />

9 Eingehend befasst sich die Stellungnahme mit den im<br />

Entwurf vorgesehenen Regeln zur Durchsicht von Datenträgern<br />

(§ 110 Abs. 3 StPO in der Fassung des Entwurfs).<br />

Wir sind der Auffassung, dass das Bemühen, hierdurch<br />

dem technischen Fortschritt entsprechende Zugriffsmöglichkeiten<br />

auf dislozierte Datenträger zu erhalten, weit<br />

über das Notwendige und selbst über das Erträgliche hinausschießt.<br />

Die Regelung schafft letztlich die Eingriffsvoraussetzungen<br />

für ein – unzulässiges – staatliches „Hacking“,<br />

gegen das der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> sich<br />

grundsätzlich und mit Nachdruck ausspricht.<br />

9 Die vorgeschlagenen Vorschriften zur Umsetzung der<br />

EU-Richtlinie 2006/24/EG zur so genannten Vorratsdatenspeicherung<br />

lehnen wir ab. Wir halten die Richtlinie<br />

bereits selbst für europarechtswidrig und gehen davon<br />

aus, dass der Europäische Gerichtshof dies in dem<br />

dort zur Zeit anhängigen Verfahren feststellen wird.<br />

Überdies verstößt sie gegen deutsches Verfassungsrecht,<br />

wie es für die einschlägigen Problemfelder in der Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgerichts in mehreren<br />

einschlägigen Entscheidungen konturiert wurde.<br />

Insgesamt sind wir der Auffassung, dass der vorliegende Entwurf<br />

eine Vielzahl diskussionswürdiger Ansätze enthält, die es<br />

verdienen, in einer breiten (nicht nur Fach-) öffentlichen Debatte<br />

erwogen und gewürdigt zu werden. Um so mehr bedauern<br />

wir es, dass der Entwurf in der gelegentlich von populistischem<br />

„Sicherheits“-Wahn überlagerten Debatte der letzten<br />

Monate nicht die ihm gebührende Beachtung gefunden hat.<br />

II. Zu den einzelnen Regelungen:<br />

Zur Einführung eines § 53b StPO<br />

Wir begrüßen es, dass die Regelung von Beweiserhebungsverboten<br />

bezüglich Ermittlungsmaßnahmen, die sich auf Berufsgeheimnisträger<br />

richten, einheitlich, „vor die Klammer<br />

gezogen“, erfolgt.<br />

Auch dass der Entwurf im Anschluss an die Vorschläge<br />

des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht 2 der be-<br />

1 Von einem „harmonischen Gesamtsystem“ möchten wir, anders als der Entwurf<br />

(vgl. S. 1), allerdings nicht sprechen.<br />

2 Vgl. dazu die von Wolter und Schenke zusammengestellte Textsammlung „Zeugnisverweigerungsrechte<br />

bei (verdeckten) Ermittlungsmaßnahmen“ (2002) in der die<br />

vom Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP) bei dem Mannheimer<br />

Institut für deutsches und europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht erarbeiteten<br />

Ergebnisse zu dem vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen<br />

Forschungsprojekt „Informationserhebung und Verwertung durch Vernehmung,<br />

Auskunft und heimliche Ermittlungsmaßnahmen“ zusammengestellt sind<br />

(vgl. dazu auch die Begründung des Entwurfs, BT-Drs. 16/ 5846, S.56).<br />

DAV-Stellungnahme AnwBl 11 / 2007 767


MN Mitteilungen<br />

sonderen Brisanz von Eingriffen der Strafverfolgungsbehörden<br />

in das Mandatsverhältnis der Strafverteidiger gerecht<br />

werden will, entspricht einer alten Forderung des DAV.<br />

Die Rolle des Strafverteidigers in einem rechtsstaatlichen<br />

Strafverfahren verbietet es ohne wenn und aber, Informationen,<br />

auf die sich sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53<br />

Abs. 1 Nr. 2 StPO bezieht, zum Objekt von Ermittlungsmaßnahmen<br />

zu machen. Der Beistand dessen, gegen den sich<br />

der Verdacht richtet, darf in dieser Funktion unter keinen<br />

Umständen ausgerechnet von denen ausgeforscht werden,<br />

die gegen den Mandanten ermitteln. Derartiges wäre nicht<br />

nur mit dem notwendigen Schutz der Vertraulichkeit der<br />

Kommunikation, sondern auch mit der Subjektstellung des<br />

Beschuldigten nicht vereinbar, was für den inhaftierten Beschuldigten<br />

auch durch § 148 StPO ausdrücklich anerkannt<br />

ist. Schon daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit<br />

der in § 53b Abs.1 StPO-E vorgesehenen Regelung für Strafverteidiger.<br />

Bei den übrigen Berufsgeheimnisträgern besteht diese<br />

aus der besonderen Konstellation des Strafverfahrens resultierende<br />

Situation des Strafverteidigermandats zwar nicht;<br />

gleichwohl sprechen zwingende Gründe – die bei dem Strafverteidiger<br />

zu den genannten hinzutreten – dagegen, durch<br />

eine Differenzierung zwischen den einzelnen Gruppen von<br />

Zeugnisverweigerungsberechtigten aus § 53 Abs.1 StPO, wie<br />

der Entwurf sie in § 53b Abs.2 StPO-E vorsieht, eine Abstufung<br />

im Schutzniveau zwischen den sie betreffenden Vertrauensverhältnissen<br />

vorzunehmen.<br />

„Bei Anwälten darf es eine<br />

Abstufung im Schutzniveau<br />

nicht geben“<br />

Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 53 Abs.1 zu<br />

erkennen gegeben, dass die Beziehung zwischen dem Rat<br />

oder Hilfe suchenden Bürger und den Angehörigen der in<br />

der Vorschrift aufgezählten Berufe einer besonderen Vertraulichkeit<br />

bedarf. Die Leistungen der in § 53 Abs.1 StPO genannten<br />

Berufe berühren – und zwar häufiger und stärker<br />

als die anderer Berufsgruppen – Bereiche, in denen schutzwürdige<br />

Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen Beachtung<br />

verlangen. Sie sind daher in besonderem Maße davon abhängig,<br />

dass demjenigen, der sie in Anspruch nimmt, die<br />

Möglichkeit garantiert ist, sich seinem Gegenüber frei, offen<br />

und rückhaltlos anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen,<br />

dass Tatsachen oder Umstände, die der andere kraft seines<br />

Berufes erfährt, offenbart oder sonst ohne die Zustimmung<br />

des Betroffenen bekannt werden, insbesondere an die Ohren<br />

von Ermittlungsbehörden dringen oder ihnen in die Hände<br />

fallen (vgl. BVerfGE 38, 312, 323). Eine Differenzierung zwischen<br />

den Zeugnisverweigerungsrechten der einzelnen Berufsgruppen<br />

nimmt der Gesetzgeber in § 53 Abs.1 StPO<br />

nicht vor. Es geht bei § 53 StPO so wenig wie in § 53b StPO-E<br />

um Privilegien für herausgehobene Berufsgruppen. Es geht<br />

um die Persönlichkeitsrechte von Bürgern, deren Vertrauen<br />

darauf, sich bestimmten Menschen rückhaltlos und unzensiert<br />

anvertrauen zu können, geschützt werden muss. Die<br />

Gesellschaft und der demokratisch verfasste Rechtsstaat sind<br />

auf solche Freiräume angewiesen.<br />

Die Preisgabe von Informationen, auf die sich ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

bezieht, ist in den meisten Fällen<br />

strafbewehrt (§ 203 Abs. 1 StGB). Zu den tauglichen Tätern<br />

nach § 203 StGB gehören allerdings Abgeordnete und Geist-<br />

liche, die der Entwurf in § 53b Abs. 1 (zusammen mit den<br />

Strafverteidigern) vor den übrigen Berufsgeheimnisträgern<br />

privilegieren will, nicht.<br />

Die im Entwurf vorgesehene Differenzierung zwischen<br />

verschiedenen Berufsgruppen führt unweigerlich zu Wertungswidersprüchen<br />

zwischen einzelnen Regelungen zum<br />

Vertraulichkeitsschutz, sei es in § 53 Abs.1 StPO, sei es in<br />

§ 203 StGB. Sie lässt sich auch nicht aus dem unterschiedlichen<br />

Kernbereichsbezug der verschiedenen Berufsgruppen<br />

oder aus anderen Grundrechten ableiten, als deren Träger<br />

die Berufsausübenden agieren. So ist es nicht plausibel, dass<br />

die Informationen, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

des Geistlichen bezieht, a priori stärkeren Kernbereichsbezug<br />

aufweisen sollten, als die seelischen Qualen,<br />

die ein Patient seinem Psychiater offenbart. Und das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

des Journalisten, der das durch Art. 5<br />

GG geschützte Informationsinteresse der Öffentlichkeit bedient,<br />

ist nicht weniger verfassungsrechtlich verwurzelt als<br />

das des Abgeordneten, das sich unmittelbar aus Art. 47 GG<br />

ergibt.<br />

Die Funktion des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren<br />

macht einen besonderen Schutz seiner Beziehung<br />

zu derjenigen Person erforderlich, derentwegen dieses Verfahren<br />

stattfindet und zu deren Rechtsgewährleistung es geregelt<br />

ist. Aus dieser Besonderheit, die einen absoluten<br />

Schutz der mandatsinternen Kommunikation gebietet, folgt<br />

aber nicht, dass es gerechtfertigt oder gar geboten wäre, die<br />

Vertraulichkeitssphäre mit den Angehörigen anderer Berufe,<br />

die der Gesetzgeber unter den Schutz des § 53 Abs.1 StPO<br />

gestellt hat, für Ermittlungsmaßnahmen auch nur ansatzweise<br />

zu öffnen.<br />

Zu begrüßen ist grundsätzlich, dass die das Kommunikationsverhältnis<br />

mit den Berufsgeheimnisträgern schützenden<br />

Regelungen künftig nicht mehr bereits dann aufgehoben<br />

sein sollen, wenn ein bloßer Verdacht der Beteiligung an der<br />

Tat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei<br />

besteht (§ 53 b Abs.4 S.1 StPO-E; vgl. auch § 97 Abs. 2 S.3<br />

StPO-E). Die Eingriffsschwelle „Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“<br />

ist aber bloß eine formale, leicht niederzureißende<br />

Barriere. Es ist daher angemessen, entsprechend<br />

dem geltenden § 138a Abs.1 StPO vorauszusetzen, dass der<br />

Berufsgeheimnisträger „dringend oder in einem die Eröffnung<br />

des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig<br />

ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung<br />

bildet, beteiligt ist oder eine Handlung begangen<br />

hat, die für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten<br />

Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei wäre“.<br />

Unbedingt abzulehnen ist der Vorschlag des Bundesrates,<br />

auch die Geldwäsche in die Aufzählung der Verstrickungstaten<br />

aufzunehmen.<br />

Der Strafrechtsausschuss des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Mitglieder des Strafrechtsausschusses sind die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte:<br />

Dr. Stefan König (Vorsitzender und Berichterstatter), Rüdiger Deckers, Dr. Gina Greeve,<br />

Prof. Dr. Rainer Hamm (Berichterstatter), Gabriele Jansen, Eberhard Kempf, Gül Pinar,<br />

Michael Rosenthal, Dr. Heide Sandkuhl (Berichterstatterin) und Dr. Rainer Spatscheck<br />

(Berichterstatter).<br />

768 AnwBl 11 / 2007 DAV-Stellungnahme


MN Mitteilungen<br />

Anwaltrecht<br />

_______________________________________________________<br />

Anwaltskanzlei und<br />

Datenschutzbeauftragter<br />

Entlastung durch das<br />

Mittelstandsentlastungsgesetz auch für Anwälte?<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Sassenberg, Gießen und Rechtsanwalt Thilo<br />

Schulz, Berlin*<br />

Der Schutz der persönlichen Daten (gerade der Mandanten)<br />

sollte Anwälten wichtig sein. Das Datenschutzrecht macht es<br />

Kanzleien aber nicht immer leicht. Eine alte Streitfrage ist,<br />

ob und unter welchen Voraussetzungen Kanzleien Datenschutzbeauftragte<br />

bestellen müssen. Der Gesetzgeber hat die<br />

Voraussetzungen durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />

neu gefasst. Kanzleien mit insgesamt weniger als zehn Mitarbeitern<br />

werden entlastet. Zukünftig können – sofern ein<br />

Datenschutzbeauftragter benötigt wird – sowohl externe als<br />

interne Personen bestellt werden.<br />

Ob in Anwaltskanzleien ein Datenschutzbeauftragter zu bestellen<br />

ist, wird schon lange und äußerst kontrovers diskutiert.<br />

So sprach sich der Ausschuss Datenschutzrecht der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer gegen die Bestellung eines Beauftragten<br />

für den Datenschutz in Anwaltskanzleien aus. 1<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hielt hingen die Bestellung eines<br />

Datenschutzbeauftragten für notwendig. 2 Dies führte in der<br />

Praxis häufig dazu, dass das Thema Datenschutz in der Anwaltskanzlei<br />

schlicht ignoriert wurde. Neuerungen in der<br />

Diskussion ergeben sich jedoch durch das Erste Gesetz zum<br />

Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen<br />

Wirtschaft (Mittelstandsentlastungsgesetz),<br />

welches relativ unbemerkt bereits am 26. August 2006, also<br />

vor etwa einem Jahr, in Kraft getreten ist. 3 Abgebaut werden<br />

sollen Bürokratie und Überregulierung, was unter anderem<br />

zu Änderungen im BDSG führte.<br />

A. Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

I. Änderungen im BDSG<br />

Wie bereits der Name Mittelstandsentlastungsgesetz zeigt,<br />

ist es Ziel, Bürokratie und Überregulierung insbesondere in<br />

kleinen und mittleren Unternehmen sowie bei Existenzgründern<br />

abzubauen.<br />

Begründet wurde das Gesetz damit, dass in einem nicht<br />

mehr vertretbaren Umfang betriebliche Ressourcen gebunden<br />

seien und dies mitursächlich für eine strukturelle<br />

Wachstumsschwäche in Deutschland sei. 4 Die Meldepflicht<br />

für die automatisierte Verarbeitung von personenbezogenen<br />

Daten nach § 4d BDSG setzt jetzt erst bei mehr als neun Personen<br />

an, womit auf der einen Seite die Schwelle erhöht und<br />

auf der anderen Seite aber der Adressatenkreis erweitert<br />

wurde. 5 Diese Fremdkontrolle entfiel früher, wenn entweder<br />

ein Datenschutzbeauftragter bestellt wurde (§ 4 Abs. 2<br />

BDSG) oder wenn höchstens vier Arbeitnehmer mit der Erhebung,<br />

Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten<br />

für eigene Zwecke beschäftigt waren (§ 4 Abs. 3 BDSG<br />

a. F.). Die Erhöhung der Personenzahl wird damit begründet,<br />

dass bei einer automatisierten Verarbeitung unter zehn Personen<br />

in der Regel entweder ein im Hinblick auf den Datenschutz<br />

eher weniger belastendes Massengeschäft abgewickelt<br />

oder nur ein überschaubarer Kundenkreis bedient wird. 6 Die<br />

Änderung des Worts „Arbeitnehmer“ in „Personen“ erfolgt,<br />

da es aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten unerheblich<br />

ist, welchen arbeitsrechtlichen Status die beschäftigte<br />

Person inne hat. 7 Rein praktisch ist damit jedoch für viele<br />

Kanzleien die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten zur<br />

Umgehung der Meldepflicht nicht mehr erforderlich.<br />

Allerdings ist nach § 4f Abs. 2a BDSG unbedingt zu<br />

berücksichtigen, dass ohne Verpflichtung zur Bestellung eines<br />

Datenschutzbeauftragten der Leiter der nichtöffentlichen<br />

Stelle die Erfüllung der Aufgaben in anderer Weise sicherzustellen<br />

hat. Es findet insofern eine Kompensation der<br />

Entlastung statt. 8 Bisher wird bei der Regelung nur ein klarstellender<br />

Charakter angenommen. 9 Der Begriff der verantwortlichen<br />

Stelle ist in § 3 Abs. 7 BDSG legaldefiniert. Danach<br />

ist die verantwortliche Stelle jede Person oder Stelle, die<br />

personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet<br />

oder nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen<br />

lässt. Es handelt sich insofern um den Sammelbegriff für die<br />

Normadressaten des BDSG. 10<br />

Eine weitere wichtige Änderung ist, dass nach § 4f Abs. 2<br />

S. 3 BDSG n. F. zum Beauftragten für den Datenschutz auch<br />

eine Person außerhalb der verantwortlichen Stelle bestellt<br />

werden kann, wobei sich die Kontrolle auch auf personenbezogene<br />

Daten erstreckt, die einem Berufs- oder einem besonderen<br />

Amtsgeheimnis, insbesondere dem Steuergeheimnis<br />

nach § 30 der Abgabenordnung unterliegen. Nach § 4f<br />

Abs. 4a BDSG n. F. steht dem Datenschutzbeauftragten und<br />

dessen Hilfspersonal ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, sofern<br />

der Leiter der Stelle oder eine beschäftigte Person ein<br />

solches aus beruflichen Gründen hat. Darüber hinaus schafft<br />

die Vorschrift ein Beschlagnahmeverbot für Akten und<br />

Schriftstücke des Beauftragten für den Datenschutz, das so<br />

weit reicht wie sein Zeugnisverweigerungsrecht. 11 Nicht aufgenommen<br />

wurde jedoch ein Beschlagnahmeverbot von<br />

Datenträgern und elektronischen Dokumenten, welches vorgeschlagen<br />

war. 12 Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts<br />

entscheidet die Person, der es aus beruflichen<br />

Gründen zusteht. Ist der Geheimnisträger nicht rechtzeitig<br />

erreichbar, kann der Datenschutzbeauftragte beziehungsweise<br />

seine Hilfsperson eine Entscheidung treffen. 13<br />

* Die Autoren bedanken sich bei Roland Schäfer, Fachkraft für Datenschutz,<br />

Frankfurt am Main, für die Anregungen.<br />

1 BRAK-Stellungnahme Nr. 31/2004 vom September 2004.<br />

2 Merkblatt des DAV im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2004, S. 512 (512).<br />

3 BGBl. 2006, Teil I, Nr. 40 vom 25. August 2006.<br />

4 BT-Drucksache 16/1407, S. 1,7.<br />

5 Dazu ausführlich Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (119 f.).<br />

6 BT-Drucksache 16/1407, S. 9.<br />

7 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />

8 Karper/Stutz, DuD 2006, S. 789 (792).<br />

9 Karper/Stutz, DuD 2006, S. 789 (792).<br />

10 Gola/Schomerus, BDSG, 8. Auflage 2005, § 3 BDSG, Rn. 48.<br />

11 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />

12 Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (121 f.).<br />

13 Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (119 f.).<br />

Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz AnwBl 11 / 2007 769


MN Mitteilungen<br />

Damit soll es Berufsgeheimnisträgern ermöglicht werden,<br />

eine Person außerhalb der verantwortlichen Stelle als<br />

Datenschutzbeauftragter zu bestellen. 14 Weiter wurde § 203<br />

StGB um einen Abs. 2a ergänzt, wonach die Absätze 1 und 2<br />

auch für den Beauftragten für den Datenschutz gelten und<br />

sich dieser somit auch durch die Verletzung von Privatgeheimnissen<br />

strafbar machen kann. Nicht einbezogen in die<br />

Strafbarkeit wurden jedoch die berufsmäßigen Gehilfen. 15<br />

§ 4f Abs. 2 S. 2 BDSG n. F. stellt klar, dass sich die erforderliche<br />

Fachkunde des Beauftragten für den Datenschutz insbesondere<br />

nach dem Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen<br />

Stelle und dem Schutzbedarf der<br />

personenbezogenen Daten richtet. In § 38 Abs. 1 S. 2 BDSG<br />

wurde ein Beratungsrechtsrecht des Datenschutzbeauftragten<br />

mit der Aufsichtsbehörde aufgenommen, wobei die typischen<br />

Bedürfnisse berücksichtigt werden sollen.<br />

II. Verhältnis von BDSG und Berufsrecht<br />

Für den anwaltlichen Datenschutz stellt sich die Frage nach<br />

dem Verhältnis von BDSG und den berufsrechtlichen Normen<br />

der Rechtsanwälte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass<br />

dieses Verhältnis für den Arbeitnehmerdatenschutz der<br />

Kanzleiangestellten nicht gilt und insoweit keine Bedenken<br />

gegen die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten bestehen.<br />

Das Bundesdatenschutzgesetz ist als Auffanggesetz<br />

konzipiert und als solches subsidiär zu spezialgesetzlicheren<br />

Normen (§ 1 Abs. 3 S. 1 BSDG). 16<br />

Wie sich diese Subsidiarität letztendlich auswirkt, wird<br />

ganz unterschiedlich beurteilt. 17 Eine Verdrängung des gesamten<br />

BDSG ist abzulehnen, da sich bereits aus dem Wortlaut<br />

der Subsidiaritätsklausel („soweit“) ergibt, dass die Verdrängung<br />

nur in dem Umfang stattfindet, in dem eine<br />

Abweichung für den gleichen Sachverhalt vorliegt. 18 Auch ein<br />

vollständiges Nebeneinander von BDSG und Berufsnormen<br />

kommt nicht in Betracht. 19 So ist beispielsweise nicht vorstellbar,<br />

dass der Gegner einen Auskunftsanspruch nach § 33<br />

BDSG geltend machen kann. Alleine von einem Nebeneinander<br />

deswegen auszugehen, weil ansonsten stets die<br />

Gefahr besteht, Pflichten zu verletzen oder gar eine Ordnungswidrigkeit<br />

zu begehen – beispielsweise wegen der<br />

Nichtbestellung eines Datenschutzbeauftragten – vermag<br />

nicht zu überzeugen. Dies hat eine Teilanwendbarkeit des<br />

BDSG zur Folge, wobei es einer praktikablen und rechtssicheren<br />

Lösung zur Ermittlung des Verhältnisses bedarf.<br />

Hier wird vertreten, dass eine Verdrängung des BDSG nur<br />

in dem Umfang stattfindet, in dem nach einem genauen inhaltlichen<br />

Vergleich eine abweichende Regelung für den<br />

exakt gleichen Sachverhalt vorliegt. 20 Auch wird ein Aliudverhältnis<br />

angenommen. 21 Nach anderer Auffassung ist das<br />

BDSG nur insoweit anwendbar, wenn sich die Sphären des<br />

Regelungsgehalts von Berufs- und Datenschutzrecht nicht<br />

überlagern.<br />

Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann nicht<br />

nur die vollständige Deckungsgleichheit ausschlaggebend<br />

sein, vielmehr ist auf die jeweilige Sphäre abzustellen. Ansonsten<br />

kann der Wertungswiderspruch zwischen BDSG<br />

und Berufsrecht nicht aufgefangen werden, auch wenn dadurch<br />

der Wortlaut der anwaltlichen Schweigepflicht – der<br />

Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet – ausgedehnt<br />

wird und es an einer konkreten Regelungsmaterie<br />

fehlt. Dieses Ergebnis steht auch nicht § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG<br />

entgegen, wonach das Berufsgeheimnis unberührt bleibt.<br />

III. Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

Ausschlaggebend für die Bestellung eines Beauftragten für<br />

den Datenschutz ist die Frage, ob es bei einer Bestellung zu<br />

einer Überscheidung der Sphären von Datenschutz- und Berufsrecht<br />

kommt. Bedingt durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />

wurde in § 4f Abs. 2 S. 3 und 4a BDSG n. F. explizit<br />

die Bestellung eines externen Datenschutzbeauftragten<br />

für Berufsgeheimnisträger für zulässig erklärt. Dem Gesetzesentwurf<br />

sind keine Ausführungen über das Verhältnis<br />

von Berufs- und Datenschutzrecht zu entnehmen. Denkbar<br />

ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Bestellung<br />

eines Datenschutzbeauftragten nicht gegen die berufsrechtliche<br />

Verschwiegenheitsverpflichtung verstößt oder dass die<br />

Subsidiarität des BDSG durch § 4f. BDSG n. F. eingeschränkt<br />

werden soll. Zu berücksichtigen ist, dass nach § 1<br />

Abs. 3 S.2 BDSG die Verpflichtung zur Wahrung von Berufsgeheimnissen<br />

unberührt bleibt. Damit wird klargestellt, dass<br />

das BDSG in keiner Weise in den Schutzbereich dieser Berufs-<br />

oder besonderen Amtsgeheimnisse garantierenden Normen<br />

eingreifen möchte. 22 Anzunehmen, dass die Subsidiarität<br />

durch die Neuerungen eingeschränkt wird, würde zu<br />

weit gehen.<br />

Jedoch besteht eine Verschwiegenheitsverpflichtung seitens<br />

des Anwalts aus § 43a Abs. 2 BRAO dann nicht mehr,<br />

wenn eine gesetzliche Ausnahme den Anwalt zum Offenbaren<br />

verpflichtet, da in diesem Fall die Verschwiegenheitsverpflichtung<br />

zurück tritt. 23 Eine solche Ausnahme in den datenschutzrechtlichen<br />

Regelungen zu sehen, vermag nicht zu<br />

überzeugen. Für Datenschutzbeauftragte ist in § 203 Abs. 2a<br />

StGB eine entsprechende Anwendung der § 203 Abs. 1 u. 2<br />

StGB hinsichtlich der Verletzung von Privatgeheimnissen<br />

vorgesehen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Bestellung<br />

eines Datenschutzbeauftragten keinen Verstoß gegen<br />

die Verschwiegenheitspflicht darstellen kann, so dass<br />

letztendlich die Vereinbarkeit der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

mit dem Berufsrecht nach den Änderungen<br />

durch das Mittelstandsentlastungsgesetz anzunehmen<br />

ist.<br />

Eine Differenzierung zwischen externen und internen<br />

Datenschutzbeauftragten ließe sich nur aus der anwaltlichen<br />

Verschwiegenheitspflicht herleiten; der Verstoß gegen eine<br />

solche besteht aber ja gerade nicht, so dass auch ein externer<br />

Datenschutzbeauftragter bestellt werden kann. Nach der Begründung<br />

des Mittelstandsentlastungsgesetzes soll es Berufsgeheimnisträgern<br />

gerade ermöglicht werden, auch Personen<br />

außerhalb der verantwortlichen Stelle zum Beauftragten für<br />

Datenschutz zu bestellen. 24<br />

14 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />

15 Dies kritisierend: Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (122).<br />

16 Vgl. Walz inSimitis,§1BDSG,Rn.155.<br />

17 Ausführlich dazu: Sassenberg, Rechtsfragen des Einsatzes von Wissensmanagement<br />

in Anwaltskanzleien, 2005, S. 106ff.<br />

18 Walz in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Auflage 2006, § 1 BDSG, Rn. 170,<br />

Redeker, AnwBl. 1996, S. 512 (513).<br />

19 So aber: Zuck in Abel, Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Auflage<br />

2003, § 2 BDSG, Rn. 27; Becker, NJW-CoR 3/90, S. 30 (30f.), Eggersmann/Hoene,<br />

CR 1990, S. 18 (18ff.).<br />

20 Walz in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Auflage 2006, § 1 BDSG, Rn. 170;<br />

ähnlich Schneider, AnwBl 2004, S. 618 (618f.).<br />

21 Dobmeier, Datenschutz in der Anwaltskanzlei, 2004, S. 32ff.<br />

22 Walz in Simitis, § 1 BDSG, Rn. 175.<br />

23 Eylmann in Henssler/Prütting, 2. Auflage 2004, § 43a BRAO, Rn. 69.<br />

24 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />

770 AnwBl 11 / 2007 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz


MN Mitteilungen<br />

Die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten ist für Anwaltskanzleien<br />

damit nicht nur möglich, sondern wohl auch<br />

verpflichtend. Bedingt dadurch, dass die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

mit dem Berufsrecht vereinbar ist,<br />

überschneiden sich die Sphären von Datenschutz- und Berufsrecht<br />

nicht mehr. Damit kommt das BDSG hinsichtlich<br />

der Bestellung des Datenschutzbeauftragten zur Anwendung,<br />

so dass letztendlich auch eine Pflicht zur Bestellung besteht.<br />

B. Der Datenschutzbeauftragte in der Kanzlei<br />

Besteht die Notwendigkeit, einen Datenschutzbeauftragten<br />

zu bestellen, so ist zu klären wie die Bestellung als solche erfolgt,<br />

welche Aufgaben der Datenschutzbeauftragte wahrnehmen<br />

muss und welche Folgen die Nichtbestellung hat.<br />

I. Anforderungen an den Datenschutzbeauftragten<br />

Der Datenschutzbeauftragte ist ein wichtiges Element des<br />

mehrstufigen Schutzkonzeptes aus Selbst-, Eigen- und<br />

Fremdkontrolle. 25 Die Eigenkontrolle durch den Datenschutzbeauftragten<br />

kann, wie dargelegt, in Form des internen oder<br />

externen Datenschutzbeauftragten erfolgen, so dass ein<br />

Wahlrecht seitens der verantwortlichen Stelle besteht. Für<br />

die Bestellung eines internen Datenschutzbeauftragten<br />

spricht, dass ein Kanzleimitarbeiter in der Regel schon die<br />

internen Arbeitsabläufe kennt und diese Aufgabe als zusätzliches<br />

Aufgabenfeld übernehmen kann, so dass ein ansonsten<br />

notwendiger Einarbeitungsaufwand entfällt und gleichzeitig<br />

auch die Entscheidungs- und Kommunikationswege<br />

kürzer sind. 26 Gleichzeitig ist aber auch zu berücksichtigen,<br />

dass bei externeren Datenschutzbeauftragter aufgrund der<br />

Spezialisierung und Erfahrung von einer höheren Effizienz<br />

auszugehen ist. Bei externen Datenschutzbeauftragten ist<br />

nach einer Umfrage des Berufsverbands der Datenschutzbeauftragten<br />

Deutschlands (BvD) e.V. von Tagessätzen zwischen<br />

750 bis 1250 Euro auszugehen.<br />

Nach § 4f Abs. 2 S. 1 BDSG darf zum Beauftragten für Datenschutz<br />

nur bestellt werden, wer die zur Erfüllung seiner<br />

Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt.<br />

Ein festes Anforderungsprofil lässt sich daraus nicht<br />

schließen. 27 Erforderlich sind sowohl das notwendige Grundwissen<br />

im Datenschutzrecht als auch ein Verständnis über betriebswirtschaftliche<br />

Zusammenhänge sowie Grundkenntnisse<br />

über Verfahren und Techniken der automatisierten<br />

Datenverarbeitung. 28 Durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />

wurde in § 4f Abs. 2 S. 1 BDSG eingefügt, dass sich das<br />

Maß der erforderlichen Fachkunde insbesondere nach dem<br />

Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen Stelle<br />

und dem Schutzbedarf der personenbezogenen Daten, die die<br />

verantwortliche Stelle erhebt oder verwendet, richtet. Mit dieser<br />

Änderung sollte der Umfang der erforderlichen Fachkunde<br />

konkretisiert und begrenzt werden. 29 Betont wird insbesondere<br />

der vom Betrieb zu tragende Schulungsaufwand. 30<br />

Zu weitgehend wäre es anzunehmen, dass in Anwaltskanzleien<br />

nur ein Volljurist als Datenschutzbeauftragter bestellt<br />

werden darf, da neben den rechtlichen Kenntnissen eben auch<br />

solche organisatorischer und technischer Art erforderlich<br />

sind. Bei der Auswahl des Datenschutzbeauftragten sind Interkompatibilitätsgrundsätze<br />

zu berücksichtigen. 31 Weder der<br />

Leiter der EDV noch |ein Partner der Kanzlei können zum Datenschutzbeauftragten<br />

bestellt werden, da in diesem Fall die<br />

interne Kontrollfunktion nicht gewahrt werden würde.<br />

II. Bestellung des Datenschutzbeauftragten und organisatorische<br />

Stellung<br />

Zu bestellen ist der Datenschutzbeauftragte nach § 4f. Abs. 1<br />

S. 1 BDSG spätestens bei Beginn der Verarbeitung, wobei<br />

die Bestellung schriftlich zu erfolgen hat. Gefordert wird<br />

eine von beiden Parteien unterschriebene Urkunde (§ 126<br />

BGB) und die Aufnahme bestimmter Mindestanforderungen<br />

wie die Aufgabenbeschreibung, die Festlegung der Beschäftigungsdauer,<br />

die notwendige personelle und materielle Unterstützung<br />

und die nach § 4f Abs. 3 erforderliche Präzisierung<br />

der organischen Stellung. 32<br />

In § 4f Abs. 3 BDSG ist die organisatorische Stellung des<br />

Beauftragten für den Datenschutz normiert. Danach ist dieser<br />

unmittelbar dem Leiter der verantwortlichen Stelle unterstellt<br />

und kann sich jederzeit an diese wenden. Der Datenschutzbeauftragte<br />

ist ausschließlich der Leitung der<br />

verantwortlichen Stelle zur Rechenschaft verpflichtet. Er ist<br />

nach S. 2 weisungsfrei und darf nach S. 3 wegen der Erfüllung<br />

seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden. Weiter besteht<br />

nach § 4f Abs. 5 S. 1 BDSG die Pflicht, den Beauftragten<br />

bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen.<br />

Die Bestellung des Datenschutzbeauftragten endet mit<br />

Zeitablauf, einer Aufhebungsvereinbarung oder sobald dieser<br />

sein Amt niederlegt. Die Abberufung des Datenschutzbeauftragten<br />

ist in den §§ 4 f Abs. 3 S. 4; 38 Abs. 5 S. 3 BDSG erwähnt.<br />

§ 4 f Abs. 3 S. 4 BDSG verweist auf § 626 BGB. Danach<br />

kann die Abberufung nur aus einem wichtigen Grund<br />

erfolgen, was zu einer Stärkung der Stellung des Datenschutzbeauftragten<br />

führen soll. 33 Nach § 38 Abs. 5 S. 3 BDSG<br />

kann die Aufsichtsbehörde die Abberufung des Beauftragten<br />

für den Datenschutz verlangen, wenn er die zur Erfüllung<br />

seiner Aufgaben erforderliche Sachkunde und die Zuverlässigkeit<br />

nicht besitzt. Zwar sind das Amt des Datenschutzbeauftragten<br />

und das Arbeitsverhältnis grundsätzlich getrennt zu<br />

beurteilen, dennoch wird zum Teil ein Verbot der ordentlichen<br />

Kündigung geschlossen. 34 Ein Kündigungsschutz durch<br />

das BSDG wird wohl nur dann in Betracht kommen, wenn<br />

sie aus Gründen erfolgt, die mit der Amtsausübung in einem<br />

untrennbaren Sachzusammenhang stehen.<br />

III. Aufgaben des Datenschutzbeauftragten<br />

Die Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz sind in<br />

§ 4g BDSG geregelt, dort jedoch nicht abschließend aufgeführt.<br />

So ergibt sich beispielsweise aus § 4f Abs. 5 S. 2<br />

BDSG das Recht der Betroffenen, sich jederzeit an den Datenschutzbeauftragten<br />

zu wenden. Die Aufgaben des Datenschutzbeauftragten<br />

abstrakt zu umreißen, ist nur schwer<br />

möglich. Exemplarisch seien die Überwachung der Einhaltung<br />

der Datenschutzbestimmungen sowie der Datenverarbeitung,<br />

die Durchführung von Schulungen und das Fungieren<br />

als Ansprechpartner genannt. Aufgaben sind aber<br />

25 Wächter, Datenschutz im Unternehmen, 3. Auflage 2003, Rn. 130.<br />

26 Vgl. Gola/Schomenius, BDSG, 9. Auflage 2007, § 4f BDSG, Rn. 17<br />

27 Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f BDSG, Rn. 84.<br />

28 Gola/Schomenius, BDSG, 9. Auflage 2007, § 4f BDSG, Rn. 20.<br />

29 BT-Drucksache 16/1407, S. 10; vgl. auch Kaufmann, MMR 2006, Heft 10, S. XIV.<br />

30 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />

31 Weitze, DStR 2004, S. 2218 (2219); Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f.<br />

BDSG, Rn. 98, 100.<br />

32 Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f. BDSG, Rn. 58 m.w.N.; a.A. Däubler<br />

in Däubler/Klebe/Wedde, BDSG, § 36 BDSG, Rn. 21.<br />

33 Simitis in Simitis, BDGS, 8. Auflage, § 4 f BDGS, Rn. 179 ff.<br />

34 Vgl. zum Meinungsstand: Preis in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Auflage<br />

2004, § 4 f BDSG, Rn. 13 ff.; Gola/Schomerus, BDSG, 8. Auflage 2006, § 4 f<br />

BDSG, Rn. 39.<br />

Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz AnwBl 11 / 2007 771


MN Mitteilungen<br />

auch die Kontrolle des sicheren Datenverkehrs über Internet,<br />

Notebooks, Festplatten, Speichermedien und Telefon sowie<br />

Fax, der Zugang zu Datenverarbeitungsanlagen und deren<br />

Sicherung, die Vorkehrungen in Bezug auf die Verfügbarkeit<br />

von Daten und die Schutzvorkehrungen gegen Einsichtnahme<br />

durch Dritte und die Vernichtung und Aufbewahrung<br />

von Akten zu verstehen. 35 Der BvD e.V. führte vor Änderung<br />

der Rechtslage hinsichtlich der Tätigkeit des<br />

Datenschutzbeauftragten aus, dass es nicht um eine inhaltliche<br />

Überprüfung von mandantenbezogenen, verarbeiteten<br />

Informationen gehe, sondern das der Datenschutzbeauftragte<br />

sich vor allem mit den technisch-organisatorischen<br />

Fragen des Datenschutzes befasse. 36 Ob dieser komplette<br />

Ausschluss der Kontrolle personenbezogenen Daten nach<br />

der Aufnahme der Berufsgeheimnisträger in § 4f Abs. 2 S. 3<br />

BDSG aufrechterhalten wird, erscheint fraglich, da mit dieser<br />

Einschränkung der Konflikt zwischen BDSG und Berufsrecht<br />

gelöst werden sollte, der so nicht mehr existiert.<br />

VI. Aufsichtsbehörde<br />

Die Ausführung des BDSG sowie anderer Vorschriften durch<br />

nicht-öffentliche Stellen wird gem. § 38 BDSG von der Aufsichtsbehörde<br />

kontrolliert. In diesem Zusammenhang stellt<br />

sich die Frage nach der Kontrollbefugnis in Anwaltskanzleien<br />

und dem Verhältnis zu der Kontrolle durch das Berufsrecht.<br />

Ob eine solche Kontrollbefugnis überhaupt seitens der<br />

Aufsichtsbehörde besteht, wird uneinheitlich beurteilt. 37 Das<br />

Amtsgericht Tiergarten entschied am 4. Oktober 2006, dass<br />

einem Auskunftsverlangen § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG i. V. m.<br />

