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DeutscherAnwaltVerein<br />

Aus dem Inhalt<br />

A11041<br />

Zum Jahreswechsel 2002/2003 (Streck) 1<br />

Aufsätze<br />

Anwalts-Kollisionsrecht (Knöfel) 3<br />

Anwaltsrecht und Datenschutz (Rüpke) 19<br />

Selbstständiges Beweisverfahren (Ulrich) 26<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Parlamentarischer Abend des DAV<br />

in Brüssel 36<br />

Justiz in Bochum nach 1933 39<br />

ARGE Baurecht im DAV 41<br />

Mitteilungen<br />

Haftungsgefahren im Arbeitsrecht 47<br />

Rechtsprechung<br />

BVerfG: BGH-Singularzulassung 53<br />

AG Düsseldorf: Besprechungsgebühr 57<br />

AG Köln: Vorschuss auf Anwaltshonorar<br />

bei Rechtsschutzversicherung 60<br />

1/2003<br />

Januar DeutscherAnwaltVerlag


1/2003 l<br />

Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins Schriftleitung:<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Felix Busse Udo Henke<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack Rechtsanwälte<br />

Wolfgang Schwackenberg Berlin, Littenstraße 11<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Zum Jahreswechsel 2002/2003<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />

Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />

Aufsätze<br />

3 Anwalts-Kollisionsrecht<br />

Von Assessor Oliver Knöfel, Hamburg<br />

19 Freie Advokatur, anwaltliches Berufsgeheimnis und<br />

datenschutzrechtliche Kontrollbefugnisse<br />

Von Rechtsanwalt Privatdozent Dr. Giselher Rüpke MCL,<br />

Frankfurt am Main<br />

26 Grundzüge des selbstständigen Beweisverfahrens im<br />

Zivilprozess<br />

–1.Teil–<br />

Von Vors. Richter am Landgericht Jürgen Ulrich,<br />

Dortmund<br />

32 Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant<br />

– Effizienzsteigerung durch den Einsatz elektronischer<br />

Medien? –<br />

Von Prof. Dr. Mathias Groß und Rechtsanwalt Michael<br />

Herrmann, Lüneburg<br />

35 Buchhinweis:<br />

– Küttner (Hrsg.): Personalbuch 2002 (Hamacher)<br />

– Beck/Löhle: Fehlerquellen bei polizeilichen<br />

Messverfahren<br />

Meinung & Kritik<br />

36 Entbehrliche Rechtsprechung zum entbehrlichen Anwalt<br />

Von Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, Leipzig<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Jahrgang 53<br />

Januar 2003<br />

DAV Brüssel: Europäischer Parlamentarischer Abend des<br />

DAV 2002<br />

Von Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />

37 DAV-Pressemitteilungen:<br />

– Anwaltschaft nimmt Anwaltsausbildung selbst in die<br />

Hand<br />

38 – DAV begrüßt Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

– Geplante Strafverschärfung bei sexuellem Missbrauch<br />

von Kindern für die Opfer kontraproduktiv und<br />

schädlich<br />

– Ausgleich der Altersversorgung zwischen<br />

Geschiedenen ab 1.1.2003<br />

39 – EU-weite Übernahme der Anwaltskosten bei Unfällen<br />

gefordert<br />

Zeit ohne Recht: Justiz in Bochum nach 1933<br />

– Ansprache anlässlich einer Buchpräsentation<br />

Von Rechtsanwalt Jürgen Widder, Bochum<br />

41 ARGE Baurecht: 10 Jahre ARGE Baurecht –<br />

Jubiläumstagung in Stuttgart<br />

Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Geschäftsbericht der ARGE Baurecht für 2001<br />

Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

43 AG Steuerrecht: Veranstaltungsbericht Steueranwaltstag<br />

2002 in Berlin<br />

Von Rechtsanwalt Kirsten Bäumel-Ianniello, Aachen<br />

Mitteilungen<br />

45 Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“<br />

– Abschlussbericht der Schiedsperson zum<br />

Aufwendungsersatz für deutsche Rechtsanwälte –<br />

47 Arbeitsrechtsfragen: Arbeitsrechtliche Haftungsfalle:<br />

Urlaubsverfall im Kündigungsschutzprozess<br />

Von Rechtsanwalt Ulrich Fischer, Frankfurt<br />

48 Kommunikation: Venus und Mars – interessengerechte<br />

Konfliktlösungen zwischen Mann und Frau<br />

Von Sonja Meyer, München<br />

49 Haftpflichtfragen:<br />

Haftungsgefahren in Zusammenhang mit<br />

Entlassungsentschädigungen<br />

Von Rechtsanwältin Michaele Simon-Widmann<br />

Allianz Versicherungs-AG, MuÈ nchen<br />

52 Buchhinweis: Römermann/van der Moolen, Rabatte und<br />

Zugaben in der anwaltlichen Beratung<br />

Rechtsprechung<br />

53<br />

(Leitsätze siehe Seite II)<br />

Berufsrecht<br />

57 Gebührenrecht<br />

60 Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Informationen Seite VI, X, XVIII,<br />

XIX<br />

Internet-Aktuell Seite XIV<br />

Anwaltverlag-Aktuell Seite XVI<br />

DAV-Service Seite XX


II<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

BVerfG, Erster Senat, Beschl. v. 31.10.2002 – 1 BvR 819/02<br />

GG Art. 12 BRAO § 171<br />

§ 171 BRAO, der für die Rechtsanwälte eine ausschließliche<br />

Zulassung bei dem Bundesgerichtshof vorsieht, ist mit<br />

dem Grundgesetz vereinbar. (LS der Redaktion) – S. 53<br />

OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2002 – 3 Ss 143/01<br />

§ 356 Abs. 1 StGB<br />

Der Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute auf Grund<br />

deren gemeinsamen Auftrages ausschließlich über die Voraussetzungen<br />

und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten<br />

übereinstimmend gewollten einverständlichen Scheidung<br />

ihrer Ehe sowie den Unterhaltsanspruch beraten und<br />

den Unterhaltsanspruch berechnet hat, handelt nicht pflichtwidrig<br />

i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB, wenn er später einen der<br />

Ehepartner vertritt und den Unterhaltsanspruch geltend<br />

macht. – S. 55<br />

Gebührenrecht<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 23.5.2002 – 50 C 11933/01<br />

BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2 ARB §§ 1, 2, 14<br />

Gespräche des Rechtsanwalts, die der Informationsbeschaffung<br />

dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, sind von der Geschäftsgebühr<br />

umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten<br />

Dritten die Besprechungsgebühr auslösen, wobei<br />

allerdings nicht jede Besprechung des Anwalts mit einem<br />

Sachverständigen die Besprechungsgebühr auslöst, sondern<br />

nur dann, wenn dieser Sachverständige als „Dritter“ anzusehen<br />

ist und er nicht neben dem Auftraggeber als Informant<br />

oder Repräsentant im Lager „des Mandanten“ steht und mit<br />

ihm als „neutralem Dritten“ ein sachbezogenes Gespräch<br />

im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung (zwecks Förderung<br />

des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich oder gerichtlich)<br />

geführt wird.<br />

(Leitsatz der Redaktion) –S. 57<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 4.9.2001 – 21 C 6712/01<br />

BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2 ZPO §§ 91, 93<br />

Dafür, dass vom Rechtsanwalt geführte Gespräche mit<br />

mehreren neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“<br />

im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO<br />

darstellen, spricht der Umstand, dass der Inhalt und Umfang<br />

der Gespräche ersichtlich über die reine Informationsverschaffung<br />

hinausging und die eingehende Erörterung<br />

der tatsächlichen und rechtlichen Fragen der medizinischen<br />

Fehlbehandlung der Klägerin auf eine Abklärung des Streitverhältnisses<br />

im Vorfeld gerichtet war. (Leitsatz der Redaktion)<br />

–S. 57<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2002 – 48 C 467/02<br />

BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2, §§ 17, 17 ARB 1975 § 15<br />

Abs. 1 Ziff. d) cc), § 17 Abs. 2<br />

1. Die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers beginnt,<br />

sobald der Versicherungsnehmer wegen des Vorschusses<br />

von seinem Anwalt in Anspruch genommen wird,<br />

also sobald der Rechtsanwalt den Vorschuss einfordert.<br />

2. Bei einer arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit, die in<br />

der Regel einer umfangreichen Überprüfung und Erörterung<br />

bedarf, erscheint ein geforderter Vorschuss von 10/10<br />

auch angemessen i. S. v. BRAGO § 17.<br />

3. Nicht mit der Geschäftsgebühr abgegolten ist ein sachbezogenes<br />

Gespräch des Rechtsanwalts mit einem sachverständigen<br />

Arzt, der nicht Hausarzt des Mandanten ist, weil<br />

das Gespräch einer Interessenwahrnehmung nach außen,<br />

nicht der internen Prozessvorbereitung und Informationsaufnahme<br />

dient.<br />

(Leitsätze der Redaktion) – S. 58<br />

AG Köln, Urt. v. 25.7.2001 – 141 C 58/01<br />

BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2 ARB § 1 Abs. 2 ZPO<br />

§§ 21, 91 VVG § 48<br />

Die Kl hat, solange die Zahlung eines Vorschusses auf Anwaltshonorar<br />

nicht durch Überweisungsbeleg, Kontoauszug<br />

o. ä. nachgewiesen ist, gegen ihre Rechtsschutzversicherung<br />

einen – als Minus im Zahlungsanspruch enthaltenen – Freistellungsanspruch<br />

in Höhe der vom Anwalt als Vorschusszahlung<br />

geltend gemachten und zu erwartenden Anwaltsgebühren<br />

einschließlich einer Besprechungsgebühr.<br />

(Leitsatz der Redaktion) –S. 60


VI<br />

4<br />

In diesem Heft:<br />

Lesen Sie in diesem Heft aus der<br />

Arbeit des DAVauf Seite 36 bis 44:<br />

Parlamentarischer Abend in Brüssel /<br />

DAV-Pressemitteilungen / Justiz in<br />

Bochum nach 1933 / ARGE Baurecht:<br />

10-Jahr-Jubiläumstagung in<br />

Stuttgart & Geschäftsbericht 2001 /<br />

AG Steuerrecht: Steueranwaltstag<br />

2002<br />

Gebührenrecht in AGS Nr. 1/2003*<br />

9 Henke: Kommt ein neues Anwaltsgebührenrecht?<br />

9 Madert: Die Besprechungsgebühr<br />

9 OLG Stuttgart: Neue Angelegenheit<br />

nach Ablauf von zwei Kalenderjahren<br />

9 OLG Naumburg: Gesonderte Vergütung<br />

in einstweiligen Anordnungsverfahren<br />

9 OLG Saarbrücken: Prozesskostenhilfe<br />

im Urkundsverfahren<br />

9 LG Saarbrücken: Versicherungsschutz<br />

auch bei einfacher Körperverletzung<br />

9 J. Schneider: Anwaltsstunde – was<br />

muss sie bringen, was kostet sie?<br />

* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS)<br />

erscheint ab Januar 2003 mit deutlich<br />

erweitertem Inhalt und in neuem Outfit<br />

monatlich auf ca. 36 Seiten im<br />

Deutschen Anwaltverlag und wird<br />

hrsg. von RA Wolfgang Madert und<br />

RA Norbert Schneider in Verbindung<br />

mit dem Gebührenrechtsausschuss und<br />

der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

unter ständiger Mitarbeit von Dipl.-<br />

Rechtspfleger Heinricht Hellstab, RA<br />

Jürgen Schneider und RA Udo W.<br />

Henke.<br />

Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />

erhalten Sie vom Deutschen<br />

Anwaltverlag in 53111 Bonn,<br />

Wachsbleiche 7, Tel. 0228/91911-0.<br />

Info<br />

Arbeitsmarkt Juristen:<br />

Wer sucht?<br />

Aus einem Bericht im Handelsblatt<br />

und gestützt auf eine Auswertung von<br />

Stellenangeboten in 40 Tageszeitungen<br />

für den Zeitraum Januar bis Mai 2002<br />

durch die Adecco Personaldienstleistungen<br />

ergab sich folgende Stituation<br />

für den Arbeitsmarkt Juristen:<br />

Wer sucht?<br />

Notare,<br />

Suchangebote<br />

Anwaltskanzleien 236<br />

Finanzdienstleister 170<br />

Behörden 147<br />

Verbände 122<br />

Bildungswesen<br />

Sonstige private<br />

116<br />

Dienstleister 83<br />

Industrie 76<br />

Wirtschaftsberater 67<br />

sonstige Branchen 57<br />

Gesamt 1.074<br />

Anwaltsdichte in Deutschland<br />

Nach Angaben der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

beträgt die Anwaltsdichte<br />

in den Deutschen Bundesländern<br />

zwischen 273 Bürger je Anwalt<br />

in Hamburg bis zu 1.590 Bürger je<br />

Anwalt in Sachsen-Anhalt. Die Anwaltsdichte<br />

ist damit in Hamburg etwa<br />

6-mal höher als in Sachsen-Anhalt.<br />

Auch bei den übrigen Bundesländern<br />

und im Verhältnis von alten zu neuen<br />

Bundesländern bestehen erhebliche<br />

Unterschiede der Anwaltsdichte. Im<br />

Einzelnen ergibt sich folgendes Bild:<br />

Gebiet Bürger<br />

je Anwalt<br />

Hamburg 273<br />

Berlin 386<br />

Hessen 441<br />

Bremen 463<br />

Bayern 641<br />

Nordrhein-Westfalen 643<br />

Baden-Württemberg 815<br />

Schleswig-Holstein 944<br />

Saarbrücken 951<br />

Gebiet Bürger<br />

je Anwalt<br />

Niedersachsen 998<br />

Rheinland-Pfalz 1.072<br />

Sachsen 1.181<br />

Meck.-Vorpommern 1.299<br />

Brandenburg 1.359<br />

Thüringen 1.436<br />

Sachsen-Anhalt 1.590<br />

neue Bundesländer 1.336<br />

alte Bundesländer 645<br />

Deutschland 707<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Veranstaltungen Inland<br />

