(729-800) (2,6 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />
Aufsätze<br />
Busse: Reform von BORA + FAO <strong>729</strong><br />
Kleine-Cosack: „Doc Morris“ für Anwälte 737<br />
Römermann: UWG statt BRAO + BORA 744<br />
Kommentar<br />
Streck: Satzungsversammlung 754<br />
Thema<br />
Satzungsversammlung: Wahlergebnisse 755<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Europatag der Freien Verbände 759<br />
Mitteilungen<br />
N. Schneider: Streitwertfragen 773<br />
Mayer: RVG-Gebühren im Erfolgsfall 780<br />
Rechtsprechung<br />
BFH: Versicherungsbeiträge als Lohn 790<br />
BGH: Briefkopf „& Kollegen“ 790<br />
OLG München: Keine Anrechnung<br />
der Geschäftsgebühr 797<br />
11/2007<br />
November <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag
MNEditorial<br />
Die Rede ist im Heft – neben der Fülle<br />
anderer Hinweise und Informationen –<br />
vor allem von der Satzungsversammlung<br />
und vom Berufsrecht. Vom Berufsrecht<br />
ist angesichts der sich stapelnden<br />
ungelösten Fragen (z. B.<br />
Fremdbeteiligung im anwaltlichen Gesellschaftsrecht,<br />
Michael Kleine-Cosack,<br />
Seite 737 in diesem Heft; Anwalts-<br />
Ltd?, Oliver L. Knöfel, Seite 742) immer<br />
zu handeln, von der Satzungsversammlung<br />
jedenfalls dann, wenn eine Legislatur<br />
anfängt (zu Statistik und Mitgliedern<br />
Manfred Aranowski, Seite 755).<br />
Das ist ein trefflicher Zeitpunkt, um<br />
vielen neuen Mitgliedern (74) und auch<br />
den alten (84) Ermunterndes und<br />
Nachdenkliches zuzurufen. Sie werden<br />
am 18. Januar 2008 erstmals zusammentreten.<br />
Felix Busse gibt ab Seite <strong>729</strong> einen<br />
ausgreifenden Rückblick auf die Arbeit<br />
der Satzungsversammlung seit deren<br />
Anfang 1995 und bezeichnet sehr genau<br />
deren künftiges Arbeitsprogramm<br />
und die Methodik, mit der es bewältigt<br />
werden könnte. Sicher ist solches Gelingen<br />
nicht. Es bedarf einer Besinnung<br />
und einer neuen Orientierung.<br />
In der Satzungsversammlung leuchtet<br />
zwar alles, was an anwaltlicher Selbstverwaltung<br />
über den bloßen Verwaltungsvollzug<br />
durch Berufsangehörige<br />
hinaus die anwaltliche Seele bewegt.<br />
Die Satzungsversammlung wurde 1995<br />
für selbstverständlich und sogar unverzichtbar<br />
gehalten. Inzwischen hat sich<br />
aber herausgestellt, dass ihr normativer<br />
Aktionsradius entgegen gehegter Erwartung<br />
im Einklang mit den Grundsätzen<br />
des deutschen Verfassungs- und<br />
Verwaltungsrechts doch recht dürftig<br />
ist. So kam es zu den Flauten in den<br />
Ermunterndes und Nachdenkliches<br />
Dr. Peter Hamacher, Köln<br />
Rechtsanwalt,<br />
Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />
Legislaturen 2 und 3. Wenigstens schuf<br />
man eine große Zahl neuer Fachanwaltschaften,<br />
denen aber nach wie<br />
vor kein stimmiges Konzept zugrunde<br />
liegt. Außerdem kann man sie bald nur<br />
noch verwalten (Benno Heussen, Seite<br />
766, spricht das an), wenn man einen<br />
Fachanwalt für den Fachanwalt hat.<br />
Ob als weitere Legitimationsgrundlage<br />
für die Satzungsversammlung die<br />
gesellige, informative, kurzweilige Diskussion<br />
und Information in Betracht<br />
kommt (Michael Streck, Seite 754), ist<br />
offen. Diskussions- und Informationsforen,<br />
die die Anwaltschaft zweifellos<br />
braucht, gehören eher zu Artikel 9 GG<br />
als zu einem zweckgebundenen autonomen<br />
Organ sui generis des öffentlichen<br />
Rechts, dem auch ohne weiteres<br />
keine DAV und BRAK überhöhende<br />
Funktion für die Herstellung von „Geschlossenheit“<br />
(Felix Busse, Seite 734)<br />
zukommt. Hierfür bedürfte es ohne<br />
Eingriff des Gesetzgebers wenigstens<br />
der „gewohnheitsrechtlichen“ Weiterentwicklung<br />
der normativen Instrumente,<br />
ein Verfahren, dass im Recht<br />
der freien Berufe erstaunlicherweise<br />
immer noch am Werk ist, bis es dem<br />
Bundesverfassungsgericht jeweils zu<br />
bunt wird.<br />
Volker Römermann (Seite 744) verneint<br />
die Notwendigkeit eines besonderen<br />
anwaltlichen Werberechts. Das<br />
meint der DAV auch in seinem Vorschlag<br />
zur Neuregelung der BRAO aus<br />
dem Jahr 2006 (jetzt aktualisiert in<br />
AnwBl 2007, 682, 684). Es wird angeregt,<br />
§ 43 b BRAO ersatzlos zu streichen.<br />
Was man sich 1994 nicht vorstellen<br />
konnte, nämlich ein Berufsrecht<br />
ohne besondere Regeln zur Werbung,<br />
hat sich in gut 10 Jahren aufgrund ei-<br />
ner intensiven Rechtsprechungslinie<br />
als vernünftig herausgestellt. Das<br />
UWG reicht aus zur Regelung der Außendarstellung<br />
des Rechtsanwalts. Es<br />
entfällt so natürlich mit den zwangsläufig<br />
entbehrlichen §§ 6 bis 10 BORA<br />
ein markantes Arbeitsfeld der Satzungsversammlung.<br />
So ist es mit vielen in § 59 b BRAO<br />
versammelten Regelungsgegenständen,<br />
z. B. der Interessenkollision, deren Regelung<br />
(§ 3 Abs. 2 BORA) Wolfgang<br />
Hartung (Seite 752) neben einer Anzahl<br />
weiterer Normen der BORA als reparaturbedürftig<br />
bezeichnet. Das gilt auch<br />
für die von Volker Hagemeister (Seite<br />
748) angesprochene Schweigepflicht<br />
bei der Werbung. – Unglaublich spannend<br />
ist das alles.<br />
AnwBl 11 / 2007 I
Editorial<br />
I Ermunterndes und Nachdenkliches<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />
Berichte aus Berlin und Brüssel<br />
IV Raue Zeiten in Berlin<br />
Stefan Schnorr, Berlin<br />
VI Syndikusanwälte: Rückschritt durch<br />
Akzo Nobel-Urteil<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
VIII Informationen<br />
Aufsätze<br />
<strong>729</strong> Die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer:<br />
Was bleibt zu tun?<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Troisdorf<br />
737 Gesellschaftsrecht der freien Berufe<br />
auf dem Prüfstand<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />
742 Zulassung einer „Anwalts-Ltd.“<br />
als Rechtsanwaltsgesellschaft?<br />
Dr. Oliver L. Knöfel, Hamburg<br />
744 Das UWG – besser als das anwaltliche<br />
Werberecht<br />
Rechtsanwalt Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />
748 Schweigepflicht und Anwaltswerbung<br />
Rechtsanwalt Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />
752 Reparaturbedarf in der BORA –<br />
und eine gewollte Lücke<br />
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />
Kommentar<br />
754 Langeweile zu Tode oder Kurzweile<br />
der Kommunikation<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />
Thema<br />
755 Jünger, weiblicher und zwei Drittel wählen nicht:<br />
Die Ergebnisse der Wahlen zur vierten<br />
Satzungsversammlung<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
II AnwBl 11 / 2007<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 57, 11 / 2007<br />
Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Gastkommentar<br />
758 Der Fall Ermyas M. – ein (selbst-)kritischer<br />
Rückblick<br />
Frank Bräutigam, SWR Fernsehen, Karlsruhe<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig<br />
(Leitung)<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
759 Europatag der Freien Verbände<br />
761 DAV-Pressemitteilung: Syndikusanwälte<br />
761 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
762 AG Mietrecht und Immobilien: Doppeljubiläum<br />
763 Landesverband Hessen: Parlamentarischer Abend<br />
764 6. Landesanwaltstag Sachsen-Anhalt<br />
764 Landesverbandskonferenz 2007<br />
764 AV Freiburg: 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte<br />
765 Deutsche Anwaltakademie: 3. Pferderechtstag<br />
765 Personalien: Neue Vorsitzende / Ehrennadel<br />
verliehen / Auszeichnung von Anwälten<br />
Meinung & Kritik<br />
766 Demnächst: Fachanwalt für<br />
Rechtsdurchsetzung?“<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Mitteilungen<br />
Strafprozessrecht<br />
767 Keine Überwachung<br />
der mandatsinternen Kommunikation<br />
DAV-Stellungnahme Nr. 41/2007<br />
Anwaltrecht<br />
769 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter<br />
Rechtsanwalt Dr. Thomas Sassenberg, Gießen und<br />
Rechtsanwalt Thilo Schulz, Berlin<br />
Anwaltsvergütung<br />
773 Der Steitwert muss stimmen<br />
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />
780 Das Erfolgshonorar – was heute schon möglich ist<br />
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />
RVG-Frage des Monats<br />
782 Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr<br />
anrechnen?<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Soldan Institut<br />
783 Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen<br />
Prof. Dr. Christoph Hommerrich, Bergisch Gladbach und<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln
Bücherschau<br />
785 Anwaltsrecht<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Haftpflichtfragen<br />
787 Der Rechtsanwalt als Treuhänder –<br />
ein unterschätztes Risiko<br />
Rechtsanwalt Jo Müller, München<br />
Rechtsprechung<br />
Anwaltsrecht<br />
790 BFH: Versicherungsbeiträge als Arbeitslohn<br />
790 BGH: Briefkopfgestaltung bei<br />
Kanzleinamen „& Kollegen“<br />
791 AGH Celle: Keine Schein-Sozietät<br />
mit „Dipl.-Ökonom“<br />
793 AGH Rheinland-Pfalz: Bearbeitungsdauer<br />
für Verleihung des Fachanwaltstitels<br />
794 AGH Berlin: Englische „Limited“ als<br />
deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
794 OLG Düsseldorf: Erstberatung im Café<br />
Anwaltshaftung<br />
795 BGH: Fristverlängerung als „Holschuld“<br />
796 BGH: Fristenkalender<br />
Anwaltsvergütung<br />
797 OLG München: Keine Anrechnung der<br />
Geschäftsgebühr<br />
799 BGH: Keine Streitwerterhöhung durch<br />
anwaltliche Geschäftsgebühr<br />
Prozesskostenhilfe<br />
<strong>800</strong> OLG Nürnberg: Auswärtiger Anwalt<br />
<strong>800</strong> Fotonachweis, Impressum<br />
LI <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag aktuell<br />
LII Bücher & Internet<br />
LIV Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />
Schlussplädoyer<br />
LVI Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service
MNBericht aus Berlin<br />
Raue Zeiten in<br />
Berlin<br />
Die Debatte um die Innere Sicherheit<br />
wird zunehmend zu einer Belastungsprobe<br />
für die Große Koalition.<br />
Die Union wird nicht müde, ständig<br />
vor neuen Terrorgefahren zu warnen<br />
und immer wieder neue Gesetzesverschärfungen<br />
zu fordern – sehr zum<br />
Verdruss des Koalitionspartners SPD,<br />
der dies als Panikmache kritisiert und<br />
zur Besonnenheit in der Innen- und<br />
Rechtspolitik aufruft.<br />
Krach im Bundestag<br />
Wie sehr es bei dem Thema nicht nur<br />
hinter den Kulissen rumort, zeigte eine<br />
scharfe Auseinandersetzung im Bundestag.<br />
Dort ging es um die Warnung<br />
von Bundesinnenminister Schäuble<br />
(CDU) vor der Gefahr eines Terrorangriffs<br />
mit Atommaterial und die<br />
Ankündigung von Verteidigungsminister<br />
Jung (CDU), er würde den rechtswidrigen<br />
Befehl zum Abschuss eines<br />
Passagierflugzeuges geben, wenn es als<br />
Waffe eingesetzt werden soll. Nicht nur<br />
die Opposition rügte die Minister deshalb<br />
in ungewohnt scharfer Form, die<br />
FDP bezeichnete etwa Schäuble als<br />
Nostradamus unserer Zeit.<br />
In einer Aktuellen Stunde bezeichnete<br />
selbst SPD-Innenexperte Benneter<br />
Schäubles Panikmacherei als „verrückt,<br />
absurd und abwegig“. Und SPD-Fraktionsvize<br />
Körper hielt dem Minister vor,<br />
er erzeuge mit seinen Warnungen nur<br />
Beunruhigung in der Bevölkerung. Der<br />
Chef der CDU/CSU-Fraktion verließ<br />
danach aus Protest sogar demonstrativ<br />
den Plenarsaal. Die Stimmung in der<br />
Koalition hatte zwischenzeitlich einen<br />
„Tiefpunkt erreicht, der nicht mehr unterschritten<br />
werden könne“, wie der<br />
stellvertretende Unionsfraktionsvize<br />
Bosbach in der Presse erklärte. Vizekanzler<br />
Müntefering (SPD) sagte, Jung<br />
und Schäuble hätten „eine rote Linie<br />
überschritten“. Ein wahrlich nicht üblicher<br />
Umgangston zwischen Koalitionspartnern.<br />
Nun mussten die beiden Parteivorsitzenden<br />
ran. SPD-Chef Beck<br />
rief zur Mäßigung auf; man dürfe sich<br />
das Leben nicht gegenseitig schwer machen.<br />
Und Bundeskanzlerin Merkel<br />
forderte alles zu vermeiden, was zur<br />
Verunsicherung der Bevölkerung<br />
führe.<br />
IV AnwBl 11 / 2007<br />
Dissens in der Koalition<br />
An den großen Unterschieden zwischen<br />
Union und SPD bei der Frage,<br />
was zum Schutz der Inneren Sicherheit<br />
erforderlich ist, ändert das freilich<br />
nichts. Nach wie vor fordert die Union<br />
etwa eine Grundgesetzänderung zum<br />
Einsatz der Bundeswehr im Innern. Sie<br />
beharrt auf der Onlinedurchsuchung,<br />
also der staatlich eingesetzten PC-<br />
Wanze, die bei Rechtspolitikern nahezu<br />
unisono auf Ablehnung stößt. Und was<br />
die Union gegen den Willen der SPD<br />
nicht im Bundeskabinett durchsetzen<br />
kann, versucht sie über ihre Mehrheit<br />
im Bundesrat zu erreichen. Ein Unterfangen,<br />
das Kanzlerin Merkel bislang<br />
noch dem Koalitionsfrieden zuliebe in<br />
Grenzen halten konnte. Aber die bevorstehenden<br />
Landtagswahlen in Hessen<br />
und Niedersachsen, bei denen SPD<br />
und Union als Kontrahenten antreten,<br />
dürften einer Konfliktvermeidung nicht<br />
gerade dienlich sein.<br />
Verschärfungen im Strafgesetzbuch<br />
Nun hat auch Bundesjustizministerin<br />
Zypries (SPD) ein Maßnahmenpaket<br />
für neue strafrechtliche Regelungen<br />
präsentiert. Mit ihren Eckpunkten will<br />
sie ihren Aussagen zufolge die Balance<br />
zwischen Freiheit und Sicherheit wahren;<br />
genau das nämlich spricht die<br />
SPD der Union ab. Und so kann das<br />
Vorpreschen der sozialdemokratischen<br />
Ministerin auch als Abgrenzung gegenüber<br />
dem Koalitionspartner gedeutet<br />
werden.<br />
In einem neuen § 89a StGB sollen<br />
nach Zypries Vorschlag künftig die<br />
Ausbildung und das Sich-Ausbilden-<br />
Lassen in einem Terrorcamp mit Freiheitsstrafe<br />
von sechs Monaten bis zu<br />
zehn Jahren bestrafen werden können.<br />
Den Betroffenen muss aber eine terroristische<br />
Absicht nachgewiesen werden.<br />
Erfasst werden sollen auch die Herstellung<br />
oder Beschaffung von Waffen<br />
oder Stoffen (wie u.a. Chemikalien) zur<br />
Ausführung einer Straftat. Und ferner<br />
soll bestraft werden, wer Geldmittel für<br />
einen Terroranschlag zur Verfügung<br />
stellt oder dafür Geld sammelt – sei es<br />
für den Kauf von Waffen, die Anmietung<br />
einer Wohnung oder die Buchung<br />
eines Flugtickets. Ferner soll nach dem<br />
Vorschlag der Bundesjustizministerin<br />
in einem neuen § 91 StGB die Anleitung<br />
zu einer Gewalttat mit bis zu drei<br />
Jahren Haft bestraft werden. Erfasst<br />
werden sollen dabei das Verbreiten,<br />
Anpreisen oder Beschaffen von terro-<br />
ristischen „Anleitungen“, auch das<br />
Herunterladen im Internet. Für Ermittlungen<br />
wegen dieser Taten sollen<br />
Durchsuchungen, Beschlagnahme,<br />
Wohnraum- oder Telefonüberwachung<br />
möglich sein. In bestimmten Fällen<br />
soll der Generalbundesanwalt die Strafverfolgung<br />
übernehmen können. Ferner<br />
soll das Aufenthaltsrecht geändert<br />
werden, um Ausländer, die wegen solcher<br />
Taten verdächtig sind, ausweisen<br />
oder an der Wiedereinreise nach<br />
Deutschland hindern zu können.<br />
Weiterer Streit vorprogrammiert<br />
Zypries Forderungen nach der Strafbarkeit<br />
des Besuchs von Terrorcamps sind<br />
freilich nicht neu – genau dazu hatte<br />
das Land Hessen kurz zuvor einen Gesetzentwurf<br />
im Bundesrat eingebracht,<br />
der allerdings nicht den Nachweis einer<br />
terroristischen Absicht verlangt. Die<br />
Union kritisierte denn auch prompt<br />
den Ansatz der Ministerin als völlig unzureichend,<br />
da man eine solche Absicht<br />
nur schwer nachweisen könne. Bestraft<br />
werden müsse vielmehr auch, wer sich<br />
in einem Terrorcamp gezielt zu Terrorhandlungen<br />
ausbilden lasse, aber erst<br />
nach seiner Rückkehr mit konkreten<br />
Anschlagsplanungen beginne.<br />
Und so wurde der Zypries-Vorstoß<br />
von einigen Kommentatoren als einer<br />
der wenigen konstruktiven Beiträge zur<br />
Sicherheitsdebatte bewertet und von<br />
anderen als großkoalitionäre Pflichtübung,<br />
gerade so viel, um sich nicht<br />
angreifbar zu machen. Überdies fordern<br />
Teile der Union, auch die Strafbarkeit<br />
der so genannten Sympathiewerbung<br />
für terroristische Vereinigungen<br />
wieder einzuführen, die vor fünf Jahren<br />
unter rot-grün abgeschafft worden<br />
war. Seit dem sind nur noch das Anwerben<br />
von Mitgliedern und die Unterstützung<br />
von Terror-Gruppen strafbar.<br />
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren<br />
dürfte es also noch manche Kontroverse<br />
geben.<br />
Stefan Schnorr,<br />
Berlin<br />
Der Autor ist Leitender<br />
Ministerialrat und Leiter<br />
des Referats Justiz der<br />
Vertretung des Landes<br />
Rheinland-Pfalz beim<br />
Bund und der<br />
Europäischen Union.
MNBericht aus Brüssel<br />
Syndikusanwälte:<br />
Rückschritt durch<br />
Akzo Nobel-Urteil<br />
Das Europäische Gericht Erster Instanz<br />
(EuG) hat am 17. September 2007 sein<br />
Urteil in der Rechtssache Akzo-Nobel<br />
(T-125/03; T 253/03) verkündet. Über<br />
den Verlauf der mündlichen Verhandlung<br />
hatte das <strong>Anwaltsblatt</strong> im Bericht<br />
aus Brüssel in der Ausgabe August/<br />
September (Heft 8+9/2007) berichtet.<br />
Das EuG hat es abgelehnt, Syndikusanwälten<br />
denselben Schutz des<br />
Berufsgeheimnisses zu gewähren wie<br />
anderen Rechtsanwälten. Zwar entschied<br />
das EuG, dass die Kommission<br />
durch die Untersuchung im konkreten<br />
Fall gegen das „Legal Professional Privilige“<br />
(LPP) verstoßen hat, da sie nicht<br />
berechtigt ist, in Streit stehende Dokumente<br />
auch nur kursorisch zu lesen.<br />
Erfreulich hierbei ist, dass das Gericht<br />
die Bedeutung des LPP für den Rechtsstaat<br />
stärkt und auch lediglich vorbereitende<br />
Dokumente als vom Berufsgeheimnis<br />
gedeckt ansieht, sofern<br />
diese zwecks Einholung von Rechtsrat<br />
bei einem externen Rechtsanwalt erstellt<br />
wurden. Allerdings erteilt das<br />
EuG der Ausweitung der LPP auf Syndikusanwälte<br />
– bei Untersuchungen<br />
der Kommission – eine Absage.<br />
Keine Änderung der deutschen Rechtslage<br />
Wichtig ist zunächst festzuhalten, dass<br />
die Bewertung des Gerichts Erster Instanz<br />
nichts an der berufsrechtlichen<br />
Bewertung der Syndikusanwälte nach<br />
deutschem Recht ändert. Stehen also<br />
nicht Untersuchungen der Europäischen<br />
Kommission, sondern deutscher<br />
Ermittlungsbehörden an, kann sich<br />
auch ein Syndikusanwalt auf sein Mandat<br />
berufen. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
der Syndikusanwälte im DAV und auch<br />
die politischen Entscheidungsorgane<br />
des Verbands vertreten seit vielen Jahren<br />
die Auffassung, dass nach deutschem<br />
Berufsrecht anwaltliche Tätigkeit<br />
auch dann vorliegt, wenn ein<br />
angestellter Anwalt für ein Unternehmen,<br />
bei dem er angestellt ist, rechtsgestaltende,<br />
rechtsberatende oder<br />
rechtsentscheidende Tätigkeit erbringt.<br />
Insofern gelten auch Verschwiegenheitsrecht<br />
und -pflicht sowie die Pflicht<br />
zur Vermeidung jedweder Interessen-<br />
VI AnwBl 11 / 2007<br />
kollision. So sind Syndikusanwälte in<br />
der Sache des Rechts unabhängig.<br />
Deutsche Gerichte der unteren Instanzen<br />
haben das Privileg in verschiedenen<br />
Entscheidungen gewährt, es gibt<br />
noch keinen höchstrichterlichen Richterspruch.<br />
Die ablehnende Entscheidung des<br />
EuG ist unter anderem – leider muss<br />
man sagen – darauf zurückzuführen,<br />
dass sich die verschiedenen Anwaltsorganisationen<br />
in Europa nicht auf ein<br />
europäisches Syndikusanwaltsbild einigen<br />
können. Das EuG stellt fest, dass<br />
nur einige Mitgliedstaaten – wie auch<br />
Deutschland – Syndikusanwälte als<br />
Rechtsanwälte zulassen. Andere Mitgliedstaaten<br />
tun das nicht. Da die Anerkennung<br />
des Berufsgeheimnisses für<br />
Syndikusanwälte eine Beschränkung<br />
der Untersuchungsrechte der Kommission<br />
bedeuten würde, sah sich das Gericht<br />
letztlich außer Stande von der<br />
Rechtssprechung des EuGH in AM&S<br />
(Rs 155/79) abzuweichen.<br />
Hier liegt jedoch eine der Schwachstellen<br />
des Urteils. Zur Begründung<br />
warum die Ausweitung des Berufsgeheimnisses<br />
auf Syndikusanwälte<br />
nicht möglich ist, verweist das Gericht<br />
pauschal auf die AM&S-Entscheidung.<br />
Dort hatte der EuGH festgelegt, dass<br />
nur externe Rechtsanwälte unabhängig<br />
sind. Es wird auf die dort gefundene<br />
Definition der Unabhängigkeit Bezug<br />
genommen, ohne zu erläutern, was<br />
Unabhängigkeit inhaltlich bedeutet<br />
und warum beispielsweise die Funktion<br />
des „Mitgestalters der Rechtspflege“<br />
nicht auch durch den Syndikusanwalt<br />
erfüllt werden kann. Das EuG<br />
scheut sich damit, zu einer echten Definition<br />
von Unabhängigkeit zu kommen,<br />
die der Tatsache Rechnung trägt,<br />
dass sich nicht nur die rechtliche, sondern<br />
auch die tatsächliche Stellung des<br />
Rechtsanwalts seit AM&S geändert hat.<br />
Es war dem Gericht überdies nicht<br />
möglich, dem Vorschlag des Rates der<br />
Europäischen Anwaltschaften zu folgen,<br />
der lautete, die Beurteilung der<br />
Anwendbarkeit des Berufsgeheimnisses<br />
nach dem jeweiligen nationalen Berufsrecht<br />
des Rechtsanwalts zu richten.<br />
Dem stünde die Notwendigkeit einer<br />
einheitlichen Anwendung der Untersuchungsrechte<br />
der Kommission entgegen.<br />
Insgesamt ist es zu bedauern, dass<br />
der Grundsatz der einheitlichen Anwendung<br />
der Untersuchungsbefugnisse<br />
der Kommission über den Schutz<br />
der Grundrechte gestellt wird. Das Ge-<br />
richt nimmt hier nur eine sehr kursorische<br />
Prüfung der Grundrechte vor<br />
(siehe zu diesem Thema den Beitrag<br />
von Eichler/Peukert zur „Vertraulichkeit<br />
der Rechtsberatung durch Syndikusanwälte<br />
und EMRK“, AnwBl<br />
2002, 189, auch unter www.syndikus<br />
anwaelte.de, Rubrik „Texte“).<br />
Wie geht es weiter?<br />
Gegen die Entscheidung kann innerhalb<br />
von zwei Monaten ein Rechtsmittel<br />
beim EuGH eingelegt werden. Ob<br />
Akzo Nobel oder einer der Nebenintervenienten<br />
von dieser Möglichkeit Gebrauch<br />
machen wird, entscheidet sich<br />
in den kommenden Wochen. Der Geschäftsführende<br />
Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />
führt in diesem Zusammenhang<br />
Gespräche mit am Verfahren<br />
beteiligten Rechtsanwälten. Unter dem<br />
Titel „Die Akzo Nobel-Entscheidung –<br />
Auf der Seite der Freiheit?“ wird das<br />
Thema auf dem vom 9. bis 11. November<br />
2007 in Berlin stattfindendenden<br />
Syndkikusanwaltstag diskutiert werden.<br />
Satzungsversammlung:<br />
CCBE Berufsregeln umsetzen<br />
Die neu gewählte 4. Satzungsversammlung<br />
wird sich gleich zu Anfang auch<br />
mit europäischen Themen beschäftigen<br />
müssen. Ganz konkret geht es um die<br />
Einbeziehung der Berufsregeln des Rates<br />
der Europäischen Anwaltschaften<br />
(CCBE) in das deutsche Recht. § 29<br />
BORA enthält einen statischen Verweis<br />
auf die CCBE-Berufsregeln in der Fassung<br />
vom 28. November 1998. Seit dieser<br />
Zeit sind die Berufsregeln 2002<br />
und 2006 mehreren Änderungen unterlaufen,<br />
die noch nicht in das deutsche<br />
Berufsrecht umgesetzt sind. Auch<br />
hinsichtlich der Dienstleistungsrichtlinie<br />
wird die Satzungsversammlung<br />
gefordert sein, die Regelungen der<br />
BORA an der Richtlinie zu messen.<br />
Eva Schriever,<br />
LL. M., Berlin/<br />
Brüssel<br />
Die Autorin ist Rechtsanwältin<br />
und Geschäftsführerin<br />
des DAV.
MNInformationen<br />
Rechtsdienstleistungsgesetz<br />
____________________________________<br />
<strong>Deutscher</strong> Bundestag<br />
verabschiedet RDG<br />
Die Reform des Rechtsberatungsrechts<br />
ist durch den Bundestag: In 3. Lesung<br />
verabschiedeten die Abgeordneten am<br />
11. Oktober 2007 das Rechtsdienstleistungsgesetz.<br />
Zuvor hatte der Rechtsausschuss<br />
des Bundestags noch eine<br />
Reihe von Änderungen in dem Regierungsentwurf<br />
beschlossen. Gestrichen<br />
wurde unter anderem die für die<br />
BRAO vorgesehene Regelung zur beruflichen<br />
Zusammenarbeit von Anwälten<br />
mit anderen „vereinbaren“ Berufen.<br />
Die jetzige Fassung des RDG greift<br />
viele Forderungen des DAV auf. Mit einem<br />
Einspruch des Bundesrats wird in<br />
Berlin nicht gerechnet. Bei einer<br />
Verkündung des Gesetzes im Dezember,<br />
wird die Reform zum 1. Juli 2008<br />
in Kraft treten.<br />
Anwaltsrecht<br />
____________________________________<br />
Erleichterte Abtretung von<br />
Honorarforderungen<br />
Verbot der Sternsozietät fällt<br />
Die BRAO bleibt eine Baustelle: Nach<br />
den Änderungen der BRAO zum 1. Juni<br />
2007 wird die BRAO im Zuge der Verabschiedung<br />
des Rechtsdienstleistungsgesetz<br />
erneut angepasst. Der Bundestag<br />
beschloss am 11. Oktober 2007 in<br />
3. Lesung, das die Abtretung von anwaltlichen<br />
Honorarforderungen erleichtert<br />
werden soll. Sie ist zukünftig<br />
mit ausdrücklicher, schriftlicher Zustimmung<br />
des Mandanten zulässig.<br />
Außerdem fällt das Verbot der Sternsozietät<br />
in § 59e Abs. 2 BRAO. Anwälte<br />
können damit mehreren Berufsausübungsgemeinschaften<br />
angehören. Gestrichen<br />
wird auch § 59a Abs. 2 BRAO.<br />
Die Vorschrift ist mit dem Wegfall des<br />
Zweigstellenverbots obsolet. Auch Sozietäten<br />
können seit dem 1. Juni 2007<br />
Zweigstellen haben. Mit einem Einspruch<br />
des Bundesrats gegen das Gesetz<br />
wird in Berlin nicht gerechnet.<br />
Diese Änderungen der BRAO werden<br />
am Tag nach der Verkündung in Kraft<br />
treten. 2008 steht dann die Reform des<br />
Verbots des Erfolgshonorars an. Die<br />
Umsetzungsfrist des Bundesverfassungsgerichts<br />
endet am 30. Juni 2008.<br />
Universität Hannover<br />
____________________________________<br />
Erfolgshonorar nicht nur<br />
für Sozialfälle<br />
Verfassungsrichter erläutert<br />
Beschluss des BVerfG<br />
Die Lockerung des strikten Verbots des<br />
Erfolgshonorars soll sich nicht nur auf<br />
Sozialfälle beziehen: „Die Entscheidung<br />
des Bundesverfassungsgerichts<br />
geht von einem flexiblen Maßstab aus“,<br />
erläuterte Dr. Reinhard Gaier, Richter<br />
des Bundesverfassungsgerichts und Berichterstatter<br />
in dem Verfahren zum<br />
Erfolgshonorar (BVerfG, AnwBl 2007,<br />
297), auf dem 4. Hannoveraner ZPO-<br />
Symposium am 22. September 2007.<br />
Auch dem Mittelständler mit einem<br />
großen Bauprozess hätte das Bundesverfassungsgericht<br />
den Weg zum Erfolgshonorar<br />
eröffnen wollen. Gaier<br />
verwies darauf, dass auch die früheren<br />
anwaltlichen Standesrichtlinien kein<br />
striktes Verbot des Erfolgshonorars gekannt<br />
hätten. Die Entscheidung des<br />
Gerichts sei daher wenig revolutionär.<br />
Zugleich betonte Gaier, dass mit<br />
der Öffnung des Erfolgshonorars keine<br />
Streichungen bei der Prozesskostenhilfe<br />
einhergehen dürften. Die Prozesskostenhilfe<br />
sei ein verfassungsrechtlich<br />
abgesichertes Leistungsgrundrecht.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hatte<br />
das strikte Verbot des Erfolgshonorars<br />
für verfassungswidrig erklärt. Bis zum<br />
30. Juni 2008 muss nun der Gersetzgeber<br />
eine neue Regelung schaffen.<br />
Ein Gesetzesvorschlag des DAV findet<br />
sich in AnwBl 2007, 676.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Bundesgerichtshof<br />
____________________________________<br />
Neuer Präsident der<br />
BGH-Anwaltskammer<br />
Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Dr.<br />
Norbert Gross ist im September 2007<br />
neuer Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />
beim BGH geworden. Er löst<br />
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Eilert<br />
Osterloh ab. Der 66jährige Gross ist<br />
Mitglied des Vorstands des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s und Ehrenvorsitzender<br />
des BGH-<strong>Anwaltverein</strong>s. Er ist seit<br />
zwölf Jahren Rechtsanwalt beim BGH.<br />
Quelle: Pressemitteilung des BGH
MNInformationen<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere<br />
____________________________________<br />
Einstiegsgehälter: Familienrecht<br />
vor Insolvenzrecht<br />
Die Überraschung des zweiten Einstellungs-<br />
und Gehälterreport von <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Karriere: Die Einstiegsgehälter im<br />
Insolvenzrecht liegen in vielen Fällen<br />
unter denen des Familienrechts. Während<br />
im Westen (Nordrhein-Westfalen,<br />
Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarbrücken)<br />
im Familienrecht im Schnitt<br />
39.000 Euro gezahlt werden, liegt das<br />
Insolvenzrecht nur bei 37.000 Euro.<br />
Eine Erklärung: Im Insolvenzrecht<br />
können junge Anwälte am Anfang<br />
keine eigenen Umsätze machen – und<br />
viele Kanzleien leben von Verbraucherinsolvenzen.<br />
Die zweite Ausgabe von<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere, dem Magazin<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s für Studierende<br />
und Referendare, wird Mitte<br />
November erscheinen.<br />
In den „Anwaltshauptstädten“ (Berlin,<br />
Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg,<br />
Köln, München und Stuttgart)<br />
liegen die Insolvenzrechtler dagegen<br />
mit einem Schnitt von 42.000 Euro<br />
beim Einstiegsgehalt 4.000 Euro vor<br />
den Familienrechtlern. In der Spitze<br />
kann aber auch im Familienrecht ein<br />
Berufsanfänger auf 60.000 Euro kommen.<br />
Allerdings: Die Stellen im Familienrecht<br />
sind extrem rar. 2007 haben<br />
94 Prozent der befragten Kanzleien<br />
keine Stelle besetzt. Die meisten Stellen<br />
und die im Schnitt besten Einstiegsgehälter<br />
haben beim Report die<br />
Kanzleien im Medizinrecht geboten.<br />
Beim Einstellungs- und Gehälterreport<br />
für das Familienrecht, Insolvenzrecht<br />
und Medizinrecht wurden mehr<br />
als 300 Kanzleien telefonisch befragt,<br />
von denen 150 Auskünfte erteilt haben.<br />
Anders als beim ersten Einstellungsund<br />
Gehälterreport aus dem Mai 2007<br />
haben viele Kanzleien im Familien- und<br />
Insolvenzrecht keine Angaben gemacht.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Die Einstellungs- und Gehälterreporte aus<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> Karriere finden Sie im Internet unter<br />
www.anwaltsblatt-karriere.de. Dort kann auch das<br />
aktuelle Heft 2 bestellt werden.<br />
Universität Münster<br />
____________________________________<br />
Kurzfortbildung für Anwälte<br />
an der Universität<br />
Die Forschungsstelle Anwaltsrecht der<br />
Westfälischen Wilhelms-Universität<br />
Münster bietet Fortbildungsvorträge<br />
für Anwälte an. Die Veranstaltungen:<br />
24. Oktober 2007: „Die streitige Gesellschafterversammlung<br />
in einer Zwei-<br />
Personen-GmbH“ mit Rechtsanwalt<br />
Dr. Ralf Bergjan, LL.M. (München); 28.<br />
November 2007: „Aktuelles zur Reform<br />
des Rechtsberatungsrechts und der beruflichen<br />
Zusammenarbeit der Rechtsanwälte“<br />
mit Dr. Kurt Franz (Ministerialrat,<br />
Bundesjustizministerium); 16.<br />
Januar 2008: „WEG-Reform 2007: Änderungen<br />
für das Beratungs- und Prozessmandat“<br />
mit Dr. Walter Boeckh<br />
(Richter am OLG München).<br />
Die Veranstaltungen finden jeweils von 16 bis 18<br />
Uhr im Kettelerschen Hof, Königsstr. 51-53,<br />
48143 Münster statt. Um Anmeldung wird gebeten.<br />
Informationen unter www.anwaltsrecht.net.
MNInformationen<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
____________________________________<br />
Fortbildung online mit<br />
Anwaltzertifikat<br />
Neue Wege für die Fortbildung: Die<br />
Deutsche Anwaltakademie und Juris<br />
bieten mit ihrem so genannten „Anwaltzertifikat<br />
online“ eine Möglichkeit<br />
der orts- und zeitunabhängigen Fortbildung<br />
für Rechtsanwälte. Das Angebot<br />
besteht aus einem zweiwöchentlichen<br />
Informationsdienst per E-Mail und<br />
vierteljährlichen Online-Prüfungen.<br />
Gestartet im Oktober, werden zunächst<br />
sechs Rechtsgebiete angeboten: Arbeitsrecht,<br />
Bau- und Architektenrecht,<br />
Familienrecht, IT-Recht, Miet- und<br />
Wohnungseigentumsrecht sowie das<br />
Verkehrsrecht. Weitere Rechtsgebiete<br />
sollen in Kürze folgen.<br />
Der Informationsdienst enthält sowohl<br />
Rechtsprechung als auch Hinweise<br />
zu Änderungen der Gesetzgebung<br />
und praxisbezogene Aufsätze.<br />
Vierteljährlich können Online-Prüfungen<br />
absolviert werden. Die erfolgreiche<br />
Teilnahme wird durch ein Zertifikat<br />
der Deutschen Anwaltakademie be-<br />
scheinigt. Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte können so ihren Weiterbildungserfolg<br />
selbst überprüfen und<br />
nach außen dokumentieren. Abgerundet<br />
wird das Angebot durch ein Online-<br />
Archiv, in dem die bereits erschienenen<br />
Beiträge einschließlich der<br />
zitierten Entscheidungen und Normen<br />
recherchiert werden können.<br />
Der Preis für das „Anwaltzertifikat<br />
online“ liegt bei acht Euro pro Monat,<br />
DAV-Mitglieder zahlen sechs Euro.<br />
Weitere Informationen zum<br />
„Anwaltzertifikat online“ erhalten Sie im Internet unter<br />
www.anwaltzertifikat.de.<br />
Universität Hannover<br />
____________________________________<br />
Vortragsreihe<br />
„Studentenfutter“<br />
Die Leibnizuniversität Hannover setzt<br />
die Vortragsreihe „Studentenfutter“ im<br />
Rahmen der anwaltsorientierten Ausbildung<br />
im Wintersemester fort. Die<br />
Veranstaltungen: 30. Oktober 2007:<br />
„Politische Prozesse“ mit Prof. em. Dr.<br />
Dr. h.c. Hans-Peter Schneider; 6. November<br />
2007: „Anwaltsbiographien“<br />
mit Rechtsanwalt Rainer M. Bähr;<br />
27. November 2007: „Außer der Reihe“<br />
mit Dr. Daniel Biene, LL.M.; 15. Januar<br />
2008: „Anwaltsbiographien“ mit<br />
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Büchner;<br />
22. Januar 2008: „Rechtsanwältinnen“<br />
mit Rechtsanwältin Jutta Wagner;<br />
29. Januar 2008: „Unternehmergespräche“<br />
mit Sepp D. Heckmann (Deutsche<br />
Messe AG).<br />
Die Veranstaltungen finden jeweils Dienstag, ab<br />
18 Uhr, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover,<br />
Raum II/203, statt. Informationen: Institut für<br />
Prozessrecht und anwaltsorientierte Ausbildung,<br />
05 11/7 62-82 68, www.jura.uni-hannover.de/ipa.
<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 57, 11 / 2007<br />
Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Die Satzungsversammlung<br />
bei der Bundesrechtsanwaltskammer:<br />
Was bleibt zu tun?<br />
Rückblick und Ausblick<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Troisdorf<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig<br />
(Leitung)<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Die vierte Satzungsversammlung ist gewählt und wird am<br />
18. Januar 2008 erstmals zusammentreten. Ihre Funktion<br />
erschöpft sich nicht darin, im Rahmen der Ermächtigung<br />
des § 59 b BRAO das anwaltliche Berufsrecht der BRAO<br />
durch erläuternde Satzungsnormen (BORA und FAO) auszugestalten.<br />
Die Satzungsversammlung – erst 1995 geschaffen<br />
– ist auch ein Diskussionsforum. Der Autor war von<br />
Anfang an ihr Mitglied. Nachdem er für die vierte Satzungsversammlung<br />
nicht mehr kandidiert hat, zieht der Autor eine<br />
persönliche Bilanz. Der Beitrag liest sich wie ein Arbeitsprogramm<br />
für die vierte Satzungsversammlung. Sie sollte sich<br />
vor allem mit dem Fachanwaltssystem beschäftigen.<br />
I. Warum eine Satzungsversammlung?<br />
Im Juli dieses Jahres waren 20 Jahre vergangen, seit das<br />
BVerfG 1 mit seinen sog. Bastille-Entscheidungen im Zusammenhang<br />
mit Fällen zum anwaltlichen Werbeverbot und<br />
zum Gebot sachlicher Berufsausübung den Freiraum für<br />
eine freie und unreglementierte anwaltliche Berufsausübung<br />
pro libertate neu abgesteckt und in diesem Zusammenhang<br />
entschieden hat: Die Richtlinien zu den „Grundsätzen des<br />
anwaltlichen Standesrechts“ können nicht mehr als Hilfsmittel<br />
zur Auslegung und Konkretisierung der Generalklausel<br />
über die anwaltlichen Berufspflichten (§ 43 BRAO damaliger<br />
Fassung) herangezogen werden. Einer der tragenden Gründe<br />
dafür war 2 , dass der Richtliniengeber BRAK nicht von den<br />
Berufsangehörigen als Mitgliedern gewählt, also nicht demokratisch<br />
zu Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit legitimiert<br />
sei. Hierzu bedürfe es vielmehr einer durch gesetzliche<br />
Ermächtigung begründeten Satzungskompetenz eines durch<br />
Wahl der Berufsangehörigen gebildeten Selbstverwaltungsgremiums.<br />
3<br />
Dies war der maßgebliche Anstoß für die – leider erst sieben<br />
Jahre später durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts<br />
der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. September<br />
1994 4 mit den §§ 191 a ff. BRAO erfolgte – Schaffung<br />
einer Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />
Die Satzungsversammlung nahm ihre Arbeit 1995 auf.<br />
Im Sommer 2007 ist die Wahlperiode der dritten Satzungsversammlung<br />
zu Ende gegangen. Das Ende der ersten Wahlperiode<br />
habe ich hoffnungsfroh als das „Ende des Anfangs“<br />
bezeichnet. 5 Kleine-Cosack hat nach Ende der dritten Wahlperiode<br />
in Umkehrung meiner Worte unter der Überschrift<br />
„Anfang vom Ende der Satzungsversammlung“ einen derben<br />
Abgesang angestimmt. 6 Was ist in diesen zwölf Jahren geschehen,<br />
das dies rechtfertigen könnte, und wie sieht die Zukunft<br />
aus?<br />
II. BORA und FAO:<br />
Viel Licht und ein wenig Schatten<br />
Nach den Bastille-Entscheidungen des BVerfG entbrannte<br />
zwischen BRAK und DAV ein erbitterter Kampf um den Inhalt<br />
der nun notwendig gewordenen Neugestaltung des anwaltlichen<br />
Berufsrechts. Nach Erlass des Gesetzes zur Neuordnung<br />
des Berufsrechts vom 2. September 1994 wurde von<br />
vielen angenommen, dieser Streit werde sich in der neu gebildeten<br />
Satzungsversammlung fortsetzen. Solche Unkenrufe<br />
wurden enttäuscht. Ich konnte in meinem Schlusswort<br />
1 AnwBl 1987, 598 ff.; 603 ff.<br />
2 AaO S. 601.<br />
3 So schon Kleine-Cosack AnwBl 1986, 505.<br />
4 BGBl 1994, 2278<br />
5 Busse, BRAK-Mitt. 1999, 135 f.<br />
6 AnwBl 2007, 409 ff.<br />
Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 <strong>729</strong>
MN Aufsätze<br />
zur ersten Wahlperiode mit Zufriedenheit feststellen 7 , dass<br />
die erste Satzungsversammlung zu keiner Zeit in ein Kammer-<br />
und ein DAV-Lager zerfallen ist. Nur dadurch ist es der<br />
Satzungsversammlung, noch dazu in der erstaunlich kurzen<br />
Zeit von nur zwei Jahren, gelungen, eine am 11. März 1997<br />
in Kraft getretene Berufsordnung (BORA) und eine Fachanwaltsordnung<br />
(FAO) zu verabschieden 8 , denen die Mehrheit<br />
der stimmberechtigten Mitglieder zustimmen konnte.<br />
Das erforderte viele Brückenschläge zwischen den Vertretern<br />
eines in den Kernfragen breit gefächerten Meinungsspektrums,<br />
war aber auch Ergebnis der aus dem persönlichen Kennenlernen<br />
untereinander gewachsenen wechselseitigen<br />
Wertschätzung. Sie hat viele Gegensätze relativiert. Sie hat<br />
dem Gefühl für die Vertretbarkeit abweichender Meinungen<br />
des Anderen mehr und mehr Gewicht verliehen. BORA und<br />
FAO haben rechtlich und berufspolitisch in wesentlichen Teilen<br />
bis heute „gehalten“, weil sich die Satzungsversammlung<br />
von den alten Standesrichtlinien wirklich weg bewegt und<br />
selbst zu der so umstrittenen Frage des anwaltlichen Werberechts<br />
den neuen Inhalt des § 43b BRAO – kein Werbeverbot<br />
mit Erlaubnisvorbehalt, sondern Werbefreiheit mit gesetzlichen<br />
Einschränkungen – voll erfasst hat und dem Grundsatz<br />
„in dubio pro libertate“ gefolgt ist.<br />
Dass die erste Satzungsversammlung in einigen wenigen<br />
Fällen versucht hat, bis an die Grenze der Satzungsermächtigung<br />
zu gehen und diese dabei überschritten hat, so dass die<br />
Beschlüsse vom Bundesjustizministerium aufgehoben wurden,<br />
ist in einer Umbruchsituation nichts Besonderes und<br />
verdient den von Kleine-Cosack 9 geäußerten Spott nicht. Berufspolitisch<br />
und verfassungsrechtlich lag sie damit übrigens,<br />
sieht man einmal von der unzulässigen Erstreckung<br />
der Regelungen auf ausländische Anwälte und Rechtsbeistände<br />
ab 10 , gar nicht so falsch.<br />
9 Es ging zum einen um die in § 21 Abs. 2 BORA vorgesehene<br />
vorsichtige Lockerung des Verbots erfolgsabhängiger<br />
Vergütungsvereinbarungen 11 , die im Lichte der Entscheidung<br />
des BVerfG vom 12. Dezember 2006 zu § 49b<br />
Abs. 2 BRAO 12 bei der vom Gesetzgeber bis zum 30. Juni<br />
2008 geforderten Neuregelung wohl keine Probleme bereiten<br />
würde.<br />
9 Zum anderen ging es 13 um die durch einen § 31 Abs. 2<br />
BORA versuchte Lockerung des aus § 59a Abs. 1 Satz 1<br />
BRAO nach höchst umstrittener Auffassung herausgelesenen<br />
und vom BGH 14 bestätigten Verbots der Sternsozietät<br />
15 , dessen verfassungsrechtliche Haltbarkeit höchst<br />
zweifelhaft ist. 16 Dieses auch berufspolitisch wenig sinnvolle<br />
Verbot wird im Zuge der Reform des Rechtsdienstleistungsrechts<br />
17 wohl nun fallen. Damit wird sich auch<br />
der durch die Neufassung von § 31 Satz 1 BORA 18 nicht<br />
erledigte Streit um die verfassungsrechtliche Haltbarkeit<br />
von § 31 Satz 2 BORA 19 erledigen.<br />
Als Fehlleistung der 1. Satzungsversammlung kann allenfalls<br />
die als § 13 BORA beschlossene Beschränkung des Rechts,<br />
gegen eine anwaltlich vertretene Partei ein Versäumnisurteil<br />
zu nehmen, angesehen werden. Viele hatten vorausgesehen,<br />
dass diese Regelung an Art. 12 GG scheitern würde, wie dies<br />
das BVerfG am 9. November 1999 dann auch entschieden<br />
hat. 20<br />
III. Erledigtes und Unerledigtes<br />
Nach Verabschiedung von BORA und FAO lagen die Schwerpunkte<br />
der Arbeit der Satzungsversammlung bei folgenden<br />
berufsrechtlichen Themenstellungen:<br />
9 nähere Regelungen zum Verbot der Wahrnehmung widerstreitender<br />
Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO),<br />
9 nähere Regelungen zum Außenauftritt der Rechtsanwälte<br />
als besonderer Ausprägung des in § 43b BRAO geregelten<br />
Werberechts durch §§ 6, 7, 7a und 9 BORA,<br />
9 Erweiterung der zugelassenen Fachgebietsbezeichnungen,<br />
9 Möglichkeiten der Überprüfung der vom Bewerber um<br />
die Verleihung von Fachgebietsbezeichnungen vorgelegten<br />
Nachweise besonderer theoretischer und praktischer<br />
Kenntnisse auf seinem Fachgebiet und<br />
9 Fortbildung des Fachanwaltes und allgemein anwaltliche<br />
Fortbildung.<br />
1. Interessenkollision<br />
Durch den von der 1. Satzungsversammlung beschlossenen<br />
§ 3 Abs. 2 BORA hatte die Berufsordnung das Verbot der<br />
Wahrnehmung widerstreitender Interessen auf alle ausgedehnt,<br />
die mit dem durch § 43a Abs. 4 BRAO gesperrten<br />
Rechtsanwalt zur gemeinschaftlichen Berufsausübung oder<br />
in Bürogemeinschaft verbunden sind. Das BVerfG hat § 3<br />
Abs. 2 BORA in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2003 21 für<br />
nichtig erklärt, weil § 3 Abs. 2 BORA keinen Raum für eine<br />
Einzelabwägung lasse. 22 Im entschiedenen Fall ging es um<br />
einen (angestellten) Sozietätswechsler, der in die Kanzlei gewechselt<br />
war, die die Gegenseite in der von der abgebenden<br />
Kanzlei vertretenen Sache vertrat. Dabei maß das BVerfG,<br />
weil der Wechsler nicht selbst in dem widerstreitenden Mandat<br />
vertreten hatte, – und dies war eine gravierende Neuausrichtung<br />
des Inhalts des § 43a Abs. 4 BRAO – entscheidende<br />
Bedeutung bei, ob die Mandanten im widerstreitenden Mandat<br />
nach umfassender Information mit der Fortführung des<br />
Mandats durch die aufnehmende Kanzlei einverstanden<br />
sind.<br />
7 BRAK-Mitt. 1999, 135.<br />
8 BRAK-Mitt. 1996, 241 ff.; 1997, 81.<br />
9 AnwBl 2007, 409.<br />
10 Beschlüsse zu § 15 FAO a. F., aufgehoben durch Bescheid des BJM vom<br />
07.03.1997, BRAK-Mitt. 1997, 81.<br />
11 Aufgehoben durch Bescheid des BJM vom 07.03.1997, BRAK-Mitt. 1997, 81.<br />
12 AnwBl 2007, 297 ff. mit Anmerkung Hamacher.<br />
13 Aufhebung durch Bescheid des BJM vom 25.02.1999, BRAK-Mitt. 1999, 121.<br />
14 AnwBl 2006, 210.<br />
15 Hierzu näher Römermann in Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Auflage 2006,<br />
§59aRdnr8ff.<br />
16 Hartung-Römermann, aaO; Kilian, NZG 2001, 150 ff.<br />
17 Begründung zu Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts,<br />
BTDrs. 16/3655, S. 181.<br />
18 BRAK-Mitt. 2001, 177.<br />
19 Erstreckung des Verbots auf die Verbindung mit anderen Berufsangehörigen sozietätsfähiger<br />
Berufe, vgl. dazu Hartung-Römermann aaO § 31, Rdnr 31 mit Nachweisen.<br />
20 AnwBl 2000, 122.<br />
21 AnwBl 2003, 521.<br />
22 AaO S. 524.<br />
730 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse
MN Aufsätze<br />
Die Satzungsversammlung stand vor der Entscheidung,<br />
ob sie aus Anlass der Entscheidung des BVerfG auf eine Sozietätserstreckung<br />
gänzlich verzichten sollte, von der höchst<br />
umstritten war, ob sie von der Satzungsermächtigung des<br />
§ 59b Abs. 2 Nr. 1e BRAO überhaupt gedeckt wäre, 23 oder an<br />
der Sozietätsertreckung unter Berücksichtigung der Forderungen<br />
aus dem Sozietätswechslerurteil festhalten sollte.<br />
Auch das Wie dieser Berücksichtigung war höchst umstritten.<br />
Der zuständige Ausschuss 4 der Satzungsversammlung<br />
hat dazu in der 2., 3., 4. und 5. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />
mehrfach dem Diskussionsverlauf angepasste<br />
Regelungsvorschläge unterbreitet.<br />
Die schließlich in der 5. Sitzung vom 7. November 2005<br />
beschlossene Neufassung des § 3 BORA 24 hält grundsätzlich<br />
an der Sozietätserstreckung fest, misst dem Einverständnis<br />
der Mandanten beider Seiten in Bezug auf mit der Sache<br />
nicht befasste Anwälte jedoch entscheidendes Gewicht bei,<br />
wenn nicht im Einzelfall Belange der Rechtspflege entgegen<br />
stehen. Diese Regelung ist weder verfassungswidrig noch<br />
verstößt sie gegen § 43a Abs. 4 BRAO 25 . Das ist inzwischen<br />
durch die Entscheidung der 3. Kammer des BVerfG vom<br />
20. Juni 2006 26 geklärt. Insofern war die Satzungsversammlung<br />
vorausschauender, als es ihr selbst Kleine-Cosack zugestehen<br />
wollte. 27<br />
2. Werbung mit Teilbereichen der Berufstätigkeit<br />
Gemäß § 49b BRAO in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BORA<br />
darf der Anwalt über seine Dienstleistung und seine Person<br />
mit sachlichen und berufsbezogenen Angaben unterrichten.<br />
Soweit es um die Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit<br />
geht, ist dies Regelungsgegenstand des § 7 BORA.<br />
Nach § 7 BORA a. F. durften unabhängig von Fachgebietsbezeichnungen<br />
als Teilbereiche der Berufstätigkeit nur<br />
Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunkte, und dies auch nur<br />
zahlenmäßig beschränkt, angegeben werden. § 7 BORA war<br />
und blieb berufspolitisch und verfassungsrechtlich umstritten.<br />
Die Diskussion um § 7 BORA flammte deswegen schon<br />
in der zweiten Satzungsversammlung wieder auf. Dabei<br />
standen Einschränkungen und Erweiterungen wie auch<br />
seine gänzliche Streichung zur Diskussion. Auf ihrer 4. Sitzung<br />
vom 25. April 2002 beschloss die zweite Satzungsversammlung<br />
28 eine Neufassung. Sie löste die strittige Frage der<br />
Höchstzahl solcher Benennungen jedoch nicht. Deswegen<br />
verstummte die Diskussion auch danach nicht, sondern beschäftigte<br />
die zweite und danach auch die dritte Satzungsversammlung<br />
weiterhin maßgeblich.<br />
Die Diskussion wurde schließlich wesentlich von der sog.<br />
Spezialistenentscheidung des BVerfG 29 vom 28. Juli 2004 beeinflusst.<br />
Sie hat der durch die bisherigen Regelungen geformten<br />
Qualitäts-Stufenleiter vom Interessenschwerpunkt<br />
über den Tätigkeitsschwerpunkt zur Fachanwaltschaft die<br />
Grundlage entzogen. Das führte zur gänzlichen Neufassung<br />
des § 7 BORA in der 4. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />
vom 21. Februar 2005 30 . Hierdurch ist die Beschränkung<br />
auf Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte und<br />
deren zahlenmäßige Begrenzung weggefallen. Die Benennung<br />
von Teilbereichen der Berufstätigkeit wurde zugelassen,<br />
wenn der Anwalt die entsprechenden Kenntnisse nachweisen<br />
kann.<br />
Hätte sich der Ausschuss 2 mit seiner Forderung durchgesetzt,<br />
schon für die bloße Benennung von Teilbereichen<br />
seien „besondere“ Kenntnisse nachzuweisen, wäre eine solche<br />
Regelung ausweislich eines Schreibens des Bundes-<br />
ministeriums der Justiz (BMJ) vom 3. Mai 2005 schon am<br />
BMJ 31 gescheitert. Für „qualifizierende Zusätze“ 32 werden dagegen<br />
mit Recht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BORA) besondere Kenntnisse<br />
und eine umfangreiche Tätigkeit auf diesem Gebiet verlangt.<br />
Die von der Satzungsversammlung als § 7 Abs. 3<br />
BORA beschlossene besondere Fortbildungspflicht für diejenigen,<br />
die Teilbereiche benennen, wurde mangels Regelungskompetenz<br />
der Satzungsversammlung vom BMJ aufgehoben.<br />
33 In ihrer 5. Sitzung vom 7. November 2005 hat die<br />
dritte Satzungsversammlung an § 7 BORA n. F. im Übrigen<br />
festgehalten. 34 Die aus § 7 Abs. 1 und 2 folgenden Rechte gelten<br />
auch für Berufsausübungsgemeinschaften (§ 7 Abs. 3<br />
BORA n. F.). 35<br />
Es bleibt zu hoffen, dass damit der leidvolle Klärungsprozess<br />
um eine rechtlich und berufspolitisch haltbare Ausgestaltung<br />
des § 7 BORA beendet ist und sich die vierte Satzungsversammlung<br />
anderen Themen zuwenden kann, auch<br />
wenn vereinzelt die Verfassungswidrigkeit auch der Neuregelung<br />
geltend gemacht wird. 36 Hält man sich die Entstehungsgeschichte<br />
der jetzigen Regelung vor Augen, liegt nahe: Am<br />
Ende wird einmal die Streichung von § 7 BORA stehen, insbesondere<br />
wenn sich die Regelung erwartungsgemäß neben<br />
den Regelungen des UWG als zahnloser Tiger erweist. Der<br />
dritten Satzungsversammlung fehlte dazu noch der Mut.<br />
3. Werbung mit Mandaten und Mandanten/<br />
Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />
In der von der ersten Satzungsversammlung beschlossenen<br />
Regelung des § 6 Abs. 2 BORA 37 sollten andere als die in § 7<br />
BORA gestatteten Angaben zum Gegenstand der beruflichen<br />
Tätigkeit nur in Praxisbroschüren, Rundschreiben und vergleichbaren<br />
Informationsmitteln zulässig sein, nach § 6<br />
Abs. 3 Angaben über Erfolgs- und Umsatzzahlen überhaupt<br />
nicht und Angaben zu Mandanten und Mandaten nur bei deren<br />
Einverständnis. Hieran hat auch die von der zweiten Satzungsversammlung<br />
auf ihrer 4. Sitzung beschlossene Neufassung<br />
des § 6 Abs. 2 BORA 38 nichts geändert. Die dritte<br />
Satzungsversammlung hat § 6 Abs. 2 BORA in ihrer Sitzung<br />
vom 21. Februar 2005 39 erneut neu gefasst, nachdem das<br />
BVerfG 40 klargestellt hatte, dass kein Werbeträger per se als<br />
23 Verneinend z. B. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Auflage 2003, § 43a, Rdnr 119; bejahend<br />
Henssler/Prütting – Eylmann BRAO, 2. Auflage 2004, § 3 BORA, Rdnr 7; Hartung-Hartung<br />
§ 3, Rdnr 95.<br />
24 BRAK-Mitt. 2005, 273<br />
25 So aber Hartung-Hartung, § 3, Rdnr 107.<br />
26 AnwBl 2006, 580.<br />
27 AnwBl 2005, 95, 98.<br />
28 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />
29 AnwBl 2004, 596.<br />
30 BRAK-Mitt. 2005, 183 ff.<br />
31 Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BVerfG.<br />
32 Z. B. „Spezialist“, „Experte“ o. ä. m.<br />
33 BRAK-Mitt. 2005, 184.<br />
34 BRAK-Mitt. 2005, 273.<br />
35 Was bereits die zweite Satzungsversammlung in ihrer 5. Sitzung vom 7.11.2002,<br />
BRAK-Mitt. 2003, 67, beschlossen hatte.<br />
36 Hartung-Römermann § 7, Rdnr 45.<br />
37 BRAK-Mitt. 1999, 124.<br />
38 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />
39 BRAK-Mitt. 2005, 183.<br />
40 AnwBl 2000, 449.<br />
Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 731
MN Aufsätze<br />
möglicher Träger anwaltlicher Werbung ausscheidet. Die Beschränkung<br />
auf Praxisbroschüren o. ä. war also nicht haltbar.<br />
Den Anforderungen des BVerfG genügt aber auch die Neufassung<br />
des § 6 Abs. 2 BORA nicht. Sie will nach wie vor Angaben<br />
zu Mandanten und Mandaten nur in Broschüren,<br />
Rundschreiben und vergleichbaren Informationsmitteln zulassen.<br />
Das ist nach der erwähnten Entscheidung des BVerfG<br />
verfassungswidrig 41 . Die untersagte Werbung mit Erfolgsund<br />
Umsatzzahlen bedeutet ebenfalls eine unzulässige Einschränkung<br />
des Werberechts aus § 43b BRAO in Verbindung<br />
mit Art. 12 GG. Denn sie ist sachlich und auf die anwaltliche<br />
Tätigkeit bezogen. 42 Die vierte Satzungsversammlung sollte<br />
nicht warten, bis § 6 Abs. 2 und 3 BORA für nichtig erklärt<br />
werden, sondern die Regelungen schnellstmöglich ersatzlos<br />
streichen.<br />
4. Werbeaussage Mediator<br />
Eine besondere Tätigkeitsform und berufliche Qualifikation<br />
ist auch für den Anwalt die Tätigkeit als Mediator. In dem in<br />
der 2. Sitzung der zweiten Satzungsversammlung beschlossenen<br />
§ 7a BORA 43 ist geregelt, dass ein Anwalt sich als Mediator<br />
bezeichnen darf, wenn er nachweisen kann, dass er<br />
die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. Da es<br />
kein rechtsverbindliches Berufsbild des Mediators gibt, lässt<br />
sich nicht bestimmen, was Inhalt dieser „Grundsätze des<br />
Mediationsverfahrens“ ist. Schon aus diesem Grunde ist die<br />
Regelung mangels hinreichender Bestimmtheit verfassungswidrig.<br />
44 Die Führung der Bezeichnung Mediator ist, weil<br />
sachlich und berufsbezogen, nach § 43b BRAO ohne weiteres<br />
zulässig. § 7a BORA ist deswegen überflüssig. Die Bedeutung<br />
der Vorschrift liegt eher darin, dass die Anwaltschaft<br />
seinerzeit Flagge zeigen wollte, dass Mediation auch Teil anwaltlicher<br />
Berufstätigkeit ist. Die vierte Satzungsversammlung<br />
wird zu beobachten haben, ob (z. B. im Zusammenhang<br />
mit den Beratungen des Deutschen Juristentages 2008)<br />
berufsrechtliche Aspekte der Mediation vom Gesetzgeber<br />
aufgegriffen werden, denen § 7a BORA anzupassen wäre.<br />
5. Kurzbezeichnung der Kanzlei<br />
In § 9 BORA ist geregelt, dass zulässigerweise in Berufsausübungsgesellschaften<br />
verbundene Personen eine Kurzbezeichnung<br />
führen dürfen. Nachdem die Rechtsprechung<br />
neben den Namen früherer und gegenwärtig tätiger Berufsträger<br />
in der Kurzbezeichnung auch Sachbezeichnungen<br />
zuließ 45 , versuchte die zweite Satzungsversammlung in ihrer<br />
5. Sitzung vom 7. November 2002, Sach- und Fantasiebezeichnungen<br />
berufsrechtlich auszuschließen. 46 Damit ist sie<br />
aber am BMJ gescheitert 47 und hat daraufhin in der 2. Sitzung<br />
der dritten Satzungsversammlung die mit der Rechtsprechung<br />
kollidierenden beschränkenden Regelungen des<br />
§ 9 Abs. 2 und 3 BORA a. F. aufgehoben. 48 Damit ist ein der<br />
gesetzlichen Vorgabe entsprechender Rechtszustand hergestellt.<br />
6. Anforderungen an Zweigstelle<br />
Nachdem der Bundesgesetzgeber durch das Gesetz zur Stärkung<br />
der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom<br />
26. März 2007 49 das Zweigstellenverbot ab 1. Juni 2007 abgeschafft<br />
hat, beantragten in der dritten Satzungsversammlung<br />
die Münchener Rechtsanwälte Kempter und Horn, in die<br />
BORA eine Regelung über die personellen und sächlichen<br />
Anforderungen an eine Zweigstelle aufzunehmen. Der An-<br />
trag fand in der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung<br />
am 11. Juni 2007 keine Mehrheit 50 . Auch für Anträge, die Anforderungen<br />
des § 5 BORA an eine Kanzlei auf die Zweigstelle<br />
auszudehnen, fand sich keine satzungsändernde Mehrheit.<br />
Die vierte Satzungsversammlung sollte dieses Thema<br />
nicht erneut aufgreifen. Weder das Gesetz noch die BORA<br />
haben bisher konkrete Anforderungen an eine Kanzlei statuiert.<br />
Schwierigkeiten sind daraus nicht entstanden. Wenn<br />
schon für die Kanzlei kein praktisches Bedürfnis für nähere<br />
Regelungen besteht, muss dies für Zweigstellen erst recht<br />
gelten. Eine Zweigstelle wird nach den Umständen im Einzelfall<br />
weder Personal noch Praxisschild oder Festnetzanschluss<br />
voraussetzen, sondern nur einen für die Anwaltstätigkeit<br />
(mit)benutzten Raum und eine, und sei es mobile,<br />
Telefonverbindung. 51<br />
7. Neue Fachanwaltschaften<br />
Die vierte Satzungsversammlung hatte bereits mit der FAO<br />
neben den in § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO genannten vier Fachgebietsbezeichnungen<br />
Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht<br />
und Sozialrecht geregelt, dass auch die Fachgebietsbezeichnungen<br />
Familienrecht und Strafrecht verliehen<br />
werden können. Dem hat sie in der 7. Sitzung 52 die Fachgebietsbezeichnung<br />
Insolvenzrecht hinzugefügt. Im Übrigen<br />
war sie der Auffassung, über weitere Fachgebietsbezeichnungen<br />
solle erst entschieden werden, nachdem sie sich auf ein<br />
Fachanwaltskonzept geeinigt hätte. Vorschläge aus berufenem<br />
Munde dazu kamen bald. 53<br />
Durch den Umgang mit den Themen „neue Fachgebietsbezeichnungen“<br />
und „Fachanwaltskonzept“ war die zweite<br />
Satzungsversammlung dann aber drauf und dran, ihre ganze<br />
in der ersten Wahlperiode zu Recht gewonnene Reputation<br />
zu verspielen. Nach quälenden und heftigen Diskussionen<br />
beschloss sie in ihrer Sitzung vom 15./16. Februar 2001 zwar<br />
einen vom Vorschlag des zuständigen Ausschusses 1 abweichenden<br />
Kriterienkatalog für die Zulassung neuer Fachgebietsbezeichnungen.<br />
Sie lehnte dann aber, obwohl einige<br />
der vorgeschlagenen Fachanwaltschaften diese Kriterien geradezu<br />
offensichtlich erfüllten, alle Vorschläge ab. 54<br />
41 So auch Kilian in Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rdnr 297; Hartung-<br />
Römermann, § 6, 148.<br />
42 ebenso Koch/Kilian aaO; Hartung-Römermann § 6, 138 ff.; OLG Nürnberg, AnwBl<br />
2004, 526.<br />
43 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />
44 Kleine-Cosack §7a,Rdnr3,4;Henssler-Prütting-Hartung, § 7a BORA, Rdnr 2 ff.;<br />
Hartung-Römermann § 7a, Rdnr 12.<br />
45 BGH vom 17.12.2001 BRAK-Mitt. 2002, 92 („CMS“).<br />
46 Beschluss eines § 9 Abs. 1 Satz 2 BORA, BRAK-Mitt. 2003, 67.<br />
47 Aufhebungsbescheid vom 21.02.2003, BRAK-Mitt. 2003, 68.<br />
48 BRAK-Mitt. 2004, 177.<br />
49 BGBl 2007, 358.<br />
50 Protokoll vom 11.06.2007, S. 25 ff.<br />
51 Weitergehend allerdings Hommerich-Kilian NJW 2007, 2311; Koch/Kilian Rdnr 214<br />
ff.; Römermann, AnwBl 2007, 609 sieht für eine solche Regelung keine Satzungskompetenz.<br />
52 BRAK-Mitt. 1999, 121.<br />
53 Fachanwaltskonzept des DAV, AnwBl 1999, 668 ff.; Quaas BRAK-Mitt. 2000, 211;<br />
Scharmer BRAK-Mitt. 2001, 5 ff.<br />
54 Hierzu Busse BRAK-Mitt. 2001, 65 ff. und AnwBl 2003, 294.<br />
732 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse
MN Aufsätze<br />
Dieser Verhaltenswiderspruch war bestenfalls mit Existenzängsten<br />
und auf der Hand liegenden Eigeninteressen<br />
vieler Mitglieder zu erklären. Dass die zweite Satzungsversammlung<br />
in ihrer 6. Sitzung am 20. März 2003 dann doch<br />
noch die neue Fachgebietsbezeichnung Versicherungsrecht<br />
beschloss 55 , die sich der Sache nach kaum in erster Linie aufdrängte,<br />
war auf die geradezu flehentliche Aufforderung des<br />
Vorsitzenden des Ausschusses 1 van Bühren und wohl auch<br />
auf das schlechte Gewissen zurückzuführen, dass die Mehrheit<br />
der Satzungsversammlung wegen ihrer bisher in der<br />
zweiten Wahlperiode gezeigten Verweigerungshaltung wahrscheinlich<br />
beschlich.<br />
Gleichwohl hatte der Beschluss richtungsweisende Bedeutung.<br />
Mit dem beschlossenen Kriterienkatalog wurde<br />
Ernst gemacht. Davon konnte es für die dritte Satzungsversammlung<br />
kein Zurück mehr geben. So kam es dann auch.<br />
Dass dem vom Ausschuss 1 eine von Frau Offermann-<br />
Burkhard initiierte Ergänzung des Kriterienkataloges um<br />
eine Gewichtung der vier Kriterien vorausging, hat dies erleichtert,<br />
hatte vielleicht aber auch eine Alibifunktion, diente<br />
der Gesichtswahrung im Blick auf frühere ablehnende Entscheidungen.<br />
Eingeführt wurden von der dritten Satzungsversammlung<br />
auf ihrer 3. Sitzung vom 22./23. November 2004 56 die<br />
Fachgebietsbezeichnungen Medienrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht,<br />
Verkehrsrecht, Bau- und Architektenrecht<br />
57 , Erbrecht sowie Transport- und Speditionsrecht, auf<br />
der 5. Sitzung vom 7. November 2005 58 die Fachgebietsbezeichnungen<br />
Gewerblicher Rechtsschutz und Handelsund<br />
Gesellschaftsrecht, auf der 6. Sitzung vom 3. April 2006<br />
die Fachgebietsbezeichnungen Urheber- und Medienrecht<br />
und Informationstechnologierecht 59 sowie auf ihrer letzten,<br />
der 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 die Fachgebietsbezeichnung<br />
Bank- und Kapitalmarktrecht. 60<br />
Nach der Vielzahl neuer Fachgebietsbezeichnungen fragt<br />
sich, ob diese Entwicklung einstweilen abgeschlossen ist<br />
oder sich für die vierte Satzungsversammlung weiterer<br />
Handlungsbedarf ergibt. Schon war in der letzten Sitzung<br />
der dritten Satzungsversammlung vom Fachanwalt für<br />
Agrarrecht die Rede. Rechtlich sind weiteren Fachgebietsbezeichnungen<br />
naturgemäß keine Grenzen gesetzt, berufspolitisch<br />
aber sehr wohl. Es besteht die Gefahr, dass mit einer<br />
Atomisierung der für Fachgebietsbezeichnungen<br />
freigegebenen Gebiete und mit zunehmenden Überschneidungen<br />
mit bereits beschlossenen Fachgebietsbezeichnungen<br />
die Außenwirkung des Fachanwalts an sich, das Gewicht,<br />
das man dem einzelnen Fachgebiet beimisst, erodiert.<br />
Das hätte die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte der<br />
Fachgebietsbezeichnungen nicht verdient, die per 1. Januar<br />
2007 bereits von 27.953 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten<br />
(= 19,57 %) geführt werden. 61 Die vierte Satzungsversammlung<br />
sollte sich wieder ernsthaft des beschlossenen<br />
Kriterienkatalogs erinnern und an das Bekenntnis, auch dem<br />
Allgemeinanwalt seinen berechtigten Platz im anwaltlichen<br />
Rechtsberatungsangebot zu belassen, statt für jeden Anwalt<br />
eine Fachanwaltsbezeichnung bereit zu halten. Nach dem<br />
mit 30 % gewichteten Kriterium 2 ( ob das neue Fachgebiet<br />
eine hinreichend breite Nachfrage potentieller Mandanten erfasst<br />
62 ) muss im Moment weiterer Bedarf bezweifelt werden.<br />
Eine Fachgebietsbezeichnung, für die sich – wie beim Transport-<br />
und Speditionsrecht 63 – auch nach Jahren mangels entsprechender<br />
Nachfrage nur wenige Berufsträger entscheiden,<br />
sollte sich nicht wiederholen.<br />
8. Zugang zur Fachanwaltschaft<br />
Seit geraumer Zeit ist neben dem Ruf nach weiteren Fachgebietsbezeichnungen<br />
in den Mittelpunkt der Diskussion<br />
um die Fachanwaltschaften der Gesichtspunkt der Qualitätssicherung<br />
gerückt. Das betrifft sowohl die besonderen Kenntnisse<br />
als auch die praktischen Erfahrungen, die der Bewerber<br />
um die Verleihung der Fachgebietsbezeichnung nachzuweisen<br />
hat, ebenso die Frage, ob und inwieweit es qualitätssichernde<br />
Anforderungen an den Fachanwalt geben sollte,<br />
die nachgewiesene Kompetenz auch nach der Verleihung der<br />
Fachgebietsbezeichnung aufrecht zu erhalten.<br />
a) Status-quo: Nachweissystem von<br />
Kenntnissen und Erfahrung<br />
Anstoß für die Diskussion gab die Klage vieler Fachausschüsse<br />
bei den Kammern, Lehrgangsanbieter würden im eigenen<br />
kommerziellen Interesse das Niveau der Kurse und<br />
die Anforderungen an die schriftlichen Leistungskontrollen<br />
zum Teil so niedrig halten, dass trotz bestandener Leistungskontrollen<br />
besondere Kenntnisse des Bewerbers fraglich<br />
seien. Verschiedene Fachausschüsse haben nach selbst vorgenommener<br />
negativer Beurteilung der vorgelegten (bestandenen)<br />
Lehrgangsklausuren und Arbeitsproben die Verleihung<br />
der Fachgebietsbezeichnung von einem positiven<br />
Verlauf eines Fachgesprächs abhängig machen wollen.<br />
Dem hat die Rechtsprechung einen Riegel vorgeschoben.<br />
Sie legte § 43c BRAO in Verbindung mit § 7 FAO dahin aus,<br />
dass die Prüfung anhand der vorzulegenden Nachweise weitgehend<br />
formalisiert sei und dem Fachausschuss kein Raum<br />
für eine eigenständige Beurteilung der fachlichen Qualitäten<br />
des Bewerbers verbleibe, der die nach der FAO geforderten<br />
Nachweise erbracht habe. 64 Daraufhin hatte die zweite Satzungsversammlung<br />
auf ihrer 4. Sitzung vom 25./26. April<br />
2002 durch Neufassung von § 7 Abs. 2 FAO 65 versucht, zum<br />
Nachweis der besonderen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen<br />
ein Regelfachgespräch einzuführen. Das damit angestrebte<br />
Ziel hat sie nicht erreicht. Der BGH blieb dabei 66 ,<br />
dass nach seiner Auslegung von § 43c Abs. 2 BRAO durch<br />
die FAO keine Möglichkeit für eine individuelle Ermittlung<br />
des Wissens oder der Erfahrungen des Bewerbers durch den<br />
Fachausschuss geschaffen werden kann.<br />
55 BRAK-Mitt. 2003, 125.<br />
56 BRAK-Mitt. 2005, 77.<br />
57 die alle von der zweiten Satzungsversammlung noch abgelehnt worden waren,<br />
vgl. hierzu die Abstimmungsergebnisse in BRAK-Mitt. 2001, 67.<br />
58 BRAK-Mitt. 2006, 168 ff.<br />
59 BRAK-Mitt. 2006, 168.<br />
60 SV-Mat. 15/2007.<br />
61 BRAK-Mitt. 2007, 111.<br />
62 Protokoll der 3. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 22./23.11.2004,<br />
S. 6.<br />
63 Zu dem bisher nur 60 Anwälten die Fachanwaltsbezeichnung verliehen worden ist,<br />
BRAK-Mitt. 2007, 111.<br />
64 BGH BRAK-Mitt. 2003, 25.<br />
65 BRAK-Mitt. 2002, 219.<br />
66 AnwBl 2006, 413, 415/416.<br />
Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 733
MN Aufsätze<br />
Damit steht fest, dass die Satzungsversammlung hierzu<br />
nur neue Beschlüsse fassen kann, wenn sich der Gesetzgeber<br />
zu einer entsprechenden Änderung von § 43c Abs. 2<br />
BRAO entschließen sollte. Die dritte Satzungsversammlung<br />
hat auf ihrer 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 die Empfehlung<br />
an den Gesetzgeber beschlossen 67 : „Die Satzungsversammlung<br />
regt eine Änderung des § 43c Abs. 2 BRAO dahingehend<br />
an, dass die Rechtsanwaltskammern bei der Entscheidung<br />
über den Antrag auf Erteilung einer<br />
Fachgebietsbezeichnung eine inhaltliche Prüfungskompetenz<br />
zum Vorliegen der besonderen theoretischen Kenntnisse<br />
und besonderen praktischen Erfahrungen haben. Das<br />
Nähere regelt die Satzung.“ Für diesen Beschluss haben sich<br />
88 der anwesenden 98 Mitglieder der Satzungsversammlung<br />
ausgesprochen. Auch der DAV-Entwurf einer BRAO-Änderung<br />
sieht eine Prüfungskompetenz des Fachausschusses<br />
vor. 68<br />
Die Bundesjustizministerin hat unter dem 6. August<br />
2007 geantwortet: „Die Auffassungen, ob und ggf. wie die<br />
Zugangsregelungen zur Fachanwaltschaft geändert werden<br />
sollten, gehen weit auseinander. Die Auswirkungen, die Änderungen<br />
des Fachanwaltsrechtes auf den Anwaltsmarkt insgesamt<br />
haben können, können erheblich sein. Auch die<br />
Rechtsuchenden, für die die mit dem System der Fachanwaltschaften<br />
geförderte berufliche Spezialisierung und die<br />
durch die Fachgebietsbezeichnungen bewirkte Information<br />
und Orientierung große Bedeutung haben, sind von Änderungen<br />
betroffen. Angesichts der noch nicht abgeschlossenen<br />
Überlegungen halte ich die Zeit für eine Gesetzesänderung<br />
noch nicht für gekommen. Ich bin aber gerne bereit,<br />
Änderungsvorschläge im Rahmen einer künftigen BRAO-<br />
Novellierung aufzugreifen.“ Diese Auffassung war die logische<br />
Folge der kontroversen Diskussionen, die zu diesem<br />
Thema innerhalb und außerhalb der Satzungsversammlung<br />
bis zuletzt geführt worden sind. Bevor der Gesetzgeber handelt,<br />
muss sich die deutsche Anwaltschaft erst einmal auf ein<br />
tragfähiges Konzept einigen, wie die Zugangsregelung der<br />
Satzung bei entsprechender gesetzlicher Ermächtigung aussehen<br />