§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB entgegen gehalten werden kann. 38<br />

Das umfangreiche Betretens-, Besichtigungs- und Prüfungsrecht<br />

(vgl. insb. § 38 Abs. 4 BDSG) lässt sich nach der Auffassung<br />

der Autoren nicht mit den berufsrechtlichen Regelungen<br />

der Rechtsanwälte vereinbaren, die ein in sich<br />

geschlossenes System darstellen. 39 – Etwas anderes ergibt<br />

sich auch nicht durch die Möglichkeit der Bestellung externer<br />

Datenschutzbeauftragter durch Berufsgeheimnisträger. –<br />

V. Auswirkungen einer Nichtbestellung<br />

Nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG handelt ordnungswidrig, wer<br />

vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4f Abs. 1 S. 1 oder 2, jeweils<br />

auch in Verbindung mit S. 3 oder 6, einen Beauftragten<br />

für Datenschutz nicht, nicht in der vorgeschriebenen Weise<br />

oder nicht rechtzeitig bestellt. Gem. § 43 Abs. 3 BDSG<br />

können Ordnungswidrigkeiten nach dieser Vorschrift mit<br />

Geldbuße bis 25.000 geahndet werden. Darüber hinaus<br />

kommt auch die berufsrechtliche Ahndung eines Verstoß gegen<br />

§ 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG nach § 113 Abs. 2 BRAO in Betracht.<br />

Bereits in Hinblick auf den Wortlaut des § 113 Abs. 2<br />

BRAO erreichen allerdings einmalige, fahrlässige Ordnungswidrigkeiten<br />

nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG die notwendige berufsrechtliche<br />

Relevanz nicht.<br />

35 Pressemitteilung des BvD e.V. vom 23.2.2005.<br />

36 Pressemitteilung des BvD e.V. vom 23.2.2005.<br />

37 Vgl. Sassenberg, S. 120 ff. m.w.N; Berliner Datenschutzbeauftragte für Datenschutz<br />

und Informationsfreiheit, Jahresbericht 2005, S. 104ff (online verfügbar unter<br />

http://www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/05/bericht_2005.pdf).<br />

38 Urteil des AG Tiergarten AnwBl 2007, S. 161 (161 f.); a.A. Berliner Datenschutzbeauftragte<br />

für Datenschutz und Informationsfreiheit, Jahresbericht 2005, S. 104ff<br />

(online verfügbar unter http://www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/05/bericht_2005.pdf).<br />

39 Vgl. Sassenberg, S. 120 ff. (122) m.w.N.<br />

40 Vgl. Dahns, NJW-Spezial, 2006, S. 285.<br />

C. Zusammenfassung<br />

Bedingt durch die Änderungen des sog. Mittelstandsentlastungsgesetzes<br />

ergeben sich für Kanzleien keine berufsrechtlichen<br />

Bedenken sowohl externe als auch interne Datenschutzbeauftragte<br />

zu bestellen. Aus den Änderungen ergibt<br />

sich nicht nur die Möglichkeit sondern wohl auch die Verpflichtung<br />

zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten.<br />

Bedingt dadurch, dass die Meldepflicht erst bei mehr als<br />

neun Personen ansetzt, stellt sich faktisch für viele Kanzleien<br />

die Problematik jedoch nicht. In diesen Fällen liegt die Verantwortung<br />

nach § 4g Abs. 2 a BSDG beim Leiter der Stelle.<br />

Zu berücksichtigen ist, dass der Datenschutzbeauftragte in<br />

§ 203 Abs. 2a StGB aufgenommen wurde wodurch sich dieser<br />

damit durch die Verletzung von Privatgeheimnissen<br />

strafbar machen kann, auch wenn er selbst nicht Berufsgeheimnisträger<br />

ist. Auch wenn sich das Maß der erforderlichen<br />

Fachkunde insbesondere nach dem Umfang der Datenverarbeitung<br />

der verantwortlichen Stelle und dem<br />

Schutzbedarf der personenbezogenen Daten richtet, muss<br />

dies nicht zur Folge haben, dass nur ein Volljurist in Anwaltskanzleien<br />

als Datenschutzbeauftragter beschäftigt werden<br />

kann. Letztlich führen die durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />

bedingten Änderungen jedoch nicht dazu, dass<br />

der Konflikt zwischen dem Vertrauensverhältnis mit dem<br />

Mandanten und der Datenschutzkontrolle gelöst wird. Die<br />

Forderung von Dahns v. a. nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers<br />

bleibt insofern weiterhin aktuell. 40<br />

Dr. Thomas Sassenberg, Gießen<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er arbeitet im Frankfurter Büro<br />

der Kanzlei Schalst & Partner. Dort beschäftigt er sich insbesondere<br />

mit Fragen des Medien- und Telekommunikationsrechts.<br />

Thilo Schulz, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist in der Kanzlei Mannheimer<br />

Swartling tätig. Dort befasst er sich überwiegend mit<br />

Fragen des deutsch-skandinavischen Rechtsverkehrs.<br />

772 AnwBl 11 / 2007 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz


MN Mitteilungen<br />

Anwaltsvergütung<br />

_______________________________________________________<br />

Der Steitwert muss stimmen<br />

Aktuelle Streitfragen beim Streitwert<br />

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />

Die zutreffende Vergütungsabrechnung erfordert nicht nur<br />

Kenntnisse im Gebührenrecht. Ebenso wichtig ist es, dass<br />

sich der Anwalt auch im Streitwertrecht auskennt. Die „beste<br />

Gebühr“ nutzt ihm nichts, wenn der Streitwert nicht stimmt.<br />

Leider ist in der Abrechnungspraxis allzu oft zu beobachten,<br />

dass der zutreffenden Streitwertfestsetzung ein viel zu geringes<br />

Gewicht beigemessen wird und die Anwälte unreflektiert<br />

und ungeprüft gerichtliche Wertfestsetzungen übernehmen<br />

und von den ihnen nach den §§ 32 Abs. 2 und 33 Abs. 3 RVG<br />

eingeräumten Beschwerdemöglichkeiten keinen Gebrauch<br />

machen. Auf die Grundzüge der Streitwertfestsetzung soll<br />

an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 1 Exemplarisch<br />

sollen hier vielmehr einzelne Streitwertfragen aus der<br />

aktuellen Rechtsprechung behandelt werden.<br />

A. Allgemeine Streitwertfragen<br />

I. Streitwert bei wechselnden Klageanträgen<br />

Bei der abschließenden Streitwertfestsetzung nach § 63<br />

Abs. 2 S. 1 GKG werden häufig Gegenstände übersehen, die<br />

sich im Verlaufe des Verfahrens erledigt haben und nicht<br />

mehr Gegenstand der abschließenden Entscheidung waren.<br />

Bei der nach § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 39 Abs. 1 GKG<br />

oder nach § 22 Abs. 1 RVG durchzuführenden Zusammenrechnung<br />

der einzelnen Gegenstände sind sämtliche Gegenstände<br />

zu berücksichtigen, auf die sich im Laufe des Verfahrens<br />

die anwaltliche Tätigkeit erstreckt hat. Es ist anders als<br />

bei der Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts – nicht erforderlich,<br />

dass der Anwalt hinsichtlich aller verschiedenen<br />

Gegenstände gleichzeitig tätig war. Dies ist insbesondere bei<br />

Verfahren zu berücksichtigen, in denen wiederkehrende<br />

Leistungen geltend gemacht werden und bei denen sich<br />

durch übereinstimmende Teilerledigungserklärung, Teilurteil<br />

oder Teilrücknahme hinsichtlich einzelner Gegenstände<br />

das Verfahren erledigt hat, während aufgrund des Zeitablaufs<br />

wieder neue Gegenstände hinzugekommen sind.<br />

Der Gebührenstreitwert richtet sich nach der Summe aller Forderungen, die<br />

innerhalb eines Prozesses erhoben werden. 2<br />

Beispiel: Der Anwalt erhält den Auftrag, Mieten in Höhe<br />

von jeweils 1.000,00 E für die Monate Januar, Februar und<br />

März geltend zu machen. Im Prozess stellt sich heraus, dass<br />

die Mieten für Januar und Februar bereits gezahlt waren, so<br />

dass insoweit die Klage zurückgenommen wird. Wegen zwischenzeitlich<br />

weiterer Rückstände für April und Mai wird die<br />

Klage gleichzeitig erweitert.<br />

Der Gegenstandswert der Anwaltsgebühren (und auch<br />

der Streitwert der Gerichtsgebühren) beläuft sich auf<br />

5.000,00 E, da im Verlaufe des Rechtsstreits insgesamt fünf<br />

Mieten zu jeweils 1.000,00 E anhängig waren. Darauf, dass<br />

nie mehr als drei Mieten in Höhe von insgesamt 3.000,00 E<br />

zeitgleich anhängig waren, kommt es nicht an. 3<br />

II. Hilfsaufrechnung<br />

1. Grundsatz<br />

Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen<br />

Gegenforderung geltend, so erhöht sich nach § 45<br />

Abs. 3 GKG der Streitwert, soweit eine der Rechtskraft fähige<br />

Entscheidung (siehe § 322 Abs. 2 ZPO) über sie ergeht. Bei<br />

einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gilt dies<br />

entsprechend (§ 45 Abs. 4 GKG).<br />

Beispiel: Der Kläger klagt auf Zahlung von 10.000 E. Der<br />

Beklagte bestreitet die Forderung und rechnet hilfsweise mit<br />

einer Forderung i. H. v. 15.000 E auf. Diese Forderung wiederum<br />

bestreitet der Kläger.<br />

a) Die Klage wird aufgrund der Hilfsaufrechung abgewiesen.<br />

Der Streitwert des Verfahrens beläuft sich auf<br />

20.000 E.<br />

b) Die Parteien schließen einen Vergleich über die Klageund<br />

die gesamte Aufrechnungsforderung. Der Streitwert<br />

des Verfahrens beläuft sich auf 20.000 E, der Mehrwert<br />

des Vergleichs auf 5.000 E.<br />

2. Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit bei nicht<br />

beschiedener Hilfsaufrechnung<br />

Heftig umstritten ist nach wie vor, ob für die Anwaltsgebühren<br />

nicht auch dann ein höherer Gegenstandswert anzunehmen<br />

ist, wenn über die Hilfsaufrechnung nicht entschieden<br />

wird. Dies wird zum Teil befürwortet und damit begründet,<br />

dass sich der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren<br />

nach dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit richte (§ 2<br />

Abs. 1 RVG). Bei einer Hilfsaufrechnung müsse der Anwalt<br />

aber auch hinsichtlich der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten<br />

Forderung tätig werden, selbst wenn das Gericht später<br />

darüber nicht entscheidet. Hier unterscheide sich die anwaltliche<br />

und die gerichtliche Tätigkeit wesentlich, da sich<br />

das Gericht mit der Aufrechnung nur zu befassen braucht,<br />

wenn es die Klageforderung als begründet ansieht. Nur<br />

wenn dies geschieht, sollen durch die weitere Tätigkeit auch<br />

Gebühren beim Gericht ausgelöst werden. Beim Anwalt verhält<br />

es sich dagegen anders, was dann auch eine andere Bewertung<br />

rechtfertige. 4<br />

Die überwiegende Rechtsprechung verschließt sich leider<br />

nach wie vor dieser unterschiedlichen Interessenlagen.<br />

Ergeht im gerichtlichen Verfahren über eine Hilfsaufrechnung keine der<br />

Rechtskraft fähige Entscheidung, sind die Rechtsanwaltsgebühren nicht abweichend<br />

von § 45 Abs. 3 GKG unter Einbeziehung des Werts der Hilfsaufrechnung<br />

zu berechnen. 5<br />

1 Siehe hierzu ausführlich N. Schneider, ZAP Fach 24 S. 1055.<br />

2 OLG Koblenz, AGS 2007, 151 = WuM 2006, 45 = DWW 2006, 72 = MietRB 2006,<br />

268 = GuT 2006, 88; OLG Hamm AGS 2007, 216 m. Anm. N. Schneider.<br />

3 Siehe auch AnwK-RVG/N. Schneider, 3. Aufl. 2006, § 22 Rn. 10; Gerold/Schmidt/<br />

Madert, RVG, 17. Aufl. § 22 Rn. 14.<br />

4 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, Nr. 3200 VV RVG Rn. 48 und Nr. 3100 VV RVG<br />

Rn. 129; AnwK-RVG/E. Schneider, § 33 Rn. 11, 17; Mayer/Kroiû-Rohn, RVG,2.<br />

Aufl., Anh 11, Streitwerte im gerichtlichen Verfahren Rn. 24; LAG Hamm MDR<br />

1982, 1052; MDR 1989, 852; Hartmann, KostG, 35. Aufl. § 33 RVG Rn. 5.<br />

5 OLG Hamm, Beschl. v. 2. 1. 2007 – 19 U 48/06, AGS 2007, 254 m. abl. Anm. E.<br />

Schneider = OLGR 2007, 194.<br />

Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 773


MN Mitteilungen<br />

III. Befangenheitsablehnung<br />

Wie der Streitwert eines Verfahrens, insbesondere eines Beschwerdeverfahrens<br />

über die Ablehnung eines Richters festzusetzen<br />

ist, wird in der Rechtsprechung nach wie vor kontrovers<br />

diskutiert. Strittig ist insbesondere, ob es sich um<br />

eine vermögensrechtliche oder nicht vermögensrechtliche<br />

Streitigkeit handelt. Nimmt man eine vermögensrechtliche<br />

Streitigkeit an, ist wiederum strittig, ob der volle Wert der<br />

Hauptsache oder nur ein Bruchteil anzusetzen ist. 6 Die neue<br />

Rechtsprechung nimmt regelmäßig den vollen Wert der<br />

Hauptsache an.<br />

Der Streitwert eines Beschwerdeverfahrens über die Begründetheit der Ablehnung<br />

eines Richters entspricht dem vollen Wert des Streitgegenstandes<br />

in der Hauptsache. 7<br />

Da im Ablehnungsverfahren selbst keine gesonderten Gebühren<br />

anfallen (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG), stellt sich die<br />

Frage nach dem Streitwert in der Regel erst im Beschwerdeverfahren,<br />

in dem gesonderte Anwaltsgebühren entstehen<br />

(§ 18 Nr. 5 RVG). Zusätzliche Bedeutung hat diese Streitwertproblematik<br />

dadurch gewonnen, dass der BGH die im<br />

Verfahren über eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines<br />

Richters entstandenen Anwaltskosten (Gebühr nach Nr. 3500<br />

VV RVG zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer) entgegen der<br />

bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als erstattungsfähig<br />

ansieht. 8<br />

IV. Außergerichtliche Anwaltskosten<br />

Seitdem die Geschäftsgebühr nicht mehr voll angerechnet<br />

wird, wird sie regelmäßig ganz oder teilweise als Schadenersatzanspruch,<br />

sei es aus Verzug oder Delikt, mit eingeklagt.<br />

Die Rechtsprechung dazu, ob sich dadurch der Streitwert<br />

des Verfahrens erhöht oder nicht, war kontrovers. 9 Der<br />

BGH hat diese Frage jetzt entschieden und den neben der<br />

Hauptsache mit eingeklagten materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch<br />

als Nebenforderung i. S. d. § 43 Abs. 1<br />

GKG, § 4 ZPO erklärt, so dass er neben der Hauptforderung<br />

den Streitwert nicht erhöht und weder zu höheren Gebühren<br />

(§ 43 Abs. 1 GKG) führt noch Auswirkungen auf die Zuständigkeit<br />

des Gerichts oder die Zulässigkeit eines Rechtsmittels<br />

hat.<br />

Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden<br />

Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken nicht werterhöhend,<br />

unabhängig davon, ob diese Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet<br />

werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung<br />

Gegenstand eines eigenen Antrags sind. 10<br />

B. Besondere Streitwertfragen im Mietrecht<br />

I. Klage auf zukünftige Zahlung<br />

Klagen auf zukünftige Leistungen (§§ 257 ff. ZPO) bieten<br />

sich im Mietrecht insbesondere dann an, wenn die Miete<br />

nicht oder nicht pünktlich gezahlt wird und sich damit die<br />

Besorgnis der nicht oder nicht rechtzeitigen Erfüllung ergibt<br />

(§ 259 ZPO). 11 Gleiches gilt, wenn das Mietverhältnis beendet<br />

ist, der Mieter aber im Objekt bleibt und keine Nutzungsentschädigung<br />

zahlt.<br />

Da es sich hier nicht um eine Bestandsstreitigkeit handelt,<br />

gilt nicht der privilegierte Jahreswert des § 41 Abs. 1<br />

oder 2 GKG. Abzustellen ist vielmehr nach § 48 Abs. 1 S. 1<br />

GKG auf die Streitwertvorschriften der ZPO für den Zustän-<br />

digkeitsstreitwert. Maßgebend ist also nach § 9 ZPO der dreieinhalbfache<br />

Jahreswert, es sei denn, der streitige Zeitraum<br />

ist geringer.<br />

Bei einem Mietverhältnis auf unbestimmte Dauer sowie<br />

bei einem Mietverhältnis, dessen Dauer bestimmt ist und<br />

noch mehr als dreieinhalb Jahre dauert, wird also vom dreieinhalbfachen<br />

Jahreswert ausgegangen. Ist das Mietverhältnis<br />

von bestimmter Dauer, die allerdings unter dreieinhalb<br />

Jahren liegt, ist dieser geringere Zeitraum maßgebend.<br />

Werden neben den zukünftigen Mieten auch bei Einreichung<br />

fällige Mieten geltend gemacht, so ist analog § 42<br />

Abs. 5 GKG (§ 17 Abs. 4 GKG a. F.) der Wert der fälligen Beträge<br />

hinzuzurechnen.<br />

1. Im Falle einer Klage auf künftige Miete bestimmt sich der Gebührenstreitwert<br />

nach §§ 12 Abs. 1 GKG a. F. (§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG n. F.)<br />

i. V. m. § 9 ZPO.<br />

2. Eingeklagte Mietrückstände sind entsprechend § 17 Abs. 4 GKG a. F.<br />

(§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) hinzuzurechnen. 12<br />

Beispiel: Der Mieter zahlt seit Februar 2006 keine Miete<br />

mehr, weil er aufgrund einer von ihm ausgesprochenen<br />

Kündigung von der Beendigung des Mietverhältnisses ausgeht.<br />

Der Vermieter ist der Auffassung, das Mietverhältnis<br />

bestehe noch bis zum 31.12.2010 und klagt im Oktober 2006<br />

auf zukünftige Leistung bis zum 31.12.2010. Die Miete beträgt<br />

durchweg 1.000,00 E.<br />

9 Der Streitwert der Klage auf zukünftige Leistung beläuft<br />

sich auf 42 x 1.000,00 E = 42.000,00 E.<br />

9 Hinzu kommen analog § 17 Abs. 4 GKG a. F.<br />

(§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) die bei Einreichung<br />

fälligen Beträge 9 x 1.000,00 E = 9.000,00 E<br />

Gesamt 51.000,00 E<br />

II. Klagenhäufung: Räumung und Zahlung<br />

Bei Klagen auf zukünftige Nutzungsentschädigungen wird<br />

zwar ebenfalls von § 9 ZPO ausgegangen. Hier ist jedoch zu<br />

berücksichtigen, dass erfahrensgemäß keine dreieinhalb<br />

Jahre von der Einreichung der Räumungsklage bis zur Räumung<br />

und damit dem Wegfall des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung<br />

vergehen werden. Die Rechtsprechung<br />

nimmt hier einen kürzeren Zeitraum von sechs bis zwölf<br />

Monaten an. 13<br />

6 Ausführlich N. Schneider, Befangenheitsablehnung – Gebühren, Streitwert und<br />

Kostenerstattung, MDR 2001, 130; Schneider/Herget, Rn.90ff.<br />

7 OLG Frankfurt/M., AGS 2006, 299 = MDR 2006, 1079 = JurBüro 2006, 370.<br />

8 BGH Rpfleger 2005, 481 = NJW 2005, 2233 = BGHR 2005, 1150 = MDR 2005,<br />

1016 = AGS 2005, 413 = RVGreport 2005, 275 = RVG-Letter 2005, 86 = RVG-B<br />

2005, 136 = FamRZ 2005, 1563 = JurBüro 2005, 482.<br />

9 Streitwerterhöhend: LG Braunschweig AGS 2005, 75; OLG Köln AGS 2007, 65;<br />

Streitwertneutral: LG Berlin AGS 2006, 86 = JurBüro 2005, 427 = RuS 2005, 444 =<br />

MDR 2005, 1318; OLG Frankfurt/M. AGS 2006, 251 = RVGreport 2006, 156.<br />

10 BGH, AGS 2007, 231 = FamRZ 2007, 808 = zfs 2007, 284 = RVGreport 2007, 194<br />

= BGHR 2007, 571 = JurBüro 2007, 313 = MDR 2007, 919 = VersR 2007, 1102 =<br />

SP 2007, 301 = VVR 2007, 319; bestätigt durch BGHR 2007, 845 = FamRZ 2007,<br />

1319; Urt. v. 12.6.2007 – VI ZR 200/06.<br />

11 Siehe BGH GE 2003, 320 = NZM 2003, 231 = MDR 2003, 452 = NJW 2003, 1395<br />

= ZMR 2003, 333 = GuT 2003, 91 = WuM 2003, 280 = BGHR 2003, 567 = WE<br />

2004, 82 = MietPrax-AK § 259 ZPO Nr. 1 = JA 2003, 447 = MM 2003, 314 = DB<br />

2003, 2064.<br />

12 BGH, AGS 2004, 249 = NZM2004, 423 = JurBüro 2004, 378 = ZMR 2004, 494 =<br />

BGHR 2004, 1055 = WuM2004, 368 = DWW 2004, 162 = GuT 2004, 133 = MietRB<br />

2004, 234 = RVG-B 2004, 104 = MDR 2004, 1437 = DWW 2004, 162.<br />

13 LG Dessau AGS 2006, 514 (12 Monate); OLG Düsseldorf AGS 2007, 46 = GE<br />

2006, 387 = ZMR 2006, 517 = NZM 2006, 583 (7 Monate bis zum regulärem Ende<br />

des Mietverhältnisses); LG Nürnberg-Fürth AGS 2006, 32 = WuM 2005, 664 = WE<br />

2006, 190 = Info M 2005, 268 = MietRB 2005, 314 (6 Monate, wenn Räumungstitel<br />

schon vorliegt).<br />

774 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider


MN Mitteilungen<br />

Werden neben den zukünftigen Nutzungsentschädigungen<br />

auch bei Einreichung fällige Mieten oder Nutzungsentschädigungen<br />

geltend gemacht, so ist analog § 42 Abs. 5<br />

GKG (§ 17 Abs. 4 GKG a. F.) der Wert der fälligen Beträge<br />

wiederum hinzuzurechnen.<br />

Werden Räumungs- und Zahlungsklage verbunden, so<br />

sind die Werte von Räumung und Zahlung zu addieren, auch<br />

wenn sie „denselben Zeitraum“ betreffen. Insoweit liegt keine<br />

wirtschaftliche Identität vor. Es handelt sich um verschiedene<br />

Streitgegenstände, so dass zusammenzurechnen ist.<br />

1. Der Streitwert einer Klage auf laufende Nutzungsentschädigungen<br />

nach Kündigung der Mieträume und Klageerhebung ist nicht nach § 9<br />

ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag festzusetzen, sondern<br />

nach § 3 ZPO zu schätzen.<br />

2. Maßgebend für die Festsetzung ist die zu schätzende Dauer von der<br />

Klageerhebung bis zur endgültigen Räumung.<br />

3. Erfahrungsgemäß beträgt dieser Zeitraum etwa 12 Monate, so dass<br />

der Wert der laufenden Nutzungsentschädigung auf den Jahresbetrag<br />

festzusetzen ist.<br />

4. Rückständige Mieten sind hinzuzurechnen.<br />

5. Der Wert des Räumungsantrags ist ebenfalls hinzuzurechnen. 14<br />

Beispiel: Der Kläger hatte nach außergerichtlicher Kündigung<br />

auf Räumung (Antrag Nr. 1) geklagt sowie gleichzeitig<br />

auf Zahlung fälliger Mieten/Nutzungsentschädigung in<br />

Höhe von 5.158,82 E (Antrag Nr. 2) sowie auf zukünftige<br />

Nutzungsentschädigung bis zur vollständigen Räumung<br />

(Antrag Nr. 3). Die monatliche Miete belief sich auf 951,20 E<br />

sowie 92,80 E Betriebskostenvorauszahlung.<br />

Die Klageschrift umfasst drei Klageanträge. Deren Werte<br />

sind zunächst gesondert zu ermitteln und anschließend nach<br />

§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.<br />

Der Wert des Räumungsbegehrens (Klageantrag zu 1) beläuft<br />

sich gem. § 41 Abs. 2 S. 1 GKG auf den Wert des einjährigen<br />

Entgelts, es sei denn, die „streitige Zeit“ ist kürzer als ein<br />

Jahr; dann ist nur der geringere Wert dieses Zeitraums maßgebend<br />

(§ 41 Abs. 2 S. 1, 2. Hs., i. V. m. Abs. 1 GKG).<br />

Unter „Entgelt“ i. S. d. § 41 Abs. 2 GKG ist grundsätzlich<br />

nur das Nettogrundentgelt zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer<br />

zu verstehen. 15 Nebenkosten werden seit der gesetzlichen<br />

Klarstellung zum 1.7.2004 nach § 41 Abs. 1 S. 2 GKG<br />

nur noch dann berücksichtigt, wenn diese als nicht abzurechnende<br />

Pauschale vereinbart worden sind. Hier waren Vorauszahlungen<br />

vereinbart, die jährlich abzurechnen waren,<br />

so dass diese außer Ansatz blieben.<br />

12 x 951,20 E 11.414,40 E<br />

Der Klageantrag zu 2 erfasste die fälligen Mieten und Nutzungsentschädigungen<br />

einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen.<br />

Hier ist der volle Nominalbetrag anzusetzen einschließlich<br />

der geforderten Betriebskostenvorauszahlungen.<br />

Die Vorschrift des § 41 Abs. 1 S. 2 GKG gilt nicht für Zahlungsklagen.<br />

5.158,82 E<br />

Der Klageantrag zu 3 erfasste die zukünftige Nutzungsentschädigung<br />

einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen<br />

(auch hier gilt nicht § 41 Abs. 1 S. 2 GKG). Das Gericht<br />

geht nicht vom 3,5fachen Jahreswert aus, da es vor Ablauf<br />

dieser Zeit mit einer Räumung rechnet und schätzt diese<br />

Zeit auf 12 Monate. 16 In dieser Bewertung liegt kein Widerspruch<br />

zu der Entscheidung des BGH v. 17. März 2004 – XII<br />

ZR 162/00 (s. o. B. I.). In dem zugrunde liegenden Verfahren<br />

hatte der BGH gem. § 9 S. 1 ZPO den 42fachen Monats-<br />

betrag angesetzt. Dort war das Mietverhältnis allerdings noch<br />

nicht beendet, so dass dort auch nicht mit einer Rückgabe in<br />

absehbarer Zeit gerechnet werden konnte.<br />

12 x (951,20 E + 92,80 E) 12.528,00 E<br />

Alle Werte sind zu addieren. Analog § 42 Abs. 5 RVG<br />

werden fällige Mieten/Nutzungsentschädigungen dem Wert<br />

der laufenden Beträge hinzugerechnet.<br />

Gesamt 29.101,22 E<br />

III. Wertberechnung für Räumungsklage bei gestaffeltem<br />

Mietentgelt<br />

Strittig war, wie der Streitwert einer Räumungsklage zu berechnen<br />

ist, wenn das Mietentgelt während des streitigen<br />

Zeitraums nicht einheitlich ist, insbesondere also bei Staffelmieten.<br />

Während nach einer Auffassung der aktuelle Wert<br />

mit zwölf zu multiplizieren war, 17 gingen andere von einem<br />

Durchschnittswert aus. 18 Der BGH hat die dritte Auffassung<br />

bestätigt, nämlich dass es auf den höchsten Jahreswert während<br />

der restlichen Laufzeit ankommt.<br />

Verändert sich im Laufe der streitigen Zeit i. S. d. § 41 Abs. 2 GKG der monatliche<br />

Mietwert, so ist nicht auf einen Durchschnittswert abzustellen, sondern<br />

auf den höchsten Jahresbetrag innerhalb des streitigen Zeitraums. 19<br />

Beispiel: Die Parteien hatten zum 1.1.2006 einen Fünf-Jahres-Mietvertrag<br />

abgeschlossen. Vereinbart war zunächst eine<br />

monatliche Miete in Höhe von 500,00 E. Die Miete sollte<br />

sich jeweils zum 1. 1. eines Folgejahres automatisch um<br />

30,00 E erhöhen. Im September 2006 kündigte der Vermieter<br />

das Mietverhältnis fristlos und erhob gleichzeitig Räumungsklage.<br />

Der höchste Jahresbetrag wäre der für die Miete des Jahres<br />

2010. Für dieses Jahr berechnet sich die Miete auf 12 x<br />

620 E = 7.440,00 E.<br />

Lässt sich die streitige Zeit nicht genau ermitteln, weil es<br />

keinen festen Beendigungszeitpunkt gibt, etwa weil ein unbefristetes<br />

Mietverhältnis vereinbart ist, so kann mangels<br />

hinreichender anderweitiger Umstände entsprechend § 9<br />

ZPO der 3½fache Jahreswert angenommen werden. 20<br />

Beispiel: Die Parteien hatten einen unbefristeten Mietvertrag<br />

abgeschlossen. Vereinbart war zunächst eine monatliche<br />

Miete in Höhe von 500,00 E. Die Miete sollte sich jeweils<br />

zum 1. 1. eines Folgejahres automatisch um 30,00 E erhöhen.<br />

Im September 2006 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis<br />

fristlos und erhob gleichzeitig Räumungsklage.<br />

Auszugehen ist nach § 9 ZPO von einem Zeitraum von<br />

3½-Jahren, der am 31.03.2010 enden würde.<br />

14 AG Dessau, AGS 2006, 514 m. Anm. N. Schneider.<br />

15 OLG Düsseldorf = ZMR 2006, 516 = AGS 2006, 354 = MDR 2006, 1079 = OLGR<br />

2006, 665 = JurBüro 2006, 428 = DWW 2006, 348.<br />

16 Ebenso LG Nürnberg-Fürth AGS 2006, 21 m. Anm. N. Schneider, das im konkreten<br />

Fall von sechs Monaten ausgegangen ist.<br />

17 OLG Neustadt, Rpfleger 1963, 34.<br />

18 Hartmann, KostG, § 41 GKG Rn. 23.<br />

19 BGH, AGS 2006, 143 = NZM 2005, 944 = BGHReport 2006, 75 = NJW-RR 2006,<br />

16 = GuT 2006, 35 = ZMR 2006, 28 = ZfIR 2006, 111 = GE 2006, 320 = MDR 2006,<br />

384 = MietPrax-AK § 41 GKG Nr. 1 = RVGreport 2006, 74 = MietRB 2006, 186 =<br />

Info M 2006, 211.<br />

20 So bereits zur Rechtsmittelbeschwer: BGH NJW-RR 1996, 316; BGHR 2003, 1036<br />

= AGS 2003, 489 m. Anm. N. Schneider; MietRB 2004, 258; LG Wiesbaden WuM<br />

2000, 617.<br />

Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 775


MN Mitteilungen<br />

Zu berücksichtigen wäre jetzt der Wert der letzten zwölf<br />

in den 3½-Jahrszeitraum fallenden Mieten, also der Mieten<br />

für April 2008 bis März 2009. Dies wiederum ergäbe:<br />

9 x 590 E = 5.310 E<br />

3 x 620 E = 1.860 E<br />

7.170 E<br />

IV. Gegenstandswert einer Kündigung<br />

Strittig war die Frage, welcher Gegenstandswert zugrunde zu<br />

legen ist, wenn der Anwalt mit dem Ausspruch der Kündigung<br />

eines Mietverhältnisses beauftragt ist. Während einige<br />

Gerichte zutreffend darauf abgestellt haben, dass der Ausspruch<br />

der Kündigung nicht Gegenstand eines Rechtsstreits<br />

sein kann und damit § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG i. V. m. § 41<br />