AG Familien- und Erbrecht<br />

im DAV<br />

Veranstaltungsübersicht<br />

1. Halbjahr 2003<br />

9 Schnittstellen zwischen Steuer-, Familien-<br />

und Erbrecht<br />

8.–15.3.2002, Winter Intensiv in Warth<br />

am Arlberg, Österreich (S.-Nr. 1230-03)<br />

9 Eheverträge und familienrechtliche<br />

Vereinbarungen<br />

RAuN Schwackenberg, Oldenburg<br />

11.1.2003, Kaiserslautern<br />

(S.-Nr. 1211-03)<br />

9 Eheverträge und familienrechtliche<br />

Vereinbarungen<br />

RAuN Schwackenberg, Oldenburg<br />

18.1.2003, Rottenburg<br />

(S.-Nr. 1201-03)<br />

9 Update im Familienrecht<br />

RAin Dr. Groß, Augsburg<br />

RA Kleinwegener, Detmold<br />

31.1/1.2.2003, München<br />

(S.-Nr. 1206-03)<br />

(Fortsetzung auf Seite X)<br />

Im nächsten Heft u. a.:<br />

9 Selbstständiges Beweisverfahren<br />

im Zivilprozess – 2. Teil


X<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

Veranstaltungen Inland<br />

9 Auseinandersetzungsversteigerung,<br />

insbesondere im Familien- und Erbrecht<br />

Dipl.-Rpfl. Prof. Hintzen, Berlin<br />

1.2.2003, Berlin (S.-Nr. 1203-03)<br />

9 Aktuelle Rechtsprechung des OLG<br />

Köln<br />

Ri Dr. Büttner, OLG Köln<br />

5.2.2003, Köln (S.-Nr. 1204-03)<br />

9 Lebenspartnerschaftsgesetz/ Nichteheliche<br />

Lebensgemeinschaft<br />

RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />

15.2.2003, Bamberg (S.-Nr. 1202-03)<br />

9 Eilverfahren, insbesondere Sicherung<br />

der Zugewinnausgleichsforderung<br />

RAin Saathoff, Oldenburg<br />

28.2.2003, Dresden (S.-Nr. 1227-03)<br />

9 Verfahren in Erbsachen<br />

RAuNin Hardt, Berlin<br />

12.3.2003, Rostock (S.-Nr. 1212-03)<br />

9 Vermögensausgleich außerhalb des<br />

Güterrechts<br />

Ri Wever, OLG Bremen<br />

15.3.2003, Karlsruhe (S.-Nr. 1213-03)<br />

9 § 1579 Nr. 1–7 BGB / Eine Vorschrift<br />

mit 7 Siegeln<br />

RA Schnitzler, Euskirchen<br />

19.3.2003, Koblenz (S.-Nr. 1209-03)<br />

9 Neues im Versorgungsausgleich<br />

Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

Neuregelungen im<br />

Versorgungsausgleich<br />

Oberamtsrat Eichler, Berlin<br />

N.N., Berlin<br />

Rechtsber. Glockner, Karlsruhe<br />

21./22.3.2003, Berlin (S.-Nr. 1210-03)<br />

Mitglieder der AG 200 E, Nichtmitglieder<br />

350 E<br />

9 Update compact im Familienrecht<br />

RA Kleinwegener, Detmold<br />

22.3.2003, Erfurt (S.-Nr. 1214-03)<br />

9 Vermögensausgleich außerhalb des<br />

Güterrechts<br />

Ri Wever, OLG Bremen<br />

22.3.2003, Dortmund (S.-Nr. 1215-03)<br />

9 Eilverfahren, insbesondere Sicherung<br />

der Zugewinnausgleichsforderung<br />

RAin Saathoff, Oldenburg<br />

28.3.2003, Frankfurt (S.-Nr. 1223-03)<br />

9 Thema folgt<br />

Begegnungsstätte Sankt Georg im<br />

Kloster Weltenburg<br />

28./29.3.2003, Weltenburg<br />

(S.-Nr. 1208-03)<br />

Mitglieder der AG 270 E, Nichtmitglieder<br />

370 E<br />

9 Elterliche Sorge/Umgangsrecht<br />

RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />

29.3.2003, Nürnberg (S.-Nr. 1225-03)<br />

9 Update im Familienrecht<br />

RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />

RA Kleinwegener, Detmold<br />

11./12.4.2003, Saarbrücken<br />

(S.-Nr. 1207-03)<br />

Für alle Veranstaltungen werden Teilnahmebescheinigungen<br />

im Sinne von<br />

§ 15 FAO erteilt.<br />

Anmeldung und Informationen:<br />

Veranstaltungsagentur der AG Familien-<br />

und Erbrecht, conventionpartners<br />

GmbH, Karsten Baas, Gerhard-<br />

Rohlfs-Str. 22, 53173 Bonn, Tel.<br />

02 28/35 00 440, Fax 02 28/35 00 450,<br />

www.cp-bonn.de, info@cp-bonn.de<br />

AG Insolvenzrecht und<br />

Sanierung<br />

3.Veranstaltung zur<br />

Verbraucherinsolvenz<br />

– 31. Januar 2003 in Berlin –<br />

Die Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />

und Restschuldbefreiung der<br />

ARGE Insolvenzrecht und Sanierung<br />

im DAV führt am 31.01.2003 in Berlin<br />

eine Diskussionsveranstaltung zu möglichen<br />

Verbesserungen und Vereinfachungen<br />

der Insolvenzverfahren natürlicher<br />

Personen durch. Auf der<br />

Veranstaltung sollen mit namhaften<br />

Referenten Verbesserungsvorschläge<br />

und Vereinfachungen erarbeitet, diskutiert<br />

und anschließend der Praxis vorgestellt<br />

werden. Mit der Veranstaltung<br />

soll ein Meinungsbildungsprozess in<br />

Gang gesetzt werden, der auf der<br />

Herbsttagung im September 2003 der<br />

ARGE in Leipzig fortgesetzt werden<br />

soll und dort in konkrete Vorschläge<br />

auch an den Gesetzgeber münden soll.<br />

Referenten<br />

RA Prof. Dr. H. Grote, Köln, RiAG, Dr.<br />

H. Vallender, Köln, RiAG U. Schmerbach,<br />

Göttingen, RA und Insolvenzverwalter<br />

H.-J. Kloz, Hanau, Rpfl U. Mäusezahl,<br />

Krefeld, Ass. U. Jäger, Büro<br />

Giebel Bremen.<br />

Anmeldung<br />

Die Teilnahmegebühr beträgt 125 E.Anmeldungen<br />

bitte an DeutscheAnwalt-<br />

Akademie, Anja Hoffmann, Littenstr.<br />

11, 10179 Berlin, Tel. 0 30/726 15 31 83,<br />

Fax 0 30/ 726 15 31 88. Bei der Anmeldung<br />

sollte angegeben werden, ob man<br />

sich der Schuldner-, der Gläubiger-, der<br />

Justiz- oder der Verwalterseite zurechnet.<br />

Die Teilnehmerzahl ist auf 55 begrenzt.<br />

Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />

und Restschuldbefreiung<br />

Weitere Informationen zu dieser Arbeitsgruppe<br />

in der ARGE Insolvenzrecht und<br />

Sanierung im DAV über RA Kai Henning,<br />

Hamburger Str. 89, 44135 Dortmund,<br />

Tel. 02 31/18 99 86-0, Fax 02 31/<br />

18 99 86-29, E-Mail: info@rahenning.de.<br />

DeutscheAnwaltAkademie<br />

Seminare Januar/Februar 2003<br />

9 17. Fachlehrgang Verwaltungsrecht<br />

Kurs in 6 Bausteinen<br />

23. Januar bis 12. April 2003 in Köln<br />

Seminar: R 42417-03<br />

9 17. Fachlehrgang Strafrecht<br />

Kurs in 6 Bausteinen<br />

23. Januar bis 13. April 2003 in München<br />

Seminar: R 42217-03<br />

9 71. Fachlehrgang Familienrecht<br />

Kurs in 6 Bausteinen<br />

30. Januar bis 26. April 2003 in Bielefeld<br />

Seminar: R 41271-03<br />

9 26. Fachlehrgang Arbeitsrecht<br />

Kurs in 6 Bausteinen<br />

6. Februar bis 26. April 2003 in Bremen<br />

Seminar: R 41026-03<br />

(Fortsetzung auf Seite XVIII)


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Berlin, Littenstraße 11<br />

Jahrgang 53<br />

Januar 2003 AQl<br />

Zum Jahreswechsel 2002/2003<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln, Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />

Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege,<br />

in den letzten Jahren habe ich immer wieder<br />

gesagt, jede engagierte Anwältin, jeder engagierter<br />

Anwalt finde einen Job oder den Raum für die<br />

Gründung einer Anwaltspraxis. Überall begegne<br />

mir die Nachfrage nach Rechtsrat, die nicht befriedigt<br />

werden könne.<br />

Die zunehmende Verrechtlichung aller Bereiche<br />

unserer Gesellschaft rief und ruft nach dem<br />

Berater und Führer durch das Normengewirr und<br />

nach dem parteiischen Vertreter im Konfliktfall.<br />

Wenn jedoch jährlich 7.000 bis 8.000 neue<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unsere<br />

Kollegen werden, stößt auch diese Aussage irgendwann<br />

an ihre Grenze. Selbst dem Optimisten<br />

wird der unbeschränkte und offenbar nicht begrenzbare<br />

Zugang zum Anwaltsberuf zu einem<br />

ernsten Problem. Der Zustrom betrifft die Qualität<br />

der Arbeit; und er betrifft die existentielle Sicherung<br />

unserer Profession. Irgendwann wird die<br />

„Masse Anwalt“ uns ersticken.<br />

Wir hatten gehofft, dass durch eine vernünftige,<br />

anwaltsbezogene Ausbildung eine qualitative und<br />

damit auch quantitative Begrenzung im Anwaltsmarkt<br />

stattfinden könne. Der Gesetzgeber hat jedoch<br />

nur ein Zeitfenster zur Ausbildung gegeben,<br />

keine Qualitätsmaßstäbe aufgestellt. Allein die<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen Anwaltvereins e. V.


2<br />

l<br />

Tatsache, dass jeder Referendar 9 Monate einen<br />

Anwalt „besuchen“ muss, sichert noch keine Begrenzung<br />

des Wunsches, Rechtsanwältin oder<br />

Rechtsanwalt zu werden.<br />

Dieser Staat gibt dem Gesetzgeber die Verantwortung<br />

für die Rechtsanwaltsgebühren. Es ist<br />

Gesetz, dass Anwaltsgebühren im Regelfall gesetzlich<br />

festgelegt werden. Wenn dies aber so ist,<br />

so trägt er auch die Verantwortung für eine Reform<br />

und Anhebung. Er verletzt die Verantwortung,<br />

und zwar gravierend, wenn er 8 Jahre nach<br />

der letzten Anpassung immer noch zögerlich handelt.<br />

Die Erwartung, der sich der Gesetzgeber der<br />

letzten Legislaturperiode entzogen hat, richtet<br />

sich jetzt mit ganzer Härte und Schärfe an die<br />

neue Regierung und das neu gewählte Parlament.<br />

Uns kann man nicht sagen, eine Anhebung der<br />

Anwaltsgebühren passe nicht in die wirtschaftliche<br />

Landschaft, Nullrunden seien angebracht.<br />

Wir haben Nullrunden seit 1995 hingenommen.<br />

Es ist verrückt: Wohlfeiler scheint heute die<br />

Losung zu sein, die freien Berufe, also auch die<br />

Anwälte, mit neuen Steuerlasten zu belegen. In<br />

verändertem Namen soll die Gewerbesteuer auch<br />

auf andere Berufsgruppen erstreckt werden. Dies<br />

sei das Gebot der Stunde. Was ist hier verrückt?<br />

Die Einnahmeseite bestimmt sich nach den Maßstäben<br />

des Jahres 1994, die Steuerbelastung nach<br />

den Maßstäben des Jahres 2003. Dies ist absurd.<br />

Gleichwohl arbeiten wir in einem wunderbaren<br />

Beruf. Er ist notwendig und wird immer notwendiger.<br />

Die Anwältin und der Anwalt sind die berufenen<br />

Berater bei der Anwendung und Realisierung<br />

der Sozial- und Rechtsnormen, die sich<br />

immer mehr um unser Handeln legen und schlingen.<br />

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Zahl<br />

der Anwälte im Bundestag bemerkbar zugenommen<br />

hat. Anwältinnen und Anwälte bringen Bewegung<br />

in unsere Gesellschaft. Es sind nicht die<br />

Gerichte, die die Motoren sind, auch wenn dies<br />

so scheint. Kein Gericht entscheidet, ohne dass es<br />

nicht auf Kläger- oder Beklagtenseite durch Anwältinnen<br />

und Anwälte bewegt wird.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

Nachdem der Staat die Ausbildungsreform als<br />

„Programmpunkt“ durch eine Scheinreform erledigt<br />

hat, hat sich der Deutsche Anwaltverein entschlossen,<br />

die Anwaltsausbildung selbst in die<br />

Hand zu nehmen. Er wird die DAV-Anwaltsausbildung<br />

schaffen, die eigenständige Maßstäbe<br />

setzt, sich aber mit der staatlichen Juristenausbildung<br />

verknüpfen lässt. Am Markt wird es den<br />

DAV-ausgebildeten Rechtsanwalt geben, der mit<br />

dem Kollegen, der nur die Befähigung zum Richteramt<br />

aufzuweisen hat, in Wettbewerb treten<br />

wird.<br />

Die Wirkungskraft der Anwaltschaft nimmt zu.<br />

Die Wirkungskraft der Justiz tritt zurück. Wie<br />

soll ich das belegen? Zur Justiz gehören die Justizministerien.<br />

In der Silvesternacht des<br />

31.12.2002 gibt es keinen Justizminister, gibt es<br />

keine Justizsenatorin mehr, die diesen gleichen<br />

Job innehatte, als ich zum Präsidenten gewählt<br />

wurde, oder ihn nach diesem Tag angetreten hat.<br />

Es ist bitter und sollte auch von uns beklagt werden:<br />

Es gibt keine Kontinuität in den Justizministerien.<br />

Ein Ministerium, dem aber diese Kontinuität<br />

nicht gegönnt und zugemessen wird, hat<br />

wenig Wert. Darüber muss nachgedacht werden,<br />

dies muss kritisiert werden. Wenn die Justizminister<br />

und -senatorinnen dies nicht selbst zum Thema<br />

machen (was verständlich ist), müssen es die<br />

Anwältinnen und Anwälte tun.<br />

Jetzt könnte ich den mich selbst verblüffenden<br />

Befund, nämlich dass ich gewissermaßen alle<br />

Justizsenatorinnen und Justizminister „überlebt‘‘<br />

habe, zum Anlass nehmen, selbst im Mai auf dem<br />

DAT in Freiburg das Präsidentenamt zurückzugeben.<br />

Aber so ist es nicht. Dies ist kein Zeichen<br />

von Diskontinuität. Es ist im DAV gute Üblichkeit,<br />

dass nach etwa fünf Jahren im Ehrenamt des<br />

Präsidenten ein Wechsel eintritt. Dies garantiert<br />

die Kraft, die Innovationsfähigkeit, die Kreativität<br />

dieses seit 1871 lebenden Berufsverbandes.<br />

Ich wünsche Ihnen ein gutes und erfolgreiches<br />

Jahr 2003.