sollte.<br />
b) Reformbedarf und Reformvorschläge<br />
Diese Arbeit kommt auf die vierte Satzungsversammlung zu.<br />
Sie sollte ein zentraler Punkt ihrer Arbeit sein. Die Satzungsversammlung<br />
ist nicht nur, auch ohne dass davon in § 59b<br />
BRAO die Rede ist, zu Empfehlungen an den Gesetzgeber<br />
berechtigt und hierfür kompetent. Vielmehr wird nur sie –<br />
wenn es überhaupt gelingt – die Klammer sein, die divergierenden<br />
Meinungen zusammenzuführen. Das betrifft nicht<br />
nur Auffassungsunterschiede zwischen BRAK und DAV,<br />
sondern ebenso solche innerhalb dieser Organisationen.<br />
Kein Gremium bietet ein ähnlich bewährtes gemeinsames<br />
Gesprächsforum wie die Satzungsversammlung und ihre<br />
Fachausschüsse. Der Satzungsversammlung ist die Kraft zuzutrauen,<br />
zu wiederholen, was ihr bei Verabschiedung von<br />
BORA und FAO schon einmal gelungen ist, ein von einer<br />
großen Mehrheit getragenes einheitliches Votum der Anwaltschaft<br />
herbeizuführen, von der die Glaubwürdigkeit des<br />
Fachanwalts anhängen wird, und der sich dann der Gesetzgeber<br />
kaum verschließen kann. Schon deswegen ist entgegen<br />
Kleine-Cosack 69 die Satzungsversammlung nicht „am<br />
Ende“, sondern an einem neuen Anfang ihrer Arbeit.<br />
Vorrangig wird die vierte Satzungsversammlung sich<br />
dazu die Frage beantworten müssen, ob ein Paradigmen-<br />
wechsel bei der Regelung des Zugangs und des Erhalts von<br />
Fachanwaltschaften überhaupt erforderlich ist. Die behaupteten<br />
Missstände im Bereich mancher Lehrgangsanbieter<br />
können nicht einfach unterstellt, sie müssen belegt und<br />
quantifiziert werden. Hier müssen die Fachausschüsse der<br />
Kammern Vorarbeit leisten. Von Art und Umfang etwaiger<br />
Fehlentwicklungen hängt ab, ob und inwieweit sich verschärfte<br />
Zugangsvoraussetzungen rechtfertigen lassen.<br />
Auch wenn das vom Ausschuss 1 angenommene negative<br />
Bild zutrifft, stellt sich die Frage der möglichen Reaktionen.<br />
Das vom Ausschuss 1 der dritten Satzungsversammlung vorgestellte<br />
und der vierten Satzungsversammlung zur Beratung<br />
hinterlassene Konzept 70 setzt beim Nachweis der theoretischen<br />
Kenntnisse an. Es sieht für den Fall der<br />
Begründung einer eigenen Prüfungskompetenz der Fachausschüsse<br />
vor, dass die von den Bewerbern vorzulegenden<br />
schriftlichen Leistungsnachweise durch drei vor den Kammern<br />
geschriebene Klausuren erbracht werden müssen,<br />
deren Themen bundeseinheitlich von einer sog. Aufgabenkommission<br />
vorgegeben 71 und von einem Erst- und Zweitkorrektor<br />
des Ausschusses korrigiert und beurteilt werden. 72<br />
Eine nicht bestandene Klausur kann durch ein erfolgreiches<br />
Fachgespräch ausgeglichen werden. Das Gleiche gilt für bis<br />
zu zehn Prozent der nachzuweisenden Fälle. 73 Der Besuch eines<br />
Fachanwaltslehrganges soll nicht mehr obligatorisch<br />
sein. Der DAV nimmt bei seinem Fachanwaltsmodell 74 in erster<br />
Linie die praktischen Erfahrungen des Bewerbers in den<br />
Blickpunkt. Er schlägt vor, die Mindestzulassungszeit des Bewerbers<br />
von drei auf in der Regel vier Jahre zu erhöhen 75<br />
und geht zum Nachweis der praktischen Erfahrungen von<br />
den Falllisten ab. Er verlangt in der Regel eine Fachanwaltsausbildung<br />
von einem Jahr 76 bei einem Fachanwalt 77 .Für<br />
die Nachweise besonderer theoretischer Kenntnisse belässt<br />
es der DAV-Vorschlag im Wesentlichen beim geltenden System,<br />
sieht aber ein obligatorisches Fachgespräch mit Aktenvortrag<br />
vor. Erst nach dem Ergebnis dieses Fachgespräches<br />
entscheidet der Prüfungsausschuss aufgrund eigener individueller<br />
Beurteilung, ob die besonderen theoretischen und<br />
praktischen Kenntnisse nachgewiesen sind. 78<br />
Der Vorschlag des Ausschusses 1 der dritten. Satzungsversammlung<br />
ist auf deren 7. Sitzung vom 11. Juni 2007 diskutiert<br />
worden. Dabei ergab sich ein sehr uneinheitliches,<br />
vielfach skeptisches Meinungsbild. Der Ausschuss 6 der<br />
dritten Satzungsversammlung steht dem Vorschlag des Ausschusses<br />
1 überwiegend ablehnend gegenüber. In der Literatur<br />
hat der Vorschlag des Ausschusses 1 Kritik erfahren. 79<br />
67 Protokoll S. 13.<br />
68 § 43 c BRAO-E DAV, AnwBl 2007, 679, 690 f.<br />
69 AnwBl 2007, 409.<br />
70 SV-Materialien 08/2007.<br />
71 §16aFAO-E.<br />
72 §23bFAO-E.<br />
73 §7Abs.1FAO-E.<br />
74 AnwBl 2006, 746 und AnwBl 2007, 690 f.<br />
75 § 3 FAO-E DAV; § 43 c Abs. 1 BRAO-E DAV AnwBl 2007, 684.<br />
76 §4FAO-EDAV.<br />
77 Diese Ausbildungszeit soll auch in der Anwaltsausbildungsstation der Referendarzeit<br />
liegen können.<br />
78 §24FAO-EDAV.<br />
79 Kleine-Cosack, AnwBl 2007, 409; Römermann aaO S. 411; Kilger aaO S. 412; neutral<br />
Koch in Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, Rdnr 150.<br />
734 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse
MN Aufsätze<br />
Beiden Vorschlägen ist gemein, dass eine eigene<br />
Prüfungskompetenz des Fachausschusses für erforderlich<br />
gehalten wird. In der Tat ist es mit den Worten von Frau<br />
Offermann-Burkhard 80 „geradezu paradox, dass in einem<br />
System der Selbstverwaltung das einzige kleine Bisschen an<br />
Überprüfung (der Bewerber) außerhalb der Anwaltschaft<br />
stattfindet“, nämlich bei völlig unkontrolliert tätigen erwerbswirtschaftlich<br />
organisierten Lehrgangsanbietern. Das spricht<br />
für die von der dritten Satzungsversammlung angeregte gesetzlich<br />
zu begründende eigene Prüfungskompetenz der<br />
Fachausschüsse. In diesem Zusammenhang wird die vierte<br />
Satzungsversammlung aber auch Befürchtungen nachgehen<br />
müssen, wie sie z. B. Römermann 81 mit einer solchen<br />
Prüfungskompetenz verbindet. Die Bestellung neuer Fachanwälte<br />
durch bisherige Fachanwälte öffne „Protektionismus“<br />
und „Willkür“ Tür und Tor. Solche Vorwürfe werden<br />
seit Jahren vereinzelt erhoben. Sie decken sich allerdings<br />
nicht mit meinen eigenen Erfahrungen und denen der Fachanwälte<br />
meiner Sozietät. Über Vorsorgeregelungen kann<br />
man nachdenken. Das vom Ausschuss 1 vorgeschlagene System<br />
von Klausuren, erstellt von einem Gremium außerhalb<br />
des Fachausschusses und anonymisiert, kann ein geeigneter<br />
Schritt sein.<br />
Ob man, wie der Ausschuss 1, in erster Linie beim Nachweis<br />
theoretischer Kenntnisse ansetzt oder, wie der DAV,<br />
mehr beim Nachweis praktischer Erfahrungen, wird letztlich<br />
sekundär sein. Keinesfalls sind, wie Kilger meint 82 , die theoretischen<br />
Kenntnisse beim Ersterwerb der Fachgebietsbezeichnung<br />
der „unwichtigste“ Punkt. Positive praktische<br />
Erfahrungen kann der Bewerber in dem angestrebten Spezialgebiet<br />
nur auf der Grundlage fundierter besonderer Kenntnisse<br />
auf diesem Gebiet sammeln. Andererseits ist unbestreitbar,<br />
dass besondere praktische Erfahrungen mindestens<br />
die gleiche Bedeutung haben, weil die Kompetenz des Fachanwalts<br />
eine kompetente, an den Mandanteninteressen orientierte<br />
Anwendung des theoretischen Wissens voraussetzt.<br />
Niemand als wir Anwälte weiß besser, dass erst die Bewährung<br />
der Wissensanwendung in der Praxis den guten Anwalt<br />
ausmacht.<br />
Unbestritten ist auch, dass das System der Falllisten von<br />
Anfang an ein Notbehelf war und vielen begründeten Zweifeln<br />
ausgesetzt ist. Der DAV-Vorschlag, dieses System durch<br />
eine Fachanwaltsausbildung beim Fachanwalt abzulösen, erscheint<br />
deswegen auf den ersten Blick einleuchtend. Ihm begegnen<br />
gleichwohl erhebliche Bedenken. Zum einen wage<br />
ich keine Prognose, ob sich genügend Fachanwälte finden<br />
lassen, die bereit sind, potentielle künftige Konkurrenten bei<br />
sich auszubilden. Wenn nein, muss das Modell scheitern,<br />
weil nicht hingenommen werden dürfte, dass dann nur noch<br />
die Bewerber Chancen haben, deren weitere Tätigkeit in der<br />
Ausbildungskanzlei vorgesehen ist und die deswegen dort einen<br />
ausbildungsbereiten Fachanwalt finden. Das liefe auf<br />
einen closed shop des Kreises der Fachanwalts-Kanzleien<br />
hinaus. Die Möglichkeit der so Ausgegrenzten, für sich wahrheitsgemäß<br />
als „Experten“ oder „Spezialisten“ zu werben,<br />
gleicht das nicht aus, solange der Markt geprüfter Kompetenz<br />
den Vorzug einräumt.<br />
Als Alternative zum Erfahrungsnachweis über Falllisten<br />
ist die Fachanwaltsausbildung nicht erforderlich. Mitarbeiter<br />
von Fachanwälten haben ohnehin in aller Regel aufgrund ihrer<br />
Tätigkeit in der Fachanwalts-Kanzlei keine Mühe, die notwendigen<br />
Fallzahlen nachzuweisen. Gegen den DAV-Vorschlag<br />
spricht auch, dass er, außer von Referendaren, nur<br />
von Berufsanfängern aufgegriffen werden kann. Wer bereits<br />
in eigener Praxis arbeitet, kann dort kaum für eine Ausbildungszeit<br />
beim Fachanwalt für ein Jahr aussteigen, ohne<br />
seine schon erarbeitete wirtschaftliche Basis zu zerstören<br />
oder zu gefährden. Ein neues Fachanwaltskonzept darf aber<br />
diesen Personenkreis beim Erwerb von Fachgebietsbezeichnungen<br />
nicht ausgrenzen oder behindern. Der Weg praktischer<br />
Nachweise über Fälle muss also, würde eine Fachanwaltsausbildung<br />
vorgesehen, daneben weiter möglich sein.<br />
Positiv am Vorschlag des Ausschusses 1 ist zu bewerten,<br />
dass in begrenztem Umfange Fall-Defizite durch ein erfolgreiches<br />
Fachgespräch auf dem betreffenden Gebiet ausgeglichen<br />
werden können. Dies würde im Rahmen der vom DAV<br />
vorgeschlagenen Fachanwaltsprüfung ebenso vorgesehen<br />
werden können. Damit wird auch den Bewerbern der Weg<br />
zur Fachanwaltschaft eröffnet, die in bestimmten Teilgebieten<br />
die erforderlichen Fallzahlen nicht zusammen bringen<br />
können, weil Mandate mit solchen Gegenständen typischerweise<br />
nur ausgewiesenen Fachanwälten anvertraut werden.<br />
Das Fachgespräch muss solche Lücken füllen können.<br />
Der Vorschlag des Nachweises theoretischer Kenntnisse<br />
über das Schreiben zentral von einer Aufgabenkommission<br />
der BRAK vorgegebener Klausuren, der schon mit „Zentralabitur“<br />
oder „Drittem Staatsexamen“ betitelt worden ist, ist<br />
zwar in sich schlüssig. Er wirft aber nicht nur hinsichtlich<br />
seiner praktischen Durchführbarkeit Zweifel und viele Fragen<br />
auf. So schon die Frage, ob eine solche Regelung nicht<br />
weit über das Erforderliche hinausgeht. Auch bei juristischen<br />
Staatsexamen wird bisher keine Notwendigkeit bundeseinheitlicher<br />
Klausuren gesehen. Die dezentrale Erarbeitung<br />
von Klausuraufgaben pro Bundesland oder Kammerbezirk,<br />
die eine freiwillige Abstimmung über Kammergrenzen hinweg<br />
nicht ausschlösse, hätte keinen schlechteren Effekt.<br />
Aber selbst dies zu fordern, muss überlegt sein. Ich frage<br />
mich, warum es nicht auch ausreichen soll, dass ein mit eigener<br />
Überprüfungskompetenz ausgestatteter Fachausschuss<br />
Zweifel, die ihm bei Durchsicht der Leistungsnachweise<br />
und Falllisten gekommen sind, durch ergänzende<br />
Überprüfung im Fachgespräch ausräumt. Das spricht für die<br />
vom DAV bevorzugte Fachgesprächslösung. Andererseits ist<br />
zum DAV-Vorschlag zu fragen, warum ein obligatorisches<br />
Fachgespräch notwendig sein soll und nicht ausreicht, dass<br />
der Fachausschuss bei Zweifeln in eine ergänzende Überprüfung<br />
der vorgelegten schriftlichen Nachweise im Fachgespräch<br />
eintritt. Zu beiden Vorschlägen stellt sich die Frage,<br />
ob sie nicht ein von der Satzungsversammlung zu beschließendes<br />
strukturiertes Ausbildungsprogramm voraussetzen,<br />
aus dem allein die Klausurthemen und Gegenstände der<br />
Fachgespräche entnommen werden dürfen. Auch dies<br />
bedürfte möglicherweise der ergänzenden Satzungskompetenz.<br />
Ein solches Ausbildungsprogramm könnte, wie z.B.<br />
vom DAV gewünscht, auch die Anforderungen heraufsetzen.<br />
80 Protokoll der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 11.06.2007, S. 11.<br />
81 AnwBl 2007, 411.<br />
82 AnwBl 2007, 413.<br />
Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse AnwBl 11 / 2007 735
MN Aufsätze<br />
9. Fortbildung des Fachanwalts<br />
Zutreffend hat Kilger 83 betont, dass die Voraussetzungen des<br />
Zugangs zur Fachanwaltschaft keinesfalls wichtiger seien als<br />
der Erhalt der erworbenen Fachkenntnisse. Rechtsprechung,<br />
rechtswissenschaftlicher Meinungsstand und die Rechtsordnung<br />
selbst sind in einer sich ständig beschleunigenden Bewegung.<br />
Wer sich nicht fortbildet, kann schon schnell den<br />
an sein Fachgebiet gestellten Anforderungen nicht mehr<br />
genügen. Hier bestehen nach derzeitiger Rechtslage Defizite.<br />
Das Absitzen von fachgebietsbezogenen Fortbildungsveranstaltungen<br />
mit jährlich zehn Fortbildungsstunden allein<br />
hält den erforderlichen Standard nicht aufrecht.<br />
Der DAV schlägt 84 die Erhöhung der jährlichen Fortbildungsstunden<br />
von zehn auf 15 vor. Das ist erwägenswert,<br />
wäre aber nicht ausreichend, wenn der Fachanwalt auch<br />
diese erhöhte Stundenzahl nur „absitzt“, im Fachgebiet aber<br />
nicht mehr oder nur noch minimal tätig ist. Es könnte überlegt<br />
werden, neben dem Nachweis der bisherigen Zahl von<br />
Fortbildungsstunden den jährlichen, zwei- oder dreijährlichen<br />
Nachweis von Fallzahlen zu verlangen, die in begrenztem<br />
Umfange durch eine auf 15 oder 20 Fortbildungsstunden<br />
jährlich erhöhte Fortbildungszeit ausgeglichen werden<br />
können. Überlegt werden sollte auch, ob für Art und Inhalt<br />
der Fortbildungsveranstaltungen – natürlich fachgebietsbezogen<br />
– Fortbildungsmodule vorgeschrieben werden sollten,<br />
ein System, wie dies der Ausschuss 6 der dritten Satzungsversammlung<br />
für den Bereich der allgemeinen anwaltlichen<br />
Fortbildung konzipiert hat 85 und dies in freiwilligen Fortbildungsangeboten<br />
von BRAK, DAV und einzelnen Kammern<br />
bereits umgesetzt wird.<br />
10. Fortbildungspflicht eines jeden Anwalts<br />
Die dritte Satzungsversammlung hat auf ihrer 6. Sitzung<br />
vom 3. April 2006 zur Frage der allgemeinen Fortbildungspflicht<br />
des Anwalts den Ausschuss 6 mit großer Mehrheit gebeten<br />
86 : „Die Satzungsversammlung bittet den Ausschuss 6,<br />
Modelle einer sanktionierten und einer nicht sanktionierten<br />
Fortbildungspflicht zu entwickeln und der Satzungsversammlung<br />
zur Abstimmung vorzulegen.“ Auch diese Arbeit<br />
hat die dritte Satzungsversammlung der vierten Satzungsversammlung<br />
hinterlassen. Bislang hat die Satzungsversammlung<br />
keine Kompetenz, die anwaltliche Fortbildungspflicht<br />
(§ 43a Abs. 6 BRAO) näher zu regeln. Eine Gesetzesänderung<br />
ist dafür Voraussetzung. Auch hierzu ist vom Gesetzgeber<br />
keine Initiative zu erwarten, so lange die Anwaltschaft<br />
sich nicht über die anzustrebende Lösung einig wird. Der<br />
DAV-Entwurf bleibt dazu noch einen Regelungsvorschlag<br />
schuldig. 87 Die Bedeutung des Themas ist nicht zu unterschätzen.<br />
Hellwig 88 weist mit Recht darauf hin, dass das Anwaltsmonopol<br />
unabhängig vom Rechtsdienstleistungsgesetz<br />
sehr schnell schon von Europa her kippen kann, wenn die<br />
Anwaltschaft die Aufrechterhaltung ihrer zur Rechtfertigung<br />
des Monopols angeführten besonderen Kompetenz nicht in<br />
den Griff bekomme.<br />
83 Protokoll der 7. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 11.6.2007, S. 211.<br />
84 §26FAO-EDAV.<br />
85 SV-Mat. 03/2006.<br />
86 Protokoll der 6. Sitzung der dritten Satzungsversammlung vom 3.4.2006, S. 13.<br />
87 Vgl. Vorschläge des DAV zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung: AnwBl<br />
2007, 679, 690 f.<br />
88 Protokoll der 5. Sitzung der 3. Satzungsversammlung, S. 28.<br />
89 Koch-Kilian-Koch, Anwaltliches Berufsrecht, Rdnr 151.<br />
IV. Qualitätssicherung als Aufgabe<br />
Zusammenfassend zeigt der Rückblick auf drei Wahlperioden<br />
Satzungsversammlung: Die Satzungsversammlung hat<br />
durch an der Berufsfreiheit orientierte berufsrechtliche Regelungen<br />
die integere und geradlinige Wahrnehmung anwaltlicher<br />
Aufgaben unterstützt, die besondere Stellung und Bedeutung<br />
des Anwalts in unserer Gesellschaft deutlich<br />
gemacht, durch entsprechende Pflichtenkataloge die Sicherung<br />
von Kompetenz und Professionalität anwaltlicher Tätigkeit<br />
gefördert und dem Anwalt in seiner Außendarstellung<br />
Freiräume eröffnet, die er braucht, um sich im allgemeinen<br />
Beratungsmarkt und im Rechtsberatungsmarkt im Besonderen<br />
zu behaupten.<br />
Diese Arbeit ist nicht abgeschlossen. Gerade zum Thema<br />
Qualitätssicherung ist weitere Arbeit erforderlich. Ein neues<br />
Fachanwaltskonzept und ein Fortbildungskonzept sind erforderlich,<br />
um die Glaubwürdigkeit qualitativ hochwertiger anwaltlicher<br />
Leistungsangebote zu bewahren. Hier gibt es für<br />
die vierte Satzungsversammlung viel zu tun, wenn sie den<br />
Wunsch Ludwig Kochs einlösen will 89 , „dass sich die Anwaltschaft<br />
hier insgesamt einigt und BRAO-Ermächtigungsnormen<br />
sowie FAO-Bestimmungen bis zum 50-jährigen Jubiläum<br />
der BRAO im Kalenderjahr 2009 im Gesetzblatt<br />
stehen.“ Dazu wünsche ich der vierten Satzungsversammlung<br />
Geduld, Ausdauer, Mut und Erfolg.<br />
Felix Busse, Troisdorf<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er war Mitglied der ersten drei<br />
Satzungsversammlungen (von 1995 bis 2007) und Präsident<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s von 1994 bis 1998.<br />
736 AnwBl 11 / 2007 Satzungsversammlung: Was bleibt zu tun?, Busse
MN Aufsätze<br />
Gesellschaftsrecht<br />
der freien Berufe<br />
auf dem Prüfstand<br />
„Doc-Morris“ für die rechts- und<br />
steuerberatenden Berufe?<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />
Das anwaltliche Gesellschaftsrecht kennt als ungeschriebenen<br />
Rechtssatz das Dogma der aktiven Mitarbeit. Fremdbeteiligungen<br />
durch Berufsfremde sind ausgeschlossen. Interprofessionelle<br />
Sozietäten sind nur in Ausnahmefällen<br />
möglich. Das Gesellschaftsrecht der freien Berufe steht nun<br />
mit seinen Fremdbesitzverboten auf dem Prüfstand. Der Autor<br />
vertritt die Auffassung, das die strikten Verbote bei Anwälten<br />
in dieser Form weder europa- noch verfassungsrechtlich<br />
gerechtfertigt werden können. Das hätte die „Doc<br />
Morris“-Rechtsprechung beim Fremdbesitzverbot für Apotheken<br />
gezeigt.<br />
Die Ikone der Freiberuflichkeit ist einem massiven Entmythologisierungsprozess<br />
ausgesetzt. Vermehrt stehen die in<br />
früherer Zeit unangefochtenen berufsrechtlichen Normen,<br />
welche Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern<br />
einen Sonderstatus einräumten (mit besonderen<br />
Rechten, aber auch und vor allem Pflichten) auf dem<br />
Prüfstand der Politik und der Gerichte. Nach dem Wegfall<br />
zahlreicher Berufspflichten (wie zum Beispiel dem Werbeverbot<br />
oder dem strikten Verbot des Erfolgshonorars) rücken<br />
nunmehr sogar gesellschaftsrechtliche Restriktionen in das<br />
Blickfeld. Bisher vollständig tabuisierte Verbote interprofessioneller<br />
Sozietäten wie auch einer Fremdbeteiligung an Anwalts-<br />
oder Steuerberatergesellschaften werden erstmals in<br />
Frage gestellt. Der EuGH wird demnächst über die Europarechtskonformität<br />
entsprechender Regelungen bei Apotheken<br />
entscheiden. 1 Es stellt sich dann die Frage, warum die<br />
Grundsätze der zu erwartenden „Doc Morris“-Entscheidung<br />
nicht auch für Rechtsanwälte und Steuerberater gelten sollen,<br />
zumal bei den Ärzten vergleichbare Verbote schon seit<br />
langem „ausgedient“ haben.<br />
I. Abwehrgefechte<br />
Das Verbot des Fremdbesitzes an freiberuflichen Gesellschaften<br />
ist bisher von den deutschen Gerichten nicht als problematisch<br />
angesehen worden. 2 Der BGH hat noch bis in die<br />
jüngste Zeit sogar das nur für Rechtsanwälte noch bestehende<br />
Verbot der Sternsozietät als verfassungskonform erachtet.<br />
Das Verbot der Aufnahme Berufsfremder in den<br />
Kreis der Sozien entgegen § 59 a Abs. 1 BRAO wird ebenfalls<br />
von der Anwaltsgerichtsbarkeit nicht in Frage gestellt.<br />
Als das Bundesministerium der Justiz (BMJ) im Rahmen<br />
der Reform des Rechtsberatungsrechts den Vorschlag<br />
machte, interprofessionelle Sozietäten über den bisherigen<br />
Umfang bei Rechtsanwälten zuzulassen, sah es sich von einer<br />
massiven Protestwelle überrollt. Noch größer war das<br />
Entsetzen, als eine australische Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
ankündigte, an die Börse zu gehen. Als dann auch noch von<br />
der britischen Insel Bestrebungen zur Zulassung von Fremd-<br />
kapital bekannt wurden, sah sich in einem Akt der Verzweiflung<br />
der damalige Präsident der BRAK in einer Don<br />
Quichote zur Ehre reichenden Verteidigungsakt sogar veranlasst,<br />
einen Drohbrief an das englische Parlament über<br />
den Kanal zu senden. Er kündigte an, englischen Gesellschaften<br />
mit bemakelter Fremdbeteiligung den Zutritt auf<br />
den deutschen Rechtsboden zu verwehren; 3 deutsche und<br />
englische Anwälte, die Teil einer in Deutschland auftretenden<br />
alternativ finanzierten Sozietät seien, verstießen gegen<br />
hiesiges Standesrecht und dürften daher ihre Tätigkeit hierzulande<br />
nicht mehr ausüben.<br />
Auch die Rechtswissenschaft sah sich veranlasst, massiv<br />
gegen eine Lockerung des freiberuflichen Gesellschaftsrechts<br />
zu Felde zu ziehen. Verfassungs- und europarechtliche Probleme<br />
der Beschränkungen im deutschen Recht wurden<br />
nicht ausgemacht. Jestaedt 4 erklärt kurzerhand die deutschen<br />
Sanktionen für europarechtsfest und spricht allen Ernstes davon<br />
, dass „im Zweifel für die Standesregeln“ zu plädieren<br />
sei. Römermann sieht die Niederlassungsfreiheit nicht einmal<br />
berührt, da ausländische Kanzleien sich schließlich in<br />
Deutschland niederlassen könnten, ohne allerdings – was<br />
wenig hilfreich ist – hier zugelassene Anwälte zu beschäftigen.<br />
Henssler 5 hält im derzeitigen Stadium des Erkenntnisprozesses<br />
allenfalls im Anwaltsrecht das für politisch einführbar,<br />
was bereits bei anderen freien Berufen gilt.<br />
II. Verfassungs- und europarechtliche Problematik<br />
Sämtliche Stellungnahmen leiden darunter, dass sie letztlich<br />
allein an der Tradition ausgerichtet sind. Die eigentlich entscheidende<br />
Frage nach der Verfassungs- und Europarechtskonformität<br />
wurde aber nicht gestellt. Die gesellschaftsrechtlichen<br />
Verbote enthalten aber massive Eingriffe in europaund<br />
verfassungsrechtlich geschützte Grundfreiheiten und<br />
Grundrechte. Aus dem Gemeinschaftsrecht berühren sie vor<br />
allem die in Art. 43, 48 EGV garantierte Niederlassungsfreiheit,<br />
welche auch für juristische Personen gilt. 6 Verfassungsrechtlich<br />
ist durch Sozietätsbeschränkungen vorrangig die<br />
Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG berührt. 7 Zur<br />
Berufsausübung gehört schließlich auch das Recht, sich beruflich<br />
zusammenzuschließen. 8 Auf das Freiheitsrecht<br />
können sich über Art. 19 Abs. 3 GG auch Gesellschaften und<br />
juristische Personen berufen.<br />
1 VorlagebeschlüssedesOVGSaarlouisvom20.und21.03.2007–3K361/06und<br />
3 K 364/06. Es geht in der Vorlage zum EuGH um Vereinbarkeit des Fremdbesitzverbotes<br />
für Apotheken (§ 7 ApothekenG) mit der Niederlassungsfreiheit gem.<br />
Art. 43, 46 EGV für Kapitalgesellschaften. Siehe auch die im vorläufigen RechtsschutzergangenenBeschlüssedesOVGSaarlouisvom22.01.2007–3W14/06<br />
und 3 W 15/06, LKRZ 2007, 155 (156), zum Betrieb einer „Doc Morris“-Filialapotheke<br />
durch eine niederländische Kapitalgesellschaft.<br />
2 Vgl. ausführlich Kleine-Cosack, Der Betrieb 2007, 1851 ff.<br />
3 Vgl. Juve Rechtsmarkt 2007, Heft 7, S. 32.<br />
4 Vgl. Juve ebd. S. 31<br />
5 AnwBl. 2007, 553, 558<br />
6 EuGHE 2005, 1377; dazu Kruis, EuZW 2007 S. 175; Diekmann, WRP 2007 S. 407.<br />
7 Betrifft eine gesetzliche Regelung die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher<br />
Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden<br />
hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine<br />
Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. 10.<br />
1984–1BvR35,356,794/82,BVerfGE68S.193[223f.]; vom 6. 10. 1987 – 1<br />
BvR 1086, 1468, 1623/82, BVerfGE 77 S. 84 [118] = DB 1988 S. 605; vom 22. 1.<br />
1997–2BvR1915/91,BVerfGE95S.173[188]).<br />
8 BVerfG, Beschluss vom 4.07.1989 – 1 BvR 1460/85, 1239/87, BVerfGE 80 S. 269<br />
(278); BVerfG NJW 2003, 2520, 2522.<br />
Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 737
MN Aufsätze<br />
Eingriffe in die europa- wie verfassungsrechtlich verbürgten<br />
Rechte durch die hier in Rede stehenden gesellschaftsrechtlichen<br />
Restriktionen sind nur dann rechtmäßig, wenn<br />
sie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. So<br />
sind Behinderungen der Niederlassungsfreiheit der Art. 43,<br />
48 EGV nach dem kumulativ anzuwendenden Schrankenquartett<br />
nur zulässig, wenn sie nicht diskriminierend, aus<br />
zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt,<br />
zur Zielverwirklichung geeignet sind und nicht darüber hinausgehen,<br />
was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich<br />
ist. 9 Vergleichbare Schranken gelten für die grundgesetzlich<br />
in Art 12 Abs. 1 GG verbürgte Berufsfreiheit. So hat das<br />
BVerfG 10 erst jüngst im Erfolgshonorarverbotsfall ausgeführt:<br />
„Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist nur dann erforderlich, wenn<br />
ein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger einschränkendes<br />
Mittel nicht zur Verfügung steht Auch soweit die<br />
Freiheit der Berufsausübung betroffen ist, dürfen Eingriffe nicht<br />
weiter gehen, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern“<br />
Die bloße Möglichkeit und noch weniger der schlichte<br />
Anschein von Gefahren können nach der ständigen Rechtsprechung<br />
das BVerfG 11 nicht generelle Verbote – z. B. im<br />
Bereich der Berufsfreiheit der Freiberufler – rechtfertigen.<br />
Vielmehr sind Gefahren dort zu bekämpfen, wo sie tatsächlich<br />
bestehen. 12 Die gesellschaftsrechtlichen Verbote aber betreffen<br />
die verantwortungsvolle und erhöht gemeinwohlrelevante<br />
Berufsausübung unmittelbar überhaupt nicht.<br />
Dementsprechend sind sie auch nicht Essentiale des freien<br />
Berufs, wie sie § 1 PartGG auflistet. Es geht bei ihnen<br />
schließlich nicht direkt um die ärztliche Tätigkeit oder die<br />
Funktion als Rechtsanwalt oder Apotheker. Vielmehr ist die<br />
Berufsausübung nur mittelbar betroffen, was – wie das<br />
BVerfG 13 z. B. im Hinblick auf Werbeverbote zu recht herausgestellt<br />
hat – eher gegen ihre Gemeinwohlerforderlichkeit<br />
spricht.<br />
Unterschieden wird deshalb bei den Freiberuflergesellschaften<br />
zwischen einem internen und einem externen Bereich.<br />
14 Ersterer umfasst das Eigentum bzw. den Besitz an<br />
dem Geschäft oder der Praxis, Letzterer dagegen die Beziehungen<br />
zu Kunden, Klienten oder Patienten und damit die<br />
eigentlich allein relevante freiberufliche Berufsausübung.<br />
Diese Bereichsdifferenzierung ist unverzichtbar, um bei der<br />
Prüfung der Verhältnismäßigkeit weniger schwerwiegende<br />
Folgen für die Freiheitsrechte zu erreichen. 15 Die Trennung<br />
der Bereiche ermöglicht die klare Unterscheidung, in welchem<br />
Bereich die Gefahren für die Klienten, Kunden oder<br />
Patienten vorhanden sind und wo die zu prüfenden staatlichen<br />
Maßnahmen ansetzen.<br />
Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts – nichts anderes<br />
gilt für das Verfassungsrecht – liegen die eigentlichen Gefahren<br />
bei Freiberuflerbetätigungen im Umgang mit dem Klienten,<br />
Kunden oder Patienten. Diesen Bereich hat der EuGH<br />
im Auge, soweit er z. B. im Optikerfall 16 darlegt, dass das Ziel<br />
des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dadurch zu erreichen<br />
ist, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer<br />
oder als Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein<br />
müssen. Gemeinwohlrelevant ist auch hier vorrangig nur die<br />
freiberufsspezifische Berufsausübung, wie z. B. die Erbringung<br />
einer Rechtsdienstleistung.<br />
Wenn somit die fehlende Gemeinwohlrelevanz gesellschaftsrechtlicher<br />
Restriktionen bei Freiberuflern durch ihre<br />
bloße Innenbereichsrelevanz bereits indiziert wird, so erweisen<br />
sich auch zahlreiche weitere bisher standardmäßig zu ih-<br />
rer Verteidigung vorgebrachte Argumente als unhaltbar.<br />
Dies hat der EuGH ebenfalls in der Optikerentscheidung 17<br />
betont und die darin angestellten Erwägungen wurden vom<br />
OVG Saarlouis 18 zu recht auf den Bereich des Apothekenwesens<br />
übertragen. Im Grundsatz beanspruchen sie aber in<br />
gleichem Maße Gültigkeit bei den rechts- und steuerberatenden<br />
Berufen, da allein die Unterschiedlichkeit der freiberuflichen<br />
Betätigungen der Übertragung der kritischen Erwägungen<br />
auf diese Berufe nicht entgegensteht. Dies zeigt eine<br />
Überprüfung der stereotyp gegen eine Liberalisierung ins<br />
Feld geführten Aspekte der Verantwortlichkeit, der Kommerzialisierung<br />
sowie der Konzernierung; sie erweisen sich bei<br />
näherer Überprüfung sämtlich als irrelevant. 19<br />
III. Freiberufliches Gesellschaftsrecht<br />
auf dem Prüfstand<br />
Somit gehört das gesamte freiberufsspezifische Gesellschaftsrecht<br />
auf den Prüfstand. Sämtliche Restriktionen sind<br />
auf ihre Gemeinwohlerforderlichkeit zu untersuchen.<br />
1. Umfassende Prüfung<br />
Dies gilt z. B. für die Spezialregelungen zur Rechtsanwalts-<br />
GmbH in den §§ 59 c ff. BRAO; verfassungsrechtliche Bedenken<br />
gegen Einzelbestimmungen wie § 59 k oder auch die extrem<br />
hohe Haftpflichtversicherung liegen auf der Hand.<br />
Keinesfalls vermag auch die bereits eingangs erwähnte Verteidigung<br />
des nur noch für Rechtsanwälte geltenden Verbots<br />
der Sternsozietät durch den BGH 20 – es sei „zur Zeit nicht<br />
verfassungswidrig“ – zu überzeugen. Es wird mit der Verabschiedung<br />
des RDG in Kürze fallen. Schon beim bis zuletzt<br />
nicht in Frage gestellten – vom Gesetzgeber nunmehr<br />
endlich aufgehobenen – Zweigstellenverbot konnte der BGH<br />
nur Kopfschütteln auslösen, wenn er daran festhielt trotz gegenteiliger<br />
liberaler Regelungen bei Steuerberatern oder<br />
Wirtschaftsprüfern.<br />
2. Fremdbesitz- und Beteiligungsverbote<br />
Vor allem aber erweisen sich am Maßstab der verfassungsund<br />
europarechtlichen Kriterien Fremdbesitz- und Beteiligungsverbote<br />
bei freiberuflichen Gesellschaften als<br />
9 EuGH vom 21.04.2005 – RS C-140/03, Optikerentscheidung, Kommission/Griecheland,<br />
EuGHE 2005, 3177 (Rdnr. 34), zur Niederlassungsfreiheit für Optikergeschäfte,.<br />
Grundlegend bereits EuGH im Urteil Gebhard vom 30.11.1995 – Rs.<br />
C-55/94, DB 1996 S. 35, Rdn. 37.<br />
10 BVerfG,Beschlussvom12.12.2006–1BvR2576/04,NJW2007S.979; dazu<br />
Kleine-Cosack, NJW2007S.1405ff.<br />
11 Vgl. nur BVerfGE 76, 196, 206.<br />
12 So vor allem der EuGH: vgl. EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9), Rdn. 34.<br />
13 BVerfG,Beschlussvom22.05.1996–1BvR744/88,DB1996S.1920=NJW<br />
1996 S. 3067.<br />
14 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12.2004 – C-140/03, Rdn. 34.<br />
15 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12.2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />
36.<br />
16 EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9).<br />
17 EuGH vom 21.04. 2005, aaO (Fn. 9).<br />
18 OVG Saarlouis LKRZ 2007, 155.<br />
19 Vgl. dazu ausf. Kleine-Cosack, Der Betrieb 2007, 1851 ff. m.w.N.<br />
20 NJW 2006 S. 1132 ff.<br />
738 AnwBl 11 / 2007 Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack
MN Aufsätze<br />
fragwürdig. Sie finden sich z. B. bei den Apotheken oder den<br />
rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen. Das Fehlen ihrer<br />
Gemeinwohlrelevanz wird grundsätzlich dadurch indiziert,<br />
dass sie nur den internen Bereich betreffen, nämlich die Eigentumsform;<br />
sie berühren unmittelbar jedoch nicht die gemeinwohlrelevante<br />
freie Berufsausübung des Apothekers<br />
oder Rechtsanwalts. Da sie auch nicht mit den Argumenten<br />
der Verantwortlichkeit, der Kommerzialisierung und der<br />
Konzernierung gerechtfertigt werden können, sind sie unmittelbar<br />
nicht gemeinwohlrelevant und daher im Prinzip<br />
mit der Niederlassungs- bzw. Berufsausübungsfreiheit nicht<br />
zu vereinbaren.<br />
Diese Unhaltbarkeit von Fremdbesitzverboten haben der<br />
EuGH 21 im Optikerurteil und das OVG Saarlouis 22 in der Übertragung<br />
von dessen Grundsätzen auf den Apothekenbereich<br />
verdeutlicht. Danach reicht als milderes Mittel, dass<br />
die in Rede stehende Dienstleistung sei es des Optikers oder<br />
des Apothekers durch die allein dazu berechtigten Berufsangehörigen<br />
erbracht wird. Nach dem EuGH muss aus der<br />
Sicht des Gemeinschaftsrechts die öffentliche Gesundheit<br />
der Patienten nicht vorbeugend vor der Eigentumsform der<br />
Kapitalgesellschaft geschützt werden. Das Fremdbesitzverbot<br />
vermische den internen Bereich der Inhaberschaft mit dem<br />
externen Bereich der angebotenen Dienstleistungen zum<br />
Nachteil der im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit. 23<br />
Trenne man dagegen die beiden Bereiche der Patientenbeziehung<br />
und der Eigentumsform, so hätte dies bei der Prüfung<br />
des Übermaßverbotes weniger schwerwiegende Folgen für<br />
die gemeinschaftsrechtliche Freiheit 24 . Es werde klar erkennbar,<br />
dass das staatliche Verbot der Niederlassungsfreiheit<br />
nicht dort ansetzt, wo die Gefahr ist. Gemessen daran gibt es<br />
z. B. – so zu Recht das OVG Saarlouis 25 – keinen zwingenden<br />
Grund dafür, dass eine Kapitalgesellschaft schon vorbeugend<br />
als solche als Gefahr bekämpft werden muss und z. B. keine<br />
Apotheke erwerben darf. Es sollte Klarheit dahingehend bestehen,<br />
dass es bei der zu erwartenden Bestätigung der Ansicht<br />
des OVG durch den EuGH zu einem Dammbruch im<br />
deutschen Apothekenrecht kommen wird. Dessen allein<br />
durch – europarechts- und verfassungswidrigen – Konkurrenzschutz<br />
bestimmte gesellschaftsrechtliche Verbote werden<br />
keinen Bestand haben. Die gesamte Branche stellt sich<br />
bereits auf diese Veränderungen ein. Ein Apothekensterben<br />
in Deutschland wird die Folge diese Veränderungen sein.<br />
Ein solcher Tod steht zwar den steuer- und rechtsberatenden<br />
Berufen nicht bevor. Aus vergleichbaren Erwägungen bestehen<br />
aber auch hier erhebliche europa- und verfassungsrechtliche<br />
Bedenken gegen die Beteiligungsverbote bei den<br />
rechts- und steuerberatenden Berufen wie z. B. des § 50 a<br />
StBerG 26 , des § 28 Abs. 4 Satz 1 WPO oder des § 59 c Abs. 2<br />
BRAO. Es ist in jedem Fall genau zu prüfen, ob sie im Interesse<br />
des Gemeinwohls erforderlich und daher mit der Niederlassungsfreiheit<br />
der Art. 43, 48 EGV sowie der verfassungsrechtlich<br />
verbürgten Berufsfreiheit des Art 12 GG bzw.<br />
der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG – sie ist bei einem<br />
Widerruf der Zulassung ebenfalls tangiert – vereinbar<br />
sind.<br />
Indiz für die Gemeinwohlwidrigkeit dieser Beteiligungsverbote<br />
ist einmal der Umstand, dass auch die EU sie nicht<br />
für notwendig hält. Verwiesen sei nur auf die für Wirtschaftsprüfer<br />
bedeutsame Richtlinie vom 17. Mai 2006 über<br />
Abschlussprüfungen. 27 Danach ist nur entscheidend, dass die<br />
Abschlussprüfungen von Abschlussprüfern vorgenommen<br />
werden, die Mehrheit der Stimmrechte bei entsprechend<br />
qualifizierten Personen liegt und das Verwaltungs- und Leitungsorgan<br />
sich mit einer Mehrheit von bis zu 75% aus<br />
Prüfungsgesellschaften zusammensetzt.<br />
Auch ein Blick in die Vergangenheit der freien Berufe in<br />
Deutschland zeigt, dass man Fremdbeteiligungsverbote<br />
früher nicht für erforderlich gehalten hat. Der Ausschluss<br />
der (Kapital-)Beteiligung Berufsfremder an Steuerberatungsoder<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wurde erst 1985<br />
bzw. 1989 28 , bei Rechtsanwälten noch später im Jahre 1999<br />
mit der erstmaligen Regelung der GmbH eingeführt, ohne<br />
dass ein sie rechtfertigender konkreter Anlass bestand. Die<br />
fehlende Erforderlichkeit von Beteiligungsverboten speziell<br />
für freiberufliche Gesellschaften ergibt sich auch daraus,<br />
dass der Gesetzgeber z. B. bei Steuerberatern bei ihrer Einführung<br />
für bestehende Gesellschaften mit Fremdbeteiligungen<br />
Bestandsschutz gewährt hat ohne zeitliche Limitierung. 29<br />
Verwiesen sei auf § 154 StBerG. Ein konkreter Fall zur Reichweite<br />
des Bestandsschutzes ist beim FG Hannover anhängig.<br />
30 Wären wirklich dringende Gemeinwohlgründe erkennbar,<br />
dann hätte sichergestellt werden müssen, dass nach<br />
einer Übergangsfrist alle Steuerberatungsgesellschaften<br />
keine Fremdbeteiligungen aufweisen. Eine solche Regelung<br />
findet sich jedoch nicht im Gesetz. Die Folge ist, dass es<br />
heutzutage nach wie vor eine große Zahl von Steuerberatungsgesellschaften<br />
mit Fremdbeteiligung gibt, ohne dass<br />
Beanstandungen vorgebracht werden können. Derartige Gesellschaften<br />
können auch auf ihren Geschäftspapieren und<br />
ihren Praxisschildern auf ihren Fremdgesellschafter wie einen<br />
Verein hinweisen; der entgegenstehende § 19 Abs. 6<br />
Satz 2 BOStB ist nach dem OVG Lüneburg 31 unwirksam;<br />
eine Gesellschaft brauche die Fremdbeteiligung nicht, wie es<br />
die Steuerberaterkammer annehme, „verstecken“. Die Angabe<br />
erhöht vielmehr die Transparenz.<br />
21 EuGH aaO (Fn. 9).<br />
22 OVG Saarlouis, aaO (Fn. 1).<br />
23 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12. 2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />
55.<br />
24 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 7.12. 2004, aaO (Fn. 14), Rdn.<br />
55.<br />
25 OVG Saarlouis LKRZ 2007, 155.<br />
26 Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) vom 19. 12. 1985 (BGBl. 1985 S. 2355), zum 1.<br />
1. 1986 in Kraft getreten. § 28 Abs. 4 Satz 1 WPO gilt seit diesem Zeitpunkt; § 50a<br />
StBerG wurde etwas später eingeführt durch Gesetz vom 9. 6. 1989 (BGBl. 1989<br />
S. 1062) mit Wirkung ab 16. 6. 1989, siehe dazu auch Haibt, Die Kapitalbeteiligung<br />
Berufsfremder an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, 1998, S. 61, 64 ff.<br />
27 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5.<br />
2006 über Abschlussprüfungen u. a.<br />
28 Die Ende 1985 bzw. 1989 eingeführten Restriktionen der § 50a Abs. 1 StBerG,<br />
§ 28 Abs. 4 Satz 1 WPO gehen auf Vorgaben in Art. 2 Abs. 1 der 8. EG-Gesellschaftsrechtsrichtlinie<br />
von 1984 zurück. Da für Deutschland kein Richtlinienumsetzungszwang<br />
bestand und auch keine Bindungswirkung (vgl. Art. 249 Abs. 3 EGV<br />
n. F.) eingetreten ist, kann das Erfordernis der Stimmen- und Anteilsmehrheit bei<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wieder zurückgenommen werden; bei Steuerberatungsgesellschaften<br />
gilt dies ohnehin. Vgl. Pluskat, DStR 2004 S. 58 ff.<br />
29 Dazu Mittelsteiner, DStR 1991 S. 328; Stöcker, DStR 2000 S. 656.<br />
30 FG Hannover, Az. 6 K 296/07.<br />
31 OVGLüneburg,Urteilvom8.12.2005–9LB50/03,NJW2006S.3799.<br />
Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 739
MN Aufsätze<br />
3. Verbot interprofessioneller Sozietät mit Berufsfremden<br />
Verfassungs- und europarechtlich nicht haltbar sind auch die<br />
bisher bestehenden rigiden Verbote der Bildung interprofessioneller<br />
Sozietäten bei den rechts- und steuerberatenden Berufe.<br />
Am rigidesten ist das Anwaltsrecht mit § 59 a BRAO.<br />
Anders als das StBerG sieht die BRAO nicht einmal Regelungen<br />
für Todes- und Erbschaftsfälle vor. Auch die ausnahmsweise<br />
Zulassung besonders qualifizierter Personen ist anders<br />
als im StBerG nicht erlaubt. Dementsprechend hat z. B. die<br />
Rechtsanwaltskammer Celle es für unzulässig erklärt, dass<br />
schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht tätige Rechtsanwälte<br />
einen Dipl. Ökonomen in ihre Sozietät aufnehmen und diesen<br />
Umstand durch entsprechende Aufführung auf dem<br />
Briefkopf öffentlich machen. Der Fall ist beim BVerfG 32 anhängig,<br />
nachdem der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof<br />
(AGH) durch Beschluß vom 27. April 2006 den Antrag auf<br />
gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen hat. 33<br />
Im Gegensatz zu schlichten Beteiligungsverboten betreffen<br />
die hier in Rede stehenden Regelungen zwar durchaus<br />
den gemeinwohlrelevanten Aussenbereich der freiberuflichen<br />
und eigenverantwortlichen Berufsausübung. Gegen<br />
ihre Erforderlichkeit zu deren Sicherung spricht jedoch einmal<br />
der Umstand, dass die Zulässigkeit einer Zusammenarbeit<br />
bzw. Einzelfallkooperation von niemandem bisher in<br />
Frage gestellt wurde. Sie wird auch z. B. von Rechtsanwälten<br />
mit Ärzten, Architekten oder Unternehmensberatern praktiziert.<br />
Die Zusammenarbeit kann zudem auch auf der Basis<br />
von Festanstellungen erfolgen. Es gibt keinerlei Restriktionen,<br />
soweit es um den freiberuflichen sozietätsinternen Innenbereich<br />
34 geht.<br />
Die „gemeinschaftliche“ Berufsausübung kann auch zudem<br />
nach aussen kundbar gemacht werden. Schließlich ist<br />
es im Rahmen der verfassungsrechtlich und gesetzlich verbürgten<br />
Werbefreiheit jeder Kanzlei unbenommen, ihre Mitarbeiter<br />
z. B. auf dem Briefkopf oder in Praxisbroschüren anzugeben<br />
oder gar abzulichten. Es ist dann aber nicht<br />
verständlich, warum nicht auch eine (Schein-)Sozietät mit einem<br />
solchen Berufsfremden begründet werden kann. Allein<br />
der Umstand des Wechsels vom Anstellungsstatus zum Sozius<br />
rechtfertigt nicht ein Verbot, da es nicht zur Sicherung<br />
des Gemeinwohls zwingend erforderlich wäre. 35 Das StBerG<br />
sieht schon jetzt vor, dass ausnahmsweise auch fachlich<br />
nicht einschlägig qualifizierte Personen in der Geschäftsführung<br />
tätig sein können (§ 50 Abs. 3 StBerG), sodass sich die<br />
Frage der Vereinbarkeit von Verboten für vergleichbare freie<br />
Berufe stellt. Auch der spezielle Aspekt der nach dem Gesetz<br />
im Prinzip nur den Freiberuflern zustehenden Verschwiegenheitspflicht<br />
legitimiert bei näherem Zusehen kein Verbot.<br />
Schließlich erstreckt sich diese Pflicht nach § 203 StGB<br />
oder § 43 a Abs. 2 BRAO auf alle Mitarbeiter des Freiberuflers,<br />
der zudem berufsrechtlich verpflichtet ist, sie unabhängig<br />
von ihrer Stellung zur Verschwiegenheit zu verpflichten.<br />
Eine Liberalisierung des Rechts zur Bildung interprofessioneller<br />
Sozietäten für Freiberufler ist somit geboten. Entsprechend<br />
drängt auch die Europäische Kommission darauf,<br />
dass auch Nichtfreiberufler sich an freiberuflichen Gesellschaften<br />
wie Rechtsanwaltsgesellschaften, Steuerberatungsgesellschaften<br />
und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beteiligen<br />
sollen. 36 Rechtspolitisch weitsichtig beabsichtigte daher<br />
der Bundesgesetzgeber 37<br />
im neuen Rechtsdienstleistungsgesetz<br />
(RDG) Rechtsanwälten die Möglichkeit einer Zusammenarbeit<br />
auch in der Form einer Sozietät mit sonstigen Be-<br />
rufsfremden zu geben. 38 Nach dem Gesetzentwurf vorerst in<br />
einem neuen § 59 a Abs. 4 BRAO-E die Möglichkeit der Sozietätsbildung<br />
mit Angehörigen „vereinbarer Berufe“ – wie<br />
z.B. Ärzten, Architekten oder Mediatoren – geschaffen werden.<br />
Der Gesetzgeber geht zutreffend davon aus, dass die totale<br />
Beschränkung des Abs. 1 BRAO auf Berufsfremde nicht<br />
am Maßstab des Art. 12 1 GG – erforderlich ist. Nachdem<br />
sich dieser Reformvorschlag nicht durchgesetzt hat, droht –<br />
was die Kritiker vor allem in den Kammern wieder einmal<br />
übersehen – erneut eine verfassungsgerichtliche „Verurteilung“<br />
zur Reform aus Anlass des beim BVerfG anhängigen<br />
Verfahrens.<br />
Fraglich kann allein sein, ob und in welchem Umfang<br />
noch Restriktionen im Hinblick auf die Geschäftsführung<br />
aufrechtzuerhalten bzw. einzuführen sind. Der Entwurf des<br />
BMJ sah keinerlei Beschränkungen vor. Immerhin kennt<br />
auch das Arztrecht – was nachdenklich stimmen muss – bei<br />
Kliniken keine besonderen Erfordernisse. Letztlich muss<br />
aber in jedem Fall die unabhängige Erbringung der freiberuflichen<br />
Dienstleistung gesichert werden. Eine Öffnung zur erweiterten<br />
interprofessionellen Sozietät von Freiberuflern wie<br />
Rechtsanwälten erscheint aber nur insoweit rechtspolitisch<br />
sinnvoll, als es um Berufe geht, bei denen ein Sachzusammenhang<br />
mit der anwaltsspezifischen rechtsbesorgenden Tätigkeit<br />
i. S. des §§ 1 – 3 BRAO bzw. des § 2 RDG besteht.<br />
Auch erscheint es geboten, dass der Anteil Berufsfremder zumindest<br />
in der Geschäftsführung beschränkt wird, wie dies<br />
z. B. für Wirtschaftsprüfgesellschaften europarechtlich vorgegeben<br />
ist. Nur dann ist es auch rechtspolitisch vertretbar,<br />
dieser Gesellschaft die Berufspflichten z. B. der Rechtsanwälte<br />
aufzuerlegen wie ihnen auch deren Rechte – erwähnt<br />
seien nur das Zeugnisverweigerungsrecht sowie das<br />
Beschlagnahmeprivileg – zuzubilligen.<br />
32 BVerfG, Az. 1 BvR 1367/06.<br />
33 Niedersächsischer AGH, Beschluss vom 27.4.2006 – AGH 18/05, in diesem Heft<br />
ab Seite 791.<br />
34 Dies gilt auch für Organe der Gesellschaften. Fraglich ist, ob z. B. Steuerberatungsgesellschaften<br />
im Fremdbesitz nach § 145 StBerG einen Aufsichtsrat haben<br />
dürfen.Vgl.OVGLüneburg,Urteilvom10.3.2003–5A4251/00,indemaberder<br />
Aufsichtsrat Entscheidungskompetenzen hatte.<br />
35 Gegen eine Erforderlichkeit der beschränkenden Regelung spricht weiter der Umstand,<br />
dass § 59a BRAO Rechtsanwälten nicht verbietet, zweitbe„ufliche Gesellschaften<br />
zu gründen und z. B. als Insolvenzverwaltungsge„ellschaft neben der<br />
Rechtsanwaltskanzlei aufzutreten, das Berufsrecht gilt – so der BGH und das<br />
BVerwG für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – nicht. Vgl. auch AGH Hamburg,<br />
AnwBl. 1999 S. 226.<br />
36 Das BMJ weist auch auf in die gleiche Richtung gehende Überlegungen in England<br />
hin: der Regierungsbericht des Department for Con„titutional Affairs vom Oktober<br />
2005 schlägt vor, die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und Nichtanwälten in<br />
sog. Alternative Business Structures (ABS) zuzulassen und die hierfür erforderlichen<br />
Schutzvorkehrungen (Safe Guards) zu treffen.<br />
37 Vgl. BT-Drucks. 16/3655 vom 30. 11. 2006.<br />
38 Vgl. dazu ausführlich Kleine-Cosack, DB 2006, S. 2797.<br />
740 AnwBl 11 / 2007 Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack
MN Aufsätze<br />
4. Rechtsanwälte als Subunternehmer bzw. Erfüllungsgehilfen<br />
Aus vergleichbaren Erwägungen kann es auch am Maßstab<br />
des Rechtsdienstleistungsrechts – nichts anderes gilt im übrigen<br />
für andere freiberufliche Bereiche wie z. B. das Steuerberatungsrecht<br />
– nicht als europa- und verfassungsrechtskonform<br />
angesehen werden, wenn Rechtsanwälten untersagt<br />
sein soll, als Subunternehmer oder Erfüllungsgehilfen für<br />
Dritte tätig zu werden. Das bisher nach der Rechtsprechung<br />
zum RBerG bestehende Verbot, nach dem nur der Vertretene<br />
selbst und nicht ein von ihm beauftragter Vertreter einen<br />
Rechtsanwalt beauftragen kann, 39 war und ist unhaltbar.<br />
Zu Recht hatte daher der Gesetzgeber des RDG 40 in § 5<br />
Abs. 3 des Entwurfs vorgesehen, dass Rechtsdienstleistungen<br />
in Zusammenarbeit mit oder unter Hinzuziehung einer Person<br />
erbracht werden dürfen, „der die selbständige entgeltliche<br />
Erbringung dieser Rechtsdienstleistungen erlaubt ist, wenn diese<br />
Person den rechtsdienstleistenden Teil der Tätigkeit eigenverantwortlich<br />
erbringt.“ Die Bestimmung ist zwar zwischenzeitlich<br />
als Konzession an die Anwaltschaft wieder aus dem Änderungsentwurf<br />
gestrichen worden. Diese Streichung ist jedoch<br />
bloße Augenwischerei, da sich die Zulässigkeit der Beauftragung<br />
von Rechtsanwälten durch Vertreter bereits aus der teleologischen<br />
wie auch der verfassungskonformen Auslegung<br />
des noch geltenden RBerG entsprechend dem Erbensucherbeschluss<br />
des BVerfG 41 ergibt. Daran kommt auch der Gesetzgeber<br />
nicht vorbei.<br />
Es ist schließlich kein sachlicher Grund erkennbar, warum<br />
ein Vertreter, der nach allgemeinem Recht alle Verträge<br />
im eigenen Namen abschließen kann, speziell bei Rechtsdienstleistungen<br />
Restriktionen unterliegen soll. Niemand hat<br />
bisher dem Bürger das Recht abgesprochen, sich durch<br />
Dritte vollständig vertreten zu lassen und anonym im Hintergrund<br />
zu bleiben. Entsprechend ist auch die allgemeine Praxis<br />
des Rechts- und Wirtschaftslebens, was die Verteidiger<br />
der Vertretertheorie in ihrer anwaltsperspektivischen beschränkten<br />
Sicht verkennen. Das (Berufs-)Recht kann niemanden<br />
zwingen, stets selbst mit einem Rechtsanwalt zu<br />
kontrahieren bzw. aus gewollter Anonymität herauszutreten,<br />
ganz abgesehen davon, dass bei verdeckter Vertretung potentielle<br />
Verstöße ohnehin überhaupt nicht entdeckt werden<br />
(können). 42 Anwaltsverträge Verträge zugunsten Dritter waren<br />
schon immer anerkannt. 43<br />
39 Vgl. krit. Kleine-Cosack, RBerG,2004,Art.1§3Rdn.11ff.,m.w.N.<br />
40 Vgl. BT-Drucks. 16/3655 vom 30. 11. 2006.<br />
41 BVerfG NJW 2002, 3531. Danach muß betreibt ein Erbensucher keine unerlaubte<br />
Rechtsberatung, wenn er auf eigene Kosten und Rechnung zu Gunsten des Erben<br />
einen Rechtsanwalt bestellt, der für ihn tätig wird.<br />
42 Entgegen immer wieder aufgestellten Behauptungen stellen sich hier auch keine<br />
nennenswerten Probleme im Hinblick auf Einhaltung der Berufspflichten wie vor<br />
allem der Verschwiegenheitspflicht. Der eingeschaltete Rechtsanwalt ist zu ihrer<br />
Einhaltung im Umfang des § 203 StGB bzw. des § 43 a II BRAO verpflichtet und<br />
zwar vorrangig seiner Vertragspartei. Der im Hintergrund bleibende Auftraggeber<br />
ist damit weitgehend ebenfalls geschützt vor einer Preisgabe von dem Rechtsanwalt<br />
anvertrauten Geheimnissen. Schaltet er anstelle der unmittelbaren Kontrahierung<br />
mit einem Rechtsanwalt einen Dritten ein, dann verzichtet er zudem mit<br />
dessen Information partiell auf die Verschwiegenheit, wie dies z. B. auch bei der<br />
Einschaltung einer Rechtsschutzversicherung der Fall ist.<br />
43 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, 306; OLG Köln NJW 1978, 896.<br />
44 Dies war nicht der Fall in der Entscheidung des OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. 11.<br />
2006–4U174/05.<br />
45 Vgl. dazu krit. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003„ § 7 Rdn. 59 ff.<br />
Nach Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsrechts<br />
kann es letztlich nur darauf ankommen, dass zur Vornahme<br />
der Rechtsdienstleistung ein (selbstständiger und unabhängiger)<br />
Rechtsanwalt eingeschaltet wird, der selbstverständlich<br />
alle Berufspflichten zu erfüllen hat. Wer der Auftraggeber<br />
ist, das ist am Maßstab der Zielsetzungen des Rechtsdienstleistungsrechts<br />
genauso irrelevant wie die Frage von Fremdbesitz-<br />
und Beteiligungen. Hier gilt im Rechtsberatungsbereich<br />
nichts anderes als bei den Heilberufen, deren Recht<br />
auch nur fordert, dass der Arzt z. B. die Operation vornimmt.<br />
Unerheblich ist hingegen, wer ihm den Auftrag erteilt oder<br />
bezahlt, sei es der Patient selbst oder Dritte. Entscheidend ist<br />
am Maßstab des Rechtsberatungsrechts allein, dass der als<br />
Subunternehmer tätige Rechtsanwalt selbständig und unabhängig<br />
seine Dienstleistung erbringt. 44 Schon derzeit können<br />
daher Unternehmen, Verbände, Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
Rechtsdienstleistungen anbieten<br />
und abrechnen, wenn sie zu ihrer Erbringung Rechtsanwälte<br />
einschalten. Sie sind nicht zwingend auf das<br />
vermehrt praktizierte „Umgehungsmodell“ angewiesen, indem<br />
sie ihre Syndikusanwälte eine Rechtsanwalts-GmbH<br />
gründen lassen.<br />
IV. Zusammenfassung<br />
Es sollte außer Frage stehen, dass die Überprüfung freiberufsspezifischer<br />
Beschränkungen im Gesellschaftsrecht<br />
am Maßstab des Europa- und Verfassungsrechts unvermeidlich<br />
geworden ist. Freiberuflichkeit allein ist kein Argument<br />
mehr, um einen Dispens vom Gebot der Verhältnismäßigkeit<br />
zu rechtfertigen. Nur bei nachweislicher Gemeinwohlerforderlichkeit<br />
können Beschränkungen noch gerechtfertigt<br />
werden. Soweit dies nicht möglich ist, erscheint eine Liberalisierung<br />
des Gesellschaftsrechts bei allen freien Berufen erforderlich.<br />
Ebenso bedarf die bisherige Bewertung der Rolle<br />
der Syndikusanwälte einer Überprüfung, 45 soweit vor allem<br />
die Möglichkeiten der interprofessionellen Sozietät unter<br />
Aufgabe von Fremdbeteiligungsverboten erweitert werden.<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht.<br />
Gesellschaftsrecht der freien Berufe, Kleine-Cosack AnwBl 11 / 2007 741
MN Aufsätze<br />
Zulassung einer<br />
„Anwalts-Ltd.“ als<br />
Rechtsanwaltsgesellschaft? *<br />
Dr. Oliver L. Knöfel, Hamburg<br />
Die „englische Limited“ erreicht das Sozietätsrecht. Deutsche<br />
Anwälte lassen nur für die „Rückniederlassung“ nach<br />
Deutschland hinein in England eine Ltd. inkorporieren, die<br />
dann als vermeintlich bequemer, vor allem aber als ebenso<br />
kapital- wie haftungsarmer Anbieter von Rechtsberatung am<br />
Inlandsmarkt auftritt. Der AnwGH Berlin hat sich nun – soweit<br />
ersichtlich als erstes Obergericht – dafür ausgesprochen,<br />
eine „Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft (§§ 59c –<br />
59m BRAO) zuzulassen, sie also einer deutschen Anwalts-<br />
GmbH gleichzuachten. Der Autor setzt sich kritisch mit der<br />
Entscheidung auseinander und weist auf Verwerfungen zwischen<br />
dem Gesellschaftsrecht und dem anwaltlichen Berufsrecht<br />
hin.<br />
I. Internationales Gesellschaftsrecht und<br />
Berufsrecht<br />
Im fünften Jahr nach „Überseering“ 1 kann nicht mehr zweifelhaft<br />
sein, dass sich das Gründungsstatut einer Anwaltsgesellschaft<br />
über europäische Binnengrenzen hinweg „mitnehmen“<br />
lässt. 2 Ebenso klar liegt aber, dass das<br />
Gesellschaftsrecht getrennt vom Berufsrecht zu sehen<br />
bleibt. 3 Ersteres knüpft sich allseitig an den frei gewählten<br />
„Geburtsort“ der Gesellschaft an, letzteres wird aus deutscher<br />
Sicht einseitig angeknüpft und bringt sich als Ordnungsrecht<br />
zur Geltung, wenn und soweit der Inlandsmarkt nachhaltig<br />
berührt ist. 4 Das deutsche Recht der reglementierten Berufe<br />
hat rasch bewiesen, dass es „gründungsfest“ ist. 5 Das Berufsrechtsverhältnis<br />
hängt von persönlichen Merkmalen des Berufstätigen<br />
ab, der hinter dem Rechtsgebilde steht. Daran ändert<br />
sich gar nichts, wenn das Rechtsgebilde nach einem<br />
anderen Recht als nach deutschem Recht gegründet wurde. 6<br />
II. Register- und Zulassungsverfahren<br />
Vermeintliche Vorzüge der „englischen Ltd.“ haben das Modell<br />
der Gründung in England mit „Rückniederlassung“<br />
nach Deutschland hinein für gewerbliche Unternehmer<br />
längst als Massenprodukt notorisch werden lassen. 7 Im Normalfall<br />
wichtigste – und gegenüber unzähligen unprofessionellen<br />
„Biliggründungen“ durchaus wirksame – Hürde ist<br />
das deutsche Handelsregister. Die Pflicht, nicht nur „echte“,<br />
tatsächlich einer ausländischen Unternehmensleitung subordinierte<br />
Zweigniederlassungen, sondern gerade auch die<br />
einzige Niederlassung einer „scheinbar ausländischen“, faktisch<br />
aber nur im Inland tätigen Ltd. nach §§ 13d ff. HGB<br />
eintragen zu lassen, ist inzwischen allgemein anerkannt. 8<br />
Eine „Anwalts-Ltd.“ scheint sich zwei verzahnten Verfahren<br />
gegenüberzusehen: ohne Handelsregistereintragung keine<br />
Zulassung, 9 ohne Zulassung keine Registereintragung (§ 8<br />
Abs. 1 Nr. 6 GmbHG, § 13e Abs. 2 S. 2, Var. 2 HGB). Um ein<br />
bürokratisches Dilemma zu vermeiden, hat die Berufsrechts-<br />
praxis das Instrument einer Unbedenklichkeitsbescheinigung<br />
der Kammer als „Vorleistung“ entwickelt. Damit jenes<br />
Doppelverfahren – und nicht nur das von jeder Ltd. zu beachtende<br />
Handelsregisterverfahren – ausgelöst ist, müsste<br />
eine „Anwalts-Ltd.“ freilich in den sachlichen Anwendungsbereich<br />
der §§ 59c-59m BRAO fallen. Davon ist nicht auszugehen.<br />
10<br />
III. Keine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
Wenngleich nirgends geregelt ist, dass sich eine deutsche<br />
Anwalts-GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft zulassen<br />
muss, 11 so nimmt man doch allgemein an, dass eine Rechtspflicht<br />
zum Durchlaufen des Zulassungsverfahrens besteht. 12<br />
Korrelat der Pflicht ist ein Zulassungsrecht, sofern alle gesetzlichen<br />
Voraussetzungen (§ 59d BRAO) erfüllt sind. 13 Einfachgesetzlich<br />
fällt ein solches Recht – wie auch der AnwGH<br />
Berlin annimmt – keinesfalls ausländischen Kapitalgesellschaften<br />
zu. § 59c Abs. 1 BRAO wendet sich an „Gesellschaften<br />
mit beschränkter Haftung“; dies können nur inländische,<br />
also solche sein, die das GmbHG als „nach Maßgabe der Bestimmungen<br />
dieses Gesetzes () errichtet“ (§ 1 GmbHG) ansieht,<br />
bzw. die künftig einen Satzungssitz „im Inland“ haben<br />
(§ 4a GmbHG i.d.F. des RegE-MoMiG 14 ). Sollten auch ausländische<br />
Substitute gemeint sein, so bedürfte es einer Regelung<br />
wie in § 13g HGB, der sich an „Gesellschaften mit beschränkter<br />
Haftung mit Sitz im Ausland“ wendet.<br />
Das vom AnwGH Berlin gar nicht geprüfte deutsche Verfassungsrecht<br />
gebietet die Zulassung nicht. Art. 12 GG setzt<br />
nicht beim einzelnen Anwalt als Gründer oder Gesellschafter<br />
an, sondern bei der Gesellschaft selbst. 15 Berührt eine<br />
Körperschaft aber nicht nur die deutsche Rechtsordnung, so<br />
ist zu klären, ob sich der Verband so nachhaltig der inländischen<br />
Rechtsordnung aussetzt, dass zum Ausgleich dafür<br />
eine Zuweisung von Grundrechten geboten erscheint. 16 Eine<br />
* Zugleich Anm. zu AnwGH Berlin, Beschl. v. 5.4.2007 – I AGH 17/06 (n.r.), Leitsatz<br />
in diesem Heft, S. 794 und Volltext im Internet unter www.anwaltsblatt.de<br />
(= BRAK-Mitt 2007, 171).<br />
1 BGH 13.3.2003, BGHZ 154, 185, 188 f.<br />
2 Knöfel, RIW 2006, 87 ff.<br />
3 Siehe nur Behrens, in:Behrens (Hrsg.), Die GmbH im internationalen und europäischen<br />
Recht, 2. Aufl. 1997, IPR Rn. 26 sowie Knöfel, Grundfragen der internationalen<br />
Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005, S. 318 ff.<br />
4 Knöfel, AnwBl 2007, 264 f.<br />
5 Siehe OLG Celle v. 10.12.2002, GmbHR 2003, 530 = EWiR Art. 43 EG 3/03, 703<br />
m. Anm. Mankowski.<br />
6 Bereits RG 16.12.1913, RGZ 83, 367, 370; in neuerer Zeit zur Steuerberatung LG<br />
Frankfurt 8.11.2002, DStRE 2003, 1013 f.; siehe auch BGH 26.1.2006, NJW-RR<br />
2006, 1071, 1072.<br />
7 Eingehend Knöfel, BB2006,1233ff.<br />
8 Zuletzt BGH 7.5.2007, NJW 2007, 2328 f.; siehe auch BGH 14.3.2005, BB 2005,<br />
1016; KG 18.11.2003, BB 2003, 2644; OLG Zweibrücken 26.3.2003, BB 2003,<br />
864; MünchKommBGB/Kindler, XI, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rn. 195; Mankowski/Knöfel,<br />
in:Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 13<br />
Rn. 11. Anders Wernicke, BB 2006, 843 ff.<br />
9 Anders Henssler, in:Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, E<br />
Rn. 49; ders., in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 59g Rn. 3: Keine Reihenfolge<br />
vorgeschrieben.<br />
10 Tendenziell anders Henssler, FS Busse, 2005, S. 127, 143 f.; Kilian, JR 2006, 206,<br />
208; Henssler/ Mansel, NJW 2007, 1393, 1398.<br />
11 § 59c Abs. 1 BRAO spricht nur davon, dass GmbHs mit Rechtsbesorgung als Unternehmensgegenstand<br />
zugelassen werden „können“.<br />
12 Henssler, in: Henssler/Prütting (Fn. 9), § 59c BRAO Rn. 8; Römermann, in:Hartung,<br />
Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. 2006, § 59d BRAO Rn. 1.<br />
13 Römermann, in: Hartung (Fn. 12), § 59d BRAO Rn. 5.<br />
14 BT-Drs. 16/6140, Stand 23.5.2007.<br />
15 BayObLG 24.11.1994, BayObLGZ 1994, 353, 356; BayObLG 27.3.2000, Bay-<br />
ObLGZ 2000, 83, 85<br />
16 Grundlegend Wiedemann, Gesellschaftsrecht, I: Grundlagen (1980), S. 839 ff. (§ 15<br />
I 4 a, b).<br />
742 AnwBl 11 / 2007 „Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft?, Knöfel
MN Aufsätze<br />
juristische Person ist danach nicht bereits „inländisch“ i. S. v.<br />
Art. 19 Abs. 3 GG, wenn sie den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen<br />
Tätigkeit im Inland hat, 17 sondern erst, wenn sie tatsächlich<br />
nach deutschem Recht gegründet wurde. 18<br />
Auch die europäische Niederlassungsfreiheit vermittelt<br />
kein Recht auf Zulassung. Dass sich „Kapitalgesellschaften<br />
aus dem europäischen Ausland“ auf Art. 11 der Niederlassungsrichtlinie<br />
98/5/EG berufen könnten – so der AnwGH<br />
Berlin –, ist rechtsirrig. Die Norm wendet sich mitnichten an<br />
„Kapitalgesellschaften“, sondern allein an gruppenzugehörige<br />
„Rechtsanwälte“, und zwar durchweg an solche, die aus<br />
einem „Herkunftsstaat“ stammen, in dem sie bereits „unter<br />
ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung“ tätig sind und dies<br />
nun auch in einem „Aufnahmestaat“ tun wollen. Man<br />
müsste also solicitors, die als solche in Deutschland tätig sein<br />
wollen, eine Niederlassung oder Zweigstelle ihrer Sozietät<br />
(„Gruppe“) im Inland gestatten (Art. 11 Nr. 1 NiederlassungsRL)<br />
und ihnen dafür ggf. inländische Berufsausübungsformen<br />
zugänglich machen (Art. 11 Nr. 2 NiederlassungsRL),<br />
einschließlich Mischsozietäten mit inländischen<br />
oder anderen europäischen Rechtsanwälten (Art. 11 Nr. 3<br />
NiederlassungsRL). Im entschiedenen Sachverhalt ging es<br />
aber gar nicht um ausländische, geschweige denn um europäische<br />
Rechtsanwälte (§ 1 EuRAG), sondern einzig und allein<br />
um inlandsansässige deutsche Berufsträger als Inhaber<br />
einer Scheinauslandsgesellschaft.<br />
IV. Keine Diskriminierung<br />
Niemand hindert eine „Anwalts-Ltd.“, sich ohne Zulassung<br />
als Rechtsanwaltsgesellschaft im Inland rechtsbesorgend zu<br />
betätigen, solange dem handelsrechtlichen Pflichtenkreis<br />
durch die Eintragung einer Zweigniederlasung genügt ist<br />
und niemand anders als ein Anwalt tatsächlich tätig wird.<br />
Man könnte zwar erwägen, die ausländische Gesellschaft als<br />
solche dem RBerG zu unterwerfen, wird dies in sachgerechter<br />
Auslegung des Art. 1 § 3 Nr. 2 RBerG aber unterlassen. 19<br />
Nach dieser Norm in der „Berufstätigkeit“ nicht berührt werden<br />
Verbände, die „durch im Rahmen ihrer beruflichen Befugnisse<br />
handelnde Personen“ tätig werden. Ein deutscher<br />
Anwalt als Inhaber einer Ltd. darf also in Deutschland zweifellos<br />
rechtsberaten, weil er Anwalt ist, ohne dass die von<br />
ihm innegehabte Gesellschaft einer Rechtsberatungserlaubnis<br />
bedürfte oder eine solche erlangen könnte.<br />
Man wende nicht ein, dies mache den Zweck der Ltd. diskriminierend<br />
zunichte, weil dann nicht die Gesellschaft Vertragspartner<br />
des Anwaltsvertrages werde, sondern der Anwalt<br />
rechtsgeschäftlich im Vordergrund und haftungsmäßig<br />
„in der Schusslinie“ bleibe. Auch die inländische rechts-<br />
17 So BVerfG 1.3.1967, BVerfGE 21, 207, 209; BVerfG 16.6.2000, NVwZ 2000, 1281,<br />
1282.<br />
18 Staudinger/Groûfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Bearb. 1998, IntGesR<br />
Rn. 1043.<br />
19 Näher Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1398. Das RDG verzichtet auf „eine gesonderte,<br />
redundante Regelung“ (RegE-RDG, BT-Drs. 16/3655, S. 32, re. Sp.),<br />
ohne dass sich die Rechtslage ändern soll.<br />
20 Statt aller Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2005, Kap. VII Rn. 13<br />
(S. 279).<br />
21 BGH 6.7.1971, BGHZ 56, 355, 359; anders zuletzt noch Arndt, NJW 1969, 1200.<br />
22 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1399.<br />
23 Umfassende Charakterisierung bei Henssler/Mansel, FS Norbert Horn, 2006, 403,<br />
404 ff.<br />
24 Siehe Knöfel, AnwBl 2007, 264.<br />
25 BGH 7.5.2007, NJW 2007, 2328, 2329 f.<br />
26 So unlängst der Titel des Beitrags von Kleine-Cosack, DB 2007, 1851.<br />
fähige Anwalts-GbR wird heute zweifellos selbst Partei des<br />
Anwaltsvertrages, 20 ist aber selber weder Rechtsanwalt noch<br />
Rechtsanwaltsgesellschaft, ohne dass sich das RBerG oder<br />
das übrige Berufsrecht daran stieße. 21 Selbstverständlich<br />
kann also die Ltd., die durch einen Anwalt handelt, Vertragspartner<br />
werden, ggf. aufgrund klarstellender Vereinbarung.<br />
V. Ausblick<br />
Wer sich der „Anwalts-Ltd.“ in den Weg stellt, muss sich fragen,<br />
ob die bei internationalen Anwaltssozietäten in<br />
Deutschland so beliebte LLP nicht dieselbe Kritik verdient.<br />
Man kann mit einigem Recht behaupten, dass sie ebenso in<br />
das Partnerschaftsregister gehört wie die Ltd. in das Handelsregister.<br />
22 Unterschiede bestehen dennoch. Zum einen erhält<br />
sich die moderne LLP als Personengesellschaft zumindest einen<br />
Nukleus partnerschaftlicher, darin zutiefst freiberuflicher<br />
Prägung. 23 Zum anderen lässt sich ihre Relation zur<br />
Ltd. rechtstatsächlich leider deutlich, wenngleich unpopulär<br />
als Verhältnis von „oben“ zu „unten“ wahrnehmen. Die Erfahrung<br />
zeigt, dass sich alles, aber auch alles rechtlich relevante<br />
Treiben um die englische Ltd. im „unteren“, d. h. im<br />
kaum konsolidierten, wirtschaftlich und sozial nicht selten<br />
prekären Marktsegment abspielt. 24 Im gewerblichen Bereich<br />
ist der mittellose Kleinunternehmer typischer „Abnehmer“<br />
der Ltd.; im anwaltlichen Bereich dürfte dieselbe Rolle Existenzgründern<br />
am Berufsanfang zufallen. Der pfiffige director<br />
der Berliner „Anwalts-Ltd.“ ist erst im Jahre 2004 zur Rechtsanwaltschaft<br />
zugelassen worden. Denkt man diese Entwicklung<br />
weiter, so kann sie ohne weiteres bei einer von der Arbeitsagentur<br />
geförderten „anwaltlichen Ich-Ltd.“ enden.<br />
Gelangte die Sache an den BGH, so dürfte bedeutsam<br />
werden, dass sich der II. Zivilsenat unlängst – endlich! –<br />
dazu verstanden hat, dem Gedanken „Rechtsmissbrauch der<br />
Niederlassungsfreiheit“ näherzutreten. 25<br />
Berufspolitisch<br />
muss entschieden werden, ob der in die Jahre gekommene,<br />
aber immer noch geäußerte Schlachtruf „Liberalisierung des<br />
Gesellschaftsrechts der Freiberufler“ 26 unter den Vorzeichen<br />
eines ruinösen Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen<br />
nicht besser verstummen sollte. Liberalität ist nicht Beliebigkeit.<br />
Freie Rechtsformenwahl darf Rechtssuchende und<br />
Anwälte nicht derart in die Begleiterscheinungen ausländischer<br />
Gesellschaftsformen verstricken, dass im Zweifel nur<br />
noch Sachverständigengutachten über englisches Recht helfen.<br />
Wer will z. B. im Haftungsprozess von einem zum Gutachter<br />
(§ 293 ZPO) bestellten Professor für Internationales<br />
Privatrecht erklärt bekommen, wie die eigene Sozietät funktioniert?<br />
Dr.OliverL.Knöfel, Hamburg<br />
Der Autor ist Habilitand am Seminar für ausländisches und<br />
internationales Privat- und Prozessrecht der Universität<br />
Hamburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Peter Mankowski).<br />
„Anwalts-Ltd.“ als Rechtsanwaltsgesellschaft?, Knöfel AnwBl 11 / 2007 743
MN Aufsätze<br />
Das UWG – besser als das<br />
anwaltliche Werberecht<br />
Warum das Berufsrecht bei der Werbung<br />
des Anwalts ausgedient hat<br />
Rechtsanwalt Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat den Anwälten die Werbefreiheit<br />
beschert. Die Maßstäbe des UWG gelten auch für<br />
Anwälte. Wozu noch anwaltliches Werberecht? Es ist überflüssig,<br />
wie der Autor anhand konkreter Beispiele des seit<br />
2004 geltenden neuen UWG schildert.<br />
Auslöser für die grundlegende Neuordnung des anwaltlichen<br />
Berufsrechts, ja: des Freiberuflerrechts im Ganzen waren<br />
zwei Beschlüsse, in denen das BVerfG am 14. Juli 1987 das<br />
bis dahin rigide anwaltliche Werbeverbot für verfassungswidrig<br />
erklärte – und bei dieser Gelegenheit feststellte, dass es<br />
den überkommenen „Standesrichtlinien“ überhaupt an einer<br />