GKG nicht anzuwenden ist, sondern § 23 Abs. 3 RVG i. V. m.<br />

§ 25 KostO 21 , hat sich der BGH jetzt der Gegenauffassung angeschlossen,<br />

die analog § 23 Abs. 1 S. 3 RVG i. V. m. § 41<br />

Abs. 1 u. 2 GKG den Jahresmietwert annimmt, sofern die<br />

streitige Mietzeit nicht geringer ist. Begründet wird dies damit,<br />

dass die Kündigung einem Räumungsrechtsstreit vorausgehe<br />

und diesen vorbereite, so dass dessen Wert auch<br />

für die außergerichtliche Tätigkeit anzunehmen sei. Gleichzeitig<br />

hat der BGH dann auch die Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />

nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG bejaht.<br />

1. Der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts,<br />

der mit der Beratung des Vermieters über das Kündigungsrecht und<br />

dem Ausspruch der Kündigung beauftragt ist, betrifft das Räumungsverlangen<br />

des Vermieters und somit denselben Gegenstand wie eine<br />

spätere gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen der Räumungsklage.<br />

2. Die Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts für die vorgerichtliche Tätigkeit<br />

im Zusammenhang mit der Kündigung ist gem. § 23 Abs. 1 S. 3<br />

RVG, § 41 Abs. 2 GKG nach dem einjährigen Bezug der Nettomiete zu<br />

berechnen und nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr<br />

eines nachfolgenden Räumungsrechtsstreits anzurechnen. 22<br />

C. Streitwertfragen in Verkehrsunfallsachen<br />

Im Rahmen der Verkehrsunfallregulierung wird insbesondere<br />

von den Haftpflichtversicherern immer wieder versucht,<br />

bei bestimmten Positionen den Streitwert „zu drücken“.<br />

I. Sachverständigenkosten und Allgemeine Kostenpauschale<br />

So wurde häufig versucht, die vorgerichtlichen angefallenen<br />

Sachverständigenkosten sowie die allgemeine Kostenpauschale<br />

als Nebenforderung i. S. d. § 43 Abs. 1 GKG zu deklarieren,<br />

so dass sie wertmäßig nicht zu berücksichtigen wären.<br />

Dem hat der BGH eine Absage erteilt.<br />

Im Verkehrsunfallhaftpflichtprozess sind die neben anderen Schadenspositionen<br />

eingeklagten Kosten eines vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens<br />

und die Kostenpauschale regelmäßig keine Nebenforderungen,<br />

die bei der Berechnung des Streitwerts und der Beschwer außer<br />

Betracht bleiben. 23<br />

II. Berücksichtigung von Freistellungsansprüchen beim<br />

Gegenstandswert der Verkehrsunfallregulierung<br />

Des Weiteren wird häufig versucht, den Wert abgetretener<br />

Ansprüche (i. d. R. Sachverständigengebühren und Mietwagenkosten)<br />

beim Erledigungswert mit der Begründung außer<br />

Ansatz zu lassen, die entsprechenden Zahlungen seien nicht<br />

an den Geschädigten sondern an Dritte geleistet worden.<br />

Auch dies ist unzutreffend, wie von den Instanzgerichten immer<br />

wieder festgestellt wird. Solange die Ansprüche nur sicherungshalber<br />

abgetreten werden, wie das bei den Sachverständigen-<br />

und Mietwagenkosten i. d. R. der Fall ist, verbleibt<br />

nach wie vor ein Schaden beim Mandanten, weil er immer<br />

noch zahlungspflichtig bleibt. Ob der Schaden des Mandanten<br />

dadurch reguliert wird, dass er als Ausgleich Geld erhält<br />

oder dadurch, dass er von den entsprechenden Ansprüchen<br />

Dritter freigestellt wird, ist streitwertmäßig unerheblich. 24<br />

Soweit im Rahmen der Verkehrsunfallregulierung Schadensersatzansprüche<br />

an Dritte abgetreten sind und insoweit Freistellung begehrt wird,<br />

sind die Werte dieser Ansprüche beim Gegenstandswert der anwaltlichen<br />

Tätigkeit in voller Höhe zu berücksichtigen. 25<br />

III. Restwertanrechnung<br />

Anders gesehen wird die Frage leider bei der Restwertanrechnung.<br />

Nach zutreffender Ansicht kommt es für die Wertberechnung<br />

beim Sachschaden im Falle eines Totalschadens<br />

auf den Wiederbeschaffungswert an. Ein eventueller Restwerterlös<br />

ist nicht abzuziehen. Der Schaden des Mandanten<br />

besteht darin, dass sein Fahrzeug zerstört ist. Wie sein Schaden<br />

reguliert wird, ist dabei unerheblich, also ob der gegnerische<br />

Versicherer den Schaden in voller Höhe zahlt oder ob<br />

der Geschädigte einen Teil vom Versicherer und einen Teil<br />

vom Restwertaufkäufer erhält. Abgesehen davon muss sich<br />

der Anwalt in aller Regel auch mit der Restwertverwertung<br />

befassen, insbesondere muss er prüfen, welche Restwertangebote<br />

anzunehmen sind. Er muss den Mandanten beim<br />

Gewährleistungsausschluss o. ä. beraten. Schon dies rechtfertigt<br />

es, auch den Restwert bei der Schadensregulierung<br />

mit zu erfassen. 26 Die überwiegende Rechtsprechung sieht<br />

dies allerdings leider anders.<br />

Bei der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens sind nur der tatsächlich<br />

entstandene Schaden und die für die Verfolgung dieses Schadens erforderlichen<br />

Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Bei der Berechnung des Gegenstandswerts<br />

einer Verkehrsunfallschadensregulierung ist daher bei Schadensabrechnung<br />

nach dem Wiederbeschaffungswert abzüglich des<br />

Restwerts der Restwerterlös abzuziehen. 27<br />

D. Familiensachen<br />

I. Klage und Widerklage auf Zugewinnausgleich<br />

Bei wechselseitigen Klagen auf Zugewinn, die im selben Verfahren<br />

geführt werden (also Klage und Widerklage), ging die<br />

ältere Rechtsprechung davon aus, es liege derselbe Streitgegenstand<br />

vor, so dass die Werte nicht zu addieren seien,<br />

sondern nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG nur der höhere Wert<br />

21 LG Karlsruhe AGS 2006, 112 = NZM 2006, 259 = NJW 2006, 1526 = JurBüro<br />

2006, 471 = Info M 2005, 324, 325 = RVG prof. 2006, 65; LG Köln AGS 2006, 562<br />

= RVG prof. 2006, 155.<br />

22 BGH, AGS 2007, 289 = RVGreport 2007, 52 = NZM 2007, 396 = WuM 2007, 330 =<br />

NJW 2007, 2050 = JurBüro 2007, 358 = ZMR 2007, 521 = BGHR 2007, 737 =<br />

MDR 2007, 982 = DWW 2007, 214 = Info M 2007, 142 = MictRB 2007, 172 =<br />

MietRB 2007, 172 = NJW-Spezial 2007, 339 = Rpfleger 2007, 509.<br />

23 BGH, AGS 2007, 320 = NJW 2007, 1752 = BGHR = RVGreport 2007, 195 = NVZ<br />

2007, 293 = ZfSch 2007, 346 = DAR 2007, 430 = JurBüro 2007, 361 = MDR 2007,<br />

852 = VersR 2007, 1288 = Verkehrsrecht aktuell 2007, 77 = VRR 2007, 203.<br />

24 Siehe dazu auch Schneider/Herget (Freistellung) Rn. 815.<br />

25 AG Limburg, AGS 2007, 100; Ebenso AG Biberach DAR 1988, 27 = VersR 1988,<br />

499 = zfs 1988, 78; AG Mettmann DAR 1986, 63.<br />

26 So LG Freiburg AnwBl 1971, 361; LG Koblenz zfs 1982, 205.<br />

27 AG Hildesheim, AGS 2006, 396.<br />

776 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider


MN Mitteilungen<br />

gelte. Gestützt hat sich diese Rechtsprechung dabei auf die<br />

sogenannte Identitätsformel des Reichsgerichts, wonach derselbe<br />

Streitgegenstand vorliegt, wenn das Zusprechen der<br />

Klage zwingend zur Folge hat, dass die Widerklage abzuweisen<br />

ist und wenn das Zusprechen der Widerklage zwingend<br />

zur Folge hat, dass die Klage abzuweisen ist.<br />

Dem gegenüber hat die ganz überwiegende jüngere<br />

Rechtsprechung erkannt, dass die Identitätsformel des<br />

Reichsgerichts nicht ausreichend ist, sondern, dass auch eine<br />

wirtschaftliche Identität verlangt werden muss. Daran fehlt<br />

es aber bei wechselseitigen Zugewinnklagen, so dass die<br />

jüngere Rechtsprechung überwiegend eine Streitwertaddition<br />

annimmt.<br />

Machen Eheleute wechselseitig Ansprüche auf Zugewinnausgleich in einem<br />

Prozess geltend, so sind die Streitwerte von Klage und Widerklage<br />

nach § 45 Abs. 1 S. 1 GKG zusammenzurechnen. 28<br />

Lediglich das OLG Hamm 29 schert nach wie vor aus und geht von demselben<br />

Streitgegenstand aus, mit der Folge, dass nicht addiert wird, sondern<br />

nur der höhere Wert anzusetzen ist.<br />

Beispiel: Der Ehemann erhebt Klage auf Zugewinnausgleich<br />

i. H. v. 20.000 E. Die Ehefrau erhebt Widerklage auf<br />

Zugewinnausgleich i. H. v. 30.000 E.<br />

Der Streitwert beläuft sich auf 50.000 E.<br />

II. Klage und Widerklage auf Unterhaltsabänderung<br />

Das gleiche Problem wie bei wechselseitigen Klagen auf Zugewinn<br />

stellt sich bei wechselseitigen Unterhaltsabänderungsklagen,<br />

wenn also der Unterhaltsschuldner auf Herabsetzung<br />

und der Unterhaltsgläubiger im selben Prozess<br />

auf Heraufsetzung klagt. Auch hier muss eine wirtschaftliche<br />

Betrachtung vorgenommen werden, so dass die Werte<br />

der wechselseitigen Klagen zu addieren sind. Das OLG<br />

Hamm verfährt auch hier anders und nimmt denselben<br />

Streitgegenstand an. 30<br />

Die Streitwerte für Klage und Widerklage wechselseitiger Unterhaltsabänderungsanträge<br />

betreffen nicht denselben Streitgegenstand und sind daher<br />

zusammenzurechnen. 31<br />

III. Einstweilige Anordnung auf Unterhalt<br />

Streitwertfestsetzungen in einstweiligen Anordnungsverfahren<br />

auf Unterhalt leiden in aller Regel stets an denselben<br />

Fehler. Die Gerichte stellen ausschließlich auf § 53 Abs. 2<br />

S. 1 GKG ab und nehmen nur den sechsmonatigen Bezug<br />

an; dabei übersehen sie, dass die Vorschrift des § 42 Abs. 5<br />

GKG auch hier gilt. Auch bei einstweiligen Anordnungen<br />

sind die bei Einreichung fälligen Beträge hinzuzurechnen.<br />

Da im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich<br />

keine Rückstände geltend gemacht werden können, betrifft<br />

die fehlerhafte Bewertung in der Regel nur den laufenden<br />

Monat, in dem der Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht<br />

wird. Dieser Monat ist auf jeden Fall hinzuzurechnen.<br />

Für die Berechnung des Gegenstandswerts einer einstweiligen Anordnung<br />

auf Kindesunterhalt sind auch die bei Einreichung des Antrages fälligen Beträge<br />

gem. § 17 Abs. 4 GKG a. F. (§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) hinzuzurechnen. 32<br />

Beispiel: Im Januar 2007 beantragt der Anwalt für seine<br />

Mandantin den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf<br />

monatlichen Unterhalt in Höhe von 500,00 E, beginnend<br />

mit dem Monat Januar 2007. Der Gegenstandswert ergibt<br />

sich aus § 53 Abs. 2 GKG und beläuft sich auf den sechsmonatigen<br />

Bezug. Dieser Wert gilt allerdings nur für den<br />

laufenden Unterhalt. Analog § 42 Abs. 5 RVG sind fällige Beträge<br />

hinzuzurechnen. Da der Unterhalt im Voraus, jeweils<br />

zu Beginn eines Monats zu zahlen ist (§ 1612 Abs. 3 S. 1<br />

BGB), ist der Unterhaltsbetrag für Januar als fälliger Betrag<br />

hinzuzurechnen. Es ergibt sich somit ein Gegenstandswert<br />

in Höhe von 3.500,00 E.<br />

Werden – wenn auch unzulässigerweise – im einstweiligen<br />

Anordnungsverfahren echte Rückstände geltend gemacht,<br />

dann sind auch diese werterhöhend zu berücksichtigen.<br />

Auch unzulässige Anträge haben ihren Wert.<br />

Wird im Verfahren der einstweiligen Anordnung über den Unterhaltsanspruch<br />

eines minderjährigen Kindes nicht nur laufender Unterhalt, sondern<br />

werden auch Unterhaltsrückstände geltend gemacht, sind die fälligen<br />

Unterhaltsbeträge dem Streitwert des laufenden Unterhalts hinzuzurechnen,<br />

obwohl der Antrag auf Zahlung von Unterhalt für die Vergangenheit im Anordnungsverfahren<br />

unzulässig ist. 33<br />

IV. Außergerichtlicher Unterhaltsvergleich<br />

Wird außergerichtlich Unterhalt geltend gemacht und dann<br />

ein Vergleich geschlossen, so wird häufig nur der zwölffache<br />

Monatsbetrag angesetzt. Zum Teil wird auch darauf abgestellt,<br />

wann der Unterhalt erstmals geltend gemacht worden<br />

ist oder wann er erstmals beziffert wurde. Ab dann werden<br />

zwölf Monate gerechnet; nur die zu diesem Zeitpunkt fälligen<br />

Beträge werden hinzu genommen. 34<br />

Alles dies ist unzutreffend. Im Rahmen einer außergerichtlichen<br />

Unterhaltsregulierung zählen alle Beträge bis<br />

zum Abschluss der außergerichtlichen Tätigkeit als fällige<br />

Beträge. Eine Klageerhebung gibt es außergerichtlich nicht.<br />

Nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG gilt für die außergerichtliche<br />

Tätigkeit der Wert, der im Falle eines gerichtlichen Verfahrens<br />

gelten würde. Wäre an dem Tag, an dem die außergerichtliche<br />

Vertretung in der Unterhaltssache durch Vergleichsabschluss<br />

endet, die Klage eingereicht worden, wären<br />

ebenfalls alle bis dato fälligen Beträge dem laufenden Bezug<br />

hinzugerechnet worden (§ 42 Abs. 5 GKG). Nichts anderes<br />

gilt dann aber auch für die außergerichtliche Tätigkeit (§ 23<br />

Abs. 1 S. 3 RVG).<br />

Dies allein entspricht auch Sinn und Zweck der Streitwertprivilegierung<br />

in § 42 Abs. 1 GKG. Während die Begrenzung<br />

des Streitwerts im gerichtlichen Verfahren die Parteien<br />

davor schützen soll, dass sich durch überlange Verfahren der<br />

Streitwert erhöht, soll außergerichtlich die laufende Erhöhung<br />

des Streitwerts die Parteien dazu anhalten, schon aus<br />

Kostengründen zu einer zügigen Regelung zu gelangen. 35<br />

28 OLG Stuttgart, AGS 2007, 47 = FamRZ 2006, 1055 = Justiz 2007, 144 = OLGR<br />

2006, 912 = FamRB 2007, 14; Ebenso OLG Köln AGS 2001, 110 = OLGR 2001,<br />

203 = MDR 2001, 941 = FamRZ 2001, 1386 = NJWE-FER 2001, 271 = EzFamR<br />

aktuell 2001, 334 = BRAGOreport 2001, 63; OLGR 2001, 9; OLGR 1994, 102 =<br />

FamRZ 1997, 41; OLG Karlsruhe FamRZ 1998, 574; München FamRZ 1997, 41;<br />

OLG Bamberg EzFamR aktuell 1994, 407 = NJW-RR 1995, 258 = FamRZ 1995,<br />

492.<br />

29 FamRZ 2002, 1642; Beschl. v. 2.8.2006 – 10 WF 140/06 (zitiert nach juris);<br />

RVGreport 2007, 38.<br />

30 OLG Hamm, AGS 2004, 30.<br />

31 OLG München, FamRZ 2007, 750 = OLGR 2007, 416 = ZFE 2007, 315 = AGS<br />

2007, 364; ebenso OLG Naumburg JurBüro 2004, 379.<br />

32 AG Siegburg, BRAGOreport 2003, 245.<br />

33 OLG Köln, AGS 2004, 164.<br />

34 Siehe zuletzt Krause, FamRB 2007, 378.<br />

35 OLG Nürnberg, AGS 2002, 232 = OLGR 2002, 248.<br />

Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 777


MN Mitteilungen<br />

Die dem Gegenstandswert gem. § 17 Abs 4 GKG a. F. (§ 42 Abs. 5 GKG<br />

n. F.) hinzuzurechnenden Beträge auf Zahlung wiederkehrender Leistungen<br />

sind im Fall der vorgerichtlichen Einigung nach den bis zum Abschluss<br />

des Vergleichs fällig werdenden Ansprüchen zu berechnen. 36<br />

Beispiel: Der Anwalt wird im Januar beauftragt, vom Antragsgegner<br />

Auskunft über dessen Einkommen zu verlangen.<br />

Nach Auskunftserteilung im Mai wird im Juni der Unterhalt<br />

beziffert. Der Anwalt verlangt für seine Mandantin<br />

500,00 E monatlich, rückwirkend ab Januar. Im Oktober<br />

wird schließlich eine Einigung getroffen, dass der Unterhaltsschuldner<br />

rückwirkend ab Januar monatlich 400,00 E<br />

zahle. Der Gegenstandswert berechnet sich wie folgt:<br />

laufender Bezug, § 42 Abs. 1 GKG (12 x 500 E) 6.000 E<br />

fällige Beträge (Januar bis Oktober)<br />

§ 42 Abs. 5 GKG (10 x 500 E) 5.000 E<br />

Gesamt 11.000 E<br />

V. Nachträgliche Klageerweiterung im Unterhaltsprozess<br />

Umstritten ist die Berechnung, wenn im Unterhaltsprozess<br />

die Klage später erweitert und rückwirkend ein höherer Unterhaltsbetrag<br />

geltend gemacht wird.<br />

Zum Teil wird vertreten, es sei auf den Zeitpunkt der Klageerhebung<br />

abzustellen. Die weiteren Zeitpunkte der Klageerweiterungen<br />

seien unbeachtlich. 37 Dies widerspricht aber<br />

dem Bewertungssystem des § 42 Abs. 1 GKG, wie das OLG<br />

Köln in einer ausführlich begründeten Entscheidung anschaulich<br />

dargelegt hat. Vielmehr ist jede Klageerweiterung<br />

streitwertmäßig wie eine eigene Klage zu behandeln, so dass<br />

die bei Einreichung des Erweiterungsantrages fälligen Erweiterungsbeträge<br />

hinzuzurechnen sind.<br />

Wird bei einer Unterhaltungsklage nach Klageeinreichung die Klage erhöht,<br />

so sind die Beträge, die auf die Zeit zwischen Klageeinreichung und Klageerweiterung<br />

fallen, streitwerterhöhende Rückstände. 38<br />

Beispiel: Im Juli 2006 reicht die Ehefrau Klage ein und beantragt<br />

Unterhalt in Höhe von 400 E seit April 2006. Im Oktober<br />

2006 erweitert die Ehefrau die Klage und begehrt einen<br />

monatlichen Unterhalt in Höhe von 600,00 Euro beginnend<br />

ab April 2006.<br />

I. Klage:<br />

Laufender Unterhalt, 12 x 400 E 4.<strong>800</strong> E<br />

Fällige Beträge (April – Juli 2006) 4 x 400 E 1.600 E<br />

Gesamt 6.400 E<br />

II. Klageerweiterung:<br />

Laufender weiterer Unterhalt, 12 x 200 E 2.400 E<br />

Fällige weitere Beträge im Zeitpunkt der<br />

Klageerweiterung (April bis Oktober)<br />

7 x 200,00 E 1.400 E<br />

Gesamt 3.<strong>800</strong> E<br />

Gesamt I. + II.<br />

Abweichende Auffassung:<br />

10.200 E<br />

I. Klage nach erweiterten Beträgen: 12 x 600 E = 7.200 E<br />

II. Bei Einreichung fällig: 4 x 600 E = 2.400 E<br />

Gesamtwert 9.600 E<br />

VI. Mehrere einstweilige Anordnungen<br />

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG zählen mehrere einstweilige Anordnungen<br />

anlässlich desselben Hauptsacheverfahrens (häu-<br />

fig anlässlich eines Verbundverfahrens) als eine Angelegenheit,<br />

sofern sie zu derselben Buchstabengruppe des § 18<br />

Nr. 1 a) bis g) RVG zählen. Dies benachteiligt den Anwalt,<br />

weil er dann trotz mehrerer einstweiligen Anordnungsverfahren<br />

seine Vergütung nur einmal abrechnen kann (§ 15<br />

Abs. 2 S. 1 RVG). Übersehen wird dabei häufig, dass im Gegenzug<br />

nach § 18 Nr. 1, 2. Hs. RVG die Gegenstandswerte<br />

der einzelnen Anordnungsverfahren zu addieren sind, und<br />

zwar selbst dann, wenn sie denselben Gegenstand betreffen.<br />

Werden anlässlich eines Verfahrens zur elterlichen Sorge ein einstweiliges<br />

Anordnungsverfahren geführt und anschließend ein Verfahren auf Abänderung<br />

der einstweiligen Anordnung, so liegt zwar nach § 18 Nr. 1 RVG nur<br />

eine Angelegenheit vor. Die Werte der beiden Verfahren sind jedoch zu addieren.<br />

39<br />

VII. Aufnahme in den Verbund und Trennung aus dem<br />

Verbund<br />

1. Abtrennung aus dem Verbund<br />

Wird eine Folgesache aus dem Verbund abgetrennt, so dass<br />

insoweit der Verbund aufgelöst wird, also nicht bei einer<br />

Vorabentscheidung in einer Ehesache (§ 628 ZPO) oder bei<br />

einer Vorwegentscheidung über das Sorgerecht (§ 627 ZPO),<br />

dann entsteht insoweit eine neue selbständige Angelegenheit<br />

i. S. d. § 15 RVG.<br />

Sofern es sich bei dem abgetrennten Verfahren um ein<br />

Verfahren der elterlichen Sorge handelt, ist zu beachten,<br />

dass sich mit der Abtrennung auch der Wert ändert. Während<br />

sich im Verbundverfahren der Streitwert nach § 48<br />

Abs. 3 S. 3 GKG richtet (Festwert 900,00 E) beläuft sich der<br />

Geschäftswert im isolierten Verfahren gemäß §§ 94 Abs. 2,<br />

30 Abs. 2, 3 KostO auf den Regelwert von 3.000,00 E, der sogar<br />

herauf-, allerdings auch herabgesetzt werden kann.<br />

Ist eine Folgesache (hier: Sorgerecht) aus dem Ehescheidungsverbund abgetrennt<br />

worden, handelt es sich sodann um eine selbständige Familiensache.<br />

Der Gegenstandswert bemisst sich dann nicht mehr nach § 12<br />

Abs. 2 S. 3 GKG a. F. (§ 48 Abs. 3 S. 3, 2. Hs. GKG n. F.), sondern ebenfalls<br />

nach den Sondernormen (hier: § 30 KostO). 40<br />

Beispiel: In einem Verbundverfahren (Ehesache<br />

6.000,00 E, Versorgungsausgleich 1.000,00 E, elterliche<br />

Sorge 900,00 E) wird nach mündlicher Verhandlung gem.<br />

§ 623 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO die elterliche Sorge abgetrennt.<br />

Sowohl im Verbund als auch im isolierten Verfahren wird<br />

nach der Abtrennung erneut verhandelt.<br />

Jetzt entstehen mit Abtrennung nicht nur neue Gebühren.<br />

Vielmehr ändert sich auch der Gegenstandswert. Während<br />

im Verbundverfahren nach § 48 Abs. 3 S. 3 GKG ein<br />

36 OLG Nürnberg, AGS 2002, 232 = OLGR 2002, 248.<br />

37 OLG München EzFamR aktuell 2000, 7 = OLGR 2000, 73 = FuR 2000, 298 =<br />

FamRZ 2000 239; OLG Schleswig OLGR 2000, 477 = AGS 2001, 35; OLG Karlsruhe<br />

EzFamR aktuell 1999, 179 =FuR 1999, 440.<br />

38 OLG Köln, AGS 2004, 32 m. Anm. N. Schneider = FamRB 2004, 45 m. Anm.<br />

N. Schneider = AGS 2004, 32 = OLGR 2003, 301 = FamRZ 2004, 1226 = FuR<br />

2004, 380.<br />

39 OLG München, NJW-RR 2006, 357 = OLGR 2006, 283 = FuR 2006, 229<br />

= FamRZ 2006, 1218 = NJW 2006, 2196; ebenso OLG Koblenz, JurBüro 2007,<br />

2007, 203; OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 32 = FamRZ 2007, 848 = ZFE 2006, 475<br />

= RVGreport 2007, 115.<br />

40 OLG Köln, AGS 2004, 18 = J<strong>MB</strong>lNW 2003, 252 = OLGR 2003, 245 = FamRZ 2004,<br />

285; Ebenso OLG Düsseldorf J<strong>MB</strong>l NW 2000, 131 = Rpfleger 2000, 84 = OLGR<br />

2000, 74 = AGS 2000, 84 = JurBüro 2001, 136 = FamRZ 2000, 1385.<br />

778 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider


MN Mitteilungen<br />

Festwert von 900,00 E gilt, ist im abgetrennten Verfahren<br />

nach§§94Abs. 2,30Abs. 2,3KostOeinRegelwertvon3.000,00 E<br />

maßgebend.<br />

Dem Anwalt steht nunmehr ein Wahlrecht zu, ob er getrennt<br />

oder gemeinsam abrechnet:<br />

I. Gemeinsame Abrechnung Verbundverfahren<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 7.900,00 E) 535,60 E<br />

2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />

(Wert: 7.900,00 E) 494,40 E<br />

3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 1.050,00 E<br />

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 199,50 E<br />

Gesamt 1.249,50 E<br />

II. Getrennte Abrechnung<br />

a) Verbundverfahren ohne elterliche Sorge<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 7.000,00 E) 487,50 E<br />

2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />

(Wert: 7.000,00 E) 450,00 E<br />

3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 957,50 E<br />

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 181,93 E<br />

Gesamt 1.139,43 E<br />

b) Isoliertes Verfahren über elterliche Sorge<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 3.000,00 E) 245,70 E<br />

2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />

(Wert: 3.000,00 E) 226,80 E<br />

3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 492,50 E<br />

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 93,58 E<br />

Gesamt 586,08 E<br />

Gesamt a) + b) 1.725,51 E<br />

Die getrennte Abrechnung ist also günstiger.<br />

2. Aufnahme in den Verbund<br />

Wird eine Kindessache zunächst isoliert eingeleitet und wird<br />

sie dann später nach Einreichung des Scheidungsantrages in<br />

den Verbund aufgenommen, ändert dies nichts daran, dass<br />

zunächst einmal die Gebühren nach dem höheren Wert der<br />

§§ 94 Abs. 2, 30 Abs. 2, 3 KostO im isolierten Verfahren angefallen<br />

sind. Die spätere Aufnahme in den Verbund führt<br />

zwar insoweit zu einer Reduzierung des Gegenstandswertes,<br />

weil im Verbund der Festwert nach § 48 Abs. 3 S. 3 GKG gilt.<br />

Einmal entstandene Gebühren können jedoch nicht mehr<br />

wegfallen.<br />

Gerät eine isolierte Familiensache (hier: Umgangsregelung) durch Anhängigkeit<br />

einer Scheidungssache kraft Gesetzes in den Verbund, richtet sich<br />

der Streitwert ab dann nach dem GKG. Die hierbei möglichen unterschiedlichen<br />

Gebührentatbestände sind nach dem Grundsatz einer Prozessverbindung<br />

zu behandeln, wobei bereits einmal entstandene Gebühren nicht<br />

durch die nachträgliche prozessuale Veränderung in Wegfall kommen<br />

können, jedoch auf spätere angerechnet werden. 41<br />

41 OLG Frankfurt/M., AGS 2006, 193; NJW-RR 2006, 655 = FamRZ 2006, 1057 =<br />

RVG prof. 2006, 48 = RVGreport 2006, 159 = NJW-Spezial 2006, 203 = OLGR<br />

2006, 548; Ebenso OLG Zweibrücken AGS 2006, 303 = OLGR 2006, 686 = JurBüro<br />

2006, 425 = FamRZ 2006, 1696.<br />

Beispiel: Der Vater leitet ein Umgangsrechtsverfahren ein.<br />

Später erhebt die Ehefrau Scheidungsklage (Werte: Ehesache<br />

6.000,00 E – § 48 Abs. 2, Abs. 3 GKG; Versorgungsausgleich<br />

1.000,00 E – § 49 Nr. 1 GKG). Das Umgangsrechtsverfahren<br />

wird in den Verbund aufgenommen. Anschließend wird<br />

mündlich verhandelt.<br />

I. Isoliertes Verfahren über elterliche Sorge<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 3.000,00 E) 245,70 E<br />

2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 265,70 E<br />

3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 50,48 E<br />

Gesamt 316,18 E<br />

II. Verbundverfahren<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 7.000,00 E - ohne elterliche Sorge) 487,50 E<br />

2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG<br />

(Wert: 7.900,00 E – mit elterlicher Sorge) 494,40 E<br />

3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 1.001,90 E<br />

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 190,36 E<br />

Gesamt 1.192,26 E<br />

Gesamt I. + II. 1.508,44 E<br />

Bei einer gemeinsamen Abrechnung würde der Anwalt dagegen<br />

nur erhalten:<br />

1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />

(Wert: 7.900,00 E) 535,60 E<br />

2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG<br />

(Wert: 7.900,00 E) 494,40 E<br />

3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />

Zwischensumme 1.050,00 E<br />

4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 199,50 E<br />

Gesamt 1.249,50 E<br />

Die getrennte Abrechnung ist daher auch hier günstiger.<br />

Norbert Schneider, Neunkirchen<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des Ausschusses<br />

RVG und Gerichtskosten des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />

Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 779


MN Mitteilungen<br />

Anwaltsvergütung<br />

_______________________________________________________<br />

Das Erfolgshonorar – was<br />

heute schon möglich ist<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />

Das Verbot des Erfolgshonorars gilt trotz seiner teilweisen<br />

Verfassungswidrigkeit noch bis zum 30. Juni 2008. Doch was<br />

viele Anwälte nicht wissen: Schon heute kann sich der Anwalt<br />

für einen bestimmten Erfolg besser vergüten lassen,<br />

wenn nur die Erhöhung gesetzlicher Gebühren vereinbart<br />

wird (§ 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO). Seit dem 1. Juli 2004 gilt<br />

die Vorschrift. Der Beitrag gibt anhand konkreter Formulierungen<br />

Anregungen für die Gestaltung eigener Vergütungsvereinbarungen<br />

und berücksichtigt auch die in der Literatur<br />

vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zur Reichweite<br />

von § 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO, die für die Frage der Wirksamkeit<br />

einer Vereinbarung wichtig werden können.<br />

Im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2007,561ff. 1 sind die zu § 49 b Abs. 2 Satz 2<br />

BRAO („Ein Erfolgshonorar im Sinne des Satzes 1 liegt nicht<br />

vor, wenn nur die Erhöhung von gesetzlichen Gebühren vereinbart<br />

wird.“) vertretenen Auffassungen ausführlich dargestellt<br />

worden. Auf dem Hintergrund dieses Meinungsspektrums<br />

ergeben sich folgende denkbare Gestaltungsformen<br />

von erfolgsbezogenen Vergütungsvereinbarungen 2 :<br />

1. Strengste Auffassung<br />

Nach der strengsten Auffassung drückt die Neuregelung des<br />

§ 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO lediglich aus, dass dann, wenn die<br />

Parteien per Vergütungsvereinbarung das Doppelte der gesetzlichen<br />

Vergütung vereinbaren, der Anwalt im Falle einer<br />

Einigung auch das Doppelte der Einigungsgebühr erhält 3 :<br />

§ 1 Für das Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., vereinbaren die Parteien,<br />

dass die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 mit einem Gebührensatz von<br />