AnwBl 1/2003 3<br />

Aufsätze l<br />

Anwalts-Kollisionsrecht<br />

Assessor Oliver Knöfel * , Hamburg<br />

Wenn Rechtsanwälte international tätig sind, muss für<br />

die Normen des nationalen Berufsrechts geklärt werden, ob<br />

ihr internationaler Anwendungsbereich die jeweilige Aktivität<br />

des Rechtsanwalts umfasst. Wie ein Rechtsanwendungsrecht<br />

für die Berufsrechtsnormen der BRAO im Einzelnen<br />

auszusehen hat, ist im deutschen Recht noch völlig<br />

unklar. Gefestigte Rechtsanwendungsnormen gibt es nicht.<br />

Die bisher diskutierten Ansätze dazu, Verweisungsnormen<br />

für die Erfassung der internationalen Berufstätigkeit zu entwickeln,<br />

haben ihren Ursprung vorwiegend im europäischen<br />

Gemeinschaftsrecht. Ihnen begegnen allerdings nicht<br />

nur juristische Einwände. Sie werden auch den Erfordernissen<br />

der Anwaltspraxis kaum gerecht. An ihrer Stelle ist ein<br />

berufsbezogenes Kollisionsrecht für die anwaltliche Berufstätigkeit<br />

heranzubilden, das das allgemeine Gebot einer berufsfreundlichen<br />

Auslegung von Berufsordnungsgesetzen<br />

möglichst früh ernst nimmt, nämlich bereits auf der der<br />

sachrechtlichen Beurteilung vorgelagerten Rechtsanwendungsebene.<br />

I. Kollisionsrecht für die Anwaltstätigkeit<br />

1. Grundsätzliches<br />

Dass der Rechtsanwalt mehreren nationalen Berufsrechten<br />

begegnet, wenn er in einer anderen als der Jurisdiktion<br />

seiner Zulassung seine Berufstätigkeit ausübt, ist<br />

seit langer Zeit bekannt 1 . Dass der Anwalt hierbei seine<br />

Zuordnung zum heimischen Berufsrecht an der Grenze<br />

nicht abstreift, entspricht ebenfalls seit langem geteilter<br />

Überzeugung2 . Wenn das deutsche Recht für sich bejaht,<br />

dass das verwaltungsrechtliche Dauerrechtsverhältnis einer<br />

3 inländischen Zulassung andauert 4 , steht der Aufsichtsbefugnis<br />

des Kammervorstands gemäß § 73 BRAO<br />

für sich genommen nichts mehr im Wege5 .DieFrageist<br />

aber, ob das deutsche Berufsrecht für jede beliebige auslandsbezogene<br />

Tätigkeit des deutschen Rechtsanwalts<br />

Geltung beansprucht oder umgekehrt jedes Tätigwerden<br />

eines ausländischen Rechtsanwalts in Deutschland an seinen<br />

eigenen Voraussetzungen messen muss. Verzichtet<br />

man vorerst auf Feineinstellungen, liegt auch für den Anwalt<br />

der Grundkonflikt eines jeden international tätigen<br />

Dienstleisters6 klar. Aus der Sicht des „Heimatstaates“ ist<br />

ein staatliches Interesse daran, dem Ordnungsrecht des<br />

Zulassungsstaates Geltung zu verschaffen, unverkennbar7 .<br />

Der Rechtsanwalt bleibt Standesgenosse deutscher<br />

Rechtsanwälte und steht als solcher in unzähligen professionellen<br />

Beziehungen zu Inländern, die auch dann Anstoß<br />

an seinem beruflichen Verhalten nehmen können,<br />

wenn dieses im Ausland stattfindet. Darüber, ob ein solcher<br />

Anstoß auch einen rechtlich erheblichen Anlass zum<br />

Einschreiten der Berufsaufsicht bietet, gibt allein das<br />

deutsche Berufsrecht Auskunft. Allerdings wird man auch<br />

im Tätigkeitsstaat nicht uninteressiert daran sein, gegenüber<br />

dem „fremden“ Rechtsanwalt das eigene Berufsrecht<br />

zur Geltung zu bringen8 . Die klassische Anwaltstätigkeit<br />

ist mit dem staatlichen Interesse an einer funktionsfähigen<br />

Rechtspflege und ihren national naturgemäß<br />

höchst unterschiedlichen Bedingungen so eng verschränkt<br />

9 , dass das staatliche Regulierungsinteresse<br />

großes Gewicht hat.<br />

2. Fremdenrechtlicher Ansatz<br />

Nun kann die Rechtsordnung des Staates, in dem die anwaltliche<br />

Tätigkeit tatsächlich stattfindet, die Berufstätigkeit<br />

des „fremden“ Rechtsanwalts untersagen oder so stark beschränken,<br />

dass die Restriktionsdichte einem Vollverbot<br />

praktisch gleichkommt. Dann betritt man weniger den Bereich<br />

des auf Ausgleich bedachten Kollisionsrechts als vielmehr<br />

eines seiner Nachbargebiete: das Fremdenrecht, welches<br />

auf der staatlich gewollten und vom Rechtsanwender<br />

hingenommenen Andersbehandlung von Ausländern beruht.<br />

Das deutsche Recht kennt fremdenrechtliche Ansätze noch<br />

in einigen Berufsrechten, z. B. wenn § 14 Abs. 1 Nr. 11<br />

PAO 10 für die Zulassung zur Patentantwaltschaft fordert,<br />

dass die Bewerber Deutsche sein müssen, vorbehaltlich eines<br />

Absehens von diesem Erfordernis durch den Präsidenten<br />

des Patentamts gemäß Abs. 2 der Vorschrift11 .ImBereich<br />

der globalen Rechtsberatung begegnet der<br />

international tätige Anwalt bis heute einer solchen Rechtslage<br />

in Japan. Dort hat zwar ein erstmals im Jahre 1986 erlassenes<br />

Gesetz zumindest theoretisch rechtliche Rahmenbedingungen<br />

für die Tätigkeit ausländischer Anwälte<br />

geschaffen12 . Entgegen anders lautender Hinweise13 haben<br />

sich die hiermit verbundenen Hoffnungen auf weitere Liberalisierung<br />

– genährt besonders durch eine Gesetzesnovelle<br />

von 1994, welche pro forma die Eingehung von joint-ventures<br />

mit japanischen Berufsträgern gestattete14 – jedoch keineswegs<br />

erfüllt. Namhafte internationale Anwaltssozietäten<br />

machen von der bis heute im Tatsächlichen unsicheren Zusammenarbeitsform<br />

keinen Gebrauch und bedienen die Beratungsgebiete<br />

„ausländisches Recht“ und „japanisches<br />

Recht“ statt dessen durch zwei rechtlich und organisatorisch<br />

getrennte Büros, die lediglich unter derselben (zumeist Tokyoter)<br />

Geschäftsadresse firmieren. 15 Ein derart konsequent<br />

* Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für ausländisches und internationales<br />

Privat- und Prozessrecht der Universität Hamburg (Lehrstuhl Prof. Dr.<br />

Peter Mankowski). Verf. dankt Prof. Ronald A. Brand, Director, Center of<br />

International Legal Education, University of Pittsburgh School of Law, für die<br />

freundliche Überlassung diverser berufsrechtlicher Materialien.<br />

1 Note, 80 Harv.L.Rev. 1284, 1300 f. (1967).<br />

2 Gottfried Raiser, NJW 1991, 2049, 2057; ders., AnwBl. 1991, 487, 496;<br />

Henssler, JZ 1994, 178, 185; Louven, VersR 1997, 1050.<br />

3 Das durch die örtlich zuständigen Organe einmal aufgegriffene Berufsrechtsverhältnis<br />

erledigt sich nicht durch einen Zulassungswechsel, vgl. BVerfG v.<br />

30.4.2002, MDR 2002, 911 f.<br />

4 Jessnitzer/Blumberg, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl. 2000, § 113<br />

BRAO Rn. 5; Feuerich/Braun-Feuerich, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl.<br />

2000, § 113 BRAO Rn. 2, 3.<br />

5 Zuck, NJW 1987, 3033, 3036.<br />

6 Mankowski, IPRax 2002, 257, 260.<br />

7 Gwirtzman, in: Gerson (Hrsg.), Lawyers’ Ethics, Contemporary Dilemmas,<br />

New Brunswick London 1980, 251, 257.<br />

8 Meyrier, 13 Int’l Bus.Law. 410, 411 (1985); Lutz, 16 Fordham Int’l L.J. 53, 60<br />

(1992-93); Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1137 f. (2001).<br />

9 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 15; vgl. auch Nr. 1.2.2. CCBE-Standesregeln<br />

(i. d. F. v. 28.11.1998; Text u. a.: AnwBl. 2001, 337 ff.) : „Jede Anwaltschaft<br />

hat eigene auf ihrer besonderen Tradition beruhende Regeln. Diese<br />

entsprechen der Organisation des Berufsstandes und dem anwaltlichen Tätigkeitsbereich,<br />

dem Verfahren vor den Gerichten und Behörden sowie den Gesetzen<br />

des betreffenden Mitgliedstaates. Es ist weder möglich noch wünschenswert,<br />

sie aus diesem Zusammenhang herauszureißen oder Regeln zu<br />

verallgemeinern, die dafür nicht geeignet sind.“<br />

10 Patentanwaltsordnung v. 7.9.1966, BGBl. 1966 I S. 557; zuletzt geändert durch<br />

Gesetz v. 19.12.1998 (BGBl. 1998 I S. 3826).<br />

11 Weitere Beispiele bei Raape/Fritz Sturm, Internationales Privatrecht, I: Allgemeine<br />

Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 28 sowie bei Bernd Braun, Niederlassungsrecht<br />

in Deutschland, 2. Aufl. 1999, Rn. 325 ff.<br />

12 Gaikoku jimu bengoshi hô (Gesetz Nr. 66/1986 = Special Measures Law Concerning<br />

the Handling of Legal Business by Foreign Lawyers); engl. Text: 26<br />

I.L.M. 881-920 (1987); dazu Porges, 26 I.L.M. 881-883 (1987); Tremblay,<br />

Rev. du Not. 93 (1990) 115 ff. (Anm. 47); Oda, Japanese Law, London Dublin<br />

Edinburgh 1992, S. 108; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht,<br />

5. Aufl. 2002, § 5 Rn. 424.<br />

13 Henssler/Streck-Kilian, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, H Rn. 53.<br />

14 Nakamura, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 579, 590.<br />

15 So z. B. Freshfields; vgl. http://www.freshfields. com/places/japan/de.asp.


4<br />

l<br />

fremdenrechtlich angelegter Umgang mit ausländischen Anwälten<br />

ist aber nur möglich, wenn – wie in Japan – die Konkretisierung<br />

von Anwaltsrecht so weitgehend nichtstaatlicher<br />

Verbandsmacht überantwortet ist 16 , dass eine staatliche<br />

Verantwortung für die Gestaltung der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />

ohnehin so gut wie gar nicht wahrgenommen<br />

wird. 17<br />

3. Kollisionsrechtlicher Ansatz<br />

Soll diese Veranwortung – wie in Deutschland – dagegen<br />

von staatlichen Stellen und Aufsichtsorganen aktiv<br />

wahrgenommen werden, die sich auch Zeitströmungen nicht<br />

verschließen sollen 18 und das zentrale Anforderungsprogramm<br />

der Globalisierung 19 daher nicht ignorieren dürfen,<br />

kommt ein Vollverbot nicht in Frage. Dann muss der Tätigkeitsstaat<br />

nach rechtlichen Möglichkeiten suchen, den ausländischen<br />

Anwalt als Rechtsunterworfenen des heimischen<br />

Berufsrechts anzusprechen. Zuallermeist ist ein staatliches<br />

Interesse daran wahrnehmbar, dass die Anwesenheit und<br />

die nachhaltige berufliche Tätigkeit des ausländischen Anwalts<br />

im Inland nicht solche berufsrechtlichen Standards<br />

verletzen sollen, welche die Rechtspflege und die Mandantschaft<br />

von jedem einheimischen Anwalt erwarten 20 . Zugespitzt<br />

wird der Konflikt, wenn die beiden so relevanten Berufsrechte<br />

untereinander in inhaltlichem Widerspruch<br />

stehen 21 . Dass dieser Konflikt jedoch in rechtstechnischer<br />

Hinsicht als Kollisionslage erscheint, die die Anwendung<br />

regelrechter Kollisionsnormen erfordert, ist in Deutschland<br />

erstaunlich selten zur Kenntnis genommen worden. Zwar<br />

hatte Karl Neumeyer, der Pionier des „Internationalen Verwaltungsrechts“<br />

22 , bereits im Jahre 1917 darauf hingewiesen,<br />

dass die Bewältigung von Auslandssachverhalten der<br />

anwaltlichen Berufstätigkeit zuallererst die Feststellung der<br />

anwendbaren Berufsrechtsordnung erfordert 23 . Allerdings ist<br />

erst in allerneuester Zeit die ausdrückliche Forderung nach<br />

Kollisionsnormen für das Recht der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />

erhoben worden 24 . Wie solche aussehen könnten,<br />

ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.<br />

II. Normenhäufung<br />

1. Deutsches Recht<br />

Eine Rechtsnorm des deutschen Rechts, die als erklärte<br />

Kollisionsnorm die Anwendung des einen oder des anderen<br />

nationalen Berufsrechts auf den grenzüberschreitenden<br />

Sachverhalt der anwaltlichen Berufstätigkeit festlegte, gibt<br />

es nicht. Auch das seit dem Jahre 2000 in Kraft stehende<br />

Umsetzungsrecht zu den die Anwaltstätigkeit betreffenden<br />

Richtlinien des Gemeinschaftsrechts 25 – die Rede ist vom<br />

EuRAG 26 , das das RADG 27 mittlerweile vollständig abgelöst<br />

hat – schweigt hierzu. Dies hat klare Gründe. Das Eu-<br />

RAG hat einen deutlichen prozessrechtlichen Fokus (v. a.<br />

§§ 27 Abs. 1, 28 ff. EuRAG). Das rührt daher, dass die Prozessvertretung<br />

vor Gerichten und die Vertretung gegenüber<br />

Behörden nach traditioneller Anschauung die wohl „staatsnächsten“<br />

Tätigkeiten sind, welche ein Rechtsanwalt bei<br />

freier Advokatur ausüben kann. Die „staatlich gebundenen“<br />

28 Tätigkeiten von Freiberuflern waren in der Kompetenzordnung<br />

der Europäischen Gemeinschaft jedoch seit<br />

jeher Domänen der Mitgliedstaaten. Als solche sind sie Reservate<br />

gegenüber den Ansprüchen der Dienstleistungs- und<br />

Niederlassungsfreiheit geblieben – ein Aspekt, der heute<br />

noch besonders deutlich bei der Frage begegnet, ob sich das<br />

Berufsrecht der Notare überhaupt zur Europäisierung eignet<br />

29 . Von dieser Konfliktlage musste sich daher auch das<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

zu den Rechtsanwalts-Richtlinien ergehende Umsetzungsrecht<br />

besonders herausgefordert fühlen, so dass der Umsetzungsgeber<br />

gerade die prozessbezogenen Tätigkeiten dezidiert<br />

im EuRAG zu regeln hatte, zumal angesichts der<br />

gleichfalls prozessrechtlich akzentuierten „Vorgeschichte“<br />

um die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von § 4 RADG<br />

a. F 30 . Auch im Anwaltsbereich gibt es somit eine spezifisch<br />

justizbezogene Freizügigkeit 31 , der sich das EuRAG vorrangig<br />

annimmt. Natürlich können auch im prozessualen Streitverfahren<br />

Vorschriften entscheidungserheblich werden, die<br />

zumindest auch die berufliche Stellung des ausländischen<br />

Rechtsanwalts betreffen. Beispielsweise hatte es der bis<br />

zum 1.7.2002 fortgeltende, spätestens mit § 25 BRAO außer<br />

Kraft getretene § 27 Abs. 1 S. 3 EuRAG dem europäischen<br />

Rechtsanwalt untersagt, vor dem Oberlandesgericht aufzutreten,<br />

wenn keine Prozessvertretung in erster Instanz vorausgegangen<br />

war 32 . Außer bei der Postulationsfähigkeit 33<br />

begegnen andere Schnittstellen zwischen nationalem Verfahrensrecht<br />

und der berufsrechtlichen Zuordnung von ausländischen<br />

Anwälten etwa bei den prozessualen Formvorschriften<br />

34 und bei der Reichweite von Verfahrensgarantien,<br />

die hinreichenden anwaltlichen Beistand im Strafverfahren<br />

16 Die nahezu unumschränkte Machtvollkommenheit der Nichibenren (Japan Federation<br />

of Bar Associations) ist legendär.<br />

17 Zu jüngsten Reformbestrebungen für das anwaltliche Berufsrecht in Japan allerdings<br />

Ishikawa, ZZPInt 4 (1999) 381, 384 ff.; zu solchen in der Juristenausbildung<br />

vgl. Marutschke, Einführung in das japanische Recht, 1999, S. 80 f.;<br />

Nakamura, FSReinhold Geimer, 2002, S. 779, 791 f.<br />

18 Bereits Warburg, in:Ackermann/Albers/Bettermann (Hrsg.), Aus dem Hamburger<br />

Rechtsleben – Walter Reimers zum 65. Geburtstag, 1979, S. 139.<br />

19 Kilian, WM 2000, 1366.<br />

20 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29.<br />

21 Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 2002, § 61 Rn. 2, 3.<br />