gesetzlichen Grundlage fehlte 1 . In den zwei Jahrzehnten, die<br />
seitdem vergangen sind, liegt ein Schwerpunkt der berufsrechtlichen<br />
Diskussion auf der Frage, inwieweit die Außendarstellung<br />
von Anwälten spezifischen Beschränkungen unterliegen<br />
muss. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass es im<br />
Grunde keiner berufsrechtlichen Vorschriften bedarf, da das<br />
Wettbewerbsrecht ausreichende Grenzen vorsieht.<br />
I. Vom Werbeverbot zum Werberecht<br />
Als das anwaltliche Werbeverbot im Jahre 1987 zur Beurteilung<br />
durch das BVerfG anstand, war es schon Jahrhunderte<br />
alt und gehörte nach damaligem Verständnis der Kammern,<br />
aber durchaus auch von weiten Teilen der Anwaltschaft zu<br />
den Grundfesten des Berufsbildes. Zahlreiche Rechtsvorschriften<br />
hatten in der frühen Neuzeit dazu gedient, die<br />
Fürsten vor Advokaten zu schützen, die womöglich die Untertanen<br />
gegen die Obrigkeit vertreten und ihren Rechten<br />
zur Durchsetzung verhelfen wollten. So bestimmte die<br />
berühmt gewordene Fuldische Advokatenordnung von 1775<br />
ein Verbot, „auf dem Lande herumzuziehen, Prozesse zu<br />
werben, die Bauern aufzutreiben und bei ihnen zu zechen.“ 2<br />
Später hatte sich die Zielrichtung des Werbeverbotes verändert,<br />
der Inhalt blieb aber gleich. Nun sollte es um die<br />
Würde des Standes gehen, die es (scheinbar) zu schützen<br />
galt. So erklärt sich auch, dass es bei Inkrafttreten der<br />
Rechtsanwaltsordnung, des Vorläufers der heutigen BRAO,<br />
im Jahre 1879 kein ausformuliertes Werbeverbot gab. Dieses<br />
wurde vielmehr in die Generalklausel des § 28 RAO, der nahezu<br />
unverändert als § 43 BRAO fortgilt, hineininterpretiert.<br />
Dort heißt es, der Rechtsanwalt habe sich durch sein Verhalten<br />
in Ausübung des Berufs der Achtung würdig zu zeigen,<br />
die der Beruf erfordere. In den untergesetzlichen Normen,<br />
die seit dem „Vademecum“ des Jahres 1929 und den Richtlinien<br />
der damals neuen Reichs-Rechtsanwaltskammer aus<br />
dem Jahre 1936 bis 1987 die Generalklausel konkretisierten,<br />
hieß es zuletzt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 RichtlRA vom 21.6.1973):<br />
„Der Rechtsanwalt handelt standeswidrig, wenn er um Praxis<br />
wirbt.“ Mit den Beschlüssen des BVerfG vom 14. Juli 1987<br />
waren diese Richtlinien praktisch über Nacht weggefallen.<br />
Allgemeine Orientierungslosigkeit setzte ein. Erst 1994<br />
schuf die BRAO-Novelle, also die gesetzgeberische Reaktion<br />
auf die „Bastille“-Beschlüsse des BVerfG, eine Grundlage für<br />
eine neue Berufssatzung. Werbung wurde im Gesetz in einem<br />
Paragraphen, nämlich in § 43 b BRAO, geregelt. Näheres<br />
folgte in der Berufsordnung von 1997 in den §§ 6 bis 10.<br />
Bemerkenswert ist aus dieser „gesetzlosen Periode“ von nahezu<br />
einem Jahrzehnt vor allem eines: „Keine besonderen<br />
Vorkommnisse“.<br />
Obwohl es doch zunächst gänzlich, ab 1994 bis 1997<br />
dann weitgehend an spezifischen Berufsrechtsnormen mangelte,<br />
ist kein einziger „Werbeexzess“, keine einzige von den<br />
Zeitgenossen als besonders fragwürdig empfundene Werbehandlung<br />
bekannt geworden. Es scheint, als habe niemand<br />
Notiz von der neuen Freiheit genommen, diese jedenfalls<br />
aber nicht missbraucht. Der Gedanke liegt nahe, dass der<br />
Markt selbst ein hinreichendes Regulativ darstellte, dass also<br />
derjenige, der sich intuitiv zum Kanzleischild mit Laufschrift<br />
und Neonfarben hätte hinreißen lassen, eingedenk des damit<br />
verbundenen, wenig vertrauensfördernden und damit akquisitionsmässig<br />
kontraproduktiven Effekts dann doch Abstand<br />
von solchen Fantasien genommen hat. Oder war es vielleicht<br />
auch die Drohung des UWG, die damals allzu exzentrischen<br />
Werbeideen einen Riegel vorgeschoben hat?<br />
II. Die gesetzliche Regelung: Sachlichkeitsgebot<br />
und Verbot der Einzelfallwerbung<br />
1. Fortdauer des alten Geistes<br />
In den neu geschaffenen Normen und in der nachfolgenden<br />
berufsrechtlichen Diskussion flackerten überall noch Elemente<br />
des alten Geistes auf. Es beginnt mit der misslungenen<br />
Formulierung von § 43 b BRAO. Dort heißt es: „Werbung<br />
ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die<br />
berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet<br />
und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet<br />
ist.“ Werbung ist also „nur erlaubt, soweit ...“ Das indiziert<br />
nach klassischer Lesart ein grundsätzliches Verbot<br />
mit Ausnahmen. So sah und verstand es die Rechtsprechung,<br />
bis der BGH im Jahre 2001 („Anwaltswerbung II“) 3<br />
zu der freiheitsfreundlichen Interpretation fand, die auf dem<br />
Boden von Art. 12 GG nun einmal von einer grundsätzlichen<br />
Berufsfreiheit ausgehen muss und das Verbot ist die Ausnahme.<br />
2. Sachlichkeitsgebot<br />
Sowohl in § 43 b BRAO als auch in § 6 Abs. 1 BerufsO ist das<br />
Gebot „sachlicher“ Werbung normiert. Was darunter genau<br />
zu verstehen sein soll, hat die Rechtsprechung und Literatur<br />
beschäftigt wie kaum ein anderer berufsrechtlicher Begriff 4 .<br />
Es erscheint müßig, die Irrungen und Wirrungen dieser Debatte<br />
im einzelnen nachzuzeichnen, daher nur so viel: Die<br />
Auswechselung des einen ausfüllungsbedürftigen Begriffs<br />
1 BVerfG, AnwBl 1987, 598 ff. und 603 ff.<br />
2 Zit. n. Prinz, Anwaltswerbung, 1986, S. 85.<br />
3 BGH, NJW 2001, 2087 = EWiR 2001, 669 (Römermann).<br />
4 Ausführlich Römermann, in: Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Aufl. 2006, § 6<br />
BerufsO Rdn. 69 bis 121 m. zahlr. Nachw.<br />
744 AnwBl 11 / 2007 UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann
MN Aufsätze<br />
„sachlich“ durch einen anderen, etwa „nicht reklamehaft“,<br />
hat viele in eine Sackgasse geführt. Gleiches gilt für Kriterien,<br />
die bei näherer Betrachtung ebenfalls nicht eingrenzbar<br />
und im übrigen bei objektiver Betrachtung nicht sinnvoll<br />
sind, etwa: „Hat das Publikum insoweit ein Informationsbedürfnis?“<br />
Auch das häufig in die Diskussion geworfene<br />
Schreckensbild einer „Kommerzialisierung des Berufes“ –<br />
von der bis heute niemand plausibel sagen und abgrenzen<br />
konnte, was das eigentlich sein soll – hat zur Klärung der Begriffsbestimmung<br />
nichts beigetragen. Im Kern geht es nach<br />
zutreffender – und im übrigen in der Rechtsprechung des<br />
BVerfG schon angelegter – Auffassung bei dem werberechtlichen<br />
Sachlichkeitsgebot nur um zwei Elemente: Um die<br />
Vermeidung einer Irreführung des Adressaten 5 und um die<br />
Vermeidung aufdringlicher, aggressiver Werbemethoden 6 .<br />
Wenn man dem folgt, drängt sich die Frage auf, wie das Verhältnis<br />
zwischen diesen und den im wesentlichen gleichgerichteten<br />
Vorschriften aus dem UWG ist, denn auch dort sollen<br />
Irreführung und aggressive Werbemethoden verhindert<br />
werden. Doch bevor wir darauf zurückkommen, ist ein Blick<br />
auf den zweiten Regelungsgehalt des § 43 b BRAO angezeigt:<br />
Das Verbot der Einzelfallmandatswerbung.<br />
3. Einzelfallwerbungsverbot<br />
Nach § 43 b BRAO darf Werbung nicht auf die Erteilung eines<br />
Auftrags im Einzelfall gerichtet sein. Diese Vorschrift<br />
wurde in der Berufsordnung nicht näher konkretisiert, sie ergibt<br />
sich also einzig und unmittelbar aus dem Wortlaut des<br />
Gesetzes. Als sie geschaffen wurde, hatte der Gesetzgeber<br />
ebenfalls eine Konstellation aggressiver und inakzeptabler<br />
Werbung um Mandate im Blick. Die Giftgaskatastrophe im<br />
indischen Bhopal lag erst wenige Jahre zurück. Damals waren<br />
etwa 2000 Menschen getötet und mehr als 200.000 zum<br />
Teil schwer verletzt worden. US-amerikanische Anwälte waren<br />
wie „Heuschrecken“ in Indien eingefallen und hatten<br />
unter anderem gegen Zahlung von Prämien mehr als 24.000<br />
unterschriebene Vollmachten erlangt. Ein solches Verhalten<br />
zu verbieten, leuchtet unmittelbar ein. Wiederum ist das anwaltsrechtliche<br />
Verbot jedoch nicht neu, derartige Verhaltensweisen<br />
sind seit jeher als Überrumpelung bzw. Belästigung<br />
nach dem UWG untersagt. Darauf wird im nächsten<br />
Abschnitt einzugehen sein.<br />
Freilich bietet § 43 b BRAO einen über die Belästigungsfälle<br />
hinausgehenden Anwendungsbereich. Nach § 43 b<br />
BRAO verboten ist es auch, wenn Daimler und Chrysler<br />
ankündigen, sich wieder zu trennen, und daraufhin die 20<br />
größten internationalen Wirtschaftskanzleien bei den dortigen<br />
Rechtsabteilungen vorstellig werden, um in dreistündigen<br />
Power-Point-Präsentationen darzulegen, warum gerade<br />
sie geeignet sind, diesen Mega-Deal zu begleiten. Gleichwohl<br />
geschieht so etwas jeden Tag und die Kammern schreiten dagegen<br />
erkennbar nicht ein. Das beruht – soweit ersichtlich –<br />
nicht auf tiefergehenden berufsrechtlichen Überlegungen,<br />
sondern liegt wohl eher an der von Zufällen und persönlichen<br />
Beziehungsgeflechten geprägten Arbeitsweise vieler<br />
Kammern. In der Sache ist eine teleologische Reduktion des<br />
Einzelfallwerbungsverbots aber auch geboten. Niemand ist<br />
5 Vgl. nur BVerfG NJW 1988, 194; 1990, 2122, 2123; Stbg. 1992, 252; BRAK-Mitt.<br />
1993, 227; 2000, 89.<br />
6 Vgl. nur BVerfG BRAK-Mitt. 1992, 61; 1993, 227.<br />
Gesetzestext<br />
______________________________________________<br />
Anwaltswerbung und UWG<br />
§ 43b BRAO sowie die §§ 6 bis 10 der BORA regeln die<br />
anwaltliche Werbung. Wichtiger sind jedoch die Regelungen<br />
des 2004 in Kraft getretenen neuen UWG. Zentrale<br />
Vorschriften lauten in Auszügen:<br />
§3UWG<br />
Unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind,<br />
den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher<br />
oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur<br />
unerheblich zu beeinträchtigen, sind unzulässig.<br />
§4UWG<br />
Unlauter im Sinne von § 3 handelt insbesondere, wer<br />
1. Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet<br />
sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder<br />
sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck,<br />
in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen<br />
unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen;<br />
2. Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind,<br />
die geschäftliche Unerfahrenheit insbesondere von Kindern<br />
oder Jugendlichen, die Leichtgläubigkeit, die Angst<br />
oder die Zwangslage von Verbrauchern auszunutzen; ...<br />
7. die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten<br />
oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse<br />
eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft;<br />
8. über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen<br />
eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer<br />
oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen<br />
behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den<br />
Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers<br />
zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich<br />
wahr sind; ...<br />
§5UWG<br />
(1) Unlauter im Sinne von § 3 handelt, wer irreführend<br />
wirbt.<br />
(2) ...<br />
§6UWG<br />
(1) Vergleichende Werbung ist jede Werbung, die unmittelbar<br />
oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem<br />
Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen<br />
erkennbar macht.<br />
(2) ...<br />
§7UWG<br />
(1) Unlauter im Sinne von § 3 handelt, wer einen Marktteilnehmer<br />
in unzumutbarer Weise belästigt.<br />
(2) Eine unzumutbare Belästigung ist insbesondere anzunehmen<br />
1. bei einer Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der<br />
Empfänger diese Werbung nicht wünscht;<br />
2. bei einer Werbung mit Telefonanrufen gegenüber<br />
Verbrauchern ohne deren Einwilligung oder gegenüber<br />
sonstigen Marktteilnehmern ohne deren zumindest<br />
mutmaßliche Einwilligung; ...<br />
UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann AnwBl 11 / 2007 745
MN Aufsätze<br />
schließlich in irgendeiner Weise schutzwürdig, wenn sich<br />
Anwaltskanzleien in „beauty contests“ vor Rechtsabteilungen<br />
zur Schau stellen. Mit einer Konstellation der Überrumpelung<br />
hilfsbedürftiger Verbraucher hat dies nichts zu tun. Wir<br />
halten zum Einzelfallwerbungsverbot fest: Soweit sich<br />
hierfür ein legitimer Gesetzeszweck finden lässt, handelt es<br />
sich um die auch vom UWG ins Auge gefassten Fallgruppen.<br />
Nun ist es an der Zeit, sich näher dem schon mehrfach erwähnten<br />
UWG zuzuwenden.<br />
III. Fallgruppen des UWG<br />
1. Generalklausel mit Beispielkatalog<br />
Nach § 3 UWG sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die<br />
geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber,<br />
der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer<br />
nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, unzulässig. Beispiele<br />
für die Erfüllung der Voraussetzungen dieser Generalklausel<br />
finden sich in § 4 UWG. Nr. 1 dieser Vorschrift führt<br />
an: Die Vornahme von Wettbewerbshandlungen, die geeignet<br />
sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder<br />
sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck oder<br />
sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen.<br />
Nr. 2 erwähnt die Vornahme von Wettbewerbshandlungen,<br />
die geeignet sind, die geschäftliche Unerfahrenheit,<br />
Leichtgläubigkeit, Angst oder Zwangslage von<br />
Verbrauchern auszunutzen. Viel genauer als im Einzelfallwerbungsverbot<br />
des § 43 b BRAO werden hier also die Umstände<br />
beschrieben, die eine Abgrenzung von dem erlaubten<br />
zum verbotenen Herantreten an potentielle Klientel ermöglichen.<br />
Praktisch wird dies etwa in den „Unfallfällen“. In einem<br />
noch nach früherer Rechtslage vom EGH Celle entschiedenen<br />
Fall hatte nach einem schweren Verkehrsunfall<br />
ein Rechtsanwalt einer Geschädigten seine Visitenkarte übergeben<br />
mit den Worten: „Ich bin Rechtsanwalt, wenn Sie<br />
Hilfe brauchen ...“ 7 Die Wettbewerbsrechtsprechung sah es<br />
schon immer als unlauter an, wenn an einer Unfallstelle die<br />
Beteiligten unaufgefordert angesprochen werden, um Reparatur-,<br />
Abschlepp- oder Kfz-Mietverträge abzuschließen 8 .<br />
2. Belästigung<br />
Um Belästigungen geht es auch in § 7 UWG. Unlauter handelt<br />
nach dessen Absatz 1, wer einen Marktteilnehmer in unzumutbarer<br />
Weise belästigt. Als erstes Beispiel nennt § 7<br />
Abs. 2 Nr. 1 UWG Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der<br />
Empfänger diese Werbung nicht wünscht. Das ist etwa der<br />
Fall, wenn Handzettel oder Mailings in einen Briefkasten<br />
eingeworfen werden, obwohl dessen Aufschrift derartige<br />
Werbung klar untersagt. Das Beispiel nach Nr. 2 der Norm<br />
bezeichnet Telefonanrufe gegenüber Verbrauchern ohne deren<br />
Einwilligung oder gegenüber sonstigen Marktteilnehmern<br />
ohne deren zumindest mutmaßliche Einwilligung.<br />
„Cold calling“ zum Zweck der Mandatswerbung ist damit<br />
untersagt.<br />
3. Verunglimpfung<br />
Unlauter ist nach § 4 Nr. 7 UWG das Herabsetzen oder Verunglimpfen<br />
von Dienstleistungen, Tätigkeiten, der persönlichen<br />
oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers.<br />
Nach Nr. 8 der Vorschrift ist die Behauptung oder Verbreitung<br />
von Tatsachen über die Dienstleistungen oder die Kanzlei<br />
eines Mitbewerbers oder über die dortigen Partner unlau-<br />
ter, die geeignet sind, die Kanzlei zu schädigen, sofern die<br />
Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Auch die gezielte Behinderung<br />
von Mitbewerbern ist unlauter.<br />
4. Vergleichende Werbung<br />
Vergleichende Werbung ist durch § 6 UWG eingegrenzt. Das<br />
OLG Thüringen hat im Jahre 2005 eine wettbewerbswidrige<br />
Herabsetzung im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG angenommen,<br />
wenn ein Rechtsanwalt in einem Werberundschreiben<br />
behauptet, dass fachlich nicht spezialisierte Anwaltskanzleien<br />
„allenfalls nur durchschnittliches Wissen“ anbieten<br />
könnten 9 .<br />
5. Irreführung<br />
Das Irreführungsverbot findet sich in § 5 UWG. Irreführend<br />
können auch wahrheitsgemäße Informationen sein, soweit<br />
sie geeignet sind, irrige Vorstellungen bei den Empfängern<br />
hervorzurufen. Wenn in einer Zeitungsanzeige behauptet<br />
wird: „Und wenn Sie rechtsschutzversichert sind, zahlen Sie<br />
sowieso keinen Pfennig dazu“, so ist das nach einer Entscheidung<br />
des AnwG Hamburg unzulässig, da Kosten für<br />
den Mandanten auch bei abgeschlossener Rechtsschutzversicherung<br />
nicht generell ausgeschlossen werden können 10 .<br />
IV. Überschießender Regelungsgehalt der<br />
§§ 6 bis 10 BerufsO?<br />
1. Sachlichkeitsgebot<br />
In § 6 Abs. 1 BerufsO findet sich im wesentlichen nur das<br />
aus § 43 b BRAO übernommene Sachlichkeitsgebot. Soweit<br />
es dort zusätzlich heißt, die Angaben müssten „berufsbezogen“<br />
sein, kommt dem keine besondere Bedeutung zu. Ob<br />
ein Rechtsanwalt der katholischen Kirche angehört, wird im<br />
Zweifel das rechtsuchende Publikum nicht interessieren, außer<br />
wenn es gerade nach einem Kirchenrechtler sucht – und<br />
dann ist das Merkmal durchaus „berufsbezogen“. Ein Gemeinwohlinteresse<br />
daran, Anwälten zu verbieten, sich selbst<br />
als Weintrinker oder Golfspieler zu outen, ist nicht erkennbar,<br />
das Verbot insoweit also verfassungswidrig.<br />
2. Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />
Nach § 6 Abs. 2 BerufsO ist die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen<br />
unzulässig. Wer pauschal damit wirbt, er gewinne<br />
alle Prozesse, ruft bei potentiellen Mandanten einen irreführenden<br />
Eindruck hervor und handelt somit § 5 UWG<br />
zuwider. Einer berufsrechtlichen Spezialvorschrift bedarf es<br />
insoweit nicht. In einem Fall hat das OLG Frankfurt a.M. im<br />
übrigen die Angabe von anwaltlichen Erfolgen gebilligt 11 .Ein<br />
Rechtsanwalt hatte einem Hochschulmagazin ein Interview<br />
gegeben und dabei wahrheitsgemäß erwähnt, dass fast alle<br />
seiner Mandanten nach einem gerichtlichen Verfahren einen<br />
7 EGH Celle, BRAK-Mitt. 1991, 549.<br />
8 So etwa BGH, NJW 2000, 586 – „Werbung am Unfallort IV“.<br />
9 OLG Thüringen, BRAK-Mitt. 2005, 201.<br />
10 AnwG Hamburg, BRAK-Mitt. 2000, 202.<br />
11 OLG Frankfurt a.M., GRUR 2000, 1098.<br />
746 AnwBl 11 / 2007 UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann
MN Aufsätze<br />
Studienplatz erhalten hätten, trotz vorheriger Ablehnung<br />
durch die ZVS. Der Artikel erschien unter der Überschrift<br />
„Erfolgreich klagen“. In einer Konstellation, in der ein nachweisbarer<br />
Erfolg vorhanden, die Angabe also wahrheitsgemäß<br />
ist, hindert die Vorschrift des § 6 Abs. 2 BerufsO Werbung<br />
also nicht. Der zweite Teil der Vorschrift – das Verbot<br />
der Angabe von Umsätzen – dürfte verfassungswidrig sein,<br />
zumal es bei anwaltlichen Kapitalgesellschaften mit der<br />
Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses kollidiert 12 .<br />
Die Wirtschaftskanzleien befolgen das Verbot schon lange<br />
nicht mehr, wie zahlreiche Presseberichte über „ewig wachsende“<br />
Umsatzzahlen der jeweiligen Sozietäten belegen.<br />
3. Schwerpunktangaben<br />
In § 7 BerufsO geht es um Schwerpunktangaben. Seit das<br />
System der früheren „Qualifikations-Stufenleiter“ vom Interessenschwerpunkt<br />
über den Tätigkeitsschwerpunkt bis zum<br />
Fachanwalt aufgegeben werden musste, ergibt sich aus § 7<br />
Abs. 1 BerufsO eigentlich nur noch die Banalität, dass derjenige,<br />
der von eigener Kompetenz schwärmt, das darin enthaltene<br />
Qualifikationsversprechen auch einhalten muss. Das<br />
entspricht dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot.<br />
In Absatz 2 der Vorschrift heißt es: „Benennungen nach<br />
Absatz 1 sind unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechselung<br />
mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst<br />
irreführend sind.“ Die Erkenntnis, dass irreführende Benennungen<br />
unzulässig sind, wird hier also in einer untergesetzlichen<br />
Norm wiederholt. Das darf ohne Verlust gestrichen<br />
werden. Soweit es um die Gefahr von Verwechselungen mit<br />
Fachanwaltschaften geht, läuft die Norm praktisch leer und<br />
ist ebenfalls entbehrlich 13 . Nach Absatz 3 sind die Vorschriften<br />
– selbstverständlich – auch auf Berufsausübungsgesellschaften<br />
anzuwenden.<br />
4. Bezeichnung des Mediator<br />
Nach § 7 a BerufsO darf sich als Mediator bezeichnen, wer<br />
durch geeignete Ausbildung nachweisen kann, dass er die<br />
Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. Im Kern<br />
geht es offenbar um das Irreführungsverbot. Auf weitere Einzelheiten<br />
zu dieser Norm, insbesondere auf die Verfassungswidrigkeit<br />
wegen Unbestimmtheit, soll hier daher nicht näher<br />
eingegangen werden 14 .<br />
5. Berufliche Zusammenarbeit<br />
Auch die Bestimmung des § 8 BerufsO über die Kundgabe<br />
beruflicher Zusammenarbeit ist heute nicht mehr als eine<br />
Ausformung des Irreführungsverbotes. Der gemeinsame Außenauftritts<br />
von Sozien und Angestellten ist – selbstverständlich<br />
– zulässig. Als die Norm geschaffen wurde, ging es zudem<br />
um die Klarstellung, dass Außensozietäten zulässig<br />
sind 15 . Das ist inzwischen ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.<br />
Im übrigen lässt sich der Vorschrift im Grunde nur das<br />
Verbot entnehmen, auf Einzelfallkooperationen, die nicht<br />
verfestigt sind, hinzuweisen. Insoweit muss unterschieden<br />
werden: Besteht in Wahrheit gar keine Kooperation, ist also<br />
alles nur „Bluff“, dann verbietet schon das UWG eine der-<br />
12 Näher Römermann, in: Hartung, § 6 Rdn. 141 ff.<br />
13 Vgl. auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 275, 277.<br />
14 Näher Römermann, in: Hartung, § 7 a Rdn. 12 ff.<br />
15 Das ergibt sich aus den Materialien: SV-Prot. 2, 35.<br />
16 Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen<br />
in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG),<br />
BGBl. 2007 I, S. 2178.<br />
artige Irreführung. Ist die Einzelfallkooperation hingegen<br />
echt, dann kann bei verfassungskonformer Auslegung § 8 BerufsO<br />
einen Hinweis darauf nicht verhindern.<br />
6. Kurzbezeichnung<br />
In § 9 BerufsO, der aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben<br />
mehrfach verändert werden musste, wird heute nur<br />
noch geregelt, dass Anwaltssozietäten Kurzbezeichnungen<br />
führen dürfen – das ist wenig überraschend und seit über<br />
100 Jahren gängige Übung – und dass bei Unterhaltung<br />
mehrerer Kanzleien die Bezeichnung einheitlich sein muss.<br />
Vergessen hat man bei der Formulierung die Möglichkeit,<br />
dass sogar in einer einzigen Kanzlei unterschiedliche Kurzbezeichnungen<br />
anzutreffen sein können – praktische Beispiele<br />
zeigen, dass es so etwas tatsächlich gibt. Sendet<br />
Rechtsanwalt X in der Z-Stadt den Brief ab, lautet die Kurzbezeichnung<br />
„X & Y“, ist es der Y, so lautet sie „Y & X“. Dies<br />
alles verstößt gegen das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot,<br />
einer speziellen Berufsrechtsnorm bedarf es nicht.<br />
7. Briefbogengestaltung<br />
Zu guter Letzt § 10 BerufsO: Hier finden sich Regeln über<br />
die Briefbogengestaltung. Auf Briefbögen müssen mindestens<br />
so viele Anwälte erscheinen wie es der Zahl der Namen<br />
in der Kurzbezeichnung entspricht. Das ist nichts anderes<br />
als eine Verhinderung der Irreführung über die Größe der<br />
Kanzlei. Die Anschriften müssen für jeden Kanzleisitz genannt<br />
werden. Bei ausgeschiedenen Sozien muss das Ausscheiden<br />
kenntlich gemacht werden, auch das entspricht<br />
dem Irreführungsverbot.<br />
V. Schluss<br />
Schon eine kleine tour d ´ horizon durch die Vorschriften des<br />
anwaltlichen Werberechts zeigt: Keine einzige Norm, die einer<br />
verfassungsrechtlichen Prüfung inhaltlich standhalten<br />
könnte, geht über die Verbote hinaus, die ohnehin in den allgemeinen<br />
wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des UWG<br />
festgelegt sind. Könnte sich die Satzungsversammlung zur<br />
Streichung der §§ 6 bis 10 BerufsO entschließen, so wäre das<br />
nur ein konsequenter Schluss. Der Beruf der Wirtschaftsprüfer<br />
hat dies im übrigen schon erkannt. In § 52 WPO in<br />
der Fassung des BARefG vom 3. September 2007 16 , in Kraft<br />
seit 6. September 2007, heißt es zur Werbung in schlichter<br />
Eleganz: „§ 52 Werbung – Werbung ist zulässig, es sei denn,<br />
sie ist unlauter.“ Vorbildlich.<br />
Dr. Volker Römermann, Hamburg/Hannover<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin.<br />
UWG besser als das anwaltliche Werberecht, Römermann AnwBl 11 / 2007 747
MN Aufsätze<br />
Schweigepflicht und<br />
Anwaltswerbung<br />
Änderungsbedarf in der BORA<br />
Rechtsanwalt Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />
Die Pflicht zur Verschwiegenheit gehört zu Alleinstellungsmerkmalen<br />
der Anwaltschaft. Doch beim Kanzleimarketing<br />
kollidiert sie immer wieder mit dem Wunsch, mit werbeträchtigen<br />
Mandantennamen zu werben. Der Beitrag erläutert,<br />
wie mit Mandantennamen (und den Namen von Prozessgegnern)<br />
geworben werden darf. Zugleich zeigt er auf,<br />
dass die vierte Satzungsversammlung die Berufsordnung der<br />
Rechtsanwälte (BORA) beim § 6 BORA nachbessern sollte.<br />
I. Einleitung<br />
Vor sechs Jahren appellierte der damalige Präsident des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV), Michael Streck, mit der<br />
Verschwiegenheit des Anwalts und nicht mit klangvollen<br />
Mandantennamen zu werben. 1 Dieser Appell ist ungehört<br />
verhallt. Im Hinblick auf die eigene Kundschaft ist für viele<br />
Rechtsanwälte Schweigen Silber und Reden Gold. PR ist aufgrund<br />
der Liberalisierung des Berufsrechts und des wachsenden<br />
Konkurrenzdrucks für viele Rechtsanwälte eine Selbstverständlichkeit<br />
geworden, und alle Großkanzleien<br />
beschäftigen dafür mittlerweile eigenes Fachpersonal. 2 Sie<br />
geben Pressemitteilungen heraus, wenn sie ein nicht ganz<br />
unbedeutendes Mandat erfolgreich betreut haben, und die<br />
gesammelten Meldungen sind jede Woche im Internet unter<br />
www.juve.de bzw. einmal im Monat in der Zeitschrift „Juve<br />
Rechtsmarkt“ nachzulesen. Im jährlich seit 1998 erscheinenden<br />
Juve Handbuch Wirtschaftskanzleien finden sich bei fast<br />
allen, auch bei kleinen und mittleren Kanzleien, Referenzmandate.<br />
Auf ihren Internetseiten umschreiben die meisten<br />
Kanzleien zwar noch ihre Mandanten etwa mit „regionaler<br />
Energieversorger“, doch manche sind auch in dieser Beziehung<br />
transparent: Die Kanzlei Jones Day etwa präsentiert im<br />
Internet eine Liste mit Namen von fast 150 Mandanten. 3<br />
Auch in manchen Kanzleibroschüren werden Mandantennamen<br />
offen genannt. 4 Einige auf Kapitalmarktrecht und Anlegerschutz<br />
spezialisierte Kanzleien teilen auch mit, gegen<br />
wen sie schon tätig geworden sind. 5<br />
Die anwaltliche Schweigepflicht scheint durch ein unstillbares<br />
Mitteilungsbedürfnis ersetzt worden zu sein. Im<br />
Folgenden soll kurz dargestellt werden, welche Grenzen zu<br />
beachten sind, sofern Kanzleien zu Werbezwecken Mandantennamen<br />
öffentlich machen.<br />
II. Die rechtlichen Grundlagen<br />
Mit der Berufsrechtsnovelle 1994 wurde die Schweigepflicht<br />
in § 43 a Abs. 2 in die BRAO aufgenommen, doch als Grundlage<br />
für das Vertrauensverhältnis von Anwalt und Mandant<br />
zählte sie immer schon zu den berufsrechtlichen Kernprinzipien<br />
und lässt sich sogar bis zu den Kammergerichtsordnungen<br />
von 1495 und 1555 zurückverfolgen. 6 Mit Erlass der Berufsordnung<br />
1997 durch die Satzungsversammlung wurde<br />
auch in der BORA in § 2 die Schweigepflicht normiert. Allerdings<br />
kommt § 2 BORA mangels eines eigenen Normzwecks<br />
im wesentlichen nur Programmcharakter zu. 7 Dass die Verschwiegenheit<br />
auch nach Ende des Mandatsvertrages fortbesteht,<br />
wie § 2 Abs. 2 BORA ausdrücklich festschreibt, ist<br />
eine Selbstverständlichkeit, die sich bereits aus dem Mandatsvertrag<br />
ergibt. 8 Die Schweigepflicht bezieht sich gemäß<br />
§ 43 a Abs. 2 S. 2 BRAO auf alles, was dem Anwalt in Ausübung<br />
seines Berufes bekannt geworden ist und geht damit<br />
über § 203 Abs. 1 StGB hinaus, der nur „fremde Geheimnisse“<br />
schützt. Unter die Schweigepflicht fällt auch die Tatsache,<br />
dass jemand einen Anwalt konsultiert hat. 9 Ausgenommen<br />
sind nach § 43 a Abs. 2 S. 3 BRAO nur offenkundige<br />
Tatsachen und solche, die ihrer Art nach keine Geheimhaltung<br />
erfordern. Die unbefugte Offenbarung eines fremden<br />
Geheimnisses ist für einen Rechtsanwalt strafbar, sofern es<br />
ihm in seiner beruflichen Tätigkeit anvertraut oder bekanntgeworden<br />
ist. (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB). An der Verfassungsmäßigkeit<br />
der Verschwiegenheitspflicht bestehen keine<br />
Zweifel. 10<br />
Die Pflicht zur Verschwiegenheit entfällt, wenn der Mandant<br />
den Rechtsanwalt davon entbindet, denn der Mandant<br />
ist „Herr des Geheimnisses“, und das Vertrauen der Allgemeinheit<br />
in die Verschwiegenheit der Anwälte erfordert<br />
nur, dass die Anwälte das ihnen Anvertraute nicht gegen<br />
oder ohne Willen des Klienten offenbaren. 11 Der Verzicht auf<br />
die Schweigepflicht kann nach allgemeinen Grundsätzen<br />
auch durch schlüssiges Handeln erklärt werden. 12 Eine konkludente<br />
Einwilligung kann zum Beispiel angenommen werden,<br />
wenn der Mandant selbst der Presse Informationen zu<br />
seinem Fall gibt. Allerdings verlangt § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />
für werbende Hinweise auf Mandate und Mandanten eine<br />
ausdrückliche Einwilligung und beschränkt die Nennung<br />
von Mandanten und Mandaten auf Praxisbroschüren, Rundschreiben<br />
oder vergleichbare Informationsmittel oder auf<br />
Anfrage? Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Einschränkungen<br />
soll im folgenden näher untersucht werden.<br />
1 Vgl. Streck, NJW 2001, 3605, 3606.<br />
2 Der Autor hat zu dem Thema „Rechtsanwaltskanzleien und PR“ bei Prof. Dr. Thomas<br />
Hoeren an der Universität Münster promoviert. Die Dissertation ist 2007 im<br />
Wissenschaftlichen Verlag Berlin erschienen.<br />
3 Unter www.jonesday.com/de/firm/clients/<br />
4 Z. B. in der Broschüre „Praxisgruppe Gesellschaftsrecht“ von Lovells.<br />
5 Z. B. die Kanzlei KWAG unter www.kwag-recht.de<br />
6 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Henssler/Prütting-Eylmann, 2. Auflage 2005, § 43 a<br />
BRAO Rn. 28f.<br />
7 Hartung/Holl-Hartung, 2. Auflage 2001, § 2 BerufsO Rn. 9; zur Entstehungsgeschichte<br />
Rn. 1 ff.<br />
8 Hartung/Holl-Hartung, §2BerufsORn.9.<br />
9 Henssler/Prütting-Eylmann, §43aBRAORn37ff.<br />
10 Hartung/Holl-Hartung, §2BerufsORn.36m.w.N.<br />
11 Vgl. Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Auflage 2003, § 43 a BRAO<br />
Rn. 26; Henssler/Prütting-Eylmann, § 43 a BRAO Rn. 32; Hartung/Holl-Hartung, §2<br />
BerufsO Rn. 23.<br />
12 Henssler/Prütting-Eylmann, § 43 a BRAO Rn. 62.<br />
748 AnwBl 11 / 2007 Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister
MN Aufsätze<br />
1. Beschränkung auf bestimmte Informationsmittel und<br />
Anfragen<br />
Warum § 6 Abs. 2 S. 2 BORA werbende Hinweise auf Mandanten<br />
und Mandate auf bestimmte Informationsmittel beschränkt,<br />
ist nicht mehr verständlich. Die Vorschrift steht in<br />
Zusammenhang mit § 7 BORA a. F., wonach Tätigkeitsschwerpunkte<br />
und Interessenschwerpunkte auch nur in den<br />
genannten Informationsmitteln angegeben werden durften.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat aber schon vor zehn Jahren<br />
klargestellt, dass wegen der Berufsausübungsfreiheit gemäß<br />
Art. 12 Abs. 1 GG auch den freien Berufen nicht generell<br />
einzelne Werbeträger verboten werden können, sondern<br />
es auf den Inhalt der Werbung ankommt. 13<br />
Mit der Neuregelung der Angabe von Teilbereichen der<br />
Berufstätigkeit und qualifizierenden Zusätzen zum 1. März<br />
2006 wurde in § 7 BerufsO die Beschränkung auf die genannten<br />
Informationsmittel gestrichen. Leider wurde bei der<br />
Neuregelung versäumt, auch § 6 Abs. 2 S. 2 BORA zu ändern.<br />
Nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA dürfte<br />
ein Rechtsanwalt bei einem Vortrag oder in einem sogenannten<br />
„pitch“ oder „beauty contest“, also einer Kanzleipräsentation<br />
zur Gewinnung eines konkreten Mandates, ungefragt<br />
keine Namen von Mandanten nennen, wohl aber in an die<br />
Zuhörer verteilten Kanzleibroschüren. Diese Unterscheidung<br />
ist mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nicht<br />
zu vereinbaren. In der Praxis ist dieses Problem über eine<br />
verfassungskonforme Auslegung von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />
zu lösen, wonach die Nennung von Mandanten und Mandaten<br />
unabhängig von dem Informationsmittel zulässig ist,<br />
sofern die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die Einwilligung<br />
des Mandanten, vorliegen. Eine „Anfrage“ ist dafür<br />
entgegen dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA nicht erforderlich.<br />
Es gibt keinen nachvollziehbaren Gemeinwohlgrund,<br />
warum die Werbemöglichkeiten für einen Anwalt<br />
nur bei „Anfragen“ erweitert werden dürfen. Entscheidend<br />
im Zusammenhang mit werbenden Hinweisen auf Mandanten<br />
und Mandate kann nur die Einwilligung des Mandanten<br />
sein, denn die Schweigepflicht dient seinem Schutz. Daher<br />
besteht auch in der Literatur Einigkeit, dass die Beschränkungen<br />
von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA hinsichtlich bestimmter<br />
Informationsmittel und Anfragen verfassungswidrig sind. 14<br />
2. Ausdrückliche Einwilligung<br />
Bei werbenden Hinweisen auf Mandanten und Mandate ist<br />
gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 BORA eine ausdrückliche Einwilligung<br />
des Mandanten erforderlich. Es ist allerdings nicht ersichtlich,<br />
warum bei werbenden Hinweisen ein anderer Maßstab<br />
für die Einwilligung gelten soll als für den Verzicht auf die<br />
Schweigepflicht in anderen Fällen. Mit der Begründung, spätere<br />
Unklarheiten und Differenzen zu vermeiden, 15<br />
ließe<br />
sich genauso gut eine ausdrückliche Einwilligung für jede<br />
Entbindung von der Schweigepflicht fordern. Zudem ist der<br />
Bezug auf die Anfrage missverständlich. Auch wenn ein<br />
Mandant einmal seine Einwilligung zur Bekanntgabe der<br />
Mandatsbeziehung zu Werbezwecken gegeben hat, müsste<br />
streng genommen eine Kanzlei bei jeder neuen Anfrage,<br />
etwa von einer anderen Zeitung, eine neue ausdrückliche<br />
Einwilligung einholen. Sofern es sich um das gleiche Mandat<br />
oder die allgemeine Mandatsbeziehung handelt, ist dies<br />
überflüssiger Formalismus und zum Schutz des Mandanten<br />
nicht erforderlich.<br />
Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn es sich um ein anderes<br />
Mandat handelt, etwa wenn der Dauermandant bei einer<br />
bestimmten Transaktion beraten wurde. Hier kann der<br />
Mandant ein Interesse daran zu haben, dieses Geschäft nicht<br />
bekannt werden zu lassen, so dass vor der Bekanntgabe die<br />
Einwilligung des Mandanten einzuholen ist. 16 An das Vorliegen<br />
einer konkludenten Einwilligung sind zudem – wie<br />
sonst auch – strenge Anforderungen zu stellen. Empfehlenswert<br />
ist im Interesse des Mandanten eine ausdrückliche,<br />
möglichst schriftliche Einwilligung. Darin sollte auch genau<br />
festgehalten werden, welche Informationen weitergeben werden<br />
dürfen und welche nicht.<br />
III. Vertrauliche Weitergabe von<br />
Mandantennamen?<br />
Manchmal sollen Mandantennamen und Mandate nicht<br />
öffentlich bekannt gemacht werden, sondern nur zur vertraulichen<br />
Information Dritter dienen. Besonders relevant ist dieses<br />
Problem für Kanzleien, die mit der Redaktion des „Juve<br />
Handbuchs Wirtschaftskanzleien“ zusammenarbeiten. Einmal<br />
jährlich verschickt die Juve-Redaktion einen Fragebogen<br />
an die Kanzleien, in dem neben Informationen über die Anzahl<br />
der Anwälte und die Tätigkeitsgebiete auch wichtige<br />
Mandate des vergangenen Jahrs („Deal-Liste“) genannt werden<br />
sollen. Ausdrücklich gefragt wird, ob das Mandat als Referenz<br />
freigegeben ist. Nur dann erfolgt eine Nennung im redaktionellen<br />
Teil des Handbuchs. Aber auch wenn das<br />
Mandat nicht als Referenz freigeben ist, geben manche<br />
Kanzleien gegenüber Juve die Mandantennamen an mit der<br />
Auflage, diese Informationen vertraulich zu behandeln.<br />
Sie sind in einer Zwickmühle: Zwar wäre eine Umschreibung<br />
des Mandanten („regionaler Energieversorger“)<br />
möglich, aber aussagekräftiger sind konkrete, bekannte Mandantennamen.<br />
Zudem ist für die Bewertung eines Mandates<br />
bei Unternehmenskäufen die Größenordnung der Transaktion<br />
wichtig, doch die Mandanten wünschen häufig gerade<br />
nicht, dass der Kaufpreis bekannt wird. Wenngleich die<br />
meisten Journalisten ihre Schweigeverpflichtung beherzigen<br />
und derartige Hintergrundinformationen für Journalisten in<br />
Politik und Wirtschaft durchaus üblich sind, wird ein entsprechendes<br />
Vorgehen von Rechtsanwälten ihrer Schweigepflicht<br />
nicht gerecht.<br />
13 BVerfG NJW 1996, 3067.<br />
14 Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Auflage<br />
2004, Rn. 788; Hartung/Holl-Römermann, § 6 BerufsO, Rn 147 ff.; Henssler/<br />
Prütting-Eylmann, §6BerufsORn.9ff.<br />
15 Hartung/Holl-Römernann, § 6 BerufsO Rn. 152 unter Verweis auf die Satzungsmaterialien.<br />
16 Hartung/Holl-Römermann, § 6 BerufsO Rn. 145.<br />
Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister AnwBl 11 / 2007 749
MN Aufsätze<br />
Denn nach unbestrittener Auffassung gilt die Schweigepflicht<br />
gegenüber jedermann, also auch gegenüber Personen,<br />
die ihrerseits – wie etwa andere Rechtsanwälte – zur<br />
Verschwiegenheit verpflichtet sind. 17 Nur sofern es sich um<br />
eigene Mitarbeiter oder andere Sozietätsmitglieder des<br />
Rechtsanwaltes handelt, scheidet eine Verletzung der<br />
Schweigepflicht aus. 18 Journalisten sind weder berufsrechtlich<br />
noch strafrechtlich gemäß § 203 StGB zur Verschwiegenheit<br />
verpflichtet, sondern nur aufgrund eines freiwilligen<br />
Verhaltenskodex, so dass die Angabe von Mandaten und<br />
Mandantennamen ihnen gegenüber erst recht die Offenbarung<br />
eines fremden Geheimnisses i. S. d. § 203 Abs. 1<br />
Nr. 3 StGB und einen Verstoß gegen die Schweigepflicht aus<br />
§§ 43 a BRAO, 2 BerufsO darstellt.<br />
Das gilt jedoch nur, sofern wirklich keine Einwilligung<br />
vorliegt. Aus den oben genannten Gründen ist insbesondere<br />
zu prüfen, ob nicht in diesen Fällen eine konkludente Einwilligung<br />
in die vertrauliche Weitergabe vorliegen kann. So<br />
dürfte Rechtsabteilungen größerer Unternehmen die Praxis<br />
der Zusammenarbeit von Kanzleien und Juve mittlerweile<br />
bekannt sein. Dennoch kann ohne das Vorliegen besonderer<br />
Anhaltspunkte eine solche konkludente Einwilligung nicht<br />
angenommen werden. Für eine mutmaßliche Einwilligung<br />
bleibt in der Regel kein Raum, weil zuvor eine ausdrückliche<br />
Erklärung des Berechtigten eingeholt werden könnte. 19 Um<br />
straf- und berufsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein, sollten<br />
Kanzleien daher eine Einwilligung auch für die nur vertrauliche<br />
Weitergabe von Mandantennamen und Mandaten<br />
einholen.<br />
IV. Nennung von Prozessgegnern?<br />
Mit Mandantennamen können nur Kanzleien werben, die<br />
Mandanten mit prestigeträchtigen Namen vertreten. Kanzleien,<br />
die von ganz normalen Bürgern beauftragt werden –<br />
also den meisten Kanzleien –, nutzt diese Möglichkeit nichts.<br />
Für sie kann es aber von großem Interesse zu sein, der Öffentlichkeit<br />
und potenziellen Mandanten mitzuteilen, gegen<br />
wen sie erfolgreich Prozesse geführt haben, wenn der Gegner<br />
bekannte Unternehmen oder Prominente waren. Manche<br />
auf Anlegerschutz spezialisierte Kanzleien versuchen<br />
ihre Leistungsfähigkeit nachweisen, indem sie Fonds, Banken<br />
und Wertpapieremittenten benennen, gegen die sie<br />
schon erfolgreich Schadensersatzprozesse geführt haben.<br />
Nach einer Entscheidung des KG Berlin soll aber die Veröffentlichung<br />
von Listen mit Prozessgegnern einer Anlegerschutzkanzlei<br />
– zwar nicht berufsrechtlich, aber äußerungsrechtlich<br />
– unzulässig sein. 20<br />
Das Ergebnis mag in diesem speziellen Fall richtig sein,<br />
die Begründung des Kammergerichts überzeugt jedoch<br />
nicht. 21 Das Kammergericht bejaht zwar ein Interesse eines<br />
potentiellen Mandanten bei der Auswahl eines Rechtsanwaltes,<br />
ob die Kanzlei schon Verfahren gegen den eigenen potenziellen<br />
Gegner geführt habe. Ein darüber hinausgehendes<br />
Interesse der Öffentlichkeit bestehe aber nicht. Die Kanzlei<br />
betreibe mit der Nennung der Gegner ihrer Mandanten<br />
„schlicht“ Werbung und mache sich deren Namen für ihre<br />
wirtschaftlichen Interessen zu Nutzen. Daher überwiege das<br />
unternehmerische Persönlichkeitsrecht des Unternehmens<br />
gegenüber dem Recht der Kanzlei auf Freiheit der Berufsausübung<br />
(Art. 12 Abs. 1 GG), zumal diese auch ohne na-<br />
mentliche Nennung der Gegner auf ihre Kompetenz aufmerksam<br />
machen könne.<br />
Diese Wertung wird Art 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG unterfällt die<br />
Außendarstellung inklusive der Werbung von Rechtsanwälten<br />
dem Schutzbereich von Art 12 Abs. 1 GG, so dass staatliche<br />
Einschränkungen Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung<br />
sind. 22 Auch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1<br />
GG ist bei werbenden Aussagen von Rechtsanwaltskanzleien<br />
einschlägig, denn sie schützt auch die kommerzielle Werbung.<br />
23 Vorrangig ist bei der Werbung von Berufsangehörigen<br />
aber das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1<br />
GG. 24 Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des<br />
BVerfG kommen als Beschränkungen rechtfertigende Gemeinwohlziele<br />
nur in Betracht: Die Unabhängigkeit des<br />
Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern, und<br />
das Vertrauen der Rechtsuchenden zu stärken, der Anwalt<br />
werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die<br />
Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten. 25 Zu<br />
recht geht das Kammergericht davon aus, dass auch eine Abwägung<br />
mit dem durch eine Veröffentlichung des Prozessverhältnisses<br />
betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
des Unternehmens (Art. 2 Abs. 1 GG) erfolgen muss.<br />
In diesem Fall mag das Persönlichkeitsrecht des Unternehmens<br />
überwiegen, doch das liegt daran, dass die Kanzlei<br />
durch die schlagwortartige Nennung des Unternehmens in<br />
einer Liste im Zusammenhang mit zweifelhaften Finanzanlagen<br />
potenziellen Mandanten keine sachlichen Informationen<br />
bietet, auf das Unternehmen aber ein schlechtes Licht<br />
wirft. Es bleibt völlig offen, worum es in den jeweiligen Verfahren<br />
ging, wann sie stattfanden und ob das Unternehmen<br />
verurteilt wurden. Anhand des bloßen Namens eines Prozessgegners<br />
können potenzielle Mandanten die Leistungen<br />
einer Kanzlei nicht einschätzen. Hier besteht eher eine Irreführungsgefahr.<br />
Werden aber sachliche und zutreffende Informationen<br />
über Zeitpunkt, Sachverhalt und Prozessverlauf gegeben, so<br />
muss jedenfalls bei rechtskräftigen Urteilen das allgemeine<br />
Persönlichkeitsrecht der Prozessgegner hinter dem Informationsbedürfnis<br />
potentieller Mandanten und dem Recht auf<br />
Außendarstellung der Kanzlei aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückstehen.<br />
Denn Gerichtsverfahren sind aus gutem Grund<br />
öffentlich (§ 169 GVG) und auch die Presse darf wahre Tatsachen<br />
bezüglich eines privaten Rechtsstreits veröffentlichen,<br />
sofern nicht die Diffamierung der Person im Vordergrund<br />
steht, was bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf<br />
17 Tröndle/Fischer, 53. Auflage 2006, § 203 Rn. 30 b; Henssler/Prütting, § 43 a Rn. 43<br />
jeweils m. w. N.<br />
18 BGH v. 10.8.1995, IX ZR 220/94, juris Rn. 17 m. w. N.<br />
19 Vgl. Tröndle/Fischer, 53. Auflage 2006, § 203 Rn. 36 m. w. N.<br />
20 Vgl. im folgenden KG Berlin v. 30.9.2005, 9 U 21/04, NJW-RR 2005, 1709, gegen<br />
die Entscheidung und die Nichtzulassung der Revision durch den BGH ist eine<br />
Verfassungsbeschwerde zu dem Aktenzeichen 1 BvR 1625/06 beim Bundesverfassungsgericht<br />
anhängig. Der Verfassungsrechtsausschuss des DAV hält die Verfassungsbeschwerde<br />
in der DAV-Stellungnahme 16/2007 für begründet (unter<br />
www.anwaltverein.de/03/05/index.html).<br />
21 A. A. Kleine-Cosack, NJ 2006, 84, der dem Kammergericht uneingeschränkt Zustimmung<br />
zollt.<br />
22 Zuletzt BVerfG, NJW 2004, 2656; BVerfG, GRUR 2003, 965.<br />
23 BVerfG AnwBl 2002, 60; vgl. Jarass/Pieroth, 7. Auflage 2004, Art. 5 Rn. 3 m. w. N.<br />
24 BVerfG, NJW 1996, 3067.<br />
25 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2656, 2657; BVerfG, MDR 2000, 730, 731.<br />
750 AnwBl 11 / 2007 Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister
MN Aufsätze<br />
in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage<br />
stets zu verneinen ist. 26 Hier ist ein Interesse von möglicherweise<br />
geschädigten Anlegern an Informationen über Kanzleien,<br />
die in gleichen oder ähnlichen Fällen schon Prozesse<br />
geführt haben, nicht zu leugnen; eines darüber hinausgehenden<br />
Interesses der Öffentlichkeit bedarf es nicht.<br />
In manchen sehr öffentlichkeitswirksamen Fällen dürfte<br />
die Information über einen Prozess ohnehin eine offenkundige<br />
Tatsache sein. Dass die Kanzlei zugleich auch eigene<br />
(Werbe-)zwecke verfolgt, ist ihr gutes Recht aus Art. 12<br />
Abs. 1 GG und kann allein die Abwägung nicht zu ihren Ungunsten<br />
ausfallen lassen. 27 Daher bestehen gegen eine umfassende<br />
Information potenzieller Mandanten über geführte,<br />
rechtskräftig beendete oder offenkundig bekannte Prozesse<br />
auch unter Nennung des Prozessgegners keine Bedenken,<br />
sofern ein Bedürfnis für die Namensnennung bei den potenziellen<br />
Mandanten und der Kanzlei besteht. 28<br />
V. Weitere Grenzen für die Nennung von<br />
Mandanten, Mandaten und Prozeßgegnern<br />
Kanzleien müssen ferner die allgemeinen berufs- und wettbewerbsrechtlichen<br />
Grenzen für Werbung einhalten, wenn<br />
sie Namen von Mandanten, Prozessgegnern oder Mandate<br />
öffentlich machen. Grundsätzlich stehen Berufsrecht und<br />
Wettbewerbsrecht unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander.<br />
29 Die Angaben dürfen nicht unsachlich sein, weil<br />
es sich um Werbung i. S. d. §§ 43 b BRAO, 6 BORA handelt. 30<br />
Sie dürfen ferner nicht irreführend i. S. d. §§ 3, 5 UWG sein.<br />
Auch wenn die Tatsachen zweifelhaft oder missverständlich<br />
sind, besteht die Gefahr einer Irreführung. Eine Kanzlei darf<br />
daher nicht in einer Pressemitteilung behaupten, sie habe in<br />
einem konkreten Fall eine bestimmte Zahl von Mandaten geworben,<br />
wenn noch zweifelhaft ist, ob es endgültig zu den<br />
Mandaten kommt. So hatte eine Anlegerschutzkanzlei behauptet,<br />
10.000 Mandate im Zusammenhang mit einem zusammengebrochenen<br />
Fonds akquiriert zu haben; tatsächlich<br />
kooperierte sie lediglich mit sechs Finanzdienstleistern, die<br />
10.000 Fondanleger repräsentieren. Eine andere Kanzlei erwirkte<br />
eine einstweilige Verfügung gegen die Pressemeldung.<br />
31 Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Irreführung<br />
bestehen auch gegen reine Mandantenlisten ohne Angaben<br />
zu Zeitpunkt, Umfang und Inhalt der Vertretung. Eine Ir-<br />
26 Vgl. BGH vom 19.4.2005, X ZR 15/04, juris Rn. 34 f., weitergehend noch BGH vom<br />
15.11.2005, VI ZR 287/04, juris Rn. 25 ff.: Öffentliches Interesse auch an gravierenden<br />
Verkehrsverstößen Prominenter.<br />
27 A. A. noch BGH vom 8.2.1994, VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, wonach der Veranstalter<br />
eines steuerrechtlichen Seminars nicht auf die negativen Punkte in der<br />
veröffentlichten Jahresabschlußbilanz eines Unternehmens hinweisen darf. Offenbar<br />
hat aber nun auch der BGH Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils, vgl. BGH<br />
vom 19.4.2005, X ZR 15/04, juris Rn 37.<br />
28 Vgl. auch die Informationen zu Prozessgegnern der Kanzlei Tilp unter www.tilp.de/<br />
urteile.html, die erstrittene Urteile zum Teil mit Namensnennung veröffentlicht.<br />
Dieses Vorgehen ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden.<br />
29 Fezer-Becker-Eberhard, Lauterkeitsrecht, § 4-S3, Rn. 45; Henssler/Prütting-Eylmann,<br />
§ 43 b BRAO Rn. 81; Hartung/Holl-Römermann, vor § 6 BerufsO Rn. 137;<br />
Feuerich/Weyland, 6. Auflage 2003, § 43 b BRAO Rn. 4.<br />
30 KG Berlin v. 30.9.2005, 9 U 21/04, juris Rn. 24 unter Verwendung des herrschenden<br />
weiten Werbungsbegriffes der Rechtsprechung. Aber auch für Vertreter eines<br />
engeren Werbungsbegriffes (vgl. dazu Hartung/Holl-Römermann, §6BerufsO<br />
Rn. 31 ff.) liegt hier Werbung vor, weil berufsbezogene Informationen kommuniziert<br />
werden.<br />
31 Vgl. Nohlen, Juve Rechtsmarkt 07/05, S. 45 ff.<br />
reführung dürfte zum Beispiel dann zu bejahen sein, wenn<br />
eine Kanzlei ein prominentes Unternehmen als Mandanten<br />
angibt, tatsächlich aber nur ein ganz unbedeutendes Mandaten<br />
wahrgenommen oder zuletzt vor geraumer Zeit für<br />
das Unternehmen tätig war.<br />
VI. Ergebnis<br />
Für die Außendarstellung von Kanzleien ist die Angabe von<br />
Referenzen aufgrund des sich verschärfenden Konkurrenzkampfes<br />
unverzichtbar geworden. Weil dafür in der Regel<br />
auch Mandanten Verständnis haben, sollte die Absprache<br />
mit ihnen zu diesem Thema gesucht werden. Im Übrigen<br />
gilt: § 6 Abs. 2 S. 2 BORA ist verfassungskonform so auszulegen,<br />
dass Rechtsanwälte Mandanten und Mandate unabhängig<br />
von bestimmten Informationsmitteln und Anfragen<br />
öffentlich nennen dürfen, wenn der Mandant eingewilligt<br />
hat. Entgegen dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 S. 2 BORA<br />
genügt wie sonst auch gemäß § 43 a Abs. 2 BRAO eine konkludente<br />
Einwilligung. Eine vertrauliche Nennung von Mandanten<br />
und Mandaten ohne Einwilligung gegenüber zur Verschwiegenheit<br />
verpflichtenden Dritten, insbesondere<br />
gegenüber Journalisten, verstößt gegen §§ 43 a Abs. 2 BRAO,<br />
203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Die Nennung von Prozessgegnern<br />
kann nach einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />
des Prozessgegners zulässig sein, wenn über<br />
Zeitpunkt, Inhalt und Ausgang des Rechtsstreits informiert<br />
wird und bei potentiellen Mandanten ein legitimes Interesse<br />
an diesen Informationen besteht. Im übrigen gelten die Anforderungen<br />
von §§ 43 b BRAO, 3, 5 UWG für die Nennung<br />
von Mandanten, Prozessgegnern und Mandaten, d. h. die Angaben<br />
müssen sachlich und nicht irreführend sein.<br />
Dr. Volker Hagemeister, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist in der Kanzlei Wilmer Hale<br />
tätig.<br />
Schweigepflicht und Anwaltswerbung, Hagemeister AnwBl 11 / 2007 751
MN Aufsätze<br />
Reparaturbedarf in<br />
der BORA – und eine<br />
gewollte Lücke<br />
Hinweise für die neue Satzungsversammlung<br />
aus der Sicht eines Kommentators<br />
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach<br />
Der Gesetzgeber zeigt es ständig: Eine Rechtsordnung ist<br />
nicht fertig – immer gibt es etwas zu tun. Warum sollte es<br />
der Satzungsversammlung anders gehen? Sie kann aufgrund<br />
der Ermächtigung in der BRAO Satzungsrecht setzen. Die<br />
vierte Satzungsversammlung wird am 18. Januar 2008 erstmals<br />
zusammentreten und sich in der ersten Sitzung ein Arbeitsprogramm<br />
geben. Der Autor – Herausgeber eines bekannten<br />
Kommentars zur Berufsordnung – fasst zusammen,<br />
welche Vorschriften der BORA aus seiner Sicht reparaturbedürftig<br />
sind.<br />
I. Berufsordnung und Grundgesetz<br />
Als die 1. Satzungsversammlung am 29. November 1996 in<br />
Berlin die Berufsordnung nach mehr als einjähriger Beratung<br />
mit überwältigender Mehrheit beschloss, würdigte der<br />
damalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer in seiner<br />
Eigenschaft als Vorsitzender der Satzungsversammlung<br />
die Abstimmung als denkwürdigen Augenblick. Das war sie<br />
auch wirklich in der Geschichte der deutschen Anwaltschaft,<br />
hatte doch das „Parlament der Rechtsanwälte“, wie die Satzungsversammlung<br />
hin und wieder genannt wird, mit der<br />
Verabschiedung der Berufsordnung erstmalig ein eigenes<br />
anwaltliches Berufsrecht geschaffen.<br />
Doch schon in den ersten Jahren danach erwiesen sich<br />
einzelne Vorschriften der Berufsordnung als verfassungswidrig.<br />
Erinnert sei an das ursprünglich in § 13 BerufsO geregelte<br />
Verbot, gegen einen anwaltlich vertretenen Gegner ein<br />
Versäumnisurteil zu erwirken. 1 Zu erinnern ist auch an das<br />
Verbot einer Sternsozietät mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern<br />
2 oder an die ursprüngliche Regelung des Verbots<br />
der Vertretung widerstreitender Interessen beim Sozietätswechsel<br />
eines Rechtsanwalts in § 3 BerufsO, 3 um nur einige<br />
Beispiele zu nennen.<br />
Auch heute nach mehr als zehn Jahren seit Inkrafttreten<br />
der Berufsordnung lässt sich nicht behaupten, dass sie uneingeschränkt<br />
gesetzes- und verfassungskonform ist. Im Gegenteil:<br />
Es gibt unverändert eine ganze Reihe „reparaturbedürftiger“<br />
Vorschriften. Dazu gehören neben den §§ 3 und<br />
7a BerufsO unter anderem die §§ 4, 4 5, 5 9, 6 10, 7 21, 8 26, 9 27, 10<br />
30 11 und 31 12 BerufsO. Nur zwei ausgewählte Beispiele sollen<br />
hier näher erörtert werden.<br />
1. § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO<br />
In seiner geltenden Fassung erlaubt der Wortlaut des § 3<br />
Abs. 2 Satz 2 BerufsO die Vertretung widerstreitender Interessen<br />
auch innerhalb einer Sozietät, wenn sich im Einzelfall<br />
die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten<br />
mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklären<br />
und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen.<br />
Höchst fragwürdig ist, ob die Satzungsversammlung aus<br />
§ 59 b Abs. 2 Nr. 1 a BRAO die Ermächtigung ableiten kann,<br />
die gesetzliche Regelung das § 43 a Abs. 4 BRAO durch § 3<br />
BerufsO lockern oder gar aufheben zu können. Das aber ist<br />
durch die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO n. F. geschehen,<br />
weil sie die Vertretung widerstreitender Mandate<br />
unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt. Darin<br />
liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass das Gesetz Vorrang<br />
vor Satzungsrecht hat und Satzungsrecht Gesetzesrecht<br />
nicht brechen kann. 13<br />
Die in § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO durch die Einverständniserklärung<br />
der Parteien eröffnete Möglichkeit einer Befreiung<br />
vom Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />
innerhalb einer Sozietät ist – abgesehen von der Gesetzeswidrigkeit<br />
der Regelung wegen fehlender Satzungskompetenz<br />
– auch aus zwei weiteren Gründen gesetzeswidrig.<br />
Zum einen verstößt die Neufassung des § 3 Abs. 2 Satz 2<br />
BerufsO gegen § 43 a Abs. 4 BRAO. Die Vorschrift dient unter<br />
anderem dem Interesse der Rechtspflege an einer eindeutigen<br />
und geradlinigen Rechtsbesorgung durch den Rechtsanwalt<br />
in jedem ihm angetragenen Mandat. Dabei handelt es<br />
sich um ein Gemeinwohlgut, zu dessen Schutz der Gesetzgeber<br />
das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />
als statusbildende Grundpflicht ausgebildet hat. Die Regelung<br />
statusbildender Normen aber ist ausschließlich dem<br />
Gesetzgeber vorbehalten. Das gilt auch für eine inhaltliche<br />
Lockerung solcher Normen.<br />
Zum anderen widerspricht die Neuregelung des § 3<br />
Abs. 2 Satz 2 BerufsO bei Anwendung innerhalb einer Sozietät<br />
grundsätzlich auch den Belangen der Rechtspflege. Dazu<br />
gehören neben der Wahrung des Vertrauensverhältnisses<br />
zum Mandanten, das auf der Zuverlässigkeit und Integrität<br />
der Anwaltschaft beruht, auch die Geradlinigkeit anwaltlicher<br />
Berufsausübung und die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts.<br />
Über sein Vertrauensverhältnis zum Rechtsanwalt<br />
mag der Mandant im Einzelfall selbst bestimmen können.<br />
Über die beiden anderen Gemeinwohlgüter können die Mandanten<br />
aber nicht disponieren. Der Gesetzgeber hat in die<br />
von Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des Rechtsanwalts<br />
gerade wegen der zu wahrenden anwaltlichen Unabhängigkeit<br />
und wegen der von einem Rechtsanwalt als Organ der<br />
Rechtspflege (§ 1 BRAO) zu fordernden Geradlinigkeit in<br />
seine Berufsausübung eingegriffen. Zumindest die Verletzung<br />
dieser beiden Gemeinwohlgüter bei einer Anwendung<br />
des § 3 Abs. 2 Satz 2 BerufsO innerhalb einer Berufsausübungs-<br />
oder Bürogemeinschaft ist weiterer Grund für<br />
die Gesetzeswidrigkeit dieser Norm.<br />
1 BVerfG AnwBl 2000, 122.<br />
2 BGH AnwBl 1999, 553 m. Anm. Römermann.<br />
3 BVerfG AnwBl 2003, 521:<br />
4 Hartung-Nerlich § 4 BerufsO Rdn. 41.<br />
5 Hartung § 5 BerufsO Rdn. 64.<br />
6 Hartung-Römermann § 9 BerufsO Rdn. 36 ff.<br />
7 Hartung-Römermann §10BerufsORdn.24ff.<br />
8 Hartung-Nerlich § 21 BerufsO Rdn. 68.<br />
9 Hartung-Nerlich § 26 Rdn. 182.<br />
10 Hartung-Römermann §27BerufsORdn.17ff.<br />
11 Hartung-Römermann §30Rdn.4.<br />
12 Hartung-Römermann § 31 BerufsO Rdn. 29-32.<br />
13 A.a. Busse, AnwBl 2007, <strong>729</strong>, 730 f. (in diesem Heft).<br />
752 AnwBl 11 / 2007 Reparaturbedarf in der BORA, Hartung
MN Aufsätze<br />
Die 4. Satzungsversammlung sollte deshalb die durch § 3<br />
Abs. 2 Satz 2 BerufsO eröffnete Möglichkeit, innerhalb einer<br />
Sozietät Mandanten im widerstreitenden Interesse vertreten<br />
zu dürfen, schleunigst wieder aufheben.<br />
2. § 7a BerufsO<br />
Gemäß § 7a BerufsO dürfen sich Rechtsanwälte als Mediator<br />
nur bezeichnen, wenn sie durch geeignete Ausbildung nachweisen<br />
können, dass sie die Grundsätze des Mediationsverfahrens<br />
beherrschen. Allein schon berufspolitisch ist es<br />
kaum zu verstehen, dass die Anwaltschaft sich mit dieser<br />
überflüssigen Regelung ohne Not den Zugang zum Markt<br />
der Mediation selbst erschwert und damit Wettbewerbsnachteile<br />
gegenüber anderen Berufsgruppen geschaffen hat. Von<br />
der Satzungsversammlung als Parlament der Rechtsanwälte<br />
sollte erwartet werden dürfen, dass es die Interessen der Anwaltschaft<br />
vertritt und keine Vorschriften zu deren Nachteil<br />
beschließt.<br />
Die Regelung des § 7a BerufsO ist aber auch verfassungswidrig<br />
und wird im Fall einer Verfassungsbeschwerde beim<br />
Bundesverfassungsgericht kaum Bestand haben. Zum einen<br />
stellt sie gegenüber nichtanwaltlichen Mediatoren eine die<br />
Anwaltschaft benachteiligende Hürde auf, die es Rechtsanwälten<br />
erschwert, sich durch Werbung am Markt der Mediation<br />
zu positionieren. 14 Darin liegt ein Verstoß gegen die<br />
Vorschriften des Europäischen Wettbewerbsrechts. Des Weiteren<br />
verletzt die Norm das Bestimmtheitsgebot aus Art. 20<br />
GG. Sie lässt unklar, was unter einer „geeigneten Ausbildung“<br />
zu verstehen ist. Auch erschließt sich aus ihr nicht,<br />
welche „Grundsätze des Mediationsverfahrens“ der Rechtsanwalt<br />
beherrschen muss, um mit der Bezeichnung „Mediator“<br />
werben zu dürfen. Schließlich greift § 7a BerufsO verfassungswidrig<br />
in die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte aus<br />
Art. 12 Abs. 1 GG ein, denn es ist kein Gemeinwohlinteresse<br />
erkennbar, durch das die Norm gedeckt sein könnte.<br />
Die Satzungsversammlung ist auch insoweit aufgerufen,<br />
die Regelung des § 7a BerufsO aufzuheben und damit die<br />
Wettbewerbsnachteile zu beseitigen, denen sich Rechtsanwälte<br />
ausgesetzt sehen, die Mediation betreiben und mit dieser<br />
Tätigkeit werben und Geld verdienen wollen.<br />
II. Ausblick: Zweigstelle<br />
Die 4. Satzungsversammlung wird sich in einer ihrer ersten<br />
Sitzungen möglicherweise auch mit der Einrichtung und<br />
Unterhaltung einer Zweigstelle befassen wollen, die seit dem<br />
1. Juni 2007 erlaubt ist, nachdem das bis dahin geltende<br />
Zweigstellenverbot des früheren § 28 BRAO durch das Gesetz<br />
zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft<br />
aufgehoben worden ist.<br />
Der Wegfall des Zweigstellenverbots mit Wirkung ab<br />
1. Juni 2007 führte bereits in der 7. und letzten Sitzung der<br />
3. Satzungsversammlung vom 11. Juni 2007 zu einer lebhaften<br />
Diskussion über die Frage, ob der nunmehr zulässige Betrieb<br />
einer Zweigstelle berufsrechtlich zu regeln sei. 15 So sei<br />
zu fragen, ob die Zweigstelle auf dem Briefbogen des Rechts-<br />
14 Hartung-Römermann §7aBerufsORdn.14.<br />
15 SV-Prot. 7/3 S. 25 ff.<br />
16 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191.<br />
17 So auch Römermann AnwBl 2007, 609.<br />
anwalts genannt werden müsse und wie viele Zweigstellen<br />
erlaubt seien. Für die Regelung dieser und anderer Fragen<br />
fand sich jedoch Mehrheit. Dabei sollte es verbleiben. Der<br />
Rechtsanwalt übt einen freien Beruf selbstbestimmt und unreglementiert<br />
aus, soweit Gesetz oder Berufsordnung ihn<br />
nicht besonders verpflichten. So steht es in § 1 Abs. 1 BerufsO.<br />
So hat es auch das Bundesverfassungsgericht gesehen.<br />
16 Das heißt mit anderen Worten: Was nicht ausdrücklich<br />
verboten ist, ist erlaubt.<br />
Das Gesetz regelt hierzu in § 27 Abs. 2 BRAO n. F., dass<br />
der Rechtsanwalt die Errichtung einer Zweigstelle der<br />
Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen hat und<br />
das, wenn die Zweigstelle im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer<br />
errichtet wird, dies auch dieser Rechtsanwaltskammer<br />
anzuzeigen ist. Diese gesetzliche Regelung<br />
ist ausreichend. Für eine Regelung in der Berufsordnung<br />
durch die Satzungsversammlung fehlt es zudem in § 59b<br />
BRAO an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die<br />
4. Satzungsversammlung sollte sich dieser Rechtslage bewusst<br />
sein und etwaigen Bestrebungen, für die Zweigstelle<br />
berufsrechtliche Regelungen aufzustellen, erneut eine Absage<br />
erteilen. 17<br />
Dr.WolfgangHartung,Mönchengladbach<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Herausgeber des<br />
in 3. Auflage erschienenen Kommentars<br />
„Anwaltliche Berufsordnung“ aus dem Verlag C.H.Beck.<br />
Reparaturbedarf in der BORA, Hartung AnwBl 11 / 2007 753
MNKommentar<br />
Die vierte Satzungsversammlung ist gewählt.<br />
Man weiß nichts Gesichertes,<br />
wie Wahlerfolge Einzelner erreicht<br />
oder verhindert wurden. Es soll aber<br />
zum ersten Mal taktisch gewählt worden<br />
sein. Taktisch wählen konnte man.<br />
Man musste ja nicht alle möglichen<br />
Stimmen abgeben, sondern konnte die<br />
Stimmabgabe reduzieren und dadurch<br />
der eigenen Stimme ein größeres Gewicht<br />
geben. Der Prozentsatz der gewählten<br />
jungen Anwältinnen und Anwälte<br />
ist gestiegen sein. Erstaunliche<br />
Wahlniederlagen soll es geben – und<br />
überraschende Erfolge. Kammerpräsidenten<br />
bemühten sich wiederum mit<br />
Erfolg, gewählt zu werden; das durch<br />
die BRAO bereits vermittelte Teilnahme-<br />
und Rederecht reicht ihnen<br />
nicht. Zusammengefunden hat sich die<br />
neue Satzungsversammlung noch<br />
nicht. Man darf aber gespannt und<br />
neugierig sein.<br />
Und dann der Schwanengesang<br />
von Kleine-Cosack im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
2007, 409. Aber Schwanengesang ist<br />
die falsche Metapher. Man kann<br />
Kleine-Cosack schlecht mit einem<br />
Schwan vergleichen. Vielleicht ist es<br />
eher der grelle Ruf der Kassandra. Die<br />
Satzungsversammlung habe nichts<br />
mehr zu tun. Für die Mitglieder gelte<br />
alles andere als ein drohender „Burnout“.<br />
Richtiger sei es, von einem „Boreout“<br />
zu sprechen, was Kleine-Cosack<br />
wie folgt erläutert: „Die von dieser<br />
Krankheit Infizierten leiden an akuter<br />
Unterforderung, schwerem Desinteresse<br />
an ihrer Arbeit und langweilen<br />
sich (englisch: to bore) am Schreibtisch<br />
zu Tode.“ Also könnte man auch sagen:<br />
Die gewählte Satzungsversammlung,<br />
ein Rudel Lemminge, die blindwütig<br />
754 AnwBl 11 / 2007<br />
Langeweile zu Tode<br />
oder Kurzweile der<br />
Kommunikation<br />
Dr. Michael Streck, Köln<br />
Rechtsanwalt, Mitglied der vierten Satzungsversammlung,<br />
Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (1998 bis 2003)<br />
zwar nicht in ihren Meerestod, aber in<br />
ihren Langeweile-Tod rennen.<br />
Ich habe mich ein drittes Mal zur<br />
Wahl gestellt, und zwar in Kenntnis<br />
dessen, was Kleine-Cosack schrieb und<br />
ständig von sich gibt. Ich teile seine<br />
Meinung nicht. Sie ist falsch, abgrundtief<br />
falsch. Und im Übrigen hat gerade<br />
er einerseits für mich den Grund geliefert,<br />
warum ich mich wieder zur Wahl<br />
gestellt habe, und zum anderen bedachte<br />
er selbst diesen Grund nicht, als<br />
er darauf verzichtete, sich in Feiburg –<br />
seiner Rechtsanwaltskammer – wieder<br />
zur Wahl zu stellen. Er wäre sicher gewählt<br />
worden.<br />
„Die Satzungsversammlung<br />
vereinigt alle Strömungen<br />
der Anwaltschaft.“<br />
Langweilt sich die künftige Satzungsversammlung<br />
zu Tode? Wenn ich<br />
zurückblicke, gibt es Themen, die alles<br />
andere als Langeweile versprechen. Die<br />
Diskussion um die Fachanwaltschaft<br />
ist nicht in der dritten Satzungsversammlung<br />
beendet worden. Dort hat<br />
ein Ausschuss hervorragende Arbeit<br />
geleistet, dessen Ergebnis ich nicht billige,<br />
was nicht die Qualität der Arbeit<br />
berührt. Die Anträge zur Berufsordnung<br />
zeigen, dass von Arbeitslosigkeit<br />
keine Rede sein kann. Und im Übrigen<br />
ist hier nicht mein Anliegen,<br />
buchhalterisch über Zuständigkeiten<br />
zu streiten. Die Satzungsversammlung<br />
hat Sachthemen, die bereits deshalb<br />
faszinierend sind, weil ständig darüber<br />
diskutiert wird, ob es überhaupt eine<br />
eigene Zuständigkeit gibt – was die<br />
Meinungsbildung eher fördert als hindert.<br />
Die Satzungsversammlung ist der<br />
einzige Ort, wo sich alle Strömungen<br />
der Anwaltschaft treffen. Hier diskutieren<br />
die Großsozietäten mit den kleinen<br />
Sozietäten, die Konservativen mit den<br />
Progressiven, die Anwälte mit den Anwältinnen,<br />
die extrem liberalen mit den<br />
extrem gebundenen, die dem Kammerwesen<br />
verschworenen und die den<br />
freien Anwaltsverband zugeneigten.<br />
Und das waren für mich außerordentlich<br />
bereichernde Erfahrungen der letzten<br />
Jahre. Und das ist der zentrale<br />
Grund, warum ich mich zur Wahl gestellt<br />
habe. Nirgendwo kann ich so mit<br />
großer Aufmerksamkeit die interne<br />
Auseinandersetzung und Kommunikation<br />
der Anwaltschaft erfahren. Und<br />
das wird sich in der vierten Satzungsversammlung<br />
fortsetzen. Und deshalb<br />
bin ich neugierig auf jede Tagung dieser<br />
Versammlung. Und deshalb ist sie<br />
gerade das Gegenstück der Langeweile,<br />
sondern eine große, erwartete Kurzweil<br />
(dies nicht nur als Unterrichtung, sondern<br />
auch als Unterhaltung verstanden).<br />
Und das Kleine-Cosack fehlen wird,<br />
schmerzt. Denn er war in allen Satzungsversammlungen<br />
ein Kollege, an<br />
dem die Diskussion entbrannte.<br />
Ich weiß, dass das Argument der<br />
Kosten in der Satzungsversammlung<br />
eine Rolle spielt. Die Kosten trägt die<br />
Bundesrechtsanwaltskammer, die Reisekosten<br />
der einzelnen Mitglieder tragen<br />
die örtlichen Kammern. Über diesen<br />
Kostenaufwand kann man<br />
räsonieren, aber nicht, wenn man gerade<br />
gewählt ist. Denn die Wahl zur<br />
Satzungsversammlung ist verpflichtend<br />
und alles andere sind Rechtsfolgen.<br />
Und ich ändere nichts an diesen<br />
Rechtsfolgen, wenn ich mich nicht zur<br />
Wahl stelle.<br />
Fazit: Ich bin neugierig auf die<br />
vierte Satzungsversammlung.