2,6, der Vergütungstatbestand VV Nr. 3101 mit einem Gebührensatz<br />

von 1,6, die Terminsgebühr VV Nr. 3104 mit einem Gebührensatz von<br />

2,4 und der Vergütungstatbestand VV Nr. 3105 mit einem Gebührensatz<br />

von 1,0, die Vergütungstatbestände VV Nrn. 1000 bzw. 1003 mit den<br />

Gebührensätzen 3,0 bzw. 2,0 entstehen. 4<br />

§ 2 Im Übrigen verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

2. Weite Auffassung<br />

Die weite Auffassung geht davon aus, dass ein Erfolgshonorar<br />

unter der Voraussetzung zulässig ist, dass der Mandant<br />

in jedem Fall, also auch im Misserfolgsfall, die gesetzlichen<br />

Gebühren schuldet 6 :<br />

§ 1 Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung<br />

des RVG; eine evtl. in diesem Verfahren entstehende Einigungsgebühr<br />

nach Nr. 1003 beträgt aber abweichend von den gesetzlichen Werten<br />

5.000 E, es sei denn, die gesetzlichen Werte führen zu einem höheren<br />

Gebührenbetrag.<br />

§ 2 Im Übrigen verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

3. Mittelmeinungen<br />

Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung der<br />

Möglichkeiten des § 49b Abs. 2 Satz 2 BRAO (Mittelmeinun-<br />

gen): Subjektive Auslegung auf der Basis der Gesetzesbegründung<br />

mit der Folge, dass nur die Erhöhung der im<br />

RVG enthaltenen erfolgsbezogenen Gebühren möglich ist: 7<br />

a) Erhöhung der Einigungsgebühr<br />

Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />

RVG. Eine evtl. in diesem Verfahren entstehende Einigungsgebühr nach VV<br />

Nr. 1003 entsteht mit einem Gebührensatz von 2,0. 5<br />

b) Erhöhung der Erledigungsgebühr<br />

§ 1 Für die außergerichtliche Vertretung zur Durchsetzung des Antrags<br />

vom ... auf Erteilung eines Bauvorbescheids für das Grundstück ... gilt<br />

die gesetzliche Vergütung des RVG. Hiervon abweichend entsteht jedoch<br />

eine evtl. anfallende Erledigungsgebühr nach VV Nr. 1002 mit einem<br />

Gebührensatz von 3,0.<br />

§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

4. Vergütungsvereinbarung mit erfolgsbezogener Erhöhung<br />

aller Gebühren 8<br />

§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des RVG;<br />

kommt es in diesem Verfahren zu einer Einigung über sämtliche anhängige<br />

Gegenstände im Sinne des Vergütungstatbestands VV<br />

Nr. 1003, fällt die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 mit einem Gebührensatz<br />

von 2,6, die Terminsgebühr nach VV Nr. 3104 mit einem Gebührensatz<br />

von 2,4 und die Einigungsgebühr nach VV Nr. 1003 mit einem<br />

Gebührensatz von 2,0 an. 9<br />

§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

5. Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Voraussetzung<br />

für die Erhöhung der Einigungsgebühr 10<br />

a) Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Regelung des Erfolgsbezugs<br />

und Erhöhung nur erfolgsbezogener Gebühren<br />

§ 1 1. Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />

RVG. Sofern es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des<br />

Vergütungstatbestands VV Nr. 1003 kommt und Inhalt der Einigung<br />

eine Zahlungsverpflichtung des Mandanten/der Mandantin von weniger<br />

als ... Euro ist, entsteht die Einigungsgebühr nach VV Nr. 1003 abweichend<br />

von den gesetzlichen Werten mit dem Gebührensatz von<br />

3,0.<br />

2. Bei der Beurteilung, ob die in Absatz 1 genannte, für die Entstehung<br />

der Höhe der Einigungsgebühr maßgebende Grenze der Zahlungsverpflichtung<br />

erreicht wird, bleiben evtl. ebenfalls im Wege der Einigung<br />

mitgeregelte Kostenerstattungsansprüche außer Betracht.<br />

§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

1 Mayer, Das Erfolgshonorar- de lege lata und de lege ferenda<br />

2 Die folgenden und viele andere Muster in Mayer, Gebührenformulare, Teil 1, §1<br />

Rn. 198 ff.<br />

3 Vgl. Schneider, Vergütungsvereinbarung Rn 332, 361f.; vgl. auch Hartung/Römermann/Schons,<br />

§ 4 Rn 80.<br />

4 Da sich die Vergütungsvereinbarung am Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB<br />

messen lassen muss (s. hierzu Mayer, AGB-Kontrolle und Vergütungsvereinbarung,<br />

AnwBl 2006, 168ff.), ist es ratsam, die Erhöhung nicht lediglich pauschal<br />

(„das Doppelte der“) zu beschreiben.<br />

5 Zu den ebenfalls zu empfehlenden Hinweisen in der Vergütungsvereinbarung auf<br />

das Verhältnis der vereinbarten zu der gesetzlichen Vergütung, Einschränkungen<br />

bei der gesetzlichen Kostenerstattungspflicht und den Umfang einer evtl. eintrittspflichtigen<br />

Rechtschutzversicherung vgl. unter Muster 6 b, dort §§ 5, 6.<br />

6 Vgl. Pohl, Berliner <strong>Anwaltsblatt</strong> 2005, 102ff., 106f.<br />

7 Vgl. Mayer/Kroiß-Mayer, § 1 Rn 249; Mayer, Vertragsrecht und Vergütung, AnwBl<br />

2006, 160ff., 165; Burhoff, RVG, Teil B, „Erfolgshonorar (§ 49 II BRAO)“ Rn 6; Enders,<br />

RVG für Anfänger Rn 303f.; Gerold/Schmidt-Madert, § 4 Rn 58; Madert, Zulässiges<br />

und unzulässiges Erfolgshonorar, AGS 2005, 536ff., 538; Hinne/Klees/<br />

Teubel/Winkler, § 1 Rn 59.<br />

8 Vgl. Braun, Festschrift für Madert, 43ff., 55f.; Bischof/Bischof, §4Rn122<br />

9 Siehe oben Fußnote Nr. 4.<br />

10 Vgl. Bischof, Festschrift für Madert, 1ff., 6; Bischof/Bischof, § 4 Rn 124; vgl. auch<br />

Winkler, Festschrift für Madert, 239ff., 246.<br />

780 AnwBl 11 / 2007 Das Erfolgshonorar was heute schon möglich ist, Mayer


MN Mitteilungen<br />

b) Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Regelung des<br />

Erfolgsbezugs und Erhöhung sämtlicher Gebühren<br />

§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des RVG. Sofern<br />

es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des Vergütungstatbestands<br />

VV Nr. 1003 kommt und Inhalt der Einigung eine Zahlungsverpflichtung<br />

des Mandanten/der Mandantin von weniger als ...<br />

Euro ist, beträgt die Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3100 3,9, die Terminsgebühr<br />

VV Nr. 3104 3,6 und die Einigungsgebühr VV Nr. 1003<br />

3,0. 11<br />

§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />

6. Vergütungsvereinbarung mit inhaltlich definiertem Erfolgsbezug<br />

und Staffelung nach dem Ergebnis:<br />

a) Muster für Vergütungsvereinbarung mit nach Inhalt des<br />

erzielten Erfolgs gestaffelter Vergütung<br />

§ 1 Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung<br />

des RVG.<br />

§ 2 Kommt es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des Vergütungstatbestands<br />

VV Nr. 1003 der Parteien, gilt folgendes: 12<br />

9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />

gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 10.000 E,<br />

entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />

VV Nr. 3100 1,3; Terminsgebühr VV Nr. 3104 1,2;<br />

Einigungsgebühr VV Nr. 1003 1,0.<br />

9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />

gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 20.000 E,<br />

entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />

VV Nr. 3100 2,6; Terminsgebühr VV Nr. 3104 2,8;<br />

Einigungsgebühr VV Nr. 1003 2,0.<br />

9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />

gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 30.000 E,<br />

entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />

VV Nr. 3100 3,9; Terminsgebühr VV Nr. 3104 3,6; Einigungsgebühr<br />

VV Nr. 1003 3,0.<br />

9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />

gemäß den §§ 9, 10 KSchG von mehr als 30.000 E, entstehen<br />

die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />

VV Nr. 3100 5,2; Terminsgebühr VV Nr. 3104 4,8;<br />

Einigungsgebühr VV Nr. 1003 4,0.<br />

b) Muster für Vergütungsvereinbarung mit nach Inhalt des<br />

erzielten Urteils gestaffelter Vergütung 13 :<br />

§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />

RVG.<br />

§ 2 Hiervon abweichend entstehen die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100<br />

und die Terminsgebühr VV Nr. 3104 in folgender Höhe: 14<br />

9 Bei vollständiger Klagabweisung: Verfahrensgebühr VV<br />

9<br />

Nr. 3100 3,9; Terminsgebühr VV Nr. 3104 3,6.<br />

Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von nicht mehr als<br />

30.000 E: Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 2,6; Terminsgebühr VV<br />

Nr. 3104 2,4.<br />

9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von über 30.000 E verbleibt<br />

es bei den im RVG vorgesehenen Beträgen.<br />

11 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />

12 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />

13 Vgl. Braun, Festschrift für Madert, 43ff., 55f.<br />

14 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />

15 Belehrung ist Ausfluss des aus § 4 I 3 RVG folgenden „faktischen Zwangs“:Begriff<br />

nach Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und management Rn 546; zur<br />

Freiwilligkeit in § 4 I 3 RVG s. näher auch Mayer, Vertragsrecht und Vergütung,<br />

AnwBl 2006, 160ff., 163.<br />

16 Eine diesbezügliche Belehrung empfehlen Krämer/Mauer/Kilian, aaO Rn 588.<br />

17 S. hierzu die Empfehlung von AnwK-RVG/Rick, § 4 Rn 16; Krämer/Mauer/Kilian,<br />

aaO Rn 588; vgl. auch LG Düsseldorf, NJW 2000, 1650.<br />

§ 3 Wird der Rechtsstreit erst in 2. Instanz rechtskräftig entschieden, gelten<br />

folgende Regelungen:<br />

9 Bei vollständiger Klagabweisung: der Vergütungstatbestand VV<br />

Nr. 3200 entsteht mit einem Satz von 4,8; der Vergütungstatbestand<br />

VV Nr. 3202 entsteht mit einem Satz von 3,6.<br />

9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von nicht mehr als<br />

30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 3200 entsteht mit einem<br />

Satz von 3,2; der Vergütungstatbestand VV Nr. 3202 entsteht mit einem<br />

Satz von 2,4.<br />

9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von über 30.000 E<br />

verbleibt es bei den im RVG vorgesehenen Beträgen.<br />

§ 4 Sollte der Rechtsstreit nicht durch Urteil, sondern im Wege einer Einigung<br />

der Parteien beendet werden, fällt zu den in den §§ 1 und 2 genannten<br />

Gebühren noch die Einigungsgebühr in folgender Höhe an:<br />

9 Bei Einigung in 1. Instanz ohne jegliche Zahlungsverpflichtung: der<br />

Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht mit einem Satz von 3,0.<br />

9 Bei Einigung in 1. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von nicht<br />

mehr als 30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht<br />

mit einem Satz von 2,0.<br />

9 Bei Einigung in 1. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von über<br />

30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht in der im<br />

Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höhe.<br />

Wird die Einigung in der Berufungsinstanz getroffen, gilt folgendes:<br />

9 Bei Einigung in 2. Instanz ohne jegliche Zahlungsverpflichtung: der<br />

Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht mit einem Satz von 3,9.<br />

9 Bei Einigung in 2. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von nicht<br />

mehr als 30.000 Euro: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht<br />

mit einem Satz von 2,6.<br />

9 Bei Einigung in 2. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von über<br />

30.000 Euro: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht in der<br />

im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höhe.<br />

§ 5 Soweit es in dem in § 1 genannten Verfahren durch Urteil oder Einigung<br />

zu keiner Zahlungsverpflichtung oder zu einer Zahlungsverpflichtung<br />

kommt, die den Betrag von 30.000 Euro nicht übersteigt, übersteigt<br />

die in den §§ 1, 2, 3 und 4 vereinbarte Vergütung die gesetzliche<br />

Vergütung. 15<br />

§ 6 Sollte es zu einer gesetzlichen Kostenerstattungspflicht in dem in § 1<br />

genannten Verfahren kommen, sind nur Kosten in Höhe der gesetzlichen<br />

Gebühren erstattungsfähig. Die darüber hinausgehenden Differenzbeträge<br />

trägt der Mandant/die Mandantin. 16<br />

Soweit die in den §§ 1 – 4 vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren<br />

übersteigt, trägt eine evtl. eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung<br />

die Kosten nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren. Die<br />

darüber hinausgehenden Differenzbeträge trägt der Mandant/die Mandantin.<br />

17<br />

Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

sowie Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er ist Mitglied<br />

im Gesetzgebungsausschuss RVG und Gerichtskosten<br />

des DAV.<br />

Das Erfolgshonorar was heute schon möglich ist, Mayer AnwBl 11 / 2007 781


MN Mitteilungen<br />

RVG-Frage des Monats<br />

_______________________________________________________<br />

Geschäftsgebühr auf die<br />

Verfahrensgebühr anrechnen?<br />

Wie die Praxis mit der Entscheidung des BGH<br />

(AnwBl 2007, 630) umgeht<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 7. März 2007<br />

(AnwBl 2007, 630) entschieden, dass die bereits entstandene<br />

Geschäftsgebühr im anschließenden gerichtlichen Verfahren<br />

die Verfahrensgebühr vermindert. Die gerichtliche Praxis<br />

hatte die Anrechung stets anders herum vorgenommen.<br />

Die Entscheidung des BGH und dazu die eher verwirrende<br />

Unterschiedlichkeit der Interpretationen (vgl. Schons, Hansens<br />

und Schneider in AGS 2007, 284, 285 und 287 sowie<br />

Volpert, RVGprofessionell 2007, 91 und 127; Enders, JurBüro<br />

2007, 337; Bischof, JurBüro 2007, 341; Schneider, NJW 2007,<br />

2001; Hansens, RVGreport 2007, 121) hat zu Unsicherheiten<br />

geführt. So wie die Entscheidung formuliert war, konnte<br />

man sie auch dahin verstehen, dass eine in der selben Angelegenheit<br />

angefallene Geschäftsgebühr in jedem Fall auf eine<br />

anschließend entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen<br />

und dies auch bei der Kostenfestsetzung zu Lasten der Gefahrensgebühr<br />

zu berücksichtigen sei. Dass eine in der Kostenfestsetzung<br />

zu berücksichtigende Verfahrensgebühr immer<br />

und ohne Ausnahme um eine evtl. vorangegangene<br />

Geschäftsgebühr entsprechend Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV<br />

zu reduzieren ist, hat der BGH aber nicht ausdrücklich in<br />

seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Inzwischen<br />

gibt es einige Beiträge in der Literatur, die insoweit um Klarstellung<br />

bemüht sind und außerdem erfreulicherweise eine<br />

aktuelle Entscheidung des Kammergerichts (Beschl. v. 17.<br />

Juli 2007 – 1 W 256/07, AGS 9/2007, 439 mit Anm. Schneider)<br />

sowie einen Beschluss des OLG München vom 30. August<br />

2007 – 11 W 1779/07, in diesem Heft auf Seite 797).<br />

Klarstellende Hinweise in der Literatur<br />

Bei den bisher veröffentlichten Kommentaren zu der BGH-<br />

Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass aus dieser Entscheidung<br />

nicht der Schluss gezogen werden sollte, dass im<br />

Kostenfestsetzungsverfahren stets nur noch die um die Anrechnung<br />

der Geschäftsgebühr reduzierte Verfahrensgebühr<br />

festgesetzt werden könne. Vielmehr sei die Anrechnung der<br />

Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nur dann<br />

und insoweit vorzunehmen, als im Urteil die volle Geschäftsgebühr<br />

bereits tituliert worden ist. Grund: Der Beklagte soll<br />

nicht mehr an Kosten erstatten müssen, als dem Kläger gegenüber<br />

seinem Prozessbevollmächtigten überhaupt entstanden<br />

sind. Nur insoweit fehle das Rechtschutzinteresse an der<br />

Titulierung der vollen Verfahrensgebühr, weil nämlich bereits<br />

ein Vollstreckungstitel über die volle Geschäftsgebühr<br />

vorliegt. Ohne einen Titel über die volle Geschäftsgebühr<br />

könne wiederum die volle Verfahrensgebühr festgesetzt werden.<br />

Grund: Der Beklagte soll erstattungsrechtlich nicht davon<br />

profitieren können, dass der Kläger nicht die volle Geschäftsgebühr<br />

hat titulieren lassen (vgl. Volpert, RVG prof.<br />

aaO, 127, 130; Schneider, NJW aaO 2001, 2006, Schneider,<br />

AGS 2007, 287).<br />

Gibt es also keinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch<br />

im Hinblick auf die Geschäftsgebühr gegen<br />

den Streitgegner, dann hat die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

überhaupt nichts zu suchen. Der Kostenfestsetzungsbeamte<br />

soll also nur prüfen, ob eine anzurechnende<br />

Geschäftsgebühr im Urteil tituliert ist, oder unstreitig<br />

bereits in voller Höhe zwischen Mandant und Anwalt geflossen<br />

ist. Ist das der Fall, dann muss der insoweit titulierte<br />

oder bereits gezahlte Betrag entsprechend der Anrechnungsvorschrift<br />

aus Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV von der angemeldeten<br />

Verfahrensgebühr abgezogen werden.<br />

Klarstellende Ausführungen des Kammergerichts<br />

Unter dem einprägsamen Entscheidungsdatum 17. Juli 2007<br />

hat nun auch das Kammergericht diese Interpretation der<br />

BGH-Entscheidung bestätigt. Dort heißt es im Leitsatz:<br />

„Im Kostenfestsetzungsverfahren kommt eine Anrechnung der<br />

Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die Verfahrensgebühr<br />

des nachfolgenden Rechtsstreits nur dann in Betracht,<br />

wenn die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren tituliert worden<br />

ist oder der Kostenerstattungsschuldner die Geschäftsgebühr<br />

bereits außergerichtlich erstattet hat und dies im Festsetzungsverfahren<br />

unstreitig ist.“<br />

Für eine endgültig klarstellende Beurteilung durch den<br />

BGH hat das KG die Rechtsbeschwerde zugelassen. Dabei<br />

bezieht sich das KG auf den Sinn und Zweck der Anrechnungsregel<br />

in Vorbem. 3 Abs. 4 VV. Diesen sieht das Berliner<br />

Gericht darin, den Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar<br />

und insbesondere auch davor zu schützen,<br />

dass der Rechtsanwalt allein im Hinblick auf seinen Vergütungsanspruch<br />

ein gerichtliches Verfahren einleitet. Materiell-rechtliche<br />

Einwendungen – zu denen die Anrechnung<br />

der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die<br />

zu erstattende Verfahrensgebühr gehört – sind im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

nur dann beachtlich, wenn sie unstreitig<br />

oder evident sind. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn<br />

die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch<br />

in voller Höhe tituliert oder unstreitig außergerichtlich<br />

ausgeglichen worden ist.<br />

Mit der vollen Kraft der Logik lautet der Kernsatz in der<br />

Begründung des KG: „Jedenfalls für den Bereich des Zivilprozesses<br />

ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die unterlegene<br />

Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten haben soll,<br />

weil der Rechtsanwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Geschäft<br />

seines Mandanten betrieben hat.“<br />

Fragen zum RVG und zum Thema Vergütungsvereinbarung können DAV-Mitglieder<br />

im Internet-Forum unter www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben sich<br />

seit August 2004 über 4.900 Forumsteilnehmer registriert und etwa 7.700 Beiträge<br />

eingestellt. Das DAV-Anwaltsforum „Vergütungsvereinbarung“ ist seit Anfang Februar<br />

2006 und das DAV-Anwaltsforum „Streitwertforum“ seit August 2006 online.<br />

Udo Henke, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Geschäftsführer des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s und Mitglied der Redaktion<br />

des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />

782 AnwBl 11 / 2007 Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anrechnen?, Henke


MN Mitteilungen<br />

Soldan Institut<br />

_______________________________________________________<br />

Warum Bürger keinen<br />

Anwalt beauftragen<br />

Wie Rechtsprobleme ohne Anwalt gelöst werden<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach und<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Im Rahmen seiner umfassenden Bevölkerungsstudie „Mandanten<br />

und ihre Anwälte“ * hat das Soldan Institut unter anderem<br />

die Strategien ermittelt, die Bürger bei Auftreten eines<br />

Rechtsproblems zu dessen Lösung verfolgen. Ausgangsbefund<br />

war, dass 22% der Befragten im Zeitraum von 2002<br />

bis 2006 mindestens einem Rechtsproblem ausgesetzt waren,<br />

in dessen Folge sie keinen Rechtsanwalt zur Problemlösung<br />

zu Rate zogen. Für die Anwaltschaft ist die Kenntnis<br />

der Gründe, warum Bürger von der Inanspruchnahme eines<br />

Anwalts absehen wichtig, um künftig weiteres Marktpotenzial<br />

zu erschließen.<br />

I. Demographische Einflussfaktoren<br />

Männer hatten im Untersuchungszeitraum mit 30% deutlich<br />

häufiger als Frauen (16%) ein rechtliches Problem, das sie<br />

ohne die Hilfe eines Rechtsanwalts bearbeiteten. Neben dem<br />

Geschlecht hat auch der Bildungsabschluss einen Einfluss<br />

auf die Art und Weise der Lösung rechtlicher Probleme: Je<br />

höher der Bildungsabschluss, desto häufiger wird ein Rechtsproblem<br />

ohne die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen<br />

gelöst. Der Anteil der Bürger mit einem hohen Bildungsabschluss,<br />

die ein Rechtsproblem ohne anwaltliche<br />

Hilfe gelöst haben, ist mit 34% mehr als doppelt so hoch wie<br />

der Anteil der Bürger mit einem niedrigen Bildungsabschluss<br />

(15%).<br />

Dieser Befund dürfte ein Indikator dafür sein, dass mit<br />

steigendem Bildungsgrad das Vertrauen zunimmt, sich<br />

selbst die für die Lösung eines Rechtsproblems notwendigen<br />

Kenntnisse aneignen zu können. Darüber hinaus dürfte mit<br />

steigender Bildung auch das informelle Konfliktlösungsrepertoire<br />

differenzierter ausgebildet sein, das zu einer informellen<br />

Konfliktlösung erforderlich ist. Ein weiterer Grund<br />

wird sein, dass ein gewisser Anteil von Personen mit einem<br />

hohen Bildungsabschluss entweder selbst Jurist ist oder zumindest<br />

ausbildungsbedingt über juristische Grundkenntnisse<br />

verfügt (z. B. Betriebswirtschaftler).<br />

Deutlich wird zugleich, dass Personen mit niedrigerem<br />

Bildungsabschluss den Zugang zum Recht deutlich häufiger<br />

nur mit fremder Hilfe sicherstellen können. Da diese Personengruppe<br />

nach eigener Einschätzung zudem in geringerem<br />

Maße die Möglichkeit hat, im eigenen Umfeld privat<br />

qualifizierten Rat einzuholen, stellt sich für sie die Frage der<br />

Finanzierbarkeit von Rechtsrat besonders nachhaltig.<br />

Einen Einfluss auf die Entscheidung, einen Rechtsanwalt<br />

zu beauftragen, hat auch die Häufigkeit der Inanspruchnahme<br />

von Rechtsanwälten in der Vergangenheit: Befragte,<br />

die in den letzten fünf Jahren mehrmals einen Rechtsanwalt<br />

in Anspruch genommen haben, haben auch signifikant häufiger<br />

ein Rechtsproblem ohne Rechtsanwalt gelöst: 24% der-<br />

jenigen, die im Untersuchungszeitraum wiederholt Rechtsprobleme<br />

hatten, lösten ihre Rechtsprobleme (auch) ohne<br />

Rechtsanwalt, hingegen nur 7% der Bürger ohne frühere<br />

Rechtsprobleme. Hierfür sind mehrere Erklärungen denkbar:<br />

Der häufige Umgang mit Rechtsproblemen und Rechtsanwälten<br />

kann einen edukativen Effekt dahingehend haben,<br />

dass bestimmte Rechtsprobleme eigenständig gelöst werden<br />

können und die Einschaltung eines Rechtsanwalts selektiver<br />

erfolgt als bei Personen, die seltener vor der Entscheidung<br />

stehen, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.<br />

Die häufige Inanspruchnahme von Rechtsanwälten könnte<br />

aber auch zu einer höheren Kostensensibilität führen, so<br />

dass in stärkerem Maße Kosten und Nutzen der Beauftragung<br />

eines Rechtsanwalts abgewogen werden.<br />

III. Problemlösungsstrategien<br />

Vor dem Hintergrund des umfassenden Rechtsdienstleistungsmonopols<br />

der Anwaltschaft erlangt die Frage besondere<br />

Bedeutung, wie sich Personen mit Rechtsproblemen behelfen,<br />

die sich gegen die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe<br />

entscheiden. Aus rechtspolitischer Sicht günstig erscheint<br />

zunächst, dass die Entscheidung gegen die Beauftragung eines<br />

Rechtsanwalts nicht zugleich bedeutet, dass die Betroffenen<br />

das Rechtsproblem auf sich beruhen lassen: Lediglich<br />

6% der Personen, die keinen Rechtsanwalt beauftragt haben,<br />

geben an, dass überhaupt keine Auseinandersetzung mit<br />

dem Rechtsproblem stattgefunden hat.<br />

Prozentuiert man diesen Wert auf die Gesamtgruppe aller<br />

Personen in Deutschland, die einem Rechtsproblem ausgesetzt<br />

sind, ergibt sich, dass nur 1,5% aller Betroffenen von<br />

vorneherein von jeglicher Problemlösung absehen. Dieser<br />

Wert ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Auslands<br />

bemerkenswert: So ist für England und Wales festgestellt<br />

worden, dass rund 9% der von Rechtsproblemen Betroffenen<br />

keinerlei Problemlösung suchen, sondern die Angelegenheit<br />

auf sich beruhen lassen. Aus den USA sind für die sog.<br />

„inaction“ noch höhere Werte bekannt, wenngleich nur für<br />

einkommensschwache Gruppen: Die Inaktivität erreicht dort<br />

Spitzenwerte von bis zu 38%. 1<br />

In Deutschland sieht das Bild deutlich anders aus: 68%<br />

der Zugehörigen zur Teilgruppe der Befragten, die bei einem<br />

Rechtsproblem keinen Anwalt einschalteten, haben das Problem<br />

zumindest in Eigeninitiative bearbeitet, es also nicht<br />

auf sich beruhen lassen.Mehr als ein Viertel der Teilgruppe<br />

(28%) hat zwar keinen Rechtsanwalt beauftragt, aber sich<br />

doch von einem Dritten beraten lassen und sich nicht an eigener<br />

Problemlösung versucht. 31% derjenigen, die von<br />

einer Beauftragung eines Anwalts absahen und sich anderweitig<br />

beraten ließen, wandten sich an eine Beratungseinrichtung<br />

(Abb. 1). Mit 64% werden vor allem nahestehende<br />

Personen ins Vertrauen gezogen, ganz überwiegend solche,<br />

bei denen die Betroffenen vom Vorhandensein besonderer<br />

Rechtskenntnisse ausgehen.<br />

* Die Gesamtstudie „Mandanten und ihre Anwälte: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage<br />

zur Inanspruchnahme und Bewertung von Rechtsdienstleistungen“ ist<br />

im Anwaltverlag veröffentlicht worden, ISBN 978-3-8240-5404-6, 15,- EUR“. Zu<br />

Studie und Forschungsdesign Hommerich/Kilian/Wolf, AnwBl 2007, 445f.<br />

1 Hommerich/Kilian, aaO,S.92<br />

Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen, Soldan Institut AnwBl 11 / 2007 783


MN Mitteilungen<br />

Die Art und Weise, wie das Rechtsproblem, zu dessen Bearbeitung<br />

kein Anwalt bzw. keine Anwältin hinzugezogen<br />

wurde, gelöst wurde, variiert nach dem Geschlecht der Betroffenen<br />

Mit 72% haben deutlich häufiger Männer ein Problem<br />

selbst in die Hand genommen als Frauen (63%). Da<br />

Frauen sich nur leicht häufiger (30% zu 28%) von jemand<br />

anderem als einen Anwalt beraten lassen als Männer, korrespondiert<br />

die geringere Neigung zu eigenständiger Problemlösung<br />

unmittelbar mit einer höheren Bereitschaft,<br />

Rechtsstreitigkeiten auf sich beruhen zu lassen: Frauen verfolgen<br />

mit 9% eine Sache mehr als doppelt so häufig wie<br />

Männer (4%) nicht weiter. Da auch in der Gruppe der Personen,<br />

die bei rechtlichen Problemen einen Anwalt beauftragt<br />

haben, der Anteil der Männer deutlich höher liegt als jener<br />

der Frauen, könnte eine Erklärung eine in diesen<br />

Einzelbefunden zum Ausdruck kommende, grundsätzlich<br />

niedrigere Konfliktneigung von Frauen sein, die sich in der<br />

geringeren Bereitschaft zur Beauftragung von Rechtsanwälten<br />

und in einer ausgeprägteren Bereitschaft, Streitigkeiten<br />

auf sich beruhen zu lassen, manifestiert.<br />

Abb. 1: Gewählte Alternativen zur Beauftragung eines Rechtsanwalts<br />

Wie rechtliche Probleme ohne anwaltliche Hilfe behandelt<br />

werden, hängt auch vom Bildungsabschluss und dem monatlichen<br />

Haushaltsnettoeinkommen ab. Befragte mit akademischem<br />

Bildungshintergrund haben sich mit 77% am häufigsten<br />

selbst geholfen. Befragte mit mittlerer Reife oder Abitur<br />

haben mit 33% am häufigsten eine Beratungsstelle kontaktiert.<br />

Auch in diesem Punkt bestätigt sich, dass der Bildungsgrad<br />

maßgeblichen Einfluss auf das Vertrauen in die Möglichkeit eigenverantwortlicher<br />

Problemlösung und die Wirksamkeit<br />

verfügbarer Konfliktlösungsrepertoires hat. Bildungsschwächere<br />

Bevölkerungsgruppen bedürfen offensichtlich besonderer<br />

Hilfestellung bei der Lösung rechtlicher Konflikte.<br />

IV. Gründe der Nicht-Beauftragung<br />

Die Befragten, die auf ein rechtliches Problem nicht mit der<br />

Beauftragung eines Rechtsanwalts reagierten, wurden gebeten,<br />

eine Auswahl von Gründen zu bewerten, die gegen die<br />

Beauftragung eines Rechtsanwalts sprachen. Fast jeder<br />

Zweite aus dieser Teilgruppe (48%) wollte die Sache nicht<br />

weiter zuspitzen und vermied es deshalb, einen Rechtsanwalt<br />

zu beauftragen. 35% ziehen gegenüber Rechtsanwälten<br />

andere Ratgeber vor. Die Kosten sind für 32% ein wichtiger<br />

Grund, keinen Anwalt einzuschalten. 21% verzichteten<br />

auf professionelle Beratung, weil sie zuvor schlechte Erfahrungen<br />

mit einem Rechtsanwalt gemacht hatten. 17% hätten<br />

einen Anwalt in Anspruch genommen, wenn sie vom Staat<br />

Prozesskosten- oder Beratungshilfe erhalten hätten. 12%<br />

Abb. 2: Die wichtigsten Gründe, in dieser Sache keinen Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />

zu haben (volle Zustimmung und Zustimmung)<br />

schreckte das allgemein negative Image der Juristen von einer<br />

formalisierten Konfliktlösung ab. Sie stimmen der Aussage<br />

„ich wollte mit der Welt der Juristen nichts zu tun haben“<br />

explizit zu. Die Anwaltssuche stellte für relativ wenige<br />

der Befragten eine Barriere zum Rechtsanwalt dar. 6% gaben<br />

als Grund für die Nichtinanspruchnahme einer anwaltlichen<br />

Beratung zu, keinen Rechtsanwalt gefunden zu haben. Für<br />

4% stellte die Nicht-Verfügbarkeit eines Anwalts vor Ort ein<br />

Hindernis für eine mögliche Beauftragung dar. Die Ablehnung<br />

der Kostenübernahme seitens der Rechtsschutzversicherung<br />

war für 5% ein Grund, keinen Anwalt einzuschalten.<br />

Männer und Frauen nehmen hier teilweise eine unterschiedliche<br />

Bewertung vor. Männliche Befragte haben signifikant<br />

häufiger schlechte Erfahrungen mit einem Rechtsanwalt<br />

gesammelt als Frauen. Für Männer ist auch der<br />

Kostenaspekt leicht bestimmender als für Frauen. Eine Differenzierung<br />

nach Art der Erwerbstätigkeit zeigt, dass für Befragte,<br />

die im Erwerbsleben einer höher qualifizierten bzw.<br />

leitenden Tätigkeit nachgehen, frühere schlechte Erfahrungen<br />

mit einem Anwalt einen wichtigen Grund für die Entscheidung<br />

gegen die Inanspruchnahme eines Anwalts darstellen.<br />

Für Befragte, die eine Erwerbstätigkeit, die niedrigere<br />

Qualifikationen erfordert, ausüben, bewerten signifikant<br />

häufiger die nicht erhaltende staatliche Förderung als wichtigen<br />

Grund, keinen Anwalt bzw. keine Anwältin einzuschalten.<br />

Unterschiede ergeben sich auch bei einer Differenzierung<br />

nach Ost- und Westdeutschland: Für Ostdeutsche ist<br />

die mangelhafte örtliche Verfügbarkeit ein wichtigeres Argument<br />

ist, sich gegen einen Anwalt bzw. eine Anwältin zu entscheiden<br />

als bei Befragten, die in Westdeutschland leben.<br />

Darüber hinaus zeigen Befragte aus den neuen Bundesländern<br />

eine größere Distanz zu Rechtsanwälten. Mit einem<br />

Faktor von 3,5 ist die Einstellung, Juristen aus dem Weg gehen<br />

zu wollen, signifikant häufiger für Befragte aus den<br />

neuen Ländern ein wichtiger Grund, keinen Anwalt bzw.<br />

keine Anwältin in Anspruch zu nehmen. Der Vergleichswert<br />

für Befragte aus den alten Ländern liegt bei 4,3.<br />

Soldan Institut: Prof. Dr. Christoph Hommerich,<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Thomas Wolf, M.A.<br />

Hommerich und Kilian sind Vorstand des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e.V..<br />