22 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, 1922, passim; siehe auch Max<br />

Friedlaender, JW 1923, 158 f.<br />

23 Neumeyer, GA 64 (1917) 1; für weitere berufsrechtliche Zusammenhänge<br />

ders., ZStW 23 (1903) 436, 444.<br />

24 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52; ders., östAnwBl. 2002, 190.<br />

25 Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen<br />

Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte,<br />

ABlEG 1977 L 78/17 (Dienstleistungsrichtlinie); Richtlinie 89/48/EWG des<br />

Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der<br />

Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen,<br />

ABlEG 1989 L 19/16 (Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie) sowie<br />

Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />

16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs<br />

in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben<br />

wurde, ABlEG 1998 L 77, 36 (Niederlassungsrichtlinie).<br />

26 Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland = Art. 1<br />

Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf<br />

dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte, BGBl. 2000 I 182; dazu<br />

Lach, NJW 2000, 1609; Franz, BB 2000, 989; Klein, AnwBl. 2000, 190; Jessnitzer/Blumberg<br />

(Fn. 4), § 4 BRAO Rn. 2; Mankowski, AnwBl. 2001, 73, 77;<br />

Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2001, Rn. 2227 d.<br />

27 Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz vom 16.8.1980, BGBl. 1980 I 1453.<br />

28 Papier, FSWerner Lorenz, 2001, S. 35 ff.<br />

29 Dazu Hans Georg Fischer, DNotZ 1989, 467, 486, 496 f.; Basedow, RabelsZ<br />

55 (1991) 409 ff.; Pützer, FSWilli Weichler, 1997, S. 191, 194, 210; Hirsch,<br />

DNotZ 2000, 729 ff.; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325.<br />

30 Bekanntlich hatte der EuGH (25.2.1988 – Rs. C-427/85 [Kommission/Deutschland])<br />

die von § 4 RADG a. F. aufgestellten Anforderungen an die Herstellung<br />

des sog. Einvernehmens zwischen dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt<br />

und einem deutschen „Einvernehmensanwalt“ für gemeinschaftsrechtswidrig<br />

erklärt; dazu statt vieler Reithmann/Martiny-Mankowski, Internationales<br />

Vertragsrecht, 5. Aufl. 1996, Rn. 1491. Heute gilt die ehemalige<br />

„Gouvernantenklausel“ (u. a. Hans-Jürgen Rabe, RabelsZ 55 [1991] 291, 294)<br />

nur noch in stark abgeschwächter Form, vgl. §§ 28 ff. EuRAG; auch §§ 5, 14<br />

östEuRAG (östBGBl. 2000 I Nr. 27, S. 134, 136).<br />

31 Kerameus, RabelsZ 66 (2002) 1, 11.<br />

32 Henssler, JZ 2001, 337, 340. Mit § 226 Abs. 2 BRAO ist § 25 BRAO außer<br />

Kraft gesetzt worden, vgl. BVerfG v. 13.12.2000, NJW 2001, 353 = MDR<br />

2001, 177 m. Anm. Härting = EWiR Art. 12 GG 1/01, 17 m. Anm. Huff =<br />

JuS 2001, 504 m. Anm. Sachs; zu diesem Urteil Römermann, BB 2001, 272;<br />

Füßer, MDR 2001, 551; Kleine-Cosack, AnwBl 2001, 204; Rolf Schneider,<br />

AnwBl. 2001, 206; Grunewald, AnwBl. 2001, 377; Hartung, AnwBl. 2001,<br />

496; Brändel, ZRP 2001, 112, 114 f. Kürzlich ist ferner ein Antrag auf Erlass<br />

einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Fortgeltung von § 25 BRAO zurückgewiesen<br />

worden, BVerfG v. 12.6.2002, NJW 2002, 2632.<br />

33 Dazu noch östOGH v. 4.5.2000, ÖJZ 2000, 814.<br />

34 OLG Frankfurt v. 22.11.2000, RIW 2001, 543.


AnwBl 1/2003 5<br />

Aufsätze l<br />

sicherstellen sollen 35 . In diesen Fällen treten aber keine kollisionsrechtlichen<br />

Fragen im eigentlichen Sinne auf. Vielmehr<br />

wirkt sich sofort das lex-fori-Prinzip des Verfahrensrechts<br />

aus 36 , das bereits begrifflich ausschließt, ausländische Normen<br />

für die Anwaltstätigkeit mit ihrer Rechtsfolge zum Tragenzubringen.<br />

Von dieser dem Kollisionsrecht eher fernen, forumbezogenen<br />

Sichtweise ist der tatsächliche Zuschnitt der modernen<br />

internationalen Anwaltstätigkeit, wie sie etwa die an<br />

deutschen Standorten präsenten Großsozietäten anbieten,<br />

weit entfernt. Sie ist ganz überwiegend außergerichtliche<br />

Mandantenvertretung; das Auftreten vor den Gerichten eines<br />

anderen Staates hat nur noch geringe Bedeutung 37 .Zu<br />

dieser grenzüberschreitenden Dienstleistungstätigkeit des<br />

Rechtsanwalts äußert sich das Umsetzungsrecht allerdings<br />

kaum und allenfalls „sybillinisch“ 38 , wenn es in § 27 Abs. 2<br />

EuRAG festlegt, der Rechtsanwalt habe die „für den<br />

Rechtsanwalt geltenden Regeln“ einzuhalten, wobei die<br />

Entscheidung über die Frage, welche Berufsnormen im Einzelnen<br />

hierzu gehören, der Rechtsprechung vorbehalten<br />

bleiben soll 39 . In S. 2 sieht die Vorschrift zwar eine Schrankenbestimmung<br />

vor, wonach die Regeln nur insoweit gelten,<br />

als sie von der Niederlassung in Deutschland losgelöst<br />

werden können und das Befolgungsverlangen aus der<br />

„Wahrung des Ansehens und des Vertrauens“ gerechtfertigt<br />

werden kann, „welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert“.<br />

Dies sind jedoch nicht mehr als Generalklauseln,<br />

welche nochmals die Zweiteilung zwischen Dienstleistung<br />

und Niederlassung und die unterschiedlichen hierfür geltenden<br />

Maßstäbe 40 bestätigen, ohne wesentlich sachlich konkretisiert<br />

worden zu sein. Schon im internen Anwaltsrecht<br />

ist höchst fraglich geworden, ob der Vorschrift des § 2<br />

BRAO über die berufliche Stellung des Rechtsanwalts noch<br />

statusbegründende Bedeutung bzw. konkrete Rechtspflichten<br />

entnommen werden können 41 . Die Klärung der Schrankenreichweite<br />

des § 27 Abs. 2 EuRAG, die über die Tatbestandserstreckung<br />

von Rechtsnormen auf dienstleistende<br />

europäische Rechtsanwälte entscheidet, dürfte kaum leichter<br />

fallen. Nach der geltenden Rechtslage des gemeinschaftsrechtlichen<br />

Umsetzungsrechts hat der grenzüberschreitend<br />

tätige Rechtsanwalt damit zu rechnen, dass seine<br />

Berufstätigkeit als Regelungsgegenstand von mehr als einem<br />

nationalen Berufsrecht aufgegriffen wird.<br />

2. Einheitsrecht<br />

Von der Einsicht, dass ein solcher Zustand der Normenhäufung<br />

als Erschwernis, als Transaktionshemmnis wirkt,<br />

lebt jedes Kollisionsrecht und hat es seit jeher seine ideengeschichtlichen<br />

Geltungsgründe bezogen 42 . Seit langem<br />

wird die Funktionsfähigkeit des internationalen Wirtschaftsverkehrs<br />

daher als kollisionsrechtlicher Grundwert<br />

gesehen 43 . Ebenso ist allerdings bekannt, dass gerade die<br />

Anwaltschaft Kollisionsrecht und Rechtsanwendungsnormen<br />

überhaupt häufig als Präliminarien, als unnötige Vorstufe<br />

zur Entscheidung des Rechtsfalls in der Sache selbst<br />

empfindet. Bereits mit der Anwendung solcher Kollisionsnormen,<br />

die über die im Mandat bearbeitete Streitsache zu<br />

entscheiden haben und für deren Kenntnis der Rechtsanwalt<br />

ggf. haftet 44 , tut sich die Anwaltschaft daher oft schwer 45 .<br />

Soweit es nun gar um diejenigen Normen geht, die als Berufsordnungsrecht<br />

über die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts<br />

selbst zu entscheiden haben, scheint der Unwillen,<br />

eine differenzierte Betrachtung der Rechtsanwendungsfrage<br />

anzustreben, noch größer. Um Kollisionsfragen drückt man<br />

sich; meint, bei dem auf die Berufstätigkeit anwendbaren<br />

Recht eine „undurchsichtige Gemengelage“ 46 hinnehmen<br />

zu müssen. Das aktuelle Schrifttum spart zwar nicht mit<br />

Hinweisen darauf, dass eine schematische Unterwerfung<br />

der grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit unter jedes Berufsrecht,<br />

das einen Regelungsanspruch erheben mag, als<br />

wenig integrationsfreundlich zu gelten habe 47 und im Ergebnis<br />

abzulehnen sei 48 . Dies ist etwa für die §§ 6–10 BerufsO<br />

ausgesprochen worden, die besondere Berufspflichten<br />

des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Werbung<br />

aufstellen 49 . Das von der Anwaltschaft zu Recht<br />

gewünschte Ergebnis – die Entlastung des Rechtsanwalts<br />

von Normenhäufung und den mit ihr verbundenen Rechtsermittlungskosten<br />

– liegt auf der Hand. Zur Erreichung dieses<br />

Zieles möchte sich das Schrifftum allerdings dem Einheitsrecht<br />

anvertrauen und auf diesem Wege<br />

Rechtsanwendungsfragen aus dem Wege gehen. Es wird<br />

keine Kollisionsfrage mehr formuliert, sondern die Ansicht<br />

vertreten, stattdessen habe das von den internationalen Anwaltsverbänden<br />

zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung<br />

gesetzte Einheitsrecht – namentlich die CCBE-Standesregeln<br />

50 – die angestrebte Entlastung des Rechtsanwalts<br />

herbeizuführen 51 . Die CCBE-Standesregeln sollen offenbar<br />

im Alleingang für die nötige Rechtssicherheit sorgen 52 .<br />

Eine solche Sichtweise überfordert allerdings die CCBE-<br />

Standesregeln. Auf Grund der statischen Verweisung in<br />

§ 29 BerufsO 53 sind sie in ihrer jeweiligen Fassung zwar<br />

35 KG v. 21.9.2001, NStZ 2002, 52: Übersetzung von Verteidigergesprächen des<br />

dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts.<br />

36 v. Bar, Internationales Privatrecht, I: Allgemeine Lehren (1987) Rn. 370.<br />

37 Henssler, JZ 1994, 178, 184; ders., ZEuP 1999, 689, 698; Sieg, Internationale<br />

Anwaltshaftung (1996) S. 41; Henssler/Kilian, ZZP 113 (2000) 251, 255.<br />

38 Treffend Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 175; ders., JA 2000, 429, 432<br />

(Anm. 20).<br />

39 Henssler/Prütting-Schroeder/Federle, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1997, § 3<br />

RADG Rn. 13.<br />

40 Mankowski, AnwBl. 2001, 73, 78.<br />

41 Zu Recht verneinend Warburg, in: Ackermann/Albers/Bettermann (Hrsg.),<br />

Aus dem Hamburger Rechtsleben – Walter Reimers zum 65. Geburtstag,<br />

1979, 139, 150; Achim Krämer, FSHenning Piper, 1996, S. 327, 337 f.<br />

42 Umfassend v. Bar (Fn. 36), Rn. 416 ff.<br />

43 Wiethölter, FSGerhard Kegel, 1977, S. 213, 259; Meessen, AöR 110 (1985)<br />

398, 408 f.; Lüderitz, FS Rechtswiss. Fakultät Köln, 1989, S. 271, 291 f.;<br />

Großfeld in: Lutz Fischer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Aktivitäten deutscher<br />

Unternehmen und EU-Recht, 1997, S. 1, 2; Juenger, FS Ulrich Drobnig,<br />

1998, S. 299, 312 f.; Thomas Pfeiffer, NJW 1999, 3674, 3681; Staudinger-Fezer,<br />

IntWirtschR, 13. Bearb. 2000, Rn. 408 a. E; Kronke, FSDieter Henrich,<br />

2000, S. 385, 386 ff.; Schwander, Liber amicorum Kurt Siehr, The Hague Zürich<br />

2000, S. 673, 683 f.; Peter Behrens, FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für<br />

Privatrecht, 2001, S. 381, 396; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales<br />

Privatrecht, 2002, S. 20, 86.<br />

44 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1522.<br />

45 Bendref, AnwBl. 1982, 468, 469; Siehr, ZfRV 25 (1984) 124, 141 f.; ders.,<br />

Studi Broggini, 1997, 537 ff.; Schnorr, AnwBl. 1994, 98; Louven, VersR<br />

1997, 1050, 1052; Joachim Gruber, DZWir 1997, 461, 463; Böhlhoff, BRAK-<br />

Mitt 2002, 13; zur verbreitet diagnostizierten Überforderung des nicht-spezialisierten<br />

Juristen durch Probleme der auslandsbezogenen Rechtsanwendung<br />

siehe auch Schotten, FSHelmut Schippel, 1996, S. 945 f., 950; Harald Koch,<br />

RabelsZ 61 (1997) 623, 638 f.; Schack, Liber amicorum Gerhard Kegel, 2002,<br />

S. 179, 183.<br />

46 Kilian, WM 2000, 1366, 1371 f.<br />

47 Henssler, AnwBl. 1996, 353, 354; auch Kurt Franz FS Peter Rieß, 2002,<br />

S. 875, 890.<br />

48 Hartung/Holl-Römermann, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. 2001, Berufsrechts-<br />

u. Werbe-ABC, Stichw. „Ausland, Werbung im“.<br />

49 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 2.<br />

50 I. d. F v. 28.11.1998 (Lyon), Text u. a: AnwBl. 2001, 337 ff.<br />

51 Charakteristisch Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 3; in diese Richtung<br />

auch Hans-Jürgen Rabe, AnwBl. 1999, 66, 69.<br />

52 Weil, AnwBl. 1988, 632; Kespohl-Willemer, EuZW 1990, 88, 89; Toulmin,<br />

AnwBl. 1991, 256; Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30; Kristian Fischer,<br />

Die Kollision von nationalem Berufsrecht mit der Niederlassungsfreiheit<br />

in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 43; Hans-Jürgen Rabe,<br />

AnwBl. 1999, 66, 69; Büchting/Heussen-Heike Lörcher, Rechtsanwalts-Handbuch,<br />

6. Aufl. 1999, H 3 Rn. 46; Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110 f.<br />

53 I. d. F. v. 1.5.2002 verweist § 29 Abs. 1 BerufsO gemäß Beschluss der Satzungsversammlung<br />

v. 15./16.2.2001 nunmehr auf die CCBE-Standesregeln<br />

i. d. F. v. 28.11.1998 (Text: AnwBl. 2001, 337 ff.).