MNThema<br />
Jünger, weiblicher und zwei Drittel wählen nicht<br />
Die Wahlen zur vierten Satzungsversammlung: Wahlbeteiligung, die Namen der 158 Mitglieder<br />
und Hintergründe zu den Wahlen in den Kammbezirken<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
Haben Sie es gemerkt? Die neue Satzungsversammlung mit<br />
ihren 158 stimmberechtigten Mitgliedern ist gewählt worden.<br />
Bei gerade knapp 35 Prozent lag die Wahlbeteiligung –<br />
trotz der bequemen Möglichkeit der Briefwahl. Die Satzungsversammlung<br />
ist – obwohl immer wieder plakativ so bezeichnet<br />
– kein Parlament. Sie kann nur im beschränkten Rahmen<br />
der Ermächtigung des § 59b BRAO Satzungsrecht<br />
setzen. Als bundesweit gewähltes Organ hat sie gleichwohl<br />
eine besondere Stellung in der anwaltlichen Selbstverwaltung.<br />
Zu ihrer konstituierenden Sitzung wird die vierte<br />
Satzungsversammlung am 18. Januar 2008 zusammentreten.<br />
144.216 Anwältinnen und Anwälte waren für die vierte Satzungsversammlung<br />
wahlberechtigt. 38.927<br />
machten sich die Mühe, ihre Stimme per<br />
Brief abzugeben. Das entspricht einer Wahlbeteiligung<br />
von gerade 34,64 Prozent. Wäre<br />
die Satzungsversammlung tatsächlich das<br />
„Anwaltsparlament“, wie sie immer wieder<br />
irreführend genannt wird, dann müsste man<br />
erschreckt darüber sein, dass gut zwei Drittel<br />
der Anwaltschaft von ihrem Wahlrecht keinen<br />
Gebrauch machen.<br />
Nun ist die Rechtssetzungsgewalt der Satzungsversammlung<br />
– in diesem Zusammenhang<br />
möchte man sagen zum Glück – überschaubar.<br />
Dennoch werden in der<br />
Satzungsversammlung wichtige berufsrechtliche<br />
Weichen gestellt. Dazu gehören nicht<br />
nur Fragen der Interessenkollision und des<br />
anwaltlichen Werberechts in der Berufsordnung<br />
der Rechtsanwälte, sondern nicht zuletzt<br />
das Fachanwaltssystem. Im Rahmen der<br />
Ermächtigung des § 43c BRAO regelt die<br />
Fachanwaltsordnung den Zugang zu Fachanwaltstiteln,<br />
die Fortbildung sowie Zahl<br />
und Zuschnitt der Fachanwaltschaften (zu<br />
den Aufgaben der Satzungsversammlung<br />
siehe AnwBl 2007, 118 f). Wählen hätte also<br />
Sinn gehabt.<br />
Wahlbeteiligung in den Kammerbezirken<br />
Bei der Wahlbeteiligung in den einzelnen<br />
Kammerbezirken lässt sich ein gewisser<br />
Trend ablesen: Je kleiner die Kammer, desto<br />
größer ist die Wahlbeteiligung. Die Wahlbeteiligung<br />
unter den (zum Zeitpunkt der<br />
Wahl noch 31) BGH-Anwälten einmal außen<br />
vorgelassen, da sie mit 93,55 % zeigt, dass es<br />
dort wieder mal anders als überall sonst zugeht,<br />
kamen die Spitzenwerte aus den kleinen<br />
Kammerbezirken Bremen, Kassel,<br />
Tübingen und Sachsen-Anhalt. Hier lag die<br />
Wahlbeteiligung um die 50%. Die großen Kammerbezirke<br />
Frankfurt (20,05 Prozent), Hamburg (25,09 Prozent), Hamm<br />
(26,62 Prozent), Köln (25,57 Prozent) und München I und II<br />
(22,74 Prozent) liegend deutlich niedriger. Mit großem Abstand<br />
Schlusslicht ist Berlin mit einer Wahlbeteiligung von<br />
gerade einmal 11,6 Prozent. Das entspricht 1.308 Wahlbriefen<br />
für zwölf Mitglieder der Wahlversammlung – oder anders<br />
gewendet: In Berlin mit 11.292 Wahlberechtigten reichten<br />
noch 379 Stimmen für einen Platz in der<br />
Satzungsversammlung. In Bremen mit 1.733 Wahlberechtigten<br />
und 878 Wahlbriefen waren 504 Stimmen notwendig.<br />
Doch wem haben diejenigen, die gewählt haben, ihre<br />
Stimme gegeben? Ein Blick in die Übersicht auf Seite 756 f.<br />
Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski AnwBl 11 / 2007 755
MN Thema<br />
Rechtsanwaltskammer<br />
(RAK)<br />
Wahlberechtigte Wahlbriefe Wahlbeteiligung<br />
in %<br />
Gesamt 144.216 38.927 34,64<br />
verrät zunächst einmal die Namen. Daraus wird zuerst deutlich,<br />
dass es in der 4. Satzungsversammlung viele neue Gesichter<br />
geben wird. Denn fast die Hälfte der Mitglieder ist<br />
neu (74 der 158 Mitglieder).<br />
Jünger und weiblicher<br />
Wie setzt sich die neu gewählte Satzungsversammlung aber<br />
strukturell zusammen? Verändert hat sich im Vergleich zur<br />
letzten Wahl im Jahr 2003 das Verhältnis von Männern und<br />
Frauen. Lag 2003 der Anteil der Anwältinnen noch bei 26 %,<br />
ist der Anteil nun auf 34 % gestiegen. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwältinnen des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, die sich<br />
für eine stärkere Beteiligung von Anwältinnen in dem Gremium<br />
stark gemacht hatte, kann dies als Fortschritt verbuchen.<br />
Und eine weitere Gruppe dürfte nicht unzufrieden<br />
sein: Die jüngeren Kollegen. Das Forum Junge Anwaltschaft<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> hatte bei den Wahlen Kandidatinnen<br />
und Kandidaten aus den eigenen Reihen unterstützt.<br />
Von diesen haben es immerhin 17 in die Satzungsversammlung<br />
geschafft und dies teilweise mit beachtlichen Einzelergebnissen.<br />
Die Forumsmitglieder stellen damit gut ein<br />
Zehntel der stimmberechtigten Mitglieder und – um das Par-<br />
Mitglieder<br />
(in der Reihenfolge der Stimmergebnisse)<br />
BGH 31 29 93,55 Dr. Thomas von Plehwe<br />
Bamberg 2.548 872 34,20 Gregor Böhnlein, Monika Träger, Wolfgang Baumann<br />
Berlin 11.292 1.308 11,58 Ulrich Schellenberg, Ulrike Zecher, Bernd Häusler, Dr. Hans-Michael Giesen,<br />
Stefanie Brielmaier, Eva Pätzold, Edith Kiefer, Silvia Groppler, Harald Remé,<br />
Monika Risch, Hansgeorg Birkhoff, Jürgen Tribowski<br />
Brandenburg 2.233 634 28,40 Dr. Thomas Jürgens, Dr. Dirk Engel, Olaf Baur<br />
Braunschweig 1.559 558 35,80 Martina Pfeil, Stefan Ebeling<br />
Bremen 1.733 878 50,70 Dr. Rembert Brieske, Edith Kindermann<br />
Celle 5.435 1.681 30,93 Dieter Ebert {, Dr. Thomas Remmers, Gabriele Küch, Margarete Fabricius-Brand,<br />
Friedrich-Eckart Klawitter, Katja Keul, Dr. Norbert Joachim<br />
(Nachrücker)<br />
Düsseldorf 10.417 2.659 25,52 Herbert Schons, Christiane Vohmann, Dr. Klaus E. Böhm, Dr. Susanne Offermann-Burckart,<br />
Lothar Lindenau, Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Karin Holloch,<br />
Dr. Rainer Maschmeier, Dr. Klaus Lohmar, Dr. Karl-Heinz Göpfert, Dr. Dietrich Max<br />
Frankfurt 15.516 3.112 20,05 Hans-Peter Benckendorff, Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Dr. Claudia Junker<br />
LL.M. (Cornell), Dr. Rudolf Lauda, Antje Boldt, Dr. Helga Pense,<br />
Dr. Leona Brunhilde Haack, Heide Krönert-Stolting, Dr. Rainer Wieland,<br />
Dr. Thomas Gasteyer, Kerstin Müller, Prof. Dr. Dr. Dr. Lutz Simon, Wolfgang<br />
Greilich, Kurt Degenhard, Petra Maria Müller<br />
Freiburg 3.247 912 28,08 Sabine Geistler, Dominik Hammerstein, Hedwig Hanhörster, Christoph Möller<br />
Hamburg 8.188 2.054 25,09 Otmar Kury, Hartmut Scharmer, Corinna Struck, Dr. Henning von Wedel,<br />
Dr. Kai Greve, Thomas Bliwier, Dr. Werner Neubauer, Friedrich Engelke,<br />
Nikolaus Piontek<br />
Hamm 12.822 3.414 26,62 Dr. Dieter Finzel, Dr. Rita Höing-Dapper, Dr. Katja Mihm, Sibylle Böttger,<br />
Marion Meichsner, Annette Rüb, Peter Bohnenkamp, Dietrich Meißner,<br />
Christoph Meyer-Schwickerath, Jochen Wiegand, Frank Gladisch,<br />
Annette Frommhold-Merabet, Kerstin Friebertshäuser-Kauermann<br />
Karlsruhe 4.269 1.101 25,79 Silke Klein, Walter Becker, Andreas Wolff, Thomas Väth, Hartmut Stegmaier<br />
Kassel 1.631 799 48,98 Dr. Volker Klippert, Dr. Martina Rottmann<br />
lamentsbild zu bemühen – haben damit Fraktionsstärke erreicht.<br />
Auch die Großkanzleien scheinen an der Satzungsversammlung<br />
nicht spurlos vorbeigehen zu wollen. Immerhin<br />
finden sich unter den Gewählten etwas mehr als zehn Anwältinnen<br />
und Anwälte aus internationalen oder nationalen<br />
Großkanzleien. Das ist absolut gesehen zwar keine hohe<br />
Zahl, zeigt aber, dass auch die ganz Großen bei der Einrichtung<br />
neuer Fachanwaltschaften und beim Zugang zum Fachanwaltstitel<br />
ein Wörtchen mitreden wollen.<br />
Die meisten sind Fachanwälte<br />
Und da die Satzungsversammlung gerade im Bereich der<br />
Fachanwaltschaften über Gestaltungsbefugnisse verfügt, verwundert<br />
es nicht, dass 58 % aller Gewählten selbst über einen<br />
oder mehrere Fachanwaltstitel verfügen. Den einen oder<br />
anderen mag da die Befürchtung beschleichen, hier könnten<br />
Fachanwälte für Zugangshürden zu den Fachanwaltschaften<br />
sorgen wollen. Doch die Umwandlung des Fachanwaltssystems<br />
in einen „Closed-Shop“ dürfte kaum zu befürchten<br />
sein, zumal die Satzungsgewalt der Satzungsversammlung<br />
hierfür gar nicht weit genug reicht.<br />
756 AnwBl 11 / 2007 Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski
MN Thema<br />
Rechtsanwaltskammer<br />
(RAK)<br />
Wahlberechtigte Wahlbriefe Wahlbeteiligung<br />
in %<br />
Schließlich ist auch der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Hartmut Kilger (bestes Ergebnis im Kammerbezirk<br />
Tübingen) und aus dem DAV-Präsidium Dr. Rembert Brieske<br />
(Bremen) und Dr. Michael Streck (Köln) vertreten. Die Präsidenten<br />
der örtlichen Rechtsanwaltskammern müssen nicht<br />
in die Satzungsversammlung gewählt werden, weil sie dort<br />
hinein geboren werden (man spricht in diesem Zusammenhang<br />
tatsächlich von geborenen Mitgliedern). Dieses Geburtsrecht<br />
geht allerdings nicht mit einem Stimmrecht einher,<br />
weswegen sich auch dieses mal wieder einige<br />
Präsidenten örtlicher Kammern in die Satzungsversammlung<br />
haben wählen lassen. Um genau zu sein: Sieben von<br />
27 regionalen Kammern. Daneben haben sich auch acht Geschäftsführer<br />
örtlicher Kammern wählen lassen – wäre die<br />
Satzungsversammlung ein echtes Parlament, dann käme<br />
man an einer Inkompatibilitätsdebatte wohl kaum vorbei.<br />
Vorsitzender der Satzungsversammlung ist der Präsident<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Mit der Wahl von<br />
Rechtsanwalt Axel C. Filges Mitte September auf der Hauptversammlung<br />
der BRAK ist damit die neue Satzungsversammlung<br />
nun endgültig komplett. Sie wird zur ersten,<br />
konstituierenden Sitzung am 18. Januar 2008 in Berlin zu-<br />
Mitglieder<br />
(in der Reihenfolge der Stimmergebnisse)<br />
Koblenz 3.125 1.064 34,05 JR Dr. Rolf Schneider, JR Dr. Hans Gert Dhonau, Verena Schnatterer,<br />
Karl Otto Armbrüster<br />
Köln 11.458 2.930 25,57 Dr. Hubert van Bühren, Dr. Rainer Klocke, Dr. Peter Thümmel, Dr. Michael Streck,<br />
Dr. Heike Glahs, Yvonne Batzdorf, Marion Praceius, Dr. Claus Recktenwald,<br />
Ulrike Schramm, Albert Vossebürger, Harald Klinke, Frank Grävert<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
1.605 661 41,18 Juliane Eifler, Hans-Jörg Schüler<br />
München I + II 17.544 3.989 22,74 Wahlkreis I<br />
Sabine Feller, Hansjörg Staehle, Ottheinz Kääb, Petra Heinicke,<br />
Dr. Wieland Horn, Florian Kempter, Regina Rick, Martin Lang,<br />
Dr. Frank Remmertz, Andrea Hellmann, Gudrun Fischbach<br />
Wahlkreis II<br />
Anne Riethmüller, Dr. Werner Scheuer, Andreas Dietzel, Dr. Heinrich Thomas<br />
Wrede, Harald Seiler, Helmut Müller, Klaus P. Wittmann<br />
Nürnberg 4.149 1.248 30,08 Hans Link, Silvia Denk, Fritz Weißenfels, Dr. Joachim Reitenspiess,<br />
Heinz Plötz<br />
Oldenburg 2.490 768 30,85 Jan J. Kramer, Fritz Graf, Wolfgang Schwackenberg<br />
Saarbrücken 1.362 441 32,38 JR Eberhard Gelzleichter, Volker Schuh<br />
Sachsen 4.448 1.558 35,00 Nadja Straube, Gabriele Wagner, Astrid Janowski, Dr. Gerhard Baatz,<br />
Stefan Paul<br />
Sachsen-Anhalt 1.804 892 49,45 Lothar Haferkorn, Stefan Richter<br />
Schleswig-<br />
Holstein<br />
3.538 1.036 29,28 Dr. Wolfgang Manfred Weißleder, Dr. Michael Purrucker, Thomas Elvers,<br />
Jürgen Doege<br />
Stuttgart 6.476 2.194 33,87 Dr. Alexandra Schmitz, Ines Schwarz, Frank E.R. Diem, Dr. Martin Diller,<br />
Harald Bofinger, Dr. Stefan Mühlbauer, Georg Cless<br />
Thüringen 1.958 806 41,16 Ralf Seeler, Christian Meier<br />
Tübingen 1.942 967 49,80 Hartmut Kilger, Hans-Christoph Geprägs<br />
Zweibrücken 1.396 407 29,15 Sabine Wagner, Gabriele Becker<br />
sammenkommen. Die Satzungsversammlung wird dann<br />
Ausschüsse bilden und für vier Jahre arbeiten. Welche Auswirkungen<br />
die neue Zusammensetzung der Satzungsversammlung<br />
auf deren Arbeit haben werden, wird abzuwarten<br />
bleiben. Eines wird der Satzungsversammlung jedenfalls<br />
nicht schaden. Unter den gewählten Mitgliedern befindet<br />
sich eine Rechtsanwältin, die über eine gewinnbringende<br />
Zusatzqualifikation verfügt: Sie ist Diplompsychologin.<br />
Manfred Aranowski, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied der Geschäftsführung<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />
Wahl zur vierten Satzungsversammlung, Aranowski AnwBl 11 / 2007 757
MNGastkommentar<br />
19.45 Uhr ist für so einen Anruf der<br />
Bundesanwaltschaft genau die richtige<br />
Zeit. Das reicht noch für eine Meldung<br />
in der Tagesschau. „Wir haben zwei<br />
Verdächtige in Potsdam festgenommen“,<br />
hieß es an jenem Abend im<br />
April 2006.<br />
Zur Erinnerung: Am Ostersonntag<br />
wird der Deutsch-Äthiopier Ermyas M.<br />
in Potsdam mit einem Faustschlag niedergestreckt<br />
und liegt mit lebensgefährlichen<br />
Verletzungen zwei Wochen<br />
im Koma. Zufällig zeichnet seine<br />
Mailbox mit, was die Täter ihm auf den<br />
Weg gaben: „Scheißnigger“. Die vermeintlichen<br />
„No-go-areas“ im Osten<br />
haben gerade die Runde gemacht. Generalbundesanwalt<br />
Nehm übernimmt<br />
die Ermittlungen. Kurz vor Beginn der<br />
Fußball-WM schaut Deutschland nach<br />
Potsdam.<br />
Am nächsten Morgen auf dem<br />
BGH-Gelände. An Hubschrauber und<br />
vorgeführte Verdächtige sind wir in<br />
Karlsruhe gewöhnt. Doch dieser Anblick<br />
lässt den Kameramann und mich<br />
zusammenzucken. Wir haben die beiden<br />
genau vor der Linse. Zwei kahlgeschorene<br />
Männer in orangefarbenen<br />
Overalls steigen langsam aus, mit Augenbinden,<br />
Ohrenschutz und Handfesseln,<br />
begleitet von maskierten Beamten.<br />
Kurze Zeit später schicken wir die Bilder<br />
(verfremdet) über den Bildschirm, jeder<br />
Sender übernimmt sie sofort. „Mensch,<br />
das sieht ja aus wie in Guantanamo“, so<br />
die spontane Reaktion einer Tagesschauredakteurin.<br />
Am Abend erlässt der<br />
BGH Haftbefehl. Dringender Tatverdacht:<br />
versuchter Mord.<br />
Gut ein Jahr später. Der Generalbundesanwalt<br />
hat die Ermittlungen<br />
schon lange wieder abgegeben. Die Anklage<br />
ist auf gefährliche Körperverlet-<br />
758 AnwBl 11 / 2007<br />
Der Fall Ermyas M.<br />
–ein(selbst-)<br />
kritischer Rückblick<br />
Frank Bräutigam, Karlsruhe<br />
SWR Fernsehen, Recht und Justiz<br />
zung und unterlassene Hilfeleistung<br />
geschrumpft. Nach 20 Verhandlungstagen<br />
vor dem Landgericht Potsdam im<br />
Juni 2007: Freispruch aus Mangel an<br />
Beweisen. Ein klassischer Fall für den<br />
Zweifelssatz. Freispruch! Sofort kommen<br />
mir die „Guantanamo-Bilder“ aus<br />
Karlsruhe wieder in den Sinn. Welch<br />
krasser Gegensatz.<br />
Die Stimmgutachten können die<br />
hohe Stimme eines Verdächtigen dem<br />
Mailbox-Mitschnitt nicht eindeutig zuordnen.<br />
Ermyas M. als Nebenkläger akzeptiert<br />
das Urteil.<br />
„Schlimm ist, dass die<br />
wahren Täter weiter frei<br />
herumlaufen.“<br />
Doch dann kommt noch sie ins Spiel.<br />
Der Vorsitzende Richter beklagt sie, die<br />
allgemeine Hysterie, die nicht gut gewesen<br />
sei, damals nach der Tat. Auch<br />
der Anwalt des Opfers findet, die<br />
öffentliche Aufregung sei zwar gut gemeint,<br />
aber kontraproduktiv gewesen.<br />
Große Teile des Blätterwaldes schließen<br />
sich an. Ganz klar, von Anfang an<br />
wurde der gesamte Fall viel zu sehr aufgebauscht.<br />
Ja, von wem denn wohl?<br />
Es macht sich immer sehr gut, pauschal<br />
die Hysterie nach einer Tat zu beklagen.<br />
Wer so spricht, schreibt, sendet,<br />
egal ob in Justiz oder Medien,<br />
macht es sich aber zu einfach. Im<br />
Nachhinein ist klar, dass vieles übertrieben<br />
war. Genau, im Nachhinein.<br />
Ein (selbst)kritischer Rückblick ist angebracht.<br />
Entscheidend, finde ich,<br />
muss die Situation „ex ante“ sein: Kurz<br />
vor der Fußball-WM in Deutschland<br />
(„Die Welt zu Gast bei Freunden“).<br />
Eine Reihe ausländerfeindlicher Über-<br />
griffe hat es bereits gegeben. In dieser<br />
Situation wird ein Schwarzer mit den<br />
Worten „Scheißnigger“ fast zu Tode geschlagen.<br />
Zeugen wollen auf der Mailbox<br />
die Stimme eines Verdächtigen erkannt<br />
haben.<br />
Das ist eine Lage, in der sich die<br />
Nation Sorgen machen darf und die<br />
Justiz gefragt ist.<br />
Das ist eine Lage, in der der Generalbundesanwalt<br />
die Sache prüfen darf.<br />
Gefragt sind schnelle Entscheidungen.<br />
Wie wäre wohl die Reaktion gewesen,<br />
wenn die Justiz zögerlich gehandelt<br />
hätte? Rasch wäre sie „auf dem rechten<br />
Auge blind“ gewesen.<br />
Auch die Anklage in Potsdam<br />
scheint nicht abwegig gewesen zu sein,<br />
sonst hätte das Landgericht sie nicht<br />
zugelassen. Ein Freispruch ist das korrekte<br />
Ergebnis, wenn die Beweise letztlich<br />
nicht reichen. Ob selbst Worte wie<br />
„Scheißnigger“ einen fremdenfeindlichen<br />
Hintergrund der Tat nicht eindeutig<br />
beweisen, wie das Gericht meint,<br />
mag jeder selbst beurteilen. Natürlich<br />
wurde das Ganze auf dem Rücken der<br />
Angeklagten ausgetragen. Doch waren<br />
zumindest ausreichende Indizien vorhanden.<br />
Wo ist dann die Alternative?<br />
Schlimm ist, dass die wahren Täter weiter<br />
frei herumlaufen.<br />
Was kann man also lernen aus dem<br />
Fall Ermyas M.?<br />
Ja, es ist auch bei schlimmen Fällen<br />
nötig, Besonnenheit zu wahren, und<br />
nicht einfach mitzuschwimmen auf<br />
der Empörungswelle. Das gilt für uns<br />
Medien und die Justiz.<br />
Ja, die Verdächtigen wurden möglicherweise<br />
übertrieben streng vorgeführt.<br />
Aber auch: Ja, bei rechtsradikaler<br />
Gewalt darf ein Volk Solidarität zeigen,<br />
und die Medien müssen das transportieren.<br />
Es darf konsequent ermittelt<br />
werden, wenn ein Schwarzer mit den<br />
Worten „Scheißnigger“ beinahe tot geprügelt<br />
wird.<br />
Was mir widerstrebt, ist eine Besserwisserei<br />
im Nachhinein, angereichert<br />
mit einem Hauch Überheblichkeit,<br />
ganz gleich von welcher Seite. Hysterie<br />
geschürt? Haben nur die anderen.<br />
Ob wir die Lehren tatsächlich ziehen<br />
– Bewährungsproben gibt es reichlich.<br />
Mal sehen, was aus der „Verfolgungsjagd“<br />
auf eine Gruppe von Ausländern<br />
im sächsischen Mügeln wird.<br />
Wieder ist „Hysterie“ ausgebrochen.<br />
Ob es am Ende zu Verurteilungen<br />
kommen wird? Falls nicht – mal<br />
ehrlich: haben wir doch von Anfang an<br />
gewusst, oder?
MNAus der Arbeit des DAV<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
759 Europatag der Freien Verbände:<br />
Kommerzialisierung der Freien Berufe:<br />
Wo liegen die Grenzen?<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
761 DAV-Pressemitteilung<br />
Kein Schutz des Berufsgeheimnisses für<br />
Syndikusanwälte<br />
Anmerkung zum Akzo Nobel-Urteil<br />
761 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben<br />
9 GmbH-Reform<br />
9 Änderung des ArbGG<br />
9 Erb- und Verjährungsrecht<br />
9 Neuer Beruf: „Legal Assistant“<br />
9 Jugendstrafvollzugsgesetz<br />
9 Rechtliches Gehör<br />
762 AG Mietrecht und Immobilien<br />
Von50auf2.000inzehnJahren<br />
Zehnjähriges Jubiläum der AG<br />
Rechtsanwältin Dr. Katharina Freytag, Berlin<br />
763 Landesverband Hessen<br />
Patientenverfügung: Wunsch und Wirklichkeit<br />
Parlamentarischer Abend<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
764 Landesverband Sachsen-Anhalt<br />
Fortbildung, Diskussion, Begegnung<br />
6. Landesanwaltstag<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
764 DAV-Landesverbände<br />
Landesverbandskonferenz 2007<br />
764 Freiburger <strong>Anwaltverein</strong> und<br />
Forum Junge Anwaltschaft<br />
Anwälte denken schneller als sie laufen<br />
Rechtsanwältin Anke Hertle, Freiburg i. Br.<br />
765 Deutsche Anwaltakademie<br />
DasPferdalsMandatsbringer<br />
Rechtsanwalt Daniel von Bronewski, Berlin<br />
765 Personalien<br />
Neue Vorsitzende / Ehrennadel verliehen /<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Kommerzialisierung der Freien<br />
Berufe: Wo liegen die Grenzen?<br />
Europatag der Freien Verbände in Brüssel: EU-Kommission zu ihren<br />
Plänen zur Liberalisierung der Berufsrechte<br />
Die Freien Berufe gehören zu den reguliertesten<br />
Berufen in der EU. Das<br />
sieht die EU-Kommission – trotz zahlreicher<br />
Lockerungen gerade im anwaltlichen<br />
Berufs- und Vergütungsrecht in<br />
Deutschland– seit langem kritisch.<br />
Doch wie viel Wettbewerb verkraften<br />
die Freien Berufen? In Brüssel richtete<br />
im September der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
zusammen mit dem Deutschen<br />
Steuerberaterverband und dem Freien<br />
Verband <strong>Deutscher</strong> Zahnärzte den ersten<br />
Europatag der Freien Verbände aus.<br />
Mehr als 150 Teilnehmer kamen.<br />
Kein Wildwuchs bei der Werbung<br />
Das strikte Werbeverbot für deutsche<br />
Anwälte ist bereits vor zwanzig Jahren<br />
gefallen. Doch der befürchtete Wildwuchs<br />
ist ausgeblieben: „Der Berufsstand<br />
ist verantwortlich mit der Werbung<br />
umgegangen“, sagte Hartmut<br />
Kilger, Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
in Brüssel. Ginge es nach<br />
dem DAV, werde anwaltliche Werbung<br />
ausschließlich durch das UWG geregelt.<br />
„Auch eine Vorschrift wie § 43c<br />
BRAO brauchen wir nicht“, sagte Kilger.<br />
Selbst marktschreierische Werbung<br />
müsse nicht verboten sein. Sie<br />
sei ohnehin zwecklos: „Der Verbraucher<br />
merkt, wenn Eigenlob stinkt.“<br />
Eine überraschende Erkenntnis für<br />
die EU-Kommission in Brüssel: Die<br />
Präsidenten der Freien Verbände zeigten<br />
sich zukunftsorientierter als von ihnen<br />
erwartet. Nicht jede berufs- oder<br />
vergütungsrechtliche Vorschrift sei ihnen<br />
wichtig, betonte nicht nur Kilger,<br />
sondern auch der Präsident des Deutschen<br />
Steuerberaterverbandes Jürgen<br />
Pinne und der Bundesvorsitzende des<br />
Freien Verbands <strong>Deutscher</strong> Zahnärzte<br />
Dr. Karl-Heinz Sundmacher. Allerdings:<br />
Wenn es an den Kern der Ausübung<br />
des Freien Berufs gehe, müsse<br />
sehr wohl geprüft werden, ob Regelungen<br />
erforderlich seien. Die Orientierung<br />
am Gewinn dürfe nicht einziges<br />
Kriterium der Berufsausübung sein.<br />
Bei der Werbung hat Deutschland<br />
längst Werbefreiheit. „Die Rechtsprechung<br />
des Bundesverfassungsgericht<br />
wird von den Berufsträgern akzeptiert“,<br />
sagte Dr. Reinhard Gaier, Richter des<br />
Bundesverfassungsgerichts. Das Sachlichkeitsgebot<br />
in den Berufsrechten<br />
lasse natürlich emotionale Elemente zu<br />
– und damit gebe es auch gegen eine<br />
Imagewerbung durch Sponsoring<br />
keine Bedenken. „Das ist das Salz in<br />
der Suppe“, meinte Gaier. Die Grenze<br />
liege erst bei der Irreführung der Verbraucher.<br />
Fremdbesitzverbot<br />
Strikte Grenzen kennen die Berufsrechte<br />
der Freien Berufe dagegen fast<br />
überall in Europa beim Fremdbesitz.<br />
Nur die in der Gesellschaft aktiven Berufsträger<br />
können auch Gesellschafter<br />
sein. Maria Martin-Prat von der EU-<br />
Kommission wies darauf hin, dass die<br />
EU-Staaten bei der Umsetzung der<br />
Dienstleistungsrichtlinie bis Ende 2009<br />
auch die Fremdbesitzverbote prüfen<br />
werden müssen. Diese seien grundsätzlich<br />
unzulässig, könnten aber aufgrund<br />
einer Öffnungsklausel unter gewissen<br />
Umständen von den EU-Staaten gerechtfertigt<br />
werden. „Wir werden das<br />
genau beobachten“, kündigte sie an.<br />
Wo die Reise hingehen könnte, ließ sie<br />
offen. „Gewisse Beschränkungen sind<br />
für gewisse Berufe denkbar“, sagte sie.<br />
Gleichzeitig verwies sie auf die EuGH-<br />
Rechtsprechung zu Optikern in Griechenland.<br />
Dort seien Fremdbesitzverbote<br />
gekippt worden.<br />
„Kommerzialisierung: Nein,<br />
Professionalisierung: Ja.“<br />
Einen klaren Standpunkt nahm dagegen<br />
Prof. Dr. Martin Henssler von der<br />
Universität Köln ein: „Wir brauchen<br />
keine Aufweichung des Berufsrechts“,<br />
sagte Henssler. Die Fremdbesitzverbote<br />
bei den Anwälten sicherten deren Unabhängigkeit.<br />
Diese Regelung verstieße<br />
– auch wenn die Freiheit des Kapitalverkehrs<br />
dadurch eingeschränkt werde<br />
– nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Der<br />
nationale Gesetzgeber habe einen Ermessensspielraum,<br />
um auf die Gefährdung<br />
der anwaltlichen Unabhängigkeit<br />
durch Fremdbesitz zu reagieren. Nur<br />
wenige Ausnahmen vom Fremdbesitzverbot<br />
seien sinnvoll, so zum Beispiel<br />
für ehemals aktive Berufsträger. Ähnlich<br />
unproblematisch sei es, Mitarbei-<br />
AnwBl 11 / 2007 759
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
tern aus dem Kanzleimanagement eine<br />
unternehmerische Beteiligung zu<br />
ermöglichen. Henssler begründete das<br />
knapp: „Kommerzialisierung: Nein,<br />
Professionalisierung: Ja.“<br />
Mindestgebühren<br />
Doch die EU-Kommission nimmt nicht<br />
nur die Fremdbesitzverbote unter die<br />
Lupe. Auch die Regelungen im RVG zu<br />
den Mindestgebühren für die anwaltliche<br />
Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren<br />
stehen nach wie vor auf dem<br />
Prüfstand, wie Dr. Rüdiger Dohms von<br />
der EU-Kommisision berichtete. Ansatzpunkt<br />
für die EU-Kommission sei<br />
die EuGH-Entscheidung Cipolla<br />
(AnwBl 2007, 149). Der EuGH habe<br />
zwar festgestellt, dass vom Gesetzgeber<br />
festgesetzte Gebührenordnungen dem<br />
EU-Wettbewerbsrecht grundsätzlich<br />
entzogen seien. Gleichwohl behinderten<br />
sie den Binnenmarkt. „Sie können<br />
nur bei strikter Einhaltung des Proportionalitätsgrundsatzes<br />
gerechtfertigt<br />
werden“, sagte Dohms. Dabei gelte<br />
nicht der Grundsatz, dass hohe Honorare<br />
eine minderwertige Dienstleistung<br />
verhinderten. Er räumte aber ein, dass<br />
für die Beratungs- und Prozesskostenhilfe<br />
Festpreise notwendig seien. „Der<br />
Rezipient leidet hier nicht am fehlenden<br />
Wettbewerb“, so Dohms.<br />
Deutsche Gebührenregelung bestätigt<br />
„Die gesetzliche Regelung von Mindestgebühren<br />
kann gerechtfertigt werden“,<br />
betonte dagegen Rechtsanwalt<br />
Giuseppe Scassellati Sforzolini aus<br />
Rom. In der Amok-Entscheidung aus<br />
dem Jahre 2003 habe der EuGH in einem<br />
wirklich grenzüberschreitenden<br />
Fall eines österreichischen Anwalts, der<br />
in Deutschland tätig geworden war, die<br />
deutschen Gebührenregelungen bestätigt.<br />
Der Cipolla-Fall sei ein Pseudo-Fall<br />
(„mock case“), weil der grenzüberschreitende<br />
Bezug konstruiert sei.<br />
Der Europatag war in einer Hinsicht<br />
ein Novum: Die Freien Verbände<br />
suchten das Gespräch mit den Vertretern<br />
der europäischen Institutionen –<br />
und die Diskussionen zeigten, dass es<br />
in den Freien Berufe ganz unterschiedliche<br />
Strömungen gibt. „Wir haben<br />
nichts zu fürchten, außer uns selbst“,<br />
resümierte dann auch ein Teilnehmer.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
760 AnwBl 11 / 2007<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
8 9<br />
1 Mitveranstalter des Europatags der Freien Verbände: Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong>.<br />
2 Der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger.<br />
3 Stellte das Werberecht der Anwälte vor: Richter des Bundesverfassungsgerichts Dr. Reinhard Gaier.<br />
4 Sprach zu Fremdbesitzverboten: Prof. Dr. Martin Henssler von der Universität Köln.<br />
5 Die Auffassung der EU-Kommission zu Fremdbesitzverboten steltte Maria Martin-Prat von der EU-Kommission vor.<br />
6 Sprach zu anwaltlichen Mindestgebühren: Rechtsanwalt Giuseppe Scassellati Sforzolini aus Rom.<br />
7 Die Auffassung der EU-Kommission zu Mindestgebühren stellte Dr. Rüdiger Dohms von der EU-Kommission vor.<br />
8 Der Bundesvorsitzende des Freien Verbands der Zahnärzte Dr. Karl-Heinz Sundmacher und der Präsident des<br />
Deutschen Steuerberaterverbands Jürgen Pinne. Ihre Verbände waren Mitveranstalter des Europatags.<br />
9 DAV-Präsident Kilger im Gespräch mit Europaparlamentarier Kurt Lechner.<br />
5<br />
6<br />
7
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
Kein Schutz des<br />
Berufsgeheimnisses für<br />
Syndikusanwälte<br />
Das Europäische Gericht Erster Instanz<br />
(EuG) hat es in seiner Entscheidung<br />
vom 17. September 2007 in der Rechtssache<br />
Akzo/Acros gegen die Europäische<br />
Kommission (T-125/03; T-253/03)<br />
abgelehnt, Syndikusanwälten denselben<br />
Schutz des Berufsgeheimnisses zu<br />
gewähren wie anderen Rechtsanwälten.<br />
Das Gericht ist dem Antrag der Kläger<br />
nicht gefolgt, den Anwendungsbereich<br />
des „Legal Professional Privilege“ (LPP<br />
– Berufsgeheimnis) bei Ermittlungen<br />
der Kommission auch auf Syndikusanwälte<br />
auszuweiten (siehe auch den<br />
„Bericht aus Brüssel“ in diesem Heft,<br />
Seite VI). Zwar hebt das Gericht in seinem<br />
Urteil die Bedeutung des LPP für<br />
den Rechtsstaat hervor und betrachtet<br />
auch lediglich vorbereitende Dokumente<br />
als vom Berufsgeheimnis gedeckt,<br />
sofern diese zwecks Einholung<br />
von Rechtsrat bei einem externen<br />
Rechtsanwalt erstellt wurden. Der Ausweitung<br />
des LPP auf Syndikusanwälte<br />
wurde jedoch – für europarechtliche<br />
Zusammenhänge – eine Absage erteilt.<br />
„Das Urteil ist aus deutscher Sicht<br />
nicht recht verständlich, ändert jedoch<br />
nichts am Status des Syndikusanwalts<br />
nach deutschem Berufsrecht. Der DAV<br />
wird sich nach wie vor für die Anerkennung<br />
der Gleichstellung von Syndikusanwälten<br />
und externen Rechtsanwälten<br />
aussprechen“, so Rechtsanwalt Hartmut<br />
Kilger, DAV-Präsident, in einer<br />
ersten Stellungnahme.<br />
So vertritt der DAV seit jeher die<br />
Auffassung, dass anwaltliche Tätigkeit<br />
auch dann vorliege, wenn ein angestellter<br />
Anwalt für ein Unternehmen, bei<br />
dem er angestellt ist, rechtsgestaltende,<br />
rechtsberatende oder rechtsentscheidende<br />
Tätigkeit erbringt. Verschwiegenheitsrecht<br />
und pflicht sowie Vermeidung<br />
jeder Interessenkollision als<br />
weitere unverzichtbare Bestandteile anwaltlicher<br />
Tätigkeit gelten uneingeschränkt<br />
auch für die Tätigkeit eines<br />
angestellten Anwalts in einem Unternehmen<br />
(siehe die Reformvorschläge<br />
zur Bundesrechtsanwaltsordnung, abgedruckt<br />
in AnwBl 2007, 679, Rdnr. 40).<br />
Die Entscheidung ist noch nicht<br />
rechtskräftig.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 32/07<br />
DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
______________________________________________________________<br />
Stellungnahmen zu<br />
Gesetzesvorhaben<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> begleitet<br />
aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />
auf nationaler als auch auf europäischer<br />
und internationaler Ebene.<br />
Stellungnahmen des DAV werden<br />
von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen<br />
erarbeitet. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
weist regelmäßig auf wichtige<br />
Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen<br />
finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/<br />
index.html.<br />
Handelsrechtsausschuss<br />
9 GmbH-Reform<br />
Zum zweiten Mal hat der DAV durch<br />
den Handelsrechtsausschuss zur Reform<br />
des GmbH-Rechts (MoMiG)<br />
ausführlich und kritisch Stellung genommen.<br />
Bereits zum Referentenentwurf<br />
vom Mai 2006 hatte er sich<br />
geäußert. Zum Teil wurden die DAV-<br />
Vorschläge im Regierungsentwurf<br />
aufgegriffen, grundsätzliche Kritikpunkte<br />
bleiben. So wird die Senkung<br />
des Niveaus des Stammkapitals nach<br />
wie vor kritisch gesehen.<br />
Insolvenzrechtsausschuss<br />
9 GmbH-Reform (MoMiG)<br />
Der DAV nimmt durch den Insolvenzrechtsausschuss<br />
zur GmbH-Reform<br />
(MoMiG) ergänzend Stellung.<br />
Die Stellungnahme befasst sich ausschließlich<br />
mit speziell insolvenzrechtlich<br />
relevanten Aspekten des<br />
Gesetzesvorhabens.<br />
Arbeitsrechtsausschuss<br />
9 Änderung des ArbGG<br />
Mit den Änderungen im Arbeitsgerichtsgesetz<br />
im Referentenentwurf<br />
zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes,<br />
Arbeitsgerichtsgesetzes und<br />
anderer Gesetze hat sich der DAV<br />
durch seinen Arbeitsrechtsausschuss<br />
beschäftigt. Die Gesetzesinitiative<br />
wird begrüßt, greift jedoch an vielen<br />
Stellen zu kurz.<br />
Erbrechtsausschuss<br />
9 Erb- und Verjährungsrecht<br />
Der DAV hat durch seinen Erbrechtsausschuss<br />
zum Entwurf eines Gesetzes<br />
zur Änderung des Erb- und<br />
Verjährungsrechtes Stellung genommen.<br />
Der DAV hält die vorgesehene<br />
Anpassung des Verjährungsrechtes<br />
an das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz<br />
für sinnvoll. Der DAV<br />
begrüßt auch die vorgeschlagenen<br />
behutsamen Veränderungen im<br />
Pflichtteilsrecht.<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />
9 Neuer Beruf „Legal Assistant“<br />
Der DAV hat sich mit dem Vorschlag<br />
der Rechtsanwaltskammer Frankfurt<br />
am Main für einen neuen Ausbildungsberuf<br />
„Legal Assistant“ beschäftigt.<br />
Angesichts der Diskussion<br />
über die Einführung von Bachelorund<br />
Masterstrukturen in die universitäre<br />
Ausbildung empfiehlt der DAV<br />
Zurückhaltung. Richtig sei es aber,<br />
sich auf die geänderten Anforderungen<br />
für unterstützende Berufe in<br />
Kanzleien einzustellen.<br />
Strafrechtsausschuss<br />
9 Jugendstrafvollzugsgesetz<br />
Zu dem Entwurf eines Gesetzes über<br />
den Vollzug der Jugendstrafe (Jugendstrafvollzugsgesetz<br />
Schleswig-<br />
Holstein) nimmt der DAV durch seinen<br />
Strafrechtsausschuss Stellung.<br />
Der Strafrechtsausschuss begrüßt<br />
den gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes<br />
über den Jugendstrafvollzug,<br />
an dem auch das Land Schleswig-<br />
Holstein neben acht anderen Bundesländern<br />
mitgewirkt hat, da dadurch<br />
eine Zersplitterung von Recht<br />
und Praxis auf dem Gebiet des Jugendstrafvollzugs<br />
verhindert werden<br />
könne. Auf einzelne Vollzugsregelungen<br />
geht der Ausschuss in<br />
seiner Stellungnahme kritisch ein.<br />
Verfassungsrechtsausschuss<br />
9 Rechtliches Gehör<br />
Der DAV nimmt durch seinen Verfassungsrechtsausschuss<br />
zu Verfassungsbeschwerden<br />
Stellung, die die<br />
anwaltliche Berufsausübung berühren.<br />
In der Sache 1 BvR 2599/06 ging<br />
es um eine mögliche Verletzung des<br />
Anspruchs auf rechtliches Gehör in<br />
einem Zivilprozess. Der Ausschuss<br />
hält die Verfassungsbeschwerde für<br />
unbegründet, weil der Beklagte anwaltlich<br />
vertreten war.<br />
AnwBl 11 / 2007 761
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
AG Mietrecht und Immobilien<br />
Von 50 auf 2.000 in<br />
zehn Jahren<br />
Doppel-Jubiläum und<br />
Herbsttagung in Dresden<br />
Rund 240 Mietrechtlerinnen und Mietrechtler<br />
feierten am 21. und 22. September<br />
in Dresden im Rahmen der<br />
Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht und Immobilien des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s das zehnjährige<br />
Bestehen der Arbeitsgemeinschaft.<br />
Gegründet 1997 von nur 50 engagierten<br />
Anwältinnen und Anwälten des<br />
DAV sind die Mitgliederzahlen der Arbeitsgemeinschaft<br />
seitdem stetig gestiegen.<br />
Zählte die Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht damals noch zu einer der<br />
kleineren Arbeitsgemeinschaften des<br />
DAV ist sie heute bei den Top-7 dabei.<br />
Namenswandlungen<br />
Im Laufe dieser Zeit machte sie verschiedene<br />
Namenswandlungen durch,<br />
aus der „Arbeitsgemeinschaft Mietrecht“<br />
wurde die „Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht und WEG“ und schließlich,<br />
seit dem 1. März 2007, die heutige „Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht und Immobilien“.<br />
In den jährlichen Herbsttagungen<br />
werden Rechtsgebiete rund um das Immobilien-,<br />
Makler-, Miet- und WEG-<br />
Recht behandelt. Dieses umfassende<br />
und spannende Programm ist nicht<br />
nur für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
sondern auch für Richterinnen<br />
und Richter interessant. So verfolgte<br />
dieses Jahr die Richterin am BGH Dr.<br />
Karin Milger die Herbsttagung.<br />
Neues zur Zwangsverwaltung<br />
Unter der Moderation des Vorsitzenden<br />
der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt<br />
Thomas Hannemann (Karlsruhe)<br />
referierte zum Tagungsauftakt<br />
Rechtsanwalt Dr. Egbert Kümmel (Berlin)<br />
zum Thema „Zwangsversteigerung<br />
und Zwangsverwaltung von Wohnungseigentum<br />
nach der Novellierung<br />
des ZVG“. Er erläuterte die Auswirkungen<br />
des Gesetzes zur Änderung des<br />
Wohnungseigentumsgesetzes und anderer<br />
Gesetze vom 26. März 2007 auf<br />
die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung<br />
von Wohnungs- und Teileigentum.<br />
Es folgte der Vortrag von<br />
Rechtsanwalt Jürgen Hillmayer<br />
762 AnwBl 11 / 2007<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
7<br />
1 Trotz des Jubiläums standen die Fachvorträge im Mittelpunkt (hier Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank Stellmann).<br />
2 Sprach über das selbständige Beweisverfahren: Richter am Landgericht Jürgen Ulrich (Dortmund).<br />
3 Richterin am BGH Karin Milger mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt Thomas Hannemann.<br />
4 Der Vorsitzende begrüßte als 2.000. Mitglied Rechtsanwalt Michael Gaugele aus Dresden.<br />
5 Der Referent Jürgen Ulrich (Dortmund) begeisterte die 240 Teilnehmer.<br />
6 Erinnerte an die Geschichte der Arbeitsgemeinschaft: Der ehemalige Vorsitzende Rechtsanwalt Norbert Schönleber.<br />
7 Zur Herbsttagung trafen sich die Mietrechtler in einem Hotel in der Nähe der Dresdner Frauenkirche.<br />
5<br />
6
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
(München) zur „Kausalität im Maklerrecht<br />
und aktuelle Rechtsprechung“.<br />
Dabei erläuterte er aktuelle Entscheidungen,<br />
zum einen zur Pflichtverletzung<br />
und Schadensersatz, welcher oft<br />
auf falschen Angaben im Expose des<br />
Maklers begründet ist. Der zweite aktuelle<br />
Fall befasste sich mit der Anlagenvermittlung.<br />
Versorgungssperre<br />
Um die Teilnehmer der Tagung aus<br />
der mittäglichen Müdigkeit zu wecken,<br />
hatte die Arbeitsgemeinschaft zur Feier<br />
des zehnjährigen Jubiläums den Kabarettisten<br />
Georg Schweitzer verpflichtet.<br />
Er trug – im Stile eines Fachvortrags –<br />
zu dem wichtigen Thema „Behandelt<br />
das AGG wirklich alle gleich“ vor und<br />
führte auch durch den gesellschaftlichen<br />
Abend. Durch diese kurze Einlage<br />
endgültig hellwach, folgten die<br />
Teilnehmer dem Vortrag von Rechtsanwalt<br />
Jürgen Herrlein (Frankfurt/<br />
Main) zu den „Rechtsproblemen rund<br />
um die Versorgungssperre“. Dabei<br />
drehte es sich zum einen um den<br />
Komplex Versorgungssperre und Verbotene<br />
Eigenmacht und zum anderen<br />
um die Durchsetzung der Versorgungssperre.<br />
Selbständiges Beweisverfahren<br />
Anschließend hielt der Vorsitzende<br />
Richter am Landgericht Jürgen Ulrich<br />
(Dortmund) einen packenden Vortrag<br />
zum Thema „Das selbstständige Beweisverfahren<br />
im Miet- und Wohnungseigentumsrecht<br />
und die Haftung des<br />
gerichtlichen Sachverständigen“. Darin<br />
plädierte er unter anderem auch dafür,<br />
dass selbständige Beweisverfahren im<br />
Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeit<br />
als eigenen Fall in den richterlichen<br />
Statistiken zählen zu lassen, um<br />
die Motivation der Richter zu stärken.<br />
Zudem gab er einen Überblick über die<br />
zehn bedeutsamen Umstände für<br />
Rechtsanwälte im Bezug auf das selbstständige<br />
Beweisverfahren und die<br />
Besonderheiten des selbstständigen<br />
Beweisverfahrens im WEG-Streit. Der<br />
erste Tag schloss mit dem Vortrag<br />
von Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank<br />
Stellmann (München) zum Thema<br />
„Instandsetzung, Instandhaltung,<br />
Schönheitsreparaturen in der Gewerberaummiete<br />
– was geht?“. Er erläuterte<br />
die Rechtsprechung und die Lehre im<br />
Bezug auf Individualverträge und Formularverträge.<br />
Rückblick auf zehn Jahre<br />
Zur Feier des zehnjährigen Jubiläums<br />
und des 2.000. Mitgliedes lud die Arbeitsgemeinschaft<br />
im Anschluss zu einem<br />
Sektempfang im Foyer ein. Im<br />
Rahmen der Abendveranstaltung hielt<br />
der ehemalige Vorsitzende des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses, Rechtsanwalt<br />
Norbert Schönleber (Köln), einen<br />
Kurzvortrag über die Geschichte<br />
und Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht und Immobilien. Das<br />
Abendessen wurde zudem durch das<br />
Programm des Kabarettisten Georg<br />
Schweitzer zum Thema 10 Jahre AG<br />
umrahmt. Anschließend bot sich Gelegenheit<br />
zum fachlichen Austausch im<br />
Rahmen des traditionellen Kicker-Turniers.<br />
Rechtsprechungsfenster<br />
Am Samstag begann die Tagung mit<br />
dem Vortrag des Notars Dr. Gregor<br />
Basty (München) zum Thema „Die<br />
MaBV und Vollmachten im Kaufvertrag<br />
zur Änderung der Gemeinschaftsordnung“.<br />
Mit „Der BGH und die Betriebskosten:<br />
Auswirkungen auf die<br />
anwaltliche Praxis“ widmete sich<br />
Rechtsanwalt Dr. Klaus Lützenkirchen<br />
(Köln) der aktuellen Rechtsprechung<br />
des BGH zu den Betriebskosten. Im<br />
Anschluss gab es – thematisch passend<br />
– „Rechtsprechungsfenster“. Mit diesen<br />
will die Arbeitsgemeinschaft jedes Jahr<br />
vier „Newcomern“ die Möglichkeit gegeben,<br />
je ein aktuelles Urteil vorzustellen.<br />
Besonders hervorzuheben ist in<br />
dieses Mal der Vortrag der Hamburger<br />
Rechtsanwältin Ruth Breiholdt zu einem<br />
Beschluss des OLG München vom<br />
5. Juni 2007 im Bereich des WEG. Zudem<br />
überzeugten Rechtsanwalt Carl<br />
Christian Voscherau (Hamburg) zum<br />
Bauträgerrecht, Rechtsanwältin Sandra<br />
Walburg (Berlin) zum Wohnraummietrecht<br />
sowie Rechtsanwalt Dr. Klaus<br />
Knipschild (Frankfurt/Main) zum Gewerberaummietrecht.<br />
Rechtsanwältin Dr. Katharina Freytag, Berlin<br />
Die Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mietrecht und Immobilien wird im Rahmen des<br />
Deutschen Anwaltstags am 1. Mai 2008 in Berlin<br />
stattfinden. Die nächste Herbsttagung findet vom<br />
25. bis 26. September 2008 in Salzburg statt.<br />
Landesverband Hessen<br />
Patientenverfügung:<br />
Wunsch und Wirklichkeit<br />
Parlamentarischer Abend<br />
Der Landesverband Hessen hat eine<br />
alte Tradition wieder aufgegriffen: Seit<br />
2000 veranstaltete er erstmals wieder<br />
einen parlamentarischen Abend im traditionsreichen<br />
Hotel Schwarzer Bock<br />
in der Landeshauptstadt Wiesbaden.<br />
Eingeladen hatte der Landesverband<br />
am 25. September zu einer Podiumsdiskussion<br />
zum Thema „Patientenverfügung<br />
– Wunsch und Wirklichkeit“.<br />
Gekommen waren neben dem<br />
Landesjustizminister und seinem<br />
Staatssekretär zahlreiche Landtagsabgeordnete,<br />
Gerichtspräsidenten und weitere<br />
Gäste aus Justiz und Anwaltschaft<br />
und wegen des Themas auch Vertreter<br />
von Wohlfahrtsverbänden.<br />
Auf dem Podium diskutierten Regierungsdirektorin<br />
im Bundesjustizministerium<br />
Andrea Mittelstädt, der<br />
Präsident der Evangelischen Kirche in<br />
Hessen und Nassau Professor Steinacker<br />
und Professor Weber, Direktor<br />
des „Instituts für Arbeitsmedizin, Prävention<br />
und Gesundheitsförderung an<br />
den HSK“ über ethische, rechtliche<br />
und medizinische Fragen, die bei einer<br />
nach wie vor angestrebten gesetzlichen<br />
Regelung der Patientenverfügung<br />
zwangsläufig aufgeworfen werden. Ein<br />
Schwerpunkt, der von dem Darmstädter<br />
Rechtsanwalt Dirk Langner moderierten<br />
Diskussion, lag auf dem<br />
Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung<br />
des Einzelnen und staatlicher<br />
Fürsorgepflicht: Müssen dem<br />
Selbstbestimmungsrecht Grenzen gesetzt<br />
werden? Regierungsdirektorin<br />
Mittelstädt, die im Bundesjustizministerium<br />
federführend für das Thema Patientenverfügung<br />
verantwortlich ist,<br />
plädierte für ein möglichst weitreichendes<br />
Selbstbestimmungsrecht, machte<br />
aber deutlich, dass eine gesetzliche<br />
Regelung letzten Endes auf einem breiten<br />
gesellschaftlichen Konsens fußen<br />
müsse. Die Diskussion müsse daher in<br />
allen Teilen der Gesellschaft fortgeführt<br />
werden. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion<br />
lud der Landesverband zu<br />
einem Empfang, der allen Anwesenden<br />
Gelegenheit zu einem weiteren Gedankenaustausch<br />
bot.<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
AnwBl 11 / 2007 763
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Landesverband Sachsen-Anhalt<br />
Fortbildung, Diskussion,<br />
Begegnung<br />
6. Landesanwaltstag<br />
Landesanwaltstage sind anders als der<br />
Deutsche Anwaltstag. Sie sind übersichtlicher,<br />
etwas gemütlicher, dabei<br />
aber nicht weniger anspruchsvoll. Eine<br />
bereits feste Größe ist der Landesanwaltstag<br />
Sachsen-Anhalt, der dieses<br />
Jahr am 31. August und 1. September<br />
in Magdeburg stattfand.<br />
18 Fachveranstaltungen in fünf parallelen<br />
Blöcken, verteilt auf zwei Tage,<br />
stellten die rund 330 Teilnehmer vor<br />
die Qual der Wahl. Das achtbare Fortbildungsangebot<br />
mit Referenten aus<br />
aller Herren Bundesländer reichte von<br />
A wie arbeitsrechtliche Rechtsprechung<br />
bis Z wie Zivilprozesstaktik. „Die Fortbildung<br />
ist aber nur eine Säule des<br />
Anwaltstages“, so Thomas Markworth,<br />
Vorsitzender des Landesverbandes<br />
Sachsen-Anhalt, der neben dem Magdeburger<br />
<strong>Anwaltverein</strong> Mitveranstalter<br />
war. Der Landesanwaltstag sei immer<br />
auch ein Begegnungsort mit Politik<br />
und Justiz des Landes.<br />
Auf dem Festabend fanden sich<br />
dementsprechend auch dieses Jahr wieder<br />
die Vertreter der Fraktionen des<br />
Landtages und die Präsidenten aller<br />
obersten Landesgerichte ein. Organisiert<br />
wurde der Festabend vom Magdeburger<br />
<strong>Anwaltverein</strong> mit viel Liebe<br />
zum Detail im Jahrtausendturm, einem<br />
modernen kegelförmigen Bauwerk, in<br />
welchem über 2.000 Jahre Menschheitsgeschichte<br />
in einer Dauerausstellung<br />
anschaulich gemacht werden; im<br />
untersten Stockwerk das Altertum,<br />
ganz oben das Atomzeitalter. Dass die<br />
Gäste den Abend im Altertum verbrachten<br />
war nur dem dort vorhandenen<br />
größeren Platzangebot geschuldet.<br />
Aus der Gegenwart kamen dann<br />
auch die Themen, die der Justizstaatssekretär<br />
Burkhard Lischka in seiner<br />
Rede ansprach. So nahm er unter anderem<br />
zum Erfolgshonorar Stellung. Eine<br />
völlige Freigabe sehe er kritisch, Rechtsanwälte<br />
dürften nicht zu reinen Kaufleuten<br />
werden. Zur Juristenausbildung,<br />
die im nächsten Jahr wieder Thema der<br />
Justizministerkonferenz sein wird, erklärte<br />
Lischka, dass die Vorschläge des<br />
DAV zur Einführung einer Spartenausbildung<br />
durchaus zur Kenntnis genommen<br />
würden. Immerhin.<br />
764 AnwBl 11 / 2007<br />
Keine Gerichtsschließungen<br />
Der Landesverbandsvorsitzende von<br />
Sachsen-Anhalt Thomas Markworth<br />
nutzte die Gelegenheit, kritisch auf die<br />
weiter voranschreitende Schließung<br />
von Gerichtsstandorten im Lande einzugehen.<br />
Am Beispiel des von der<br />
Schließung bedrohten Verwaltungsgerichtes<br />
Dessau verdeutlichte er, dass<br />
Gerichte keine reinen betriebswirtschaftlichen<br />
Einheiten seien, sondern<br />
gerade die Aufgabe hätten, Staat und<br />
Rechtspflege flächendeckend zu repräsentieren.<br />
Mit dem Rückzug der Gerichte<br />
aus den Regionen gäbe man diese<br />
Regionen auch immer ein Stück auf.<br />
Der Vizepräsident des DAV, Dr.<br />
Rembert Brieske, erinnerte die Teilnehmer<br />
daran, dass die ersten Landesanwaltstage<br />
in den 1860er Jahren noch<br />
als Geheimtreffen stattfinden mussten.<br />
Die Errungenschaft einer freiheitlichen<br />
Gesellschaft, so Brieske, gehe nicht zuletzt<br />
auch auf das Engagement der Anwaltschaft<br />
zurück. Eine Errungenschaft,<br />
derer man sich nicht leichtfertig<br />
begeben sollte. „Was tut die Anwaltschaft<br />
für die Freiheit der Bürger?“,<br />
fragte Brieske schließlich in einem<br />
durchaus emotionalen Appell an die<br />
Teilnehmer und lud Sie ein, dieser<br />
Frage auf dem nächsten Deutschen Anwaltstag<br />
2008 in Berlin, der unter dem<br />
Thema „Freiheit“ stehe, nachzugehen.<br />
Der nächste Landesanwaltstag wird<br />
2008 in Dessau stattfinden<br />
Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin<br />
DAV-Landesverbände<br />
Konferenz 2007<br />
Die Landesverbandskonferenz tagte am<br />
7. September 2007 in Bremen. Die Landesverbandskonferenz<br />
ist die Vertreterversammlung<br />
der Landesverbände im<br />
DAV. Diskussionsthemen waren u.a.<br />
die Stellung der Landesverbände im<br />
Gesamtverband und die Steigerung der<br />
Aktivitäten zwischen Landesverbänden<br />
und DAV. Daneben wurden rechtspolitische<br />
Themen erörtert, die für alle<br />
Länder gleichermaßen von Belang sind<br />
und gegenseitige Erfahrungen ausgetauscht.<br />
Die nächste Landesverbandskonferenz<br />
wird noch in diesem Jahr als<br />
kleine Konferenz am 7. Dezember in<br />
Düsseldorf mit dem Schwerpunktthema<br />
Pressearbeit der Landesverbände<br />
stattfinden.<br />
Freiburger <strong>Anwaltverein</strong> und<br />
Forum Junge Anwaltschaft<br />
Anwälte denken schneller,<br />
als sie laufen<br />
Anwälte liefen beim 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte in<br />
Freiburg mit.<br />
Werbung muss nicht immer als Plakat<br />
an der Wand hängen. Deshalb nutzte<br />
ein gemeinsames Läuferteam des Freiburger<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s und des Forums<br />
Junge Anwaltschaft im Landgerichtsbezirk<br />
Freiburg im Breisgau neue<br />
Wege und trat nach 2006 zum zweiten<br />
Mal beim 24-Stunden-Lauf für Kinderrechte<br />
an.<br />
Das Wetter war uns in diesem Jahr<br />
gnädig – ohne die Hitze des vorangegangen<br />
Jahres und nahezu ohne Regen<br />
traten wir im Juli im Freiburger<br />
Seepark an. Mit Sicherheit hat die gute<br />
Stimmung auf der Bahn und im Stadion<br />
dazu beigetragen, dass unser<br />
Rundenergebnis wirklich beachtlich ist.<br />
Wir haben es auf stolze 662 Runden gebracht!<br />
Um es noch etwas beeindruckender<br />
auszudrücken – 264,8 Kilometer<br />
sind von uns zurückgelegt<br />
worden. Damit belegen wir Platz 17<br />
(von 28 Mannschaften) und haben unser<br />
Laufpensum deutlich gesteigert.<br />
Und wir können sicher sein – mit unseren<br />
neonfarbigen Leibchen und unserem<br />
Spruch „Anwälte denken schneller<br />
als sie laufen!“ sind wir auf jedem<br />
Kilometer aufgefallen.<br />
Insgesamt wurden über 25.000<br />
Euro für Kinderprojekte im Raum Freiburg<br />
zusammengetragen. Wer wissen<br />
möchte, für welche Projekte das Geld<br />
verwandt wird, kann dies unter<br />
www.24hlauf-freiburg.de erfahren. Mit<br />
821,60 Euro belegen wir Platz 12 der<br />
Statistik.<br />
Wir sind aufgefallen und haben die<br />
Anwaltschaft positiv ins Gespräch gebracht.<br />
Unser Fazit: Es ist gut, dass wir<br />
uns nicht nur vor Gericht und bei Fortbildungen<br />
treffen und es ist wichtig,<br />
dass wir uns in der Öffentlichkeit positiv<br />
präsentieren.<br />
Rechtsanwältin Anke Hertle, Freiburg i. Br.