Wolf ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.<br />

784 AnwBl 11 / 2007 Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen, Soldan Institut


MN Mitteilungen<br />

Bücherschau<br />

_______________________________________________________<br />

Anwaltsrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

I. Strafverteidigung<br />

Eckart Müller/Klaus Gussmann,<br />

Berufsrisiken des Strafverteidigers;<br />

C.H. Beck, München 2007; 158 S.,<br />

kart.; 978-3-406-52556-8; 34.90 E.<br />

1. In der Reihe Strafverteidigerpraxis<br />

des Verlages C.H. Beck<br />

ist das von Eckart Müller und<br />

Klaus Gussmann verfasste Werk<br />

„Berufsrisiko des Strafverteidigers“<br />

erschienen. Auf gut 150 Seiten<br />

wird anschaulich die straf- und<br />

berufsrechtliche Dimension anwaltlichen<br />

Handelns aufgezeigt.<br />

Mit dem im Titel verwendeten<br />

Wort „Berufsrisiken“<br />

ist zum einen die strafrechtliche,<br />

zum anderen die berufsrechtliche<br />

Dimension anwalt-<br />

lichen Handelns gemeint. Bei der Analyse orientiert sich das<br />

Werk an der Tätigkeit des Strafverteidigers, viele der angesprochenen<br />

Probleme sind freilich nicht auf die Strafverteidigung<br />

beschränkt. Der 100seitige Hauptteil des Buches ist<br />

den „Berufsrisiken“ in fünf verschiedenen Dimensionen gewidmet.<br />

Eigene Abschnitte behandeln straf- und berufsrechtliche<br />

Gefahren beim Umgang mit Mandanten, mit Dritten,<br />

mit Geld, mit Kollegen und Hilfspersonen sowie mit<br />

Behörden und Gerichten. Typische Strafbarkeitsrisiken beim<br />

Umgang mit Mandanten sind etwa die Prävarikation, der<br />

Verstoß gegen die berufsrechtliche Wahrheitspflicht, die<br />

Strafvereitelung, die Beihilfe zur Straftat des Mandanten<br />

oder der verbotene Kontakt mit Gefangenen. Ein kurzer Exkurs<br />

zu den zivilrechtlichen Haftungsrisiken der Verteidigertätigkeit<br />

leitet über zu Problemen des Umgangs mit Dritten,<br />

insbesondere der Aussagedelikte, der Nötigung und des Geheimnisverrats.<br />

Die Untreue, die Geldwäsche und die Gebührenüberhebung<br />

beleuchten Probleme des Geldverkehrs<br />

des Rechtsanwalts. Ein kurzer, erneuter zivilrechtlicher Exkurs<br />

behandelt die für Strafverteidiger besonders relevante<br />

Problematik der Angemessenheit von Vergütungsvereinbarungen.<br />

Nach der Analyse zweier weiterer Risikobereiche<br />

(Kollegen, Behörden und Gerichte) schließt sich ein 30seitiges<br />

Kapitel zu prozessualen Besonderheiten an. Die Durchsuchung<br />

und Beschlagnahme der Anwaltskanzlei, das strafrechtliche<br />

Berufsverbot (§ 70 StGB) und das<br />

Ausschlussverfahren gemäß § 138 StPO sind Inhalte dieses<br />

Abschnitts. Das Werk schließt mit einem weiteren, 20seitigen<br />

Kapitel, in dem die Grundzüge des berufsgerichtlichen<br />

Verfahrens erörtert werden.<br />

2. Mit einem wissenschaftlichen Ansatz hat sich Klaus Winkler<br />

in seiner in Passau entstandenen Dissertation „Die Strafbarkeit<br />

des Strafverteidigers jenseits der Strafvereitelung“ demselben<br />

Problemkomplex gewidmet. Am Anfang der fast<br />

500seitigen Studie steht eine umfassende, dogmatische Fundierung<br />

des Problems. Sie beginnt mit der Konturierung der<br />

Funktion des Strafverteidigers und setzt sich mit der Diskussion<br />

der verschiedenen dogmatischen Ansätze fort, mit denen<br />

seit langem versucht wird, die Verteidigerstrafbarkeit<br />

Klaus Winkler, Die Strafbarkeit des<br />

Strafverteidigers jenseits der Strafvereitelung;<br />

Dr. Kovac, Hamburg 2005;<br />

504 S., brosch.; 978-3-8300-1861-2,<br />

128,00 E.<br />

sachgerecht zu begrenzen. Hier<br />

gibt sich Winkler als Anhänger<br />

der Meinungsströmung zu erkennen,<br />

die die Lösung über<br />

eine teleologische Reduktion<br />

der Straftatbestände bevorzugt.<br />

Nach verfassungsrechtlichen<br />

Betrachtungen zeigt der Verfasser<br />

auf, dass ein Lösungsansatz<br />

Wertungskonflikte zwischen einem<br />

verteidigten und einem<br />

unverteidigten Beschuldigten<br />

vermeiden muss und dies nur<br />

möglich ist, wenn die Hand-<br />

lungsoptionen des Verteidigers nicht unsachgemäß beschnitten<br />

werden. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen entwickelt<br />

Winkler eine verteidigungsspezifische Auslegung, mit der er,<br />

ausgehend vom Regel-Ausnahme-Verhältnis grundsätzlich<br />

zulässiger Strafverteidigung und nur ausnahmsweise verbotener<br />

Verteidigungshandlungen, bei Delikten mit sozialbezogenem<br />

Rechtsgüterschutz auftretende Kollisionen bereits<br />

auf der Tatbestandsebene zu Gunsten der Strafverteidigung<br />

lösen kann. Gerät die Strafverteidigung hingegen in Konflikt<br />

mit individualschützenden Delikten, will Winkler eine Abwägung<br />

auf der Rechtswidrigkeitsebene vornehmen. Mit diesem<br />

Ansatz unternimmt es der Verfasser sodann, zahlreiche<br />

Delikte auf ihre Strafbarkeitsrisiken hin zu analysieren. Besonders<br />

umfassend wird die Strafbarkeit wegen Geldwäsche<br />

erörtert, weitere Tatbestände mit sozialbezogenem Rechtsgüterschutz<br />

sind die Organisationsdelikte, die Volksverhetzung,<br />

die falsche Verdächtigung, Aussage- und Urkundsdelikte.<br />

Aus dem Bereich der Delikte mit Ausrichtung auf Individualrechtsgüter<br />

analysiert Winkler die Beleidigungsdelikte, die<br />

Nötigung und die Verletzung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses.<br />

Eine interessante Untersuchung, die weit<br />

über das gewöhnlich in Dissertationen Gebotene hinausgeht.<br />

3. Nach einer im Jahr 2005 vorgelegten<br />

Untersuchung zur zivilrechtlichen<br />

Haftung des<br />

Strafverteidigers von Müller-Gerteis<br />

(AnwBl 2006, 131 f.) liegt<br />

nun mit dem Werk „Die zivilrechtliche<br />

Haftung des Strafverteidigers“<br />

von Kerstin Schlecht eine<br />

weitere Studie zu diesem in der<br />

Vergangenheit stark vernachläs-<br />

Kerstin Schlecht, Die zivilrechtliche<br />

Haftung des Strafverteidigers; Mohr<br />

Siebeck, Tübingen 2006; 280 S., geb.,<br />

978-3-16-149108-5; 84,00 E.<br />

sigten Thema vor. Das Werk,<br />

eine in Tübingen entstandene<br />

Dissertation, ist auch für die<br />

Praxis gut nutzbar, orientiert es<br />

sich doch in seinem Aufbau an der Struktur eines Schadensersatzanspruchs.<br />

Kapitel 1 untersucht die Frage der einschlägigen<br />

Anspruchsgrundlage, wobei hier Probleme naturgemäß<br />

nur bei der Haftung des Pflichtverteidigers zu erörtern<br />

sind. Mit 100 Seiten besonders umfassend fällt das Kapitel<br />

zur Pflichtverletzung aus. Vorab klärt die Verfasserin das<br />

Problem der Nichtbefolgung einer Weisung, bevor sie sodann<br />

das allgemeine Pflichtenprogramm des Strafverteidigers<br />

auffächert. Sie betont hier insbesondere die Bereiche, in<br />

denen es Unterschiede zwischen der Haftung des zivilrechtlich<br />

tätigen Anwalts und jener des Strafverteidigers gibt.<br />

Nach Erörterung der allgemeinen Grundsätze der Anwaltshaftung<br />

prüft sie jeweils die Übertragbarkeit dieser auf die<br />

Bücherschau, Kilian AnwBl 11 / 2007 785


MN Mitteilungen<br />

besondere Situation der Strafverteidigung. Ein gesonderter<br />

Abschnitt ist dem Problem gewidmet, ob der Grad der Spezialisierung<br />

das Pflichtenprogramm des Strafverteidigers verdichtet.<br />

Schlecht kommt zu dem Ergebnis, dass den Anwalt,<br />

der das Strafrecht als Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunkt<br />

nennt, gegenüber dem Allgemeinanwalt gesteigerte Pflichten<br />

treffen und an einen Fachanwalt für Strafrecht noch höhere<br />

Anforderungen zu stellen seien. Im Kapitel zur Pflicht zur<br />

Wahl des sichersten Weges vertieft Schlecht das Problem der<br />

strategischen Erwägungen bei der Verteidigung und der eigenen<br />

Strafbarkeitsrisiken des Rechtsanwalts. Sie plädiert<br />

dafür, dass es dem Rechtsanwalt nicht zugemutet werden<br />

kann, die Grenzen des Erlaubten zu Gunsten seines Mandanten<br />

voll ausschöpfen zu müssen. Ein kürzeres Kapitel befasst<br />

sich sodann mit dem Verschulden, bevor ein ausführlicherer<br />

Abschnitt Schaden und Kausalität beleuchtet. Hier<br />

weist die Verfasserin darauf hin, dass bei der Betrachtung<br />

des hypothetischen Kausalverlaufs zwar die Sichtweise des<br />

Richters maßgeblich sei, jedoch die vom Vorgericht angestellten<br />

Strafzumessungserwägungen zu Grunde zu legen<br />

seien, soweit sie richtig, vom Fehlverhalten des Verteidigers<br />

unbeeinflusst und isolierbar sind. Einige Seiten zur Beweislast<br />

runden die interessante Studie ab.<br />

II. Berufsrecht<br />

Klaus Markus Dahlmanns, Die Einführung<br />

neuer Fachanwaltsbezeichnungen<br />

– eine verfassungsrechtliche<br />

Verpflichtung?; Peter Lang, Frankfurt/M.<br />

2007; 176 S., brosch.;<br />

978-3-631-56470-7; 39,00 E.<br />

1. Gleichsam pünktlich zur<br />

Konstituierung der 4. Satzungsversammlung<br />

ist eine Studie<br />

von Klaus Markus Dahlmanns<br />

mit dem Titel „Die Einführung<br />

neuer Fachanwaltsbezeichnungen<br />

– eine verfassungsrechtliche Verpflichtung?“<br />

erschienen. Die<br />

Frage des Maßstabs, anhand<br />

dessen die Satzungsversammlung<br />

den Kanon der Fachanwaltschaften<br />

gestalten muss,<br />

ist bekanntlich eines der heißen<br />

berufsrechtlichen Eisen der ver-<br />

gangenen 10 Jahre. Eine vertiefende, wissenschaftliche Untersuchung<br />

zu dieser Frage ist daher sehr willkommen, wenngleich<br />

den Verfasser naturgemäß verfassungsrechtliche und<br />

nicht berufspolitische Aspekte interessieren. So prüft Dahlmanns<br />

zunächst, ob die Einführung von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

durch die Satzungsversammlung im Wege des Satzungsrechts<br />

überhaupt verfassungskonform ist, bevor er klärt,<br />

ob das Verbot des Führens einer Fachanwaltsbezeichnung<br />

ohne förmliche Verleihung eines Titels gegen die Grundrechte<br />

der Berufsfreiheit verstößt. Alle diese aufgeworfenen<br />

Fragen verneint der Verfasser. Er wendet sich sodann dem<br />

Problem zu, dass nur für bestimmte Rechtsgebiete Fachanwaltsbezeichnungen<br />

existieren Dahlmanns gelangt zu einem<br />

Verstoß gegen Art. 12 GG, da die gegenwärtige Einschränkung<br />

auf 18 (jetzt 19) Fachanwaltsbezeichnungen nicht<br />

im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet sei. Ein eigenes<br />

Konzept, wie die Fachanwaltschaften zu strukturieren sind,<br />

legt der Verfasser freilich nicht vor, wenngleich er die dringende<br />

Mahnung an den Satzungsgeber richtet, insbesondere<br />

die Bedeutung der allgemeinen Fortbildungspflicht des<br />

Rechtsanwalts für das Konzept der Fachanwaltschaften nicht<br />

aus dem Blick zu verlieren.<br />

Uwe Fitzner, Der Patentanwalt; Carl<br />

Heymanns, Köln 2006; 509 S., kart.,<br />

978-3-452-25866-3, 88,00 E.<br />

2. Obschon die PAO weitgehend<br />

die BRAO spiegelt, wird das Berufsrecht<br />

der Patentanwälte von<br />

der Anwaltschaft nur selten<br />

wahrgenommen. Der Hinweis<br />

auf die Neuerscheinung „Der Patentanwalt“<br />

von Uwe Fitzner soll<br />

den Blick auf ein interessanteres<br />

Werk richten. Es handelt sich<br />

nicht um eine berufsrechtliche<br />

Studie im engeren Sinne. Der<br />

Untertitel „Beruf und Beratung<br />

im gewerblichen Rechtsschutz“<br />

deutet bereits an, dass insbesondere das Tätigkeitsfeld des Patentanwalts<br />

aufgefächert wird. Ausführliche Kapitel schildern<br />

anschaulich die Aufgaben des Patentanwalts im Zusammenhang<br />

mit Patenten, Gebrauchsmustern, technischen Schutzrechten,<br />

dem Sortenschutz, Marken und Geschmacksmustern<br />

sowie bei der Gestaltung von Kauf- und Lizenzverträgen. Vorangestellt<br />

ist ein berufsrechtlicher Teil, in dem der Berufszugang,<br />

die Freiberuflichkeit, die Organisationsformen und<br />

das Mandatsverhältnis des Patentanwalts erörtert werden. Im<br />

Kontext des Mandatsverhältnisses befassen sich Abschnitte<br />

mit der Werbung, dem Vertragsrecht, der Vergütung und der<br />

Haftung des Patentanwalts. Wer eine anschauliche Übersicht<br />

über rechtliche Grundlagen und praktische Tätigkeitsfelder<br />

des Patentanwalts sucht, wird im Werk von Fitzner fündig werden.<br />

3. Ludwig Koch, von 1983 bis<br />

1988 Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, hat gemeinsam<br />

mit dem Kolumnisten der<br />

Bücherschau in der NJW-<br />

Schriftenreihe das Werk „Anwaltliches<br />

Berufsrecht“ veröffentlicht.<br />

Persönliche Involvierung<br />

verbietet es, hierüber viele<br />

Ludwig Koch/Matthias Kilian, Anwaltliches<br />

Berufsrecht; C.H. Beck,<br />

München 2007; 346 S., brosch.,<br />

978-3-406-53246-7, 50,00 E.<br />

Worte zu verlieren. Dem Anliegen<br />

der Bücherschau, alle berufsrechtlichenNeuerscheinungen<br />

zu dokumentieren, sei mit<br />

dem Hinweis genüge getan,<br />

dass das Werk als systematische Darstellung des Berufsrechts<br />

unter Berücksichtigung seiner praxisrelevanten Probleme<br />

konzipiert ist: Es gliedert sich in einen Hauptteil (270<br />

Seiten) zum materiellen Berufsrecht mit fünf Kapiteln (Beruf/Zulassung,<br />

Kanzlei/Außendarstellung, Anwaltsvertrag/<br />

Vergütung, Mandat, Organisationsformen) und einen kürzeren<br />

Teil (45 Seiten) zum zugehörigen Verfahrensrecht<br />

(Verwaltungsverfahren, Aufsichtsverfahren, berufsgerichtliches<br />

Verfahren, Strafverfahren, Konkurrenzprobleme).<br />

Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des<br />

Soldan-Instituts für Anwaltmanagement e. V. (Essen).<br />

Er ist erreichbar per E-Mail: kilian@soldaninstitut.de<br />

786 AnwBl 11 / 2007 Bücherschau, Kilian


MNHaftpflichtfragen<br />

Der Rechtsanwalt als<br />

Treuhänder – ein<br />

unterschätztes Risiko<br />

Rechtsanwalt Jo Müller, München<br />

Anwälte sind findig. Immer mehr Kollegen nutzen das allgemeine<br />

Ansehen des Berufsstandes „Rechtsanwalt“ und<br />

ihre Qualifikation, um neben ihrer Mandatsarbeit auch als<br />

Treuhänder tätig zu werden. Diese Tätigkeit birgt aber, neben<br />

durchaus lukrativen Verdienstmöglichkeiten, auch Risiken.<br />

Der Beitrag gibt einen Überblick über die objektiven Risiken<br />

für den Treuhänder und deren mögliche Absicherung.<br />

I. Grundlagen der Treuhand<br />

1. Echte und unechte Treuhand<br />

Im Grunde kann jedes Treuhandverhältnis auf eines der<br />

zwei Grundmodelle einer Treuhand, die so genannte echte<br />

oder die unechte Treuhand, reduziert werden (s. Zugehör in<br />

Zugehör/Fischer/ Sieg/Schlee „Handbuch der Anwaltshaftung“,<br />

2. Aufl. Rd. 1784 ff.). Bei der echten Treuhand wird<br />

das Treugut dem Treuhänder mit allen Rechten und Pflichten<br />

übertragen. Zwar darf dieser über das Treugut nur in der<br />

Art und Weise verfügen, wie es ihm die Treuhandvereinbarung<br />

vorschreibt, Dritten und auch dem Treugeber gegenüber<br />

wird er aber rechtmäßiger Eigentümer des Treuguts.<br />

Seine Verfügungen bleiben daher selbst dann wirksam,<br />

wenn er der Treuhandvereinbarung zuwider handelt. Bei der<br />

unechten Treuhand bleibt der Treugeber hingegen Rechtsinhaber<br />

und ermächtigt den Treuhänder nur zur Vornahme<br />

von (einzelnen) Rechtsgeschäften. Ersichtlich ist diese Form<br />

für den Treugeber mit weniger Risiko behaftet.<br />

Welche Form der Treuhand die Parteien letztendlich wählen,<br />

wird maßgeblich durch den beabsichtigten Zweck der<br />

Treuhand bestimmt werden. So ist die Sicherung eines Treuguts<br />

(sog. „Sicherungstreuhand“) effektiver mit der Übertragung<br />

des Treuguts zu gewährleisten, für die reine Verwaltung<br />

des Treuguts (sog. „Verwaltungstreuhand“) reicht<br />

hingegen oftmals die unechte Treuhand aus.<br />

In den meisten Fällen beruht die Beauftragung eines<br />

Treuhänders auf dem freien Wunsch des Mandanten oder<br />

der jeweiligen Parteien. In wenigen Fällen ist die Möglichkeit<br />

einen Treuhänder einzusetzen gesetzlich vorgegeben beziehungsweise<br />

in einigen Fällen ratsam. Falls die Hinzuziehung<br />

auf einer Parteivereinbarung beruht und der Treuhandabrede<br />

eine rechtliche Beratung vorweg gegangen ist, wird wohl in<br />

den meisten Fällen der beratende Rechtsanwalt auch als<br />

Treuhänder eingesetzt werden. Zwingend notwendig ist dies<br />

jedoch nicht. Selbst wenn der Gesetzeswortlaut, wie z. B. § 2c<br />

Kreditwesengesetz (KWG), die Möglichkeit anheim stellt zur<br />

Erreichung des Normzwecks einen Treuhänder einzusetzen,<br />

gibt dieser in den seltensten Fällen vor, dass der Treuhänder<br />

die Qualifikation eines Rechtsanwaltes besitzen muss.<br />

Insofern sind für die Aufgaben und damit auch mittelbar<br />

für die Haftung des Treuhänders nicht das Verhältnis Mandant<br />

zu Rechtsanwalt, sondern das Verhältnis Treuhänder zu<br />

Treugeber maßgeblich.<br />

2. Die Treuhandabrede<br />

Problematisch ist, dass die Treuhand in unserem Recht keine<br />

gesetzliche Regelung erfahren hat (Jungk in Borgmann/<br />

Jungk /Grams „Anwaltshaftung“, 4. Aufl, VI Rd. 31). Auch<br />

wenn grundsätzlich die Regelungen der Geschäftsbesorgung<br />

Anwendung finden (s. Zugehör Rd. 1781 aaO.), lässt sich<br />

aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der<br />

Treuhand kein typischen Treuhandvertrag abbilden. Treugeber<br />

und Treuhänder kann daher in beiderseitigem Interesse<br />

nur geraten werden, die Aufgaben des Treuhänders<br />

stets individualvertraglich und detailliert mit einer Treuhandvereinbarung<br />

zu regeln. Insbesondere bei der Sicherungstreuhand,<br />

im Rahmen derer der Treuhänder zwangsläufig<br />

widerstreitenden Interessen mehrerer Personen zu berücksichtigen<br />

hat, liegt es in der Natur der Sache, dass das Risiko<br />

einer Inanspruchnahme des Treuhänders steigt, wenn der<br />

Umfang seiner Tätigkeit nicht im Vorwege genau und detailliert<br />

von den Parteien vereinbart wurde. Ob die Parteien mit<br />

den Verfügungen des Treuhänders später letztendlich zufrieden<br />

sind, spielt für seine Haftung dann, solange er sich im<br />

Rahmen der Treuhandvereinbarung bewegt, eine untergeordnete<br />

Rolle.<br />

Eine Treuhandvereinbarung ist selbst dann notwendig,<br />

wenn die Treuhand ausdrücklich gesetzlich genannt wird<br />

bzw. zur Erreichung des Normzwecks zumindest ratsam ist.<br />

Zwei Beispiele hierfür:<br />

a) § 2c II KWG<br />

Nach § 2c Abs. 2 KWG können einem Treuhänder, zur Wahrung<br />

der Interessen der Bundesanstalt, die Stimmrechte einer<br />

bedeutenden Beteiligung an einem Institut i.S.d. KWG<br />

übertragen werden. Der ausdrücklichen Erwähnung eines<br />

Treuhänders folgt, dass in § 2c Abs. 2 KWG auch dessen Tätigkeiten<br />

näher beschrieben und ihm Auflagen in Bezug auf<br />

seine treuhänderischen Pflichten gemacht werden. Er hat<br />

„bei der Ausübung seiner Stimmrechte den Interessen einer<br />

soliden und umsichtigen Führung des Instituts Rechnung<br />

zu tragen“. Eine individuelle Treuhandvereinbarung ersetzt<br />

diese allgemeine Aufgabenbeschreibung ersichtlich nicht.<br />

Seine genauen Pflichten und konkreten Aufgaben lassen<br />

sich der Norm allein nicht entnehmen.<br />

b) § 8a AltTZG<br />

Bei dem wohl häufigeren Fall der Insolvenzabsicherung von<br />

Arbeitnehmerwertguthaben nach § 8a Altersteilzeitgesetz<br />

(AltTZG) ist eine individualvertragliche Vereinbarung ebenso<br />

notwendig, wenn nicht sogar zwingend erforderlich. Die Einsetzung<br />

eines Treuhänders ist hier unstrittig ebenfalls geeignet,<br />

den beabsichtigten Normzweck zu erfüllen; ausdrücklich<br />

benannt wird dieser in § 8a AltTZG aber nicht. Insofern finden<br />

sich hier auch keinerlei Regelungen zum Umfang der<br />

Treuhand. In Unkenntnis der eigentlichen Aufgaben tätig zu<br />

werden, ist niemals ratsam.<br />

II. Absicherung des Haftungsrisikos<br />

Die Frage nach dem genauen Haftungsrahmen lässt sich<br />

demnach ohne Einzelfallbezug nicht beantworten. Für den<br />

Treuhänder, und im speziellen für den Rechtsanwalt als<br />

Treuhänder, sollte aber stets und bereits im Vorwege Klarheit<br />

darüber bestehen, ob er für die beabsichtigte Tätigkeit<br />

genügend abgesichert ist oder falls dem nicht so sein sollte,<br />

Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller AnwBl 11 / 2007 787


MN Haftpflichtfragen<br />

ob diese Tätigkeit zumindest ein versicherbares Risiko darstellt.<br />

Andernfalls haftet er für etwaige Fehler persönlichen<br />

und unbegrenzt, ohne hierfür über einer entsprechende<br />

Haftpflichtversicherung abgesichert zu sein.<br />

Folgenden Absicherungsmöglichkeiten kommen für den<br />

Rechtsanwalt als Treuhänder in Betracht:<br />

1. Pflichtversicherung nach § 51 BRAO<br />

Jeder Rechtsanwalt ist – im Gegensatz zu manch anderen<br />

Berufsgruppen, welche sich als Treuhänder betätigen – verpflichtet,<br />

für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt eine Berufshaftpflichtversicherung<br />

abzuschließen. Somit genießt er, zumindest<br />

für Fehler aus seiner beruflichen Tätigkeit,<br />

grundsätzlich Versicherungsschutz. Ob dieser Schutz ausreichend<br />

ist, bleibt zu prüfen.<br />

a) Vorliegen eines Treuhandauftrages<br />

Die Frage nach dem Umfang der Pflichtversicherung bekommt<br />

daher erst dann Relevanz, wenn die Tätigkeit den<br />

Rahmen des anwaltlichen Berufsbildes verlässt. Andernfalls<br />

hat der Rechtsanwalt, wie erwähnt, umfassend Versicherungsschutz.<br />

Oftmals ist es aber bereits fraglich, ob (noch)<br />

ein anwaltliches Mandat oder (schon) ein vom Berufsbild<br />

nicht mehr umfasster Treuhandauftrag vorliegt. Der Anwaltsvertrag<br />

wird unstreitig dann überschritten, sobald der<br />

Mandant bei Vertragsschluss deutlich macht, dass er darüber<br />

hinaus eine treuhänderische Bindung seines Anwaltes<br />

wünscht, (Zugehör, Rd 1799, aaO.). Unabhängig vom Parteiwillen<br />

liegt eine rein anwaltsfremde Tätigkeit auch dann vor,<br />

wenn die Rechtsbetreuung als Vertragsgegenstand völlig in<br />

den Hintergrund tritt, sie deswegen als unwesentlich anzusehen<br />

ist (Gräfe in Gräfe/Brügge „Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung“,<br />

2006, E Rd. 156).<br />

Die BGH Entscheidung vom 12.10.2006 (VersR 2007,<br />

S. 794) zeigt, dass sich selbst eine solch scheinbar klare Abgrenzung<br />

oftmals nur schwierig vornehmen lässt. Der BGH<br />

weist in seiner Begründung zwar darauf hin, dass, falls ein<br />

Strafverteidiger Gelder von einem Dritten zur sofortigen<br />

Weiterleitung zugunsten seines Mandanten überwiesen bekommt,<br />

eine treuhänderische Verwaltung dieser Gelder in<br />

der Regel nicht in Betracht kommt, macht aber auch deutlich,<br />

dass bei zusätzlichen Absprachen oder besonderen Umständen<br />

dies durchaus anders zu beurteilen ist. Zwar ging es<br />

im vorliegenden Fall nicht um etwaige Haftungsszenarien<br />

des Rechtsanwaltes aus seiner Funktion als Treuhänder, sondern<br />

um die mögliche Honorarentnahme aus dem Treugut.<br />

Fakt ist aber, dass sich der Rechtsanwalt durch die treuhänderische<br />

Entgegennahme des Geldes dem Risiko ausgesetzt<br />

hat, den Rahmen seiner üblichen beruflichen Tätigkeit zu<br />

verlassen. Infolgedessen hätte er für etwaige Vermögensschäden<br />

über seine Berufshaftpflichtversicherung keinen<br />

Versicherungsschutz gehabt. Diese Unsicherheit gilt es in jedem<br />

Fall zu vermeiden.<br />

b) Umfang der Pflichtversicherung<br />

§ 51 BRAO gibt den Umfang dieser Pflichtversicherung verbindlich<br />

vor. Hiernach sind ausschließlich Schäden gedeckt,<br />

die bei der Ausübung der Berufstätigkeit, d. h. der anwaltlichen<br />

Tätigkeit, verursacht werden (Stobbe in Henssler<br />

/Prütting „Bundesrechtsanwaltsordnung“, 2. Auflage, § 51<br />

BRAO, Rd. 50). Ob und in welchen Fällen die Tätigkeit als<br />

Treuhänder dieser Berufstätigkeit zugeordnet werden kann,<br />

ist streitig (Gräfe, Rd 154, aaO.).<br />

Nur wenn die Treuhandtätigkeit mit der rechtlichen Beistandspflicht<br />

in einem engen, inneren Zusammenhang<br />

steht, ist der Anwalt für diese Tätigkeit über seine Berufshaftpflichtversicherung<br />

hinreichend geschützt. Je weiter sich der<br />

Rechtsanwalt von dieser originären Tätigkeit in Ausführung<br />

seines Treuhandauftrages entfernt, die Zuordnung zum anwaltlichen<br />

Berufsbild folglich in Frage gestellt werden kann,<br />

um so mehr steigt das Risiko für diese Tätigkeit nicht versichert<br />

zu sein. Die isolierte Treuhandtätigkeit, sprich ohne<br />

jegliche rechtliche Beratung, ist dem versicherten anwaltlichen<br />

Berufsbild jedenfalls nicht mehr zuzuordnen (Gräfe<br />

Rd. 154, aaO.).<br />

Einen generellen Einschluss von Treuhandtätigkeiten in<br />

die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Pflichtversicherung<br />

für Rechtsanwälte gibt es daher nicht. Diesen<br />

kann es auch in dieser Form nicht geben. Der Rechtsanwalt<br />

nimmt mit einer Treuhandvereinbarung regelmäßig ein<br />

erhöhtes, weiteres Risiko auf sich. Ein genereller Einschluss<br />

in die Berufshaftpflichtversicherung würde demnach zwingend<br />

auch zu einer generellen Prämienerhöhung der Pflichtversicherung<br />

führen. Dies würde dann unmittelbar jeden<br />

Rechtsanwalt treffen, unabhängig davon, ob er als Treuhänder<br />

tätig wird oder nicht. Diese Mitfinanzierung über den gesamten<br />

Berufsstand wäre eine offensichtlich unbillige und<br />

von der Mehrzahl der Rechtsanwälte auch nicht gewollte<br />

Lösung.<br />

Über die allgemeine Zulässigkeit einer anderen Betätigung<br />

sagt dies nichts aus. Selbstverständlich bleibt es einem<br />

jeden Rechtsanwalt unbelassen, sich nebenbei z. B. als Unternehmensberater,<br />

nicht gerichtlich bestellter Liquidator,<br />

oder eben Treuhänder zu betätigen. Das hierdurch entstehende<br />

Risiko muss er aber selbst tragen, oder, falls<br />

gewünscht, separat für eine Absicherung sorgen.<br />

2. Individueller Einschluss in die eigene Vermögensschaden-<br />

Haftpflichtversicherung.<br />

Ein Einschluss – gegen Zuschlag – in die individuelle Police<br />

eines regelmäßig als Treuhänder tätigen Rechtsanwalts ist<br />

ebenfalls nicht möglich. Wie schon ausgeführt, fehlt es an einer<br />

allgemeingültigen Treuhandvereinbarung oder einer gesetzlichen<br />

Regelung zur Treuhand (Jungk aaO.). Für eine Risikoeinschätzung<br />

des Versicherers ist dies jedoch eine<br />

zwingende Voraussetzung. Der Rechtsanwalt müsste zum<br />

Zeitpunkt des Einschlusses genau definieren können, für<br />

welche Art von Treuhand und welchen Haftungsumfang dieser<br />

gelten soll. Da ihm dies, aufgrund der mannigfaltigen<br />

Möglichkeiten der Treuhandtätigkeit, für in der Zukunft liegende<br />

Treuhandabreden schwerlich möglich sein dürfte,<br />

müsste er für jeden Fall, welcher von der generellen Vereinbarung<br />

abweicht, separat Versicherungsschutz aushandeln.<br />

Ein genereller Einschluss wäre daher nur von begrenztem<br />

Nutzen. Zumal dieser – prämienpflichtige – Einschluss, falls<br />

der Rechtsanwalt seinen Beruf in einer Sozietät ausüben<br />

sollte, bei allen Sozien notwendig wäre. Dies gilt jedenfalls<br />

solange man kein Einzelmandat annehmen kann (s. OLG<br />

Celle, Urteil v. 05.07.06, NJW-Spezial 2006 S. 527). Ob die<br />

Sozien ebenfalls als Treuhänder tätig werden, ist aufgrund<br />

der gesamtschuldnerischen Haftung unerheblich (s. BGH<br />

Urteil vom 10.03.1988, NJW-RR 1988, S. 1299).<br />

788 AnwBl 11 / 2007 Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller


MN Haftpflichtfragen<br />

3. Risikobeschreibung der allgemeinen Versicherungsbedingungen.<br />

Daher überrascht es nicht, dass sich auch in den Risikobeschreibungen<br />

der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen<br />

von Rechtsanwälten – welche mitversicherte Tätigkeiten<br />

eines Rechtsanwaltes definieren, die über die<br />

Pflichtversicherung hinausgehen – die Tätigkeit als Treuhänder<br />

nicht findet (z. B. Allianz Versicherungs-AG, AVB-RSW<br />

HV 60, http//:business.allianz.de). Zwar wird in dieser Auflistung<br />

regelmäßig die Treuhandtätigkeit eines Rechtsanwaltes<br />

gemäß der Insolvenzordnung genannt, diese ist aber unter<br />

Risikogesichtspunkten nicht mit der allgemeinen<br />

Treuhandtätigkeit gleichzusetzen. Mit der Insolvenzordnung<br />

ist sowohl der Umfang als auch die Haftung des in diesem<br />

Rahmen tätigen Rechtsanwaltes festgelegt. Bei einer individuell<br />

vereinbarten Treuhandvereinbarung fehlt es an diesen<br />

eindeutigen Regelungen. Aus denselben Gründen kennen<br />

die Risikobeschreibungen auch lediglich den gerichtlich bestellten<br />

Liquidator, der nicht gerichtlich bestellte Liquidator<br />

wird hingegen ebenfalls nicht genannt (s. AVB-RSW HV 60<br />

aaO.).<br />

4. Individuelle Einzelobjektsdeckung.<br />

Diesen Ausführungen folgend, sollte jeder Rechtsanwalt<br />

prüfen, oder durch seinen Vermittler prüfen lassen, ob die<br />

konkrete Treuhandtätigkeit durch eine separate Einzelobjektsdeckung<br />

abgesichert werden kann. Dies sollte stets<br />

noch vor Annahme des Treuhandauftrages erfolgen, da sich<br />

eine Rückwärtsdeckung durchaus problematisch darstellen<br />

kann.<br />

a) Vorteile für den Treuhänder<br />

Für die Risikoeinschätzung ist es prinzipielle notwendig,<br />

dem Versicherer die konkrete Treuhandvereinbarung vorzulegen.<br />

Diese Vereinbarung wird dann, falls der angefragte<br />

Versicherer Versicherungsschutz hierfür bieten möchte, konkreter<br />

Bestandteil der Versicherungspolice. Die oben dargestellten<br />

Abgrenzungsprobleme, ob im Schadensfall nun<br />

Deckungsschutz über die Berufshaftpflichtpolice besteht<br />

oder nicht, werden damit vermieden. Solange sich der Treuhänder<br />

im Rahmen der der Police zugrunde liegenden Treuhandvereinbarung<br />

bewegt, genießt er bedingungsgemäßen<br />

Versicherungsschutz.<br />

Wie für Einzelobjekte allgemein üblich – unabhängig von<br />

der Zuordnung der konkreten Tätigkeit –, gilt auch für die<br />

Objektdeckung der Treuhand, dass ein etwaiger Schadensfall<br />

unter keinen Umständen die Berufshaftpflichtversicherung<br />

des Anwaltes, sondern lediglich den separaten Vertrag des<br />

Einzelobjektes belastet.<br />

Des weiteren werden der Einzelobjektsdeckung besondere<br />

Bedingungen zugrunde gelegt, welche zwar oftmals auf<br />

denen der Berufshaftpflichtversicherungen aufbauen, den<br />

Besonderheiten einer Treuhandtätigkeit aber Rechnung tragen.<br />

So kann z. B. hierüber Versicherungsschutz für Haftpflichtschäden<br />

aus einer kaufmännischen Kalkulations- oder<br />

Organisationstätigkeit geboten werden. Dieser Einschluss betrifft<br />

ganz offensichtlich nicht Schadensmöglichkeiten einer<br />

normalen rechtlichen Beratung (s. Stobbe Rd. 51 aaO.). Die<br />

Übernahme etwaiger Garantien für beabsichtigte wirtschaftliche<br />

oder steuerliche Erfolge, ist aber auch über eine solche<br />

Deckung regelmäßig nicht versicherbar. Hierbei handelt es<br />

sich nicht mehr um allgemeine Haftpflichtansprüche, son-<br />

dern um darüber hinausgehende vertragliche Zusagen.<br />

Ebenso wird vom Versicherungsschutz die Vornahme einer<br />

fachfremden Prüfung (z. B. Mittelfreigabe nach Prüfung der<br />

mangelfreien Fertigstellung eines Bauabschnitts) nicht umfasst.<br />

Von genannten Verpflichtungen ist dem Rechtsanwalt<br />

unter Risikogesichtspunkten aber auch generell abzuraten.<br />

b) Vorteile für den Treugeber<br />

Der Treugeber hingegen kann sich mit einer Einzelobjektdeckung<br />

sicher sein, dass sein Rechtsanwalt für die vereinbarte<br />

Treuhandtätigkeit in ausreichender Höhe Versicherungsschutz<br />

vorhält und, dass diese Versicherungssumme<br />

exklusiv nur für die zwischen ihm und seinem Rechtsanwalt<br />

abgeschlossene Treuhandvereinbarung zur Verfügung steht.<br />

III. Fazit<br />

Die Berufshaftpflichtversicherung gemäß § 51 BRAO gewährleistet<br />

dem Rechtsanwalt für seine anwaltliche Tätigkeit<br />

umfassenden Versicherungsschutz. Dies kann aber nicht auf<br />

berufsfremde Tätigkeiten ausgedehnt werden. Daher sollte<br />

jeder Rechtsanwalt stets prüfen, ob sich seine Tätigkeit (insbesondere<br />

eine Treuhandtätigkeit) in diesem Rahmen bewegt.<br />

Jo Müller, München<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherungs-AG<br />

tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung<br />

wieder.<br />

Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller AnwBl 11 / 2007 789


MNRechtsprechung<br />

Anwaltsrecht<br />

Versicherungsbeiträge als Arbeitslohn<br />

EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BRAO § 12 Abs. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 9, § 51<br />

Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung einer<br />

angestellten Rechtsanwältin durch den Arbeitgeber führt zu<br />

Arbeitslohn, weil diese gemäß § 51 BRAO zum Abschluss der<br />

Versicherung verpflichtet ist und deshalb ein überwiegend eigenbetriebliches<br />

Interesse des Arbeitgebers ausscheidet.<br />

BFH, Urt. v. 26.7.2007 – VI R 64/06<br />

Aus den Gründen: I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind<br />

zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Die Klägerin<br />

bezieht als angestellte Rechtsanwältin Einkünfte aus nichtselbstständiger<br />

Arbeit. Zur Abdeckung von Vermögensschäden<br />

schloss sie eine Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte ab. Die<br />

Versicherungssumme pro Versicherungsfall beläuft sich auf<br />

2.000.000 DM. Vertragsbestandteil sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />

für die Vermögensschäden-Haftpflichtversicherung<br />

von Rechtsanwälten und Patentanwälten (ABG-A). Die<br />

Versicherungsbeiträge, die sich in den Streitjahren 1998 bis 2000<br />

auf je 2.970 DM beliefen, trug der Arbeitgeber der Klägerin, ohne<br />

sie der Lohnsteuer zu unterwerfen.<br />

Die Klägerin erklärte in den Streitjahren bei den Einkünften<br />

aus nichtselbstständiger Arbeit Einnahmen in Höhe von<br />

70.892 DM (1998), 73.232 DM (1999) und 76.612 DM (2000).<br />

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) behandelte<br />

die vom Arbeitgeber getragenen Versicherungsbeiträge<br />

als zusätzlichen Arbeitslohn und erhöhte die Einnahmen<br />

entsprechend. Andererseits ließ das FA anstelle des Arbeitnehmer-Pauschbetrags<br />

Werbungskosten in Höhe der Versicherungsbeiträge<br />

zum Abzug zu.<br />

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen<br />

der Finanzgerichte 2007, 771 veröffentlichten Gründen ab.<br />

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen<br />

Rechts.<br />

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung<br />

und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide<br />

1998 bis 2000 dahingehend abzuändern,<br />

dass die Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung nicht als<br />

Arbeitslohn erfasst werden.<br />

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.<br />

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen<br />

(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG ist<br />

von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen. Seine<br />

tatsächliche Würdigung ist möglich; sie verstößt nicht gegen<br />

Denkgesetze und Erfahrungssätze.<br />

1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes<br />

(EStG) gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung<br />

im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden,<br />

zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Dem<br />

Tatbestandsmerkmal „für“ ist nach ständiger Rechtsprechung<br />

zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber<br />

zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen<br />

der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn<br />

angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn,<br />

die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände<br />

nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung<br />

betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein<br />

Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse<br />

gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus<br />

den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte<br />

betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall<br />

des „ganz überwiegend“ eigenbetrieblichen Interesses kann ein<br />

damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers,<br />

den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden.<br />

Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere<br />

Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten,<br />

freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder<br />

Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit<br />

für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu<br />

berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber<br />

dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine<br />

Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber – neben dem eigenbetrieblichen<br />

Interesse des Arbeitgebers – ein nicht unerhebliches<br />

Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die<br />

Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen<br />

Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung<br />

(Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 11. April 2006<br />

VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.).<br />

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG eine Gesamtwürdigung<br />

vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen,<br />

dass die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung<br />

der Klägerin durch den Arbeitgeber auch im eigenen Interesse<br />

der Klägerin erfolgte und deshalb Arbeitslohn anzunehmen<br />

sei. Die Gesamtwürdigung, die revisionsrechtlich nur<br />

begrenzt überprüfbar ist (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom<br />

10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005,<br />

488; vom 10. November 2005 VI B 75/05, BFH/NV 2006, 530;<br />

Urteil vom 12. April 2007 VI R 77/04, nicht veröffentlicht;<br />

Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30;<br />

Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,<br />

§ 118 FGO Rz 87, m.w.N.), ist möglich; sie lässt keinen Rechtsfehler<br />

erkennen.<br />

Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ist der Anwalt gemäß<br />

§ 51 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gesetzlich verpflichtet,<br />

eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Ein<br />

Verstoß gegen diese Pflicht wird mit der Nichtzulassung zum Beruf<br />

(§ 12 Abs. 2 BRAO) oder der Entfernung aus diesem sanktioniert<br />

(§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung<br />

ist damit unabdingbar für die Ausübung des<br />

Berufs eines (angestellten) Rechtsanwalts. Kommt er der gesetzlichen<br />

Verpflichtung nach, handelt er in typischer Weise im eigenen<br />

Interesse. Soweit der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts<br />

im Hinblick auf die Haftungsrisiken aller weiteren<br />

Sozien ein Interesse an einer die Mindestsumme von (in den<br />

Streitjahren) 500 000 DM (vgl. § 51 Abs. 4 BRAO) übersteigenden<br />

Versicherungssumme hat, wie die Kläger geltend machen,<br />

hat dies nicht zur Folge, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers<br />

am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich<br />

zu qualifizieren wäre. Im Übrigen weist die Vorentscheidung<br />

zu Recht darauf hin, dass wegen dieses erweiterten<br />

Haftungsrisikos im Fall einer Sozietät eine höhere Versicherungssumme<br />

im Interesse jedes einzelnen Sozius liegt.<br />

Briefkopfgestaltung bei<br />

Kanzleinamen „& Kollegen“<br />

BORA § 10 Abs. 1<br />

Verwendet eine Kanzlei den Zusatz „& Kollegen“, müssen im<br />

Briefkopf der Kanzlei mindestens zwei weitere Rechtsanwälte<br />

namentlich genannt werden. (Leitsatz der Redaktion)<br />

BGH, Beschl. v. 13.8.2007 – AnwZ (B) 51/06<br />

Aus den Gründen: I. Die Antragsteller sind Sozien einer Anwaltskanzlei<br />

in M., in der neben ihnen drei weitere Rechtsanwälte als<br />

Angestellte tätig sind. Sie verwendeten Kanzleibriefbögen, in deren<br />

Kopfleiste die Bezeichnung „Dr. T., W. & Kollegen“ und darunter<br />

die Vor- und Nachnamen der beiden Antragsteller aufgeführt<br />

waren. Die Antragsgegnerin erteilte den Antragstellern<br />

790 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht


MN Rechtsprechung<br />

mit Schreiben vom 2. Dezember 2005 unter Beifügung einer<br />

Rechtsmittelbelehrung einen „belehrenden Hinweis“ dahingehend,<br />

dass die Briefkopfgestaltung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 BRAO unzulässig<br />

sei; der Zusatz „& Kollegen“ erfordere es, dass auf dem Briefbogen<br />

nicht nur die beiden Antragsteller, sondern mindestens zwei<br />

weitere Rechtsanwälte namentlich genannt würden.<br />

Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Anwaltsgerichtshof<br />

zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsteller.<br />

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung<br />

verzichtet.<br />

II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist zulässig<br />

(§ 223 Abs. 3 BRAO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.<br />

1. Die Antragsteller waren zur Einleitung des gerichtlichen<br />

Verfahrens befugt. Das angefochtene Schreiben der Antragsgegnerin<br />

vom 2. Dezember 2005 ging über eine bloße Belehrung<br />

im Sinne des 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO hinaus; es handelte<br />

sich bei dem „belehrenden Hinweis“ – wie auch die beigefügte<br />

Rechtsmittelbelehrung deutlich macht – um eine hoheitliche<br />

Maßnahme, die geeignet war, die Antragsteller in ihren Rechten<br />

einzuschränken, und über die der Anwaltsgerichtshof daher<br />

sachlich entscheiden durfte (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli<br />

2005 – AnwZ(B) 42/04, NJW 2005, 2692, unter II 1 m.w.<br />

Nachw.).<br />

2. Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht angenommen, dass<br />

die von der Antragsgegnerin beanstandete Gestaltung des damals<br />

verwendeten Kanzleibriefbogens gegen § 10 Abs. 1 Satz 3<br />

BORA verstößt, weil dort nicht, wie es diese Bestimmung erfordert,<br />

mindestens eine der Kurzbezeichnung entsprechende<br />

Zahl von Gesellschaftern, AngestelltenoderfreienMitarbeitern<br />

namentlich aufgeführt sind.<br />

Bei der Bezeichnung „Dr. T., W. & Kollegen“ in der Kopfleiste<br />

des Briefbogens handelt es sich um eine Kurzbezeichnung<br />

im Sinne der §§ 9, 10 BORA, (vgl. Senatsbeschluss vom<br />

18. April 2005 – AnwZ(B) 35/04, NJW 2005, 1770, unter III 1 b<br />

aa; Hartung/Holl/Römermann, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

3. Aufl., § 9 BORA Rdnr. 40, 45; Feuerich/Weyland, BRAO,<br />

6. Aufl., § 9 BORA Rdnr. 4), das heißt um eine Bezeichnung<br />

für die Anwaltskanzlei, in der nur der Name eines oder einzelner<br />

Rechtsanwälte, die sich zu gemeinschaftlicher Berufsausübung<br />

verbunden haben, mit einem auf die Anwaltsgemeinschaft<br />

hinweisenden Zusatz verwendet wird (vgl.<br />

Senatsbeschluss vom 12. Februar 2001 – AnwZ(B) 11/00, NJW<br />

2001, 1573, unter II 2 b). Bei Verwendung einer solchen Kurzbezeichnung<br />

muss mindestens eine der Kurzbezeichnung entsprechende<br />

Zahl von Gesellschaftern, Angestellten oder freien<br />

Mitarbeitern auf den Briefbögen namentlich aufgeführt werden<br />

(§ 10 Abs. 1 Satz 3 BORA). Daran fehlt es bei der hier zu beurteilenden<br />

Gestaltung des Kanzleibriefbogens.<br />

Die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof haben mit<br />

Recht angenommen, dass durch den Zusatz „& Kollegen“ in<br />

der Kurzbezeichnung angedeutet wird, dass sich mit den Antragstellern<br />

mindestens zwei weitere „Kollegen“ zu gemeinschaftlicher<br />

Berufsausübung verbunden haben und dass deshalb<br />

auf dem Kanzleibriefbogen außer den Antragstellern noch<br />

mindestens zwei weitere der in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte<br />

namentlich hätten aufgeführt werden müssen. Das Beschwerdevorbringen<br />

der Antragsteller rechtfertigt keine andere<br />

Beurteilung. Die Antragsteller meinen, da der Terminus<br />

„& Kollegen“ namensmäßig neutral sei, bestehe keine Verpflichtung,<br />

angestellte Rechtsanwälte, die von dieser Bezeichnung<br />

erfasst würden, namentlich zu benennen. § 10 Abs. 1 Satz<br />

2 BORA stelle klar, dass eine solche Verpflichtung nur für angestellte<br />

Mitarbeiter gelte, die in der Kurzbezeichnung namentlich<br />

genannt seien. Auch die Verpflichtung nach § 10 Abs. 1<br />

Satz 3 BRAO bestehe daher – bei einer hier gebotenen teleologischen<br />

Reduktion der Vorschrift – nur für Namen, die in der<br />

Kurzbezeichnung enthalten seien, nicht aber bei Verwendung<br />

des neutralen Terminus „Kollegen“.<br />

Dies trifft nicht zu. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3<br />

BORA soll Transparenz gewährleisten. Wenn in der von einer<br />

Anwaltskanzlei verwendeten Kurzbezeichnung eine bestimmte<br />

Anzahl der in der Kanzlei aktiv tätigen Rechtsanwälte zum Ausdruck<br />

kommt, so sollen diese nicht anonym bleiben, sondern<br />

es sollen entsprechend viele Rechtsanwälte dem rechtsuchenden<br />

Publikum namentlich benannt werden. Die Regelung dient<br />

damit – ebenso wie die ihr vorangestellten Bestimmungen in<br />

§10Abs.1Satz1und2BORA–demlegitimenInformationsinteresse<br />

der Rechtsuchenden und stellt ebenso wie § 10 Abs. 1<br />

Satz 1 und 2 BORA eine Berufsausübungsregelung dar, die gewichtigen<br />

Belangen des Gemeinwohls dient und damit verfassungsrechtlich<br />

unbedenklich ist (vgl. zu § 10 Abs. 1 Satz 1<br />

BORA: Senatsbeschluss vom 19. November 2001 – AnwZ(B)<br />

75/00, NJW 2002, 1419, unter II 2 b aa, bestätigt durch BVerfG,<br />

NJW 2002, 2163). Die Bestimmung ist – ihrem Wortlaut entsprechend<br />

– auch dann anzuwenden, wenn in der Kurzbezeichnung<br />

– wie hier – eine bestimmte Anzahl aktiv tätiger Rechtsanwälte<br />

durch den anonymisierenden Zusatz „& Kollegen“<br />

zum Ausdruck kommt. Das Interesse der Antragsteller, die mit<br />

der namentlichen Nennung angestellter Kollegen verbundenen<br />

haftungs- und steuerrechtlichen Konsequenzen vermeiden zu<br />

wollen, rechtfertigt es nicht, dem rechtsuchenden Publikum die<br />

Information vorzuenthalten, welche – mindestens zwei – weiteren<br />

Kollegen in der Kanzlei der Antragsteller neben diesen tätig<br />

sind. Wenn die Antragsteller und die bei ihnen angestellten<br />

Rechtsanwälte die mit einer Außensozietät verbundenen Konsequenzen<br />

nicht wünschen, steht es ihnen frei, diese Konsequenzen<br />

durch die Wahl einer Kurzbezeichnung zu vermeiden, die<br />

nicht zur Offenbarung der Namen der in der Kanzlei tätigen angestellten<br />

Rechtsanwälte nötigt (etwa „Dr. T. und W. „).<br />

3. Den Gegenstandswert für das Verfahren hat der Anwaltsgerichtshof<br />

entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht zu<br />

hoch angesetzt. Er entspricht dem vom Senat in Fällen dieser<br />

Art üblichen Wert (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. April 2005,<br />

aaO, und 25. Juli 2005, aaO).<br />

Keine Schein-Sozietät mit „Dipl.-Ökonom“<br />

BRAO § 59a; BORA § 8<br />

Auf die berufliche Zusammenarbeit mit einem nicht-sozietätsfähigen<br />

Diplom-Ökonomen darf eine Kanzlei nicht dadurch hinweisen,<br />

dass sie den Diplom-Ökonomen als Schein-Sozius auf ihr<br />

Briefpapier nimmt. (Leitsatz der Redaktion)<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

AGH Celle, Beschl. v. 27.4.2006 – AGH 18/05<br />

Sachverhalt: Die Antragsteller sind Rechtsanwälte mit Kanzleisitz<br />

in Hannover. Ihre Kanzlei ist schwerpunktmäßig im Bereich des<br />

Insolvenzrechts tätig. Aus diesem Grunde arbeitet sie intensiv mit<br />

dem Dipl.-Ökonomen v. G. zusammen. Auf dem Briefkopf der<br />

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Anwaltsrecht AnwBl 11 / 2007 791


MN Rechtsprechung<br />

Kanzlei wird unter dem Namen der dort tätigen Rechtsanwälte zugleich<br />

der Name des Dipl.-Ökonomen v. G. mit dem Zusatz „Dipl.<br />

Ökonom“ aufgeführt. Die Aufführung der Rechtsanwälte sowie<br />

des Dipl.-Ökonomen wird in einem doppelt gerahmten Kästchen<br />

auf der rechten Seite des Briefkopfs zusammengefasst.<br />

Dies hat die Antragsgegnerin durch den angefochtenen Bescheid<br />

vom 20. Juli 2005 beanstandet und den Rechtsanwälten<br />

deshalb wegen Verstoßes gegen § 59 a BRAO eine Belehrung<br />

dahingehend erteilt, dass es nicht zulässig sei, die Sozietat oder<br />

die Zusammenarbeit, die den Anschein einer Sozietat erweckt,<br />

mit Herrn v. G. fortzuführen und ihnindemBriefkopfaufzuführen.<br />

Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrem Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 223 BRAQ.<br />

Zur Begründung führen sie aus, dass zwar § 59 a BRAO<br />

eine Sozietat mit Angehörigen nicht sozietätsfähiger Berufe untersage,<br />

dass diese Regelung indessen keine Aussage zur Briefkopfgestaltung<br />

enthalte. Zudem stelle § 59 a BRAO eine Beschränkung<br />

der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG<br />

dar, sodass bei verfassungskonformer Anwendung die beanstandete<br />

Briefkopfgestaltung hinzunehmen sei. Dies folge letztlich<br />

auch daraus, dass der Gesetzgeber beabsichtige, § 59 a<br />

BRAO zu ändern und die Aufnahme Berufsfremder in einer<br />

Anwaltssozietät zuzulassen.<br />

Die Antragsteller beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin<br />

vom 20. Juli 2005 aufzuheben. Die Antragsgegnerin beantragt,<br />

den Antrag zurückzuweisen. Sie verweist auf § 59 a<br />

BRAO, der eine abschließende Beschränkung enthalte und einer<br />

ausweitenden Auslegung nicht zugänglich sei. Zuzugeben<br />

sei den Antragstellern, dass sie eine Kooperation, wenn sie verfestigt<br />

sei, auch mit dem Dipl.-Ökonomen v. G. angeben<br />

dürften. Eine entsprechende Angabe im Falle einer verfestigten<br />

Kooperation bleibe zulässig und sei nicht Inhalt der Belehrung<br />

gewesen.<br />

Aus den Gründen: 2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

ist fristgerecht gestellt und zulässig. Er ist jedoch unbegründet,<br />

weil die Belehrung zutreffend ist und die Antragsteller nicht in ihren<br />

Rechten beeinträchtigt.<br />

Die Aufforderung, gemäß der Belehrung vom 20, Juli 2005 zu<br />

handeln, ist In materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.<br />

Die Aufführung von Herrn v. G. als „Dipl. Ökonom“ auf<br />

dem Kanzleibriefbogen der Antragsteller widerspricht § 8 BORA,<br />

weil es sich bei Herrn v. G. nicht um einen zugelassenen Rechtsanwalt<br />

handelt und er auch den übrigen in § 59 a BRAO aufgeführten<br />

Berufsgruppen nicht angehört, er mithin nicht sozietätsfähig<br />

i. S. v. § 59 a BRAO ist Nach § 8 S, 1 BORA darf auf eine<br />

gemeinschaftliche Berufsausübung nur hingewiesen werden,<br />

wenn sie in einer Sozietät oder in sonstiger Weise mit sozietätsfähigenPersoneni.S.d.§59aBRAOerfolgt.Hinsichtlichderangestellten<br />

und freien Mitarbeiter ist die Kundgabe unzulässig,<br />

wenn es sich bei diesen nicht um nach § 59 a BRAO sozietätsfähige<br />

Personen handelt (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6, Aufl.,<br />

§ 3 BORA Rdn, 1, 2). Der Dipl.-Ökonom v. G. gehört nicht der in<br />

§ 59 a Abs. 1 BRAO umschriebenen Personen- und Berufsgruppe<br />

an, Der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig und einer ausweitenden<br />

Auslegung nicht zugänglich.<br />

Bereits in seiner Entscheidung vorn 17. September 2002<br />

(AGH 6/02), bei der es um die Problematik der Sozietät mit einem<br />

Mediator ging, hat der Senat hierzu ausgeführt:<br />

„Für den Gesetzgeber ist der Zweck dieser Regelung im Interesse<br />

des rechtsuchenden Publikums die S ich Erstellung,<br />

,dass die mit dem Rechtsanwalt in einem Büro tätigen Angehörigen<br />

anderer Berufe in gleicher Weise wie der Rechtsanwalt<br />

der Verschwiegenheitspflicht und den damit korrespondierenden<br />

Aussageverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten<br />

unterfallen. Gewährleistet ist dies in den (in § 59 a<br />

BRAO) genannten Berufen, die zudem der Aufsicht durch ihre<br />

eigenen Berufskamrnern, durch gleichfalls verpflichtete Kollegen<br />

also, unterliegen‘ (BT-Drucksache 12/4993, S. 22, 34). Nach<br />

dem Willen des Gesetzgebers enthält die Regelung des § 59 a<br />

Abs. 1 BRAO eine enumerative (abschließende) Aufzählung der<br />

sozietätsfähigen Berufe (BT-Drucksache aaO, S, 33)<br />

Auch die teleologische Auslegung führt zu keinem anderen<br />

Ergebnis. Sinn und Zweck der Ausdehnung der Sozietät auf andere<br />

sozietätsfähige Berufe – neben dem Rechtsanwalt, der Mitglied<br />

einer Rechtsanwaltskammer ist – wird in der oben genannten<br />

Begründung des Gesetzgebers deutlich. Eine derartige<br />

Sozietät entspricht im Übrigen der bestehenden Praxis, die sich<br />

bewährt hat (BT-Drucksache aaO, S. 33).<br />

Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der<br />

Literatur vertreten ebenfalls die Ansicht, dass § 59 a BRAO eine<br />

enumerative Auszählung enthält und nicht auf weitere Berufe<br />

auszudehnen ist,<br />

Der AGH Baden-Württemberg hat einem Rechtsanwalt die<br />

Ausübung seines Berufes in einer Sozietät mit einer Unternehmensberaterin<br />

untersagt, weil § 59 a BRAO die sozietätsfähigen<br />

Berufe abschließend aufzähle und dazu die Unternehmensberaterin<br />

nicht gehöre (BRAK-Mittellungen 1995, 169 ff.). Verfassungsrechtliche<br />

Bedenken hat der AGH Baden-Württemberg<br />

ausdrücklich verneint, weil es sich um eine Berufsausübungsregel<br />

handele, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls<br />

gedeckt sei (aaO, S, 171). Diese Ansicht ist voll inhaltlich<br />

zu teilen. Die Begründung ergibt sich aus der oben genannten<br />

Wiedergabe des Gesetzgebers (BT-Drucksachen aaO, S. 34).<br />

Auch der einschlägigen Literatur ist dieselbe Meinung zu entnehmen,<br />

wonach § 59 a BRAO eine abschließende Aufzählung<br />

der sozietätsfähigen Berufe enthält (vgl. Härtung in Henssler/<br />

Prütting, BRAO, § 59 a Rdn. 72 a.E; Feuerich/Braun, BRAO,<br />

5. Auflage, § 59 a Rdn. 18 a.E.; Jessnitzer/Bfumberg, BRAO,<br />

9. Auflage, § 59 a Rdn. 4).“<br />

An dieser Rechtsauffassung hält der Senat unverändert fest.<br />

Sie gilt uneingeschränkt auch für Beurteilung einer etwaigen<br />

Sozietät mit einem Dipl.-Ökonomen.<br />

Die Freiheit der Berufsausübung der Antragsteller wird<br />

durch die Ablehnung ihres Antrags nicht in rechtswidrigerweise<br />

berührt Einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG sieht der<br />

Senat in der Beschränkung durch § 59 a BRAO nicht Zur Berufsausübung<br />

gehört zwar auch das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen(BVerfGE80,269,278;BVerfGNJW2003,<br />

2520, 2522). Die vorliegend gegebene Einschränkung der Berufsausübung<br />

hat jedoch vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil<br />

sich diese aus den vorgenannten Gründen – insbesondere wegen<br />

des Fehlens einer verankerten Verschwiegenheitspflicht<br />

und den damit korrespondierenden Aussageverweigerungsrechten<br />

bei nicht zum Katalog des § 59 a BRAO gehörenden Berufsgruppen<br />

sowie deren Aufsicht durch eigene Berufskammern –<br />

auf beachtliche Gründe des Gemeinwohls stützen lässt. Mildere<br />

Mittel zum Schutz der Rechtssuchenden stehen insoweit nicht<br />

zur Verfügung.<br />

Die Tätigkeit der Antragsteller als Rechtsanwälte als solche<br />

wird darüber hinaus nicht eingeschränkt. Dies gilt auch, soweit<br />

sie schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht tätig und hierbei auf<br />

die Zusammenarbeit mit Berufsfremden angewiesen sind.<br />

Diese Zusammenarbeit, etwa auch in Form einer Kooperation,<br />

wird durch die angefochtene Belehrung nicht in Frage gestellt<br />

Im Falle einer Kooperation müsste indessen der Dipl.-Ökonom<br />

v. G. als Kooperationspartner auf dem Briefkopf ausgewiesen<br />

werden, damit die entsprechende Kundgabe einer Kooperation<br />

i. S. v. § S 8. 1 Var. 3 BORA gegeben ist. Dies ist nicht der Fall.<br />

Auch der Umstand, dass eine Änderung der Vorschrift des<br />

§ 50 a BRAO für die Zukunft beabsichtigt ist, rechtfertigt keine<br />

abweichende Beurteilung, Der Senat hat die Rechtmäßigkeit<br />

der angefochtenen Belehrung nach jetzigem Rechtsstand zu beurteilen;<br />

zudem ist nicht sicher vorhersehbar, welchen Inhalt<br />

der Gesetzgeber letztlich einem neu gefassten § 59 a BRAO geben<br />

wird.<br />

792 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht


MN Rechtsprechung<br />

II. Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen, weil<br />

nicht über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden<br />

worden ist.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

Anmerkung der Redaktion: Gegen den Beschluss des AGH Niedersachsen<br />

ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden (BVerfG,<br />

Az. 1 BvR 1367/06).<br />

Bearbeitungsdauer für Verleihung<br />

des Fachanwaltstitels<br />

BRAO § 223 Abs. 2; FAO § 2<br />

1. Die Bearbeitung eines Antrags auf Verleihung eines Fachanwaltstitels<br />

innerhalb eines Zeitraums von fast vier Monaten durch<br />

die Rechtsanwaltskammer stellt jedenfalls bei einer gerade neu<br />

eingeführten Fachanwaltschaft keine rechtswidrige Verzögerung<br />

dar, auch wenn § 223 Abs. 2 BRAO im Grundsatz von einer dreimonatigen<br />

Bearbeitungsdauer ausgeht.<br />

2. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung nach § 223 Abs. 2 BRAO in Fällen, in denen<br />

gerügt wird, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes<br />

durch die Rechtsanwaltskammer ohne zureichenden<br />

Grund innerhalb von drei Monaten nicht beschieden worden ist.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 18.4.2007 – 2 AGH 17/06<br />

Sachverhalt: Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 19.<br />

Juni 2006 – Eingang bei der Rechtsanwaltskammer am 29. Juni<br />

2006 –, ihm die Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Gewerblichen<br />

Rechtsschutz“ zu gestatten. Dem Antrag waren beigefügt<br />

das Zertifikat über die Teilnahme am Fachlehrgang gewerblicher<br />

Rechtsschutz der Deutschen Anwalt Akademie vom<br />

8. Juni 2006 sowie das Klausurenzertifikat zum Nachweis der Fertigung<br />

von drei schriftlichen Leistungskontrollen, ebenfalls ausgestellt<br />

von der Deutschen Anwalt Akademie vom 8. Juni 2006,<br />

die drei vollständigen Abschlussklausuren des Fahrlehrganges.<br />

Ebenfalls beigefügt waren Falllisten, die 120 Fälle, hiervon<br />

5 Schutzrechtsanmeldungen sowie über 60 gerichtliche Verfahren<br />

auswiesen.<br />

Die Antragsgegnerin bestätigte am 7. Juli 2006 schriftlich<br />

den Eingang des Antrages und forderte den Antragsteller auf,<br />

die Bearbeitungsgebühr in Höhe von 500 E zu überweisen.<br />

Dies geschah am 19. Juli 2006. Am gleichen Tag leitete die<br />

Rechtsanwaltskammer den Antrag an den Vorsitzenden des<br />

Fachausschusses für Gewerblichen Rechtsschutz zu, wo er am<br />

20. Juli 2006 einging.<br />

Am 9. August 2006 wurde der Antrag nebst den Anlagen<br />

dem vom Vorsitzenden bestimmten Erstberichterstatter übergeben.<br />

Mit Votum vom 13, November 2006 nahm dieser zu<br />

dem Antrag Stellung und leitete ihn mit seiner Stellungnahme<br />

dem Zweitberichterstatter zu, der sich mit Schreiben vom<br />

15. November 2006 dem Votum des Erstberichterstatters anschloss.<br />

Die Stellungnahmen gingen am 16, November 2006<br />

bei dem Vorsitzenden des Fachausschusses ein. Daraufhin gab<br />

der Fachausschuss am 17. November 2006 ein positives Votum<br />

ab, woraufhin dem Antragsteller am 17. November 2006 die<br />

Führung der Fachanwaltsbezeichnung gestattet wurde.<br />

Der Antragsteller hatte bereits am 20. Oktober 2006 Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung im Wege des Untätigkeitsantrages<br />

mit. der Begründung gestellt, sein Antrag sei ohne zureichenden<br />

Grund nicht innerhalb von drei Monaten beschieden<br />

worden. Er beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten,<br />

seinen Antrag auf Gestattung der Führung der Bezeichnung<br />

„Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz“ zu bescheiden.<br />

Nach der zwischenzeitlich erfolgten Erteilung der Fachanwaltsbezeichnung<br />

hat der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag<br />

mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 in einen Fortsetzungsfestellungsantrag<br />

geändert. Dieser sei zulässig und begründet, weil<br />

er gegenüber der Antragsgegnerin beabsichtige Schadensersatzansprüche<br />

wegen der verspäteten Erteilung des Fachanwaltstitels<br />

geltend zu machen. Im Übrigen strebe er den Erwerb des Fachanwaltstitels<br />

für Informationstechnologie an. Die Kammer habe<br />

bisher nicht die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen<br />

geschaffen, die eine rasche Bearbeitung des Antrages gewährleisteten.<br />

Er habe daher erneut, mit einer rechtswidrig<br />

verzögerten Bearbeitung seines Antrages zu rechnen.<br />

Aus den Gründen: Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist<br />

unzulässig.<br />

1. Der ursprüngliche Untätigkeitsantrag (§ 223 Abs. 2<br />

BRAO) des Antragstellers vom 20. Oktober 2006 hat sich durch<br />

die nach Antragsstellung erfolgte Erteilung des Fachanwaltstitels<br />

erledigt.<br />

2. Der nunmehr gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist<br />

unzulässig. Ein derartiger Antrag ist in § 223 BRAO, der nur<br />

von Anfechtungs- und Untätigkeitsanträgen spricht, nicht geregelt.<br />

Die Regelung des § 38 Abs. 2 S. 2 BRAO über den Feststellungsantrag<br />

bei einem ablehnenden Gutachten der Rechtsanwaltskammer<br />

ist in § 223 Abs. 4 BRAO ausdrücklich von<br />

einer entsprechenden Anwendung ausgenommen und auf die<br />

Feststellungsmöglichkeiten der §§ 90, 91, 191 BRAO wird nicht<br />

verwiesen. Das entsprechend anwendbare FGG (§§ 223 Abs. 3,<br />

40 Abs. 3 BRAO) besagt nichts darüber, welche Anträge gestellt<br />

werden können (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. § 223<br />

Rdnr. 19). Ausgliedern folgert die Rechtsprechung, dass im<br />

Rahmen des § 223 BRAO Feststellungsanträge, auch in der<br />

Form der verwaltungsgerichtlichen Fortsetungsfeststellungsklage<br />

(§113 Abs. 4 S. 1 VwGO) grundsätzlich unzulässig sind<br />

(vgl. BGH BRAK-Mitt 2000, 257; 1993, 105; NJW 1995, 2105;<br />

Feuerich/Weyland aaO).<br />

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es<br />

aber ausnahmsweise statthaft sein, von dem Anfechtungs- zum<br />

Feststellungsantrag überzugehen, wenn sich der begehrte Verwaltungsakt<br />

im Rahmen des Untätigkeitsantrages erledigt hat.<br />

Dies setzt aber voraus, dass der Antragsteller anderenfalls ohne<br />

effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) bliebe, obwohl er in<br />

seinen Rechten beeinträchtigt ist und die begehrte Feststellung<br />

eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Rechtsanwaltskammer<br />

bei künftigen Anträgen, des Antragsstellers ebenso stellen<br />

wird (ständige Rechtsprechung: BGHZ 137, 200; BGH, Beschl.<br />

v. 21, Februar 2007, Anwz (B) 88/05; BGH NJW 2001, 1572;<br />

NJW-RR1999,359;Feuerich/WeylandaaORdnr.20),<br />

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Eine<br />

fortwirkende Beeinträchtigung irgendwelcher Rechte des Antragstellers<br />

nach der zwischenzeitlich erteilten Fachanwaltsbezeichnung<br />

ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller beabsichtigt,<br />

gegen die Antragsgegnerin Schadensersatzansprüche<br />

wegen der rechtswidrig verzögerten Erteilung der Entscheidung<br />

geltend zu machen, rechtfertigt dies die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage<br />

nicht. Nach der Rechtsprechung der<br />

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Anwaltsrecht AnwBl 11 / 2007 793