6<br />

l<br />

geltendes Berufsrecht, sofern ein grenzüberschreitender<br />

Sachverhalt gemäß Nr. 1.5. CCBE-Standesregeln vorliegt 54 .<br />

Dies darf aber nicht über ihre Rechtsnatur und die ihr immanenten<br />

Geltungsgrenzen der Standesregeln hinwegtäuschen.<br />

Die CCBE-Standesregeln sind nicht mehr – allerdings<br />

auch nicht weniger – als Verbandsrecht, seit den<br />

1970er Jahren gesetzt von der CCBE (Conseil Communautaire<br />

des Barreaux Européens), einer AISBL 55 belgischen<br />

Rechts 56 . § 29 Abs. 1 BerufsO ordnet den Nachrang dieses<br />

Verbandsrechts gegenüber europäischem Gemeinschaftsrecht<br />

sowie deutschem Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht<br />

ausdrücklich an 57 . Die jüngsten Entscheidungen<br />

des EuGH i. S. Wouters 58 und Arduino 59 , welche jeweils nationale<br />

Regelwerke für die Anwaltschaft an gemeinschaftsrechtlichen<br />

Vorgaben zu messen hatten, haben deutlich gezeigt,<br />

dass sich die Frage nach dem staatlichen und<br />

demokratischen Legitimationsgrad von „Anwaltsrecht“ zu<br />

einer zentralen Anforderung des Rechts der anwaltlichen<br />

Berufstätigkeit heranbildet 60 . Die den CCBE-Regeln immanente<br />

Begrenzung von Verbandsmacht 61 – ausgedrückt<br />

durch ihren Rangplatz in der Normenhierarchie 62 der für die<br />

Anwaltstätigkeit relevanten Vorschriften – muss daher ernst<br />

genommen werden, so dass den CCBE-Regeln unmittelbar<br />

keine Rechtsanwendungsnormen für die Zuordnung der<br />

grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit zu nationalen Berufsrechten<br />

entnommen werden können 63 . Es ginge allerdings<br />

zu weit, wollte man auf Grund der Nachrangigkeit,<br />

mit der die CCBE-Standesregeln ihren Anwendungsanspruch<br />

formulieren, auf eine völlige Irrelevanz der Regeln<br />

für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und seine<br />

Kollisionsregeln schließen 64 . Einzelne Bestimmungen der<br />

CCBE-Standesregeln können durchaus zur Ausfüllung und<br />

inhaltlichen Abstimmung anderweitig gefundener Rechtsanwendungsregeln<br />

herangezogen werden. Bestes Beispiel<br />

hierfür ist die Bestimmung in Nr. 2.6.2. CCBE-Standesregeln,<br />

wonach Anwaltswerbung als an einem Ort vorgenommen<br />

gilt, wo sie zulässig ist, sofern der Rechtsanwalt<br />

die Zielrichtung der Werbung auf diesen Ort, wo Mandanten<br />

angesprochen werden sollten, nachweist. Ein Indiz, das einen<br />

solchen Nachweis tragen kann, ist z. B. die Abfassung<br />

der Anwaltswerbung in einer Sprache mit begrenztem Verbreitungsgebiet<br />

65 . Der Sache nach ist dies nichts anderes als<br />

die Ermittlung eines Marktortes. Auf der Ebene des Internationalen<br />

Privatrechts hat eine Anknüpfung an diesen Ort bereits<br />

gut funktioniert, z. B. wenn festgestellt werden musste,<br />

an welchem nationalen Wettbewerbsrecht eine grenzüberschreitende<br />

Anwaltswerbung zu messen war 66 . Das Rechtsanwendungskriterium<br />

taugt seinem Inhalt nach aber auch<br />

zur Bestimmung von Aufgreifkriterien für die berufsverwaltungsrechtliche<br />

Beurteilung: Wenn gemäß Nr. 2.6.2. CCBE-<br />

Standesregeln die Nachweismöglichkeit des Anwalts über<br />

die Zielrichtung einer Werbung darüber entscheidet, ob das<br />

Berufsrecht den Sachverhalt aufgreift, so obliegt die Beibringung<br />

der relevanten Tatsachen dem, der als Unternehmer<br />

am besten über Zielrichtung und Umfang seiner Werbung<br />

Bescheid weiß: dem Anwalt selbst. Ist der von<br />

Nr. 2.6.2 CCBE-Standesregeln geforderte Nachweis geführt,<br />

so steht fest, dass das deutsche Recht zu der Werbemaßnahme<br />

schweigt, weil sie nicht in den internationalen<br />

Anwendungsbereich von § 43 b BRAO fällt. Gelingt der<br />

Nachweis nicht, ist der Weg zur Einleitung eines berufsaufsichtlichen<br />

Verfahrens frei. Eine solche Argumentation setzt<br />

allerdings voraus, dass eine verbindliche Rechtsanwendungsnorm<br />

des Internationalen Verwaltungsrechts zuvor<br />

eine Auswahl zwischen verschiedenen Berufsrechten trifft.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

Den nachrangig anwendbaren CCBE-Standesregeln allein<br />

kann eine solche Rechtsanwendungsnorm nicht entnommen<br />

werden.<br />

III. Internationales Öffentliches Recht der Rechtsberatung<br />

Die staatliche Regulierung der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />

wird in der deutschen Rechtsordnung dem Öffentlichen<br />

Recht zugeordnet, wobei diese Zuordnung in anderen<br />

Rechtskreisen oftmals ganz anders erfolgt, insbesondere mit<br />

Akzentsetzungen auf dem Vertrags- oder Verfahrensrecht 67 .<br />

In Deutschland dagegen muss das Recht der Anwaltstätigkeit<br />

– ebenso wie andere dem Öffentlichen Recht angehörige<br />

Rechtsmaterien – mit Denkzwängen fertig werden, die<br />

aus der immer noch verbreiteten Verwirrung um den Begriff<br />

„Internationales Öffentliches Recht“ 68 resultieren. Bevor<br />

man eine „Kollision verschiedener berufsrechtlicher Regelungen“<br />

69 ausmacht, muss daher entschieden werden, ob die<br />

öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Berufsordnungsrechts<br />

nicht jede Rechtsanwendungsfrage von vornherein ausschließt.<br />

Diese Frage ist zu verneinen. Sie bedeutet insbesondere<br />

nicht, dass es in der Rechtsberatung ein Internationales<br />

Öffentliches Recht nicht „geben“ könne.<br />

54 Joachim Gruber, MDR 1998, 1399, 1401.<br />

55 Association internationale sans but lucratif.<br />

56 Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107.<br />

57 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 180; Römermann/Hartung (Fn. 21),<br />

§ 59 Rn. 10.<br />

58 EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-309/99, NJW 2002, 877 = EuZW 2002, 172 m. Anm.<br />

Eichele 182 = JZ 2002, 453 m. Anm. Peter Schlosser = DVBl 2002, 464<br />

m. Anm. Andresen 685 = MDR 2002, 849 m. Anm. Kilian; zu diesem Urteil<br />

noch Römermann/Wellige, BB 2002, 633; Heike Lörcher, NJW 2002, 1092;<br />

Weil, BRAK-Mitt 2002, 50; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325, 339; Peter<br />

Schlosser, EuLF 2002 (D), 94, 99 f., 101; zu den Schlussanträgen des Generalanwalts<br />

Léger bereits Hans-Jürgen Hellwig, östAnwBl. 2002, 190, 192; ders.,<br />

BRAK-Mitt 2002, 52, 54; Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110; Vorlageentscheidung:<br />

Arr.Rb. Amsterdam v. 7.2.1997, Az. 96/1283 u. 96/2891 – n. v. –<br />

(Wouters et al. ./. Nederlandse Orde van Advocaten); zu dieser Entscheidung<br />

vgl. Kilian, NJW 2001, 326, 328 (Anm. 27).<br />

59 EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-35/99, EuLF 2002 (D), 111 = JZ 2002, 453 m. Anm.<br />

Peter Schlosser = EuZW 2002, 179 m. Anm. Eichele = DStR 2002, 652<br />

m. Anm. Hund = IStR 2002, 250; zu diesem Urteil Weil, BRAK-Mitt 2002,<br />

50, 52; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325, 338 ff.; Peter Schlosser, EuLF 2002<br />

(D), 94, 98 ff.; Vorlageentscheidung: Pretura di Pinerolo v. 15.1.1999 (Pret.<br />

Reynaud), EuLF 2000/01 (D), 149 m. Anm. Scassellati-Sforzolini; dazu Rupert<br />

Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110.<br />

60 Kilian, MDR 2002, 850; siehe auch Peter Schlosser, JZ 2002, 454, 455; Lausegger,<br />

WBl. 2002, 141, 144.<br />

61 Zur vergleichbaren Situation im Sportverbandsrecht unlängst Knöfel, SpuRt<br />

2002, 49, 51.<br />

62 Kilian, MDR 2002, 850 spricht unpräzise von „Normpyramide“, wodurch<br />

aber hierarchische Rangverhältnisse wie in § 29 Abs. 1 BerufsO nicht hinreichend<br />

zum Ausdruck kommen.<br />

63 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 183.<br />

64 So noch Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1993, Anh. II 7<br />

(Anm. 1). Die Folgeauflagen des Werkes enthalten derartige Hinweise – soweit<br />

ersichtlich – nicht mehr.<br />

65 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 319 (Anm. 33).<br />

66 OLG Düsseldorf v. 19.10.1993, NJW 1994, 869 (Anwaltswerbung in den Niederlanden);<br />

zu diesem Urteil Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30),<br />

Rn. 1532; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, Einl<br />

UWG Rn. 184; im Übrigen BGH v. 15.11.1990, BGHZ 113, 11, 14 f. (Kauf im<br />

Ausland) = JZ 1991, 1038 m. Anm. Harald Koch = WuB IV E Art. 38<br />

EGBGB 1.91, 587 m. Anm. Thode = WRP 1991, 294 m. Anm. Paefgen 447=<br />

JuS 1991, 605 m. Anm. Hohloch = IPRax 1992, 45 m. Anm. Rolf Sack 24 =<br />

EWiR § 1 UWG 4/91, 297 m. Anm. Teske.<br />

67 Kötz, in:Kübler (Hrsg.), Anwaltsberuf im Wandel, Rechtspflegeorgan oder<br />

Dienstleistungsgewerbe, 1982, S. 79 f.; Kilian, WM 2000, 1366, 1372; Henssler/Streck-Kilian<br />

(Fn. 13), H Rn. 177; Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt<br />

2002, 52, 53 f.<br />

68 Zur Begriffskritik und -klärung einerseits v. Bar (Fn. 36), Rn. 242 ff.; andererseits<br />

Kegel/Schurig-Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Aufl. 2000, S. 130<br />

(§ 2 IV 1).<br />

69 Nerlich, in: Sozietätsrecht, 2000, § 31 Rn. 4; Kilian, WM 2000, 1366, 1372.


AnwBl 1/2003 7<br />

Aufsätze l<br />

Anwaltsrecht ist in Deutschland Öffentliches Recht;<br />

dasjenige Rechtsgebiet, das gemeinhin mit Kollisionsnormen<br />

arbeitet – das IPR – ist es nicht 70 . Die sich auftuende<br />

begriffliche Kluft ist aber ein Scheinproblem 71 . Bei seiner<br />

internationalen Tätigkeit gerät der Rechtsanwalt in Rechtsverhältnisse,<br />

v. a. zu Aufsichtsorganen, hinein, die sich<br />

nach nationalen Rechtssätzen richten 72 . Man kann es sich<br />

jedoch nicht so leicht machen anzunehmen, dass diese<br />

Rechtsverhältnisse, sobald sie in Deutschland als Öffentliches<br />

Recht gelten, stets bereits angeknüpft seien 73 . Die<br />

Frage, ob Öffentliches Recht – damit auch Berufsrecht –<br />

sich selbst anknüpft oder angeknüpft werden muss, ist wenig<br />

mehr als ein Sprachspiel: In beiden Fällen wird Berufsrecht<br />

angeknüpft. Als Eingriffsrecht benötigt daher jedenfalls<br />

auch das anwaltliche Berufsrecht Aufgreifkriterien für<br />

seine Anwendbarkeit 74 , die man – ähnlich wie im Internationalen<br />

Steuerrecht – auch „Grenznormen“ 75 nennen kann.<br />

Diese Aufgreifkriterien haben dafür zu sorgen, dass die jedenfalls<br />

„geltenden“ deutschen Rechtssätze – zugeschnitten<br />

auf den besonderen Auslandssachverhalt – entweder ausgedehnt<br />

76 oder zurückgenommen, jedenfalls aber sachgerecht<br />

angewendet werden 77 . Die vermeintliche Schwierigkeit,<br />

Berufseingriffsgesetze der Rechtsberatung als<br />

Anknüpfungsgegenstand von Kollisionsnormen zu behandeln,<br />

rührt somit nur daher, dass zum Zeitpunkt des Erlasses<br />

der Berufsordnungsgesetze von einer tatsächlich<br />

grenzüberschreitenden Rechtsberatungspraxis noch nicht<br />

die Rede sein konnte 78 . Die begriffliche Anbindung der<br />

Rechtsanwaltstätigkeit an das Öffentliche Recht bedeutet<br />

auf kollisionsrechtlicher Ebene nur noch einen Vorbehalt<br />

gegenüber mehrseitigen Anknüpfungsmodellen, jedoch keinen<br />

Vorbehalt gegenüber einer kollisionsrechtlichen Sichtweise<br />

überhaupt. Auch für die Rechtsberatung gibt es kein<br />

„öffentliches“ 79 oder gar „öffentlich-rechtliches Kollisionsrecht“<br />

80 , das darüber befinden könnte, welchen Staates<br />

öffentliches Recht anwendbar sei 81 . Natürlich wendet der<br />

Vorstand einer Rechtsanwaltskammer nur sein Amtsrecht –<br />

deutsches Recht – an; ebenso wie die Law Society einen<br />

Solicitor nur nach englischem Recht zur Verantwortung<br />

zieht 82 . Betont man daher die „Einseitigkeit“ des Internationalen<br />

Berufsverwaltungsrechts, so bedeutet dies nur, dass<br />

die zu bildenden Kollisionsnormen als Rechtsanwendungsrecht<br />

für die in Deutschland geltenden öffentlich-rechtlichen<br />

Berufsgesetze eben ausschließlich deren eigenen<br />

Anwendungsbereich abstecken 83 . Die internationale<br />

Rechtsberatung entbehrt solche Grenznormen noch; sie<br />

sind aber zu entwickeln 84 . Die zentrale an sie gerichtete<br />

Anforderung ist die der Berufsbezogenheit. Berufordnungsnormen<br />

für die Rechtsanwaltstätigkeit sind bei der Bestimmung<br />

ihrer internationalen Geltungsweite auf ihren<br />

absoluten Kernbereich zu reduzieren 85 , da die verfassungsrechtlichen<br />

Einstrahlungen der Berufsausübungsfreiheit 86<br />

auf jeder Normanwendungsebene, die den Anwalt als<br />

Rechtsunterworfenen behandelt, berücksichtigt werden müssen.<br />

IV. Einzelne Anknüpfungsmodelle<br />

Nachdem im Allgemeinen festgestellt werden konnte,<br />

dass auch das Anwaltsrecht eines Rechtsanwendungsrechts<br />

bedarf, da dieses bislang weder durch deutsches Recht noch<br />

durch Einheitsrecht bereitgestellt wird und auch nicht unter<br />

Hinweis auf die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Berufsrechts<br />