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Das Pferd als<br />
Mandatsbringer<br />
3. <strong>Deutscher</strong> Pferderechtstag in<br />
Essen<br />
Die Deutsche Anwaltakademie bietet<br />
auch für Rechtsgebiete Veranstaltungen<br />
an, die nur auf den ersten Blick abseitig<br />
scheinen.<br />
Anlässlich der Weltmesse des Pferdesports<br />
Equitana trafen sich bereits<br />
zum dritten Mal Pferderechtsanwälte,<br />
Fachtierärzte für Pferde und Pferdesachverständige<br />
zum größten Fachkongress<br />
für Pferderecht in Deutschland.<br />
Die Veranstalter, die Agentur Equimedia<br />
sowie die Deutsche Anwaltakademie,<br />
konnten auch in diesem Jahr<br />
wieder herausragende Persönlichkeiten<br />
aus allen Bereichen des Pferderechts<br />
als Referenten gewinnen.<br />
Von Pferdekauf bis Doping<br />
Die zunehmende Bedeutung des Pferderechts<br />
wird insbesondere durch eine<br />
Vielzahl von aktuellen und wegweisenden<br />
Urteilen höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />
in diesem Bereich dokumentiert.<br />
Daneben bestätigen die<br />
umfangreichen Rechtsprechungshinweise<br />
der Referenten, dass das derzeitige<br />
Schuldrecht neben Entscheidungen<br />
zum Gebrauchtwagenhandel vor<br />
allem durch Entscheidungen zum Pferdehandel<br />
entscheidend geprägt wird.<br />
Zu diesem Thema diskutierten am Vorabend<br />
der Tagung beim sogenannten –<br />
Pferderechtsforum, in einer von Frank<br />
Henning moderierten Talkrunde, Experten<br />
aus der Praxis über aktuelle Entwicklungen<br />
des Pferdehandels. Dabei<br />
waren Dr. Ulf Möller aus dem Stall<br />
Kasselmann, Norbert Boley vom Hol-<br />
steinerverband sowie Rechtsanwalt<br />
Eduard von Westphalen und Ekkehard<br />
Brysch vom International Sporthorse<br />
Registry (USA).<br />
Neben der Darstellung und Vertiefung<br />
von sowohl alltäglichen Standardals<br />
auch praxisrelevanten Spezialproblemen<br />
aus den Bereichen Pferdekaufrecht,<br />
Versteigerungsrecht, internationale<br />
Sportgerichtsbarkeitsnormen,<br />
medizinische Problemstellungen und<br />
Haftungsfragen wurden auch durchaus<br />
sensible Themen kritisch durchleuchtet.<br />
Dazu gehörten insbesondere Einzelfragen<br />
internationaler Dopingfälle<br />
im Pferdesport. Es gilt – nach Ansicht<br />
der Experten – präventiv daran zu arbeiten,<br />
dass auch im Pferdesport alles<br />
getan wird, einen sauberen und dopingfreien<br />
Sport zu demonstrieren und<br />
dass die Reitsportathleten offensiver gegen<br />
Doping eintreten müssen. Eine<br />
vertiefende Fragerunde zeigte das<br />
große Interesse an dieser Thematik.<br />
Der Deutsche Pferderechtstag hat<br />
sich europaweit als anerkannte Fachund<br />
Fortbildungsveranstaltung etabliert.<br />
Er gilt mittlerweile als Forum<br />
zum Knüpfen von Kontakten sowie<br />
zum fachlichen Austausch. Die Agentur<br />
Equimedia sowie die Deutsche Anwaltakademie<br />
als Veranstalterduo<br />
freuen sich daher schon jetzt, im kommenden<br />
März 2008 den 4. Deutschen<br />
Pferderechtstag als wichtigste Plattform<br />
rund um das Pferderecht mit einschlägigen<br />
Experten und einem standesgemäßen<br />
Rahmenprogramm anbieten zu<br />
können.<br />
Rechtsanwalt Daniel von Bronewski, Berlin<br />
Weitere Informationen finden Sie im Internet unter<br />
www.pferderechtstag.de. Die Agentur Equimedia<br />
sowie die Deutsche Anwaltakademie als Veranstalterduo<br />
planen für März 2008 den 4. Deutschen<br />
Pferderechtstag.<br />
Schneller als die Konkurenz sein. Der Deutsche Pferderechtstag hat sich europaweit als anerkannte Fach- und Fortbildungsveranstaltung<br />
etabliert.<br />
Personalien<br />
Neue Vorsitzende<br />
Wiesbadener Anwalt-<br />
und Notarverein:<br />
Rechtsanwältin<br />
Daniela Best aus<br />
Wiesbaden wurde<br />
zur neuen Vereinsvorsitzendengewählt.<br />
Ihr Vorgänger war Rechtsanwalt<br />
Götz-Peter Fünfrock, der dem Verein<br />
19 Jahre vorstand.<br />
Anwaltsverein Westerwald<br />
e.V.: Rechtsanwalt<br />
Hubertus<br />
Kempf, Westerburg,<br />
hat den Vorsitz<br />
übernommen. Er<br />
löst Rechtsanwalt<br />
Ulrich Sankjohanser nach 13jähriger<br />
Amtszeit ab.<br />
Ehrennadel verliehen<br />
Anwaltsverein Heidelberg: Rechtsanwalt<br />
Bodo E. Schütt und Rechtsanwalt<br />
Dr. Jobst Wellensiek sind mit<br />
der Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet<br />
worden. Wellensiek war u. a.<br />
22 Jahre Vorsitzender des Vereins.<br />
Schütt war viele Jahre, zuletzt bis 2003,<br />
als stellvertretender Vorsitzender im<br />
Verein aktiv.<br />
Auszeichnung von<br />
Anwälten<br />
Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />
Dr. Siegfried Beck, Nürnberg,<br />
das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens<br />
der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />
Peter Edmund Georg Kernbach,<br />
Berlin, das Verdienstkreuz am Bande<br />
des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />
und Notar Herbert Moritz,<br />
Brake, das Verdienstkreuz am Bande<br />
des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn Rechtsanwalt<br />
Dr. Jürgen Neuhaus, Köln, das<br />
Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens<br />
der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
AnwBl 11 / 2007 765
MNMeinung & Kritik<br />
Demnächst: Fachanwalt für<br />
Rechtsdurchsetzung?<br />
Über den Unterschied zwischen Fachärzten und<br />
Fachanwälten<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Ein Handelsvertreter erhält wegen Trunksucht eine Außerordentliche<br />
Kündigung, daraufhin droht seine Frau mit<br />
Scheidung, vor lauter Entsetzen lässt er sich in der nächsten<br />
Bar volllaufen, fährt betrunken bei Rot über die Kreuzung,<br />
prallt gegen drei parkende Autos und findet sich andern Tags<br />
im Krankenhaus mit Knochenbrüchen und ausgenüchtert<br />
wieder. Ein Facharzt für Chirurgie flickt ihn wieder zusammen<br />
und überweist ihn an einen Psychotherapeuten.<br />
Welchen Rat sollen wir ihm geben, wenn er für die Vielzahl<br />
seiner Rechtsprobleme nun auch den richtigen Fachmann<br />
sucht? Er braucht doch offenbar die Fachanwältin für<br />
Arbeitsrecht (möglichst mit Spezialkenntnissen bei Handelsvertreterverträgen),<br />
die Familienrechtlerin, den Verkehrsunfallexperten<br />
(im Zivil- und Strafrecht!), die Verwaltungsrechtlerin<br />
(für die Wiederbeschaffung des Führerscheins), den<br />
Versicherungsrechtler wegen des Versicherungsregresses, der<br />
ihm droht und wenn er falsch behandelt wurde: auch noch<br />
den Medizinrechtler, der den Chirurgen verklagen wird.<br />
Mir ist in über dreißig Praxisjahren noch kein Mandant<br />
untergekommen, der ernsthaft daran gedacht hätte, mit sieben<br />
Rechtsproblemen, die aus einem typischen Lebenssachverhalt<br />
stammen, sieben Spezialisten zu beschäftigen. In aller<br />
Regel nimmt er sich nur einen Anwalt und vertraut<br />
darauf, dass der innerhalb oder außerhalb seines Büros die<br />
Spezialisten schon finden wird, wenn er sie benötigt.<br />
Ganz anders aber verhält er sich gegenüber den Medizinern:<br />
Wenn der Knochenbruch zur Thrombose führt, diese<br />
wiederum zum Herzstillstand, der zu Gehirnausfällen und so<br />
weiter und so weiter ... wird ein Spezial-Arzt nach dem anderen<br />
sich des jeweiligen Themas annehmen und immer wieder<br />
von vorne anfangen. Die Patienten-Akte wird siebenmal neu<br />
erstellt, die Blutproben siebenmal neu genommen und der Patient<br />
erzählt geduldig zum siebenten Mal das Gleiche.<br />
Von uns hingegen wird etwas ganz anderes erwartet: Anwälte<br />
haben den Auftrag, Recht durchzusetzen und zwar mit<br />
allen erlaubten Mitteln – darunter auch denjenigen des<br />
Rechts. Sie müssen sich etwas einfallen lassen. Sie müssen<br />
ungewöhnliche (aber immer noch sichere) Wege gehen. Die<br />
größte Freude für einen jungen Anwalt ist es, einen alten<br />
Hasen vor Gericht schlecht aussehen zu lassen, weil der vor<br />
lauter Routine die kleinen Besonderheiten des Falles übersehen<br />
hat. Wenn man Fleiß und Phantasie in die Sachverhaltsanalyse<br />
steckt, kann man solche Erfolgserlebnisse auch ohne<br />
besonderes Fachwissen auf dem jeweiligen Rechtsgebiet haben.<br />
Tausende Kollegen beweisen das jeden Tag. Langfristig<br />
beruht anwaltlicher Erfolg immer auf Wissen und Erfahrung,<br />
aber uns hilft der Zufall mehr als den Ärzten: Ein junger<br />
Chirurg, der noch nie eine saubere Naht genäht hat, wird<br />
eine Operation am offenen Herzen kaum durch witzige Argumente<br />
erfolgreich abschließen. Deshalb können wir Anwälte<br />
uns an den Fachärzten als Modell für Spezialisten kein<br />
Beispiel nehmen. Wir haben derzeit 18 Fachanwaltschaften<br />
und in der Anwaltsauskunft finden sich über 140 „Rechtsgebiete“,<br />
die sich in jedem beliebigen Fall ebenso beliebig mit-<br />
einander mischen und kreuzen können. Natürlich gibt es<br />
Standardfälle, wie eben jenen des Handelsvertreters. Aber gerade<br />
an ihm kann man sehen, wie komplex sich ein einfaches<br />
Unglück in seinen vielfältigen Schattierungen entwickeln<br />
kann. Wer Recht durchsetzen will, muss die Aufgabe lösen,<br />
Komplexität dieser Art zu reduzieren und Lösungen zu erreichen,<br />
die praktikabel und akzeptabel sind. Vieles lernt man<br />
aus den Reaktionen der Gegenanwälte und der Gerichte, die<br />
einem oft genug ironisch vor Augen führen, woran man alles<br />
nicht gedacht hat. Den Ärzten fehlen solche Gegenspieler,<br />
denn der Tod steht schweigend am Kopfende jeden Krankenbetts.<br />
Mit ihm kann man nicht argumentieren. Wenn ein Anwalt<br />
es einmal gelernt hat, die Aussagen anderer auf den<br />
Prüfstand zu stellen, ohne es selbst besser zu wissen, hat er<br />
eine der wichtigsten Qualitäten entwickelt, die er für seine<br />
Arbeit braucht. Dem Arzt wäre damit nicht geholfen.<br />
Allerdings ist nicht zu leugnen, dass man sich in seiner<br />
Praxis nicht beliebig vielen Problemen widmen kann. Die<br />
meisten Spezialisierungen folgen nicht den Rechtsgebieten,<br />
sondern entwickeln sich aus den typischen Mandaten, denen<br />
„Kein Beispiel für Anwälte:<br />
Die Fachärzte als Modell für<br />
Spezialisten.“<br />
man immer wieder begegnet. Wer wie Mechthild Düsing<br />
(Münster) für Landwirte dauernd um Milchsubventionen in<br />
der EU kämpft, ist nach ein paar Jahren, auch ohne es gewollt<br />
zu haben, eine „Fachanwältin für Milchsubventionen“.<br />
Ich habe hinter- und nebeneinander einige solcher<br />
Schwerpunkte gebildet z. B.: Das Recht der Kleinkredite und<br />
der Zwangsvollstreckung, Baurecht, Wirtschaftsstrafrecht,<br />
Grundstücks- und Immobilienrecht, Computerrecht, Wiedervereinigungsrecht<br />
(was immer das ist!) und derzeit beschäftigt<br />
mich das Schiedsverfahrensrecht am intensivsten. Ich<br />
war nie Fachanwalt und würde vermutlich die Anforderungen<br />
an die Prüfung für IT-Anwälte nicht bestehen, denn ich<br />
habe keine Ahnung vom öffentlichen Vergaberecht für IT-<br />
Projekte und will das auch nicht mehr lernen. Aber natürlich<br />
hat die Berliner Kammer angefragt, ob ich die Kollegen im<br />
Fachausschuss prüfen möchte. Für Juristen ist das typisch:<br />
Wir werden oft von Leuten unterrichtet und geprüft, die von<br />
einzelnen Spezialgebieten nichts verstehen. Könnte man<br />
sich aber einen Professor für Chirurgie vorstellen, der nie<br />
operiert hat?<br />
Kurz: Es war vernünftig, die Zahl der Fachanwaltschaften<br />
auszuweiten und vielleicht können wir noch zwei oder drei<br />
neue Bereiche definieren, in denen die Sichtbarkeit im Markt<br />
für einige Spezialisten vergrößert werden kann. Irgendwann<br />
muss aber Schluss sein, denn sonst verlieren nicht nur unsere<br />
Mandanten, sondern auch wir selbst den Überblick über<br />
so viele Spezialisten, die am Ende von wenigem alles, von allem<br />
aber nichts verstehen.<br />
Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor der<br />
Leibniz Universität Hannover.<br />
766 AnwBl 11 / 2007 Fachanwalt für Rechtsdurchsetzung? Heussen
MNMitteilungen<br />
Strafprozessrecht<br />
_______________________________________________________<br />
Keine Überwachung<br />
der mandatsinternen<br />
Kommunikation<br />
Stellungnahme des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s zum<br />
Telekommunikationsüberwachungsgesetz<br />
Der Gesetzgeber will mit dem Gesetz zur Neuregelung der<br />
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter<br />
Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie<br />
2006/24/EG („Vorratsdatenspeicherung“) die Möglichkeit<br />
schaffen, das Gespräch des Anwalts mit seinem Mandanten<br />
zu überwachen, solange der Anwalt nicht als<br />
Strafverteidiger tätig ist. Nur dann soll ein umfassendes Beweiserhebungs-<br />
und Beweisverwertungsverbot gelten (§ 53b<br />
Abs. 1 StPO-E). Für Rechtsanwälte allgemein soll das Verbot<br />
nicht gelten. Beweiserhebung und Beweisverwertung sollen<br />
lediglich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen.<br />
Diese Differenzierung ist mit der rechtsstaatlich gebotenen<br />
unkontrollierten Berufsausübung der Anwälte nicht zu vereinbaren.<br />
Die Unterscheidung zwischen Strafverteidigern<br />
und sonstigen Anwälten lehnt der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
(DAV) ab. Sein Vorstand hat das im Oktober 2007 in einer einstimmig<br />
beschlossenen Resolution bekräftigt. Zuvor hatte der<br />
DAV durch seinen Strafrechtsausschuss zu dem Gesetzentwurf<br />
Stellung genommen. Das <strong>Anwaltsblatt</strong> druckt Auszüge<br />
aus der Stellungnahme Nr. 41/2007 vom August 2007:<br />
I. Einleitung<br />
Die Bundesregierung hat mit dem Entwurf eines Gesetzes<br />
zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und<br />
anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung<br />
der Richtlinie 2006/24/EG (Bundestags-Drucksache<br />
16/5846) das Resultat beachtlicher Anstrengungen vorgelegt,<br />
die heimlichen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen,<br />
besonders im Bereich der Telekommunikationsüberwachung,<br />
in ein kohärentes, schlüssiges System zu bringen 1 .<br />
Die folgende Stellungnahme zu diesem Entwurf widmet<br />
sich einzelnen ausgesuchten Aspekten, bei denen uns Anmerkungen<br />
aus der Sicht von Strafverteidigerinnen und<br />
Strafverteidigern angezeigt scheinen.<br />
Im Wesentlichen geht es um:<br />
9 die vom Entwurf vorgeschlagene Regelung des besonderen<br />
Schutzes der Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern.<br />
Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen<br />
verschiedenen Berufsgruppen erscheint dem<br />
Ausschuss nicht angemessen. Auch sind die Voraussetzungen,<br />
wann Ermittlungsbehörden in diese Sphäre ausnahmsweise<br />
eindringen dürfen, nicht eng genug gefasst.<br />
9 Die Stellungnahme widmet sich ausführlich dem Vorschlag<br />
der Grünen, anstelle eines Kataloges von Anlasstaten<br />
bei der Telekommunikationsüberwachung (in § 100a<br />
Abs.2 StPO i.d.F. des Entwurfs) eine generalklauselartige<br />
Bestimmung einzuführen, mit der der Kreis der Delikte,<br />
zu deren Aufklärung Telekommunikation überwacht werden<br />
darf, beschränkt werden soll. Der Strafrechtsaus-<br />
schuss des DAV hat dieses Modell nach ausführlichen<br />
Diskussionen verworfen, weil er der Auffassung ist, dass<br />
damit das Gegenteil des Beabsichtigten erreicht würde.<br />
Er ist freilich auch der Auffassung, dass die vorgesehene<br />
Ausweitung des Kataloges nicht akzeptabel ist.<br />
9 Wir unterstützen das Anliegen des Entwurfs, den Ermittlungsrichter<br />
bei dem Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft<br />
anzusiedeln. Freilich halten wir weitergehende<br />
Regelungen angesichts der ernüchternden<br />
Befunde wissenschaftlicher Untersuchungen zur Praxis<br />
ermittlungsrichterlicher Tätigkeit für dringend erforderlich<br />
und unterbreiten hierzu konkrete Vorschläge.<br />
9 Die vorgesehenen Berichtspflichten über Verlauf, Ergebnisse<br />
und Umfang von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen<br />
begrüßen wir nachhaltig, sehen<br />
allerdings auch hier Ergänzungsbedarf.<br />
9 Eingehend befasst sich die Stellungnahme mit den im<br />
Entwurf vorgesehenen Regeln zur Durchsicht von Datenträgern<br />
(§ 110 Abs. 3 StPO in der Fassung des Entwurfs).<br />
Wir sind der Auffassung, dass das Bemühen, hierdurch<br />
dem technischen Fortschritt entsprechende Zugriffsmöglichkeiten<br />
auf dislozierte Datenträger zu erhalten, weit<br />
über das Notwendige und selbst über das Erträgliche hinausschießt.<br />
Die Regelung schafft letztlich die Eingriffsvoraussetzungen<br />
für ein – unzulässiges – staatliches „Hacking“,<br />
gegen das der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> sich<br />
grundsätzlich und mit Nachdruck ausspricht.<br />
9 Die vorgeschlagenen Vorschriften zur Umsetzung der<br />
EU-Richtlinie 2006/24/EG zur so genannten Vorratsdatenspeicherung<br />
lehnen wir ab. Wir halten die Richtlinie<br />
bereits selbst für europarechtswidrig und gehen davon<br />
aus, dass der Europäische Gerichtshof dies in dem<br />
dort zur Zeit anhängigen Verfahren feststellen wird.<br />
Überdies verstößt sie gegen deutsches Verfassungsrecht,<br />
wie es für die einschlägigen Problemfelder in der Rechtsprechung<br />
des Bundesverfassungsgerichts in mehreren<br />
einschlägigen Entscheidungen konturiert wurde.<br />
Insgesamt sind wir der Auffassung, dass der vorliegende Entwurf<br />
eine Vielzahl diskussionswürdiger Ansätze enthält, die es<br />
verdienen, in einer breiten (nicht nur Fach-) öffentlichen Debatte<br />
erwogen und gewürdigt zu werden. Um so mehr bedauern<br />
wir es, dass der Entwurf in der gelegentlich von populistischem<br />
„Sicherheits“-Wahn überlagerten Debatte der letzten<br />
Monate nicht die ihm gebührende Beachtung gefunden hat.<br />
II. Zu den einzelnen Regelungen:<br />
Zur Einführung eines § 53b StPO<br />
Wir begrüßen es, dass die Regelung von Beweiserhebungsverboten<br />
bezüglich Ermittlungsmaßnahmen, die sich auf Berufsgeheimnisträger<br />
richten, einheitlich, „vor die Klammer<br />
gezogen“, erfolgt.<br />
Auch dass der Entwurf im Anschluss an die Vorschläge<br />
des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht 2 der be-<br />
1 Von einem „harmonischen Gesamtsystem“ möchten wir, anders als der Entwurf<br />
(vgl. S. 1), allerdings nicht sprechen.<br />
2 Vgl. dazu die von Wolter und Schenke zusammengestellte Textsammlung „Zeugnisverweigerungsrechte<br />
bei (verdeckten) Ermittlungsmaßnahmen“ (2002) in der die<br />
vom Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP) bei dem Mannheimer<br />
Institut für deutsches und europäisches Strafprozessrecht und Polizeirecht erarbeiteten<br />
Ergebnisse zu dem vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen<br />
Forschungsprojekt „Informationserhebung und Verwertung durch Vernehmung,<br />
Auskunft und heimliche Ermittlungsmaßnahmen“ zusammengestellt sind<br />
(vgl. dazu auch die Begründung des Entwurfs, BT-Drs. 16/ 5846, S.56).<br />
DAV-Stellungnahme AnwBl 11 / 2007 767
MN Mitteilungen<br />
sonderen Brisanz von Eingriffen der Strafverfolgungsbehörden<br />
in das Mandatsverhältnis der Strafverteidiger gerecht<br />
werden will, entspricht einer alten Forderung des DAV.<br />
Die Rolle des Strafverteidigers in einem rechtsstaatlichen<br />
Strafverfahren verbietet es ohne wenn und aber, Informationen,<br />
auf die sich sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53<br />
Abs. 1 Nr. 2 StPO bezieht, zum Objekt von Ermittlungsmaßnahmen<br />
zu machen. Der Beistand dessen, gegen den sich<br />
der Verdacht richtet, darf in dieser Funktion unter keinen<br />
Umständen ausgerechnet von denen ausgeforscht werden,<br />
die gegen den Mandanten ermitteln. Derartiges wäre nicht<br />
nur mit dem notwendigen Schutz der Vertraulichkeit der<br />
Kommunikation, sondern auch mit der Subjektstellung des<br />
Beschuldigten nicht vereinbar, was für den inhaftierten Beschuldigten<br />
auch durch § 148 StPO ausdrücklich anerkannt<br />
ist. Schon daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit<br />
der in § 53b Abs.1 StPO-E vorgesehenen Regelung für Strafverteidiger.<br />
Bei den übrigen Berufsgeheimnisträgern besteht diese<br />
aus der besonderen Konstellation des Strafverfahrens resultierende<br />
Situation des Strafverteidigermandats zwar nicht;<br />
gleichwohl sprechen zwingende Gründe – die bei dem Strafverteidiger<br />
zu den genannten hinzutreten – dagegen, durch<br />
eine Differenzierung zwischen den einzelnen Gruppen von<br />
Zeugnisverweigerungsberechtigten aus § 53 Abs.1 StPO, wie<br />
der Entwurf sie in § 53b Abs.2 StPO-E vorsieht, eine Abstufung<br />
im Schutzniveau zwischen den sie betreffenden Vertrauensverhältnissen<br />
vorzunehmen.<br />
„Bei Anwälten darf es eine<br />
Abstufung im Schutzniveau<br />
nicht geben“<br />
Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 53 Abs.1 zu<br />
erkennen gegeben, dass die Beziehung zwischen dem Rat<br />
oder Hilfe suchenden Bürger und den Angehörigen der in<br />
der Vorschrift aufgezählten Berufe einer besonderen Vertraulichkeit<br />
bedarf. Die Leistungen der in § 53 Abs.1 StPO genannten<br />
Berufe berühren – und zwar häufiger und stärker<br />
als die anderer Berufsgruppen – Bereiche, in denen schutzwürdige<br />
Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen Beachtung<br />
verlangen. Sie sind daher in besonderem Maße davon abhängig,<br />
dass demjenigen, der sie in Anspruch nimmt, die<br />
Möglichkeit garantiert ist, sich seinem Gegenüber frei, offen<br />
und rückhaltlos anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen,<br />
dass Tatsachen oder Umstände, die der andere kraft seines<br />
Berufes erfährt, offenbart oder sonst ohne die Zustimmung<br />
des Betroffenen bekannt werden, insbesondere an die Ohren<br />
von Ermittlungsbehörden dringen oder ihnen in die Hände<br />
fallen (vgl. BVerfGE 38, 312, 323). Eine Differenzierung zwischen<br />
den Zeugnisverweigerungsrechten der einzelnen Berufsgruppen<br />
nimmt der Gesetzgeber in § 53 Abs.1 StPO<br />
nicht vor. Es geht bei § 53 StPO so wenig wie in § 53b StPO-E<br />
um Privilegien für herausgehobene Berufsgruppen. Es geht<br />
um die Persönlichkeitsrechte von Bürgern, deren Vertrauen<br />
darauf, sich bestimmten Menschen rückhaltlos und unzensiert<br />
anvertrauen zu können, geschützt werden muss. Die<br />
Gesellschaft und der demokratisch verfasste Rechtsstaat sind<br />
auf solche Freiräume angewiesen.<br />
Die Preisgabe von Informationen, auf die sich ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />
bezieht, ist in den meisten Fällen<br />
strafbewehrt (§ 203 Abs. 1 StGB). Zu den tauglichen Tätern<br />
nach § 203 StGB gehören allerdings Abgeordnete und Geist-<br />
liche, die der Entwurf in § 53b Abs. 1 (zusammen mit den<br />
Strafverteidigern) vor den übrigen Berufsgeheimnisträgern<br />
privilegieren will, nicht.<br />
Die im Entwurf vorgesehene Differenzierung zwischen<br />
verschiedenen Berufsgruppen führt unweigerlich zu Wertungswidersprüchen<br />
zwischen einzelnen Regelungen zum<br />
Vertraulichkeitsschutz, sei es in § 53 Abs.1 StPO, sei es in<br />
§ 203 StGB. Sie lässt sich auch nicht aus dem unterschiedlichen<br />
Kernbereichsbezug der verschiedenen Berufsgruppen<br />
oder aus anderen Grundrechten ableiten, als deren Träger<br />
die Berufsausübenden agieren. So ist es nicht plausibel, dass<br />
die Informationen, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
des Geistlichen bezieht, a priori stärkeren Kernbereichsbezug<br />
aufweisen sollten, als die seelischen Qualen,<br />
die ein Patient seinem Psychiater offenbart. Und das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
des Journalisten, der das durch Art. 5<br />
GG geschützte Informationsinteresse der Öffentlichkeit bedient,<br />
ist nicht weniger verfassungsrechtlich verwurzelt als<br />
das des Abgeordneten, das sich unmittelbar aus Art. 47 GG<br />
ergibt.<br />
Die Funktion des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren<br />
macht einen besonderen Schutz seiner Beziehung<br />
zu derjenigen Person erforderlich, derentwegen dieses Verfahren<br />
stattfindet und zu deren Rechtsgewährleistung es geregelt<br />
ist. Aus dieser Besonderheit, die einen absoluten<br />
Schutz der mandatsinternen Kommunikation gebietet, folgt<br />
aber nicht, dass es gerechtfertigt oder gar geboten wäre, die<br />
Vertraulichkeitssphäre mit den Angehörigen anderer Berufe,<br />
die der Gesetzgeber unter den Schutz des § 53 Abs.1 StPO<br />
gestellt hat, für Ermittlungsmaßnahmen auch nur ansatzweise<br />
zu öffnen.<br />
Zu begrüßen ist grundsätzlich, dass die das Kommunikationsverhältnis<br />
mit den Berufsgeheimnisträgern schützenden<br />
Regelungen künftig nicht mehr bereits dann aufgehoben<br />
sein sollen, wenn ein bloßer Verdacht der Beteiligung an der<br />
Tat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei<br />
besteht (§ 53 b Abs.4 S.1 StPO-E; vgl. auch § 97 Abs. 2 S.3<br />
StPO-E). Die Eingriffsschwelle „Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“<br />
ist aber bloß eine formale, leicht niederzureißende<br />
Barriere. Es ist daher angemessen, entsprechend<br />
dem geltenden § 138a Abs.1 StPO vorauszusetzen, dass der<br />
Berufsgeheimnisträger „dringend oder in einem die Eröffnung<br />
des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig<br />
ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung<br />
bildet, beteiligt ist oder eine Handlung begangen<br />
hat, die für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten<br />
Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei wäre“.<br />
Unbedingt abzulehnen ist der Vorschlag des Bundesrates,<br />
auch die Geldwäsche in die Aufzählung der Verstrickungstaten<br />
aufzunehmen.<br />
Der Strafrechtsausschuss des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Mitglieder des Strafrechtsausschusses sind die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte:<br />
Dr. Stefan König (Vorsitzender und Berichterstatter), Rüdiger Deckers, Dr. Gina Greeve,<br />
Prof. Dr. Rainer Hamm (Berichterstatter), Gabriele Jansen, Eberhard Kempf, Gül Pinar,<br />
Michael Rosenthal, Dr. Heide Sandkuhl (Berichterstatterin) und Dr. Rainer Spatscheck<br />
(Berichterstatter).<br />
768 AnwBl 11 / 2007 DAV-Stellungnahme
MN Mitteilungen<br />
Anwaltrecht<br />
_______________________________________________________<br />
Anwaltskanzlei und<br />
Datenschutzbeauftragter<br />
Entlastung durch das<br />
Mittelstandsentlastungsgesetz auch für Anwälte?<br />
Rechtsanwalt Dr. Thomas Sassenberg, Gießen und Rechtsanwalt Thilo<br />
Schulz, Berlin*<br />
Der Schutz der persönlichen Daten (gerade der Mandanten)<br />
sollte Anwälten wichtig sein. Das Datenschutzrecht macht es<br />
Kanzleien aber nicht immer leicht. Eine alte Streitfrage ist,<br />
ob und unter welchen Voraussetzungen Kanzleien Datenschutzbeauftragte<br />
bestellen müssen. Der Gesetzgeber hat die<br />
Voraussetzungen durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
neu gefasst. Kanzleien mit insgesamt weniger als zehn Mitarbeitern<br />
werden entlastet. Zukünftig können – sofern ein<br />
Datenschutzbeauftragter benötigt wird – sowohl externe als<br />
interne Personen bestellt werden.<br />
Ob in Anwaltskanzleien ein Datenschutzbeauftragter zu bestellen<br />
ist, wird schon lange und äußerst kontrovers diskutiert.<br />
So sprach sich der Ausschuss Datenschutzrecht der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer gegen die Bestellung eines Beauftragten<br />
für den Datenschutz in Anwaltskanzleien aus. 1<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hielt hingen die Bestellung eines<br />
Datenschutzbeauftragten für notwendig. 2 Dies führte in der<br />
Praxis häufig dazu, dass das Thema Datenschutz in der Anwaltskanzlei<br />
schlicht ignoriert wurde. Neuerungen in der<br />
Diskussion ergeben sich jedoch durch das Erste Gesetz zum<br />
Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen<br />
Wirtschaft (Mittelstandsentlastungsgesetz),<br />
welches relativ unbemerkt bereits am 26. August 2006, also<br />
vor etwa einem Jahr, in Kraft getreten ist. 3 Abgebaut werden<br />
sollen Bürokratie und Überregulierung, was unter anderem<br />
zu Änderungen im BDSG führte.<br />
A. Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />
I. Änderungen im BDSG<br />
Wie bereits der Name Mittelstandsentlastungsgesetz zeigt,<br />
ist es Ziel, Bürokratie und Überregulierung insbesondere in<br />
kleinen und mittleren Unternehmen sowie bei Existenzgründern<br />
abzubauen.<br />
Begründet wurde das Gesetz damit, dass in einem nicht<br />
mehr vertretbaren Umfang betriebliche Ressourcen gebunden<br />
seien und dies mitursächlich für eine strukturelle<br />
Wachstumsschwäche in Deutschland sei. 4 Die Meldepflicht<br />
für die automatisierte Verarbeitung von personenbezogenen<br />
Daten nach § 4d BDSG setzt jetzt erst bei mehr als neun Personen<br />
an, womit auf der einen Seite die Schwelle erhöht und<br />
auf der anderen Seite aber der Adressatenkreis erweitert<br />
wurde. 5 Diese Fremdkontrolle entfiel früher, wenn entweder<br />
ein Datenschutzbeauftragter bestellt wurde (§ 4 Abs. 2<br />
BDSG) oder wenn höchstens vier Arbeitnehmer mit der Erhebung,<br />
Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten<br />
für eigene Zwecke beschäftigt waren (§ 4 Abs. 3 BDSG<br />
a. F.). Die Erhöhung der Personenzahl wird damit begründet,<br />
dass bei einer automatisierten Verarbeitung unter zehn Personen<br />
in der Regel entweder ein im Hinblick auf den Datenschutz<br />
eher weniger belastendes Massengeschäft abgewickelt<br />
oder nur ein überschaubarer Kundenkreis bedient wird. 6 Die<br />
Änderung des Worts „Arbeitnehmer“ in „Personen“ erfolgt,<br />
da es aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten unerheblich<br />
ist, welchen arbeitsrechtlichen Status die beschäftigte<br />
Person inne hat. 7 Rein praktisch ist damit jedoch für viele<br />
Kanzleien die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten zur<br />
Umgehung der Meldepflicht nicht mehr erforderlich.<br />
Allerdings ist nach § 4f Abs. 2a BDSG unbedingt zu<br />
berücksichtigen, dass ohne Verpflichtung zur Bestellung eines<br />
Datenschutzbeauftragten der Leiter der nichtöffentlichen<br />
Stelle die Erfüllung der Aufgaben in anderer Weise sicherzustellen<br />
hat. Es findet insofern eine Kompensation der<br />
Entlastung statt. 8 Bisher wird bei der Regelung nur ein klarstellender<br />
Charakter angenommen. 9 Der Begriff der verantwortlichen<br />
Stelle ist in § 3 Abs. 7 BDSG legaldefiniert. Danach<br />
ist die verantwortliche Stelle jede Person oder Stelle, die<br />
personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet<br />
oder nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen<br />
lässt. Es handelt sich insofern um den Sammelbegriff für die<br />
Normadressaten des BDSG. 10<br />
Eine weitere wichtige Änderung ist, dass nach § 4f Abs. 2<br />
S. 3 BDSG n. F. zum Beauftragten für den Datenschutz auch<br />
eine Person außerhalb der verantwortlichen Stelle bestellt<br />
werden kann, wobei sich die Kontrolle auch auf personenbezogene<br />
Daten erstreckt, die einem Berufs- oder einem besonderen<br />
Amtsgeheimnis, insbesondere dem Steuergeheimnis<br />
nach § 30 der Abgabenordnung unterliegen. Nach § 4f<br />
Abs. 4a BDSG n. F. steht dem Datenschutzbeauftragten und<br />
dessen Hilfspersonal ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, sofern<br />
der Leiter der Stelle oder eine beschäftigte Person ein<br />
solches aus beruflichen Gründen hat. Darüber hinaus schafft<br />
die Vorschrift ein Beschlagnahmeverbot für Akten und<br />
Schriftstücke des Beauftragten für den Datenschutz, das so<br />
weit reicht wie sein Zeugnisverweigerungsrecht. 11 Nicht aufgenommen<br />
wurde jedoch ein Beschlagnahmeverbot von<br />
Datenträgern und elektronischen Dokumenten, welches vorgeschlagen<br />
war. 12 Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts<br />
entscheidet die Person, der es aus beruflichen<br />
Gründen zusteht. Ist der Geheimnisträger nicht rechtzeitig<br />
erreichbar, kann der Datenschutzbeauftragte beziehungsweise<br />
seine Hilfsperson eine Entscheidung treffen. 13<br />
* Die Autoren bedanken sich bei Roland Schäfer, Fachkraft für Datenschutz,<br />
Frankfurt am Main, für die Anregungen.<br />
1 BRAK-Stellungnahme Nr. 31/2004 vom September 2004.<br />
2 Merkblatt des DAV im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2004, S. 512 (512).<br />
3 BGBl. 2006, Teil I, Nr. 40 vom 25. August 2006.<br />
4 BT-Drucksache 16/1407, S. 1,7.<br />
5 Dazu ausführlich Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (119 f.).<br />
6 BT-Drucksache 16/1407, S. 9.<br />
7 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />
8 Karper/Stutz, DuD 2006, S. 789 (792).<br />
9 Karper/Stutz, DuD 2006, S. 789 (792).<br />
10 Gola/Schomerus, BDSG, 8. Auflage 2005, § 3 BDSG, Rn. 48.<br />
11 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />
12 Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (121 f.).<br />
13 Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (119 f.).<br />
Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz AnwBl 11 / 2007 769
MN Mitteilungen<br />
Damit soll es Berufsgeheimnisträgern ermöglicht werden,<br />
eine Person außerhalb der verantwortlichen Stelle als<br />
Datenschutzbeauftragter zu bestellen. 14 Weiter wurde § 203<br />
StGB um einen Abs. 2a ergänzt, wonach die Absätze 1 und 2<br />
auch für den Beauftragten für den Datenschutz gelten und<br />
sich dieser somit auch durch die Verletzung von Privatgeheimnissen<br />
strafbar machen kann. Nicht einbezogen in die<br />
Strafbarkeit wurden jedoch die berufsmäßigen Gehilfen. 15<br />
§ 4f Abs. 2 S. 2 BDSG n. F. stellt klar, dass sich die erforderliche<br />
Fachkunde des Beauftragten für den Datenschutz insbesondere<br />
nach dem Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen<br />
Stelle und dem Schutzbedarf der<br />
personenbezogenen Daten richtet. In § 38 Abs. 1 S. 2 BDSG<br />
wurde ein Beratungsrechtsrecht des Datenschutzbeauftragten<br />
mit der Aufsichtsbehörde aufgenommen, wobei die typischen<br />
Bedürfnisse berücksichtigt werden sollen.<br />
II. Verhältnis von BDSG und Berufsrecht<br />
Für den anwaltlichen Datenschutz stellt sich die Frage nach<br />
dem Verhältnis von BDSG und den berufsrechtlichen Normen<br />
der Rechtsanwälte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass<br />
dieses Verhältnis für den Arbeitnehmerdatenschutz der<br />
Kanzleiangestellten nicht gilt und insoweit keine Bedenken<br />
gegen die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten bestehen.<br />
Das Bundesdatenschutzgesetz ist als Auffanggesetz<br />
konzipiert und als solches subsidiär zu spezialgesetzlicheren<br />
Normen (§ 1 Abs. 3 S. 1 BSDG). 16<br />
Wie sich diese Subsidiarität letztendlich auswirkt, wird<br />
ganz unterschiedlich beurteilt. 17 Eine Verdrängung des gesamten<br />
BDSG ist abzulehnen, da sich bereits aus dem Wortlaut<br />
der Subsidiaritätsklausel („soweit“) ergibt, dass die Verdrängung<br />
nur in dem Umfang stattfindet, in dem eine<br />
Abweichung für den gleichen Sachverhalt vorliegt. 18 Auch ein<br />
vollständiges Nebeneinander von BDSG und Berufsnormen<br />
kommt nicht in Betracht. 19 So ist beispielsweise nicht vorstellbar,<br />
dass der Gegner einen Auskunftsanspruch nach § 33<br />
BDSG geltend machen kann. Alleine von einem Nebeneinander<br />
deswegen auszugehen, weil ansonsten stets die<br />
Gefahr besteht, Pflichten zu verletzen oder gar eine Ordnungswidrigkeit<br />
zu begehen – beispielsweise wegen der<br />
Nichtbestellung eines Datenschutzbeauftragten – vermag<br />
nicht zu überzeugen. Dies hat eine Teilanwendbarkeit des<br />
BDSG zur Folge, wobei es einer praktikablen und rechtssicheren<br />
Lösung zur Ermittlung des Verhältnisses bedarf.<br />
Hier wird vertreten, dass eine Verdrängung des BDSG nur<br />
in dem Umfang stattfindet, in dem nach einem genauen inhaltlichen<br />
Vergleich eine abweichende Regelung für den<br />
exakt gleichen Sachverhalt vorliegt. 20 Auch wird ein Aliudverhältnis<br />
angenommen. 21 Nach anderer Auffassung ist das<br />
BDSG nur insoweit anwendbar, wenn sich die Sphären des<br />
Regelungsgehalts von Berufs- und Datenschutzrecht nicht<br />
überlagern.<br />
Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann nicht<br />
nur die vollständige Deckungsgleichheit ausschlaggebend<br />
sein, vielmehr ist auf die jeweilige Sphäre abzustellen. Ansonsten<br />
kann der Wertungswiderspruch zwischen BDSG<br />
und Berufsrecht nicht aufgefangen werden, auch wenn dadurch<br />
der Wortlaut der anwaltlichen Schweigepflicht – der<br />
Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet – ausgedehnt<br />
wird und es an einer konkreten Regelungsmaterie<br />
fehlt. Dieses Ergebnis steht auch nicht § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG<br />
entgegen, wonach das Berufsgeheimnis unberührt bleibt.<br />
III. Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />
Ausschlaggebend für die Bestellung eines Beauftragten für<br />
den Datenschutz ist die Frage, ob es bei einer Bestellung zu<br />
einer Überscheidung der Sphären von Datenschutz- und Berufsrecht<br />
kommt. Bedingt durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
wurde in § 4f Abs. 2 S. 3 und 4a BDSG n. F. explizit<br />
die Bestellung eines externen Datenschutzbeauftragten<br />
für Berufsgeheimnisträger für zulässig erklärt. Dem Gesetzesentwurf<br />
sind keine Ausführungen über das Verhältnis<br />
von Berufs- und Datenschutzrecht zu entnehmen. Denkbar<br />
ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Bestellung<br />
eines Datenschutzbeauftragten nicht gegen die berufsrechtliche<br />
Verschwiegenheitsverpflichtung verstößt oder dass die<br />
Subsidiarität des BDSG durch § 4f. BDSG n. F. eingeschränkt<br />
werden soll. Zu berücksichtigen ist, dass nach § 1<br />
Abs. 3 S.2 BDSG die Verpflichtung zur Wahrung von Berufsgeheimnissen<br />
unberührt bleibt. Damit wird klargestellt, dass<br />
das BDSG in keiner Weise in den Schutzbereich dieser Berufs-<br />
oder besonderen Amtsgeheimnisse garantierenden Normen<br />
eingreifen möchte. 22 Anzunehmen, dass die Subsidiarität<br />
durch die Neuerungen eingeschränkt wird, würde zu<br />
weit gehen.<br />
Jedoch besteht eine Verschwiegenheitsverpflichtung seitens<br />
des Anwalts aus § 43a Abs. 2 BRAO dann nicht mehr,<br />
wenn eine gesetzliche Ausnahme den Anwalt zum Offenbaren<br />
verpflichtet, da in diesem Fall die Verschwiegenheitsverpflichtung<br />
zurück tritt. 23 Eine solche Ausnahme in den datenschutzrechtlichen<br />
Regelungen zu sehen, vermag nicht zu<br />
überzeugen. Für Datenschutzbeauftragte ist in § 203 Abs. 2a<br />
StGB eine entsprechende Anwendung der § 203 Abs. 1 u. 2<br />
StGB hinsichtlich der Verletzung von Privatgeheimnissen<br />
vorgesehen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Bestellung<br />
eines Datenschutzbeauftragten keinen Verstoß gegen<br />
die Verschwiegenheitspflicht darstellen kann, so dass<br />
letztendlich die Vereinbarkeit der Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />
mit dem Berufsrecht nach den Änderungen<br />
durch das Mittelstandsentlastungsgesetz anzunehmen<br />
ist.<br />
Eine Differenzierung zwischen externen und internen<br />
Datenschutzbeauftragten ließe sich nur aus der anwaltlichen<br />
Verschwiegenheitspflicht herleiten; der Verstoß gegen eine<br />
solche besteht aber ja gerade nicht, so dass auch ein externer<br />
Datenschutzbeauftragter bestellt werden kann. Nach der Begründung<br />
des Mittelstandsentlastungsgesetzes soll es Berufsgeheimnisträgern<br />
gerade ermöglicht werden, auch Personen<br />
außerhalb der verantwortlichen Stelle zum Beauftragten für<br />
Datenschutz zu bestellen. 24<br />
14 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />
15 Dies kritisierend: Gola/Klug, NJW 2007, S. 118 (122).<br />
16 Vgl. Walz inSimitis,§1BDSG,Rn.155.<br />
17 Ausführlich dazu: Sassenberg, Rechtsfragen des Einsatzes von Wissensmanagement<br />
in Anwaltskanzleien, 2005, S. 106ff.<br />
18 Walz in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Auflage 2006, § 1 BDSG, Rn. 170,<br />
Redeker, AnwBl. 1996, S. 512 (513).<br />
19 So aber: Zuck in Abel, Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Auflage<br />
2003, § 2 BDSG, Rn. 27; Becker, NJW-CoR 3/90, S. 30 (30f.), Eggersmann/Hoene,<br />
CR 1990, S. 18 (18ff.).<br />
20 Walz in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Auflage 2006, § 1 BDSG, Rn. 170;<br />
ähnlich Schneider, AnwBl 2004, S. 618 (618f.).<br />
21 Dobmeier, Datenschutz in der Anwaltskanzlei, 2004, S. 32ff.<br />
22 Walz in Simitis, § 1 BDSG, Rn. 175.<br />
23 Eylmann in Henssler/Prütting, 2. Auflage 2004, § 43a BRAO, Rn. 69.<br />
24 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />
770 AnwBl 11 / 2007 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz
MN Mitteilungen<br />
Die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten ist für Anwaltskanzleien<br />
damit nicht nur möglich, sondern wohl auch<br />
verpflichtend. Bedingt dadurch, dass die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />
mit dem Berufsrecht vereinbar ist,<br />
überschneiden sich die Sphären von Datenschutz- und Berufsrecht<br />
nicht mehr. Damit kommt das BDSG hinsichtlich<br />
der Bestellung des Datenschutzbeauftragten zur Anwendung,<br />
so dass letztendlich auch eine Pflicht zur Bestellung besteht.<br />
B. Der Datenschutzbeauftragte in der Kanzlei<br />
Besteht die Notwendigkeit, einen Datenschutzbeauftragten<br />
zu bestellen, so ist zu klären wie die Bestellung als solche erfolgt,<br />
welche Aufgaben der Datenschutzbeauftragte wahrnehmen<br />
muss und welche Folgen die Nichtbestellung hat.<br />
I. Anforderungen an den Datenschutzbeauftragten<br />
Der Datenschutzbeauftragte ist ein wichtiges Element des<br />
mehrstufigen Schutzkonzeptes aus Selbst-, Eigen- und<br />
Fremdkontrolle. 25 Die Eigenkontrolle durch den Datenschutzbeauftragten<br />
kann, wie dargelegt, in Form des internen oder<br />
externen Datenschutzbeauftragten erfolgen, so dass ein<br />
Wahlrecht seitens der verantwortlichen Stelle besteht. Für<br />
die Bestellung eines internen Datenschutzbeauftragten<br />
spricht, dass ein Kanzleimitarbeiter in der Regel schon die<br />
internen Arbeitsabläufe kennt und diese Aufgabe als zusätzliches<br />
Aufgabenfeld übernehmen kann, so dass ein ansonsten<br />
notwendiger Einarbeitungsaufwand entfällt und gleichzeitig<br />
auch die Entscheidungs- und Kommunikationswege<br />
kürzer sind. 26 Gleichzeitig ist aber auch zu berücksichtigen,<br />
dass bei externeren Datenschutzbeauftragter aufgrund der<br />
Spezialisierung und Erfahrung von einer höheren Effizienz<br />
auszugehen ist. Bei externen Datenschutzbeauftragten ist<br />
nach einer Umfrage des Berufsverbands der Datenschutzbeauftragten<br />
Deutschlands (BvD) e.V. von Tagessätzen zwischen<br />
750 bis 1250 Euro auszugehen.<br />
Nach § 4f Abs. 2 S. 1 BDSG darf zum Beauftragten für Datenschutz<br />
nur bestellt werden, wer die zur Erfüllung seiner<br />
Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt.<br />
Ein festes Anforderungsprofil lässt sich daraus nicht<br />
schließen. 27 Erforderlich sind sowohl das notwendige Grundwissen<br />
im Datenschutzrecht als auch ein Verständnis über betriebswirtschaftliche<br />
Zusammenhänge sowie Grundkenntnisse<br />
über Verfahren und Techniken der automatisierten<br />
Datenverarbeitung. 28 Durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
wurde in § 4f Abs. 2 S. 1 BDSG eingefügt, dass sich das<br />
Maß der erforderlichen Fachkunde insbesondere nach dem<br />
Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen Stelle<br />
und dem Schutzbedarf der personenbezogenen Daten, die die<br />
verantwortliche Stelle erhebt oder verwendet, richtet. Mit dieser<br />
Änderung sollte der Umfang der erforderlichen Fachkunde<br />
konkretisiert und begrenzt werden. 29 Betont wird insbesondere<br />
der vom Betrieb zu tragende Schulungsaufwand. 30<br />
Zu weitgehend wäre es anzunehmen, dass in Anwaltskanzleien<br />
nur ein Volljurist als Datenschutzbeauftragter bestellt<br />
werden darf, da neben den rechtlichen Kenntnissen eben auch<br />
solche organisatorischer und technischer Art erforderlich<br />
sind. Bei der Auswahl des Datenschutzbeauftragten sind Interkompatibilitätsgrundsätze<br />
zu berücksichtigen. 31 Weder der<br />
Leiter der EDV noch |ein Partner der Kanzlei können zum Datenschutzbeauftragten<br />
bestellt werden, da in diesem Fall die<br />
interne Kontrollfunktion nicht gewahrt werden würde.<br />
II. Bestellung des Datenschutzbeauftragten und organisatorische<br />
Stellung<br />
Zu bestellen ist der Datenschutzbeauftragte nach § 4f. Abs. 1<br />
S. 1 BDSG spätestens bei Beginn der Verarbeitung, wobei<br />
die Bestellung schriftlich zu erfolgen hat. Gefordert wird<br />
eine von beiden Parteien unterschriebene Urkunde (§ 126<br />
BGB) und die Aufnahme bestimmter Mindestanforderungen<br />
wie die Aufgabenbeschreibung, die Festlegung der Beschäftigungsdauer,<br />
die notwendige personelle und materielle Unterstützung<br />
und die nach § 4f Abs. 3 erforderliche Präzisierung<br />
der organischen Stellung. 32<br />
In § 4f Abs. 3 BDSG ist die organisatorische Stellung des<br />
Beauftragten für den Datenschutz normiert. Danach ist dieser<br />
unmittelbar dem Leiter der verantwortlichen Stelle unterstellt<br />
und kann sich jederzeit an diese wenden. Der Datenschutzbeauftragte<br />
ist ausschließlich der Leitung der<br />
verantwortlichen Stelle zur Rechenschaft verpflichtet. Er ist<br />
nach S. 2 weisungsfrei und darf nach S. 3 wegen der Erfüllung<br />
seiner Aufgaben nicht benachteiligt werden. Weiter besteht<br />
nach § 4f Abs. 5 S. 1 BDSG die Pflicht, den Beauftragten<br />
bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen.<br />
Die Bestellung des Datenschutzbeauftragten endet mit<br />
Zeitablauf, einer Aufhebungsvereinbarung oder sobald dieser<br />
sein Amt niederlegt. Die Abberufung des Datenschutzbeauftragten<br />
ist in den §§ 4 f Abs. 3 S. 4; 38 Abs. 5 S. 3 BDSG erwähnt.<br />
§ 4 f Abs. 3 S. 4 BDSG verweist auf § 626 BGB. Danach<br />
kann die Abberufung nur aus einem wichtigen Grund<br />
erfolgen, was zu einer Stärkung der Stellung des Datenschutzbeauftragten<br />
führen soll. 33 Nach § 38 Abs. 5 S. 3 BDSG<br />
kann die Aufsichtsbehörde die Abberufung des Beauftragten<br />
für den Datenschutz verlangen, wenn er die zur Erfüllung<br />
seiner Aufgaben erforderliche Sachkunde und die Zuverlässigkeit<br />
nicht besitzt. Zwar sind das Amt des Datenschutzbeauftragten<br />
und das Arbeitsverhältnis grundsätzlich getrennt zu<br />
beurteilen, dennoch wird zum Teil ein Verbot der ordentlichen<br />
Kündigung geschlossen. 34 Ein Kündigungsschutz durch<br />
das BSDG wird wohl nur dann in Betracht kommen, wenn<br />
sie aus Gründen erfolgt, die mit der Amtsausübung in einem<br />
untrennbaren Sachzusammenhang stehen.<br />
III. Aufgaben des Datenschutzbeauftragten<br />
Die Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz sind in<br />
§ 4g BDSG geregelt, dort jedoch nicht abschließend aufgeführt.<br />
So ergibt sich beispielsweise aus § 4f Abs. 5 S. 2<br />
BDSG das Recht der Betroffenen, sich jederzeit an den Datenschutzbeauftragten<br />
zu wenden. Die Aufgaben des Datenschutzbeauftragten<br />
abstrakt zu umreißen, ist nur schwer<br />
möglich. Exemplarisch seien die Überwachung der Einhaltung<br />
der Datenschutzbestimmungen sowie der Datenverarbeitung,<br />
die Durchführung von Schulungen und das Fungieren<br />
als Ansprechpartner genannt. Aufgaben sind aber<br />
25 Wächter, Datenschutz im Unternehmen, 3. Auflage 2003, Rn. 130.<br />
26 Vgl. Gola/Schomenius, BDSG, 9. Auflage 2007, § 4f BDSG, Rn. 17<br />
27 Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f BDSG, Rn. 84.<br />
28 Gola/Schomenius, BDSG, 9. Auflage 2007, § 4f BDSG, Rn. 20.<br />
29 BT-Drucksache 16/1407, S. 10; vgl. auch Kaufmann, MMR 2006, Heft 10, S. XIV.<br />
30 BT-Drucksache 16/1407, S. 10.<br />
31 Weitze, DStR 2004, S. 2218 (2219); Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f.<br />
BDSG, Rn. 98, 100.<br />
32 Simitis in Simitis, BDSG, 6. Auflage 2006, § 4f. BDSG, Rn. 58 m.w.N.; a.A. Däubler<br />
in Däubler/Klebe/Wedde, BDSG, § 36 BDSG, Rn. 21.<br />
33 Simitis in Simitis, BDGS, 8. Auflage, § 4 f BDGS, Rn. 179 ff.<br />
34 Vgl. zum Meinungsstand: Preis in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Auflage<br />
2004, § 4 f BDSG, Rn. 13 ff.; Gola/Schomerus, BDSG, 8. Auflage 2006, § 4 f<br />
BDSG, Rn. 39.<br />
Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz AnwBl 11 / 2007 771
MN Mitteilungen<br />
auch die Kontrolle des sicheren Datenverkehrs über Internet,<br />
Notebooks, Festplatten, Speichermedien und Telefon sowie<br />
Fax, der Zugang zu Datenverarbeitungsanlagen und deren<br />
Sicherung, die Vorkehrungen in Bezug auf die Verfügbarkeit<br />
von Daten und die Schutzvorkehrungen gegen Einsichtnahme<br />
durch Dritte und die Vernichtung und Aufbewahrung<br />
von Akten zu verstehen. 35 Der BvD e.V. führte vor Änderung<br />
der Rechtslage hinsichtlich der Tätigkeit des<br />
Datenschutzbeauftragten aus, dass es nicht um eine inhaltliche<br />
Überprüfung von mandantenbezogenen, verarbeiteten<br />
Informationen gehe, sondern das der Datenschutzbeauftragte<br />
sich vor allem mit den technisch-organisatorischen<br />
Fragen des Datenschutzes befasse. 36 Ob dieser komplette<br />
Ausschluss der Kontrolle personenbezogenen Daten nach<br />
der Aufnahme der Berufsgeheimnisträger in § 4f Abs. 2 S. 3<br />
BDSG aufrechterhalten wird, erscheint fraglich, da mit dieser<br />
Einschränkung der Konflikt zwischen BDSG und Berufsrecht<br />
gelöst werden sollte, der so nicht mehr existiert.<br />
VI. Aufsichtsbehörde<br />
Die Ausführung des BDSG sowie anderer Vorschriften durch<br />
nicht-öffentliche Stellen wird gem. § 38 BDSG von der Aufsichtsbehörde<br />
kontrolliert. In diesem Zusammenhang stellt<br />
sich die Frage nach der Kontrollbefugnis in Anwaltskanzleien<br />
und dem Verhältnis zu der Kontrolle durch das Berufsrecht.<br />
Ob eine solche Kontrollbefugnis überhaupt seitens der<br />
Aufsichtsbehörde besteht, wird uneinheitlich beurteilt. 37 Das<br />
Amtsgericht Tiergarten entschied am 4. Oktober 2006, dass<br />
einem Auskunftsverlangen § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG i. V. m.<br />
§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB entgegen gehalten werden kann. 38<br />
Das umfangreiche Betretens-, Besichtigungs- und Prüfungsrecht<br />
(vgl. insb. § 38 Abs. 4 BDSG) lässt sich nach der Auffassung<br />
der Autoren nicht mit den berufsrechtlichen Regelungen<br />
der Rechtsanwälte vereinbaren, die ein in sich<br />
geschlossenes System darstellen. 39 – Etwas anderes ergibt<br />
sich auch nicht durch die Möglichkeit der Bestellung externer<br />
Datenschutzbeauftragter durch Berufsgeheimnisträger. –<br />
V. Auswirkungen einer Nichtbestellung<br />
Nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG handelt ordnungswidrig, wer<br />
vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4f Abs. 1 S. 1 oder 2, jeweils<br />
auch in Verbindung mit S. 3 oder 6, einen Beauftragten<br />
für Datenschutz nicht, nicht in der vorgeschriebenen Weise<br />
oder nicht rechtzeitig bestellt. Gem. § 43 Abs. 3 BDSG<br />
können Ordnungswidrigkeiten nach dieser Vorschrift mit<br />
Geldbuße bis 25.000 geahndet werden. Darüber hinaus<br />
kommt auch die berufsrechtliche Ahndung eines Verstoß gegen<br />
§ 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG nach § 113 Abs. 2 BRAO in Betracht.<br />
Bereits in Hinblick auf den Wortlaut des § 113 Abs. 2<br />
BRAO erreichen allerdings einmalige, fahrlässige Ordnungswidrigkeiten<br />
nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 BDSG die notwendige berufsrechtliche<br />
Relevanz nicht.<br />
35 Pressemitteilung des BvD e.V. vom 23.2.2005.<br />
36 Pressemitteilung des BvD e.V. vom 23.2.2005.<br />
37 Vgl. Sassenberg, S. 120 ff. m.w.N; Berliner Datenschutzbeauftragte für Datenschutz<br />
und Informationsfreiheit, Jahresbericht 2005, S. 104ff (online verfügbar unter<br />
http://www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/05/bericht_2005.pdf).<br />
38 Urteil des AG Tiergarten AnwBl 2007, S. 161 (161 f.); a.A. Berliner Datenschutzbeauftragte<br />
für Datenschutz und Informationsfreiheit, Jahresbericht 2005, S. 104ff<br />
(online verfügbar unter http://www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/05/bericht_2005.pdf).<br />
39 Vgl. Sassenberg, S. 120 ff. (122) m.w.N.<br />
40 Vgl. Dahns, NJW-Spezial, 2006, S. 285.<br />
C. Zusammenfassung<br />
Bedingt durch die Änderungen des sog. Mittelstandsentlastungsgesetzes<br />
ergeben sich für Kanzleien keine berufsrechtlichen<br />
Bedenken sowohl externe als auch interne Datenschutzbeauftragte<br />
zu bestellen. Aus den Änderungen ergibt<br />
sich nicht nur die Möglichkeit sondern wohl auch die Verpflichtung<br />
zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten.<br />
Bedingt dadurch, dass die Meldepflicht erst bei mehr als<br />
neun Personen ansetzt, stellt sich faktisch für viele Kanzleien<br />
die Problematik jedoch nicht. In diesen Fällen liegt die Verantwortung<br />
nach § 4g Abs. 2 a BSDG beim Leiter der Stelle.<br />
Zu berücksichtigen ist, dass der Datenschutzbeauftragte in<br />
§ 203 Abs. 2a StGB aufgenommen wurde wodurch sich dieser<br />
damit durch die Verletzung von Privatgeheimnissen<br />
strafbar machen kann, auch wenn er selbst nicht Berufsgeheimnisträger<br />
ist. Auch wenn sich das Maß der erforderlichen<br />
Fachkunde insbesondere nach dem Umfang der Datenverarbeitung<br />
der verantwortlichen Stelle und dem<br />
Schutzbedarf der personenbezogenen Daten richtet, muss<br />
dies nicht zur Folge haben, dass nur ein Volljurist in Anwaltskanzleien<br />
als Datenschutzbeauftragter beschäftigt werden<br />
kann. Letztlich führen die durch das Mittelstandsentlastungsgesetz<br />
bedingten Änderungen jedoch nicht dazu, dass<br />
der Konflikt zwischen dem Vertrauensverhältnis mit dem<br />
Mandanten und der Datenschutzkontrolle gelöst wird. Die<br />
Forderung von Dahns v. a. nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers<br />
bleibt insofern weiterhin aktuell. 40<br />
Dr. Thomas Sassenberg, Gießen<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er arbeitet im Frankfurter Büro<br />
der Kanzlei Schalst & Partner. Dort beschäftigt er sich insbesondere<br />
mit Fragen des Medien- und Telekommunikationsrechts.<br />
Thilo Schulz, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist in der Kanzlei Mannheimer<br />
Swartling tätig. Dort befasst er sich überwiegend mit<br />
Fragen des deutsch-skandinavischen Rechtsverkehrs.<br />
772 AnwBl 11 / 2007 Anwaltskanzlei und Datenschutzbeauftragter, Sassenberg/Schulz
MN Mitteilungen<br />
Anwaltsvergütung<br />
_______________________________________________________<br />
Der Steitwert muss stimmen<br />
Aktuelle Streitfragen beim Streitwert<br />
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />
Die zutreffende Vergütungsabrechnung erfordert nicht nur<br />
Kenntnisse im Gebührenrecht. Ebenso wichtig ist es, dass<br />
sich der Anwalt auch im Streitwertrecht auskennt. Die „beste<br />
Gebühr“ nutzt ihm nichts, wenn der Streitwert nicht stimmt.<br />
Leider ist in der Abrechnungspraxis allzu oft zu beobachten,<br />
dass der zutreffenden Streitwertfestsetzung ein viel zu geringes<br />
Gewicht beigemessen wird und die Anwälte unreflektiert<br />
und ungeprüft gerichtliche Wertfestsetzungen übernehmen<br />
und von den ihnen nach den §§ 32 Abs. 2 und 33 Abs. 3 RVG<br />
eingeräumten Beschwerdemöglichkeiten keinen Gebrauch<br />
machen. Auf die Grundzüge der Streitwertfestsetzung soll<br />
an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 1 Exemplarisch<br />
sollen hier vielmehr einzelne Streitwertfragen aus der<br />
aktuellen Rechtsprechung behandelt werden.<br />
A. Allgemeine Streitwertfragen<br />
I. Streitwert bei wechselnden Klageanträgen<br />
Bei der abschließenden Streitwertfestsetzung nach § 63<br />
Abs. 2 S. 1 GKG werden häufig Gegenstände übersehen, die<br />
sich im Verlaufe des Verfahrens erledigt haben und nicht<br />
mehr Gegenstand der abschließenden Entscheidung waren.<br />
Bei der nach § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 39 Abs. 1 GKG<br />
oder nach § 22 Abs. 1 RVG durchzuführenden Zusammenrechnung<br />
der einzelnen Gegenstände sind sämtliche Gegenstände<br />
zu berücksichtigen, auf die sich im Laufe des Verfahrens<br />
die anwaltliche Tätigkeit erstreckt hat. Es ist anders als<br />
bei der Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts – nicht erforderlich,<br />
dass der Anwalt hinsichtlich aller verschiedenen<br />
Gegenstände gleichzeitig tätig war. Dies ist insbesondere bei<br />
Verfahren zu berücksichtigen, in denen wiederkehrende<br />
Leistungen geltend gemacht werden und bei denen sich<br />
durch übereinstimmende Teilerledigungserklärung, Teilurteil<br />
oder Teilrücknahme hinsichtlich einzelner Gegenstände<br />
das Verfahren erledigt hat, während aufgrund des Zeitablaufs<br />
wieder neue Gegenstände hinzugekommen sind.<br />
Der Gebührenstreitwert richtet sich nach der Summe aller Forderungen, die<br />
innerhalb eines Prozesses erhoben werden. 2<br />
Beispiel: Der Anwalt erhält den Auftrag, Mieten in Höhe<br />
von jeweils 1.000,00 E für die Monate Januar, Februar und<br />
März geltend zu machen. Im Prozess stellt sich heraus, dass<br />
die Mieten für Januar und Februar bereits gezahlt waren, so<br />
dass insoweit die Klage zurückgenommen wird. Wegen zwischenzeitlich<br />
weiterer Rückstände für April und Mai wird die<br />
Klage gleichzeitig erweitert.<br />
Der Gegenstandswert der Anwaltsgebühren (und auch<br />
der Streitwert der Gerichtsgebühren) beläuft sich auf<br />
5.000,00 E, da im Verlaufe des Rechtsstreits insgesamt fünf<br />
Mieten zu jeweils 1.000,00 E anhängig waren. Darauf, dass<br />
nie mehr als drei Mieten in Höhe von insgesamt 3.000,00 E<br />
zeitgleich anhängig waren, kommt es nicht an. 3<br />
II. Hilfsaufrechnung<br />
1. Grundsatz<br />
Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen<br />
Gegenforderung geltend, so erhöht sich nach § 45<br />
Abs. 3 GKG der Streitwert, soweit eine der Rechtskraft fähige<br />
Entscheidung (siehe § 322 Abs. 2 ZPO) über sie ergeht. Bei<br />
einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gilt dies<br />
entsprechend (§ 45 Abs. 4 GKG).<br />
Beispiel: Der Kläger klagt auf Zahlung von 10.000 E. Der<br />
Beklagte bestreitet die Forderung und rechnet hilfsweise mit<br />
einer Forderung i. H. v. 15.000 E auf. Diese Forderung wiederum<br />
bestreitet der Kläger.<br />
a) Die Klage wird aufgrund der Hilfsaufrechung abgewiesen.<br />
Der Streitwert des Verfahrens beläuft sich auf<br />
20.000 E.<br />
b) Die Parteien schließen einen Vergleich über die Klageund<br />
die gesamte Aufrechnungsforderung. Der Streitwert<br />
des Verfahrens beläuft sich auf 20.000 E, der Mehrwert<br />
des Vergleichs auf 5.000 E.<br />
2. Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit bei nicht<br />
beschiedener Hilfsaufrechnung<br />
Heftig umstritten ist nach wie vor, ob für die Anwaltsgebühren<br />
nicht auch dann ein höherer Gegenstandswert anzunehmen<br />
ist, wenn über die Hilfsaufrechnung nicht entschieden<br />
wird. Dies wird zum Teil befürwortet und damit begründet,<br />
dass sich der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren<br />
nach dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit richte (§ 2<br />
Abs. 1 RVG). Bei einer Hilfsaufrechnung müsse der Anwalt<br />
aber auch hinsichtlich der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten<br />
Forderung tätig werden, selbst wenn das Gericht später<br />
darüber nicht entscheidet. Hier unterscheide sich die anwaltliche<br />
und die gerichtliche Tätigkeit wesentlich, da sich<br />
das Gericht mit der Aufrechnung nur zu befassen braucht,<br />
wenn es die Klageforderung als begründet ansieht. Nur<br />
wenn dies geschieht, sollen durch die weitere Tätigkeit auch<br />
Gebühren beim Gericht ausgelöst werden. Beim Anwalt verhält<br />
es sich dagegen anders, was dann auch eine andere Bewertung<br />
rechtfertige. 4<br />
Die überwiegende Rechtsprechung verschließt sich leider<br />
nach wie vor dieser unterschiedlichen Interessenlagen.<br />
Ergeht im gerichtlichen Verfahren über eine Hilfsaufrechnung keine der<br />
Rechtskraft fähige Entscheidung, sind die Rechtsanwaltsgebühren nicht abweichend<br />
von § 45 Abs. 3 GKG unter Einbeziehung des Werts der Hilfsaufrechnung<br />
zu berechnen. 5<br />
1 Siehe hierzu ausführlich N. Schneider, ZAP Fach 24 S. 1055.<br />
2 OLG Koblenz, AGS 2007, 151 = WuM 2006, 45 = DWW 2006, 72 = MietRB 2006,<br />
268 = GuT 2006, 88; OLG Hamm AGS 2007, 216 m. Anm. N. Schneider.<br />
3 Siehe auch AnwK-RVG/N. Schneider, 3. Aufl. 2006, § 22 Rn. 10; Gerold/Schmidt/<br />
Madert, RVG, 17. Aufl. § 22 Rn. 14.<br />
4 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, Nr. 3200 VV RVG Rn. 48 und Nr. 3100 VV RVG<br />
Rn. 129; AnwK-RVG/E. Schneider, § 33 Rn. 11, 17; Mayer/Kroiû-Rohn, RVG,2.<br />
Aufl., Anh 11, Streitwerte im gerichtlichen Verfahren Rn. 24; LAG Hamm MDR<br />
1982, 1052; MDR 1989, 852; Hartmann, KostG, 35. Aufl. § 33 RVG Rn. 5.<br />
5 OLG Hamm, Beschl. v. 2. 1. 2007 – 19 U 48/06, AGS 2007, 254 m. abl. Anm. E.<br />
Schneider = OLGR 2007, 194.<br />
Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 773
MN Mitteilungen<br />
III. Befangenheitsablehnung<br />
Wie der Streitwert eines Verfahrens, insbesondere eines Beschwerdeverfahrens<br />
über die Ablehnung eines Richters festzusetzen<br />
ist, wird in der Rechtsprechung nach wie vor kontrovers<br />
diskutiert. Strittig ist insbesondere, ob es sich um<br />
eine vermögensrechtliche oder nicht vermögensrechtliche<br />
Streitigkeit handelt. Nimmt man eine vermögensrechtliche<br />
Streitigkeit an, ist wiederum strittig, ob der volle Wert der<br />
Hauptsache oder nur ein Bruchteil anzusetzen ist. 6 Die neue<br />
Rechtsprechung nimmt regelmäßig den vollen Wert der<br />
Hauptsache an.<br />
Der Streitwert eines Beschwerdeverfahrens über die Begründetheit der Ablehnung<br />
eines Richters entspricht dem vollen Wert des Streitgegenstandes<br />
in der Hauptsache. 7<br />
Da im Ablehnungsverfahren selbst keine gesonderten Gebühren<br />
anfallen (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG), stellt sich die<br />
Frage nach dem Streitwert in der Regel erst im Beschwerdeverfahren,<br />
in dem gesonderte Anwaltsgebühren entstehen<br />
(§ 18 Nr. 5 RVG). Zusätzliche Bedeutung hat diese Streitwertproblematik<br />
dadurch gewonnen, dass der BGH die im<br />
Verfahren über eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines<br />
Richters entstandenen Anwaltskosten (Gebühr nach Nr. 3500<br />
VV RVG zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer) entgegen der<br />
bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als erstattungsfähig<br />
ansieht. 8<br />
IV. Außergerichtliche Anwaltskosten<br />
Seitdem die Geschäftsgebühr nicht mehr voll angerechnet<br />
wird, wird sie regelmäßig ganz oder teilweise als Schadenersatzanspruch,<br />
sei es aus Verzug oder Delikt, mit eingeklagt.<br />
Die Rechtsprechung dazu, ob sich dadurch der Streitwert<br />
des Verfahrens erhöht oder nicht, war kontrovers. 9 Der<br />
BGH hat diese Frage jetzt entschieden und den neben der<br />
Hauptsache mit eingeklagten materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch<br />
als Nebenforderung i. S. d. § 43 Abs. 1<br />
GKG, § 4 ZPO erklärt, so dass er neben der Hauptforderung<br />
den Streitwert nicht erhöht und weder zu höheren Gebühren<br />
(§ 43 Abs. 1 GKG) führt noch Auswirkungen auf die Zuständigkeit<br />
des Gerichts oder die Zulässigkeit eines Rechtsmittels<br />
hat.<br />
Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden<br />
Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken nicht werterhöhend,<br />
unabhängig davon, ob diese Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet<br />
werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung<br />
Gegenstand eines eigenen Antrags sind. 10<br />
B. Besondere Streitwertfragen im Mietrecht<br />
I. Klage auf zukünftige Zahlung<br />
Klagen auf zukünftige Leistungen (§§ 257 ff. ZPO) bieten<br />
sich im Mietrecht insbesondere dann an, wenn die Miete<br />
nicht oder nicht pünktlich gezahlt wird und sich damit die<br />
Besorgnis der nicht oder nicht rechtzeitigen Erfüllung ergibt<br />
(§ 259 ZPO). 11 Gleiches gilt, wenn das Mietverhältnis beendet<br />
ist, der Mieter aber im Objekt bleibt und keine Nutzungsentschädigung<br />
zahlt.<br />
Da es sich hier nicht um eine Bestandsstreitigkeit handelt,<br />
gilt nicht der privilegierte Jahreswert des § 41 Abs. 1<br />
oder 2 GKG. Abzustellen ist vielmehr nach § 48 Abs. 1 S. 1<br />
GKG auf die Streitwertvorschriften der ZPO für den Zustän-<br />
digkeitsstreitwert. Maßgebend ist also nach § 9 ZPO der dreieinhalbfache<br />
Jahreswert, es sei denn, der streitige Zeitraum<br />
ist geringer.<br />
Bei einem Mietverhältnis auf unbestimmte Dauer sowie<br />
bei einem Mietverhältnis, dessen Dauer bestimmt ist und<br />
noch mehr als dreieinhalb Jahre dauert, wird also vom dreieinhalbfachen<br />
Jahreswert ausgegangen. Ist das Mietverhältnis<br />
von bestimmter Dauer, die allerdings unter dreieinhalb<br />
Jahren liegt, ist dieser geringere Zeitraum maßgebend.<br />
Werden neben den zukünftigen Mieten auch bei Einreichung<br />
fällige Mieten geltend gemacht, so ist analog § 42<br />
Abs. 5 GKG (§ 17 Abs. 4 GKG a. F.) der Wert der fälligen Beträge<br />
hinzuzurechnen.<br />
1. Im Falle einer Klage auf künftige Miete bestimmt sich der Gebührenstreitwert<br />
nach §§ 12 Abs. 1 GKG a. F. (§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG n. F.)<br />
i. V. m. § 9 ZPO.<br />
2. Eingeklagte Mietrückstände sind entsprechend § 17 Abs. 4 GKG a. F.<br />
(§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) hinzuzurechnen. 12<br />
Beispiel: Der Mieter zahlt seit Februar 2006 keine Miete<br />
mehr, weil er aufgrund einer von ihm ausgesprochenen<br />
Kündigung von der Beendigung des Mietverhältnisses ausgeht.<br />
Der Vermieter ist der Auffassung, das Mietverhältnis<br />
bestehe noch bis zum 31.12.2010 und klagt im Oktober 2006<br />
auf zukünftige Leistung bis zum 31.12.2010. Die Miete beträgt<br />
durchweg 1.000,00 E.<br />
9 Der Streitwert der Klage auf zukünftige Leistung beläuft<br />
sich auf 42 x 1.000,00 E = 42.000,00 E.<br />
9 Hinzu kommen analog § 17 Abs. 4 GKG a. F.<br />
(§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) die bei Einreichung<br />
fälligen Beträge 9 x 1.000,00 E = 9.000,00 E<br />
Gesamt 51.000,00 E<br />
II. Klagenhäufung: Räumung und Zahlung<br />
Bei Klagen auf zukünftige Nutzungsentschädigungen wird<br />
zwar ebenfalls von § 9 ZPO ausgegangen. Hier ist jedoch zu<br />
berücksichtigen, dass erfahrensgemäß keine dreieinhalb<br />
Jahre von der Einreichung der Räumungsklage bis zur Räumung<br />
und damit dem Wegfall des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung<br />
vergehen werden. Die Rechtsprechung<br />