MN Rechtsprechung<br />

Verwaltungsgerichte ist zwar für die Frage, ob im Hinblick auf einen<br />

beabsichtigten Zivilprozess ein berechtigtes Interesse an der<br />

Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakt<br />

besteht, maßgebend, ob der Kläger sofort und unmittelbar vor<br />

dem Zivilgericht Klage erheben konnte, oder ob er gezwungen<br />

war, zunächst eine verwaltungsgerichtliche Klage zu erheben. Im<br />

letzterenFallsollenihmdie„Früchte“desbisherigenVerwaltungsprozesses<br />

erhalten bleiben (vgl, BVerwG NVwZ 1998, 1245<br />

ff. zur Forstsetzungsfeststellungsklage bei erledigter Untätigkeitsklage<br />

gemäß § 75 VwGO). Diese Grundsätze können aber<br />

auf das Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht übertragen<br />

werden. Der Feststellungsantrag ist dem Rechtsschutzsystem des<br />

§ 223 BRAO fremd. Die Fortsetzungsfeststellungsklage wird nur<br />

insoweit zugelassen, als ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet<br />

ist. Das ist aber bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen<br />

der Fall. Ihm steht insoweit der Rechtsweg<br />

zu den ordentlichen Gerichten offen, die im Rahmen der Schadensersatzklage<br />

auch darüber zu befinden haben, ob die Verzögerung<br />

der Gestattung rechtswidrig war (vgl. BGH BRAK-Mitt<br />

1993, 105; Feuerich/Weyland aaO § 40 Rdnr. 37).<br />

Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die begehrte Feststellung<br />

eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Rechtsanwaltskammer<br />

und dem Antragsteller bei künftigen Gelegenheiten erneut<br />

stellen wird, kommt eine ausnahmsweise Zulassung eines<br />

Fortsetzungsfeststellungsantrages nicht in Betracht. Die Frage,<br />

ob die Gestattung im konkreten Fall rechtswidrig verzögert erteilt<br />

worden ist, hat keine Bedeutung für künftige Fälle. Selbst<br />

wenn der Antragsteller, wie von ihm behauptet, sich um eine<br />

weitere Fachanwaltschaftsbezeichnung bemüht, hinge die Beurteilung<br />

dieses künftigen Falles von den jeweiligen konkreten<br />

Umstände des Einzelfalles ab.<br />

Eine rechtswidrige Verzögerung liegt im Übrigen nicht vor.<br />

Ob ein zureichender Grund für die Überschreitung der in § 223<br />

Abs. 2 BRAO geregelten Frist von drei Monaten besteht, kann<br />

jeweils nur für den konkreten Einzelfall anhand der ihn kennzeichnenden<br />

tatsächlichen Umstände entschieden werden (vgl.<br />

Feuerich/Weyland aaO § 223 Rdnr. 45). Die Verleihung der<br />

Fachanwaltsbezeichnung hat Bedeutung für die verfassungsrechtlich<br />

gewährleistete Berufsausübung der Bewerber (vgl.<br />

BVerfG NJW-RR 1998, 1001), so dass unter Beachtung der sich<br />

aus Art, 12 Abs. 1 GG ergebenden verfahrensrechtlichen Anforderungen<br />

ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an einer<br />

möglichst raschen Entscheidung seines Antrags besteht. Andererseits<br />

muss der Umfang und die Schwierigkeit und das Interesse<br />

an einer ausreichend vorbereiteten sachgerechten Entscheidung<br />

berücksichtigt werden (vgl. Feuerich/Weyland aaO).<br />

Zur Verbescheidung der Fachanwaltsanträge muss die Antragsgegnerin<br />

insbesondere die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen,<br />

die eine rasche Bearbeitung gewährleisten,<br />

schaffen, um den ihr übertragenen Aufgaben in der gesetzlichen<br />

Art und Weise nachkommen zu können (vgl. AGH Baden-<br />

Württemberg NJOZ 2005, 986).<br />

Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine beschleunigte<br />

Bearbeitung wurden von der Antragsgegnerin im<br />

vorliegenden Fall geschaffen. Die Fachanwaltschaft wurde zum 1.<br />

Juli 2006 eingeführt. Am 28. Juni 2006 wurde der entsprechende<br />

Fachausschuss eingerichtet. Auch die Bearbeitung des konkreten<br />

Antrages lässt einen Verstoß gegen die Beschleunigungspflicht<br />

nicht erkennen, Dem Umstand, dass eine’ Entscheidung vor Ablauf<br />

der Dreimonatsfrist nicht ergangen ist, kommt dabei kein<br />

entscheidendes Gewicht zu. Der Gesetzgeber ist zwar bei der Bemessung<br />

dieser Frist davon ausgegangen, dass eine Entscheidung<br />

in der Regel innerhalb dieser Frist möglich ist. § 223 Abs. 2<br />

BRAO enthält aber eine notwendig generalisierende Regelung,<br />

die alle im Rahmen der BRAO denkbaren Anträge auf Vornahme<br />

eines Verwaltungsakts betrifft. Der Untätigkeitsantrag kann<br />

nicht allein deshalb Erfolg haben, weil die Dreimonatsfrist versäumt<br />

wurde, (AGH München BRAK-Mitt. 1996, 205).<br />

Bei der Prüfung, ob ein zureichender Grund im Sinne des<br />

§ 223 Abs. 2 StPO ist entscheidend, dass der Verfahrensablauf<br />

zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung Prüfungs- und Bewertungsvorgänge<br />

beinhaltet, bei denen zur Gewährleistung<br />

einer sorgfältigen und möglichst richtigen Entscheidung ein angemessener<br />

Zeitraum zur Verfügung steht (AGH Baden-<br />

Württemberg NJOZ 2005, 986, 987). Wann eine Bearbeitungszeit<br />

daher noch angemessen ist, kann nicht generell, sondern nur<br />

von Fall zu Fall entschieden werden. Hier bestehen aber an der<br />

Angemessenheit der Bearbeitungszeit keine Bedenken. In diesem<br />

Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass es<br />

sich um eine neu eingerichtete Fachanwaltschaft handelte, eine<br />

Bearbeitungspraxis sich noch nicht herausgebildet hatte und es<br />

noch Unsicherheiten hinsichtlich der Behandlung der Fälle bestanden.<br />

Unter diesen Umständen ist die Bearbeitungsdauer von<br />

fast vier Monaten nicht zu beanstanden. Unter diesen Umständen<br />

verbleiben keine klärungsbedürftigen Gesichtspunkte.<br />

III. ... Die Zulassung der sofortigen Beschwerde zum Bundesgerichtshof<br />

nach § 223 Abs. 3 S, 1 BRAO kommt nicht in<br />

Betracht. Die Voraussetzungen des S. 2 (Rechtsfragen von<br />

grundsätzlicher Bedeutung) liegen nicht vor. Die Grundsätze,<br />

unter denen ausnahmsweise von Fortsetzungsfeststellungsklage<br />

zulässig ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

geklärt. Die Frage der angemessenen Bearbeitungsfrist<br />

ist eine Frage des Einzelfalls.<br />

Englische „Limited“ als deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

BRAO §§ 59c, 59 d – m<br />

Eine englische Private Limited Company by Shares ist in Deutschland<br />

im Rahmen des Zulassungsverfahrens als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

wie eine deutsche Rechtsanwalts-GmbH zu behandeln.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

AGH Berlin, Beschl. v. 5.4.2007 – I AGH 17/06<br />

Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />

Internet abrufbar unter www.anwaltsbatt.de.<br />

Der Fall zeigt, dass sich immer wieder Anwältinnen und Anwälte<br />

finden, die von neuen Möglichkeiten Gebrauch machen:<br />

Ein Anwalt in Berlin hatte in England eine Private Limited Company<br />

by Shares gegründet, die in Deutschland Rechtsberatung<br />

anbieten soll. Die Rechtsanwaltskammer Berlin versagte die Zulassung<br />

nach § 59 c BRAO als Rechtsanwaltsgesellschaft. Der<br />

AGH Berlin verpflichtete die Kammer zu Antragsbescheidung.<br />

Siehe dazu auch Knöfel, in diesem Heft auf Seite 742.<br />

Erstberatung im Café<br />

UWG §§ 4 Nr. 3, Nr. 11, § 5 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2; BRAO, §§ 43a Abs. 2, 43b, 49b<br />

Abs. 3<br />

1. Die Erstberatung durch einen Rechtsanwalt in einem öffentlichen<br />

Caféraum verstößt gegen Wettbewerbsrecht und Berufsrecht.<br />

2. Eine nach der BRAO unzulässige Vermittlungsgebühr liegt<br />

auch dann vor, wenn die Gebühr nicht allein an die Vermittlung<br />

des Mandanten, sondern zusätzlich an seine Teilnahme an einer<br />

Qualitätsumfrage angeknüpft. (Leitsatz der Redaktion)<br />

OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.7.2007 – 20 U 54/07<br />

Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />

Internet abrufbar unter www.anwaltsbatt.de.<br />

794 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht


MN Rechtsprechung<br />

Anwaltshaftung<br />

Fristverlängerung als „Holschuld“<br />

ZPO §§ 520 Abs. 2 Satz 3, 233<br />

Der Vorsitzende, der eine erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

ablehnt, weil dafür kein erheblicher Grund dargelegt<br />

worden war, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Entscheidung<br />

dem Rechtsmittelführer noch vor Fristablauf notfalls<br />

per Telefon oder Telefax mitzuteilen. Vielmehr hat dieser sich<br />

rechtzeitig bei Gericht zu erkundigen, weil er mit einer Ablehnung<br />

des unbegründeten Antrags rechnen musste.<br />

BGH, Beschl. v. 18.7.2007 – IV ZR 132/06<br />

Aus den Gründen: I. Im Rahmen einer Auseinandersetzung der<br />

Parteien über den Pflichtteil der Klägerin haben die Beklagten widerklagend<br />

beantragt, die Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld,<br />

die der Klägerin von der Erblasserin, der Mutter der Parteien,<br />

bestellt worden war, für unzulässig zu erklären. Das<br />

Landgericht hat der Widerklage mit Teilurteil vom 17. November<br />

2005 stattgegeben, das der Klägerin am 22. November 2005 zugestellt<br />

worden ist. Ihr Prozessbevollmächtigter hat Berufung eingelegt<br />

und mit einem Telefax vom 18. Januar 2006 ohne jede weitere<br />

Erläuterung oder Begründung darum gebeten, die Frist zur Begründung<br />

der Berufung bis zum 28. Februar 2006 zu verlängern.<br />

Der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts hat am Freitag, dem<br />

20. Januar 2006 verfügt, die Berufungsbegründungsfrist werde<br />

nicht verlängert, weil keine Gründe für die erbetene Verlängerung<br />

dargelegt worden seien und das Verfahren durch die Verlängerung<br />

verzögert würde (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Mit Telefax vom<br />

24. Januar 2006 hat der Senatsvorsitzende den Klägervertreter auf<br />

den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Montag, dem<br />

23. Januar 2006, hingewiesen. Nach Anwaltswechsel hat die Klägerin<br />

mit Telefax vom 1. Februar 2006 u.a. Wiedereinsetzung in<br />

den vorigen Stand beantragt.<br />

Das Berufungsgericht hat diesen Antrag durch das angegriffene<br />

Urteil zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als<br />

unzulässig verworfen. Soweit geltend gemacht werde, der Klägervertreter<br />

habe die ablehnende Verfügung des Senatsvorsitzenden<br />

vom 20. Januar 2006 erst nach Fristablauf erhalten, sei<br />

die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne der Klägerin zuzurechnendes<br />

Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt<br />

worden, weil dieser rechtzeitig bei Gericht habe nachfragen<br />

können. Soweit in der Vergangenheit in vor dem Senat<br />

anhängigen Berufungsverfahren Begründungsfristen verlängert<br />

worden seien, sei dies regelmäßig nur geschehen, wenn der Berufungskläger<br />

hierfür tragfähige Gründe mitgeteilt habe. Unabhängig<br />

von der Frage, ob eine zweiwöchige Fristverlängerung<br />

für den Senat üblich sei, habe der Prozessbevollmächtigte der<br />

Klägerin jedenfalls nicht darauf vertrauen dürfen, dass einem<br />

unbegründeten Gesuch entsprochen werde.<br />

Die Klägerin hat rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde<br />

eingelegt. Sie rügt u.a. eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG<br />

und macht ferner geltend, aus Anlass des vorliegenden Falles<br />

müsse zur Rechtsfortbildung die Frage geklärt werden, ob der<br />

Antragsteller, der eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

beantragt, ohne dafür einen Grund anzugeben, auch<br />

dann mit einer Zurückweisung seines Antrags wegen Verzögerung<br />

des Rechtsstreits rechnen müsse, wenn das Gericht<br />

üblicherweise Fristverlängerung gewähre und dafür nur „regelmäßig“<br />

eine ausdrückliche Begründung fordere.<br />

II. Die Beschwerde ist zulässig; ein Grund, der die Zulassung<br />

der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen<br />

könnte, liegt aber nicht vor.<br />

1. a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

hat der Rechtsmittelführer das Risiko zu tragen, dass der<br />

Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung pflichtgemä-<br />

ßen Ermessens die Verlängerung der Begründungsfrist versagt;<br />

er kann daher im Wiedereinsetzungsverfahren grundsätzlich<br />

nicht geltend machen, er habe mit der beantragten Fristverlängerung<br />

rechnen dürfen. Eine Ausnahme kommt in Betracht,<br />

wenn es sich um einen ersten Verlängerungsantrag handelt<br />

und darin erhebliche, die beantragte Verlängerung rechtfertigendeGründeoderabereineEinwilligungdesGegnersdargelegtwerden(vgl.u.a.BGH,Beschlüssevom7.Oktober1992–<br />

VIII ZB 28/92 – NJW 1993, 134 unter 2 a.; vom 4. März 2004 –<br />

IX ZB 121/03 – NJW 2004, 1742 unter 2; vom 22. März 2005 –<br />

XI ZB 36/04 – NJW-RR 2005, 865 unter II 1).<br />

Auf eine Einwilligung des Gegners hat sich die Klägerin<br />

hier nicht berufen. Ohne dessen Einwilligung kommt eine Verlängerung<br />

nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur bis zu einem Monat<br />

in Betracht. Darüber ging die hier bis zum 28. Februar<br />

2006 beantragte Verlängerung jedoch hinaus.<br />

Soweit damit zugleich ein Antrag auf Verlängerung bis zur<br />

gesetzlichen Höchstfrist gestellt worden sein sollte, konnte der<br />

Klägervertreter jedenfalls nicht damit rechnen, dass diesem Antrag<br />

stattgegeben werden würde, weil er einen erheblichen<br />

Grund dafür nicht dargelegt hatte. Anders als die Beschwerde<br />

meint, ist eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten,<br />

der einen solchen Verlängerungsantrag stellt, nicht etwa<br />

ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten. Das gilt insbesondere,<br />

wenn es nicht um eine kurzfristige Fristverlängerung<br />

geht, sondern die Frist – wie hier – um mehr als fünf Wochen<br />

verlängert werden soll. Die Gründe dafür müssen<br />

keineswegs immer erheblich sein. Auf die Frage, ob der gestellte<br />

Verlängerungsantrag hier tatsächlich durch Arbeitsüberlastung<br />

des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin<br />

gerechtfertigt war, kommt es nicht an. Vielmehr musste der<br />

Prozessbevollmächtigte der Klägerin damit rechnen, dass der<br />

Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten<br />

begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des<br />

Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde<br />

(vgl.BGH,Beschlussvom16.Juni1992–XZB6/92–NJW<br />

1992, 2426 f.).<br />

b) Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat,<br />

wäre es aufgrund dieser Sach- und Rechtslage die Aufgabe des<br />

Klägervertreters gewesen, rechtzeitig vor Fristablauf beim Gericht<br />

nachzufragen, ob dem Fristverlängerungsantrag gleichwohl<br />

stattgegeben worden sei. Insofern hat sich das Berufungsgericht<br />

entgegen den Angriffen der Beschwerde durchaus mit<br />

der Rüge der Klägerin befasst, der Senatsvorsitzende habe seine<br />

ablehnende Entscheidung telefonisch oder per Telefax noch vor<br />

Fristablauf mitteilen müssen. Die Verfügung des Senatsvorsitzenden<br />

vom 20. Januar 2006 ist nach dem beigefügten Erledigungsvermerk<br />

noch an demselben Tag, einem Freitag, ausgeführt<br />

und abgesandt worden. Danach hätte mit ihrem<br />

Eingang beim Klägervertreter am Montag, dem 23. Januar 2006,<br />

dem letzten Tag der Frist, gerechnet werden können. Ob der<br />

Brief dem Klägervertreter, wie dieser geltend macht, tatsächlich<br />

aber in einem Umschlag, der erst am Dienstag, dem 24. Januar<br />

2006 abgestempelt worden sei, am Mittwoch, dem 25. Januar<br />

2006 zugegangen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls war der Senatsvorsitzende<br />

bei dieser Sachlage nicht verpflichtet, den Klägervertreter<br />

vor Fristablauf außerhalb des üblichen Geschäfts-<br />

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Anwaltshaftung AnwBl 11 / 2007 795


MN Rechtsprechung<br />

gangs per Telefon oder Telefax zusätzlich zu unterrichten. Vielmehr<br />

war es Sache des Klägervertreters, den eine Ablehnung<br />

seines unbegründeten Verlängerungsantrags nicht hätte überraschen<br />

dürfen, von sich aus bei Gericht rechtzeitig nachzufragen,<br />

ob die Frist möglicherweise dennoch verlängert worden<br />

war, so dass er notfalls noch vor Fristablauf die Berufungsbegründung<br />

oder jedenfalls einen begründeten Verlängerungsantrag<br />

hätte einreichen können (vgl. BGH, Beschluss vom 7.<br />

Oktober 1992 aaO unter 2 c). Für die Versäumung dieser Frist<br />

war mithin bei wertender Betrachtung eine eventuell nicht der<br />

Klägerin zuzurechnende Verzögerung bei der Zustellung der<br />

ablehnenden Verfügung des Senatsvorsitzenden nicht ursächlich.<br />

2. Anders läge der Fall nur dann, wenn es einer ständigen<br />

Übung des Berufungssenats entsprochen hätte, erstmaligen Gesuchen<br />

um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist für<br />

eine Dauer von einem Monat auch ohne Darlegung von<br />

Gründen zu entsprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juni<br />

1992 aaO; vom 7. Oktober 1992 aaO unter 2 b). Das trägt die<br />

Klägerin aber nicht vor. Sie geht vielmehr von der Feststellung<br />

im angegriffenen Berufungsurteil aus, in der Vergangenheit<br />

seien Berufungsbegründungsfristen „regelmäßig“ nur verlängert<br />

worden, wenn der Berufungskläger hierfür tragfähige<br />

Gründe mitgeteilt habe. Damit hat das Berufungsgericht zwar<br />

nicht ausgeschlossen, dass es Ausnahmen gegeben haben mag.<br />

Solche Ausnahmen rechtfertigen noch kein Vertrauen darauf,<br />

dass grundsätzlich jedem ersten Gesuch um Verlängerung der<br />

Berufungsbegründungsfrist auch ohne Angabe von Gründen<br />

stattgegeben werde.<br />

Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sie aus anderen<br />

Quellen von Verlängerungen der Berufungsbegründungsfrist<br />

um einen Monat auch ohne Darlegung von Gründen erfahren<br />

habe. Vielmehr hat ihr Prozessbevollmächtigter in seinem<br />

Wiedereinsetzungsantrag lediglich behauptet, telefonische<br />

Rückfragen bei Kollegen am Sitz des Berufungsgerichts hätten<br />

ergeben, dass mit einer üblichen Fristverlängerung von 14 Tagen<br />

zu rechnen sei. Das lässt schon offen, ob sich diese<br />

Auskünfte auch auf Gesuche ohne Angabe eines erheblichen<br />

Grundes bezogen haben.<br />

3. Soweit die Beschwerde noch geltend macht, mangels gegenteiliger<br />

Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass im vorliegenden<br />

Fall durch die beantragte Verlängerung keine Verzögerung<br />

eingetreten wäre, kann dies auf sich beruhen; eine<br />

Anfechtung des Beschlusses, durch den das Gesuch um Verlängerung<br />

einer Frist zurückgewiesen ist, findet nicht statt (§ 225<br />

Abs. 3 ZPO).<br />

Fristenkalender<br />

ZPO § 574 Abs. 2<br />

1. Es liegt ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten<br />

vor, wenn die Vorfrist bei Berufungsbegründungen weniger als<br />

eine Woche beträgt und keine besonderen Umstände vorliegen.<br />

2. Eintragungen im Fristenkalender aufgrund einer mündlichen<br />

Mitteilung des Gerichts sind mit einer späteren schriftlichen Verfügung<br />

des Gerichts abzugleichen.<br />

BGH, Beschl. v. 14.6.2007 I ZB 5/06<br />

Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 (im<br />

Weiteren: Beklagte) mit Urteil vom 28. Juli 2005, zugestellt am<br />

3. August 2005, verurteilt, an den Kläger 32.806,73 E nebst Zinsen<br />

zu zahlen. Die Beklagte hat gegen diese Entscheidung am<br />

1. September 2005 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten<br />

vom 29. September 2005 hat sie beantragt,<br />

„die am 4.10.2005 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung um<br />

einen Monat, d.h. bis zum 7.11.2005, zu verlängern“. Der Vorsitzende<br />

des Berufungssenats hat die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung<br />

mit Verfügung vom selben Tag „um einen<br />

Monat nach Ablauf der Frist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO“ verlängert.<br />

Die Berufungsbegründung ist am 7. November 2005<br />

(Montag) bei Gericht eingegangen. Mit Verfügung vom 14. November<br />

2005 hat der Vorsitzende des Berufungssenats die<br />

Beklagte darauf hingewiesen, dass die verlängerte Frist zur Berufungsbegründung<br />

bereits am 4. November 2005 (Freitag) abgelaufen<br />

sei.<br />

Die Beklagte hat daraufhin beantragt, ihr gegen die Versäumung<br />

der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in<br />

den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs<br />

hat sie vorgetragen, die Fristversäumung<br />

beruhe auf einem Irrtum der Rechtsanwaltsfachangestellten H.<br />

ihres Prozessbevollmächtigten. Frau H. habe sich am 30. September<br />

2005 telefonisch bei der Geschäftsstelle des Berufungssenats<br />

erkundigt, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden<br />

sei. Nachdem ihr dies bestätigt worden sei, habe Frau H. auf<br />

dem Verlängerungsantrag in der Handakte des Prozessbevollmächtigten<br />

notiert: „... Frist antragsgemäß verlängert ...“. Nach<br />

Eingang der schriftlichen Verlängerungsverfügung des Senatsvorsitzenden<br />

habe Frau H. irrtümlich das bereits auf den<br />

7. November 2005 notierte Fristende nicht korrigiert, sondern<br />

durch einen entsprechenden Fristenvermerk auf der Verfügung<br />

nach Kontrolle des Fristeintrags bestätigt. Ihr Prozessbevollmächtigter<br />

habe sich die Akten im Hinblick auf die notierte<br />

Frist schon am 4. November 2005 (Freitag) zur Bearbeitung am<br />

Wochenende vorlegen lassen.<br />

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch der<br />

Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig<br />

verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde<br />

der Beklagten.<br />

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.<br />

mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig.<br />

Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht<br />

erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche<br />

Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung<br />

des Rechts auf, noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />

zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.<br />

Die Rechtsfragen, die der Streitfall aufwirft, sind höchstrichterlich<br />

geklärt.<br />

1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch<br />

zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist<br />

auf einem der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden<br />

Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe.<br />

Der Rechtsanwalt habe alles ihm Zumutbare zu tun und<br />

zu veranlassen, damit die Frist zur Begründung eines eingelegten<br />

Rechtsmittels gewahrt werde. Dementsprechend müsse er<br />

den Fristablauf eigenverantwortlich überprüfen, wenn ihm die<br />

Akten zur Vorbereitung der befristeten Prozesshandlung vorgelegt<br />

würden. Die Handakten seien dem Prozessbevollmächtigten<br />

der Beklagten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist<br />

zum Zweck der Bearbeitung vorgelegt worden. Zwar begründe<br />

es regelmäßig kein Verschulden, wenn der Rechtsanwalt bei<br />

Vorlegung einer als Vorfristsache gekennzeichneten Akte sowohl<br />

die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das<br />

Fristende richtig ermittelt und festgehalten worden sei, nicht<br />

bereits am Tag der Vorlage, sondern erst am nächsten Tag vornehme.<br />

Die Dauer der Vorfrist betrage bei Berufungsbegründungen<br />

jedoch grundsätzlich eine Woche, im Einzelfall<br />

könne allerdings auch eine kürzere Frist genügen. Es seien im<br />

vorliegenden Fall keine Umstände zu erkennen, die es hätten<br />

ausreichen lassen, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />

die Handakten erst drei Tage vor dem notierten Fristablauf vorzulegen.<br />

Unabhängig von einem hieraus abzuleitenden Versäumnis<br />

liege ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklag-<br />

796 AnwBl 11 / 2007 Anwaltshaftung


MN Rechtsprechung<br />

ten jedenfalls auch deshalb vor, weil dieser den Irrtum seiner<br />

Angestellten über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist<br />

selbst veranlasst habe. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

sei widersprüchlich. Zum einen sei –<br />

dem Gesetz entsprechend – die Verlängerung um einen Monat<br />

beantragt worden. Das Ende der verlängerten Frist sei jedoch<br />

fälschlich mit dem 7. November 2005 angegeben worden. Die<br />

Verantwortung für die falsche Berechnung des Fristendes trage<br />

der Prozessbevollmächtigte, da dieser den Schriftsatz unterzeichnet<br />

und damit dessen gesamten Inhalt zu verantworten<br />

habe. Eine Verpflichtung des Gerichts, auf den Widerspruch in<br />

der Antragsschrift hinzuweisen, habe nicht bestanden. Der in<br />

der Antragsschrift enthaltene Fehler sei nicht offensichtlich,<br />

sondern nur bei Überprüfung des bezeichneten Datums anhand<br />

eines Kalenders erkennbar gewesen. Eine derart weitgehende<br />

gerichtliche Fürsorgepflicht bestehe nicht.<br />

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das<br />

Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung<br />

im Ergebnis zu Recht versagt, weil die Versäumung der<br />

Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres<br />

Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach<br />

§ 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.<br />

a) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein<br />

Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits<br />

darin liegt, dass er den von der Rechtsanwaltsfachangestellten H.<br />

formulierten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

ohne Änderung unterschrieben hat. Denn dieser Antrag<br />

ist unklar gefasst. Begehrt wurde, die am 4. Oktober 2005 ablaufende<br />

Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu<br />

verlängern. Danach fiel das Ende der verlängerten Berufungsbegründungsfrist<br />

auf Freitag, den 4. November 2005, und nicht,<br />

wie es in dem Antrag heißt, auf Montag, den 7. November 2005.<br />

Das hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Unterzeichnung<br />

des Verlängerungsantrags bemerken und die Unklarheit<br />

beseitigen müssen. Denn er hat den Inhalt des von ihm unterzeichneten<br />

Schriftsatzes eigenständig zu verantworten.<br />

b) Das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten anzulastende<br />

Verschulden bei der Unterzeichnung des Verlängerungsantrags<br />

hätte sich allerdings dann nicht auf die Einhaltung der<br />

Berufungsbegründungsfrist ausgewirkt, wenn die aufgrund der<br />

mündlichen Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungssenats<br />

eingetragene Frist nach Eingang der schriftlichen gerichtlichen<br />

Verlängerungsverfügung auf ihre Richtigkeit hin überprüft<br />

worden wäre. Eine solche Überprüfung ist erforderlich, weil<br />

nicht ausgeschlossen werden kann, dass es bei telefonisch erteilten<br />

Auskünften aufgrund von Missverständnissen oder Übermittlungsversehen<br />

zu fehlerhaften Eintragungen im Fristenkalender<br />

kommt. Ein Rechtsanwalt muss daher durch<br />

büroorganisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die aufgrund<br />

einer mündlichen Mitteilung des Gerichts, die Rechtsmittelbegründungsfrist<br />

sei verlängert worden, vorgenommene<br />

Eintragung im Fristenbuch mit der später eingehenden schriftlichen<br />

gerichtlichen Nachricht verglichen und gegebenenfalls<br />

berichtigt wird. Dementsprechend ist es notwendig, das Kanzleipersonal<br />

anzuweisen, die schriftliche gerichtliche Mitteilung<br />

über die Fristverlängerung mit der im Fristenbuch vorgenommenen<br />

Eintragung zu vergleichen. Dem Anwalt, der es versäumt,<br />

eine entsprechende Anordnung zu erteilen, fällt ein Organisationsverschulden<br />

zur Last, das sich die von ihm<br />

vertretene Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen<br />

muss (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.1997 – IX ZB 29/97, NJW 1997,<br />

1860). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass im Büro ihres Prozessbevollmächtigten<br />

Vorkehrungen zur Vermeidung eines<br />

Fehlers, wie er hier aufgetreten ist, erfolgt waren.<br />

III. Die Rechtsbeschwerde ist danach mit der Kostenfolge<br />

aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.<br />

Anwaltsvergütung<br />

Keine Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />

ZPO §§ 91, 103, 104; RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />

Die teilweise Anrechnung einer vorgerichtlich angefallenen Geschäftsgebühr<br />

auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren<br />

entstandene Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />

W-RVG ist im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§103, 104 ZPO<br />

grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.<br />

(nicht rechtskräftig)<br />

OLG München, Beschl. v. 30.8.2007 – 11 W 1779/07<br />

Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat mit Anerkenntnisurteil<br />

vom 21.02.2007 den Beklagten zur Zahlung von 25.026,84 E nebst<br />

Zinsen verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.<br />

Die Rechtspflegerin beim Landgericht hat mit Beschluss<br />

vom 19.04.2007 die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden<br />

Kosten antragsgemäß auf 2.618,85 E festgesetzt einschließlich<br />

einer 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 985,40 E<br />

zuzüglich MWST. Dagegen hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner<br />

Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2007 sofortige Beschwerde<br />

eingelegt. Zur Begründung wird unter Bezugnahme<br />

auf das Urteil des BGH vom 07.03.2007 (VIII ZR 86/06 – NJW<br />

07, 2049) ausgeführt, dass die für die Klägervertreter durch deren<br />

vorgerichtliche Tätigkeit angefallene 1,3 Geschäftsgebühr<br />

in Höhe von 985,40 E nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />

RVG zur Hälfte auf die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend<br />

gemachte 1,3 Verfahrensgebühr anzurechnen sei. Erstattungsfähig<br />

sei nur die nach dieser Anrechnung verbleibende 0,65 Verfahrensgebühr<br />

in Höhe von 492,70 E. Denn der Kläger könne<br />

von dem Beklagten nicht höhere Anwaltsgebühren erstattet verlangen<br />

als er seinen Prozessbevollmächtigten schulde.<br />

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.<br />

Er vertritt – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz<br />

– die Auffassung, dass die für die vorgerichtliche Tätigkeit seines<br />

Prozessbevollmächtigten entstandene Geschäftsgebühr ungeachtet<br />

der Anrechnungsbestimmung nach Vorbemerkung 3<br />

Abs. 4 VV-RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen<br />

sei.<br />

II. Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig (§ 11<br />

Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).<br />

Das Rechtsmittel bleibt aber ohne Erfolg.<br />

Die Vorinstanz hat mit zutreffender Begründung die vom<br />

Kläger geltend gemachte 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV-<br />

RVG) in voller Höhe festgesetzt.<br />

1. Allerdings hatten die Prozessbevollmächtigten des Klägers<br />

diesen wegen desselben Gegenstandes schon vorgerichtlich<br />

vertreten und dadurch eine 1,3 Geschäftsgebühr nach<br />

Nr. 2300 VV-RVG in Höhe von 985,40 E verdient. Das ist zwischen<br />

den Parteien unstreitig.<br />

Im Ausgangspunkt zutreffend ist auch die Auffassung des<br />

Beklagten, dass auf die den Prozessbevollmächtigten des<br />

Klägers spätestens mit Einreichung der Klageschrift vom<br />

17.01.2007 erwachsene 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von<br />

985,40 E die zuvor entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen<br />

ist, die Geschäftsgebühr also in unvermindeter<br />

Höher bestehen bleibt (BGH NJW 07, 2049, 2050; Senat Jur-<br />

Büro 06, 21 unter II. 3). Das ergibt sich aus dem eindeutigen<br />

Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG und hat<br />

zur Folge, dass der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten neben<br />

der 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV-RVG) nur eine 0,65<br />

Verfahrensgebühr in Höhe von 492,70 E schuldet.<br />

2. Ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr nach<br />

Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die im nachfolgenden<br />

Anwaltsvergütung AnwBl 11 / 2007 797


MN Rechtsprechung<br />

Rechtsstreit entstandene Verfahrensgebühr auch im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

zu berücksichtigen ist, ist umstritten.<br />

Nach einer vom 10. und 19. Senat des VGH München (Jur-<br />

Büro 06, 77 und NJW 06, 1990) vertretenen Auffassung ist auch<br />

im Kostenfestsetzungsverfahren nur der nach Anrechnung der<br />

anteiligen Geschäftsgebühr verbleibende Teil der Verfahrensgebühr<br />

gegen die erstattungspflichtige Partei festsetzbar.<br />

Nach der überwiegenden Gegenmeinung hindert dagegen<br />

die Anrechnungsbestimmung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />

RVG grundsätzlich nicht die Geltendmachung und Festsetzung<br />

der vollen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

gegen die unterlegene Partei (OLG Hamm JurBüro 06, 202; KG<br />

JurBüro 06, 202; OLG Koblenz Rpfleger 07, 433; OVG Münster<br />

NJW 06, 1991; VGH München – 4. Senat – NJW 07, 170;<br />

Gerold/Schmidt/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., Rdnr. 41<br />

zu W 2300, 2301 und Rdnr. 201 zu W 3100; N. Schneider AGS<br />

07, 287). Diese Auffassung teilt auch der Senat für den hier vorliegenden<br />

Fall, in dem mit der Klage eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr<br />

nicht geltend gemacht worden ist und der Beklagte<br />

auch nicht behauptet, die den Klägervertretern<br />

erwachsene Geschäftsgebühr bereits bezahlt zu haben.<br />

a) Schon zu § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, wonach eine bezüglich<br />

desselben Gegenstandes vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr<br />

(§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) auf die im nachfolgenden<br />

Rechtsstreit entstandene Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1<br />

Nr. 1 BRAGO) anzurechnen ist, hat der Senat die Auffassung<br />

vertreten, dass diese Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

nach §§ 103, 104 ZPO grundsätzlich unberücksichtigt<br />

bleibt, die Festsetzung der vollen Prozessgebühr also nicht hindert(vgl.SenatJurBüro95,85;ebensoOLGSchleswigAnwBI<br />

97, 125), wenn nicht ausnahmsweise eine Titulierung des materiell<br />

rechtlichen Anspruchs auf Ersatz der Geschäftsgebühr<br />

nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO vorliegt (Senat a.a.O.) oder der<br />

erstattungspflichtige Gegner die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr<br />

unstreitig bezahlt hat (vgl. Senat JurBüro 06, 21).<br />

An dieser Auffassung hält der Senat auch in Bezug auf die Anrechnungsbestimmung<br />

gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />

RVG fest, die mit Inkrafttreten des RVG an die Stelle des § 118<br />

Abs. 2 BRAGO getreten ist,<br />

b) Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG (in der seit<br />

01.07.2006 geltenden Fassung) wird eine wegen desselben Gegenstandes<br />

vorgerichtlich nach den Nummern 2300 bis 2303<br />

entstandene Geschäftsgebühr zwar nur noch zur Hälfte, jedoch<br />

höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr<br />

des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens angerechnet.<br />

Auch diese teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />

auf die Verfahrensgebühr ist im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

aber grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.<br />

(1) Für die Prozessbevollmächtigten des Klägers ist – ungeachtet<br />

des Mandats für die vorgerichtliche Tätigkeit – spätestens<br />

mit Erreichung der Klageschrift vom 17.01.2007 die 1,3 Verfahrensgebühr<br />

nach Nr. 3100 VV-RVG entstanden. Dass die Verfahrensgebühr<br />

in voller Höhe entsteht, ergibt sich gerade aus<br />

der Anrechnungsbestimmung nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />

VV-RVG und beruht darauf, dass es sich bei der vorgerichtlichen<br />

– regelmäßig auf die Vermeidung eines gerichtlichen<br />

Verfahrens gerichteten – Tätigkeit des Rechtsanwalts und der<br />

Vertretung im nachfolgenden Rechtsstreit um verschiedene Angelegenheiten<br />

im Sinne des § 15 RVG handelt.<br />

Die einmal entstandene Verfahrensgebühr gehört aber zu<br />

denKostendesRechtsstreitsimSinnevon§91Abs.1Satz1<br />

ZPO und ist deshalb in voller Höhe erstattungsfähig (§ 91<br />

Abs. 2 Satz 1 ZPO), Die für die vorgerichtliche Tätigkeit des<br />

Rechtsanwalts angefallene Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV-RVG)<br />

gehört dagegen nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, wenn sie<br />

– wie in aller Regel und auch im vorliegenden Fall – nicht unmittelbar<br />

dessen Vorbereitung dient, sondern der außergerichtlichen<br />

Erledigung der Angelegenheit (vgl. BGH NJW 06, 2560;<br />

NJW-RR 06, 501). Deshalb kann der nach der Vorbemerkung 3<br />

Abs. 4 VV-RVG nicht anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr<br />

im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 103, 104 ZPO nicht<br />

berücksichtigt werden (BGH a.a.O.). Folgerichtig muss aber<br />

auch der nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG anrechenbare<br />

Teil der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.<br />

Die obsiegende Partei, welche nach § 91 ZPO die ihr im<br />

Rechtsstreit entstandenen Anwaltskosten erstattet verlangen<br />

und diesen prozessualen Kostenerstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

nach §§ 103, 104 ZPO geltend machen<br />

kann, muss sich hinsichtlich des nach Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />

VV-RVG anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr auch nicht<br />

auf einen materiell rechtlichen Erstattungsanspruch verweisen<br />

lassen, der gegebenenfalls im Wege der Klage geltend zu machen<br />

ist, zumal die Voraussetzungen für einen materiell rechtlichen<br />

Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten auch<br />

für die im Rechtsstreit obsiegende Partei – insbesondere für den<br />

zu Unrecht in Anspruch genommenen Beklagten – keineswegs<br />

in allen Fällen gegeben sind (vgl. BGH JurBüro 07, 249).<br />

(2) Unter Geltung der BRAGO entsprach es allgemeiner<br />

Meinung und Rechtsprechung, dass die Anrechnung der vorgerichtlich<br />

entstandenen Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 2<br />

BRAGO auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angefallene<br />

Prozess- oder Verkehrsgebühr (§§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 52<br />

Abs. 1 BRAGO) im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich<br />

nicht zu berücksichtigen sei (vgl. Senat JurBüro 95, 85; OLG<br />

Schleswig AnwBl 97, 125; OLG Frankfurt a.M. AnwBl 85, 327),<br />

Eine von dieser gerichtlichen Praxis abweichende Auffassung<br />

wurde – soweit ersichtlich – auch im Schrifttum nicht vertreten.DassderGesetzgeberandieserPraxismitderEinführung<br />

des RVG etwas ändern wollte, lässt sich – worauf Tomson (NJW<br />

07, 267/268) zutreffend hinweist – weder dem Wortlaut der Vorbemerkung<br />

3 Abs. 4 VV-RVG noch der Gesetzesbegründung<br />

entnehmen.<br />

(3) Wie § 118 Abs. 2 BRAGO betrifft auch die Anrechnungsbestimmungnach<br />

Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG zunächst<br />

nur das Rechtsverhältnis zwischen der Partei – hier dem Kläger<br />

– und ihrem Prozessbevollmächtigten und soll das insgesamt<br />

abrechenbare Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts gegenüber<br />

seinem Auftraggeber begrenzen, wenn er für diesen wegen<br />

desselben Gegenstandes schon vorgerichtlich tätig gewesen<br />

ist (vgl. OVG Münster NJW 06, 1991 unter Hinweis auf die Motive<br />

in BT-Dr. 15/1971, 5.209).<br />

Hat allerdings die Partei im Rechtsstreit die vorgerichtlich<br />

entstandene Geschäftsgebühr in voller Höhe als materiellrechtlichen<br />

Erstattungsanspruch geltend gemacht und ist ihr diese<br />

vom Prozessgericht zuerkannt worden, dann kann auch irn<br />

Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr (Nr. 3100<br />

VV-RVG) nur noch in der um den (nach Vorbemerkung 3<br />

Abs. 4 VV-RVG) anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr verminderten<br />

Höhe berücksichtigt werden (ebenso N. Schneider<br />

in NJW 07, 2001, 2006; Hansens in RVGreport 07, 241). Dasselbe<br />

gilt, wenn der im Rechtsstreit unterlegene Gegner die vorgerichtlich<br />

entstandene Geschäftsgebühr unstreitig bereits vor<br />

Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig bezahlt<br />

hat (N. Schneider und Hansens jeweils a.a.O.). Denn die obsiegende<br />

Partei kann von dem Gegner insgesamt nicht höhere<br />

Gebühren erstattet verlangen als sie ihrem Rechtsanwalt schuldet.<br />

Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.<br />

(4) Die ausnahmslose Berücksichtigung der Anrechnungsbestimmungnach<br />

Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

erscheint auch deshalb nicht sachgerecht,<br />

weil es sich bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300<br />

VV-RVG um eine Rahmengebühr handelt und der Umfang der<br />

vorgerichtlichen Tätigkeit des späteren Prozessbevollmächtigten<br />

sowie die für die Höhe dieser Gebühr nach § 14 Abs, 1 RVG<br />

maßgeblichen Umstände aus den gerichtlichen Verfahrens-<br />

798 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsvergütung


MN Rechtsprechung<br />

akten häufig nicht ersichtlich sind. Das Kostenfestsetzungsverfahren<br />

ist weder geeignet noch dazu bestimmt, einen – im vorliegenden<br />

Fall zwar nicht gegebenen, aber in anderen Fällen<br />

möglichen – Streit der Parteien über die Höhe einer vorgerichtlich<br />

entstandenen und nicht prozessbezogenen Geschäftsgebühr<br />

zu entscheiden.<br />

c) Die vom Senat vertretene Auffassung steht auch nicht in<br />

Widerspruch zu den Urteilen des BGH vom 07.03.2007 und<br />

14.03.2007 (NJW 07, 2049 und 2050).<br />

Beide Entscheidungen sind nicht in Kostensetzungsverfahrenergangen,sondernbetreffendieFrage,obsichdieimKlageverfahren<br />

als materiell rechtlicher Erstattungsanspruch in<br />

voller Höhe geltend gemachte vorgerichtliche Geschäftsgebühr<br />

durch die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3<br />

Abs. 4 VV-RVG vermindert. Diese Frage hat der BGH (a.a.O.)<br />

dahingehend entschieden, dass sich nicht die Geschäftsgebühr,<br />

sondern die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren anfallende<br />

Verfahrensgebühr vermindert. Soweit der BGH in den<br />

Entscheidungsgründen ausgeführt hat, dass die Anrechnung<br />

auf die Verfahrensgebühr (erst) im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

zu berücksichtigen sei, beruht dies darauf, dass der Klagepartei<br />

jeweils die mit der Klage geltend gemachte 1,3 Geschäftsgebühr<br />

zuerkannt worden war. Dass die teilweise Anrechnung<br />

der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

stets zu berücksichtigen sei, also auch dann,<br />

wenn die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nicht als materiellrechtlicher<br />

Erstattungsanspruch eingeklagt und zuerkannt worden<br />

ist, lässt sich den vorgenannten Entscheidungen des BGH<br />

dagegen nicht entnehmen.<br />

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.<br />

Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage,<br />

ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die<br />

Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG<br />

im Kostenfestsetzungsverfahren stets zu berücksichtigen ist (so<br />

VGH München JurBüro 06, 77 und NJW 06, 1990) oder nur unter<br />

bestimmten Voraussetzungen, wie vom Senat und der herrschenden<br />

Meinung vertreten, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen<br />

(§ 574 Abs. 2 ZPO).<br />

Anmerkung der Redaktion: Das OLG München präzisiert mit<br />

Blick auf die Praxis von Anwälten und Gerichten das Urteil des<br />

BGH vom 7. März 2007 (VIII ZR 86/96, AnwBl 2007, 630). Die<br />

Rechtsbeschwerde wurde eingelegt und wird beim BGH unter<br />

AZ. X ARZ 280/07 geführt. Zum Problem der Anrechnung der<br />

Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr siehe auch Henke in<br />

diesem Heft auf Seite 782 mit Verweis auf eine Entscheidung des<br />

Kammergerichts vom 17. Juli 2007 (1 W 256/07, AGS 2007, 439<br />

mit Anmerkung Schneider; ähnl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss<br />

vom 18.9.2007 - 13 W 83/07).<br />

Keine Streitwerterhöhung durch<br />

anwaltliche Geschäftsgebühr<br />

ZPO § 4 Abs. 1<br />

Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im<br />

laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken<br />

nicht werterhöhend (Anschluss BGH, Beschluss vom 30. Januar<br />

2007 – X ZB 7/06).<br />

BGH, Beschl. v. 15.5.2007 – VI ZB 18/06<br />

Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte auf Mietwagenkosten<br />

in Höhe von 572,30 E nebst Zinsen in Anspruch. Daneben begehrt<br />

er den Ersatz des auf die Verfahrensgebühr nicht anrechenbaren<br />

Teils der vorprozessualen Geschäftsgebühr seines Prozess-<br />

bevollmächtigten in Höhe von 33,93 E nebst Zinsen. Das<br />

Amtsgericht hat die Beklagte mit Ausnahme der begehrten Zinsen<br />

beim Freistellungsanspruch antragsgemäß verurteilt. Den<br />

Streitwert hat es auf 572,30 E festgesetzt. Die nicht zugelassene<br />

Berufung hat das Amtsgericht als unzulässig verworfen.<br />

Aus den Gründen: II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522<br />

Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Ihre ursprünglich<br />

zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gegebene Zulässigkeit<br />

ist jedoch weggefallen, weil die hier maßgebliche<br />

Rechtsfrage inzwischen durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs<br />

geklärt ist und das Berufungsgericht zutreffend entschieden<br />

hat.<br />

Durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar<br />

2007 (X ZB 7/06), der inzwischen in juris veröffentlicht worden<br />

ist und dem sich der entscheidende Senat anschließt, ist<br />

höchstrichterlich geklärt, dass vorprozessual aufgewendete Kosten<br />

zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten<br />

Hauptanspruchs unabhängig davon, ob diese Kosten<br />

der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im<br />

Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines<br />

eigenen Antrags sind, nicht werterhöhend wirken. Denn<br />

nach § 4 Abs. 1 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG und § 23 Abs. 1 Satz 1<br />

RVG bleiben Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bei der<br />

Wertberechnung unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen<br />

geltend gemacht werden. Wie bei Zinsen besteht auch<br />

bezüglich der Kosten das Wesen einer Nebenforderung darin,<br />

dass sie vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist. Das<br />

ist hier der Fall.<br />

Einem allgemeinen Grundsatz entsprechend sind die KostendeslaufendenProzessesbeiderWertbemessungnichtzu<br />

berücksichtigen, solange die Hauptsache Gegenstand des<br />

Rechtsstreitsist(§4ZPO;vgl.BGHZ128,85,92).ZudenProzesskosten<br />

rechnen nicht nur die durch die Einleitung und<br />

Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern grundsätzlich<br />

auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines<br />

konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (vgl. BGH, Beschlüsse<br />

vom 20. Oktober 2005 – I ZB 21/05 – NJW-RR 2006,<br />

501; vom 30. Januar 2007 – X ZB 7/06 – Rn. 6). Soweit derartige<br />

Kosten zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1<br />

Satz 1 ZPO gehören, können sie im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

nach den §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend gemacht<br />

werden; soweit derartige Kosten nicht auf diesem Wege<br />

festgesetzt werden können, können sie auf der Grundlage eines<br />

materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs Gegenstand<br />

einer Klage auf Erstattung dieser Kosten sein.<br />

Anspruchsvoraussetzung des materiell-rechtlichen Kostenersatzbegehrens<br />

ist das Bestehen einer sachlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage,<br />

nämlich dass der Schuldner wegen einer<br />

Vertragsverletzung, Verzugs oder sonstigen Rechtsverletzung<br />

für den adäquat verursachten Schaden einzustehen hat. Wird<br />

der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der<br />

Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist<br />

er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es<br />

sich bei dem zur Durchsetzung eines Anspruchs vorprozessual<br />

aufgewendeten und unter dem Gesichtspunkt des materiellrechtlichen<br />

Kostenerstattungsanspruchs geltend gemachten Geschäftsgebühren<br />

um Nebenforderungen im Sinne von § 4 ZPO<br />

handelt, solange die Hauptsache – wie hier – Gegenstand des<br />

Rechtsstreits ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kosten der<br />

Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im<br />

Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines<br />

eigenen Antrags sind (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar<br />

2007 – X ZB 7/06 – Rn. 7 f. m. w. N.). Insoweit liegt der Fall anders<br />

als bei vorgerichtlichen Sachverständigenkosten im Verkehrsunfallhaftpflichtprozess,<br />

wenn diese als eine von mehreren<br />

Schadenspositionen geltend gemacht werden und der<br />

Sache nach als Herstellungskosten anzusehen sind (vgl. Senatsbeschluss<br />

vom 13. Februar 2007 – VI ZB 39/06, z. V. b.).<br />

Anwaltsvergütung AnwBl 11 / 2007 799


MN Rechtsprechung<br />

Prozesskostenhilfe<br />

Beiordnung eines auswärtigen Anwalts<br />

ZPO § 121<br />

Die Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen<br />

Rechtsanwalts im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe<br />

kann auch ohne Einwilligung des beigeordneten Rechtsanwalts<br />

dahingehend eingeschränkt werden, dass Auslagen für die<br />

Terminswahrnehmung vor dem Prozessgericht nur bis zur Höhe<br />

der Kosten eines Verkehrsanwalts erstattungsfähig sind<br />

OLG Nürnberg, Beschl. v. 2.8.2007 – 9 WF 918/07<br />

Aus den Gründen: I. Das Familiengericht hat den Beschwerdeführer,<br />

prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt des in ... wohnenden<br />

Klägers, für eine beim Familiengericht Fürth zu führende<br />

Unterhaltsabänderungsklage im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe<br />

gemäß Beschluss vom 29.06.2007 „zu den Bedingungen<br />

eines in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen<br />

Rechtsanwaltes beigeordnet“.<br />

Gegen diese Entscheidung hat der ebenfalls in ... ansässige<br />

Beschwerdeführer form- und fristgerecht sofortige Beschwerde<br />

eingelegt<br />

Er erstrebt seine einschränkungslose Beiordnung und beruft<br />

sich insoweit auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg<br />

vom 06.01.2006 (3 UF 45/05).<br />

Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.<br />

II. Die Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig.<br />

Insbesondere steht dem Beschwerdeführer ein eigenes Beschwerderecht<br />

gegen die erfolgte Einschränkung seiner Beiordnung<br />

zu (Zöller-Philippi, 26. Aufl., Rdn. 12 zu § 127 ZPO).<br />

Die Beschwerde ist auch im wesentlichen begründet. Dem Beschwerdeführer<br />

steht jedenfalls ein Vergütungsanspruch im Zusammenhang<br />

mit der Terminswahrnehmung beim Familiengericht<br />

Fürth bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwaltes zu.<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2004, 1362) ist<br />

im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung bei der Beiordnung<br />

eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts<br />

stets zu prüfen, ob besondere Umstände für die Beiordnung<br />

eines zusätzlichen Verkehrsanwalts i.S. von § 121 Abs. 4<br />

ZPO vorliegen. Nur wenn dies nicht der Fall ist darf danach der<br />

auswärtige Rechtsanwalt zu den Bedingungen eines ortsansässigen<br />

Rechtsanwalts i.S. von § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beigeordnet<br />

werden.<br />

Diese Grundsätze sind auch nach Ablösung der BRAGO<br />

durch das RVG auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Die Beiordnung<br />

des nicht beim Prozessgericht zugelassenen Beschwerdeführers<br />

nimmt der Partei die Möglichkeit, die Beiordnung<br />

eines Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO zu<br />

erlangen. Die eingeschränkte Beiordnung zu den Bedingungen<br />

eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen Rechtsanwalts<br />

führt dazu, dass Reisekosten des Beschwerdeführers<br />

nicht erstattet werden (§ 48 Abs. 1 RVG). Eine solche Beiordnung<br />

ist nach der zitierten Rechtsprechung des BGH nur dann<br />

möglich, wenn auch sonst nur Kosten eines am Prozessgericht<br />

zugelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil besondere<br />

Umstände i.S. von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen.<br />

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Bestellung<br />

eines Verkehrsanwalts gemäß § 121 Abs. 4 ZPO gegeben,<br />

denn es ist davon auszugehen, der 19-jährige Kläger, der<br />

über einen Hauptschulabschluss verfügt, nicht in der Lage ist,<br />

einen am Prozessort ansässigen Rechtsanwalt sachgemäß<br />

schriftlich Ober den Prozessstoff zu informieren.<br />

Das Oberlandesgericht Nürnberg geht davon aus, dass § 121<br />

Abs. 3 ZPO der Beiordnung eines nicht beim Prozessgericht<br />

zugelassenen Rechtsanwalts nicht entgegensteht, wenn da-<br />

durch ein Verkehrsanwalt eingespart werden kann oder die<br />

Kosten, die der Partei zu Informationsgesprächen mit einem<br />

beim Prozessgericht zugelassenen Anwalt erwachsen, ähnlich<br />

hoch wären (OLG Nürnberg NJW 2005, 687).<br />

Da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Bestellung<br />

eines Verkehrsanwaltes zu bewilligen wäre, sind diese Kosten<br />

im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu vergüten (§ 45 RVG).<br />

Diese Kosten stellen somit keine Mehrkosten im Sinne des<br />

§ 121 Abs. 3 ZPO dar. Der Beschwerdeführer kann deshalb als<br />

Hauptbevollmächtigter des Klägers bestellt werden soweit der<br />

Staatskasse keine höheren Kosten entstehen, als bei der Bestellung<br />

eines Hauptbevollmächtigten am Prozessgericht und eines<br />

Verkehrsanwalts am Wohnort des Klägers.<br />

Diese Einschränkung kann auch ohne Einwilligung des Beschwerdeführers<br />

bei seiner im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung<br />

erfolgten Beiordnung ausgesprochen werden (BGH<br />

FamRZ 2007, 37).<br />

Aus der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des<br />

Oberlandesgerichts Oldenburg ergibt sich nichts anderes. Dieser<br />

Beschluss befasst sich mit der hier nicht zu entscheidenden<br />

Frage, ob Reisekosten eines beim Prozessgericht zwar zugelassenen<br />

aber am Gerichtsort nicht ansässigen Rechtsanwalts zu<br />

vergüten sind.<br />

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).<br />

Mitgeteilt vom 9. Zivil- und Familiensenat des OLG Nürnberg.<br />

Fotonachweis<br />

Seiten 736, 741, 743, 747, 751, 753, 754, 757, 758, 764, 765 (o.), 766, 772,<br />

779, 781, 782, 786, 789, IV, VI, LI, XL, XXXV: Privat;<br />

Seiten 760, 762: Burckhardt/Berlin;<br />

Seite 765 (u.): Fotolia (vlevelly)<br />

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Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e.V., Littenstr. 11, 10179 Berlin (Mitte),<br />

Tel. 030/ 726152 - 0, Fax: 030/ 726152- 191, anwaltsblatt@anwaltverein.de.<br />

Redaktion: Dr.NicolasLührig(Leitung,v.i.S.d.P.)undUdoHenke,Rechtsanwälte,<br />

Anschrift des Herausgebers.<br />

Verlag: <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH,<br />

Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 02 28 / 91911 -0, Fax: 02 28/ 9 19 11 -23;<br />

kontakt@anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17532 458,<br />

BLZ 380 500 00.<br />

Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich (v. i. S. d. P.), Pikartenkamp<br />

14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40 / 86628- 467, Fax: 0 40 / 8 66 28 - 468,<br />

info@ad-in.de.<br />

Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259,<br />

45356 Essen, Tel. 02 01 / 8612 - 281, Fax: 0201 / 86 12 - 241; info@soldanmedien.de.<br />

Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft für<br />

August/September.<br />

Bezugspreis: Jährlich 132,– E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis<br />

13,– E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s ist der<br />

Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />

Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen<br />

müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen.<br />

Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die<br />

Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher<br />

Vereinbarung gezahlt.<br />

Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten.<br />

Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />

des Herausgebers.<br />

ISSN 0171-7227. w<br />

<strong>800</strong> AnwBl 11 / 2007 Prozesskostenhilfe


MNBücher & Internet<br />

OLG-Oldenburg.de<br />

Auf der Startseite des Oberlandesgerichts<br />

Oldenburg bietet die Navigation<br />

bescheiden „Entscheidungen“ an.<br />

Dahinter verbirgt sich eine umfangreiche<br />

Datenbank, genannt e-fundus, mit<br />

Urteilen und Beschlüssen der Niedersächsischen<br />

Oberlandesgerichte insgesamt.<br />

Über 4.000 Entscheidungen<br />

sind in der Datenbank veröffentlicht.<br />

Die zuletzt verkündeten werden bereits<br />

beim Start der Datenbank angezeigt.<br />

Alle weiteren lassen sich über die<br />

Suchfunktion recherchieren. Was man<br />

wissen sollte: Bei der Normensuche erfolgt<br />

die Sortierung nach Ziffern, nicht<br />

nach der Gesamtzahl, so steht z. B.<br />

„ZPO § 119 Satz 2“ vor „ZPO § 12“,<br />

§§ 84 ff. HGB erst am Ende des Handelsgesetzbuches.<br />

Die Suchmaske ist<br />

übersichtlich gehalten, ein Blick in den<br />

Hilfetext eröffnet weitere Suchoptionen.<br />

Die Entscheidungen werden in der<br />

Trefferliste mit Gericht, Aktenzeichen,<br />

Datum, Normen, Schlagwörtern und<br />

ggf. mit Leitsatz angezeigt, der Volltext<br />

kann dann geöffnet werden. Es wäre<br />

schön, wenn sich andere Oberlandesgerichte<br />

dieses kostenlose Angebot<br />

„e-fundus“ zum Vorbild nähmen.<br />

Kammergericht.de<br />

Nicht so komfortabel wie in Niedersachsen<br />

lassen sich Urteile des Kammergerichtes<br />

recherchieren. Unter<br />

„Entscheidungen“ ist zunächst die<br />

Auswahl zu treffen, ob Entscheidungen<br />

der Zivil-, Straf-, Kartell- und Vergabe-<br />

oder Notarsenate gesucht werden.<br />

Das ist normalerweise leicht zu<br />

entscheiden, während die anschließende<br />

Einschränkung auf ein bestimmtes<br />

Jahr den Rechercheaufwand<br />

unnötig erhöht. Wenn im Jahr 2007<br />

keine passende Entscheidung gefunden<br />

wird, ist eine neue Suche zu starten<br />

und das Stichwort neu einzugeben.<br />

In der Ergebnisliste wird das Aktenzeichen<br />

angezeigt und die Entscheidung<br />

als PDF-Dokument angeboten.<br />

OLG.Brandenburg.de<br />

Übersichtlicher ist das Angebot des<br />

OLG Brandenburg gestaltet. Zur Wahl<br />

stehen eine chronologische Liste aller<br />

Entscheidungen und die Entscheidungssuche.<br />

Die lange Liste mag interessant<br />

sein, um die aktuellsten Veröf-<br />

LII AnwBl 11 / 2007<br />

fentlichungen einzusehen. Nützlicher<br />

wird meistens aber die Suche sein.<br />

Hier kann sinnvoll nach Aktenzeichen,<br />

Art der Entscheidung, Datum, Volltext<br />

oder Einstellungszeitraum recherchiert<br />

werden. Die Treffer werden nur mit<br />

Aktenzeichen und Datum angezeigt,<br />

ob das Ergebnis passend ist, ist erst<br />

dem dann zu öffnenden PDF-Dokument<br />

zu entnehmen.<br />

SOLG.Saarland.de<br />

Das Saarländische Oberlandesgericht<br />

bietet unter „Aktuelles“ Entscheidungen<br />

und Pressemitteilungen an. Die<br />

Entscheidungen sind über einen Link<br />

auf einer weiteren Unterseite des Landes<br />

(rechtsprechung.saarland.de) zu erreichen.<br />

Hier sind nicht nur Urteile<br />

des Oberlandesgerichtes, sondern die<br />

Urteile verschiedener Gerichte im<br />

Saarland eingestellt. In der angebotenen<br />

Suchmaske kann zwischen Amtsgerichten,<br />

Finanzgericht, Landgericht,<br />

Landessozialgericht, OLG, OVG, Sozialgericht<br />

und Verwaltungsgericht gewählt<br />

werden. Dabei machen die Gerichte<br />

unterschiedlichen Gebrauch von<br />

der Veröffentlichungsmöglichkeit. Insbesondere<br />

das OVG und auch das OLG<br />

sind gut mit aktuellen Entscheidungen<br />

vertreten. Die Suche kann über das Datum,<br />

Aktenzeichen und Stichwort eingegrenzt<br />

werden. In der Trefferliste<br />

werden teilweise die Leitsätze mit angezeigt,<br />

bei Auswahl einer Entscheidung<br />

wird sie im Volltext angezeigt.<br />

Thueringen.de/OLG<br />

Das Thüringer OLG stellt sowohl eine<br />

Leitsatz- als auch eine Entscheidungsdatenbank<br />

zur Verfügung. In der Leitsatzdatenbank<br />

werden fast 7.000 Leitsätze<br />

verfügbar gemacht, zu denen<br />

auch die Volltexte abrufbar sind. Dem<br />

stehen nur etwa 400 Einträge unter<br />

Entscheidungen gegenüber. Die Suchmasken<br />

unterscheiden sich geringfügig.<br />

Die bereits voreingestellten<br />

Rechtsgebiete bei der Suche nach Entscheidungen<br />

ist recht praktisch, weitere<br />

Einschränkungen der Suche erübrigen<br />

sich bei vielen Rechtsgebieten, da<br />

jeweils nicht so viele Ergebnisse erzielt<br />

werden. Demgegenüber ist es schwieriger,<br />

in der Leitsatzdatenbank passende<br />

Treffer zu erzeugen, da hier nur Freitext<br />

in die Suchmaske einzugeben ist.<br />

Hier sind nicht nur Gerichtsentscheidungen,<br />

sondern auch Hinweise auf<br />

Veröffentlichungen in Zeitschriften zu<br />

finden.<br />

Justiz.Sachsen.de/OLG<br />

Das OLG Dresden bietet unter der<br />

Überschrift „Rechtsprechung“ zwei<br />

verschiedene Quellen an. Das eine ist<br />

die Datenbank mit Entscheidungen<br />

des OLG. Hier sind auf einen Blick die<br />

verschiedenen „Themen“ inklusive der<br />

jeweiligen Anzahl der vorhandenen<br />

Entscheidungen ersichtlich. Wenn<br />

zum Berufsrecht nur zwei Entscheidungen<br />

vorhanden sind, erübrigt sich<br />

jede weitere Einschränkung. Die zur<br />

Zeit 125 Entscheidungen zum Allgemeinen<br />

Verfahrensrecht sind hingegen<br />

weiter nach Schwerpunkten unterteilt.<br />

Wenn dann immer noch zu viele Treffer<br />

angezeigt werden, um diese zu<br />

überfliegen, bietet sich die Schnellsuche<br />

oder auch die Profisuche an. Außer<br />

den Entscheidungen des OLG<br />

steht ein Link zur Datenbank der Entscheidungssammlung<br />

sächsischer<br />

Gerichte zum Betreuungs-, Gerichtsvollzieherkosten-<br />

und Zwangsvollstreckungsrecht<br />

zur Verfügung. Bisher<br />

sind es nur wenige Entscheidungen,<br />

aber vielleicht ist ja etwas zur offenen<br />

Frage dabei.<br />

Justiz.RLP.de<br />

Gut erkennbar geht es von der Übersichtsseite<br />

direkt zur Rechtsprechung.<br />

Außer den Oberlandesgerichten<br />

Koblenz und Zweibrücken veröffentlichen<br />

hier auch Amtsgerichte, Landgerichte,<br />

Landesarbeits- und Landessozialgericht,<br />

das OVG und der<br />

Verfassungsgerichtshof. Ein Sachgebiet<br />

kann aus einer Liste gewählt<br />

werden, weitere Einschränkungen der<br />

Suche über das Datum, Aktenzeichen<br />

und Volltextsuche sind möglich.<br />

Für das <strong>Anwaltsblatt</strong> im<br />

Internet: Rechtsanwältin<br />

Isa von Koeller<br />

Sie erreichen die<br />

Autorin über<br />

anwaltsblatt@<br />

anwaltverein.de.


MNBücher & Internet<br />

Europarecht<br />

Vorschriftensammlung<br />

Europarecht<br />

von Manfred Matjeka/Peter<br />

Reich/ Christian Welz; 5. Aufl.;<br />

Stuttgart: Boorberg, 2007; 870<br />

S.; kart.; 978-3-415-03833-2;<br />

26,80 E.<br />

Abgedruckt sind der EG-Vertrag und der<br />

EU-Vertrag. Hinzu kommen die zugehörigen<br />

Protokolle, die Grundrechte-<br />

Charta der EU und die Europäische<br />

Menschenrechtskonvention. Besonderen<br />

Wert haben die Herausgeber auf die<br />

Auswahl des Sekundärrechts (Verordnungen<br />

und Richtlinien) gelegt. Enthalten<br />

sind außerdem die für das Europarecht<br />

wichtigsten nationalen deutschen<br />

Regelungen, u. a. Auszüge aus dem<br />

Grundgesetz und das Freizügigkeitsgesetz.<br />

Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis<br />

erleichtert den Zugang.<br />

Strafrecht<br />

Strafgesetzbuch und<br />

Nebengesetze<br />

erl. von Herbert Tröndle, fortgef.<br />

und neu bearb. von Thomas<br />

Fischer; 54. Aufl.; München:<br />

C. H. Beck, 2006; LII, 2.470 S.,<br />

in Leinen; 978-3-406-55477-3;<br />

70,00 E.<br />

Der „Tröndle-Fischer“ gehört zu den<br />

Kommentar-Klassikern im Strafrecht.<br />

Er ist und bleibt eine verläßliche Hilfe<br />

für jeden Praktiker. Literatur und Rechtsprechung<br />

sind umfassend ausgewertet<br />

worden und die gewohnt prägnanten<br />

Darstellungen fortgeschrieben. Der<br />

Kommentar orientiert sich pragmatisch<br />

an der Strafrechtspraxis und scheut<br />

auch deutliche Aussagen nicht. Die<br />

neue Auflage berücksichtigt u. a. das<br />

Gesetz über den Europäischen Haftbefehl<br />

und umfasst mehr als 450 höchstund<br />

obergerichtliche Entscheidungen.<br />

Zivilrecht<br />

Schiedsgericht und<br />

Schiedsverfahren<br />

Rolf A. Schütze; 4. neu bearb.<br />

und erw. Aufl.; München: C. H.<br />

Beck, 2007; 315 S., kart.; NJW<br />

Praxis; 978-3-406-54529-0;<br />

42,00 E.<br />

Außergerichtliche Verfahren der Konfliktbeilegung<br />

werden immer populärer.<br />

Und es gibt nicht nur die Mediation.<br />

Das Werk erläutert die<br />

Grundlagen des Schiedsverfahrens,<br />

stellt die Beteiligten am Verfahren vor,<br />

schildert den Gang des Schiedsverfahrens<br />

und setzt sich mit der Vollstreckbarkeit<br />

der Schiedssprüche auseinander.<br />

Die Neuauflage wurde komplett<br />

überarbeitet und bietet nun erstmals einen<br />

kleinen Formularteil (z. B. einen<br />

Schiedsrichtervertrag und Schiedsauftrag).


MNSchlussplädoyer<br />

Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />

Rechtsanwalt Werner Leitner aus<br />

München ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht. Er ist seit<br />

1989 Rechtsanwalt, seit 1997 Fachanwalt<br />

für Strafrecht und Namenspartner<br />

einer Strafverteidigersozietät.<br />

Seine Schwerpunkte liegen auf dem<br />

Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts. Er<br />

ist Mitglied im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>,<br />

weil für einen Strafverteidiger<br />

Bürger- und Freiheitsrechte besondere<br />

Bedeutung haben und der DAV als<br />

Verband und insbesondere die Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht mit ihren<br />

mehr als 3.200 Mitgliedern dafür besonders<br />

eintreten.<br />

LVI AnwBl 11 / 2007<br />

Warum sind Sie Anwalt geworden?<br />

Ich wollte Diplomat werden. Doch<br />

als Assistent von Rolf Bossi hat<br />

mich dann das Strafrecht gefangen<br />

genommen. Die Unterschiede sind<br />

übrigens gar nicht so groß, wie sie<br />

erscheinen.<br />

Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />

zurückzugeben?<br />

Heute nicht mehr, mein Taxischein<br />

für München ist 1991 abgelaufen.<br />

Ihr größter Erfolg als Anwalt?<br />

Die wirklich großen aktuellen – und<br />

es gibt einige! – sind nur wenigen<br />

Eingeweihten bekannt und das<br />

muss auch so bleiben. Aber immer<br />

wenn sich Strafrecht und Politik<br />

berühren, wird es spannend.<br />

Ihr Stundensatz?<br />

Ein Strafverteidiger muss immer<br />

aufs Honorar schauen, damit er<br />

nicht immer aufs Honorar schauen<br />

muss.<br />

Ihr Traummandat?<br />

George W. Bush wegen Guantanamo<br />

vor dem Internationalen<br />

Gerichtshof.<br />

Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />

nicht nachsagen?<br />

Er war klasse, hätte er bloß früher<br />

aufgehört.<br />

Welches Lob wünschen Sie sich von<br />

einem Mandanten?<br />

Sie waren klasse, gut dass Sie nicht<br />

früher aufgehört haben.<br />

Mitglieder Service<br />

DAV-Haus<br />

Littenstr. 11, 10179 Berlin<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />

dav@anwaltverein.de,<br />

www.anwaltverein.de<br />

Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />

www.anwaltsblatt.de<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11<br />

daa@anwaltakademie.de<br />

www.anwaltakademie.de<br />

Deutsche Anwaltadresse<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />

adresse@anwaltverein.de<br />

DAV-Anwaltausbildung<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />

anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />

www.dav-anwaltausbildung.de<br />

Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />

Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />

DAV Büro Brüssel<br />

Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />

bruessel@anwaltverein.de,<br />

www.anwaltverein.de/bruessel<br />

<strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag<br />

Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />

Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />

kontakt@anwaltverlag.de,<br />

www.anwaltverlag.de<br />

anwaltsauskunft.de<br />

Die Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e sind<br />

automatisch im Datenbestand der Deutschen Anwaltauskunft<br />

verzeichnet. Der neue Internetauftritt<br />

unter anwaltauskunft.de bietet allerdings nicht mehr<br />

nur lediglich eine Anwaltsuche an, sondern vielfältige<br />

Informationen rund um das Thema Recht. Dadurch<br />

wird die Seite insgesamt für den Besucher attraktiver<br />

und die Hemmschwelle für den Kontakt zum Anwalt<br />

sinkt.

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