für überflüssig gehalten werden darf, sind die bisher<br />

für die grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit im Einzelnen<br />

vertretenen Anknüpfungsmodelle zu untersuchen. Ihnen<br />

fehlt bisher die Praktikabilität; berufsrechtlich gesprochen:<br />

die Berufsbezogenheit.<br />

1. Friedlaender: „Kollisionsrecht“ bei Doppelzulassungen<br />

a) Geschichtlicher Hintergrund<br />

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in<br />

ganz Europa zu Migrationsbewegungen großer Bevölkerungsteile.<br />

Unter den Vertriebenen befanden sich viele Anwälte87<br />

. Daran gehindert, in ihrem Heimatland den Anwaltsberuf<br />

weiterhin auszuüben, waren diese Anwälte<br />

gezwungen, in anderen Jurisdiktionen (darunter besonders<br />

häufig Großbritannien und die USA88 sowie Palästina/ Israel89<br />

) nach Existenz- und Praxismöglichkeiten zu suchen90 .<br />

Dies erforderte nicht selten äußerste persönliche Anstrengungen<br />

in Bezug auf die Sprache, das Rechtssystem und<br />

den rechtswissenschaftlichen Ausbildungsstand der Aufnahmeländer91<br />

. Unter Beachtung jeglichen Vorbehalts dagegen,<br />

der Emigration von Anwälten eine positive Sinnstiftung zu<br />

verleihen92 , brachte dieser Prozess einen in seiner internationalen<br />

Ausrichtung bisher nicht gekannten Personenkreis<br />

auslandserfahrener Rechtsanwälte hervor93 . Diese kann man<br />

durchaus als Ahnherren der modernen, global ausgerichte-<br />

70 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, S. 67; v. Bar (Fn. 36), Rn. 243;<br />

Heß, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 327 f.<br />

71 Eingehend Schurig (Fn. 70), 145 ff.<br />

72 Steuber, RIW 2002, 590.<br />

73 v. Bar (Fn.36), Rn. 252.<br />

74 Angedeutet bereits bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 2; dazu Max Friedlaender,<br />

JW 1923, 158; in heutiger Zeit Armbrüster, RIW 2000, 583, 585; Mankowski,<br />

AnwBl. 2001, 73; Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 219.<br />

75 Kluge, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2000, Rn. 5.<br />

76 Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 2.<br />

77 Für die nichtanwaltliche Rechtsbesorgung Mankowski, AnwBl. 2001, 73 ff.;<br />

ders., EWiR Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189, 190; ders., MDR 2001, 1310.<br />

78 In aller Deutlichkeit ausschließlich Mankowski, AnwBl. 2001, 73; ders.,<br />

EWiR Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189; siehe nun auch Budzikiewicz, IPRax<br />

2001, 218, 220 (Anm.12).<br />

79 BGH v. 16.4.1975, NJW 1975, 1220, 1222 (August Vierzehn). Kritik am Begriff<br />

„öffentliches Kollisionsrecht“ übt bereits Mann, FSEduard Wahl, 1973,<br />

S. 139, 153.<br />

80 So noch Staudinger-Blumenwitz, Art. 24–28 EGBGB a. F.; Art. 5, 6 EGBGB<br />

n. F., 12. Aufl. 1991, Art. 6 EGBGB n. F. Rn. 35, 39.<br />

81 So weiterhin Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68), S. 130 (§ 2 IV 1) trotz der eingehend<br />

begründeten Kritik bei v. Bar (Fn. 36), Rn. 242 ff.; siehe auch Münchener<br />

Kommentar zum BGB-Sonnenberger, X: Art. 1–38 EGBGB, IPR,<br />

3. Aufl. 1998, Einl IPR Rn. 395.<br />

82 Überblick bei Remmertz, ZVglRWiss 93 (1994) 202 ff.<br />

83 Allgemein v. Bar (Fn. 36), Rn. 250.<br />

84 Armbrüster, RIW 2000, 583, 585.<br />

85 Treffend Hartung/Holl-Römermann (Fn. 48), Berufsrechts- u. Werbe-ABC,<br />

Stichw. „Ausland, Werbung im“.<br />

86 Eingehend Zuck, FSKarlmann Geiß, 2000, S. 323 ff.; Depenheuer, FS 50 Jahre<br />

Bundesverfassungsgericht, II: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts,<br />

2001, S. 241 ff.<br />

87 Zu Gründen und Ausmaß der Verfolgung von Anwälten in der Zeit des Nationalsozialismus<br />

und der hiermit verbundenen Pervertierung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts besonders Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871–1971,<br />

1971, S. 263 ff. u. ebd. 267 f.; Hartstang, Der deutsche Rechtsanwalt, 1986,<br />

S. 32 ff.; Sandrock, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 683, 684; Everling<br />

Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 10; zu Einzelschicksalen vgl. Hubert<br />

Lang, 63. DJT Leipzig, Beil. NJW 35/2000, 60 ff.; Abeßer, 51. DAT Berlin,<br />

Beil. NJW 19/2000, 36 ff. In der Vorkriegszeit findet sich ein an Deutlichkeit<br />

kaum zu überbietendes Bild von dem Gedankengut im anwaltlichen Berufsrecht,<br />

das diese Erscheinungen vorbereiten konnte, bei Feuchtwanger, Die<br />

freien Berufe, 1922, passim.<br />

88 Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht, 1998, S. 77 ff.<br />

89 Vgl. z. B. Küster, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 677 ff.; Buschbom<br />

NJW 1989, 1208 f., jeweils zum Lebensweg Walter Schwarz’.<br />

90 Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil, 1991, 110 ff.;<br />

Ladwig-Winters (Fn. 88), S. 77-82.<br />

91 Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 6.<br />

92 Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 211 f.<br />

93 Zahlreiche Beispiele bei Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 115 ff.


8<br />

l<br />

ten Anwaltstätigkeit betrachten 94 . Wo nun das Band eines<br />

solchen Anwalts zu seiner Heimatjurisdiktion nicht sofort<br />

oder nicht vollständig zerriss oder aber nach Beendigung<br />

des Krieges neu geknüpft wurde 95 , konnte es vorkommen,<br />

dass ein Anwalt zeitgleich mehrere Zulassungen in verschiedenen<br />

Jurisdiktionen besaß.<br />

Vor dem zeitlichen Hintergrund dieser Situation – und<br />

vorwiegend aus ihr heraus verständlich – hat im deutschsprachigen<br />

Schrifttum wohl zuerst Max Friedlaender den<br />

Begriff „Internationales Anwaltsrecht“ verwandt. In einem<br />

gleichnamigen Aufsatz hat Friedlaender dargelegt, dass<br />

dieser Begriff für eine Mehrheit nationaler Kollisionsrechtssätze<br />

stehe 96 . Die Orientierung Friedlaenders an Begrifflichkeiten,<br />

wie sie bis heute im IPR gebräuchlich (eigentlich:<br />

diesem vorbehalten) sind, ist unverkennbar. Nach<br />

deutschem internationalen Anwaltsrecht sei der Beruf als<br />

solcher den rechtlichen Regelungen am Ort der Niederlassung<br />

zu unterstellen 97 . Bei Mehrfachzulassung desselben<br />

Anwalts stelle sich ein Kollisionsproblem. Zu lösen sei es<br />

dadurch, dass sich die verwaltungsrechtliche Stellung des<br />

Anwalts nach dem Recht des Staates bestimme, dem die<br />

dem Anwalt übertragene Rechtssache zugehöre oder aber<br />

näher stehe als dem Recht eines anderen Staates 98 .<br />

b) Ausrichtung am Mandat traditionellen Zuschnitts<br />

Soweit ersichtlich, ist der gelegentlich zitierte 99 , indessen<br />

selten näher betrachtete Aufsatz Friedlaenders in der Praxis<br />

folgenlos geblieben. Er hat auch keine allgemein bekannte<br />

Begriffsprägung „Internationales Anwaltsrecht“ nach sich<br />

gezogen, so dass der gleichnamige Aufsatz von Zuck im<br />

Jahre 1987 100 durchaus als Novität gelten durfte. Sachlich<br />

empfindet man heute eher Unbehagen bei dem Vorschlag,<br />

dass die mangels fester Kriterien verschwommene Natur<br />

des Mandates bei der Bestimmung der verwaltungsrechtlichen<br />

Stellung des Anwalts zur Hilfe kommen soll.<br />

Schwierigkeiten bereitet besonders, dass nach Friedlaender<br />

die „Heimat“ des Mandates offenkundig als objektives Anknüpfungskriterium<br />

fungieren soll 101 . Zwar ist es im anwaltlichen<br />

Vertragsrecht auch heute gebräuchlich, bereits bei<br />

Mandatsannahme eine Vorausschau zu treffen, in welchem<br />

Land das Mandat voraussichtlich schwerpunktmäßig bearbeitet<br />

werden wird 102 . Die Antwort auf diese Frage dient –<br />

schon wegen ihrer Unwägbarkeit – allerdings nicht als objektives<br />

Anknüpfungskriterium, sondern als Steuerungselement<br />

dafür, möglichst die richtige Rechtswahl für den Anwaltsvertrag<br />

zu treffen 103 und so die objektive Anknüpfung<br />

gerade überflüssig zu machen 104 . Die Anknüpfung verwaltungsrechtlicher<br />

Fragen ist aber kein Rechtswahlproblem.<br />

Welchen Landes Disziplinaraufsicht der Anwalt unterliegt,<br />

kann er nicht wählen 105 . Soweit Friedlaender schließlich mit<br />

„Rechtskreisen“ 106 operiert, die darüber entscheiden sollen,<br />

ob das Mandat (und folglich die verwaltungsrechtliche Stellung<br />

des Rechtsanwalts) vorwiegend dem einen oder anderen<br />

Land angehöre, so ist heute Allgemeingut, dass die<br />

Frage nach „Rechtskreisen“ fast immer eine Quadratur derselben<br />

bedeutet. Für den Rechtsanwender gibt es sie<br />

schlichtweg nicht 107 . Friedlaenders Vorstellung vom „Internationalen<br />

Anwaltsrecht“ ist demnach in Zeiten zu Hause,<br />

die das anwaltliche Mandat noch als streng kontradiktorisches<br />

Rechtsverhältnis 108 (z. B. mit dem Mandanten in dem<br />

einen, dem Gegner oder dem Anwalt in einem anderen<br />

Staat) kannten. Wenn ein Anwalt aber heute z. B. eine<br />

Transaktion begleitet, die im Erwerb der weltweit verstreuten<br />

assets eines Unternehmens besteht 109 , hat das Mandat<br />

kein derart ausgewogenes „Zuhause“ 110 . Zusammenfassend<br />

lässt sich feststellen, dass sich der Ansatz Friedlaenders<br />

ungeachtet der Tatsache, dass sich die Aufsicht über<br />

Rechtsanwälte in Deutschland nach Öffentlichem Recht<br />

richtet, jedenfalls aus heutiger Sicht in einem so nicht passenden,<br />

aus dem Internationalen Privatrecht entlehnten Begriffssystem<br />

verliert.<br />

2. Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates kraft<br />

Gemeinschafts-Kollisionsnorm?<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

a) Gemeinschaftsrechtliche Grundlinien<br />

Nach derzeit wohl herrschender Ansicht soll das anwaltliche<br />

Berufsrecht des Herkunftsstaates im Kollisionsfalle<br />

zurücktreten 111 . Innerhalb der Gemeinschaft bestimme<br />

Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 77/249/EWG112 , dass der Rechtsanwalt<br />

die Standesregeln des Aufnahmestaats neben den<br />

ihm im Herkunftsstaat obliegenden Verpflichtungen einhält<br />

113 . Dies sei zugleich als Rücktrittsbefehl an das Recht<br />

des Herkunftsstaates im „Kollisionsfall“ 114 zu verstehen,<br />

und zwar deshalb, weil zugleich aus Art. 4 Abs. 4 Richtlinie<br />

77/249/EWG ein Gebot der Gleichbehandlung des im<br />

Aufnahmestaat dienstleistenden ausländischen Anwalts mit<br />

dem inländischen Anwalt folge115 . Ausweislich ihrer Begründung<br />

ist diese Auffassung gemeinschaftsrechtlich motiviert.<br />

Mit diesem Akzent ist sie auch durchaus noch aktuell,<br />

94 Vgl. Sandrock, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 683, 686, Stiefel/<br />

Mecklenburg (Fn. 90) S. 131 f.; Böhlhoff, BRAK-Mitt 2002, 13, 14, jeweils<br />

zu Lebenslauf und -leistung Ernst C. Stiefels.<br />

95 Eingehend Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 119 f.<br />

96 Max Friedlaender, AnwBl. 1954, 1 ff.; zu ihm besonders Willandsen, NJW<br />

1989, 1128, 1129.<br />

97 Zuvor bereits Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 12; allerdings mit verwaltungsrechtlicher<br />

Akzentsetzung.<br />

98 Max Friedlaender, AnwBl. 1954, 1 ff.<br />

99 Z. B. bei Sieg (Fn. 37) S. 27; Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 223.<br />

100 Zuck, NJW 1987, 3033 ff.<br />

101 Hiergegen Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 59; ähnlich Henssler<br />

AnwBl. 1993, 541, 547.<br />

102 Mankowski, EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334.<br />

103 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1471 ff.<br />

104 Hans Stoll, IPRax 1983, 52, 55; Rolf A. Schütze, Deutsches Internationales<br />

Zivilprozessrecht, 1985, S. 79; Sieg (Fn. 37) S. 196, 199; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />

(Fn. 30), Rn. 1471; ders., AnwBl. 2001, 249, 253; ders.,<br />

EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334; ders., MDR 2001, 194, 198 (für<br />

den vergleichbaren Gutachterauftrag zur Ermittlung ausländischen Rechts).<br />

105 Ausdrücklich Sieg (Fn. 37) S. 189. Auch im U.S.-amerikanischen Berufsrecht<br />

sind subjektive Momente (z. B. die Vorstellung des Anwalts über das anwendbare<br />

Recht) grundsätzlich irrelevant, vgl. für das Recht von Florida Ibanez<br />

v. Florida Department of Business and Professional Regulation, Board<br />

of Accountancy, 512 U.S. 136 (1994); zu dieser Entscheidung Brugger, Einführung<br />

in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S. 166.<br />

106 Schon bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 9.<br />

107 v. Bar (Fn. 36), Rn. 123; vgl. auch Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung,<br />