nimmt hier einen kürzeren Zeitraum von sechs bis zwölf<br />
Monaten an. 13<br />
6 Ausführlich N. Schneider, Befangenheitsablehnung – Gebühren, Streitwert und<br />
Kostenerstattung, MDR 2001, 130; Schneider/Herget, Rn.90ff.<br />
7 OLG Frankfurt/M., AGS 2006, 299 = MDR 2006, 1079 = JurBüro 2006, 370.<br />
8 BGH Rpfleger 2005, 481 = NJW 2005, 2233 = BGHR 2005, 1150 = MDR 2005,<br />
1016 = AGS 2005, 413 = RVGreport 2005, 275 = RVG-Letter 2005, 86 = RVG-B<br />
2005, 136 = FamRZ 2005, 1563 = JurBüro 2005, 482.<br />
9 Streitwerterhöhend: LG Braunschweig AGS 2005, 75; OLG Köln AGS 2007, 65;<br />
Streitwertneutral: LG Berlin AGS 2006, 86 = JurBüro 2005, 427 = RuS 2005, 444 =<br />
MDR 2005, 1318; OLG Frankfurt/M. AGS 2006, 251 = RVGreport 2006, 156.<br />
10 BGH, AGS 2007, 231 = FamRZ 2007, 808 = zfs 2007, 284 = RVGreport 2007, 194<br />
= BGHR 2007, 571 = JurBüro 2007, 313 = MDR 2007, 919 = VersR 2007, 1102 =<br />
SP 2007, 301 = VVR 2007, 319; bestätigt durch BGHR 2007, 845 = FamRZ 2007,<br />
1319; Urt. v. 12.6.2007 – VI ZR 200/06.<br />
11 Siehe BGH GE 2003, 320 = NZM 2003, 231 = MDR 2003, 452 = NJW 2003, 1395<br />
= ZMR 2003, 333 = GuT 2003, 91 = WuM 2003, 280 = BGHR 2003, 567 = WE<br />
2004, 82 = MietPrax-AK § 259 ZPO Nr. 1 = JA 2003, 447 = MM 2003, 314 = DB<br />
2003, 2064.<br />
12 BGH, AGS 2004, 249 = NZM2004, 423 = JurBüro 2004, 378 = ZMR 2004, 494 =<br />
BGHR 2004, 1055 = WuM2004, 368 = DWW 2004, 162 = GuT 2004, 133 = MietRB<br />
2004, 234 = RVG-B 2004, 104 = MDR 2004, 1437 = DWW 2004, 162.<br />
13 LG Dessau AGS 2006, 514 (12 Monate); OLG Düsseldorf AGS 2007, 46 = GE<br />
2006, 387 = ZMR 2006, 517 = NZM 2006, 583 (7 Monate bis zum regulärem Ende<br />
des Mietverhältnisses); LG Nürnberg-Fürth AGS 2006, 32 = WuM 2005, 664 = WE<br />
2006, 190 = Info M 2005, 268 = MietRB 2005, 314 (6 Monate, wenn Räumungstitel<br />
schon vorliegt).<br />
774 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider
MN Mitteilungen<br />
Werden neben den zukünftigen Nutzungsentschädigungen<br />
auch bei Einreichung fällige Mieten oder Nutzungsentschädigungen<br />
geltend gemacht, so ist analog § 42 Abs. 5<br />
GKG (§ 17 Abs. 4 GKG a. F.) der Wert der fälligen Beträge<br />
wiederum hinzuzurechnen.<br />
Werden Räumungs- und Zahlungsklage verbunden, so<br />
sind die Werte von Räumung und Zahlung zu addieren, auch<br />
wenn sie „denselben Zeitraum“ betreffen. Insoweit liegt keine<br />
wirtschaftliche Identität vor. Es handelt sich um verschiedene<br />
Streitgegenstände, so dass zusammenzurechnen ist.<br />
1. Der Streitwert einer Klage auf laufende Nutzungsentschädigungen<br />
nach Kündigung der Mieträume und Klageerhebung ist nicht nach § 9<br />
ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag festzusetzen, sondern<br />
nach § 3 ZPO zu schätzen.<br />
2. Maßgebend für die Festsetzung ist die zu schätzende Dauer von der<br />
Klageerhebung bis zur endgültigen Räumung.<br />
3. Erfahrungsgemäß beträgt dieser Zeitraum etwa 12 Monate, so dass<br />
der Wert der laufenden Nutzungsentschädigung auf den Jahresbetrag<br />
festzusetzen ist.<br />
4. Rückständige Mieten sind hinzuzurechnen.<br />
5. Der Wert des Räumungsantrags ist ebenfalls hinzuzurechnen. 14<br />
Beispiel: Der Kläger hatte nach außergerichtlicher Kündigung<br />
auf Räumung (Antrag Nr. 1) geklagt sowie gleichzeitig<br />
auf Zahlung fälliger Mieten/Nutzungsentschädigung in<br />
Höhe von 5.158,82 E (Antrag Nr. 2) sowie auf zukünftige<br />
Nutzungsentschädigung bis zur vollständigen Räumung<br />
(Antrag Nr. 3). Die monatliche Miete belief sich auf 951,20 E<br />
sowie 92,80 E Betriebskostenvorauszahlung.<br />
Die Klageschrift umfasst drei Klageanträge. Deren Werte<br />
sind zunächst gesondert zu ermitteln und anschließend nach<br />
§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.<br />
Der Wert des Räumungsbegehrens (Klageantrag zu 1) beläuft<br />
sich gem. § 41 Abs. 2 S. 1 GKG auf den Wert des einjährigen<br />
Entgelts, es sei denn, die „streitige Zeit“ ist kürzer als ein<br />
Jahr; dann ist nur der geringere Wert dieses Zeitraums maßgebend<br />
(§ 41 Abs. 2 S. 1, 2. Hs., i. V. m. Abs. 1 GKG).<br />
Unter „Entgelt“ i. S. d. § 41 Abs. 2 GKG ist grundsätzlich<br />
nur das Nettogrundentgelt zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer<br />
zu verstehen. 15 Nebenkosten werden seit der gesetzlichen<br />
Klarstellung zum 1.7.2004 nach § 41 Abs. 1 S. 2 GKG<br />
nur noch dann berücksichtigt, wenn diese als nicht abzurechnende<br />
Pauschale vereinbart worden sind. Hier waren Vorauszahlungen<br />
vereinbart, die jährlich abzurechnen waren,<br />
so dass diese außer Ansatz blieben.<br />
12 x 951,20 E 11.414,40 E<br />
Der Klageantrag zu 2 erfasste die fälligen Mieten und Nutzungsentschädigungen<br />
einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen.<br />
Hier ist der volle Nominalbetrag anzusetzen einschließlich<br />
der geforderten Betriebskostenvorauszahlungen.<br />
Die Vorschrift des § 41 Abs. 1 S. 2 GKG gilt nicht für Zahlungsklagen.<br />
5.158,82 E<br />
Der Klageantrag zu 3 erfasste die zukünftige Nutzungsentschädigung<br />
einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen<br />
(auch hier gilt nicht § 41 Abs. 1 S. 2 GKG). Das Gericht<br />
geht nicht vom 3,5fachen Jahreswert aus, da es vor Ablauf<br />
dieser Zeit mit einer Räumung rechnet und schätzt diese<br />
Zeit auf 12 Monate. 16 In dieser Bewertung liegt kein Widerspruch<br />
zu der Entscheidung des BGH v. 17. März 2004 – XII<br />
ZR 162/00 (s. o. B. I.). In dem zugrunde liegenden Verfahren<br />
hatte der BGH gem. § 9 S. 1 ZPO den 42fachen Monats-<br />
betrag angesetzt. Dort war das Mietverhältnis allerdings noch<br />
nicht beendet, so dass dort auch nicht mit einer Rückgabe in<br />
absehbarer Zeit gerechnet werden konnte.<br />
12 x (951,20 E + 92,80 E) 12.528,00 E<br />
Alle Werte sind zu addieren. Analog § 42 Abs. 5 RVG<br />
werden fällige Mieten/Nutzungsentschädigungen dem Wert<br />
der laufenden Beträge hinzugerechnet.<br />
Gesamt 29.101,22 E<br />
III. Wertberechnung für Räumungsklage bei gestaffeltem<br />
Mietentgelt<br />
Strittig war, wie der Streitwert einer Räumungsklage zu berechnen<br />
ist, wenn das Mietentgelt während des streitigen<br />
Zeitraums nicht einheitlich ist, insbesondere also bei Staffelmieten.<br />
Während nach einer Auffassung der aktuelle Wert<br />
mit zwölf zu multiplizieren war, 17 gingen andere von einem<br />
Durchschnittswert aus. 18 Der BGH hat die dritte Auffassung<br />
bestätigt, nämlich dass es auf den höchsten Jahreswert während<br />
der restlichen Laufzeit ankommt.<br />
Verändert sich im Laufe der streitigen Zeit i. S. d. § 41 Abs. 2 GKG der monatliche<br />
Mietwert, so ist nicht auf einen Durchschnittswert abzustellen, sondern<br />
auf den höchsten Jahresbetrag innerhalb des streitigen Zeitraums. 19<br />
Beispiel: Die Parteien hatten zum 1.1.2006 einen Fünf-Jahres-Mietvertrag<br />
abgeschlossen. Vereinbart war zunächst eine<br />
monatliche Miete in Höhe von 500,00 E. Die Miete sollte<br />
sich jeweils zum 1. 1. eines Folgejahres automatisch um<br />
30,00 E erhöhen. Im September 2006 kündigte der Vermieter<br />
das Mietverhältnis fristlos und erhob gleichzeitig Räumungsklage.<br />
Der höchste Jahresbetrag wäre der für die Miete des Jahres<br />
2010. Für dieses Jahr berechnet sich die Miete auf 12 x<br />
620 E = 7.440,00 E.<br />
Lässt sich die streitige Zeit nicht genau ermitteln, weil es<br />
keinen festen Beendigungszeitpunkt gibt, etwa weil ein unbefristetes<br />
Mietverhältnis vereinbart ist, so kann mangels<br />
hinreichender anderweitiger Umstände entsprechend § 9<br />
ZPO der 3½fache Jahreswert angenommen werden. 20<br />
Beispiel: Die Parteien hatten einen unbefristeten Mietvertrag<br />
abgeschlossen. Vereinbart war zunächst eine monatliche<br />
Miete in Höhe von 500,00 E. Die Miete sollte sich jeweils<br />
zum 1. 1. eines Folgejahres automatisch um 30,00 E erhöhen.<br />
Im September 2006 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis<br />
fristlos und erhob gleichzeitig Räumungsklage.<br />
Auszugehen ist nach § 9 ZPO von einem Zeitraum von<br />
3½-Jahren, der am 31.03.2010 enden würde.<br />
14 AG Dessau, AGS 2006, 514 m. Anm. N. Schneider.<br />
15 OLG Düsseldorf = ZMR 2006, 516 = AGS 2006, 354 = MDR 2006, 1079 = OLGR<br />
2006, 665 = JurBüro 2006, 428 = DWW 2006, 348.<br />
16 Ebenso LG Nürnberg-Fürth AGS 2006, 21 m. Anm. N. Schneider, das im konkreten<br />
Fall von sechs Monaten ausgegangen ist.<br />
17 OLG Neustadt, Rpfleger 1963, 34.<br />
18 Hartmann, KostG, § 41 GKG Rn. 23.<br />
19 BGH, AGS 2006, 143 = NZM 2005, 944 = BGHReport 2006, 75 = NJW-RR 2006,<br />
16 = GuT 2006, 35 = ZMR 2006, 28 = ZfIR 2006, 111 = GE 2006, 320 = MDR 2006,<br />
384 = MietPrax-AK § 41 GKG Nr. 1 = RVGreport 2006, 74 = MietRB 2006, 186 =<br />
Info M 2006, 211.<br />
20 So bereits zur Rechtsmittelbeschwer: BGH NJW-RR 1996, 316; BGHR 2003, 1036<br />
= AGS 2003, 489 m. Anm. N. Schneider; MietRB 2004, 258; LG Wiesbaden WuM<br />
2000, 617.<br />
Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 775
MN Mitteilungen<br />
Zu berücksichtigen wäre jetzt der Wert der letzten zwölf<br />
in den 3½-Jahrszeitraum fallenden Mieten, also der Mieten<br />
für April 2008 bis März 2009. Dies wiederum ergäbe:<br />
9 x 590 E = 5.310 E<br />
3 x 620 E = 1.860 E<br />
7.170 E<br />
IV. Gegenstandswert einer Kündigung<br />
Strittig war die Frage, welcher Gegenstandswert zugrunde zu<br />
legen ist, wenn der Anwalt mit dem Ausspruch der Kündigung<br />
eines Mietverhältnisses beauftragt ist. Während einige<br />
Gerichte zutreffend darauf abgestellt haben, dass der Ausspruch<br />
der Kündigung nicht Gegenstand eines Rechtsstreits<br />
sein kann und damit § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG i. V. m. § 41<br />
GKG nicht anzuwenden ist, sondern § 23 Abs. 3 RVG i. V. m.<br />
§ 25 KostO 21 , hat sich der BGH jetzt der Gegenauffassung angeschlossen,<br />
die analog § 23 Abs. 1 S. 3 RVG i. V. m. § 41<br />
Abs. 1 u. 2 GKG den Jahresmietwert annimmt, sofern die<br />
streitige Mietzeit nicht geringer ist. Begründet wird dies damit,<br />
dass die Kündigung einem Räumungsrechtsstreit vorausgehe<br />
und diesen vorbereite, so dass dessen Wert auch<br />
für die außergerichtliche Tätigkeit anzunehmen sei. Gleichzeitig<br />
hat der BGH dann auch die Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />
nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG bejaht.<br />
1. Der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts,<br />
der mit der Beratung des Vermieters über das Kündigungsrecht und<br />
dem Ausspruch der Kündigung beauftragt ist, betrifft das Räumungsverlangen<br />
des Vermieters und somit denselben Gegenstand wie eine<br />
spätere gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen der Räumungsklage.<br />
2. Die Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts für die vorgerichtliche Tätigkeit<br />
im Zusammenhang mit der Kündigung ist gem. § 23 Abs. 1 S. 3<br />
RVG, § 41 Abs. 2 GKG nach dem einjährigen Bezug der Nettomiete zu<br />
berechnen und nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr<br />
eines nachfolgenden Räumungsrechtsstreits anzurechnen. 22<br />
C. Streitwertfragen in Verkehrsunfallsachen<br />
Im Rahmen der Verkehrsunfallregulierung wird insbesondere<br />
von den Haftpflichtversicherern immer wieder versucht,<br />
bei bestimmten Positionen den Streitwert „zu drücken“.<br />
I. Sachverständigenkosten und Allgemeine Kostenpauschale<br />
So wurde häufig versucht, die vorgerichtlichen angefallenen<br />
Sachverständigenkosten sowie die allgemeine Kostenpauschale<br />
als Nebenforderung i. S. d. § 43 Abs. 1 GKG zu deklarieren,<br />
so dass sie wertmäßig nicht zu berücksichtigen wären.<br />
Dem hat der BGH eine Absage erteilt.<br />
Im Verkehrsunfallhaftpflichtprozess sind die neben anderen Schadenspositionen<br />
eingeklagten Kosten eines vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens<br />
und die Kostenpauschale regelmäßig keine Nebenforderungen,<br />
die bei der Berechnung des Streitwerts und der Beschwer außer<br />
Betracht bleiben. 23<br />
II. Berücksichtigung von Freistellungsansprüchen beim<br />
Gegenstandswert der Verkehrsunfallregulierung<br />
Des Weiteren wird häufig versucht, den Wert abgetretener<br />
Ansprüche (i. d. R. Sachverständigengebühren und Mietwagenkosten)<br />
beim Erledigungswert mit der Begründung außer<br />
Ansatz zu lassen, die entsprechenden Zahlungen seien nicht<br />
an den Geschädigten sondern an Dritte geleistet worden.<br />
Auch dies ist unzutreffend, wie von den Instanzgerichten immer<br />
wieder festgestellt wird. Solange die Ansprüche nur sicherungshalber<br />
abgetreten werden, wie das bei den Sachverständigen-<br />
und Mietwagenkosten i. d. R. der Fall ist, verbleibt<br />
nach wie vor ein Schaden beim Mandanten, weil er immer<br />
noch zahlungspflichtig bleibt. Ob der Schaden des Mandanten<br />
dadurch reguliert wird, dass er als Ausgleich Geld erhält<br />
oder dadurch, dass er von den entsprechenden Ansprüchen<br />
Dritter freigestellt wird, ist streitwertmäßig unerheblich. 24<br />
Soweit im Rahmen der Verkehrsunfallregulierung Schadensersatzansprüche<br />
an Dritte abgetreten sind und insoweit Freistellung begehrt wird,<br />
sind die Werte dieser Ansprüche beim Gegenstandswert der anwaltlichen<br />
Tätigkeit in voller Höhe zu berücksichtigen. 25<br />
III. Restwertanrechnung<br />
Anders gesehen wird die Frage leider bei der Restwertanrechnung.<br />
Nach zutreffender Ansicht kommt es für die Wertberechnung<br />
beim Sachschaden im Falle eines Totalschadens<br />
auf den Wiederbeschaffungswert an. Ein eventueller Restwerterlös<br />
ist nicht abzuziehen. Der Schaden des Mandanten<br />
besteht darin, dass sein Fahrzeug zerstört ist. Wie sein Schaden<br />
reguliert wird, ist dabei unerheblich, also ob der gegnerische<br />
Versicherer den Schaden in voller Höhe zahlt oder ob<br />
der Geschädigte einen Teil vom Versicherer und einen Teil<br />
vom Restwertaufkäufer erhält. Abgesehen davon muss sich<br />
der Anwalt in aller Regel auch mit der Restwertverwertung<br />
befassen, insbesondere muss er prüfen, welche Restwertangebote<br />
anzunehmen sind. Er muss den Mandanten beim<br />
Gewährleistungsausschluss o. ä. beraten. Schon dies rechtfertigt<br />
es, auch den Restwert bei der Schadensregulierung<br />
mit zu erfassen. 26 Die überwiegende Rechtsprechung sieht<br />
dies allerdings leider anders.<br />
Bei der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens sind nur der tatsächlich<br />
entstandene Schaden und die für die Verfolgung dieses Schadens erforderlichen<br />
Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Bei der Berechnung des Gegenstandswerts<br />
einer Verkehrsunfallschadensregulierung ist daher bei Schadensabrechnung<br />
nach dem Wiederbeschaffungswert abzüglich des<br />
Restwerts der Restwerterlös abzuziehen. 27<br />
D. Familiensachen<br />
I. Klage und Widerklage auf Zugewinnausgleich<br />
Bei wechselseitigen Klagen auf Zugewinn, die im selben Verfahren<br />
geführt werden (also Klage und Widerklage), ging die<br />
ältere Rechtsprechung davon aus, es liege derselbe Streitgegenstand<br />
vor, so dass die Werte nicht zu addieren seien,<br />
sondern nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG nur der höhere Wert<br />
21 LG Karlsruhe AGS 2006, 112 = NZM 2006, 259 = NJW 2006, 1526 = JurBüro<br />
2006, 471 = Info M 2005, 324, 325 = RVG prof. 2006, 65; LG Köln AGS 2006, 562<br />
= RVG prof. 2006, 155.<br />
22 BGH, AGS 2007, 289 = RVGreport 2007, 52 = NZM 2007, 396 = WuM 2007, 330 =<br />
NJW 2007, 2050 = JurBüro 2007, 358 = ZMR 2007, 521 = BGHR 2007, 737 =<br />
MDR 2007, 982 = DWW 2007, 214 = Info M 2007, 142 = MictRB 2007, 172 =<br />
MietRB 2007, 172 = NJW-Spezial 2007, 339 = Rpfleger 2007, 509.<br />
23 BGH, AGS 2007, 320 = NJW 2007, 1752 = BGHR = RVGreport 2007, 195 = NVZ<br />
2007, 293 = ZfSch 2007, 346 = DAR 2007, 430 = JurBüro 2007, 361 = MDR 2007,<br />
852 = VersR 2007, 1288 = Verkehrsrecht aktuell 2007, 77 = VRR 2007, 203.<br />
24 Siehe dazu auch Schneider/Herget (Freistellung) Rn. 815.<br />
25 AG Limburg, AGS 2007, 100; Ebenso AG Biberach DAR 1988, 27 = VersR 1988,<br />
499 = zfs 1988, 78; AG Mettmann DAR 1986, 63.<br />
26 So LG Freiburg AnwBl 1971, 361; LG Koblenz zfs 1982, 205.<br />
27 AG Hildesheim, AGS 2006, 396.<br />
776 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider
MN Mitteilungen<br />
gelte. Gestützt hat sich diese Rechtsprechung dabei auf die<br />
sogenannte Identitätsformel des Reichsgerichts, wonach derselbe<br />
Streitgegenstand vorliegt, wenn das Zusprechen der<br />
Klage zwingend zur Folge hat, dass die Widerklage abzuweisen<br />
ist und wenn das Zusprechen der Widerklage zwingend<br />
zur Folge hat, dass die Klage abzuweisen ist.<br />
Dem gegenüber hat die ganz überwiegende jüngere<br />
Rechtsprechung erkannt, dass die Identitätsformel des<br />
Reichsgerichts nicht ausreichend ist, sondern, dass auch eine<br />
wirtschaftliche Identität verlangt werden muss. Daran fehlt<br />
es aber bei wechselseitigen Zugewinnklagen, so dass die<br />
jüngere Rechtsprechung überwiegend eine Streitwertaddition<br />
annimmt.<br />
Machen Eheleute wechselseitig Ansprüche auf Zugewinnausgleich in einem<br />
Prozess geltend, so sind die Streitwerte von Klage und Widerklage<br />
nach § 45 Abs. 1 S. 1 GKG zusammenzurechnen. 28<br />
Lediglich das OLG Hamm 29 schert nach wie vor aus und geht von demselben<br />
Streitgegenstand aus, mit der Folge, dass nicht addiert wird, sondern<br />
nur der höhere Wert anzusetzen ist.<br />
Beispiel: Der Ehemann erhebt Klage auf Zugewinnausgleich<br />
i. H. v. 20.000 E. Die Ehefrau erhebt Widerklage auf<br />
Zugewinnausgleich i. H. v. 30.000 E.<br />
Der Streitwert beläuft sich auf 50.000 E.<br />
II. Klage und Widerklage auf Unterhaltsabänderung<br />
Das gleiche Problem wie bei wechselseitigen Klagen auf Zugewinn<br />
stellt sich bei wechselseitigen Unterhaltsabänderungsklagen,<br />
wenn also der Unterhaltsschuldner auf Herabsetzung<br />
und der Unterhaltsgläubiger im selben Prozess<br />
auf Heraufsetzung klagt. Auch hier muss eine wirtschaftliche<br />
Betrachtung vorgenommen werden, so dass die Werte<br />
der wechselseitigen Klagen zu addieren sind. Das OLG<br />
Hamm verfährt auch hier anders und nimmt denselben<br />
Streitgegenstand an. 30<br />
Die Streitwerte für Klage und Widerklage wechselseitiger Unterhaltsabänderungsanträge<br />
betreffen nicht denselben Streitgegenstand und sind daher<br />
zusammenzurechnen. 31<br />
III. Einstweilige Anordnung auf Unterhalt<br />
Streitwertfestsetzungen in einstweiligen Anordnungsverfahren<br />
auf Unterhalt leiden in aller Regel stets an denselben<br />
Fehler. Die Gerichte stellen ausschließlich auf § 53 Abs. 2<br />
S. 1 GKG ab und nehmen nur den sechsmonatigen Bezug<br />
an; dabei übersehen sie, dass die Vorschrift des § 42 Abs. 5<br />
GKG auch hier gilt. Auch bei einstweiligen Anordnungen<br />
sind die bei Einreichung fälligen Beträge hinzuzurechnen.<br />
Da im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich<br />
keine Rückstände geltend gemacht werden können, betrifft<br />
die fehlerhafte Bewertung in der Regel nur den laufenden<br />
Monat, in dem der Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht<br />
wird. Dieser Monat ist auf jeden Fall hinzuzurechnen.<br />
Für die Berechnung des Gegenstandswerts einer einstweiligen Anordnung<br />
auf Kindesunterhalt sind auch die bei Einreichung des Antrages fälligen Beträge<br />
gem. § 17 Abs. 4 GKG a. F. (§ 42 Abs. 5 GKG n. F.) hinzuzurechnen. 32<br />
Beispiel: Im Januar 2007 beantragt der Anwalt für seine<br />
Mandantin den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf<br />
monatlichen Unterhalt in Höhe von 500,00 E, beginnend<br />
mit dem Monat Januar 2007. Der Gegenstandswert ergibt<br />
sich aus § 53 Abs. 2 GKG und beläuft sich auf den sechsmonatigen<br />
Bezug. Dieser Wert gilt allerdings nur für den<br />
laufenden Unterhalt. Analog § 42 Abs. 5 RVG sind fällige Beträge<br />
hinzuzurechnen. Da der Unterhalt im Voraus, jeweils<br />
zu Beginn eines Monats zu zahlen ist (§ 1612 Abs. 3 S. 1<br />
BGB), ist der Unterhaltsbetrag für Januar als fälliger Betrag<br />
hinzuzurechnen. Es ergibt sich somit ein Gegenstandswert<br />
in Höhe von 3.500,00 E.<br />
Werden – wenn auch unzulässigerweise – im einstweiligen<br />
Anordnungsverfahren echte Rückstände geltend gemacht,<br />
dann sind auch diese werterhöhend zu berücksichtigen.<br />
Auch unzulässige Anträge haben ihren Wert.<br />
Wird im Verfahren der einstweiligen Anordnung über den Unterhaltsanspruch<br />
eines minderjährigen Kindes nicht nur laufender Unterhalt, sondern<br />
werden auch Unterhaltsrückstände geltend gemacht, sind die fälligen<br />
Unterhaltsbeträge dem Streitwert des laufenden Unterhalts hinzuzurechnen,<br />
obwohl der Antrag auf Zahlung von Unterhalt für die Vergangenheit im Anordnungsverfahren<br />
unzulässig ist. 33<br />
IV. Außergerichtlicher Unterhaltsvergleich<br />
Wird außergerichtlich Unterhalt geltend gemacht und dann<br />
ein Vergleich geschlossen, so wird häufig nur der zwölffache<br />
Monatsbetrag angesetzt. Zum Teil wird auch darauf abgestellt,<br />
wann der Unterhalt erstmals geltend gemacht worden<br />
ist oder wann er erstmals beziffert wurde. Ab dann werden<br />
zwölf Monate gerechnet; nur die zu diesem Zeitpunkt fälligen<br />
Beträge werden hinzu genommen. 34<br />
Alles dies ist unzutreffend. Im Rahmen einer außergerichtlichen<br />
Unterhaltsregulierung zählen alle Beträge bis<br />
zum Abschluss der außergerichtlichen Tätigkeit als fällige<br />
Beträge. Eine Klageerhebung gibt es außergerichtlich nicht.<br />
Nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG gilt für die außergerichtliche<br />
Tätigkeit der Wert, der im Falle eines gerichtlichen Verfahrens<br />
gelten würde. Wäre an dem Tag, an dem die außergerichtliche<br />
Vertretung in der Unterhaltssache durch Vergleichsabschluss<br />
endet, die Klage eingereicht worden, wären<br />
ebenfalls alle bis dato fälligen Beträge dem laufenden Bezug<br />
hinzugerechnet worden (§ 42 Abs. 5 GKG). Nichts anderes<br />
gilt dann aber auch für die außergerichtliche Tätigkeit (§ 23<br />
Abs. 1 S. 3 RVG).<br />
Dies allein entspricht auch Sinn und Zweck der Streitwertprivilegierung<br />
in § 42 Abs. 1 GKG. Während die Begrenzung<br />
des Streitwerts im gerichtlichen Verfahren die Parteien<br />
davor schützen soll, dass sich durch überlange Verfahren der<br />
Streitwert erhöht, soll außergerichtlich die laufende Erhöhung<br />
des Streitwerts die Parteien dazu anhalten, schon aus<br />
Kostengründen zu einer zügigen Regelung zu gelangen. 35<br />
28 OLG Stuttgart, AGS 2007, 47 = FamRZ 2006, 1055 = Justiz 2007, 144 = OLGR<br />
2006, 912 = FamRB 2007, 14; Ebenso OLG Köln AGS 2001, 110 = OLGR 2001,<br />
203 = MDR 2001, 941 = FamRZ 2001, 1386 = NJWE-FER 2001, 271 = EzFamR<br />
aktuell 2001, 334 = BRAGOreport 2001, 63; OLGR 2001, 9; OLGR 1994, 102 =<br />
FamRZ 1997, 41; OLG Karlsruhe FamRZ 1998, 574; München FamRZ 1997, 41;<br />
OLG Bamberg EzFamR aktuell 1994, 407 = NJW-RR 1995, 258 = FamRZ 1995,<br />
492.<br />
29 FamRZ 2002, 1642; Beschl. v. 2.8.2006 – 10 WF 140/06 (zitiert nach juris);<br />
RVGreport 2007, 38.<br />
30 OLG Hamm, AGS 2004, 30.<br />
31 OLG München, FamRZ 2007, 750 = OLGR 2007, 416 = ZFE 2007, 315 = AGS<br />
2007, 364; ebenso OLG Naumburg JurBüro 2004, 379.<br />
32 AG Siegburg, BRAGOreport 2003, 245.<br />
33 OLG Köln, AGS 2004, 164.<br />
34 Siehe zuletzt Krause, FamRB 2007, 378.<br />
35 OLG Nürnberg, AGS 2002, 232 = OLGR 2002, 248.<br />
Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 777
MN Mitteilungen<br />
Die dem Gegenstandswert gem. § 17 Abs 4 GKG a. F. (§ 42 Abs. 5 GKG<br />
n. F.) hinzuzurechnenden Beträge auf Zahlung wiederkehrender Leistungen<br />
sind im Fall der vorgerichtlichen Einigung nach den bis zum Abschluss<br />
des Vergleichs fällig werdenden Ansprüchen zu berechnen. 36<br />
Beispiel: Der Anwalt wird im Januar beauftragt, vom Antragsgegner<br />
Auskunft über dessen Einkommen zu verlangen.<br />
Nach Auskunftserteilung im Mai wird im Juni der Unterhalt<br />
beziffert. Der Anwalt verlangt für seine Mandantin<br />
500,00 E monatlich, rückwirkend ab Januar. Im Oktober<br />
wird schließlich eine Einigung getroffen, dass der Unterhaltsschuldner<br />
rückwirkend ab Januar monatlich 400,00 E<br />
zahle. Der Gegenstandswert berechnet sich wie folgt:<br />
laufender Bezug, § 42 Abs. 1 GKG (12 x 500 E) 6.000 E<br />
fällige Beträge (Januar bis Oktober)<br />
§ 42 Abs. 5 GKG (10 x 500 E) 5.000 E<br />
Gesamt 11.000 E<br />
V. Nachträgliche Klageerweiterung im Unterhaltsprozess<br />
Umstritten ist die Berechnung, wenn im Unterhaltsprozess<br />
die Klage später erweitert und rückwirkend ein höherer Unterhaltsbetrag<br />
geltend gemacht wird.<br />
Zum Teil wird vertreten, es sei auf den Zeitpunkt der Klageerhebung<br />
abzustellen. Die weiteren Zeitpunkte der Klageerweiterungen<br />
seien unbeachtlich. 37 Dies widerspricht aber<br />
dem Bewertungssystem des § 42 Abs. 1 GKG, wie das OLG<br />
Köln in einer ausführlich begründeten Entscheidung anschaulich<br />
dargelegt hat. Vielmehr ist jede Klageerweiterung<br />
streitwertmäßig wie eine eigene Klage zu behandeln, so dass<br />
die bei Einreichung des Erweiterungsantrages fälligen Erweiterungsbeträge<br />
hinzuzurechnen sind.<br />
Wird bei einer Unterhaltungsklage nach Klageeinreichung die Klage erhöht,<br />
so sind die Beträge, die auf die Zeit zwischen Klageeinreichung und Klageerweiterung<br />
fallen, streitwerterhöhende Rückstände. 38<br />
Beispiel: Im Juli 2006 reicht die Ehefrau Klage ein und beantragt<br />
Unterhalt in Höhe von 400 E seit April 2006. Im Oktober<br />
2006 erweitert die Ehefrau die Klage und begehrt einen<br />
monatlichen Unterhalt in Höhe von 600,00 Euro beginnend<br />
ab April 2006.<br />
I. Klage:<br />
Laufender Unterhalt, 12 x 400 E 4.<strong>800</strong> E<br />
Fällige Beträge (April – Juli 2006) 4 x 400 E 1.600 E<br />
Gesamt 6.400 E<br />
II. Klageerweiterung:<br />
Laufender weiterer Unterhalt, 12 x 200 E 2.400 E<br />
Fällige weitere Beträge im Zeitpunkt der<br />
Klageerweiterung (April bis Oktober)<br />
7 x 200,00 E 1.400 E<br />
Gesamt 3.<strong>800</strong> E<br />
Gesamt I. + II.<br />
Abweichende Auffassung:<br />
10.200 E<br />
I. Klage nach erweiterten Beträgen: 12 x 600 E = 7.200 E<br />
II. Bei Einreichung fällig: 4 x 600 E = 2.400 E<br />
Gesamtwert 9.600 E<br />
VI. Mehrere einstweilige Anordnungen<br />
Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG zählen mehrere einstweilige Anordnungen<br />
anlässlich desselben Hauptsacheverfahrens (häu-<br />
fig anlässlich eines Verbundverfahrens) als eine Angelegenheit,<br />
sofern sie zu derselben Buchstabengruppe des § 18<br />
Nr. 1 a) bis g) RVG zählen. Dies benachteiligt den Anwalt,<br />
weil er dann trotz mehrerer einstweiligen Anordnungsverfahren<br />
seine Vergütung nur einmal abrechnen kann (§ 15<br />
Abs. 2 S. 1 RVG). Übersehen wird dabei häufig, dass im Gegenzug<br />
nach § 18 Nr. 1, 2. Hs. RVG die Gegenstandswerte<br />
der einzelnen Anordnungsverfahren zu addieren sind, und<br />
zwar selbst dann, wenn sie denselben Gegenstand betreffen.<br />
Werden anlässlich eines Verfahrens zur elterlichen Sorge ein einstweiliges<br />
Anordnungsverfahren geführt und anschließend ein Verfahren auf Abänderung<br />
der einstweiligen Anordnung, so liegt zwar nach § 18 Nr. 1 RVG nur<br />
eine Angelegenheit vor. Die Werte der beiden Verfahren sind jedoch zu addieren.<br />
39<br />
VII. Aufnahme in den Verbund und Trennung aus dem<br />
Verbund<br />
1. Abtrennung aus dem Verbund<br />
Wird eine Folgesache aus dem Verbund abgetrennt, so dass<br />
insoweit der Verbund aufgelöst wird, also nicht bei einer<br />
Vorabentscheidung in einer Ehesache (§ 628 ZPO) oder bei<br />
einer Vorwegentscheidung über das Sorgerecht (§ 627 ZPO),<br />
dann entsteht insoweit eine neue selbständige Angelegenheit<br />
i. S. d. § 15 RVG.<br />
Sofern es sich bei dem abgetrennten Verfahren um ein<br />
Verfahren der elterlichen Sorge handelt, ist zu beachten,<br />
dass sich mit der Abtrennung auch der Wert ändert. Während<br />
sich im Verbundverfahren der Streitwert nach § 48<br />
Abs. 3 S. 3 GKG richtet (Festwert 900,00 E) beläuft sich der<br />
Geschäftswert im isolierten Verfahren gemäß §§ 94 Abs. 2,<br />
30 Abs. 2, 3 KostO auf den Regelwert von 3.000,00 E, der sogar<br />
herauf-, allerdings auch herabgesetzt werden kann.<br />
Ist eine Folgesache (hier: Sorgerecht) aus dem Ehescheidungsverbund abgetrennt<br />
worden, handelt es sich sodann um eine selbständige Familiensache.<br />
Der Gegenstandswert bemisst sich dann nicht mehr nach § 12<br />
Abs. 2 S. 3 GKG a. F. (§ 48 Abs. 3 S. 3, 2. Hs. GKG n. F.), sondern ebenfalls<br />
nach den Sondernormen (hier: § 30 KostO). 40<br />
Beispiel: In einem Verbundverfahren (Ehesache<br />
6.000,00 E, Versorgungsausgleich 1.000,00 E, elterliche<br />
Sorge 900,00 E) wird nach mündlicher Verhandlung gem.<br />
§ 623 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO die elterliche Sorge abgetrennt.<br />
Sowohl im Verbund als auch im isolierten Verfahren wird<br />
nach der Abtrennung erneut verhandelt.<br />
Jetzt entstehen mit Abtrennung nicht nur neue Gebühren.<br />
Vielmehr ändert sich auch der Gegenstandswert. Während<br />
im Verbundverfahren nach § 48 Abs. 3 S. 3 GKG ein<br />
36 OLG Nürnberg, AGS 2002, 232 = OLGR 2002, 248.<br />
37 OLG München EzFamR aktuell 2000, 7 = OLGR 2000, 73 = FuR 2000, 298 =<br />
FamRZ 2000 239; OLG Schleswig OLGR 2000, 477 = AGS 2001, 35; OLG Karlsruhe<br />
EzFamR aktuell 1999, 179 =FuR 1999, 440.<br />
38 OLG Köln, AGS 2004, 32 m. Anm. N. Schneider = FamRB 2004, 45 m. Anm.<br />
N. Schneider = AGS 2004, 32 = OLGR 2003, 301 = FamRZ 2004, 1226 = FuR<br />
2004, 380.<br />
39 OLG München, NJW-RR 2006, 357 = OLGR 2006, 283 = FuR 2006, 229<br />
= FamRZ 2006, 1218 = NJW 2006, 2196; ebenso OLG Koblenz, JurBüro 2007,<br />
2007, 203; OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 32 = FamRZ 2007, 848 = ZFE 2006, 475<br />
= RVGreport 2007, 115.<br />
40 OLG Köln, AGS 2004, 18 = J<strong>MB</strong>lNW 2003, 252 = OLGR 2003, 245 = FamRZ 2004,<br />
285; Ebenso OLG Düsseldorf J<strong>MB</strong>l NW 2000, 131 = Rpfleger 2000, 84 = OLGR<br />
2000, 74 = AGS 2000, 84 = JurBüro 2001, 136 = FamRZ 2000, 1385.<br />
778 AnwBl 11 / 2007 Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider
MN Mitteilungen<br />
Festwert von 900,00 E gilt, ist im abgetrennten Verfahren<br />
nach§§94Abs. 2,30Abs. 2,3KostOeinRegelwertvon3.000,00 E<br />
maßgebend.<br />
Dem Anwalt steht nunmehr ein Wahlrecht zu, ob er getrennt<br />
oder gemeinsam abrechnet:<br />
I. Gemeinsame Abrechnung Verbundverfahren<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 7.900,00 E) 535,60 E<br />
2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />
(Wert: 7.900,00 E) 494,40 E<br />
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 1.050,00 E<br />
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 199,50 E<br />
Gesamt 1.249,50 E<br />
II. Getrennte Abrechnung<br />
a) Verbundverfahren ohne elterliche Sorge<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 7.000,00 E) 487,50 E<br />
2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />
(Wert: 7.000,00 E) 450,00 E<br />
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 957,50 E<br />
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 181,93 E<br />
Gesamt 1.139,43 E<br />
b) Isoliertes Verfahren über elterliche Sorge<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 3.000,00 E) 245,70 E<br />
2. 1,2-Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG<br />
(Wert: 3.000,00 E) 226,80 E<br />
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 492,50 E<br />
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 93,58 E<br />
Gesamt 586,08 E<br />
Gesamt a) + b) 1.725,51 E<br />
Die getrennte Abrechnung ist also günstiger.<br />
2. Aufnahme in den Verbund<br />
Wird eine Kindessache zunächst isoliert eingeleitet und wird<br />
sie dann später nach Einreichung des Scheidungsantrages in<br />
den Verbund aufgenommen, ändert dies nichts daran, dass<br />
zunächst einmal die Gebühren nach dem höheren Wert der<br />
§§ 94 Abs. 2, 30 Abs. 2, 3 KostO im isolierten Verfahren angefallen<br />
sind. Die spätere Aufnahme in den Verbund führt<br />
zwar insoweit zu einer Reduzierung des Gegenstandswertes,<br />
weil im Verbund der Festwert nach § 48 Abs. 3 S. 3 GKG gilt.<br />
Einmal entstandene Gebühren können jedoch nicht mehr<br />
wegfallen.<br />
Gerät eine isolierte Familiensache (hier: Umgangsregelung) durch Anhängigkeit<br />
einer Scheidungssache kraft Gesetzes in den Verbund, richtet sich<br />
der Streitwert ab dann nach dem GKG. Die hierbei möglichen unterschiedlichen<br />
Gebührentatbestände sind nach dem Grundsatz einer Prozessverbindung<br />
zu behandeln, wobei bereits einmal entstandene Gebühren nicht<br />
durch die nachträgliche prozessuale Veränderung in Wegfall kommen<br />
können, jedoch auf spätere angerechnet werden. 41<br />
41 OLG Frankfurt/M., AGS 2006, 193; NJW-RR 2006, 655 = FamRZ 2006, 1057 =<br />
RVG prof. 2006, 48 = RVGreport 2006, 159 = NJW-Spezial 2006, 203 = OLGR<br />
2006, 548; Ebenso OLG Zweibrücken AGS 2006, 303 = OLGR 2006, 686 = JurBüro<br />
2006, 425 = FamRZ 2006, 1696.<br />
Beispiel: Der Vater leitet ein Umgangsrechtsverfahren ein.<br />
Später erhebt die Ehefrau Scheidungsklage (Werte: Ehesache<br />
6.000,00 E – § 48 Abs. 2, Abs. 3 GKG; Versorgungsausgleich<br />
1.000,00 E – § 49 Nr. 1 GKG). Das Umgangsrechtsverfahren<br />
wird in den Verbund aufgenommen. Anschließend wird<br />
mündlich verhandelt.<br />
I. Isoliertes Verfahren über elterliche Sorge<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 3.000,00 E) 245,70 E<br />
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 265,70 E<br />
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 50,48 E<br />
Gesamt 316,18 E<br />
II. Verbundverfahren<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 7.000,00 E - ohne elterliche Sorge) 487,50 E<br />
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG<br />
(Wert: 7.900,00 E – mit elterlicher Sorge) 494,40 E<br />
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 1.001,90 E<br />
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 190,36 E<br />
Gesamt 1.192,26 E<br />
Gesamt I. + II. 1.508,44 E<br />
Bei einer gemeinsamen Abrechnung würde der Anwalt dagegen<br />
nur erhalten:<br />
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG<br />
(Wert: 7.900,00 E) 535,60 E<br />
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG<br />
(Wert: 7.900,00 E) 494,40 E<br />
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 E<br />
Zwischensumme 1.050,00 E<br />
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 199,50 E<br />
Gesamt 1.249,50 E<br />
Die getrennte Abrechnung ist daher auch hier günstiger.<br />
Norbert Schneider, Neunkirchen<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des Ausschusses<br />
RVG und Gerichtskosten des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />
Aktuelle Streitfragen beim Streitwert, Schneider AnwBl 11 / 2007 779
MN Mitteilungen<br />
Anwaltsvergütung<br />
_______________________________________________________<br />
Das Erfolgshonorar – was<br />
heute schon möglich ist<br />
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />
Das Verbot des Erfolgshonorars gilt trotz seiner teilweisen<br />
Verfassungswidrigkeit noch bis zum 30. Juni 2008. Doch was<br />
viele Anwälte nicht wissen: Schon heute kann sich der Anwalt<br />
für einen bestimmten Erfolg besser vergüten lassen,<br />
wenn nur die Erhöhung gesetzlicher Gebühren vereinbart<br />
wird (§ 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO). Seit dem 1. Juli 2004 gilt<br />
die Vorschrift. Der Beitrag gibt anhand konkreter Formulierungen<br />
Anregungen für die Gestaltung eigener Vergütungsvereinbarungen<br />
und berücksichtigt auch die in der Literatur<br />
vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zur Reichweite<br />
von § 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO, die für die Frage der Wirksamkeit<br />
einer Vereinbarung wichtig werden können.<br />
Im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2007,561ff. 1 sind die zu § 49 b Abs. 2 Satz 2<br />
BRAO („Ein Erfolgshonorar im Sinne des Satzes 1 liegt nicht<br />
vor, wenn nur die Erhöhung von gesetzlichen Gebühren vereinbart<br />
wird.“) vertretenen Auffassungen ausführlich dargestellt<br />
worden. Auf dem Hintergrund dieses Meinungsspektrums<br />
ergeben sich folgende denkbare Gestaltungsformen<br />
von erfolgsbezogenen Vergütungsvereinbarungen 2 :<br />
1. Strengste Auffassung<br />
Nach der strengsten Auffassung drückt die Neuregelung des<br />
§ 49 b Abs. 2 Satz 2 BRAO lediglich aus, dass dann, wenn die<br />
Parteien per Vergütungsvereinbarung das Doppelte der gesetzlichen<br />
Vergütung vereinbaren, der Anwalt im Falle einer<br />
Einigung auch das Doppelte der Einigungsgebühr erhält 3 :<br />
§ 1 Für das Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., vereinbaren die Parteien,<br />
dass die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 mit einem Gebührensatz von<br />
2,6, der Vergütungstatbestand VV Nr. 3101 mit einem Gebührensatz<br />
von 1,6, die Terminsgebühr VV Nr. 3104 mit einem Gebührensatz von<br />
2,4 und der Vergütungstatbestand VV Nr. 3105 mit einem Gebührensatz<br />
von 1,0, die Vergütungstatbestände VV Nrn. 1000 bzw. 1003 mit den<br />
Gebührensätzen 3,0 bzw. 2,0 entstehen. 4<br />
§ 2 Im Übrigen verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
2. Weite Auffassung<br />
Die weite Auffassung geht davon aus, dass ein Erfolgshonorar<br />
unter der Voraussetzung zulässig ist, dass der Mandant<br />
in jedem Fall, also auch im Misserfolgsfall, die gesetzlichen<br />
Gebühren schuldet 6 :<br />
§ 1 Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung<br />
des RVG; eine evtl. in diesem Verfahren entstehende Einigungsgebühr<br />
nach Nr. 1003 beträgt aber abweichend von den gesetzlichen Werten<br />
5.000 E, es sei denn, die gesetzlichen Werte führen zu einem höheren<br />
Gebührenbetrag.<br />
§ 2 Im Übrigen verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
3. Mittelmeinungen<br />
Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung der<br />
Möglichkeiten des § 49b Abs. 2 Satz 2 BRAO (Mittelmeinun-<br />
gen): Subjektive Auslegung auf der Basis der Gesetzesbegründung<br />
mit der Folge, dass nur die Erhöhung der im<br />
RVG enthaltenen erfolgsbezogenen Gebühren möglich ist: 7<br />
a) Erhöhung der Einigungsgebühr<br />
Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />
RVG. Eine evtl. in diesem Verfahren entstehende Einigungsgebühr nach VV<br />
Nr. 1003 entsteht mit einem Gebührensatz von 2,0. 5<br />
b) Erhöhung der Erledigungsgebühr<br />
§ 1 Für die außergerichtliche Vertretung zur Durchsetzung des Antrags<br />
vom ... auf Erteilung eines Bauvorbescheids für das Grundstück ... gilt<br />
die gesetzliche Vergütung des RVG. Hiervon abweichend entsteht jedoch<br />
eine evtl. anfallende Erledigungsgebühr nach VV Nr. 1002 mit einem<br />
Gebührensatz von 3,0.<br />
§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
4. Vergütungsvereinbarung mit erfolgsbezogener Erhöhung<br />
aller Gebühren 8<br />
§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des RVG;<br />
kommt es in diesem Verfahren zu einer Einigung über sämtliche anhängige<br />
Gegenstände im Sinne des Vergütungstatbestands VV<br />
Nr. 1003, fällt die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 mit einem Gebührensatz<br />
von 2,6, die Terminsgebühr nach VV Nr. 3104 mit einem Gebührensatz<br />
von 2,4 und die Einigungsgebühr nach VV Nr. 1003 mit einem<br />
Gebührensatz von 2,0 an. 9<br />
§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
5. Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Voraussetzung<br />
für die Erhöhung der Einigungsgebühr 10<br />
a) Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Regelung des Erfolgsbezugs<br />
und Erhöhung nur erfolgsbezogener Gebühren<br />
§ 1 1. Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />
RVG. Sofern es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des<br />
Vergütungstatbestands VV Nr. 1003 kommt und Inhalt der Einigung<br />
eine Zahlungsverpflichtung des Mandanten/der Mandantin von weniger<br />
als ... Euro ist, entsteht die Einigungsgebühr nach VV Nr. 1003 abweichend<br />
von den gesetzlichen Werten mit dem Gebührensatz von<br />
3,0.<br />
2. Bei der Beurteilung, ob die in Absatz 1 genannte, für die Entstehung<br />
der Höhe der Einigungsgebühr maßgebende Grenze der Zahlungsverpflichtung<br />
erreicht wird, bleiben evtl. ebenfalls im Wege der Einigung<br />
mitgeregelte Kostenerstattungsansprüche außer Betracht.<br />
§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
1 Mayer, Das Erfolgshonorar- de lege lata und de lege ferenda<br />
2 Die folgenden und viele andere Muster in Mayer, Gebührenformulare, Teil 1, §1<br />
Rn. 198 ff.<br />
3 Vgl. Schneider, Vergütungsvereinbarung Rn 332, 361f.; vgl. auch Hartung/Römermann/Schons,<br />
§ 4 Rn 80.<br />
4 Da sich die Vergütungsvereinbarung am Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB<br />
messen lassen muss (s. hierzu Mayer, AGB-Kontrolle und Vergütungsvereinbarung,<br />
AnwBl 2006, 168ff.), ist es ratsam, die Erhöhung nicht lediglich pauschal<br />
(„das Doppelte der“) zu beschreiben.<br />
5 Zu den ebenfalls zu empfehlenden Hinweisen in der Vergütungsvereinbarung auf<br />
das Verhältnis der vereinbarten zu der gesetzlichen Vergütung, Einschränkungen<br />
bei der gesetzlichen Kostenerstattungspflicht und den Umfang einer evtl. eintrittspflichtigen<br />
Rechtschutzversicherung vgl. unter Muster 6 b, dort §§ 5, 6.<br />
6 Vgl. Pohl, Berliner <strong>Anwaltsblatt</strong> 2005, 102ff., 106f.<br />
7 Vgl. Mayer/Kroiß-Mayer, § 1 Rn 249; Mayer, Vertragsrecht und Vergütung, AnwBl<br />
2006, 160ff., 165; Burhoff, RVG, Teil B, „Erfolgshonorar (§ 49 II BRAO)“ Rn 6; Enders,<br />
RVG für Anfänger Rn 303f.; Gerold/Schmidt-Madert, § 4 Rn 58; Madert, Zulässiges<br />
und unzulässiges Erfolgshonorar, AGS 2005, 536ff., 538; Hinne/Klees/<br />
Teubel/Winkler, § 1 Rn 59.<br />
8 Vgl. Braun, Festschrift für Madert, 43ff., 55f.; Bischof/Bischof, §4Rn122<br />
9 Siehe oben Fußnote Nr. 4.<br />
10 Vgl. Bischof, Festschrift für Madert, 1ff., 6; Bischof/Bischof, § 4 Rn 124; vgl. auch<br />
Winkler, Festschrift für Madert, 239ff., 246.<br />
780 AnwBl 11 / 2007 Das Erfolgshonorar was heute schon möglich ist, Mayer
MN Mitteilungen<br />
b) Vergütungsvereinbarung mit inhaltlicher Regelung des<br />
Erfolgsbezugs und Erhöhung sämtlicher Gebühren<br />
§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des RVG. Sofern<br />
es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des Vergütungstatbestands<br />
VV Nr. 1003 kommt und Inhalt der Einigung eine Zahlungsverpflichtung<br />
des Mandanten/der Mandantin von weniger als ...<br />
Euro ist, beträgt die Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3100 3,9, die Terminsgebühr<br />
VV Nr. 3104 3,6 und die Einigungsgebühr VV Nr. 1003<br />
3,0. 11<br />
§ 2 Ansonsten verbleibt es bei den Regelungen des RVG. 5<br />
6. Vergütungsvereinbarung mit inhaltlich definiertem Erfolgsbezug<br />
und Staffelung nach dem Ergebnis:<br />
a) Muster für Vergütungsvereinbarung mit nach Inhalt des<br />
erzielten Erfolgs gestaffelter Vergütung<br />
§ 1 Im Verfahren beim Arbeitsgericht ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung<br />
des RVG.<br />
§ 2 Kommt es in diesem Verfahren zu einer Einigung im Sinne des Vergütungstatbestands<br />
VV Nr. 1003 der Parteien, gilt folgendes: 12<br />
9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />
gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 10.000 E,<br />
entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />
VV Nr. 3100 1,3; Terminsgebühr VV Nr. 3104 1,2;<br />
Einigungsgebühr VV Nr. 1003 1,0.<br />
9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />
gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 20.000 E,<br />
entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />
VV Nr. 3100 2,6; Terminsgebühr VV Nr. 3104 2,8;<br />
Einigungsgebühr VV Nr. 1003 2,0.<br />
9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />
gemäß den §§ 9, 10 KSchG von bis zu maximal 30.000 E,<br />
entstehen die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />
VV Nr. 3100 3,9; Terminsgebühr VV Nr. 3104 3,6; Einigungsgebühr<br />
VV Nr. 1003 3,0.<br />
9 Verpflichtet sich der Prozessgegner zur Zahlung einer Sozialabfindung<br />
gemäß den §§ 9, 10 KSchG von mehr als 30.000 E, entstehen<br />
die Gebühren des RVG mit folgenden Werten: Verfahrensgebühr<br />
VV Nr. 3100 5,2; Terminsgebühr VV Nr. 3104 4,8;<br />
Einigungsgebühr VV Nr. 1003 4,0.<br />
b) Muster für Vergütungsvereinbarung mit nach Inhalt des<br />
erzielten Urteils gestaffelter Vergütung 13 :<br />
§ 1 Im Verfahren beim ..., Az. ..., gilt die gesetzliche Vergütung des<br />
RVG.<br />
§ 2 Hiervon abweichend entstehen die Verfahrensgebühr VV Nr. 3100<br />
und die Terminsgebühr VV Nr. 3104 in folgender Höhe: 14<br />
9 Bei vollständiger Klagabweisung: Verfahrensgebühr VV<br />
9<br />
Nr. 3100 3,9; Terminsgebühr VV Nr. 3104 3,6.<br />
Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von nicht mehr als<br />
30.000 E: Verfahrensgebühr VV Nr. 3100 2,6; Terminsgebühr VV<br />
Nr. 3104 2,4.<br />
9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von über 30.000 E verbleibt<br />
es bei den im RVG vorgesehenen Beträgen.<br />
11 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />
12 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />
13 Vgl. Braun, Festschrift für Madert, 43ff., 55f.<br />
14 S. oben Fußnote Nr. 4.<br />
15 Belehrung ist Ausfluss des aus § 4 I 3 RVG folgenden „faktischen Zwangs“:Begriff<br />
nach Krämer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und management Rn 546; zur<br />
Freiwilligkeit in § 4 I 3 RVG s. näher auch Mayer, Vertragsrecht und Vergütung,<br />
AnwBl 2006, 160ff., 163.<br />
16 Eine diesbezügliche Belehrung empfehlen Krämer/Mauer/Kilian, aaO Rn 588.<br />
17 S. hierzu die Empfehlung von AnwK-RVG/Rick, § 4 Rn 16; Krämer/Mauer/Kilian,<br />
aaO Rn 588; vgl. auch LG Düsseldorf, NJW 2000, 1650.<br />
§ 3 Wird der Rechtsstreit erst in 2. Instanz rechtskräftig entschieden, gelten<br />
folgende Regelungen:<br />
9 Bei vollständiger Klagabweisung: der Vergütungstatbestand VV<br />
Nr. 3200 entsteht mit einem Satz von 4,8; der Vergütungstatbestand<br />
VV Nr. 3202 entsteht mit einem Satz von 3,6.<br />
9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von nicht mehr als<br />
30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 3200 entsteht mit einem<br />
Satz von 3,2; der Vergütungstatbestand VV Nr. 3202 entsteht mit einem<br />
Satz von 2,4.<br />
9 Bei Verurteilung einer Zahlungsverpflichtung von über 30.000 E<br />
verbleibt es bei den im RVG vorgesehenen Beträgen.<br />
§ 4 Sollte der Rechtsstreit nicht durch Urteil, sondern im Wege einer Einigung<br />
der Parteien beendet werden, fällt zu den in den §§ 1 und 2 genannten<br />
Gebühren noch die Einigungsgebühr in folgender Höhe an:<br />
9 Bei Einigung in 1. Instanz ohne jegliche Zahlungsverpflichtung: der<br />
Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht mit einem Satz von 3,0.<br />
9 Bei Einigung in 1. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von nicht<br />
mehr als 30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht<br />
mit einem Satz von 2,0.<br />
9 Bei Einigung in 1. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von über<br />
30.000 E: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1003 entsteht in der im<br />
Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höhe.<br />
Wird die Einigung in der Berufungsinstanz getroffen, gilt folgendes:<br />
9 Bei Einigung in 2. Instanz ohne jegliche Zahlungsverpflichtung: der<br />
Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht mit einem Satz von 3,9.<br />
9 Bei Einigung in 2. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von nicht<br />
mehr als 30.000 Euro: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht<br />
mit einem Satz von 2,6.<br />
9 Bei Einigung in 2. Instanz mit einer Zahlungsverpflichtung von über<br />
30.000 Euro: der Vergütungstatbestand VV Nr. 1004 entsteht in der<br />
im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höhe.<br />
§ 5 Soweit es in dem in § 1 genannten Verfahren durch Urteil oder Einigung<br />
zu keiner Zahlungsverpflichtung oder zu einer Zahlungsverpflichtung<br />
kommt, die den Betrag von 30.000 Euro nicht übersteigt, übersteigt<br />
die in den §§ 1, 2, 3 und 4 vereinbarte Vergütung die gesetzliche<br />
Vergütung. 15<br />
§ 6 Sollte es zu einer gesetzlichen Kostenerstattungspflicht in dem in § 1<br />
genannten Verfahren kommen, sind nur Kosten in Höhe der gesetzlichen<br />
Gebühren erstattungsfähig. Die darüber hinausgehenden Differenzbeträge<br />
trägt der Mandant/die Mandantin. 16<br />
Soweit die in den §§ 1 – 4 vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren<br />
übersteigt, trägt eine evtl. eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung<br />
die Kosten nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren. Die<br />
darüber hinausgehenden Differenzbeträge trägt der Mandant/die Mandantin.<br />
17<br />
Dr. Hans-Jochem Mayer, Bühl<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />
sowie Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er ist Mitglied<br />
im Gesetzgebungsausschuss RVG und Gerichtskosten<br />
des DAV.<br />
Das Erfolgshonorar was heute schon möglich ist, Mayer AnwBl 11 / 2007 781
MN Mitteilungen<br />
RVG-Frage des Monats<br />
_______________________________________________________<br />
Geschäftsgebühr auf die<br />
Verfahrensgebühr anrechnen?<br />
Wie die Praxis mit der Entscheidung des BGH<br />
(AnwBl 2007, 630) umgeht<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 7. März 2007<br />
(AnwBl 2007, 630) entschieden, dass die bereits entstandene<br />
Geschäftsgebühr im anschließenden gerichtlichen Verfahren<br />
die Verfahrensgebühr vermindert. Die gerichtliche Praxis<br />
hatte die Anrechung stets anders herum vorgenommen.<br />
Die Entscheidung des BGH und dazu die eher verwirrende<br />
Unterschiedlichkeit der Interpretationen (vgl. Schons, Hansens<br />
und Schneider in AGS 2007, 284, 285 und 287 sowie<br />
Volpert, RVGprofessionell 2007, 91 und 127; Enders, JurBüro<br />
2007, 337; Bischof, JurBüro 2007, 341; Schneider, NJW 2007,<br />
2001; Hansens, RVGreport 2007, 121) hat zu Unsicherheiten<br />
geführt. So wie die Entscheidung formuliert war, konnte<br />
man sie auch dahin verstehen, dass eine in der selben Angelegenheit<br />
angefallene Geschäftsgebühr in jedem Fall auf eine<br />
anschließend entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen<br />
und dies auch bei der Kostenfestsetzung zu Lasten der Gefahrensgebühr<br />
zu berücksichtigen sei. Dass eine in der Kostenfestsetzung<br />
zu berücksichtigende Verfahrensgebühr immer<br />
und ohne Ausnahme um eine evtl. vorangegangene<br />
Geschäftsgebühr entsprechend Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV<br />
zu reduzieren ist, hat der BGH aber nicht ausdrücklich in<br />
seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Inzwischen<br />
gibt es einige Beiträge in der Literatur, die insoweit um Klarstellung<br />
bemüht sind und außerdem erfreulicherweise eine<br />
aktuelle Entscheidung des Kammergerichts (Beschl. v. 17.<br />
Juli 2007 – 1 W 256/07, AGS 9/2007, 439 mit Anm. Schneider)<br />
sowie einen Beschluss des OLG München vom 30. August<br />
2007 – 11 W 1779/07, in diesem Heft auf Seite 797).<br />
Klarstellende Hinweise in der Literatur<br />
Bei den bisher veröffentlichten Kommentaren zu der BGH-<br />
Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass aus dieser Entscheidung<br />
nicht der Schluss gezogen werden sollte, dass im<br />
Kostenfestsetzungsverfahren stets nur noch die um die Anrechnung<br />
der Geschäftsgebühr reduzierte Verfahrensgebühr<br />
festgesetzt werden könne. Vielmehr sei die Anrechnung der<br />
Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nur dann<br />
und insoweit vorzunehmen, als im Urteil die volle Geschäftsgebühr<br />
bereits tituliert worden ist. Grund: Der Beklagte soll<br />
nicht mehr an Kosten erstatten müssen, als dem Kläger gegenüber<br />
seinem Prozessbevollmächtigten überhaupt entstanden<br />
sind. Nur insoweit fehle das Rechtschutzinteresse an der<br />
Titulierung der vollen Verfahrensgebühr, weil nämlich bereits<br />
ein Vollstreckungstitel über die volle Geschäftsgebühr<br />
vorliegt. Ohne einen Titel über die volle Geschäftsgebühr<br />
könne wiederum die volle Verfahrensgebühr festgesetzt werden.<br />
Grund: Der Beklagte soll erstattungsrechtlich nicht davon<br />
profitieren können, dass der Kläger nicht die volle Geschäftsgebühr<br />
hat titulieren lassen (vgl. Volpert, RVG prof.<br />
aaO, 127, 130; Schneider, NJW aaO 2001, 2006, Schneider,<br />
AGS 2007, 287).<br />
Gibt es also keinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch<br />
im Hinblick auf die Geschäftsgebühr gegen<br />
den Streitgegner, dann hat die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
überhaupt nichts zu suchen. Der Kostenfestsetzungsbeamte<br />
soll also nur prüfen, ob eine anzurechnende<br />
Geschäftsgebühr im Urteil tituliert ist, oder unstreitig<br />
bereits in voller Höhe zwischen Mandant und Anwalt geflossen<br />
ist. Ist das der Fall, dann muss der insoweit titulierte<br />
oder bereits gezahlte Betrag entsprechend der Anrechnungsvorschrift<br />
aus Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV von der angemeldeten<br />
Verfahrensgebühr abgezogen werden.<br />
Klarstellende Ausführungen des Kammergerichts<br />
Unter dem einprägsamen Entscheidungsdatum 17. Juli 2007<br />
hat nun auch das Kammergericht diese Interpretation der<br />
BGH-Entscheidung bestätigt. Dort heißt es im Leitsatz:<br />
„Im Kostenfestsetzungsverfahren kommt eine Anrechnung der<br />
Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die Verfahrensgebühr<br />
des nachfolgenden Rechtsstreits nur dann in Betracht,<br />
wenn die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren tituliert worden<br />
ist oder der Kostenerstattungsschuldner die Geschäftsgebühr<br />
bereits außergerichtlich erstattet hat und dies im Festsetzungsverfahren<br />
unstreitig ist.“<br />
Für eine endgültig klarstellende Beurteilung durch den<br />
BGH hat das KG die Rechtsbeschwerde zugelassen. Dabei<br />
bezieht sich das KG auf den Sinn und Zweck der Anrechnungsregel<br />
in Vorbem. 3 Abs. 4 VV. Diesen sieht das Berliner<br />
Gericht darin, den Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar<br />
und insbesondere auch davor zu schützen,<br />
dass der Rechtsanwalt allein im Hinblick auf seinen Vergütungsanspruch<br />
ein gerichtliches Verfahren einleitet. Materiell-rechtliche<br />
Einwendungen – zu denen die Anrechnung<br />
der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die<br />
zu erstattende Verfahrensgebühr gehört – sind im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
nur dann beachtlich, wenn sie unstreitig<br />
oder evident sind. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn<br />
die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch<br />
in voller Höhe tituliert oder unstreitig außergerichtlich<br />
ausgeglichen worden ist.<br />
Mit der vollen Kraft der Logik lautet der Kernsatz in der<br />
Begründung des KG: „Jedenfalls für den Bereich des Zivilprozesses<br />
ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die unterlegene<br />
Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten haben soll,<br />
weil der Rechtsanwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Geschäft<br />
seines Mandanten betrieben hat.“<br />
Fragen zum RVG und zum Thema Vergütungsvereinbarung können DAV-Mitglieder<br />
im Internet-Forum unter www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben sich<br />
seit August 2004 über 4.900 Forumsteilnehmer registriert und etwa 7.700 Beiträge<br />
eingestellt. Das DAV-Anwaltsforum „Vergütungsvereinbarung“ ist seit Anfang Februar<br />
2006 und das DAV-Anwaltsforum „Streitwertforum“ seit August 2006 online.<br />
Udo Henke, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Geschäftsführer des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s und Mitglied der Redaktion<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />
782 AnwBl 11 / 2007 Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anrechnen?, Henke
MN Mitteilungen<br />
Soldan Institut<br />
_______________________________________________________<br />
Warum Bürger keinen<br />
Anwalt beauftragen<br />
Wie Rechtsprobleme ohne Anwalt gelöst werden<br />
Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach und<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Im Rahmen seiner umfassenden Bevölkerungsstudie „Mandanten<br />
und ihre Anwälte“ * hat das Soldan Institut unter anderem<br />
die Strategien ermittelt, die Bürger bei Auftreten eines<br />
Rechtsproblems zu dessen Lösung verfolgen. Ausgangsbefund<br />
war, dass 22% der Befragten im Zeitraum von 2002<br />
bis 2006 mindestens einem Rechtsproblem ausgesetzt waren,<br />
in dessen Folge sie keinen Rechtsanwalt zur Problemlösung<br />
zu Rate zogen. Für die Anwaltschaft ist die Kenntnis<br />
der Gründe, warum Bürger von der Inanspruchnahme eines<br />
Anwalts absehen wichtig, um künftig weiteres Marktpotenzial<br />
zu erschließen.<br />
I. Demographische Einflussfaktoren<br />
Männer hatten im Untersuchungszeitraum mit 30% deutlich<br />
häufiger als Frauen (16%) ein rechtliches Problem, das sie<br />
ohne die Hilfe eines Rechtsanwalts bearbeiteten. Neben dem<br />
Geschlecht hat auch der Bildungsabschluss einen Einfluss<br />
auf die Art und Weise der Lösung rechtlicher Probleme: Je<br />
höher der Bildungsabschluss, desto häufiger wird ein Rechtsproblem<br />
ohne die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen<br />
gelöst. Der Anteil der Bürger mit einem hohen Bildungsabschluss,<br />
die ein Rechtsproblem ohne anwaltliche<br />
Hilfe gelöst haben, ist mit 34% mehr als doppelt so hoch wie<br />
der Anteil der Bürger mit einem niedrigen Bildungsabschluss<br />
(15%).<br />
Dieser Befund dürfte ein Indikator dafür sein, dass mit<br />
steigendem Bildungsgrad das Vertrauen zunimmt, sich<br />
selbst die für die Lösung eines Rechtsproblems notwendigen<br />
Kenntnisse aneignen zu können. Darüber hinaus dürfte mit<br />
steigender Bildung auch das informelle Konfliktlösungsrepertoire<br />
differenzierter ausgebildet sein, das zu einer informellen<br />
Konfliktlösung erforderlich ist. Ein weiterer Grund<br />
wird sein, dass ein gewisser Anteil von Personen mit einem<br />
hohen Bildungsabschluss entweder selbst Jurist ist oder zumindest<br />
ausbildungsbedingt über juristische Grundkenntnisse<br />
verfügt (z. B. Betriebswirtschaftler).<br />
Deutlich wird zugleich, dass Personen mit niedrigerem<br />
Bildungsabschluss den Zugang zum Recht deutlich häufiger<br />
nur mit fremder Hilfe sicherstellen können. Da diese Personengruppe<br />
nach eigener Einschätzung zudem in geringerem<br />
Maße die Möglichkeit hat, im eigenen Umfeld privat<br />
qualifizierten Rat einzuholen, stellt sich für sie die Frage der<br />
Finanzierbarkeit von Rechtsrat besonders nachhaltig.<br />
Einen Einfluss auf die Entscheidung, einen Rechtsanwalt<br />
zu beauftragen, hat auch die Häufigkeit der Inanspruchnahme<br />
von Rechtsanwälten in der Vergangenheit: Befragte,<br />
die in den letzten fünf Jahren mehrmals einen Rechtsanwalt<br />
in Anspruch genommen haben, haben auch signifikant häufiger<br />
ein Rechtsproblem ohne Rechtsanwalt gelöst: 24% der-<br />
jenigen, die im Untersuchungszeitraum wiederholt Rechtsprobleme<br />
hatten, lösten ihre Rechtsprobleme (auch) ohne<br />
Rechtsanwalt, hingegen nur 7% der Bürger ohne frühere<br />
Rechtsprobleme. Hierfür sind mehrere Erklärungen denkbar:<br />
Der häufige Umgang mit Rechtsproblemen und Rechtsanwälten<br />
kann einen edukativen Effekt dahingehend haben,<br />
dass bestimmte Rechtsprobleme eigenständig gelöst werden<br />
können und die Einschaltung eines Rechtsanwalts selektiver<br />
erfolgt als bei Personen, die seltener vor der Entscheidung<br />
stehen, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.<br />
Die häufige Inanspruchnahme von Rechtsanwälten könnte<br />
aber auch zu einer höheren Kostensensibilität führen, so<br />
dass in stärkerem Maße Kosten und Nutzen der Beauftragung<br />
eines Rechtsanwalts abgewogen werden.<br />
III. Problemlösungsstrategien<br />
Vor dem Hintergrund des umfassenden Rechtsdienstleistungsmonopols<br />
der Anwaltschaft erlangt die Frage besondere<br />
Bedeutung, wie sich Personen mit Rechtsproblemen behelfen,<br />
die sich gegen die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe<br />
entscheiden. Aus rechtspolitischer Sicht günstig erscheint<br />
zunächst, dass die Entscheidung gegen die Beauftragung eines<br />
Rechtsanwalts nicht zugleich bedeutet, dass die Betroffenen<br />
das Rechtsproblem auf sich beruhen lassen: Lediglich<br />
6% der Personen, die keinen Rechtsanwalt beauftragt haben,<br />
geben an, dass überhaupt keine Auseinandersetzung mit<br />
dem Rechtsproblem stattgefunden hat.<br />
Prozentuiert man diesen Wert auf die Gesamtgruppe aller<br />
Personen in Deutschland, die einem Rechtsproblem ausgesetzt<br />
sind, ergibt sich, dass nur 1,5% aller Betroffenen von<br />
vorneherein von jeglicher Problemlösung absehen. Dieser<br />
Wert ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Auslands<br />
bemerkenswert: So ist für England und Wales festgestellt<br />
worden, dass rund 9% der von Rechtsproblemen Betroffenen<br />
keinerlei Problemlösung suchen, sondern die Angelegenheit<br />
auf sich beruhen lassen. Aus den USA sind für die sog.<br />
„inaction“ noch höhere Werte bekannt, wenngleich nur für<br />
einkommensschwache Gruppen: Die Inaktivität erreicht dort<br />
Spitzenwerte von bis zu 38%. 1<br />
In Deutschland sieht das Bild deutlich anders aus: 68%<br />
der Zugehörigen zur Teilgruppe der Befragten, die bei einem<br />
Rechtsproblem keinen Anwalt einschalteten, haben das Problem<br />
zumindest in Eigeninitiative bearbeitet, es also nicht<br />
auf sich beruhen lassen.Mehr als ein Viertel der Teilgruppe<br />
(28%) hat zwar keinen Rechtsanwalt beauftragt, aber sich<br />
doch von einem Dritten beraten lassen und sich nicht an eigener<br />
Problemlösung versucht. 31% derjenigen, die von<br />
einer Beauftragung eines Anwalts absahen und sich anderweitig<br />
beraten ließen, wandten sich an eine Beratungseinrichtung<br />
(Abb. 1). Mit 64% werden vor allem nahestehende<br />
Personen ins Vertrauen gezogen, ganz überwiegend solche,<br />
bei denen die Betroffenen vom Vorhandensein besonderer<br />
Rechtskenntnisse ausgehen.<br />
* Die Gesamtstudie „Mandanten und ihre Anwälte: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage<br />
zur Inanspruchnahme und Bewertung von Rechtsdienstleistungen“ ist<br />
im Anwaltverlag veröffentlicht worden, ISBN 978-3-8240-5404-6, 15,- EUR“. Zu<br />
Studie und Forschungsdesign Hommerich/Kilian/Wolf, AnwBl 2007, 445f.<br />
1 Hommerich/Kilian, aaO,S.92<br />
Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen, Soldan Institut AnwBl 11 / 2007 783
MN Mitteilungen<br />
Die Art und Weise, wie das Rechtsproblem, zu dessen Bearbeitung<br />
kein Anwalt bzw. keine Anwältin hinzugezogen<br />
wurde, gelöst wurde, variiert nach dem Geschlecht der Betroffenen<br />
Mit 72% haben deutlich häufiger Männer ein Problem<br />
selbst in die Hand genommen als Frauen (63%). Da<br />
Frauen sich nur leicht häufiger (30% zu 28%) von jemand<br />
anderem als einen Anwalt beraten lassen als Männer, korrespondiert<br />
die geringere Neigung zu eigenständiger Problemlösung<br />
unmittelbar mit einer höheren Bereitschaft,<br />
Rechtsstreitigkeiten auf sich beruhen zu lassen: Frauen verfolgen<br />
mit 9% eine Sache mehr als doppelt so häufig wie<br />
Männer (4%) nicht weiter. Da auch in der Gruppe der Personen,<br />
die bei rechtlichen Problemen einen Anwalt beauftragt<br />
haben, der Anteil der Männer deutlich höher liegt als jener<br />
der Frauen, könnte eine Erklärung eine in diesen<br />
Einzelbefunden zum Ausdruck kommende, grundsätzlich<br />
niedrigere Konfliktneigung von Frauen sein, die sich in der<br />
geringeren Bereitschaft zur Beauftragung von Rechtsanwälten<br />
und in einer ausgeprägteren Bereitschaft, Streitigkeiten<br />
auf sich beruhen zu lassen, manifestiert.<br />
Abb. 1: Gewählte Alternativen zur Beauftragung eines Rechtsanwalts<br />
Wie rechtliche Probleme ohne anwaltliche Hilfe behandelt<br />
werden, hängt auch vom Bildungsabschluss und dem monatlichen<br />
Haushaltsnettoeinkommen ab. Befragte mit akademischem<br />
Bildungshintergrund haben sich mit 77% am häufigsten<br />
selbst geholfen. Befragte mit mittlerer Reife oder Abitur<br />
haben mit 33% am häufigsten eine Beratungsstelle kontaktiert.<br />
Auch in diesem Punkt bestätigt sich, dass der Bildungsgrad<br />
maßgeblichen Einfluss auf das Vertrauen in die Möglichkeit eigenverantwortlicher<br />
Problemlösung und die Wirksamkeit<br />
verfügbarer Konfliktlösungsrepertoires hat. Bildungsschwächere<br />
Bevölkerungsgruppen bedürfen offensichtlich besonderer<br />
Hilfestellung bei der Lösung rechtlicher Konflikte.<br />
IV. Gründe der Nicht-Beauftragung<br />
Die Befragten, die auf ein rechtliches Problem nicht mit der<br />
Beauftragung eines Rechtsanwalts reagierten, wurden gebeten,<br />
eine Auswahl von Gründen zu bewerten, die gegen die<br />
Beauftragung eines Rechtsanwalts sprachen. Fast jeder<br />
Zweite aus dieser Teilgruppe (48%) wollte die Sache nicht<br />
weiter zuspitzen und vermied es deshalb, einen Rechtsanwalt<br />
zu beauftragen. 35% ziehen gegenüber Rechtsanwälten<br />
andere Ratgeber vor. Die Kosten sind für 32% ein wichtiger<br />
Grund, keinen Anwalt einzuschalten. 21% verzichteten<br />
auf professionelle Beratung, weil sie zuvor schlechte Erfahrungen<br />
mit einem Rechtsanwalt gemacht hatten. 17% hätten<br />
einen Anwalt in Anspruch genommen, wenn sie vom Staat<br />
Prozesskosten- oder Beratungshilfe erhalten hätten. 12%<br />
Abb. 2: Die wichtigsten Gründe, in dieser Sache keinen Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />
zu haben (volle Zustimmung und Zustimmung)<br />
schreckte das allgemein negative Image der Juristen von einer<br />
formalisierten Konfliktlösung ab. Sie stimmen der Aussage<br />
„ich wollte mit der Welt der Juristen nichts zu tun haben“<br />
explizit zu. Die Anwaltssuche stellte für relativ wenige<br />
der Befragten eine Barriere zum Rechtsanwalt dar. 6% gaben<br />
als Grund für die Nichtinanspruchnahme einer anwaltlichen<br />
Beratung zu, keinen Rechtsanwalt gefunden zu haben. Für<br />
4% stellte die Nicht-Verfügbarkeit eines Anwalts vor Ort ein<br />
Hindernis für eine mögliche Beauftragung dar. Die Ablehnung<br />
der Kostenübernahme seitens der Rechtsschutzversicherung<br />
war für 5% ein Grund, keinen Anwalt einzuschalten.<br />
Männer und Frauen nehmen hier teilweise eine unterschiedliche<br />
Bewertung vor. Männliche Befragte haben signifikant<br />
häufiger schlechte Erfahrungen mit einem Rechtsanwalt<br />
gesammelt als Frauen. Für Männer ist auch der<br />
Kostenaspekt leicht bestimmender als für Frauen. Eine Differenzierung<br />
nach Art der Erwerbstätigkeit zeigt, dass für Befragte,<br />
die im Erwerbsleben einer höher qualifizierten bzw.<br />
leitenden Tätigkeit nachgehen, frühere schlechte Erfahrungen<br />
mit einem Anwalt einen wichtigen Grund für die Entscheidung<br />
gegen die Inanspruchnahme eines Anwalts darstellen.<br />
Für Befragte, die eine Erwerbstätigkeit, die niedrigere<br />
Qualifikationen erfordert, ausüben, bewerten signifikant<br />
häufiger die nicht erhaltende staatliche Förderung als wichtigen<br />
Grund, keinen Anwalt bzw. keine Anwältin einzuschalten.<br />
Unterschiede ergeben sich auch bei einer Differenzierung<br />
nach Ost- und Westdeutschland: Für Ostdeutsche ist<br />
die mangelhafte örtliche Verfügbarkeit ein wichtigeres Argument<br />
ist, sich gegen einen Anwalt bzw. eine Anwältin zu entscheiden<br />
als bei Befragten, die in Westdeutschland leben.<br />
Darüber hinaus zeigen Befragte aus den neuen Bundesländern<br />
eine größere Distanz zu Rechtsanwälten. Mit einem<br />
Faktor von 3,5 ist die Einstellung, Juristen aus dem Weg gehen<br />
zu wollen, signifikant häufiger für Befragte aus den<br />
neuen Ländern ein wichtiger Grund, keinen Anwalt bzw.<br />
keine Anwältin in Anspruch zu nehmen. Der Vergleichswert<br />
für Befragte aus den alten Ländern liegt bei 4,3.<br />
Soldan Institut: Prof. Dr. Christoph Hommerich,<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Thomas Wolf, M.A.<br />
Hommerich und Kilian sind Vorstand des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e.V..<br />
Wolf ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.<br />
784 AnwBl 11 / 2007 Warum Bürger keinen Anwalt beauftragen, Soldan Institut
MN Mitteilungen<br />
Bücherschau<br />
_______________________________________________________<br />
Anwaltsrecht<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
I. Strafverteidigung<br />
Eckart Müller/Klaus Gussmann,<br />
Berufsrisiken des Strafverteidigers;<br />
C.H. Beck, München 2007; 158 S.,<br />
kart.; 978-3-406-52556-8; 34.90 E.<br />
1. In der Reihe Strafverteidigerpraxis<br />
des Verlages C.H. Beck<br />
ist das von Eckart Müller und<br />
Klaus Gussmann verfasste Werk<br />
„Berufsrisiko des Strafverteidigers“<br />
erschienen. Auf gut 150 Seiten<br />
wird anschaulich die straf- und<br />
berufsrechtliche Dimension anwaltlichen<br />
Handelns aufgezeigt.<br />
Mit dem im Titel verwendeten<br />
Wort „Berufsrisiken“<br />
ist zum einen die strafrechtliche,<br />
zum anderen die berufsrechtliche<br />
Dimension anwalt-<br />
lichen Handelns gemeint. Bei der Analyse orientiert sich das<br />
Werk an der Tätigkeit des Strafverteidigers, viele der angesprochenen<br />
Probleme sind freilich nicht auf die Strafverteidigung<br />
beschränkt. Der 100seitige Hauptteil des Buches ist<br />
den „Berufsrisiken“ in fünf verschiedenen Dimensionen gewidmet.<br />
Eigene Abschnitte behandeln straf- und berufsrechtliche<br />
Gefahren beim Umgang mit Mandanten, mit Dritten,<br />
mit Geld, mit Kollegen und Hilfspersonen sowie mit<br />
Behörden und Gerichten. Typische Strafbarkeitsrisiken beim<br />
Umgang mit Mandanten sind etwa die Prävarikation, der<br />
Verstoß gegen die berufsrechtliche Wahrheitspflicht, die<br />
Strafvereitelung, die Beihilfe zur Straftat des Mandanten<br />
oder der verbotene Kontakt mit Gefangenen. Ein kurzer Exkurs<br />
zu den zivilrechtlichen Haftungsrisiken der Verteidigertätigkeit<br />
leitet über zu Problemen des Umgangs mit Dritten,<br />
insbesondere der Aussagedelikte, der Nötigung und des Geheimnisverrats.<br />
Die Untreue, die Geldwäsche und die Gebührenüberhebung<br />
beleuchten Probleme des Geldverkehrs<br />
des Rechtsanwalts. Ein kurzer, erneuter zivilrechtlicher Exkurs<br />
behandelt die für Strafverteidiger besonders relevante<br />
Problematik der Angemessenheit von Vergütungsvereinbarungen.<br />
Nach der Analyse zweier weiterer Risikobereiche<br />
(Kollegen, Behörden und Gerichte) schließt sich ein 30seitiges<br />
Kapitel zu prozessualen Besonderheiten an. Die Durchsuchung<br />
und Beschlagnahme der Anwaltskanzlei, das strafrechtliche<br />
Berufsverbot (§ 70 StGB) und das<br />
Ausschlussverfahren gemäß § 138 StPO sind Inhalte dieses<br />
Abschnitts. Das Werk schließt mit einem weiteren, 20seitigen<br />
Kapitel, in dem die Grundzüge des berufsgerichtlichen<br />
Verfahrens erörtert werden.<br />
2. Mit einem wissenschaftlichen Ansatz hat sich Klaus Winkler<br />
in seiner in Passau entstandenen Dissertation „Die Strafbarkeit<br />
des Strafverteidigers jenseits der Strafvereitelung“ demselben<br />
Problemkomplex gewidmet. Am Anfang der fast<br />
500seitigen Studie steht eine umfassende, dogmatische Fundierung<br />
des Problems. Sie beginnt mit der Konturierung der<br />
Funktion des Strafverteidigers und setzt sich mit der Diskussion<br />
der verschiedenen dogmatischen Ansätze fort, mit denen<br />
seit langem versucht wird, die Verteidigerstrafbarkeit<br />
Klaus Winkler, Die Strafbarkeit des<br />
Strafverteidigers jenseits der Strafvereitelung;<br />
Dr. Kovac, Hamburg 2005;<br />
504 S., brosch.; 978-3-8300-1861-2,<br />
128,00 E.<br />
sachgerecht zu begrenzen. Hier<br />
gibt sich Winkler als Anhänger<br />
der Meinungsströmung zu erkennen,<br />
die die Lösung über<br />
eine teleologische Reduktion<br />
der Straftatbestände bevorzugt.<br />
Nach verfassungsrechtlichen<br />
Betrachtungen zeigt der Verfasser<br />
auf, dass ein Lösungsansatz<br />
Wertungskonflikte zwischen einem<br />
verteidigten und einem<br />
unverteidigten Beschuldigten<br />
vermeiden muss und dies nur<br />
möglich ist, wenn die Hand-<br />
lungsoptionen des Verteidigers nicht unsachgemäß beschnitten<br />
werden. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen entwickelt<br />
Winkler eine verteidigungsspezifische Auslegung, mit der er,<br />
ausgehend vom Regel-Ausnahme-Verhältnis grundsätzlich<br />
zulässiger Strafverteidigung und nur ausnahmsweise verbotener<br />
Verteidigungshandlungen, bei Delikten mit sozialbezogenem<br />
Rechtsgüterschutz auftretende Kollisionen bereits<br />
auf der Tatbestandsebene zu Gunsten der Strafverteidigung<br />
lösen kann. Gerät die Strafverteidigung hingegen in Konflikt<br />
mit individualschützenden Delikten, will Winkler eine Abwägung<br />
auf der Rechtswidrigkeitsebene vornehmen. Mit diesem<br />
Ansatz unternimmt es der Verfasser sodann, zahlreiche<br />
Delikte auf ihre Strafbarkeitsrisiken hin zu analysieren. Besonders<br />
umfassend wird die Strafbarkeit wegen Geldwäsche<br />
erörtert, weitere Tatbestände mit sozialbezogenem Rechtsgüterschutz<br />
sind die Organisationsdelikte, die Volksverhetzung,<br />
die falsche Verdächtigung, Aussage- und Urkundsdelikte.<br />
Aus dem Bereich der Delikte mit Ausrichtung auf Individualrechtsgüter<br />
analysiert Winkler die Beleidigungsdelikte, die<br />
Nötigung und die Verletzung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses.<br />
Eine interessante Untersuchung, die weit<br />
über das gewöhnlich in Dissertationen Gebotene hinausgeht.<br />
3. Nach einer im Jahr 2005 vorgelegten<br />
Untersuchung zur zivilrechtlichen<br />
Haftung des<br />
Strafverteidigers von Müller-Gerteis<br />
(AnwBl 2006, 131 f.) liegt<br />
nun mit dem Werk „Die zivilrechtliche<br />
Haftung des Strafverteidigers“<br />
von Kerstin Schlecht eine<br />
weitere Studie zu diesem in der<br />
Vergangenheit stark vernachläs-<br />
Kerstin Schlecht, Die zivilrechtliche<br />
Haftung des Strafverteidigers; Mohr<br />
Siebeck, Tübingen 2006; 280 S., geb.,<br />
978-3-16-149108-5; 84,00 E.<br />
sigten Thema vor. Das Werk,<br />
eine in Tübingen entstandene<br />
Dissertation, ist auch für die<br />
Praxis gut nutzbar, orientiert es<br />
sich doch in seinem Aufbau an der Struktur eines Schadensersatzanspruchs.<br />
Kapitel 1 untersucht die Frage der einschlägigen<br />
Anspruchsgrundlage, wobei hier Probleme naturgemäß<br />
nur bei der Haftung des Pflichtverteidigers zu erörtern<br />
sind. Mit 100 Seiten besonders umfassend fällt das Kapitel<br />
zur Pflichtverletzung aus. Vorab klärt die Verfasserin das<br />
Problem der Nichtbefolgung einer Weisung, bevor sie sodann<br />
das allgemeine Pflichtenprogramm des Strafverteidigers<br />
auffächert. Sie betont hier insbesondere die Bereiche, in<br />
denen es Unterschiede zwischen der Haftung des zivilrechtlich<br />
tätigen Anwalts und jener des Strafverteidigers gibt.<br />
Nach Erörterung der allgemeinen Grundsätze der Anwaltshaftung<br />
prüft sie jeweils die Übertragbarkeit dieser auf die<br />
Bücherschau, Kilian AnwBl 11 / 2007 785
MN Mitteilungen<br />
besondere Situation der Strafverteidigung. Ein gesonderter<br />
Abschnitt ist dem Problem gewidmet, ob der Grad der Spezialisierung<br />
das Pflichtenprogramm des Strafverteidigers verdichtet.<br />
Schlecht kommt zu dem Ergebnis, dass den Anwalt,<br />
der das Strafrecht als Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunkt<br />
nennt, gegenüber dem Allgemeinanwalt gesteigerte Pflichten<br />
treffen und an einen Fachanwalt für Strafrecht noch höhere<br />
Anforderungen zu stellen seien. Im Kapitel zur Pflicht zur<br />
Wahl des sichersten Weges vertieft Schlecht das Problem der<br />
strategischen Erwägungen bei der Verteidigung und der eigenen<br />
Strafbarkeitsrisiken des Rechtsanwalts. Sie plädiert<br />
dafür, dass es dem Rechtsanwalt nicht zugemutet werden<br />
kann, die Grenzen des Erlaubten zu Gunsten seines Mandanten<br />
voll ausschöpfen zu müssen. Ein kürzeres Kapitel befasst<br />
sich sodann mit dem Verschulden, bevor ein ausführlicherer<br />
Abschnitt Schaden und Kausalität beleuchtet. Hier<br />
weist die Verfasserin darauf hin, dass bei der Betrachtung<br />
des hypothetischen Kausalverlaufs zwar die Sichtweise des<br />
Richters maßgeblich sei, jedoch die vom Vorgericht angestellten<br />
Strafzumessungserwägungen zu Grunde zu legen<br />
seien, soweit sie richtig, vom Fehlverhalten des Verteidigers<br />
unbeeinflusst und isolierbar sind. Einige Seiten zur Beweislast<br />
runden die interessante Studie ab.<br />
II. Berufsrecht<br />
Klaus Markus Dahlmanns, Die Einführung<br />
neuer Fachanwaltsbezeichnungen<br />
– eine verfassungsrechtliche<br />
Verpflichtung?; Peter Lang, Frankfurt/M.<br />
2007; 176 S., brosch.;<br />
978-3-631-56470-7; 39,00 E.<br />
1. Gleichsam pünktlich zur<br />
Konstituierung der 4. Satzungsversammlung<br />
ist eine Studie<br />
von Klaus Markus Dahlmanns<br />
mit dem Titel „Die Einführung<br />
neuer Fachanwaltsbezeichnungen<br />
– eine verfassungsrechtliche Verpflichtung?“<br />
erschienen. Die<br />
Frage des Maßstabs, anhand<br />
dessen die Satzungsversammlung<br />
den Kanon der Fachanwaltschaften<br />
gestalten muss,<br />
ist bekanntlich eines der heißen<br />
berufsrechtlichen Eisen der ver-<br />
gangenen 10 Jahre. Eine vertiefende, wissenschaftliche Untersuchung<br />
zu dieser Frage ist daher sehr willkommen, wenngleich<br />
den Verfasser naturgemäß verfassungsrechtliche und<br />
nicht berufspolitische Aspekte interessieren. So prüft Dahlmanns<br />
zunächst, ob die Einführung von Fachanwaltsbezeichnungen<br />
durch die Satzungsversammlung im Wege des Satzungsrechts<br />
überhaupt verfassungskonform ist, bevor er klärt,<br />
ob das Verbot des Führens einer Fachanwaltsbezeichnung<br />
ohne förmliche Verleihung eines Titels gegen die Grundrechte<br />
der Berufsfreiheit verstößt. Alle diese aufgeworfenen<br />
Fragen verneint der Verfasser. Er wendet sich sodann dem<br />
Problem zu, dass nur für bestimmte Rechtsgebiete Fachanwaltsbezeichnungen<br />
existieren Dahlmanns gelangt zu einem<br />
Verstoß gegen Art. 12 GG, da die gegenwärtige Einschränkung<br />
auf 18 (jetzt 19) Fachanwaltsbezeichnungen nicht<br />
im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet sei. Ein eigenes<br />
Konzept, wie die Fachanwaltschaften zu strukturieren sind,<br />
legt der Verfasser freilich nicht vor, wenngleich er die dringende<br />
Mahnung an den Satzungsgeber richtet, insbesondere<br />
die Bedeutung der allgemeinen Fortbildungspflicht des<br />
Rechtsanwalts für das Konzept der Fachanwaltschaften nicht<br />
aus dem Blick zu verlieren.<br />
Uwe Fitzner, Der Patentanwalt; Carl<br />
Heymanns, Köln 2006; 509 S., kart.,<br />
978-3-452-25866-3, 88,00 E.<br />
2. Obschon die PAO weitgehend<br />
die BRAO spiegelt, wird das Berufsrecht<br />
der Patentanwälte von<br />
der Anwaltschaft nur selten<br />
wahrgenommen. Der Hinweis<br />
auf die Neuerscheinung „Der Patentanwalt“<br />
von Uwe Fitzner soll<br />
den Blick auf ein interessanteres<br />
Werk richten. Es handelt sich<br />
nicht um eine berufsrechtliche<br />
Studie im engeren Sinne. Der<br />
Untertitel „Beruf und Beratung<br />
im gewerblichen Rechtsschutz“<br />
deutet bereits an, dass insbesondere das Tätigkeitsfeld des Patentanwalts<br />
aufgefächert wird. Ausführliche Kapitel schildern<br />
anschaulich die Aufgaben des Patentanwalts im Zusammenhang<br />
mit Patenten, Gebrauchsmustern, technischen Schutzrechten,<br />
dem Sortenschutz, Marken und Geschmacksmustern<br />
sowie bei der Gestaltung von Kauf- und Lizenzverträgen. Vorangestellt<br />
ist ein berufsrechtlicher Teil, in dem der Berufszugang,<br />
die Freiberuflichkeit, die Organisationsformen und<br />
das Mandatsverhältnis des Patentanwalts erörtert werden. Im<br />
Kontext des Mandatsverhältnisses befassen sich Abschnitte<br />
mit der Werbung, dem Vertragsrecht, der Vergütung und der<br />
Haftung des Patentanwalts. Wer eine anschauliche Übersicht<br />
über rechtliche Grundlagen und praktische Tätigkeitsfelder<br />
des Patentanwalts sucht, wird im Werk von Fitzner fündig werden.<br />
3. Ludwig Koch, von 1983 bis<br />
1988 Präsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, hat gemeinsam<br />
mit dem Kolumnisten der<br />
Bücherschau in der NJW-<br />
Schriftenreihe das Werk „Anwaltliches<br />
Berufsrecht“ veröffentlicht.<br />
Persönliche Involvierung<br />
verbietet es, hierüber viele<br />
Ludwig Koch/Matthias Kilian, Anwaltliches<br />
Berufsrecht; C.H. Beck,<br />
München 2007; 346 S., brosch.,<br />
978-3-406-53246-7, 50,00 E.<br />
Worte zu verlieren. Dem Anliegen<br />
der Bücherschau, alle berufsrechtlichenNeuerscheinungen<br />
zu dokumentieren, sei mit<br />
dem Hinweis genüge getan,<br />
dass das Werk als systematische Darstellung des Berufsrechts<br />
unter Berücksichtigung seiner praxisrelevanten Probleme<br />
konzipiert ist: Es gliedert sich in einen Hauptteil (270<br />
Seiten) zum materiellen Berufsrecht mit fünf Kapiteln (Beruf/Zulassung,<br />
Kanzlei/Außendarstellung, Anwaltsvertrag/<br />
Vergütung, Mandat, Organisationsformen) und einen kürzeren<br />
Teil (45 Seiten) zum zugehörigen Verfahrensrecht<br />
(Verwaltungsverfahren, Aufsichtsverfahren, berufsgerichtliches<br />
Verfahren, Strafverfahren, Konkurrenzprobleme).<br />
Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des<br />
Soldan-Instituts für Anwaltmanagement e. V. (Essen).<br />
Er ist erreichbar per E-Mail: kilian@soldaninstitut.de<br />
786 AnwBl 11 / 2007 Bücherschau, Kilian
MNHaftpflichtfragen<br />
Der Rechtsanwalt als<br />
Treuhänder – ein<br />
unterschätztes Risiko<br />
Rechtsanwalt Jo Müller, München<br />
Anwälte sind findig. Immer mehr Kollegen nutzen das allgemeine<br />
Ansehen des Berufsstandes „Rechtsanwalt“ und<br />
ihre Qualifikation, um neben ihrer Mandatsarbeit auch als<br />
Treuhänder tätig zu werden. Diese Tätigkeit birgt aber, neben<br />
durchaus lukrativen Verdienstmöglichkeiten, auch Risiken.<br />
Der Beitrag gibt einen Überblick über die objektiven Risiken<br />
für den Treuhänder und deren mögliche Absicherung.<br />
I. Grundlagen der Treuhand<br />
1. Echte und unechte Treuhand<br />
Im Grunde kann jedes Treuhandverhältnis auf eines der<br />
zwei Grundmodelle einer Treuhand, die so genannte echte<br />
oder die unechte Treuhand, reduziert werden (s. Zugehör in<br />
Zugehör/Fischer/ Sieg/Schlee „Handbuch der Anwaltshaftung“,<br />
2. Aufl. Rd. 1784 ff.). Bei der echten Treuhand wird<br />
das Treugut dem Treuhänder mit allen Rechten und Pflichten<br />
übertragen. Zwar darf dieser über das Treugut nur in der<br />
Art und Weise verfügen, wie es ihm die Treuhandvereinbarung<br />
vorschreibt, Dritten und auch dem Treugeber gegenüber<br />
wird er aber rechtmäßiger Eigentümer des Treuguts.<br />
Seine Verfügungen bleiben daher selbst dann wirksam,<br />
wenn er der Treuhandvereinbarung zuwider handelt. Bei der<br />
unechten Treuhand bleibt der Treugeber hingegen Rechtsinhaber<br />
und ermächtigt den Treuhänder nur zur Vornahme<br />
von (einzelnen) Rechtsgeschäften. Ersichtlich ist diese Form<br />
für den Treugeber mit weniger Risiko behaftet.<br />
Welche Form der Treuhand die Parteien letztendlich wählen,<br />
wird maßgeblich durch den beabsichtigten Zweck der<br />
Treuhand bestimmt werden. So ist die Sicherung eines Treuguts<br />
(sog. „Sicherungstreuhand“) effektiver mit der Übertragung<br />
des Treuguts zu gewährleisten, für die reine Verwaltung<br />
des Treuguts (sog. „Verwaltungstreuhand“) reicht<br />
hingegen oftmals die unechte Treuhand aus.<br />
In den meisten Fällen beruht die Beauftragung eines<br />
Treuhänders auf dem freien Wunsch des Mandanten oder<br />
der jeweiligen Parteien. In wenigen Fällen ist die Möglichkeit<br />
einen Treuhänder einzusetzen gesetzlich vorgegeben beziehungsweise<br />
in einigen Fällen ratsam. Falls die Hinzuziehung<br />
auf einer Parteivereinbarung beruht und der Treuhandabrede<br />
eine rechtliche Beratung vorweg gegangen ist, wird wohl in<br />
den meisten Fällen der beratende Rechtsanwalt auch als<br />
Treuhänder eingesetzt werden. Zwingend notwendig ist dies<br />
jedoch nicht. Selbst wenn der Gesetzeswortlaut, wie z. B. § 2c<br />
Kreditwesengesetz (KWG), die Möglichkeit anheim stellt zur<br />
Erreichung des Normzwecks einen Treuhänder einzusetzen,<br />
gibt dieser in den seltensten Fällen vor, dass der Treuhänder<br />
die Qualifikation eines Rechtsanwaltes besitzen muss.<br />
Insofern sind für die Aufgaben und damit auch mittelbar<br />
für die Haftung des Treuhänders nicht das Verhältnis Mandant<br />
zu Rechtsanwalt, sondern das Verhältnis Treuhänder zu<br />
Treugeber maßgeblich.<br />
2. Die Treuhandabrede<br />
Problematisch ist, dass die Treuhand in unserem Recht keine<br />
gesetzliche Regelung erfahren hat (Jungk in Borgmann/<br />
Jungk /Grams „Anwaltshaftung“, 4. Aufl, VI Rd. 31). Auch<br />
wenn grundsätzlich die Regelungen der Geschäftsbesorgung<br />
Anwendung finden (s. Zugehör Rd. 1781 aaO.), lässt sich<br />
aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der<br />
Treuhand kein typischen Treuhandvertrag abbilden. Treugeber<br />
und Treuhänder kann daher in beiderseitigem Interesse<br />
nur geraten werden, die Aufgaben des Treuhänders<br />
stets individualvertraglich und detailliert mit einer Treuhandvereinbarung<br />
zu regeln. Insbesondere bei der Sicherungstreuhand,<br />
im Rahmen derer der Treuhänder zwangsläufig<br />
widerstreitenden Interessen mehrerer Personen zu berücksichtigen<br />
hat, liegt es in der Natur der Sache, dass das Risiko<br />
einer Inanspruchnahme des Treuhänders steigt, wenn der<br />
Umfang seiner Tätigkeit nicht im Vorwege genau und detailliert<br />
von den Parteien vereinbart wurde. Ob die Parteien mit<br />
den Verfügungen des Treuhänders später letztendlich zufrieden<br />
sind, spielt für seine Haftung dann, solange er sich im<br />
Rahmen der Treuhandvereinbarung bewegt, eine untergeordnete<br />
Rolle.<br />
Eine Treuhandvereinbarung ist selbst dann notwendig,<br />
wenn die Treuhand ausdrücklich gesetzlich genannt wird<br />
bzw. zur Erreichung des Normzwecks zumindest ratsam ist.<br />
Zwei Beispiele hierfür:<br />
a) § 2c II KWG<br />
Nach § 2c Abs. 2 KWG können einem Treuhänder, zur Wahrung<br />
der Interessen der Bundesanstalt, die Stimmrechte einer<br />
bedeutenden Beteiligung an einem Institut i.S.d. KWG<br />
übertragen werden. Der ausdrücklichen Erwähnung eines<br />
Treuhänders folgt, dass in § 2c Abs. 2 KWG auch dessen Tätigkeiten<br />
näher beschrieben und ihm Auflagen in Bezug auf<br />
seine treuhänderischen Pflichten gemacht werden. Er hat<br />
„bei der Ausübung seiner Stimmrechte den Interessen einer<br />
soliden und umsichtigen Führung des Instituts Rechnung<br />
zu tragen“. Eine individuelle Treuhandvereinbarung ersetzt<br />
diese allgemeine Aufgabenbeschreibung ersichtlich nicht.<br />
Seine genauen Pflichten und konkreten Aufgaben lassen<br />
sich der Norm allein nicht entnehmen.<br />
b) § 8a AltTZG<br />
Bei dem wohl häufigeren Fall der Insolvenzabsicherung von<br />
Arbeitnehmerwertguthaben nach § 8a Altersteilzeitgesetz<br />
(AltTZG) ist eine individualvertragliche Vereinbarung ebenso<br />
notwendig, wenn nicht sogar zwingend erforderlich. Die Einsetzung<br />
eines Treuhänders ist hier unstrittig ebenfalls geeignet,<br />
den beabsichtigten Normzweck zu erfüllen; ausdrücklich<br />
benannt wird dieser in § 8a AltTZG aber nicht. Insofern finden<br />
sich hier auch keinerlei Regelungen zum Umfang der<br />
Treuhand. In Unkenntnis der eigentlichen Aufgaben tätig zu<br />
werden, ist niemals ratsam.<br />
II. Absicherung des Haftungsrisikos<br />
Die Frage nach dem genauen Haftungsrahmen lässt sich<br />
demnach ohne Einzelfallbezug nicht beantworten. Für den<br />
Treuhänder, und im speziellen für den Rechtsanwalt als<br />
Treuhänder, sollte aber stets und bereits im Vorwege Klarheit<br />
darüber bestehen, ob er für die beabsichtigte Tätigkeit<br />
genügend abgesichert ist oder falls dem nicht so sein sollte,<br />
Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller AnwBl 11 / 2007 787
MN Haftpflichtfragen<br />
ob diese Tätigkeit zumindest ein versicherbares Risiko darstellt.<br />
Andernfalls haftet er für etwaige Fehler persönlichen<br />
und unbegrenzt, ohne hierfür über einer entsprechende<br />
Haftpflichtversicherung abgesichert zu sein.<br />
Folgenden Absicherungsmöglichkeiten kommen für den<br />
Rechtsanwalt als Treuhänder in Betracht:<br />
1. Pflichtversicherung nach § 51 BRAO<br />
Jeder Rechtsanwalt ist – im Gegensatz zu manch anderen<br />
Berufsgruppen, welche sich als Treuhänder betätigen – verpflichtet,<br />
für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt eine Berufshaftpflichtversicherung<br />
abzuschließen. Somit genießt er, zumindest<br />
für Fehler aus seiner beruflichen Tätigkeit,<br />
grundsätzlich Versicherungsschutz. Ob dieser Schutz ausreichend<br />
ist, bleibt zu prüfen.<br />
a) Vorliegen eines Treuhandauftrages<br />
Die Frage nach dem Umfang der Pflichtversicherung bekommt<br />
daher erst dann Relevanz, wenn die Tätigkeit den<br />
Rahmen des anwaltlichen Berufsbildes verlässt. Andernfalls<br />
hat der Rechtsanwalt, wie erwähnt, umfassend Versicherungsschutz.<br />
Oftmals ist es aber bereits fraglich, ob (noch)<br />
ein anwaltliches Mandat oder (schon) ein vom Berufsbild<br />
nicht mehr umfasster Treuhandauftrag vorliegt. Der Anwaltsvertrag<br />
wird unstreitig dann überschritten, sobald der<br />
Mandant bei Vertragsschluss deutlich macht, dass er darüber<br />
hinaus eine treuhänderische Bindung seines Anwaltes<br />
wünscht, (Zugehör, Rd 1799, aaO.). Unabhängig vom Parteiwillen<br />
liegt eine rein anwaltsfremde Tätigkeit auch dann vor,<br />
wenn die Rechtsbetreuung als Vertragsgegenstand völlig in<br />
den Hintergrund tritt, sie deswegen als unwesentlich anzusehen<br />
ist (Gräfe in Gräfe/Brügge „Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung“,<br />
2006, E Rd. 156).<br />
Die BGH Entscheidung vom 12.10.2006 (VersR 2007,<br />
S. 794) zeigt, dass sich selbst eine solch scheinbar klare Abgrenzung<br />
oftmals nur schwierig vornehmen lässt. Der BGH<br />
weist in seiner Begründung zwar darauf hin, dass, falls ein<br />
Strafverteidiger Gelder von einem Dritten zur sofortigen<br />
Weiterleitung zugunsten seines Mandanten überwiesen bekommt,<br />
eine treuhänderische Verwaltung dieser Gelder in<br />
der Regel nicht in Betracht kommt, macht aber auch deutlich,<br />
dass bei zusätzlichen Absprachen oder besonderen Umständen<br />
dies durchaus anders zu beurteilen ist. Zwar ging es<br />
im vorliegenden Fall nicht um etwaige Haftungsszenarien<br />
des Rechtsanwaltes aus seiner Funktion als Treuhänder, sondern<br />
um die mögliche Honorarentnahme aus dem Treugut.<br />
Fakt ist aber, dass sich der Rechtsanwalt durch die treuhänderische<br />
Entgegennahme des Geldes dem Risiko ausgesetzt<br />
hat, den Rahmen seiner üblichen beruflichen Tätigkeit zu<br />
verlassen. Infolgedessen hätte er für etwaige Vermögensschäden<br />
über seine Berufshaftpflichtversicherung keinen<br />
Versicherungsschutz gehabt. Diese Unsicherheit gilt es in jedem<br />
Fall zu vermeiden.<br />
b) Umfang der Pflichtversicherung<br />
§ 51 BRAO gibt den Umfang dieser Pflichtversicherung verbindlich<br />
vor. Hiernach sind ausschließlich Schäden gedeckt,<br />
die bei der Ausübung der Berufstätigkeit, d. h. der anwaltlichen<br />
Tätigkeit, verursacht werden (Stobbe in Henssler<br />
/Prütting „Bundesrechtsanwaltsordnung“, 2. Auflage, § 51<br />
BRAO, Rd. 50). Ob und in welchen Fällen die Tätigkeit als<br />
Treuhänder dieser Berufstätigkeit zugeordnet werden kann,<br />
ist streitig (Gräfe, Rd 154, aaO.).<br />
Nur wenn die Treuhandtätigkeit mit der rechtlichen Beistandspflicht<br />
in einem engen, inneren Zusammenhang<br />
steht, ist der Anwalt für diese Tätigkeit über seine Berufshaftpflichtversicherung<br />
hinreichend geschützt. Je weiter sich der<br />
Rechtsanwalt von dieser originären Tätigkeit in Ausführung<br />
seines Treuhandauftrages entfernt, die Zuordnung zum anwaltlichen<br />
Berufsbild folglich in Frage gestellt werden kann,<br />
um so mehr steigt das Risiko für diese Tätigkeit nicht versichert<br />
zu sein. Die isolierte Treuhandtätigkeit, sprich ohne<br />
jegliche rechtliche Beratung, ist dem versicherten anwaltlichen<br />
Berufsbild jedenfalls nicht mehr zuzuordnen (Gräfe<br />
Rd. 154, aaO.).<br />
Einen generellen Einschluss von Treuhandtätigkeiten in<br />
die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Pflichtversicherung<br />
für Rechtsanwälte gibt es daher nicht. Diesen<br />
kann es auch in dieser Form nicht geben. Der Rechtsanwalt<br />
nimmt mit einer Treuhandvereinbarung regelmäßig ein<br />
erhöhtes, weiteres Risiko auf sich. Ein genereller Einschluss<br />
in die Berufshaftpflichtversicherung würde demnach zwingend<br />
auch zu einer generellen Prämienerhöhung der Pflichtversicherung<br />
führen. Dies würde dann unmittelbar jeden<br />
Rechtsanwalt treffen, unabhängig davon, ob er als Treuhänder<br />
tätig wird oder nicht. Diese Mitfinanzierung über den gesamten<br />
Berufsstand wäre eine offensichtlich unbillige und<br />
von der Mehrzahl der Rechtsanwälte auch nicht gewollte<br />
Lösung.<br />
Über die allgemeine Zulässigkeit einer anderen Betätigung<br />
sagt dies nichts aus. Selbstverständlich bleibt es einem<br />
jeden Rechtsanwalt unbelassen, sich nebenbei z. B. als Unternehmensberater,<br />
nicht gerichtlich bestellter Liquidator,<br />
oder eben Treuhänder zu betätigen. Das hierdurch entstehende<br />
Risiko muss er aber selbst tragen, oder, falls<br />
gewünscht, separat für eine Absicherung sorgen.<br />
2. Individueller Einschluss in die eigene Vermögensschaden-<br />
Haftpflichtversicherung.<br />
Ein Einschluss – gegen Zuschlag – in die individuelle Police<br />
eines regelmäßig als Treuhänder tätigen Rechtsanwalts ist<br />
ebenfalls nicht möglich. Wie schon ausgeführt, fehlt es an einer<br />
allgemeingültigen Treuhandvereinbarung oder einer gesetzlichen<br />
Regelung zur Treuhand (Jungk aaO.). Für eine Risikoeinschätzung<br />
des Versicherers ist dies jedoch eine<br />
zwingende Voraussetzung. Der Rechtsanwalt müsste zum<br />
Zeitpunkt des Einschlusses genau definieren können, für<br />
welche Art von Treuhand und welchen Haftungsumfang dieser<br />
gelten soll. Da ihm dies, aufgrund der mannigfaltigen<br />
Möglichkeiten der Treuhandtätigkeit, für in der Zukunft liegende<br />
Treuhandabreden schwerlich möglich sein dürfte,<br />
müsste er für jeden Fall, welcher von der generellen Vereinbarung<br />
abweicht, separat Versicherungsschutz aushandeln.<br />
Ein genereller Einschluss wäre daher nur von begrenztem<br />
Nutzen. Zumal dieser – prämienpflichtige – Einschluss, falls<br />
der Rechtsanwalt seinen Beruf in einer Sozietät ausüben<br />
sollte, bei allen Sozien notwendig wäre. Dies gilt jedenfalls<br />
solange man kein Einzelmandat annehmen kann (s. OLG<br />
Celle, Urteil v. 05.07.06, NJW-Spezial 2006 S. 527). Ob die<br />
Sozien ebenfalls als Treuhänder tätig werden, ist aufgrund<br />
der gesamtschuldnerischen Haftung unerheblich (s. BGH<br />
Urteil vom 10.03.1988, NJW-RR 1988, S. 1299).<br />
788 AnwBl 11 / 2007 Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller
MN Haftpflichtfragen<br />
3. Risikobeschreibung der allgemeinen Versicherungsbedingungen.<br />
Daher überrascht es nicht, dass sich auch in den Risikobeschreibungen<br />
der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen<br />
von Rechtsanwälten – welche mitversicherte Tätigkeiten<br />
eines Rechtsanwaltes definieren, die über die<br />
Pflichtversicherung hinausgehen – die Tätigkeit als Treuhänder<br />
nicht findet (z. B. Allianz Versicherungs-AG, AVB-RSW<br />
HV 60, http//:business.allianz.de). Zwar wird in dieser Auflistung<br />
regelmäßig die Treuhandtätigkeit eines Rechtsanwaltes<br />
gemäß der Insolvenzordnung genannt, diese ist aber unter<br />
Risikogesichtspunkten nicht mit der allgemeinen<br />
Treuhandtätigkeit gleichzusetzen. Mit der Insolvenzordnung<br />
ist sowohl der Umfang als auch die Haftung des in diesem<br />
Rahmen tätigen Rechtsanwaltes festgelegt. Bei einer individuell<br />
vereinbarten Treuhandvereinbarung fehlt es an diesen<br />
eindeutigen Regelungen. Aus denselben Gründen kennen<br />
die Risikobeschreibungen auch lediglich den gerichtlich bestellten<br />
Liquidator, der nicht gerichtlich bestellte Liquidator<br />
wird hingegen ebenfalls nicht genannt (s. AVB-RSW HV 60<br />
aaO.).<br />
4. Individuelle Einzelobjektsdeckung.<br />
Diesen Ausführungen folgend, sollte jeder Rechtsanwalt<br />
prüfen, oder durch seinen Vermittler prüfen lassen, ob die<br />
konkrete Treuhandtätigkeit durch eine separate Einzelobjektsdeckung<br />
abgesichert werden kann. Dies sollte stets<br />
noch vor Annahme des Treuhandauftrages erfolgen, da sich<br />
eine Rückwärtsdeckung durchaus problematisch darstellen<br />
kann.<br />
a) Vorteile für den Treuhänder<br />
Für die Risikoeinschätzung ist es prinzipielle notwendig,<br />
dem Versicherer die konkrete Treuhandvereinbarung vorzulegen.<br />
Diese Vereinbarung wird dann, falls der angefragte<br />
Versicherer Versicherungsschutz hierfür bieten möchte, konkreter<br />
Bestandteil der Versicherungspolice. Die oben dargestellten<br />
Abgrenzungsprobleme, ob im Schadensfall nun<br />
Deckungsschutz über die Berufshaftpflichtpolice besteht<br />
oder nicht, werden damit vermieden. Solange sich der Treuhänder<br />
im Rahmen der der Police zugrunde liegenden Treuhandvereinbarung<br />
bewegt, genießt er bedingungsgemäßen<br />
Versicherungsschutz.<br />
Wie für Einzelobjekte allgemein üblich – unabhängig von<br />
der Zuordnung der konkreten Tätigkeit –, gilt auch für die<br />
Objektdeckung der Treuhand, dass ein etwaiger Schadensfall<br />
unter keinen Umständen die Berufshaftpflichtversicherung<br />
des Anwaltes, sondern lediglich den separaten Vertrag des<br />
Einzelobjektes belastet.<br />
Des weiteren werden der Einzelobjektsdeckung besondere<br />
Bedingungen zugrunde gelegt, welche zwar oftmals auf<br />
denen der Berufshaftpflichtversicherungen aufbauen, den<br />
Besonderheiten einer Treuhandtätigkeit aber Rechnung tragen.<br />
So kann z. B. hierüber Versicherungsschutz für Haftpflichtschäden<br />
aus einer kaufmännischen Kalkulations- oder<br />
Organisationstätigkeit geboten werden. Dieser Einschluss betrifft<br />
ganz offensichtlich nicht Schadensmöglichkeiten einer<br />
normalen rechtlichen Beratung (s. Stobbe Rd. 51 aaO.). Die<br />
Übernahme etwaiger Garantien für beabsichtigte wirtschaftliche<br />
oder steuerliche Erfolge, ist aber auch über eine solche<br />
Deckung regelmäßig nicht versicherbar. Hierbei handelt es<br />
sich nicht mehr um allgemeine Haftpflichtansprüche, son-<br />
dern um darüber hinausgehende vertragliche Zusagen.<br />
Ebenso wird vom Versicherungsschutz die Vornahme einer<br />
fachfremden Prüfung (z. B. Mittelfreigabe nach Prüfung der<br />
mangelfreien Fertigstellung eines Bauabschnitts) nicht umfasst.<br />
Von genannten Verpflichtungen ist dem Rechtsanwalt<br />
unter Risikogesichtspunkten aber auch generell abzuraten.<br />
b) Vorteile für den Treugeber<br />
Der Treugeber hingegen kann sich mit einer Einzelobjektdeckung<br />
sicher sein, dass sein Rechtsanwalt für die vereinbarte<br />
Treuhandtätigkeit in ausreichender Höhe Versicherungsschutz<br />
vorhält und, dass diese Versicherungssumme<br />
exklusiv nur für die zwischen ihm und seinem Rechtsanwalt<br />
abgeschlossene Treuhandvereinbarung zur Verfügung steht.<br />
III. Fazit<br />
Die Berufshaftpflichtversicherung gemäß § 51 BRAO gewährleistet<br />
dem Rechtsanwalt für seine anwaltliche Tätigkeit<br />
umfassenden Versicherungsschutz. Dies kann aber nicht auf<br />
berufsfremde Tätigkeiten ausgedehnt werden. Daher sollte<br />
jeder Rechtsanwalt stets prüfen, ob sich seine Tätigkeit (insbesondere<br />
eine Treuhandtätigkeit) in diesem Rahmen bewegt.<br />
Jo Müller, München<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherungs-AG<br />
tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung<br />
wieder.<br />
Der Rechtsanwalt als Treuhänder, Müller AnwBl 11 / 2007 789
MNRechtsprechung<br />
Anwaltsrecht<br />
Versicherungsbeiträge als Arbeitslohn<br />
EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BRAO § 12 Abs. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 9, § 51<br />
Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung einer<br />
angestellten Rechtsanwältin durch den Arbeitgeber führt zu<br />
Arbeitslohn, weil diese gemäß § 51 BRAO zum Abschluss der<br />
Versicherung verpflichtet ist und deshalb ein überwiegend eigenbetriebliches<br />
Interesse des Arbeitgebers ausscheidet.<br />
BFH, Urt. v. 26.7.2007 – VI R 64/06<br />
Aus den Gründen: I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind<br />
zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Die Klägerin<br />
bezieht als angestellte Rechtsanwältin Einkünfte aus nichtselbstständiger<br />
Arbeit. Zur Abdeckung von Vermögensschäden<br />
schloss sie eine Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte ab. Die<br />
Versicherungssumme pro Versicherungsfall beläuft sich auf<br />
2.000.000 DM. Vertragsbestandteil sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />
für die Vermögensschäden-Haftpflichtversicherung<br />
von Rechtsanwälten und Patentanwälten (ABG-A). Die<br />
Versicherungsbeiträge, die sich in den Streitjahren 1998 bis 2000<br />
auf je 2.970 DM beliefen, trug der Arbeitgeber der Klägerin, ohne<br />
sie der Lohnsteuer zu unterwerfen.<br />
Die Klägerin erklärte in den Streitjahren bei den Einkünften<br />
aus nichtselbstständiger Arbeit Einnahmen in Höhe von<br />
70.892 DM (1998), 73.232 DM (1999) und 76.612 DM (2000).<br />
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) behandelte<br />
die vom Arbeitgeber getragenen Versicherungsbeiträge<br />
als zusätzlichen Arbeitslohn und erhöhte die Einnahmen<br />
entsprechend. Andererseits ließ das FA anstelle des Arbeitnehmer-Pauschbetrags<br />
Werbungskosten in Höhe der Versicherungsbeiträge<br />
zum Abzug zu.<br />
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen<br />
der Finanzgerichte 2007, 771 veröffentlichten Gründen ab.<br />
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen<br />
Rechts.<br />
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung<br />
und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide<br />
1998 bis 2000 dahingehend abzuändern,<br />
dass die Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung nicht als<br />
Arbeitslohn erfasst werden.<br />
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.<br />
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen<br />
(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG ist<br />
von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen. Seine<br />
tatsächliche Würdigung ist möglich; sie verstößt nicht gegen<br />
Denkgesetze und Erfahrungssätze.<br />
1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes<br />
(EStG) gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung<br />
im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden,<br />
zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Dem<br />
Tatbestandsmerkmal „für“ ist nach ständiger Rechtsprechung<br />
zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber<br />
zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen<br />
der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn<br />
angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn,<br />
die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände<br />
nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung<br />
betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein<br />
Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse<br />
gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus<br />
den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte<br />
betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall<br />
des „ganz überwiegend“ eigenbetrieblichen Interesses kann ein<br />
damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers,<br />
den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden.<br />
Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere<br />
Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten,<br />
freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder<br />
Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit<br />
für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu<br />
berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber<br />
dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine<br />
Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber – neben dem eigenbetrieblichen<br />
Interesse des Arbeitgebers – ein nicht unerhebliches<br />
Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die<br />
Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen<br />
Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung<br />
(Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 11. April 2006<br />
VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.).<br />
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG eine Gesamtwürdigung<br />
vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen,<br />
dass die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung<br />
der Klägerin durch den Arbeitgeber auch im eigenen Interesse<br />
der Klägerin erfolgte und deshalb Arbeitslohn anzunehmen<br />
sei. Die Gesamtwürdigung, die revisionsrechtlich nur<br />
begrenzt überprüfbar ist (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom<br />
10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005,<br />
488; vom 10. November 2005 VI B 75/05, BFH/NV 2006, 530;<br />
Urteil vom 12. April 2007 VI R 77/04, nicht veröffentlicht;<br />
Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30;<br />
Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,<br />
§ 118 FGO Rz 87, m.w.N.), ist möglich; sie lässt keinen Rechtsfehler<br />
erkennen.<br />
Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ist der Anwalt gemäß<br />
§ 51 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gesetzlich verpflichtet,<br />
eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Ein<br />
Verstoß gegen diese Pflicht wird mit der Nichtzulassung zum Beruf<br />
(§ 12 Abs. 2 BRAO) oder der Entfernung aus diesem sanktioniert<br />
(§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung<br />
ist damit unabdingbar für die Ausübung des<br />
Berufs eines (angestellten) Rechtsanwalts. Kommt er der gesetzlichen<br />
Verpflichtung nach, handelt er in typischer Weise im eigenen<br />
Interesse. Soweit der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts<br />
im Hinblick auf die Haftungsrisiken aller weiteren<br />
Sozien ein Interesse an einer die Mindestsumme von (in den<br />
Streitjahren) 500 000 DM (vgl. § 51 Abs. 4 BRAO) übersteigenden<br />
Versicherungssumme hat, wie die Kläger geltend machen,<br />
hat dies nicht zur Folge, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers<br />
am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich<br />
zu qualifizieren wäre. Im Übrigen weist die Vorentscheidung<br />
zu Recht darauf hin, dass wegen dieses erweiterten<br />
Haftungsrisikos im Fall einer Sozietät eine höhere Versicherungssumme<br />
im Interesse jedes einzelnen Sozius liegt.<br />
Briefkopfgestaltung bei<br />
Kanzleinamen „& Kollegen“<br />
BORA § 10 Abs. 1<br />
Verwendet eine Kanzlei den Zusatz „& Kollegen“, müssen im<br />
Briefkopf der Kanzlei mindestens zwei weitere Rechtsanwälte<br />
namentlich genannt werden. (Leitsatz der Redaktion)<br />
BGH, Beschl. v. 13.8.2007 – AnwZ (B) 51/06<br />
Aus den Gründen: I. Die Antragsteller sind Sozien einer Anwaltskanzlei<br />
in M., in der neben ihnen drei weitere Rechtsanwälte als<br />
Angestellte tätig sind. Sie verwendeten Kanzleibriefbögen, in deren<br />
Kopfleiste die Bezeichnung „Dr. T., W. & Kollegen“ und darunter<br />
die Vor- und Nachnamen der beiden Antragsteller aufgeführt<br />
waren. Die Antragsgegnerin erteilte den Antragstellern<br />
790 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht
MN Rechtsprechung<br />
mit Schreiben vom 2. Dezember 2005 unter Beifügung einer<br />
Rechtsmittelbelehrung einen „belehrenden Hinweis“ dahingehend,<br />
dass die Briefkopfgestaltung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 BRAO unzulässig<br />
sei; der Zusatz „& Kollegen“ erfordere es, dass auf dem Briefbogen<br />
nicht nur die beiden Antragsteller, sondern mindestens zwei<br />
weitere Rechtsanwälte namentlich genannt würden.<br />
Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Anwaltsgerichtshof<br />
zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsteller.<br />
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung<br />
verzichtet.<br />
II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist zulässig<br />
(§ 223 Abs. 3 BRAO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.<br />
1. Die Antragsteller waren zur Einleitung des gerichtlichen<br />
Verfahrens befugt. Das angefochtene Schreiben der Antragsgegnerin<br />
vom 2. Dezember 2005 ging über eine bloße Belehrung<br />
im Sinne des 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO hinaus; es handelte<br />
sich bei dem „belehrenden Hinweis“ – wie auch die beigefügte<br />
Rechtsmittelbelehrung deutlich macht – um eine hoheitliche<br />
Maßnahme, die geeignet war, die Antragsteller in ihren Rechten<br />
einzuschränken, und über die der Anwaltsgerichtshof daher<br />
sachlich entscheiden durfte (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli<br />
2005 – AnwZ(B) 42/04, NJW 2005, 2692, unter II 1 m.w.<br />
Nachw.).<br />
2. Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht angenommen, dass<br />
die von der Antragsgegnerin beanstandete Gestaltung des damals<br />
verwendeten Kanzleibriefbogens gegen § 10 Abs. 1 Satz 3<br />
BORA verstößt, weil dort nicht, wie es diese Bestimmung erfordert,<br />
mindestens eine der Kurzbezeichnung entsprechende<br />
Zahl von Gesellschaftern, AngestelltenoderfreienMitarbeitern<br />
namentlich aufgeführt sind.<br />
Bei der Bezeichnung „Dr. T., W. & Kollegen“ in der Kopfleiste<br />
des Briefbogens handelt es sich um eine Kurzbezeichnung<br />
im Sinne der §§ 9, 10 BORA, (vgl. Senatsbeschluss vom<br />
18. April 2005 – AnwZ(B) 35/04, NJW 2005, 1770, unter III 1 b<br />
aa; Hartung/Holl/Römermann, Anwaltliche Berufsordnung,<br />
3. Aufl., § 9 BORA Rdnr. 40, 45; Feuerich/Weyland, BRAO,<br />
6. Aufl., § 9 BORA Rdnr. 4), das heißt um eine Bezeichnung<br />
für die Anwaltskanzlei, in der nur der Name eines oder einzelner<br />
Rechtsanwälte, die sich zu gemeinschaftlicher Berufsausübung<br />
verbunden haben, mit einem auf die Anwaltsgemeinschaft<br />
hinweisenden Zusatz verwendet wird (vgl.<br />
Senatsbeschluss vom 12. Februar 2001 – AnwZ(B) 11/00, NJW<br />
2001, 1573, unter II 2 b). Bei Verwendung einer solchen Kurzbezeichnung<br />
muss mindestens eine der Kurzbezeichnung entsprechende<br />
Zahl von Gesellschaftern, Angestellten oder freien<br />
Mitarbeitern auf den Briefbögen namentlich aufgeführt werden<br />
(§ 10 Abs. 1 Satz 3 BORA). Daran fehlt es bei der hier zu beurteilenden<br />
Gestaltung des Kanzleibriefbogens.<br />
Die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof haben mit<br />
Recht angenommen, dass durch den Zusatz „& Kollegen“ in<br />
der Kurzbezeichnung angedeutet wird, dass sich mit den Antragstellern<br />
mindestens zwei weitere „Kollegen“ zu gemeinschaftlicher<br />
Berufsausübung verbunden haben und dass deshalb<br />
auf dem Kanzleibriefbogen außer den Antragstellern noch<br />
mindestens zwei weitere der in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte<br />
namentlich hätten aufgeführt werden müssen. Das Beschwerdevorbringen<br />
der Antragsteller rechtfertigt keine andere<br />
Beurteilung. Die Antragsteller meinen, da der Terminus<br />
„& Kollegen“ namensmäßig neutral sei, bestehe keine Verpflichtung,<br />
angestellte Rechtsanwälte, die von dieser Bezeichnung<br />
erfasst würden, namentlich zu benennen. § 10 Abs. 1 Satz<br />
2 BORA stelle klar, dass eine solche Verpflichtung nur für angestellte<br />
Mitarbeiter gelte, die in der Kurzbezeichnung namentlich<br />
genannt seien. Auch die Verpflichtung nach § 10 Abs. 1<br />
Satz 3 BRAO bestehe daher – bei einer hier gebotenen teleologischen<br />
Reduktion der Vorschrift – nur für Namen, die in der<br />
Kurzbezeichnung enthalten seien, nicht aber bei Verwendung<br />
des neutralen Terminus „Kollegen“.<br />
Dies trifft nicht zu. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3<br />
BORA soll Transparenz gewährleisten. Wenn in der von einer<br />
Anwaltskanzlei verwendeten Kurzbezeichnung eine bestimmte<br />
Anzahl der in der Kanzlei aktiv tätigen Rechtsanwälte zum Ausdruck<br />
kommt, so sollen diese nicht anonym bleiben, sondern<br />
es sollen entsprechend viele Rechtsanwälte dem rechtsuchenden<br />
Publikum namentlich benannt werden. Die Regelung dient<br />
damit – ebenso wie die ihr vorangestellten Bestimmungen in<br />
§10Abs.1Satz1und2BORA–demlegitimenInformationsinteresse<br />
der Rechtsuchenden und stellt ebenso wie § 10 Abs. 1<br />
Satz 1 und 2 BORA eine Berufsausübungsregelung dar, die gewichtigen<br />
Belangen des Gemeinwohls dient und damit verfassungsrechtlich<br />
unbedenklich ist (vgl. zu § 10 Abs. 1 Satz 1<br />
BORA: Senatsbeschluss vom 19. November 2001 – AnwZ(B)<br />
75/00, NJW 2002, 1419, unter II 2 b aa, bestätigt durch BVerfG,<br />
NJW 2002, 2163). Die Bestimmung ist – ihrem Wortlaut entsprechend<br />
– auch dann anzuwenden, wenn in der Kurzbezeichnung<br />
– wie hier – eine bestimmte Anzahl aktiv tätiger Rechtsanwälte<br />
durch den anonymisierenden Zusatz „& Kollegen“<br />
zum Ausdruck kommt. Das Interesse der Antragsteller, die mit<br />
der namentlichen Nennung angestellter Kollegen verbundenen<br />
haftungs- und steuerrechtlichen Konsequenzen vermeiden zu<br />
wollen, rechtfertigt es nicht, dem rechtsuchenden Publikum die<br />
Information vorzuenthalten, welche – mindestens zwei – weiteren<br />
Kollegen in der Kanzlei der Antragsteller neben diesen tätig<br />
sind. Wenn die Antragsteller und die bei ihnen angestellten<br />
Rechtsanwälte die mit einer Außensozietät verbundenen Konsequenzen<br />
nicht wünschen, steht es ihnen frei, diese Konsequenzen<br />
durch die Wahl einer Kurzbezeichnung zu vermeiden, die<br />
nicht zur Offenbarung der Namen der in der Kanzlei tätigen angestellten<br />
Rechtsanwälte nötigt (etwa „Dr. T. und W. „).<br />
3. Den Gegenstandswert für das Verfahren hat der Anwaltsgerichtshof<br />
entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht zu<br />
hoch angesetzt. Er entspricht dem vom Senat in Fällen dieser<br />
Art üblichen Wert (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. April 2005,<br />
aaO, und 25. Juli 2005, aaO).<br />
Keine Schein-Sozietät mit „Dipl.-Ökonom“<br />
BRAO § 59a; BORA § 8<br />
Auf die berufliche Zusammenarbeit mit einem nicht-sozietätsfähigen<br />
Diplom-Ökonomen darf eine Kanzlei nicht dadurch hinweisen,<br />
dass sie den Diplom-Ökonomen als Schein-Sozius auf ihr<br />
Briefpapier nimmt. (Leitsatz der Redaktion)<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
AGH Celle, Beschl. v. 27.4.2006 – AGH 18/05<br />
Sachverhalt: Die Antragsteller sind Rechtsanwälte mit Kanzleisitz<br />
in Hannover. Ihre Kanzlei ist schwerpunktmäßig im Bereich des<br />
Insolvenzrechts tätig. Aus diesem Grunde arbeitet sie intensiv mit<br />
dem Dipl.-Ökonomen v. G. zusammen. Auf dem Briefkopf der<br />
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Anwaltsrecht AnwBl 11 / 2007 791
MN Rechtsprechung<br />
Kanzlei wird unter dem Namen der dort tätigen Rechtsanwälte zugleich<br />
der Name des Dipl.-Ökonomen v. G. mit dem Zusatz „Dipl.<br />
Ökonom“ aufgeführt. Die Aufführung der Rechtsanwälte sowie<br />
des Dipl.-Ökonomen wird in einem doppelt gerahmten Kästchen<br />
auf der rechten Seite des Briefkopfs zusammengefasst.<br />
Dies hat die Antragsgegnerin durch den angefochtenen Bescheid<br />
vom 20. Juli 2005 beanstandet und den Rechtsanwälten<br />
deshalb wegen Verstoßes gegen § 59 a BRAO eine Belehrung<br />
dahingehend erteilt, dass es nicht zulässig sei, die Sozietat oder<br />
die Zusammenarbeit, die den Anschein einer Sozietat erweckt,<br />
mit Herrn v. G. fortzuführen und ihnindemBriefkopfaufzuführen.<br />
Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrem Antrag<br />
auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 223 BRAQ.<br />
Zur Begründung führen sie aus, dass zwar § 59 a BRAO<br />
eine Sozietat mit Angehörigen nicht sozietätsfähiger Berufe untersage,<br />
dass diese Regelung indessen keine Aussage zur Briefkopfgestaltung<br />
enthalte. Zudem stelle § 59 a BRAO eine Beschränkung<br />
der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG<br />
dar, sodass bei verfassungskonformer Anwendung die beanstandete<br />
Briefkopfgestaltung hinzunehmen sei. Dies folge letztlich<br />
auch daraus, dass der Gesetzgeber beabsichtige, § 59 a<br />
BRAO zu ändern und die Aufnahme Berufsfremder in einer<br />
Anwaltssozietät zuzulassen.<br />
Die Antragsteller beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin<br />
vom 20. Juli 2005 aufzuheben. Die Antragsgegnerin beantragt,<br />
den Antrag zurückzuweisen. Sie verweist auf § 59 a<br />
BRAO, der eine abschließende Beschränkung enthalte und einer<br />
ausweitenden Auslegung nicht zugänglich sei. Zuzugeben<br />
sei den Antragstellern, dass sie eine Kooperation, wenn sie verfestigt<br />
sei, auch mit dem Dipl.-Ökonomen v. G. angeben<br />
dürften. Eine entsprechende Angabe im Falle einer verfestigten<br />
Kooperation bleibe zulässig und sei nicht Inhalt der Belehrung<br />
gewesen.<br />
Aus den Gründen: 2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
ist fristgerecht gestellt und zulässig. Er ist jedoch unbegründet,<br />
weil die Belehrung zutreffend ist und die Antragsteller nicht in ihren<br />
Rechten beeinträchtigt.<br />
Die Aufforderung, gemäß der Belehrung vom 20, Juli 2005 zu<br />
handeln, ist In materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.<br />
Die Aufführung von Herrn v. G. als „Dipl. Ökonom“ auf<br />
dem Kanzleibriefbogen der Antragsteller widerspricht § 8 BORA,<br />
weil es sich bei Herrn v. G. nicht um einen zugelassenen Rechtsanwalt<br />
handelt und er auch den übrigen in § 59 a BRAO aufgeführten<br />
Berufsgruppen nicht angehört, er mithin nicht sozietätsfähig<br />
i. S. v. § 59 a BRAO ist Nach § 8 S, 1 BORA darf auf eine<br />
gemeinschaftliche Berufsausübung nur hingewiesen werden,<br />
wenn sie in einer Sozietät oder in sonstiger Weise mit sozietätsfähigenPersoneni.S.d.§59aBRAOerfolgt.Hinsichtlichderangestellten<br />
und freien Mitarbeiter ist die Kundgabe unzulässig,<br />
wenn es sich bei diesen nicht um nach § 59 a BRAO sozietätsfähige<br />
Personen handelt (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6, Aufl.,<br />
§ 3 BORA Rdn, 1, 2). Der Dipl.-Ökonom v. G. gehört nicht der in<br />
§ 59 a Abs. 1 BRAO umschriebenen Personen- und Berufsgruppe<br />
an, Der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig und einer ausweitenden<br />
Auslegung nicht zugänglich.<br />
Bereits in seiner Entscheidung vorn 17. September 2002<br />
(AGH 6/02), bei der es um die Problematik der Sozietät mit einem<br />
Mediator ging, hat der Senat hierzu ausgeführt:<br />
„Für den Gesetzgeber ist der Zweck dieser Regelung im Interesse<br />
des rechtsuchenden Publikums die S ich Erstellung,<br />
,dass die mit dem Rechtsanwalt in einem Büro tätigen Angehörigen<br />
anderer Berufe in gleicher Weise wie der Rechtsanwalt<br />
der Verschwiegenheitspflicht und den damit korrespondierenden<br />
Aussageverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten<br />
unterfallen. Gewährleistet ist dies in den (in § 59 a<br />
BRAO) genannten Berufen, die zudem der Aufsicht durch ihre<br />
eigenen Berufskamrnern, durch gleichfalls verpflichtete Kollegen<br />
also, unterliegen‘ (BT-Drucksache 12/4993, S. 22, 34). Nach<br />
dem Willen des Gesetzgebers enthält die Regelung des § 59 a<br />
Abs. 1 BRAO eine enumerative (abschließende) Aufzählung der<br />
sozietätsfähigen Berufe (BT-Drucksache aaO, S, 33)<br />
Auch die teleologische Auslegung führt zu keinem anderen<br />
Ergebnis. Sinn und Zweck der Ausdehnung der Sozietät auf andere<br />
sozietätsfähige Berufe – neben dem Rechtsanwalt, der Mitglied<br />
einer Rechtsanwaltskammer ist – wird in der oben genannten<br />
Begründung des Gesetzgebers deutlich. Eine derartige<br />
Sozietät entspricht im Übrigen der bestehenden Praxis, die sich<br />
bewährt hat (BT-Drucksache aaO, S. 33).<br />
Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der<br />
Literatur vertreten ebenfalls die Ansicht, dass § 59 a BRAO eine<br />
enumerative Auszählung enthält und nicht auf weitere Berufe<br />
auszudehnen ist,<br />
Der AGH Baden-Württemberg hat einem Rechtsanwalt die<br />
Ausübung seines Berufes in einer Sozietät mit einer Unternehmensberaterin<br />
untersagt, weil § 59 a BRAO die sozietätsfähigen<br />
Berufe abschließend aufzähle und dazu die Unternehmensberaterin<br />
nicht gehöre (BRAK-Mittellungen 1995, 169 ff.). Verfassungsrechtliche<br />
Bedenken hat der AGH Baden-Württemberg<br />
ausdrücklich verneint, weil es sich um eine Berufsausübungsregel<br />
handele, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls<br />
gedeckt sei (aaO, S, 171). Diese Ansicht ist voll inhaltlich<br />
zu teilen. Die Begründung ergibt sich aus der oben genannten<br />
Wiedergabe des Gesetzgebers (BT-Drucksachen aaO, S. 34).<br />
Auch der einschlägigen Literatur ist dieselbe Meinung zu entnehmen,<br />
wonach § 59 a BRAO eine abschließende Aufzählung<br />
der sozietätsfähigen Berufe enthält (vgl. Härtung in Henssler/<br />
Prütting, BRAO, § 59 a Rdn. 72 a.E; Feuerich/Braun, BRAO,<br />
5. Auflage, § 59 a Rdn. 18 a.E.; Jessnitzer/Bfumberg, BRAO,<br />
9. Auflage, § 59 a Rdn. 4).“<br />
An dieser Rechtsauffassung hält der Senat unverändert fest.<br />
Sie gilt uneingeschränkt auch für Beurteilung einer etwaigen<br />
Sozietät mit einem Dipl.-Ökonomen.<br />
Die Freiheit der Berufsausübung der Antragsteller wird<br />
durch die Ablehnung ihres Antrags nicht in rechtswidrigerweise<br />
berührt Einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG sieht der<br />
Senat in der Beschränkung durch § 59 a BRAO nicht Zur Berufsausübung<br />
gehört zwar auch das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen(BVerfGE80,269,278;BVerfGNJW2003,<br />
2520, 2522). Die vorliegend gegebene Einschränkung der Berufsausübung<br />
hat jedoch vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil<br />
sich diese aus den vorgenannten Gründen – insbesondere wegen<br />
des Fehlens einer verankerten Verschwiegenheitspflicht<br />
und den damit korrespondierenden Aussageverweigerungsrechten<br />
bei nicht zum Katalog des § 59 a BRAO gehörenden Berufsgruppen<br />
sowie deren Aufsicht durch eigene Berufskammern –<br />
auf beachtliche Gründe des Gemeinwohls stützen lässt. Mildere<br />
Mittel zum Schutz der Rechtssuchenden stehen insoweit nicht<br />
zur Verfügung.<br />
Die Tätigkeit der Antragsteller als Rechtsanwälte als solche<br />
wird darüber hinaus nicht eingeschränkt. Dies gilt auch, soweit<br />
sie schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht tätig und hierbei auf<br />
die Zusammenarbeit mit Berufsfremden angewiesen sind.<br />
Diese Zusammenarbeit, etwa auch in Form einer Kooperation,<br />
wird durch die angefochtene Belehrung nicht in Frage gestellt<br />
Im Falle einer Kooperation müsste indessen der Dipl.-Ökonom<br />
v. G. als Kooperationspartner auf dem Briefkopf ausgewiesen<br />
werden, damit die entsprechende Kundgabe einer Kooperation<br />
i. S. v. § S 8. 1 Var. 3 BORA gegeben ist. Dies ist nicht der Fall.<br />
Auch der Umstand, dass eine Änderung der Vorschrift des<br />
§ 50 a BRAO für die Zukunft beabsichtigt ist, rechtfertigt keine<br />
abweichende Beurteilung, Der Senat hat die Rechtmäßigkeit<br />
der angefochtenen Belehrung nach jetzigem Rechtsstand zu beurteilen;<br />
zudem ist nicht sicher vorhersehbar, welchen Inhalt<br />
der Gesetzgeber letztlich einem neu gefassten § 59 a BRAO geben<br />
wird.<br />
792 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht
MN Rechtsprechung<br />
II. Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen, weil<br />
nicht über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden<br />
worden ist.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />
Anmerkung der Redaktion: Gegen den Beschluss des AGH Niedersachsen<br />
ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden (BVerfG,<br />
Az. 1 BvR 1367/06).<br />
Bearbeitungsdauer für Verleihung<br />
des Fachanwaltstitels<br />
BRAO § 223 Abs. 2; FAO § 2<br />
1. Die Bearbeitung eines Antrags auf Verleihung eines Fachanwaltstitels<br />
innerhalb eines Zeitraums von fast vier Monaten durch<br />
die Rechtsanwaltskammer stellt jedenfalls bei einer gerade neu<br />
eingeführten Fachanwaltschaft keine rechtswidrige Verzögerung<br />
dar, auch wenn § 223 Abs. 2 BRAO im Grundsatz von einer dreimonatigen<br />
Bearbeitungsdauer ausgeht.<br />
2. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche<br />
Entscheidung nach § 223 Abs. 2 BRAO in Fällen, in denen<br />
gerügt wird, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes<br />
durch die Rechtsanwaltskammer ohne zureichenden<br />
Grund innerhalb von drei Monaten nicht beschieden worden ist.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 18.4.2007 – 2 AGH 17/06<br />
Sachverhalt: Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 19.<br />
Juni 2006 – Eingang bei der Rechtsanwaltskammer am 29. Juni<br />
2006 –, ihm die Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Gewerblichen<br />
Rechtsschutz“ zu gestatten. Dem Antrag waren beigefügt<br />
das Zertifikat über die Teilnahme am Fachlehrgang gewerblicher<br />
Rechtsschutz der Deutschen Anwalt Akademie vom<br />
8. Juni 2006 sowie das Klausurenzertifikat zum Nachweis der Fertigung<br />
von drei schriftlichen Leistungskontrollen, ebenfalls ausgestellt<br />
von der Deutschen Anwalt Akademie vom 8. Juni 2006,<br />
die drei vollständigen Abschlussklausuren des Fahrlehrganges.<br />
Ebenfalls beigefügt waren Falllisten, die 120 Fälle, hiervon<br />
5 Schutzrechtsanmeldungen sowie über 60 gerichtliche Verfahren<br />
auswiesen.<br />
Die Antragsgegnerin bestätigte am 7. Juli 2006 schriftlich<br />
den Eingang des Antrages und forderte den Antragsteller auf,<br />
die Bearbeitungsgebühr in Höhe von 500 E zu überweisen.<br />
Dies geschah am 19. Juli 2006. Am gleichen Tag leitete die<br />
Rechtsanwaltskammer den Antrag an den Vorsitzenden des<br />
Fachausschusses für Gewerblichen Rechtsschutz zu, wo er am<br />
20. Juli 2006 einging.<br />
Am 9. August 2006 wurde der Antrag nebst den Anlagen<br />
dem vom Vorsitzenden bestimmten Erstberichterstatter übergeben.<br />
Mit Votum vom 13, November 2006 nahm dieser zu<br />
dem Antrag Stellung und leitete ihn mit seiner Stellungnahme<br />
dem Zweitberichterstatter zu, der sich mit Schreiben vom<br />
15. November 2006 dem Votum des Erstberichterstatters anschloss.<br />
Die Stellungnahmen gingen am 16, November 2006<br />
bei dem Vorsitzenden des Fachausschusses ein. Daraufhin gab<br />
der Fachausschuss am 17. November 2006 ein positives Votum<br />
ab, woraufhin dem Antragsteller am 17. November 2006 die<br />
Führung der Fachanwaltsbezeichnung gestattet wurde.<br />
Der Antragsteller hatte bereits am 20. Oktober 2006 Antrag<br />
auf gerichtliche Entscheidung im Wege des Untätigkeitsantrages<br />
mit. der Begründung gestellt, sein Antrag sei ohne zureichenden<br />
Grund nicht innerhalb von drei Monaten beschieden<br />
worden. Er beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten,<br />
seinen Antrag auf Gestattung der Führung der Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz“ zu bescheiden.<br />
Nach der zwischenzeitlich erfolgten Erteilung der Fachanwaltsbezeichnung<br />
hat der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag<br />
mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 in einen Fortsetzungsfestellungsantrag<br />
geändert. Dieser sei zulässig und begründet, weil<br />
er gegenüber der Antragsgegnerin beabsichtige Schadensersatzansprüche<br />
wegen der verspäteten Erteilung des Fachanwaltstitels<br />
geltend zu machen. Im Übrigen strebe er den Erwerb des Fachanwaltstitels<br />
für Informationstechnologie an. Die Kammer habe<br />
bisher nicht die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen<br />
geschaffen, die eine rasche Bearbeitung des Antrages gewährleisteten.<br />
Er habe daher erneut, mit einer rechtswidrig<br />
verzögerten Bearbeitung seines Antrages zu rechnen.<br />
Aus den Gründen: Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist<br />
unzulässig.<br />
1. Der ursprüngliche Untätigkeitsantrag (§ 223 Abs. 2<br />
BRAO) des Antragstellers vom 20. Oktober 2006 hat sich durch<br />
die nach Antragsstellung erfolgte Erteilung des Fachanwaltstitels<br />
erledigt.<br />
2. Der nunmehr gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist<br />
unzulässig. Ein derartiger Antrag ist in § 223 BRAO, der nur<br />
von Anfechtungs- und Untätigkeitsanträgen spricht, nicht geregelt.<br />
Die Regelung des § 38 Abs. 2 S. 2 BRAO über den Feststellungsantrag<br />
bei einem ablehnenden Gutachten der Rechtsanwaltskammer<br />
ist in § 223 Abs. 4 BRAO ausdrücklich von<br />
einer entsprechenden Anwendung ausgenommen und auf die<br />
Feststellungsmöglichkeiten der §§ 90, 91, 191 BRAO wird nicht<br />
verwiesen. Das entsprechend anwendbare FGG (§§ 223 Abs. 3,<br />
40 Abs. 3 BRAO) besagt nichts darüber, welche Anträge gestellt<br />
werden können (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. § 223<br />
Rdnr. 19). Ausgliedern folgert die Rechtsprechung, dass im<br />
Rahmen des § 223 BRAO Feststellungsanträge, auch in der<br />
Form der verwaltungsgerichtlichen Fortsetungsfeststellungsklage<br />
(§113 Abs. 4 S. 1 VwGO) grundsätzlich unzulässig sind<br />
(vgl. BGH BRAK-Mitt 2000, 257; 1993, 105; NJW 1995, 2105;<br />
Feuerich/Weyland aaO).<br />
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es<br />
aber ausnahmsweise statthaft sein, von dem Anfechtungs- zum<br />
Feststellungsantrag überzugehen, wenn sich der begehrte Verwaltungsakt<br />
im Rahmen des Untätigkeitsantrages erledigt hat.<br />
Dies setzt aber voraus, dass der Antragsteller anderenfalls ohne<br />
effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) bliebe, obwohl er in<br />
seinen Rechten beeinträchtigt ist und die begehrte Feststellung<br />
eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Rechtsanwaltskammer<br />
bei künftigen Anträgen, des Antragsstellers ebenso stellen<br />
wird (ständige Rechtsprechung: BGHZ 137, 200; BGH, Beschl.<br />
v. 21, Februar 2007, Anwz (B) 88/05; BGH NJW 2001, 1572;<br />
NJW-RR1999,359;Feuerich/WeylandaaORdnr.20),<br />
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Eine<br />
fortwirkende Beeinträchtigung irgendwelcher Rechte des Antragstellers<br />
nach der zwischenzeitlich erteilten Fachanwaltsbezeichnung<br />
ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller beabsichtigt,<br />
gegen die Antragsgegnerin Schadensersatzansprüche<br />
wegen der rechtswidrig verzögerten Erteilung der Entscheidung<br />
geltend zu machen, rechtfertigt dies die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
nicht. Nach der Rechtsprechung der<br />
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Anwaltsrecht AnwBl 11 / 2007 793
MN Rechtsprechung<br />
Verwaltungsgerichte ist zwar für die Frage, ob im Hinblick auf einen<br />
beabsichtigten Zivilprozess ein berechtigtes Interesse an der<br />
Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakt<br />
besteht, maßgebend, ob der Kläger sofort und unmittelbar vor<br />
dem Zivilgericht Klage erheben konnte, oder ob er gezwungen<br />
war, zunächst eine verwaltungsgerichtliche Klage zu erheben. Im<br />
letzterenFallsollenihmdie„Früchte“desbisherigenVerwaltungsprozesses<br />
erhalten bleiben (vgl, BVerwG NVwZ 1998, 1245<br />
ff. zur Forstsetzungsfeststellungsklage bei erledigter Untätigkeitsklage<br />
gemäß § 75 VwGO). Diese Grundsätze können aber<br />
auf das Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht übertragen<br />
werden. Der Feststellungsantrag ist dem Rechtsschutzsystem des<br />
§ 223 BRAO fremd. Die Fortsetzungsfeststellungsklage wird nur<br />
insoweit zugelassen, als ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet<br />
ist. Das ist aber bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen<br />
der Fall. Ihm steht insoweit der Rechtsweg<br />
zu den ordentlichen Gerichten offen, die im Rahmen der Schadensersatzklage<br />
auch darüber zu befinden haben, ob die Verzögerung<br />
der Gestattung rechtswidrig war (vgl. BGH BRAK-Mitt<br />
1993, 105; Feuerich/Weyland aaO § 40 Rdnr. 37).<br />
Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die begehrte Feststellung<br />
eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Rechtsanwaltskammer<br />
und dem Antragsteller bei künftigen Gelegenheiten erneut<br />
stellen wird, kommt eine ausnahmsweise Zulassung eines<br />
Fortsetzungsfeststellungsantrages nicht in Betracht. Die Frage,<br />
ob die Gestattung im konkreten Fall rechtswidrig verzögert erteilt<br />
worden ist, hat keine Bedeutung für künftige Fälle. Selbst<br />
wenn der Antragsteller, wie von ihm behauptet, sich um eine<br />
weitere Fachanwaltschaftsbezeichnung bemüht, hinge die Beurteilung<br />
dieses künftigen Falles von den jeweiligen konkreten<br />
Umstände des Einzelfalles ab.<br />