3. Aufl. 1996, S. 72, die von einem „grobfingrigen Hilfsmittel“ sprechen; daneben<br />

gerade für öffentlich-rechtliche Rechtsmaterien zuletzt Grote, AöR<br />

126 (2001) 10, 14 ff.<br />

108 Deutlich bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 15, 17.<br />

109 Geyrhalter, RIW 2002, 386 ff. Weitere Praxisbeispiele für die transnationale<br />

Anwaltstätigkeit modernen Zuschnitts bei Bastuck, WM 2000, 1091 sowie<br />

bei Gruson, RIW 2002, 596.<br />

110 Henssler, AnwBl. 1993, 541, 547; Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150<br />

(2001); Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 59; Wurster, AnwBl.<br />

2002, 316, 319.<br />

111 Maßgeblich Everling, Gutachten 58. DJT (1990) S. C 29 f.; zust. Henssler/<br />

Prütting-Schroeder/Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2; bloße Wiedergabe<br />

dieser Auffassung bei Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl.<br />

1997, Einl. Rn. 59–61; Henssler/Prütting-Eylmann (Fn. 39), Vorb. § 43<br />

BRAO Rn. 8; Büchting/Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3 Rn. 45; Feuerich/Braun-Feuerich<br />

(Fn. 4), § 27 EuRAG Rn. 2; zuvor bereits ähnlich Mauro/<br />

Weil, AnwBl. 1981, 128, 130.<br />

112 Vgl. oben Fn. 25.<br />

113 Adamson, Free Movement of Lawyers, 2. Aufl. London Dublin Edinburgh<br />

1998, S. 48; Ronald A. Brand, 17 J.L.& Com. 301, 313 (1998).<br />

114 Nerlich, in: Sozietätsrecht (Fn. 69), § 31 Rn. 4.<br />

115 Everling, Gutachten 58.DJT, 1990, S. C 29 f. (Anm. 66).


AnwBl 1/2003 9<br />

Aufsätze l<br />

da die von dieser Auffassung in Bezug genommenen, bei<br />

ihrem Aufkommen 116 bereits in § 3 Abs. 1 und 2 RADG<br />

umgesetzten Richtlinienbestimmungen heute nahezu unveränderten<br />

117 Niederschlag in § 27 EuRAG gefunden haben 118 .<br />

Angesichts des ausschließlich gemeinschaftsrechtlichen<br />

Einschlags dieser Meinung lässt sich bereits fragen, ob ihre<br />

Sichtweise aus dem Blickwinkel z. B. amerikanischer Anwälte<br />

nicht als unverbindliches Anwalts-Kollisionsrecht erscheint,<br />

das exklusiv für Gemeinschaftsanwälte gilt. Selbst<br />

wenn man die Bedenken daran zurückstellt, inwieweit ein<br />

so umgrenztes Internationales Anwaltsrecht überhaupt<br />

noch „international“ sei, überzeugt diese Auffassung nicht.<br />

Sie zieht aus der richtigen Beobachtung, dass die Richtlinie<br />

77/249/EWG die Dienstleistungen ausländischer Rechtsanwälte<br />

in den Mitgliedstaaten erleichtern sollte und hierbei<br />

auf nationale Berufsrechte stieß 119 , falsche Schlüsse.<br />

Diese Auffassung generiert Kollisionsnormen, für die es<br />

keine Rechtsgrundlage gibt und die der Anwalt vor allem<br />

auch nicht braucht. Eine sachgerechte Anwendung des jeweils<br />

„eigenen“ Verwaltungsrechts mit hierzu entwickelten<br />

Grenznormen des Internationalen Berufsverwaltungsrechts<br />

– die man durchaus auch als Internationales Öffentliches<br />

Recht betrachten kann, aber eben als einseitiges 120 – hilft<br />

ihm viel eher.<br />

b) Bestehen eines Gleichbehandlungsgebots<br />

Brüchig ist die Auffassung schon darin, dass sie nicht<br />

sagt, welche Norm denn den vermeintlich Rücktrittsbefehl<br />

an das Recht des Herkunftsstaates aussprechen soll. Eine<br />

solche Norm gibt es nicht 121 . Die diskutierte Meinung stützt<br />

sich hier ausschließlich auf ein allgemeines, aus Art. 4<br />

Abs. 2 und 4 Richtlinie 77/249/EWG herausgelesenes, zu<br />

Gunsten des ausländischen Anwalts anzuwendendes Gleichbehandlungsgebot<br />

122 . Fraglich ist schon, ob das Gemeinschaftsrecht<br />

überhaupt ein Gebot ausspricht, den ausländischen<br />

Anwalt unter allen Umständen ebenso wie den<br />

inländischen Anwalt zu behandeln. Hiergegen sprechen zunächst<br />

formelle Bedenken. Da die Berufsvereinigungen der<br />

Anwaltschaft in Europa über eine autonome Satzungskompetenz<br />

verfügen, kann und soll der europäische Gesetzgeber<br />

selbst keine dezidierten Vorgaben hinsichtlich der inhaltlichen<br />

Regelung des Berufsrechts treffen 123 . Berufsrechtliches<br />

Sekundärrecht der Gemeinschaft findet sich daher<br />

ausschließlich auf Grund deren Richtlinienkompetenz 124 ,<br />

während die Gesetzgebungsbefugnisse der Mitgliedstaaten<br />

im Übrigen unberührt bleiben 125 . Weiterhin ist auch die<br />

Sichtweise des EuGH, was den Gehalt von Art. 59 EGV angeht,<br />

eine andere: Gefordert wird grundsätzlich nicht die<br />

Gleichbehandlung einer Gruppe von Dienstleistenden (z. B.<br />

ausländische Anwälte) mit einer anderen (inländische Anwälte).<br />

Die Gewährung von Inländerbehandlung einerseits<br />

und die programmatischen Inhalte der Dienstleistung- und<br />

Niederlassungsfreiheit für Anwälte andererseits sind nicht<br />

identisch 126 . Anderenfalls bräuchte kein Mitgliedstaat seine<br />

Rechtsvorschriften, die die Dienstleistungserbringung regeln,<br />

inhaltlich auf den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit<br />

abzustimmen; vielmehr reichte es aus, den persönlichen<br />

Anwendungsbereich dieser Normen auszudehnen oder zu<br />

verengen. Stattdessen hebt der EuGH in ständiger Rechtsprechung<br />

hervor, dass nicht etwa eine so verstandene<br />

„Gleichbehandlung“ verlangt sei, sondern vielmehr der Abbau<br />

von die Dienstleistungstätigkeit erschwerenden Beschränkungen,<br />

und zwar ausdrücklich auch solcher, die für<br />

In- und Ausländer gleichermaßen gelten 127 . Entscheidend ist<br />

daher weniger eine komparativ geprägte als vielmehr eine<br />

qualitativ-wertende Sichtweise 128 . Daraus ist zutreffend gefolgert<br />

worden, dass auch der deutsche Gesetzgeber zur<br />

Gleichbehandlung in- und ausländischer Anwälte immer<br />

nur aufgerufen, nicht aber auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtet<br />

sein kann 129 .<br />

c) Reichweite eines Gleichbehandlungsgebots<br />

Selbst wenn man ein an die Zugehörigkeit zu der Personengruppe<br />

der „ausländischen Anwälte“ anknüpfendes<br />

Gleichbehandlungsgebot anerkennt 130 , kann es jedoch nicht<br />

den Inhalt haben, dass dem Recht am Ort der Tätigkeit des<br />

Anwalts der „Vorrang“ einzuräumen sei 131 . Wenn die Richtlinie<br />

77/249/EWG den Mitgliedstaaten überhaupt einen<br />

Gleichbehandlungsauftrag erteilt, kann jeder Mitgliedstaat<br />

diesen nur für das eigene Recht verwirklichen. Die Mitgliedstaaten<br />

können z. B. Normen des eigenen Rechts<br />

verändern oder abschaffen 132 , die sich für die Tätigkeit ausländischer<br />

Anwälte zuvor als fremdenrechtliche Beschränkungen<br />

auswirkten 133 . Bleiben solche Beschränkungen dennoch<br />

erhalten, kann das nationale Anwaltsrechts<br />

gemeinschaftsrechtswidrig sein. Dies ist kürzlich z. B. für<br />

die Vorschrift des bis zum 1.7.2002 fortgeltenden § 27<br />

Abs. 1 S. 3 EuRAG vertreten worden, die es dem europäischen<br />

Rechtsanwalt ansonsten verwehrt hätte, von der Abschaffung<br />

der Singularzulassung bei den Oberlandesgerich-<br />

116 Vgl. die Nachw. oben Fn. 111.<br />

117 Der wesentliche Unterschied von § 27 EuRAG gegenüber seiner Vorgängernorm<br />

in § 3 RADG besteht im Entfallen des Merkmals „Wohnsitz“ als Bezugspunkt<br />

für die Stellung des Rechtsanwalts, da inzwischen die vormals in<br />

§ 27 Abs. 1 BRAO geregelte Pflicht zur Wohnsitznahme im OLG-Bezirk der<br />

Zulassung entfallen ist (BGBl. 1994 I 2278); vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />

– Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen<br />

Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte,<br />

BR-Drs. 567/99, 80 [Zu § 27].<br />

118 Christian Berger, NJW 2001, 1530, 1531.<br />

119 Der EuGH nimmt die Normenhäufung offenkundig und ohne Diskussion hin,<br />

wenn er feststellt, der dienstleistende Rechtsanwalt habe „die Standesregeln<br />

so einzuhalten, wie sie im Aufnahmemitgliedstaat gelten“; vgl. EuGH v.<br />

19.1.1988 – Rs. C-292/86, Slg. 1988, I-111, I-137 Rn. 18 – Gullung/Conseil de<br />

l’ordre des avocats du barreau de Colmar et de Saverne.<br />

120 Oben III.<br />

121 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 3.<br />

122 Everling, Gutachten 58. DJT (1990) S. C 29 (Anm. 66); siehe auch Büchting/<br />

Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3 Rn. 45.<br />

123 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 318; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325; bereits<br />

Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 15.<br />

124 Kristian Fischer (Fn. 52) S. 40 f.<br />

125 EuGH v. 19.1.1988 – Rs. C-292/86, Slg. 1988, I-111, I-139 Rn. 28 – Gullung/<br />

Conseil de l’ordre des avocats du barreau de Colmar et de Saverne; Everling,<br />

Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 52; Hempel, Die rechtsberatenden Berufe im<br />

Europarecht, Wien 1996, S. 100.<br />

126 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 19 f.<br />

127 EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C-76/90, Slg. 1991, I-4221, I-4243 Rn. 12 – Säger;<br />

EuGH v. 9.8.1994 – Rs. C-43/93, Slg. 1994, I-3803, I-3823 Rn. 14 – Vander<br />

Elst; EuGH v. 28.3.1996 – Rs. C-272/94, Slg. 1996, I-1905, I-1920 Rn. 10 –<br />

Guiot; EuGH v. 12.12.1996 – Rs. C-3/95, Slg. 1996, I-6511, I-6537 Rn. 25 –<br />

Reisebüro Broede; EuGH v. 5.6.1997 – Rs. C-398/95, Slg. 1997, I-3091, I-<br />

3119 Rn. 16 – SETTG; EuGH v. 9.7.1997 – Rs. C-222/95, Slg. 1997, I-3899, I-<br />

3921 Rn. 18 – Parodi; EuGH v. 23.11.1999 – verb. Rs. C-369/96 u. C-376/96,<br />

Slg. 1999, I-8498, I-8513 Rn. 33 – Arblade u. a. = ZIP 1999, 2168 m. Anm.<br />

Däubler = EWiR Art. 59 EGV 1/2000, 79 m. Anm. Schaub = Rev.crit.dr.int.pr.<br />

89 (2000) 710 m. Anm. Fallon 728 = ZEuP 2001, 358 m. Anm.<br />

Krebber; dazu noch Kienle/Alexander Koch, DB 2001, 922, 925; für das<br />

Berufsrecht nur Pützer, FSWilli Weichler, 1997, S. 191, 194.<br />

128 Für den freien Kapitalverkehr nunmehr deutlich EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-<br />

367/98, EuZW 2002, 437, 440 – Kommission der EG/Portugiesische Republik.<br />

129 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 58 Rn. 9.<br />

130 Aus der Rspr. offenbar LG Hamburg v. 18.3.1999, NJW-RR 2000, 510.<br />

131 So aber Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29.<br />

132 Zum gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit<br />

vgl. Albrecht Weber, NVwZ 1990, 1, 2; Wägenbaur, EuZW<br />

1991, 427, 429.<br />

133 östOGH v. 4.5.2000, ÖJZ 2000, 814 (EWR-RAG stellt vom Erfordernis der<br />

Eintragung in die Verteidigerliste frei; vgl. nun § 4 Abs. 1 östEuRAG,<br />

östBGBl. 2000 I Nr. 27, S. 133 f.). Überblicksweise zum Abbau von „Ausländerbeschränkungen“<br />

vgl. Kristian Fischer (Fn. 52) S. 62 ff.