Eine rechtswidrige Verzögerung liegt im Übrigen nicht vor.<br />
Ob ein zureichender Grund für die Überschreitung der in § 223<br />
Abs. 2 BRAO geregelten Frist von drei Monaten besteht, kann<br />
jeweils nur für den konkreten Einzelfall anhand der ihn kennzeichnenden<br />
tatsächlichen Umstände entschieden werden (vgl.<br />
Feuerich/Weyland aaO § 223 Rdnr. 45). Die Verleihung der<br />
Fachanwaltsbezeichnung hat Bedeutung für die verfassungsrechtlich<br />
gewährleistete Berufsausübung der Bewerber (vgl.<br />
BVerfG NJW-RR 1998, 1001), so dass unter Beachtung der sich<br />
aus Art, 12 Abs. 1 GG ergebenden verfahrensrechtlichen Anforderungen<br />
ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an einer<br />
möglichst raschen Entscheidung seines Antrags besteht. Andererseits<br />
muss der Umfang und die Schwierigkeit und das Interesse<br />
an einer ausreichend vorbereiteten sachgerechten Entscheidung<br />
berücksichtigt werden (vgl. Feuerich/Weyland aaO).<br />
Zur Verbescheidung der Fachanwaltsanträge muss die Antragsgegnerin<br />
insbesondere die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen,<br />
die eine rasche Bearbeitung gewährleisten,<br />
schaffen, um den ihr übertragenen Aufgaben in der gesetzlichen<br />
Art und Weise nachkommen zu können (vgl. AGH Baden-<br />
Württemberg NJOZ 2005, 986).<br />
Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine beschleunigte<br />
Bearbeitung wurden von der Antragsgegnerin im<br />
vorliegenden Fall geschaffen. Die Fachanwaltschaft wurde zum 1.<br />
Juli 2006 eingeführt. Am 28. Juni 2006 wurde der entsprechende<br />
Fachausschuss eingerichtet. Auch die Bearbeitung des konkreten<br />
Antrages lässt einen Verstoß gegen die Beschleunigungspflicht<br />
nicht erkennen, Dem Umstand, dass eine’ Entscheidung vor Ablauf<br />
der Dreimonatsfrist nicht ergangen ist, kommt dabei kein<br />
entscheidendes Gewicht zu. Der Gesetzgeber ist zwar bei der Bemessung<br />
dieser Frist davon ausgegangen, dass eine Entscheidung<br />
in der Regel innerhalb dieser Frist möglich ist. § 223 Abs. 2<br />
BRAO enthält aber eine notwendig generalisierende Regelung,<br />
die alle im Rahmen der BRAO denkbaren Anträge auf Vornahme<br />
eines Verwaltungsakts betrifft. Der Untätigkeitsantrag kann<br />
nicht allein deshalb Erfolg haben, weil die Dreimonatsfrist versäumt<br />
wurde, (AGH München BRAK-Mitt. 1996, 205).<br />
Bei der Prüfung, ob ein zureichender Grund im Sinne des<br />
§ 223 Abs. 2 StPO ist entscheidend, dass der Verfahrensablauf<br />
zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung Prüfungs- und Bewertungsvorgänge<br />
beinhaltet, bei denen zur Gewährleistung<br />
einer sorgfältigen und möglichst richtigen Entscheidung ein angemessener<br />
Zeitraum zur Verfügung steht (AGH Baden-<br />
Württemberg NJOZ 2005, 986, 987). Wann eine Bearbeitungszeit<br />
daher noch angemessen ist, kann nicht generell, sondern nur<br />
von Fall zu Fall entschieden werden. Hier bestehen aber an der<br />
Angemessenheit der Bearbeitungszeit keine Bedenken. In diesem<br />
Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass es<br />
sich um eine neu eingerichtete Fachanwaltschaft handelte, eine<br />
Bearbeitungspraxis sich noch nicht herausgebildet hatte und es<br />
noch Unsicherheiten hinsichtlich der Behandlung der Fälle bestanden.<br />
Unter diesen Umständen ist die Bearbeitungsdauer von<br />
fast vier Monaten nicht zu beanstanden. Unter diesen Umständen<br />
verbleiben keine klärungsbedürftigen Gesichtspunkte.<br />
III. ... Die Zulassung der sofortigen Beschwerde zum Bundesgerichtshof<br />
nach § 223 Abs. 3 S, 1 BRAO kommt nicht in<br />
Betracht. Die Voraussetzungen des S. 2 (Rechtsfragen von<br />
grundsätzlicher Bedeutung) liegen nicht vor. Die Grundsätze,<br />
unter denen ausnahmsweise von Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
zulässig ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />
geklärt. Die Frage der angemessenen Bearbeitungsfrist<br />
ist eine Frage des Einzelfalls.<br />
Englische „Limited“ als deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
BRAO §§ 59c, 59 d – m<br />
Eine englische Private Limited Company by Shares ist in Deutschland<br />
im Rahmen des Zulassungsverfahrens als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
wie eine deutsche Rechtsanwalts-GmbH zu behandeln.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
AGH Berlin, Beschl. v. 5.4.2007 – I AGH 17/06<br />
Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />
Internet abrufbar unter www.anwaltsbatt.de.<br />
Der Fall zeigt, dass sich immer wieder Anwältinnen und Anwälte<br />
finden, die von neuen Möglichkeiten Gebrauch machen:<br />
Ein Anwalt in Berlin hatte in England eine Private Limited Company<br />
by Shares gegründet, die in Deutschland Rechtsberatung<br />
anbieten soll. Die Rechtsanwaltskammer Berlin versagte die Zulassung<br />
nach § 59 c BRAO als Rechtsanwaltsgesellschaft. Der<br />
AGH Berlin verpflichtete die Kammer zu Antragsbescheidung.<br />
Siehe dazu auch Knöfel, in diesem Heft auf Seite 742.<br />
Erstberatung im Café<br />
UWG §§ 4 Nr. 3, Nr. 11, § 5 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2; BRAO, §§ 43a Abs. 2, 43b, 49b<br />
Abs. 3<br />
1. Die Erstberatung durch einen Rechtsanwalt in einem öffentlichen<br />
Caféraum verstößt gegen Wettbewerbsrecht und Berufsrecht.<br />
2. Eine nach der BRAO unzulässige Vermittlungsgebühr liegt<br />
auch dann vor, wenn die Gebühr nicht allein an die Vermittlung<br />
des Mandanten, sondern zusätzlich an seine Teilnahme an einer<br />
Qualitätsumfrage angeknüpft. (Leitsatz der Redaktion)<br />
OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.7.2007 – 20 U 54/07<br />
Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />
Internet abrufbar unter www.anwaltsbatt.de.<br />
794 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsrecht
MN Rechtsprechung<br />
Anwaltshaftung<br />
Fristverlängerung als „Holschuld“<br />
ZPO §§ 520 Abs. 2 Satz 3, 233<br />
Der Vorsitzende, der eine erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />
ablehnt, weil dafür kein erheblicher Grund dargelegt<br />
worden war, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Entscheidung<br />
dem Rechtsmittelführer noch vor Fristablauf notfalls<br />
per Telefon oder Telefax mitzuteilen. Vielmehr hat dieser sich<br />
rechtzeitig bei Gericht zu erkundigen, weil er mit einer Ablehnung<br />
des unbegründeten Antrags rechnen musste.<br />
BGH, Beschl. v. 18.7.2007 – IV ZR 132/06<br />
Aus den Gründen: I. Im Rahmen einer Auseinandersetzung der<br />
Parteien über den Pflichtteil der Klägerin haben die Beklagten widerklagend<br />
beantragt, die Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld,<br />
die der Klägerin von der Erblasserin, der Mutter der Parteien,<br />
bestellt worden war, für unzulässig zu erklären. Das<br />
Landgericht hat der Widerklage mit Teilurteil vom 17. November<br />
2005 stattgegeben, das der Klägerin am 22. November 2005 zugestellt<br />
worden ist. Ihr Prozessbevollmächtigter hat Berufung eingelegt<br />
und mit einem Telefax vom 18. Januar 2006 ohne jede weitere<br />
Erläuterung oder Begründung darum gebeten, die Frist zur Begründung<br />
der Berufung bis zum 28. Februar 2006 zu verlängern.<br />
Der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts hat am Freitag, dem<br />
20. Januar 2006 verfügt, die Berufungsbegründungsfrist werde<br />
nicht verlängert, weil keine Gründe für die erbetene Verlängerung<br />
dargelegt worden seien und das Verfahren durch die Verlängerung<br />
verzögert würde (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Mit Telefax vom<br />
24. Januar 2006 hat der Senatsvorsitzende den Klägervertreter auf<br />
den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Montag, dem<br />
23. Januar 2006, hingewiesen. Nach Anwaltswechsel hat die Klägerin<br />
mit Telefax vom 1. Februar 2006 u.a. Wiedereinsetzung in<br />
den vorigen Stand beantragt.<br />
Das Berufungsgericht hat diesen Antrag durch das angegriffene<br />
Urteil zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als<br />
unzulässig verworfen. Soweit geltend gemacht werde, der Klägervertreter<br />
habe die ablehnende Verfügung des Senatsvorsitzenden<br />
vom 20. Januar 2006 erst nach Fristablauf erhalten, sei<br />
die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne der Klägerin zuzurechnendes<br />
Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt<br />
worden, weil dieser rechtzeitig bei Gericht habe nachfragen<br />
können. Soweit in der Vergangenheit in vor dem Senat<br />
anhängigen Berufungsverfahren Begründungsfristen verlängert<br />
worden seien, sei dies regelmäßig nur geschehen, wenn der Berufungskläger<br />
hierfür tragfähige Gründe mitgeteilt habe. Unabhängig<br />
von der Frage, ob eine zweiwöchige Fristverlängerung<br />
für den Senat üblich sei, habe der Prozessbevollmächtigte der<br />
Klägerin jedenfalls nicht darauf vertrauen dürfen, dass einem<br />
unbegründeten Gesuch entsprochen werde.<br />
Die Klägerin hat rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde<br />
eingelegt. Sie rügt u.a. eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG<br />
und macht ferner geltend, aus Anlass des vorliegenden Falles<br />
müsse zur Rechtsfortbildung die Frage geklärt werden, ob der<br />
Antragsteller, der eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />
beantragt, ohne dafür einen Grund anzugeben, auch<br />
dann mit einer Zurückweisung seines Antrags wegen Verzögerung<br />
des Rechtsstreits rechnen müsse, wenn das Gericht<br />
üblicherweise Fristverlängerung gewähre und dafür nur „regelmäßig“<br />
eine ausdrückliche Begründung fordere.<br />
II. Die Beschwerde ist zulässig; ein Grund, der die Zulassung<br />
der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen<br />
könnte, liegt aber nicht vor.<br />
1. a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />
hat der Rechtsmittelführer das Risiko zu tragen, dass der<br />
Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung pflichtgemä-<br />
ßen Ermessens die Verlängerung der Begründungsfrist versagt;<br />
er kann daher im Wiedereinsetzungsverfahren grundsätzlich<br />
nicht geltend machen, er habe mit der beantragten Fristverlängerung<br />
rechnen dürfen. Eine Ausnahme kommt in Betracht,<br />
wenn es sich um einen ersten Verlängerungsantrag handelt<br />
und darin erhebliche, die beantragte Verlängerung rechtfertigendeGründeoderabereineEinwilligungdesGegnersdargelegtwerden(vgl.u.a.BGH,Beschlüssevom7.Oktober1992–<br />
VIII ZB 28/92 – NJW 1993, 134 unter 2 a.; vom 4. März 2004 –<br />
IX ZB 121/03 – NJW 2004, 1742 unter 2; vom 22. März 2005 –<br />
XI ZB 36/04 – NJW-RR 2005, 865 unter II 1).<br />
Auf eine Einwilligung des Gegners hat sich die Klägerin<br />
hier nicht berufen. Ohne dessen Einwilligung kommt eine Verlängerung<br />
nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur bis zu einem Monat<br />
in Betracht. Darüber ging die hier bis zum 28. Februar<br />
2006 beantragte Verlängerung jedoch hinaus.<br />
Soweit damit zugleich ein Antrag auf Verlängerung bis zur<br />
gesetzlichen Höchstfrist gestellt worden sein sollte, konnte der<br />
Klägervertreter jedenfalls nicht damit rechnen, dass diesem Antrag<br />
stattgegeben werden würde, weil er einen erheblichen<br />
Grund dafür nicht dargelegt hatte. Anders als die Beschwerde<br />
meint, ist eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten,<br />
der einen solchen Verlängerungsantrag stellt, nicht etwa<br />
ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten. Das gilt insbesondere,<br />
wenn es nicht um eine kurzfristige Fristverlängerung<br />
geht, sondern die Frist – wie hier – um mehr als fünf Wochen<br />
verlängert werden soll. Die Gründe dafür müssen<br />
keineswegs immer erheblich sein. Auf die Frage, ob der gestellte<br />
Verlängerungsantrag hier tatsächlich durch Arbeitsüberlastung<br />
des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin<br />
gerechtfertigt war, kommt es nicht an. Vielmehr musste der<br />
Prozessbevollmächtigte der Klägerin damit rechnen, dass der<br />
Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten<br />
begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des<br />
Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde<br />
(vgl.BGH,Beschlussvom16.Juni1992–XZB6/92–NJW<br />
1992, 2426 f.).<br />
b) Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat,<br />
wäre es aufgrund dieser Sach- und Rechtslage die Aufgabe des<br />
Klägervertreters gewesen, rechtzeitig vor Fristablauf beim Gericht<br />
nachzufragen, ob dem Fristverlängerungsantrag gleichwohl<br />
stattgegeben worden sei. Insofern hat sich das Berufungsgericht<br />
entgegen den Angriffen der Beschwerde durchaus mit<br />
der Rüge der Klägerin befasst, der Senatsvorsitzende habe seine<br />
ablehnende Entscheidung telefonisch oder per Telefax noch vor<br />
Fristablauf mitteilen müssen. Die Verfügung des Senatsvorsitzenden<br />
vom 20. Januar 2006 ist nach dem beigefügten Erledigungsvermerk<br />
noch an demselben Tag, einem Freitag, ausgeführt<br />
und abgesandt worden. Danach hätte mit ihrem<br />
Eingang beim Klägervertreter am Montag, dem 23. Januar 2006,<br />
dem letzten Tag der Frist, gerechnet werden können. Ob der<br />
Brief dem Klägervertreter, wie dieser geltend macht, tatsächlich<br />
aber in einem Umschlag, der erst am Dienstag, dem 24. Januar<br />
2006 abgestempelt worden sei, am Mittwoch, dem 25. Januar<br />
2006 zugegangen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls war der Senatsvorsitzende<br />
bei dieser Sachlage nicht verpflichtet, den Klägervertreter<br />
vor Fristablauf außerhalb des üblichen Geschäfts-<br />
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Anwaltshaftung AnwBl 11 / 2007 795
MN Rechtsprechung<br />
gangs per Telefon oder Telefax zusätzlich zu unterrichten. Vielmehr<br />
war es Sache des Klägervertreters, den eine Ablehnung<br />
seines unbegründeten Verlängerungsantrags nicht hätte überraschen<br />
dürfen, von sich aus bei Gericht rechtzeitig nachzufragen,<br />
ob die Frist möglicherweise dennoch verlängert worden<br />
war, so dass er notfalls noch vor Fristablauf die Berufungsbegründung<br />
oder jedenfalls einen begründeten Verlängerungsantrag<br />
hätte einreichen können (vgl. BGH, Beschluss vom 7.<br />
Oktober 1992 aaO unter 2 c). Für die Versäumung dieser Frist<br />
war mithin bei wertender Betrachtung eine eventuell nicht der<br />
Klägerin zuzurechnende Verzögerung bei der Zustellung der<br />
ablehnenden Verfügung des Senatsvorsitzenden nicht ursächlich.<br />
2. Anders läge der Fall nur dann, wenn es einer ständigen<br />
Übung des Berufungssenats entsprochen hätte, erstmaligen Gesuchen<br />
um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist für<br />
eine Dauer von einem Monat auch ohne Darlegung von<br />
Gründen zu entsprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juni<br />
1992 aaO; vom 7. Oktober 1992 aaO unter 2 b). Das trägt die<br />
Klägerin aber nicht vor. Sie geht vielmehr von der Feststellung<br />
im angegriffenen Berufungsurteil aus, in der Vergangenheit<br />
seien Berufungsbegründungsfristen „regelmäßig“ nur verlängert<br />
worden, wenn der Berufungskläger hierfür tragfähige<br />
Gründe mitgeteilt habe. Damit hat das Berufungsgericht zwar<br />
nicht ausgeschlossen, dass es Ausnahmen gegeben haben mag.<br />
Solche Ausnahmen rechtfertigen noch kein Vertrauen darauf,<br />
dass grundsätzlich jedem ersten Gesuch um Verlängerung der<br />
Berufungsbegründungsfrist auch ohne Angabe von Gründen<br />
stattgegeben werde.<br />
Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sie aus anderen<br />
Quellen von Verlängerungen der Berufungsbegründungsfrist<br />
um einen Monat auch ohne Darlegung von Gründen erfahren<br />
habe. Vielmehr hat ihr Prozessbevollmächtigter in seinem<br />
Wiedereinsetzungsantrag lediglich behauptet, telefonische<br />
Rückfragen bei Kollegen am Sitz des Berufungsgerichts hätten<br />
ergeben, dass mit einer üblichen Fristverlängerung von 14 Tagen<br />
zu rechnen sei. Das lässt schon offen, ob sich diese<br />
Auskünfte auch auf Gesuche ohne Angabe eines erheblichen<br />
Grundes bezogen haben.<br />
3. Soweit die Beschwerde noch geltend macht, mangels gegenteiliger<br />
Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass im vorliegenden<br />
Fall durch die beantragte Verlängerung keine Verzögerung<br />
eingetreten wäre, kann dies auf sich beruhen; eine<br />
Anfechtung des Beschlusses, durch den das Gesuch um Verlängerung<br />
einer Frist zurückgewiesen ist, findet nicht statt (§ 225<br />
Abs. 3 ZPO).<br />
Fristenkalender<br />
ZPO § 574 Abs. 2<br />
1. Es liegt ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten<br />
vor, wenn die Vorfrist bei Berufungsbegründungen weniger als<br />
eine Woche beträgt und keine besonderen Umstände vorliegen.<br />
2. Eintragungen im Fristenkalender aufgrund einer mündlichen<br />
Mitteilung des Gerichts sind mit einer späteren schriftlichen Verfügung<br />
des Gerichts abzugleichen.<br />
BGH, Beschl. v. 14.6.2007 I ZB 5/06<br />
Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 (im<br />
Weiteren: Beklagte) mit Urteil vom 28. Juli 2005, zugestellt am<br />
3. August 2005, verurteilt, an den Kläger 32.806,73 E nebst Zinsen<br />
zu zahlen. Die Beklagte hat gegen diese Entscheidung am<br />
1. September 2005 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten<br />
vom 29. September 2005 hat sie beantragt,<br />
„die am 4.10.2005 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung um<br />
einen Monat, d.h. bis zum 7.11.2005, zu verlängern“. Der Vorsitzende<br />
des Berufungssenats hat die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung<br />
mit Verfügung vom selben Tag „um einen<br />
Monat nach Ablauf der Frist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO“ verlängert.<br />
Die Berufungsbegründung ist am 7. November 2005<br />
(Montag) bei Gericht eingegangen. Mit Verfügung vom 14. November<br />
2005 hat der Vorsitzende des Berufungssenats die<br />
Beklagte darauf hingewiesen, dass die verlängerte Frist zur Berufungsbegründung<br />
bereits am 4. November 2005 (Freitag) abgelaufen<br />
sei.<br />
Die Beklagte hat daraufhin beantragt, ihr gegen die Versäumung<br />
der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in<br />
den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs<br />
hat sie vorgetragen, die Fristversäumung<br />
beruhe auf einem Irrtum der Rechtsanwaltsfachangestellten H.<br />
ihres Prozessbevollmächtigten. Frau H. habe sich am 30. September<br />
2005 telefonisch bei der Geschäftsstelle des Berufungssenats<br />
erkundigt, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden<br />
sei. Nachdem ihr dies bestätigt worden sei, habe Frau H. auf<br />
dem Verlängerungsantrag in der Handakte des Prozessbevollmächtigten<br />
notiert: „... Frist antragsgemäß verlängert ...“. Nach<br />
Eingang der schriftlichen Verlängerungsverfügung des Senatsvorsitzenden<br />
habe Frau H. irrtümlich das bereits auf den<br />
7. November 2005 notierte Fristende nicht korrigiert, sondern<br />
durch einen entsprechenden Fristenvermerk auf der Verfügung<br />
nach Kontrolle des Fristeintrags bestätigt. Ihr Prozessbevollmächtigter<br />
habe sich die Akten im Hinblick auf die notierte<br />
Frist schon am 4. November 2005 (Freitag) zur Bearbeitung am<br />
Wochenende vorlegen lassen.<br />
Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch der<br />
Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig<br />
verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde<br />
der Beklagten.<br />
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.<br />
mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig.<br />
Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht<br />
erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche<br />
Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung<br />
des Rechts auf, noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.<br />
Die Rechtsfragen, die der Streitfall aufwirft, sind höchstrichterlich<br />
geklärt.<br />
1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch<br />
zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist<br />
auf einem der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden<br />
Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe.<br />
Der Rechtsanwalt habe alles ihm Zumutbare zu tun und<br />
zu veranlassen, damit die Frist zur Begründung eines eingelegten<br />
Rechtsmittels gewahrt werde. Dementsprechend müsse er<br />
den Fristablauf eigenverantwortlich überprüfen, wenn ihm die<br />
Akten zur Vorbereitung der befristeten Prozesshandlung vorgelegt<br />
würden. Die Handakten seien dem Prozessbevollmächtigten<br />
der Beklagten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist<br />
zum Zweck der Bearbeitung vorgelegt worden. Zwar begründe<br />
es regelmäßig kein Verschulden, wenn der Rechtsanwalt bei<br />
Vorlegung einer als Vorfristsache gekennzeichneten Akte sowohl<br />
die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das<br />
Fristende richtig ermittelt und festgehalten worden sei, nicht<br />
bereits am Tag der Vorlage, sondern erst am nächsten Tag vornehme.<br />
Die Dauer der Vorfrist betrage bei Berufungsbegründungen<br />
jedoch grundsätzlich eine Woche, im Einzelfall<br />
könne allerdings auch eine kürzere Frist genügen. Es seien im<br />
vorliegenden Fall keine Umstände zu erkennen, die es hätten<br />
ausreichen lassen, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />
die Handakten erst drei Tage vor dem notierten Fristablauf vorzulegen.<br />
Unabhängig von einem hieraus abzuleitenden Versäumnis<br />
liege ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklag-<br />
796 AnwBl 11 / 2007 Anwaltshaftung
MN Rechtsprechung<br />
ten jedenfalls auch deshalb vor, weil dieser den Irrtum seiner<br />
Angestellten über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist<br />
selbst veranlasst habe. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />
sei widersprüchlich. Zum einen sei –<br />
dem Gesetz entsprechend – die Verlängerung um einen Monat<br />
beantragt worden. Das Ende der verlängerten Frist sei jedoch<br />
fälschlich mit dem 7. November 2005 angegeben worden. Die<br />
Verantwortung für die falsche Berechnung des Fristendes trage<br />
der Prozessbevollmächtigte, da dieser den Schriftsatz unterzeichnet<br />
und damit dessen gesamten Inhalt zu verantworten<br />
habe. Eine Verpflichtung des Gerichts, auf den Widerspruch in<br />
der Antragsschrift hinzuweisen, habe nicht bestanden. Der in<br />
der Antragsschrift enthaltene Fehler sei nicht offensichtlich,<br />
sondern nur bei Überprüfung des bezeichneten Datums anhand<br />
eines Kalenders erkennbar gewesen. Eine derart weitgehende<br />
gerichtliche Fürsorgepflicht bestehe nicht.<br />
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das<br />
Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung<br />
im Ergebnis zu Recht versagt, weil die Versäumung der<br />
Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres<br />
Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach<br />
§ 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.<br />
a) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein<br />
Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits<br />
darin liegt, dass er den von der Rechtsanwaltsfachangestellten H.<br />
formulierten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />
ohne Änderung unterschrieben hat. Denn dieser Antrag<br />
ist unklar gefasst. Begehrt wurde, die am 4. Oktober 2005 ablaufende<br />
Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu<br />
verlängern. Danach fiel das Ende der verlängerten Berufungsbegründungsfrist<br />
auf Freitag, den 4. November 2005, und nicht,<br />
wie es in dem Antrag heißt, auf Montag, den 7. November 2005.<br />
Das hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Unterzeichnung<br />
des Verlängerungsantrags bemerken und die Unklarheit<br />
beseitigen müssen. Denn er hat den Inhalt des von ihm unterzeichneten<br />
Schriftsatzes eigenständig zu verantworten.<br />
b) Das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten anzulastende<br />
Verschulden bei der Unterzeichnung des Verlängerungsantrags<br />
hätte sich allerdings dann nicht auf die Einhaltung der<br />
Berufungsbegründungsfrist ausgewirkt, wenn die aufgrund der<br />
mündlichen Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungssenats<br />
eingetragene Frist nach Eingang der schriftlichen gerichtlichen<br />
Verlängerungsverfügung auf ihre Richtigkeit hin überprüft<br />
worden wäre. Eine solche Überprüfung ist erforderlich, weil<br />
nicht ausgeschlossen werden kann, dass es bei telefonisch erteilten<br />
Auskünften aufgrund von Missverständnissen oder Übermittlungsversehen<br />
zu fehlerhaften Eintragungen im Fristenkalender<br />
kommt. Ein Rechtsanwalt muss daher durch<br />
büroorganisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die aufgrund<br />
einer mündlichen Mitteilung des Gerichts, die Rechtsmittelbegründungsfrist<br />
sei verlängert worden, vorgenommene<br />
Eintragung im Fristenbuch mit der später eingehenden schriftlichen<br />
gerichtlichen Nachricht verglichen und gegebenenfalls<br />
berichtigt wird. Dementsprechend ist es notwendig, das Kanzleipersonal<br />
anzuweisen, die schriftliche gerichtliche Mitteilung<br />
über die Fristverlängerung mit der im Fristenbuch vorgenommenen<br />
Eintragung zu vergleichen. Dem Anwalt, der es versäumt,<br />
eine entsprechende Anordnung zu erteilen, fällt ein Organisationsverschulden<br />
zur Last, das sich die von ihm<br />
vertretene Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen<br />
muss (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.1997 – IX ZB 29/97, NJW 1997,<br />
1860). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass im Büro ihres Prozessbevollmächtigten<br />
Vorkehrungen zur Vermeidung eines<br />
Fehlers, wie er hier aufgetreten ist, erfolgt waren.<br />
III. Die Rechtsbeschwerde ist danach mit der Kostenfolge<br />
aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.<br />
Anwaltsvergütung<br />
Keine Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />
ZPO §§ 91, 103, 104; RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />
Die teilweise Anrechnung einer vorgerichtlich angefallenen Geschäftsgebühr<br />
auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren<br />
entstandene Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />
W-RVG ist im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§103, 104 ZPO<br />
grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.<br />
(nicht rechtskräftig)<br />
OLG München, Beschl. v. 30.8.2007 – 11 W 1779/07<br />
Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat mit Anerkenntnisurteil<br />
vom 21.02.2007 den Beklagten zur Zahlung von 25.026,84 E nebst<br />
Zinsen verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.<br />
Die Rechtspflegerin beim Landgericht hat mit Beschluss<br />
vom 19.04.2007 die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden<br />
Kosten antragsgemäß auf 2.618,85 E festgesetzt einschließlich<br />
einer 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 985,40 E<br />
zuzüglich MWST. Dagegen hat der Beklagte mit Schriftsatz seiner<br />
Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2007 sofortige Beschwerde<br />
eingelegt. Zur Begründung wird unter Bezugnahme<br />
auf das Urteil des BGH vom 07.03.2007 (VIII ZR 86/06 – NJW<br />
07, 2049) ausgeführt, dass die für die Klägervertreter durch deren<br />
vorgerichtliche Tätigkeit angefallene 1,3 Geschäftsgebühr<br />
in Höhe von 985,40 E nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />
RVG zur Hälfte auf die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend<br />
gemachte 1,3 Verfahrensgebühr anzurechnen sei. Erstattungsfähig<br />
sei nur die nach dieser Anrechnung verbleibende 0,65 Verfahrensgebühr<br />
in Höhe von 492,70 E. Denn der Kläger könne<br />
von dem Beklagten nicht höhere Anwaltsgebühren erstattet verlangen<br />
als er seinen Prozessbevollmächtigten schulde.<br />
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.<br />
Er vertritt – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz<br />
– die Auffassung, dass die für die vorgerichtliche Tätigkeit seines<br />
Prozessbevollmächtigten entstandene Geschäftsgebühr ungeachtet<br />
der Anrechnungsbestimmung nach Vorbemerkung 3<br />
Abs. 4 VV-RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen<br />
sei.<br />
II. Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig (§ 11<br />
Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).<br />
Das Rechtsmittel bleibt aber ohne Erfolg.<br />
Die Vorinstanz hat mit zutreffender Begründung die vom<br />
Kläger geltend gemachte 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV-<br />
RVG) in voller Höhe festgesetzt.<br />
1. Allerdings hatten die Prozessbevollmächtigten des Klägers<br />
diesen wegen desselben Gegenstandes schon vorgerichtlich<br />
vertreten und dadurch eine 1,3 Geschäftsgebühr nach<br />
Nr. 2300 VV-RVG in Höhe von 985,40 E verdient. Das ist zwischen<br />
den Parteien unstreitig.<br />
Im Ausgangspunkt zutreffend ist auch die Auffassung des<br />
Beklagten, dass auf die den Prozessbevollmächtigten des<br />
Klägers spätestens mit Einreichung der Klageschrift vom<br />
17.01.2007 erwachsene 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von<br />
985,40 E die zuvor entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen<br />
ist, die Geschäftsgebühr also in unvermindeter<br />
Höher bestehen bleibt (BGH NJW 07, 2049, 2050; Senat Jur-<br />
Büro 06, 21 unter II. 3). Das ergibt sich aus dem eindeutigen<br />
Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG und hat<br />
zur Folge, dass der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten neben<br />
der 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV-RVG) nur eine 0,65<br />
Verfahrensgebühr in Höhe von 492,70 E schuldet.<br />
2. Ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr nach<br />
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die im nachfolgenden<br />
Anwaltsvergütung AnwBl 11 / 2007 797
MN Rechtsprechung<br />
Rechtsstreit entstandene Verfahrensgebühr auch im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
zu berücksichtigen ist, ist umstritten.<br />
Nach einer vom 10. und 19. Senat des VGH München (Jur-<br />
Büro 06, 77 und NJW 06, 1990) vertretenen Auffassung ist auch<br />
im Kostenfestsetzungsverfahren nur der nach Anrechnung der<br />
anteiligen Geschäftsgebühr verbleibende Teil der Verfahrensgebühr<br />
gegen die erstattungspflichtige Partei festsetzbar.<br />
Nach der überwiegenden Gegenmeinung hindert dagegen<br />
die Anrechnungsbestimmung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />
RVG grundsätzlich nicht die Geltendmachung und Festsetzung<br />
der vollen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
gegen die unterlegene Partei (OLG Hamm JurBüro 06, 202; KG<br />
JurBüro 06, 202; OLG Koblenz Rpfleger 07, 433; OVG Münster<br />
NJW 06, 1991; VGH München – 4. Senat – NJW 07, 170;<br />
Gerold/Schmidt/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., Rdnr. 41<br />
zu W 2300, 2301 und Rdnr. 201 zu W 3100; N. Schneider AGS<br />
07, 287). Diese Auffassung teilt auch der Senat für den hier vorliegenden<br />
Fall, in dem mit der Klage eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr<br />
nicht geltend gemacht worden ist und der Beklagte<br />
auch nicht behauptet, die den Klägervertretern<br />
erwachsene Geschäftsgebühr bereits bezahlt zu haben.<br />
a) Schon zu § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, wonach eine bezüglich<br />
desselben Gegenstandes vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr<br />
(§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) auf die im nachfolgenden<br />
Rechtsstreit entstandene Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1<br />
Nr. 1 BRAGO) anzurechnen ist, hat der Senat die Auffassung<br />
vertreten, dass diese Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
nach §§ 103, 104 ZPO grundsätzlich unberücksichtigt<br />
bleibt, die Festsetzung der vollen Prozessgebühr also nicht hindert(vgl.SenatJurBüro95,85;ebensoOLGSchleswigAnwBI<br />
97, 125), wenn nicht ausnahmsweise eine Titulierung des materiell<br />
rechtlichen Anspruchs auf Ersatz der Geschäftsgebühr<br />
nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO vorliegt (Senat a.a.O.) oder der<br />
erstattungspflichtige Gegner die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr<br />
unstreitig bezahlt hat (vgl. Senat JurBüro 06, 21).<br />
An dieser Auffassung hält der Senat auch in Bezug auf die Anrechnungsbestimmung<br />
gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-<br />
RVG fest, die mit Inkrafttreten des RVG an die Stelle des § 118<br />
Abs. 2 BRAGO getreten ist,<br />
b) Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG (in der seit<br />
01.07.2006 geltenden Fassung) wird eine wegen desselben Gegenstandes<br />
vorgerichtlich nach den Nummern 2300 bis 2303<br />
entstandene Geschäftsgebühr zwar nur noch zur Hälfte, jedoch<br />
höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr<br />
des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens angerechnet.<br />
Auch diese teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr<br />
auf die Verfahrensgebühr ist im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
aber grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.<br />
(1) Für die Prozessbevollmächtigten des Klägers ist – ungeachtet<br />
des Mandats für die vorgerichtliche Tätigkeit – spätestens<br />
mit Erreichung der Klageschrift vom 17.01.2007 die 1,3 Verfahrensgebühr<br />
nach Nr. 3100 VV-RVG entstanden. Dass die Verfahrensgebühr<br />
in voller Höhe entsteht, ergibt sich gerade aus<br />
der Anrechnungsbestimmung nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />
VV-RVG und beruht darauf, dass es sich bei der vorgerichtlichen<br />
– regelmäßig auf die Vermeidung eines gerichtlichen<br />
Verfahrens gerichteten – Tätigkeit des Rechtsanwalts und der<br />
Vertretung im nachfolgenden Rechtsstreit um verschiedene Angelegenheiten<br />
im Sinne des § 15 RVG handelt.<br />
Die einmal entstandene Verfahrensgebühr gehört aber zu<br />
denKostendesRechtsstreitsimSinnevon§91Abs.1Satz1<br />
ZPO und ist deshalb in voller Höhe erstattungsfähig (§ 91<br />
Abs. 2 Satz 1 ZPO), Die für die vorgerichtliche Tätigkeit des<br />
Rechtsanwalts angefallene Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV-RVG)<br />
gehört dagegen nicht zu den Kosten des Rechtsstreits, wenn sie<br />
– wie in aller Regel und auch im vorliegenden Fall – nicht unmittelbar<br />
dessen Vorbereitung dient, sondern der außergerichtlichen<br />
Erledigung der Angelegenheit (vgl. BGH NJW 06, 2560;<br />
NJW-RR 06, 501). Deshalb kann der nach der Vorbemerkung 3<br />
Abs. 4 VV-RVG nicht anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr<br />
im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 103, 104 ZPO nicht<br />
berücksichtigt werden (BGH a.a.O.). Folgerichtig muss aber<br />
auch der nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG anrechenbare<br />
Teil der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.<br />
Die obsiegende Partei, welche nach § 91 ZPO die ihr im<br />
Rechtsstreit entstandenen Anwaltskosten erstattet verlangen<br />
und diesen prozessualen Kostenerstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
nach §§ 103, 104 ZPO geltend machen<br />
kann, muss sich hinsichtlich des nach Vorbemerkung 3 Abs. 4<br />
VV-RVG anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr auch nicht<br />
auf einen materiell rechtlichen Erstattungsanspruch verweisen<br />
lassen, der gegebenenfalls im Wege der Klage geltend zu machen<br />
ist, zumal die Voraussetzungen für einen materiell rechtlichen<br />
Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten auch<br />
für die im Rechtsstreit obsiegende Partei – insbesondere für den<br />
zu Unrecht in Anspruch genommenen Beklagten – keineswegs<br />
in allen Fällen gegeben sind (vgl. BGH JurBüro 07, 249).<br />
(2) Unter Geltung der BRAGO entsprach es allgemeiner<br />
Meinung und Rechtsprechung, dass die Anrechnung der vorgerichtlich<br />
entstandenen Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 2<br />
BRAGO auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angefallene<br />
Prozess- oder Verkehrsgebühr (§§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 52<br />
Abs. 1 BRAGO) im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich<br />
nicht zu berücksichtigen sei (vgl. Senat JurBüro 95, 85; OLG<br />
Schleswig AnwBl 97, 125; OLG Frankfurt a.M. AnwBl 85, 327),<br />
Eine von dieser gerichtlichen Praxis abweichende Auffassung<br />
wurde – soweit ersichtlich – auch im Schrifttum nicht vertreten.DassderGesetzgeberandieserPraxismitderEinführung<br />
des RVG etwas ändern wollte, lässt sich – worauf Tomson (NJW<br />
07, 267/268) zutreffend hinweist – weder dem Wortlaut der Vorbemerkung<br />
3 Abs. 4 VV-RVG noch der Gesetzesbegründung<br />
entnehmen.<br />
(3) Wie § 118 Abs. 2 BRAGO betrifft auch die Anrechnungsbestimmungnach<br />
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG zunächst<br />
nur das Rechtsverhältnis zwischen der Partei – hier dem Kläger<br />
– und ihrem Prozessbevollmächtigten und soll das insgesamt<br />
abrechenbare Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts gegenüber<br />
seinem Auftraggeber begrenzen, wenn er für diesen wegen<br />
desselben Gegenstandes schon vorgerichtlich tätig gewesen<br />
ist (vgl. OVG Münster NJW 06, 1991 unter Hinweis auf die Motive<br />
in BT-Dr. 15/1971, 5.209).<br />
Hat allerdings die Partei im Rechtsstreit die vorgerichtlich<br />
entstandene Geschäftsgebühr in voller Höhe als materiellrechtlichen<br />
Erstattungsanspruch geltend gemacht und ist ihr diese<br />
vom Prozessgericht zuerkannt worden, dann kann auch irn<br />
Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr (Nr. 3100<br />
VV-RVG) nur noch in der um den (nach Vorbemerkung 3<br />
Abs. 4 VV-RVG) anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr verminderten<br />
Höhe berücksichtigt werden (ebenso N. Schneider<br />
in NJW 07, 2001, 2006; Hansens in RVGreport 07, 241). Dasselbe<br />
gilt, wenn der im Rechtsstreit unterlegene Gegner die vorgerichtlich<br />
entstandene Geschäftsgebühr unstreitig bereits vor<br />
Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig bezahlt<br />
hat (N. Schneider und Hansens jeweils a.a.O.). Denn die obsiegende<br />
Partei kann von dem Gegner insgesamt nicht höhere<br />
Gebühren erstattet verlangen als sie ihrem Rechtsanwalt schuldet.<br />
Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.<br />
(4) Die ausnahmslose Berücksichtigung der Anrechnungsbestimmungnach<br />
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
erscheint auch deshalb nicht sachgerecht,<br />
weil es sich bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300<br />
VV-RVG um eine Rahmengebühr handelt und der Umfang der<br />
vorgerichtlichen Tätigkeit des späteren Prozessbevollmächtigten<br />
sowie die für die Höhe dieser Gebühr nach § 14 Abs, 1 RVG<br />
maßgeblichen Umstände aus den gerichtlichen Verfahrens-<br />
798 AnwBl 11 / 2007 Anwaltsvergütung
MN Rechtsprechung<br />
akten häufig nicht ersichtlich sind. Das Kostenfestsetzungsverfahren<br />
ist weder geeignet noch dazu bestimmt, einen – im vorliegenden<br />
Fall zwar nicht gegebenen, aber in anderen Fällen<br />
möglichen – Streit der Parteien über die Höhe einer vorgerichtlich<br />
entstandenen und nicht prozessbezogenen Geschäftsgebühr<br />
zu entscheiden.<br />
c) Die vom Senat vertretene Auffassung steht auch nicht in<br />
Widerspruch zu den Urteilen des BGH vom 07.03.2007 und<br />
14.03.2007 (NJW 07, 2049 und 2050).<br />
Beide Entscheidungen sind nicht in Kostensetzungsverfahrenergangen,sondernbetreffendieFrage,obsichdieimKlageverfahren<br />
als materiell rechtlicher Erstattungsanspruch in<br />
voller Höhe geltend gemachte vorgerichtliche Geschäftsgebühr<br />
durch die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3<br />
Abs. 4 VV-RVG vermindert. Diese Frage hat der BGH (a.a.O.)<br />
dahingehend entschieden, dass sich nicht die Geschäftsgebühr,<br />
sondern die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren anfallende<br />
Verfahrensgebühr vermindert. Soweit der BGH in den<br />
Entscheidungsgründen ausgeführt hat, dass die Anrechnung<br />
auf die Verfahrensgebühr (erst) im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
zu berücksichtigen sei, beruht dies darauf, dass der Klagepartei<br />
jeweils die mit der Klage geltend gemachte 1,3 Geschäftsgebühr<br />
zuerkannt worden war. Dass die teilweise Anrechnung<br />
der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
stets zu berücksichtigen sei, also auch dann,<br />
wenn die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nicht als materiellrechtlicher<br />
Erstattungsanspruch eingeklagt und zuerkannt worden<br />
ist, lässt sich den vorgenannten Entscheidungen des BGH<br />
dagegen nicht entnehmen.<br />
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.<br />
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage,<br />
ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die<br />
Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG<br />
im Kostenfestsetzungsverfahren stets zu berücksichtigen ist (so<br />
VGH München JurBüro 06, 77 und NJW 06, 1990) oder nur unter<br />
bestimmten Voraussetzungen, wie vom Senat und der herrschenden<br />
Meinung vertreten, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen<br />
(§ 574 Abs. 2 ZPO).<br />
Anmerkung der Redaktion: Das OLG München präzisiert mit<br />
Blick auf die Praxis von Anwälten und Gerichten das Urteil des<br />
BGH vom 7. März 2007 (VIII ZR 86/96, AnwBl 2007, 630). Die<br />
Rechtsbeschwerde wurde eingelegt und wird beim BGH unter<br />
AZ. X ARZ 280/07 geführt. Zum Problem der Anrechnung der<br />
Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr siehe auch Henke in<br />
diesem Heft auf Seite 782 mit Verweis auf eine Entscheidung des<br />
Kammergerichts vom 17. Juli 2007 (1 W 256/07, AGS 2007, 439<br />
mit Anmerkung Schneider; ähnl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss<br />
vom 18.9.2007 - 13 W 83/07).<br />
Keine Streitwerterhöhung durch<br />
anwaltliche Geschäftsgebühr<br />
ZPO § 4 Abs. 1<br />
Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im<br />
laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken<br />
nicht werterhöhend (Anschluss BGH, Beschluss vom 30. Januar<br />
2007 – X ZB 7/06).<br />
BGH, Beschl. v. 15.5.2007 – VI ZB 18/06<br />
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte auf Mietwagenkosten<br />
in Höhe von 572,30 E nebst Zinsen in Anspruch. Daneben begehrt<br />
er den Ersatz des auf die Verfahrensgebühr nicht anrechenbaren<br />
Teils der vorprozessualen Geschäftsgebühr seines Prozess-<br />
bevollmächtigten in Höhe von 33,93 E nebst Zinsen. Das<br />
Amtsgericht hat die Beklagte mit Ausnahme der begehrten Zinsen<br />
beim Freistellungsanspruch antragsgemäß verurteilt. Den<br />
Streitwert hat es auf 572,30 E festgesetzt. Die nicht zugelassene<br />
Berufung hat das Amtsgericht als unzulässig verworfen.<br />
Aus den Gründen: II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522<br />
Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Ihre ursprünglich<br />
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gegebene Zulässigkeit<br />
ist jedoch weggefallen, weil die hier maßgebliche<br />
Rechtsfrage inzwischen durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs<br />
geklärt ist und das Berufungsgericht zutreffend entschieden<br />
hat.<br />
Durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar<br />
2007 (X ZB 7/06), der inzwischen in juris veröffentlicht worden<br />
ist und dem sich der entscheidende Senat anschließt, ist<br />
höchstrichterlich geklärt, dass vorprozessual aufgewendete Kosten<br />
zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten<br />
Hauptanspruchs unabhängig davon, ob diese Kosten<br />
der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im<br />
Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines<br />
eigenen Antrags sind, nicht werterhöhend wirken. Denn<br />
nach § 4 Abs. 1 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG und § 23 Abs. 1 Satz 1<br />
RVG bleiben Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bei der<br />
Wertberechnung unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen<br />
geltend gemacht werden. Wie bei Zinsen besteht auch<br />
bezüglich der Kosten das Wesen einer Nebenforderung darin,<br />
dass sie vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist. Das<br />
ist hier der Fall.<br />
Einem allgemeinen Grundsatz entsprechend sind die KostendeslaufendenProzessesbeiderWertbemessungnichtzu<br />
berücksichtigen, solange die Hauptsache Gegenstand des<br />
Rechtsstreitsist(§4ZPO;vgl.BGHZ128,85,92).ZudenProzesskosten<br />
rechnen nicht nur die durch die Einleitung und<br />
Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern grundsätzlich<br />
auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines<br />
konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (vgl. BGH, Beschlüsse<br />
vom 20. Oktober 2005 – I ZB 21/05 – NJW-RR 2006,<br />
501; vom 30. Januar 2007 – X ZB 7/06 – Rn. 6). Soweit derartige<br />
Kosten zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1<br />
Satz 1 ZPO gehören, können sie im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
nach den §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend gemacht<br />
werden; soweit derartige Kosten nicht auf diesem Wege<br />
festgesetzt werden können, können sie auf der Grundlage eines<br />
materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs Gegenstand<br />
einer Klage auf Erstattung dieser Kosten sein.<br />
Anspruchsvoraussetzung des materiell-rechtlichen Kostenersatzbegehrens<br />
ist das Bestehen einer sachlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage,<br />
nämlich dass der Schuldner wegen einer<br />
Vertragsverletzung, Verzugs oder sonstigen Rechtsverletzung<br />
für den adäquat verursachten Schaden einzustehen hat. Wird<br />
der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der<br />
Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist<br />
er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es<br />
sich bei dem zur Durchsetzung eines Anspruchs vorprozessual<br />
aufgewendeten und unter dem Gesichtspunkt des materiellrechtlichen<br />
Kostenerstattungsanspruchs geltend gemachten Geschäftsgebühren<br />
um Nebenforderungen im Sinne von § 4 ZPO<br />
handelt, solange die Hauptsache – wie hier – Gegenstand des<br />
Rechtsstreits ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kosten der<br />
Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im<br />
Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines<br />
eigenen Antrags sind (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar<br />
2007 – X ZB 7/06 – Rn. 7 f. m. w. N.). Insoweit liegt der Fall anders<br />
als bei vorgerichtlichen Sachverständigenkosten im Verkehrsunfallhaftpflichtprozess,<br />
wenn diese als eine von mehreren<br />
Schadenspositionen geltend gemacht werden und der<br />
Sache nach als Herstellungskosten anzusehen sind (vgl. Senatsbeschluss<br />
vom 13. Februar 2007 – VI ZB 39/06, z. V. b.).<br />
Anwaltsvergütung AnwBl 11 / 2007 799
MN Rechtsprechung<br />
Prozesskostenhilfe<br />
Beiordnung eines auswärtigen Anwalts<br />
ZPO § 121<br />
Die Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen<br />
Rechtsanwalts im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe<br />
kann auch ohne Einwilligung des beigeordneten Rechtsanwalts<br />
dahingehend eingeschränkt werden, dass Auslagen für die<br />
Terminswahrnehmung vor dem Prozessgericht nur bis zur Höhe<br />
der Kosten eines Verkehrsanwalts erstattungsfähig sind<br />
OLG Nürnberg, Beschl. v. 2.8.2007 – 9 WF 918/07<br />
Aus den Gründen: I. Das Familiengericht hat den Beschwerdeführer,<br />
prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt des in ... wohnenden<br />
Klägers, für eine beim Familiengericht Fürth zu führende<br />
Unterhaltsabänderungsklage im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe<br />
gemäß Beschluss vom 29.06.2007 „zu den Bedingungen<br />
eines in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen<br />
Rechtsanwaltes beigeordnet“.<br />
Gegen diese Entscheidung hat der ebenfalls in ... ansässige<br />
Beschwerdeführer form- und fristgerecht sofortige Beschwerde<br />
eingelegt<br />
Er erstrebt seine einschränkungslose Beiordnung und beruft<br />
sich insoweit auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg<br />
vom 06.01.2006 (3 UF 45/05).<br />
Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.<br />
II. Die Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig.<br />
Insbesondere steht dem Beschwerdeführer ein eigenes Beschwerderecht<br />
gegen die erfolgte Einschränkung seiner Beiordnung<br />
zu (Zöller-Philippi, 26. Aufl., Rdn. 12 zu § 127 ZPO).<br />
Die Beschwerde ist auch im wesentlichen begründet. Dem Beschwerdeführer<br />
steht jedenfalls ein Vergütungsanspruch im Zusammenhang<br />
mit der Terminswahrnehmung beim Familiengericht<br />
Fürth bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwaltes zu.<br />
Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2004, 1362) ist<br />
im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung bei der Beiordnung<br />
eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts<br />
stets zu prüfen, ob besondere Umstände für die Beiordnung<br />
eines zusätzlichen Verkehrsanwalts i.S. von § 121 Abs. 4<br />
ZPO vorliegen. Nur wenn dies nicht der Fall ist darf danach der<br />
auswärtige Rechtsanwalt zu den Bedingungen eines ortsansässigen<br />
Rechtsanwalts i.S. von § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beigeordnet<br />
werden.<br />
Diese Grundsätze sind auch nach Ablösung der BRAGO<br />
durch das RVG auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Die Beiordnung<br />
des nicht beim Prozessgericht zugelassenen Beschwerdeführers<br />
nimmt der Partei die Möglichkeit, die Beiordnung<br />
eines Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO zu<br />
erlangen. Die eingeschränkte Beiordnung zu den Bedingungen<br />
eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen Rechtsanwalts<br />
führt dazu, dass Reisekosten des Beschwerdeführers<br />
nicht erstattet werden (§ 48 Abs. 1 RVG). Eine solche Beiordnung<br />
ist nach der zitierten Rechtsprechung des BGH nur dann<br />
möglich, wenn auch sonst nur Kosten eines am Prozessgericht<br />
zugelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil besondere<br />
Umstände i.S. von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen.<br />
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Bestellung<br />
eines Verkehrsanwalts gemäß § 121 Abs. 4 ZPO gegeben,<br />
denn es ist davon auszugehen, der 19-jährige Kläger, der<br />
über einen Hauptschulabschluss verfügt, nicht in der Lage ist,<br />
einen am Prozessort ansässigen Rechtsanwalt sachgemäß<br />
schriftlich Ober den Prozessstoff zu informieren.<br />
Das Oberlandesgericht Nürnberg geht davon aus, dass § 121<br />
Abs. 3 ZPO der Beiordnung eines nicht beim Prozessgericht<br />
zugelassenen Rechtsanwalts nicht entgegensteht, wenn da-<br />
durch ein Verkehrsanwalt eingespart werden kann oder die<br />
Kosten, die der Partei zu Informationsgesprächen mit einem<br />
beim Prozessgericht zugelassenen Anwalt erwachsen, ähnlich<br />
hoch wären (OLG Nürnberg NJW 2005, 687).<br />
Da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Bestellung<br />
eines Verkehrsanwaltes zu bewilligen wäre, sind diese Kosten<br />
im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu vergüten (§ 45 RVG).<br />
Diese Kosten stellen somit keine Mehrkosten im Sinne des<br />
§ 121 Abs. 3 ZPO dar. Der Beschwerdeführer kann deshalb als<br />
Hauptbevollmächtigter des Klägers bestellt werden soweit der<br />
Staatskasse keine höheren Kosten entstehen, als bei der Bestellung<br />
eines Hauptbevollmächtigten am Prozessgericht und eines<br />
Verkehrsanwalts am Wohnort des Klägers.<br />
Diese Einschränkung kann auch ohne Einwilligung des Beschwerdeführers<br />
bei seiner im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung<br />
erfolgten Beiordnung ausgesprochen werden (BGH<br />
FamRZ 2007, 37).<br />
Aus der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des<br />
Oberlandesgerichts Oldenburg ergibt sich nichts anderes. Dieser<br />
Beschluss befasst sich mit der hier nicht zu entscheidenden<br />
Frage, ob Reisekosten eines beim Prozessgericht zwar zugelassenen<br />
aber am Gerichtsort nicht ansässigen Rechtsanwalts zu<br />
vergüten sind.<br />
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).<br />
Mitgeteilt vom 9. Zivil- und Familiensenat des OLG Nürnberg.<br />
Fotonachweis<br />
Seiten 736, 741, 743, 747, 751, 753, 754, 757, 758, 764, 765 (o.), 766, 772,<br />
779, 781, 782, 786, 789, IV, VI, LI, XL, XXXV: Privat;<br />
Seiten 760, 762: Burckhardt/Berlin;<br />
Seite 765 (u.): Fotolia (vlevelly)<br />
Impressum<br />
Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e.V., Littenstr. 11, 10179 Berlin (Mitte),<br />
Tel. 030/ 726152 - 0, Fax: 030/ 726152- 191, anwaltsblatt@anwaltverein.de.<br />
Redaktion: Dr.NicolasLührig(Leitung,v.i.S.d.P.)undUdoHenke,Rechtsanwälte,<br />
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Verlag: <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH,<br />
Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 02 28 / 91911 -0, Fax: 02 28/ 9 19 11 -23;<br />
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Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft für<br />
August/September.<br />
Bezugspreis: Jährlich 132,– E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis<br />
13,– E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s ist der<br />
Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />
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müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen.<br />
Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die<br />
Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher<br />
Vereinbarung gezahlt.<br />
Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten.<br />
Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />
Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />
Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />
des Herausgebers.<br />
ISSN 0171-7227. w<br />
<strong>800</strong> AnwBl 11 / 2007 Prozesskostenhilfe
MNBücher & Internet<br />
OLG-Oldenburg.de<br />
Auf der Startseite des Oberlandesgerichts<br />
Oldenburg bietet die Navigation<br />
bescheiden „Entscheidungen“ an.<br />
Dahinter verbirgt sich eine umfangreiche<br />
Datenbank, genannt e-fundus, mit<br />
Urteilen und Beschlüssen der Niedersächsischen<br />
Oberlandesgerichte insgesamt.<br />
Über 4.000 Entscheidungen<br />
sind in der Datenbank veröffentlicht.<br />
Die zuletzt verkündeten werden bereits<br />
beim Start der Datenbank angezeigt.<br />
Alle weiteren lassen sich über die<br />
Suchfunktion recherchieren. Was man<br />
wissen sollte: Bei der Normensuche erfolgt<br />
die Sortierung nach Ziffern, nicht<br />
nach der Gesamtzahl, so steht z. B.<br />
„ZPO § 119 Satz 2“ vor „ZPO § 12“,<br />
§§ 84 ff. HGB erst am Ende des Handelsgesetzbuches.<br />
Die Suchmaske ist<br />
übersichtlich gehalten, ein Blick in den<br />
Hilfetext eröffnet weitere Suchoptionen.<br />
Die Entscheidungen werden in der<br />
Trefferliste mit Gericht, Aktenzeichen,<br />
Datum, Normen, Schlagwörtern und<br />
ggf. mit Leitsatz angezeigt, der Volltext<br />
kann dann geöffnet werden. Es wäre<br />
schön, wenn sich andere Oberlandesgerichte<br />
dieses kostenlose Angebot<br />
„e-fundus“ zum Vorbild nähmen.<br />
Kammergericht.de<br />
Nicht so komfortabel wie in Niedersachsen<br />
lassen sich Urteile des Kammergerichtes<br />
recherchieren. Unter<br />
„Entscheidungen“ ist zunächst die<br />
Auswahl zu treffen, ob Entscheidungen<br />
der Zivil-, Straf-, Kartell- und Vergabe-<br />
oder Notarsenate gesucht werden.<br />
Das ist normalerweise leicht zu<br />
entscheiden, während die anschließende<br />
Einschränkung auf ein bestimmtes<br />
Jahr den Rechercheaufwand<br />
unnötig erhöht. Wenn im Jahr 2007<br />
keine passende Entscheidung gefunden<br />
wird, ist eine neue Suche zu starten<br />
und das Stichwort neu einzugeben.<br />
In der Ergebnisliste wird das Aktenzeichen<br />
angezeigt und die Entscheidung<br />
als PDF-Dokument angeboten.<br />
OLG.Brandenburg.de<br />
Übersichtlicher ist das Angebot des<br />
OLG Brandenburg gestaltet. Zur Wahl<br />
stehen eine chronologische Liste aller<br />
Entscheidungen und die Entscheidungssuche.<br />
Die lange Liste mag interessant<br />
sein, um die aktuellsten Veröf-<br />
LII AnwBl 11 / 2007<br />
fentlichungen einzusehen. Nützlicher<br />
wird meistens aber die Suche sein.<br />
Hier kann sinnvoll nach Aktenzeichen,<br />
Art der Entscheidung, Datum, Volltext<br />
oder Einstellungszeitraum recherchiert<br />
werden. Die Treffer werden nur mit<br />
Aktenzeichen und Datum angezeigt,<br />
ob das Ergebnis passend ist, ist erst<br />
dem dann zu öffnenden PDF-Dokument<br />
zu entnehmen.<br />
SOLG.Saarland.de<br />
Das Saarländische Oberlandesgericht<br />
bietet unter „Aktuelles“ Entscheidungen<br />
und Pressemitteilungen an. Die<br />
Entscheidungen sind über einen Link<br />
auf einer weiteren Unterseite des Landes<br />
(rechtsprechung.saarland.de) zu erreichen.<br />
Hier sind nicht nur Urteile<br />
des Oberlandesgerichtes, sondern die<br />
Urteile verschiedener Gerichte im<br />
Saarland eingestellt. In der angebotenen<br />
Suchmaske kann zwischen Amtsgerichten,<br />
Finanzgericht, Landgericht,<br />
Landessozialgericht, OLG, OVG, Sozialgericht<br />
und Verwaltungsgericht gewählt<br />
werden. Dabei machen die Gerichte<br />
unterschiedlichen Gebrauch von<br />
der Veröffentlichungsmöglichkeit. Insbesondere<br />
das OVG und auch das OLG<br />
sind gut mit aktuellen Entscheidungen<br />
vertreten. Die Suche kann über das Datum,<br />
Aktenzeichen und Stichwort eingegrenzt<br />
werden. In der Trefferliste<br />
werden teilweise die Leitsätze mit angezeigt,<br />
bei Auswahl einer Entscheidung<br />
wird sie im Volltext angezeigt.<br />
Thueringen.de/OLG<br />
Das Thüringer OLG stellt sowohl eine<br />
Leitsatz- als auch eine Entscheidungsdatenbank<br />
zur Verfügung. In der Leitsatzdatenbank<br />
werden fast 7.000 Leitsätze<br />
verfügbar gemacht, zu denen<br />
auch die Volltexte abrufbar sind. Dem<br />
stehen nur etwa 400 Einträge unter<br />
Entscheidungen gegenüber. Die Suchmasken<br />
unterscheiden sich geringfügig.<br />
Die bereits voreingestellten<br />
Rechtsgebiete bei der Suche nach Entscheidungen<br />
ist recht praktisch, weitere<br />
Einschränkungen der Suche erübrigen<br />
sich bei vielen Rechtsgebieten, da<br />
jeweils nicht so viele Ergebnisse erzielt<br />
werden. Demgegenüber ist es schwieriger,<br />
in der Leitsatzdatenbank passende<br />
Treffer zu erzeugen, da hier nur Freitext<br />
in die Suchmaske einzugeben ist.<br />
Hier sind nicht nur Gerichtsentscheidungen,<br />
sondern auch Hinweise auf<br />
Veröffentlichungen in Zeitschriften zu<br />
finden.<br />
Justiz.Sachsen.de/OLG<br />
Das OLG Dresden bietet unter der<br />
Überschrift „Rechtsprechung“ zwei<br />
verschiedene Quellen an. Das eine ist<br />
die Datenbank mit Entscheidungen<br />
des OLG. Hier sind auf einen Blick die<br />
verschiedenen „Themen“ inklusive der<br />
jeweiligen Anzahl der vorhandenen<br />
Entscheidungen ersichtlich. Wenn<br />
zum Berufsrecht nur zwei Entscheidungen<br />
vorhanden sind, erübrigt sich<br />
jede weitere Einschränkung. Die zur<br />
Zeit 125 Entscheidungen zum Allgemeinen<br />
Verfahrensrecht sind hingegen<br />
weiter nach Schwerpunkten unterteilt.<br />
Wenn dann immer noch zu viele Treffer<br />
angezeigt werden, um diese zu<br />
überfliegen, bietet sich die Schnellsuche<br />
oder auch die Profisuche an. Außer<br />
den Entscheidungen des OLG<br />
steht ein Link zur Datenbank der Entscheidungssammlung<br />
sächsischer<br />
Gerichte zum Betreuungs-, Gerichtsvollzieherkosten-<br />
und Zwangsvollstreckungsrecht<br />
zur Verfügung. Bisher<br />
sind es nur wenige Entscheidungen,<br />
aber vielleicht ist ja etwas zur offenen<br />
Frage dabei.<br />
Justiz.RLP.de<br />
Gut erkennbar geht es von der Übersichtsseite<br />
direkt zur Rechtsprechung.<br />
Außer den Oberlandesgerichten<br />
Koblenz und Zweibrücken veröffentlichen<br />
hier auch Amtsgerichte, Landgerichte,<br />
Landesarbeits- und Landessozialgericht,<br />
das OVG und der<br />
Verfassungsgerichtshof. Ein Sachgebiet<br />
kann aus einer Liste gewählt<br />
werden, weitere Einschränkungen der<br />
Suche über das Datum, Aktenzeichen<br />
und Volltextsuche sind möglich.<br />
Für das <strong>Anwaltsblatt</strong> im<br />
Internet: Rechtsanwältin<br />
Isa von Koeller<br />
Sie erreichen die<br />
Autorin über<br />
anwaltsblatt@<br />
anwaltverein.de.
MNBücher & Internet<br />
Europarecht<br />
Vorschriftensammlung<br />
Europarecht<br />
von Manfred Matjeka/Peter<br />
Reich/ Christian Welz; 5. Aufl.;<br />
Stuttgart: Boorberg, 2007; 870<br />
S.; kart.; 978-3-415-03833-2;<br />
26,80 E.<br />
Abgedruckt sind der EG-Vertrag und der<br />
EU-Vertrag. Hinzu kommen die zugehörigen<br />
Protokolle, die Grundrechte-<br />
Charta der EU und die Europäische<br />
Menschenrechtskonvention. Besonderen<br />
Wert haben die Herausgeber auf die<br />
Auswahl des Sekundärrechts (Verordnungen<br />
und Richtlinien) gelegt. Enthalten<br />
sind außerdem die für das Europarecht<br />
wichtigsten nationalen deutschen<br />
Regelungen, u. a. Auszüge aus dem<br />
Grundgesetz und das Freizügigkeitsgesetz.<br />
Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis<br />
erleichtert den Zugang.<br />
Strafrecht<br />
Strafgesetzbuch und<br />
Nebengesetze<br />
erl. von Herbert Tröndle, fortgef.<br />
und neu bearb. von Thomas<br />
Fischer; 54. Aufl.; München:<br />
C. H. Beck, 2006; LII, 2.470 S.,<br />
in Leinen; 978-3-406-55477-3;<br />
70,00 E.<br />
Der „Tröndle-Fischer“ gehört zu den<br />
Kommentar-Klassikern im Strafrecht.<br />
Er ist und bleibt eine verläßliche Hilfe<br />
für jeden Praktiker. Literatur und Rechtsprechung<br />
sind umfassend ausgewertet<br />
worden und die gewohnt prägnanten<br />
Darstellungen fortgeschrieben. Der<br />
Kommentar orientiert sich pragmatisch<br />
an der Strafrechtspraxis und scheut<br />
auch deutliche Aussagen nicht. Die<br />
neue Auflage berücksichtigt u. a. das<br />
Gesetz über den Europäischen Haftbefehl<br />
und umfasst mehr als 450 höchstund<br />
obergerichtliche Entscheidungen.<br />
Zivilrecht<br />
Schiedsgericht und<br />
Schiedsverfahren<br />
Rolf A. Schütze; 4. neu bearb.<br />
und erw. Aufl.; München: C. H.<br />
Beck, 2007; 315 S., kart.; NJW<br />
Praxis; 978-3-406-54529-0;<br />
42,00 E.<br />
Außergerichtliche Verfahren der Konfliktbeilegung<br />
werden immer populärer.<br />
Und es gibt nicht nur die Mediation.<br />
Das Werk erläutert die<br />
Grundlagen des Schiedsverfahrens,<br />
stellt die Beteiligten am Verfahren vor,<br />
schildert den Gang des Schiedsverfahrens<br />
und setzt sich mit der Vollstreckbarkeit<br />
der Schiedssprüche auseinander.<br />
Die Neuauflage wurde komplett<br />
überarbeitet und bietet nun erstmals einen<br />
kleinen Formularteil (z. B. einen<br />
Schiedsrichtervertrag und Schiedsauftrag).
MNSchlussplädoyer<br />
Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />
Rechtsanwalt Werner Leitner aus<br />
München ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht. Er ist seit<br />
1989 Rechtsanwalt, seit 1997 Fachanwalt<br />
für Strafrecht und Namenspartner<br />
einer Strafverteidigersozietät.<br />
Seine Schwerpunkte liegen auf dem<br />
Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts. Er<br />
ist Mitglied im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>,<br />
weil für einen Strafverteidiger<br />
Bürger- und Freiheitsrechte besondere<br />
Bedeutung haben und der DAV als<br />
Verband und insbesondere die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht mit ihren<br />
mehr als 3.200 Mitgliedern dafür besonders<br />
eintreten.<br />
LVI AnwBl 11 / 2007<br />
Warum sind Sie Anwalt geworden?<br />
Ich wollte Diplomat werden. Doch<br />
als Assistent von Rolf Bossi hat<br />
mich dann das Strafrecht gefangen<br />
genommen. Die Unterschiede sind<br />
übrigens gar nicht so groß, wie sie<br />
erscheinen.<br />
Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />
zurückzugeben?<br />
Heute nicht mehr, mein Taxischein<br />
für München ist 1991 abgelaufen.<br />
Ihr größter Erfolg als Anwalt?<br />
Die wirklich großen aktuellen – und<br />
es gibt einige! – sind nur wenigen<br />
Eingeweihten bekannt und das<br />
muss auch so bleiben. Aber immer<br />
wenn sich Strafrecht und Politik<br />
berühren, wird es spannend.<br />
Ihr Stundensatz?<br />
Ein Strafverteidiger muss immer<br />
aufs Honorar schauen, damit er<br />
nicht immer aufs Honorar schauen<br />
muss.<br />
Ihr Traummandat?<br />
George W. Bush wegen Guantanamo<br />
vor dem Internationalen<br />
Gerichtshof.<br />
Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />
nicht nachsagen?<br />
Er war klasse, hätte er bloß früher<br />
aufgehört.<br />
Welches Lob wünschen Sie sich von<br />
einem Mandanten?<br />
Sie waren klasse, gut dass Sie nicht<br />
früher aufgehört haben.<br />
Mitglieder Service<br />
DAV-Haus<br />
Littenstr. 11, 10179 Berlin<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />
dav@anwaltverein.de,<br />
www.anwaltverein.de<br />
Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />
anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />
www.anwaltsblatt.de<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11<br />
daa@anwaltakademie.de<br />
www.anwaltakademie.de<br />
Deutsche Anwaltadresse<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />
adresse@anwaltverein.de<br />
DAV-Anwaltausbildung<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />
anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />
www.dav-anwaltausbildung.de<br />
Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />
Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />
DAV Büro Brüssel<br />
Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />
bruessel@anwaltverein.de,<br />
www.anwaltverein.de/bruessel<br />
<strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag<br />
Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />
Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />
kontakt@anwaltverlag.de,<br />
www.anwaltverlag.de<br />
anwaltsauskunft.de<br />
Die Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e sind<br />
automatisch im Datenbestand der Deutschen Anwaltauskunft<br />
verzeichnet. Der neue Internetauftritt<br />
unter anwaltauskunft.de bietet allerdings nicht mehr<br />
nur lediglich eine Anwaltsuche an, sondern vielfältige<br />
Informationen rund um das Thema Recht. Dadurch<br />
wird die Seite insgesamt für den Besucher attraktiver<br />
und die Hemmschwelle für den Kontakt zum Anwalt<br />
sinkt.