10<br />

l<br />

ten zu profitieren 134 . Die Mitgliedstaaten können den<br />

dienstleistenden europäischen Anwalt aber auch durch die<br />

Gewährung einzelner Rechtsvorteile unterstützen, die im<br />

Interesse seines Mandanten ein der Vertretung durch einen<br />

einheimischen Anwalt entsprechendes Qualitätsniveau herstellen<br />

135 .<br />

Betrachtungen eines Mitgliedstaates mit dem Prüfungsziel,<br />

ob einheimische und dienstleistende europäische<br />

Rechtsanwälte in seinem eigenen Recht auch hinreichend<br />

„gleichstehen“, können aber niemals das Recht eines anderen<br />

Mitgliedstaates mit einbeziehen. Aus der Sicht des<br />

deutschen Gesetzgebers und der deutscher Rechtsanwender<br />

stehen ein deutscher und ein in Deutschland tätiger englischer<br />

Anwalt „gleich“, sobald sich beide mindestens an<br />

BRAO und BORA halten. Auch die Law Society bzw. das<br />

Solicitors Complaint Bureau entscheiden selbst, ob sie einen<br />

Solicitor für seine Tätigkeit in Deutschland disziplinieren136<br />

oder von ihren gesetzlich eingeräumten Aufsichtsbefugnissen<br />

über „registered foreign lawyers“ 137 Gebrauch<br />

machen 138 . Wollte der deutsche Gesetzgeber oder die<br />

Rechtsanwaltskammer hierüber befinden und im Interesse<br />

einer „Gleichbehandlung“ von sich aus das bereits angeknüpfte<br />

Rechtsverhältnis des Solicitors zu den genannten<br />

Aufsichtsorganen stören, wäre dies ein Eingriff in fremde<br />

Territorialhoheit139 . Der Grund hierfür ist, dass es im deutschen<br />

Recht keine Norm gibt, die sagt, wann ein englischer<br />

Anwalt gegen englisches Berufsrecht verstößt und in welchem<br />

Staat der Erde ein solcher Verstoß vorfallen muss, damit<br />

er zu Disziplinarmaßnahmen des englischen Aufsichtsorgans<br />

führt. Dass nur der legiferierende Staat den<br />

internationalen Anwendungsbereich seiner Gesetze festlegt,<br />

ist selbstverständlich 140 .<br />

d) Praktische Anwendung im Berufsrechtsfall<br />

aa) Kollision berufsrechtlicher Standards<br />

Dass es die von der hier diskutierten Auffassung postulierte<br />

„Kollisionsnorm“ eines Vorrangs des Rechts des Tätigkeitsstaates<br />

nicht nur nicht geben kann, sondern dass der<br />

Anwalt sie auch nicht braucht, lässt sich – wie stets – besondes<br />

gut an einem von dieser Auffassung angeführten,<br />

praktischen Beispiel zeigen. Die bereits diskutierte Kollisionsnorm<br />

bewirke im konkreten Fall, dass ein in Deutschland<br />

zugelassener Rechtsanwalt bei seiner Dienstleistungstätigkeit<br />

in England in derselben Weise mit seiner<br />

Fachkenntnis werben können wie ein englischer Solicitor,<br />

ohne dass ihn die deutsche Standesaufsicht belangen<br />

könne141 . „Anderes“ gelte nur, wenn die Werbung auch im<br />

Herkunftsstaat Auswirkungen habe 142 . Eingeschlagen werden<br />

soll nach dieser Ansicht offenbar folgender, am praktischen<br />

Beispiel zu verfolgender Prüfungsweg: Die Rechtsanwaltskammer<br />

erhält die Meldung eines Wettbewerbers,<br />

dass ein in England tätiges Mitglied dort auch werbe. Die<br />

Werbung bestehe darin, dass Mandanten und Nicht-Mandanten<br />

telefonisch und durch Drucksachen angesprochen<br />

und auf Erwerbsmöglichkeiten zum Verkauf stehender Unternehmen<br />

hingewiesen würden143 , wobei sich der Rechtsanwalt<br />

selbst besondere Fachkenntnisse im Bereich Mergers<br />

& Acquisitions (M & A) zuschreibe. 144<br />

bb) Lösung nach dem „Vorrang“ tätigkeitsstaatlichen<br />

Rechts<br />

Löst man den praktischen Berufsrechtsfall nach der wohl<br />

herrschenden Ansicht, die vom Rücktritt des herkunftsstaat-<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

lichen bzw. „Vorrang“ des tätigkeitsstaatlichen Rechts ausgeht<br />

145 , ergibt sich Folgendes: Bevor die Rechtsanwaltskammer<br />

§ 43 b BRAO prüft, fragt sie sich danach zunächst,<br />

welche Rechtsordnung das Verhalten regele. Nach der<br />

„Kollisionsnorm“ wäre das Recht des Tätigkeitsstaates,<br />

also englisches Recht anwendbar. Damit schließt die<br />

Rechtsanwaltskammer ihre Akten. Ihr Vertreter kann dem<br />

Wettbewerber des Anwalts schreiben, dass die Rechtsanwaltskammer<br />

nicht tätig werden könne, da der Rechtsanwalt<br />

nicht der deutschen Rechtsordnung unterstehe. Zuvor<br />

fragt er sich allerdings noch abschließend, ob die<br />

Werbung denn „Auswirkungen“ in Deutschland gehabt hat.<br />

Ist eine Kanzleibroschüre auch nach Deutschland gelangt?<br />

War ein englischer Adressat der Werbung mit deutschen<br />

Unternehmen verflochten, und hat er die vom Anwalt erfahrenen<br />

Erwerbsmöglichkeiten nach Deutschland mitgeteilt?<br />

Hat der Anwalt auf den erfolgreichen Abschluss einer<br />

der Geschäftsgelegenheiten, die ihm die Werbung<br />

eingetragen hat, auch in Deutschland aufmerksam gemacht,<br />

z. B. durch eine auch hier erhältliche Mandatreferenzliste?<br />

Die Rechtsanwaltskammer kann diese Fragen kaum verlässlich<br />

beantworten, da dies Aufklärungsmöglichkeiten voraussetzte,<br />

welche sie nicht hat und – in Ermangelung des<br />

„gläsernen“ Anwalts – auch nicht haben soll. Das Beispiel<br />

zeigt: Die vermeintliche „Kollisionsnorm“ funktioniert<br />

nicht, besonders nicht in ihrem Anspruch, eine an das IPR<br />

angelehnte kollisionsrechtliche Entscheidung zwischen der<br />

Anwendbarkeit verschiedener Rechtsordnungen herbeiführen<br />

zu wollen.<br />

cc) Lösung nach berufsbezogenen Internationalem<br />

Berufsverwaltungsrecht<br />

Anders fällt die Lösung aus, wenn man das Beispiel<br />

nach Internationalem Berufsverwaltungsrecht löst. Dieses<br />

leitet seine Grund-Kollisionsnorm – die Anwendbarkeit<br />

deutschen Rechts auf Personen, die als „Rechtsanwalt“ z. B.<br />

gegen § 43 b BRAO verstoßen können – aus der einfachen<br />

Frage nach der inländischen Zulassung ab146 . Bejahendenfalls<br />

prüft die Rechtsanwaltskammer auf die Meldung des<br />

Wettbewerbers wie selbstverständlich die BRAO, ohne sich<br />

um „Auswirkungen“ in Deutschland bekümmern zu müssen.<br />

134 Bereits oben II 1.; zu allem eingehend Henssler, JZ 2001, 337, 340.<br />

135 KG v. 21.9.2001, NStZ 2002, 52.<br />

136 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 53; zur englischen Berufsaufsicht<br />

besonders Mälzer, AnwBl. 1993, 481, 484; Remmertz, ZVglRWiss 93<br />

(1994) 202, 203 ff; Seneviratne, The Legal Profession: Regulation and the<br />

Consumer, London 1999, S. 124 f.<br />

137 Beispielsweise sind alle deutschen Gesellschafter von Lovells Boesebeck<br />

Droste zugleich „registered foreign lawyers“.<br />

138 Solicitors Act 1975, s 35, Sch 1, Pt I, para 1 (1) (c) ; Administration of Justice<br />

Act 1985, Sch 2, para 32; Courts and Legal Services Act 1990, Sch 14, Pt II,<br />

para 5 (Befugnisse der Law Society); Solicitors Act 1974, s 46; Administration<br />

of Justice Act 1985, Sch 2, para 16; Courts and Legal Services Act 1996,<br />

Sch 14, Pt II, para 15 (Befugnisse des Solicitors Disciplinary Tribunal); im<br />

Überblick vgl. Halsbury’s Statutes of England and Wales, Vol. 41, 4. Aufl.<br />

London 2000, S. 11.<br />

139 Aus der Sicht der Berufsaufsicht des Herkunftsstaates ebenso Henssler, ZEuP<br />

1999, 689, 709.<br />

140 Eichenhofer, FSGünther Jahr, 1993, S. 435, 451; Mankowski, AnwBl. 2001,<br />

73 (Anm. 9).<br />

141 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30. Die Beispiele Everlings werden<br />

unverändert übernommen von Kleine-Cosack (Fn. 111), Einl. Rn. 61.<br />

142 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30.<br />

143 In England zulässig, vgl. Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 89; Mälzer,<br />

AnwBl. 1993, 481, 484; Henssler, AnwBl. 1993, 541, 548; Halsbury’s Laws<br />

of England, Vol. 44 (1) Solicitors, 4. Aufl. London 1995, para 492.<br />

144 Seitenverschieden formuliert findet sich das Beispiel auch bei Henssler<br />

AnwBl. 1993, 541, 548.<br />

145 Oben Fn. 111.<br />

146 Steuber, RIW 2002, 590.


AnwBl 1/2003 11<br />

Aufsätze l<br />

Die Geltung der BRAO steht dann allerdings unter dem<br />

Vorbehalt, dass der verwirklichte Lebenssachverhalt durch<br />

Grenznormen auch ihrem internationalen Anwendungsbereich<br />

zugewiesen sein muss. Oft existieren ausdrückliche<br />

Grenznormen noch nicht, da der (historische) Gesetzgeber<br />

bei der Setzung von Verwaltungsrecht, das die Rechtsberatung<br />

betrifft, ein den heutigen Verhältnissen entsprechendes<br />

Aufkommen auslandbezogener Sachverhalte nicht vorausgesehen<br />

hat 147 . Die Grenznorm wird daher häufig erst anhand<br />

der tatsächlichen Bedürfnisse der internationalen<br />

Rechtsberatung selbst zu bilden sein. Gerade im soeben<br />

erörterten Beispiel fällt es besonders leicht, den Inhalt einer<br />

solchen Norm zu ermitteln. Wie oben ausgeführt, stellt die<br />

Bestimmung in Nr. 2.6.2. der CCBE-Standesregeln klar,<br />

dass Werbung mit internationalen Bezügen als an einem<br />

Ort vorgenommen gilt, wo sie zulässig ist. Zweifel hieran<br />

kann der Rechtsanwalt selbst ausräumen, sobald er die Zielrichtung<br />

der Werbemaßnahme auf Mandanten an diesem<br />

Ort nachweist 148 . Da die Rechtsanwaltskammer bei ihrer<br />

von Amts wegen 149 wahrzunehmenden Berufsaufsicht verwaltungsrechtliche<br />

Maßstäbe zu beachten hat 150 , muss sie<br />

dem Rechtsanwalt ohnehin rechtliches Gehör gewähren<br />

und ihn vor Erlass einer Maßnahme von der erhobenen Beanstandung<br />

unterrichten. Bei dieser Gelegenheit dürfte es<br />

dem Rechtsanwalt nicht schwer fallen darzulegen, dass die<br />

Werbung für Mandanten im Auslande bestimmt war, wenn<br />

sich solches nicht schon aus dem Erscheinungsbild der Werbung<br />

(z. B. Abfassung in fremder Sprache 151 , erkennbarer<br />

redaktioneller Zuschnitt auf einen besonderen Markt) ergibt.<br />

Wenn sich die Rechtsanwendung nach derartigen Kriterien<br />

richtet, ist aber zu keinem Zeitpunkt fraglich gewesen,<br />

welche Rechtsordnung im Ganzen über die<br />

Wahrnahme der Berufsaufsicht entscheidet: das deutsche<br />

Berufsrecht als Amtsrecht der Rechtsanwaltskammer.<br />

Dies ist in der Folge allerdings sachgerecht angewandt<br />

worden. Letztlich entspricht der vorschlagene Prüfungsgang<br />

der wiederum seit Karl Neumeyer bekannten Beobachtung,<br />

dass das Berufsrecht am Tätigkeitsort gilt 152 ,allerdings<br />

nicht kraft einer diffusen<br />

Gemeinschafts-Kollisionsnorm, die angeblich Gleichbehandlung<br />

fordert, sondern nur unter der Voraussetzung,<br />

dass das Internationale Verwaltungsrecht nach seinen eigenen<br />

sachgerechten Kriterien auch auf diesen weist.<br />

3. Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates kraft<br />

„Sachnähe“?<br />

a) „Sachnähe“ überlagert rechtstechnische Kriterien<br />

Nahe bei der soeben abgelehnten Auffassung steht eine<br />

weitere Meinung, die grundsätzlich zum Recht des Tätigkeitsstaates<br />

kraft „Sachnähe“ gelangen will 153 . Diese Ansicht<br />

macht ihre Einordnung entweder in den Prüfungsgang<br />

eines eher an das IPR angelehnten Anwalts-Kollisionsrechts<br />

oder in den hier bevorzugten Weg eines Internationalen<br />

Berufsverwaltungsrechts mit Grenzkriterien besonders<br />

schwer. Sie meint, das Recht des Tätigkeitsstaates solle<br />

„zur Anwendung kommen“ 154 , ohne begrifflich festzulegen,<br />

auf welchem rechtstechnischem Wege dies denn geschehen<br />

soll. Schon deshalb ist die Ansicht abzulehnen. Ersichtlich<br />

um Modernität und „Praxisbezug“ bemüht, hat sie die ausdrücklich<br />

gemeinschaftsrechtliche Einkleidung der soeben<br />

diskutierten älteren Stellungnahmen 155 abgelegt. Nach dieser<br />

Ansicht geht es nicht mehr um Gleichbehandlung, sondern<br />

darum, was „sachgerecht“ sei, besonders bei der Behandlung<br />

von Interessenkonflikten156 .<br />

b) Mehrere Dimensionen von „Sachnähe“<br />

Die Einführung eines unbestimmten Rechtsbegriffs der<br />

„Sachnähe“ ist der Praxis aber nicht förderlich, sondern<br />

schädlich. Dass er keine brauchbaren Abgrenzungen generiert,<br />

zeigen schon die offenkundigen Formulierungsschwierigkeiten<br />

dieser Ansicht, wenn sie den von ihr befürworteten<br />

Rechtssatz aufstellt. Die Anwendung des Rechts des<br />

Tätigkeitsstaates scheine sachgerecht „auf Grund der größeren<br />

Sachnähe und der unmittelbaren Betroffenheit des<br />

Staats, in dem der Anwalt grenzüberschreitend tätig ist“ 157 .<br />

Man kann festhalten: Einen Staat, in dem der Anwalt<br />

„grenzüberschreitend“ tätig ist und der eine besondere<br />

Sachnähe zu der ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit aufwiese,<br />

gibt es nicht. Sonst wäre die Tätigkeit des Anwalts<br />

nicht „grenzüberschreitend“. Wer wollte behaupten, die Arbeit<br />

des englischen Anwalts, der auf Grund seines Expertenwissens<br />

in das deutsche Büro seiner internationalen Beratungsgesellschaft<br />

geholt wird158 – z. B. um ein IPO in<br />

Frankfurt zu betreuen – weise nun gar keine „Sachnähe“ zu<br />

seiner Heimatrechtsordnung mehr auf? Auch im Mandat arbeitet<br />

der englische Anwalt eben „wie ein Solicitor“, nicht<br />

wie ein deutscher Rechtsanwalt. Sonst brauchte man ihn in<br />

Frankfurt nicht159 . Man holt den englischen Anwalt, damit<br />

der Frankfurter Mandant die Vorteile des „one-stop-shopping“<br />

genießen kann, nämlich ebenso sachgerecht und professionell<br />

vertreten wird, als wenn er von sich aus – unter<br />

Inkaufnahme eines grenzüberschreitenden Mandatsverhältnisses<br />

– einen Solicitor beauftragt hätte. Sachnähe besteht<br />

demnach gerade zu allen beteiligten Rechtsordnungen.<br />

c) Mehrdimensionalität in der „multistate practice“<br />

Besonders deutlich zeigt dies ein Blick auf das Anwaltsrecht<br />

der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten zur „multistate<br />

practice“ 160 : Die Mehrdimensionalität und Sachnähe<br />

zu allen Rechtsordnungen, die der Anwalt bei Wahrnahme<br />

eines grenzüberschreitenden Mandats berührt, ist dort längst<br />

erkannt. Die Tätigkeit der dortigen Gerichte kreiste bisher<br />

darum, einer der berührten Dimensionen von „Sachnähe“<br />

den Vorrang vor den anderen zuzuweisen. Diskutiert wurden<br />

auch dort zunächst der Ort der anwaltlichen Leistungs-<br />

147 Mankowski, AnwBl. 2001, 73; ders., Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189, 190; siehe<br />

auch Armbrüster, RIW 2000, 583, 585.<br />

148 Näher oben II 2.<br />

149 Adolf Friedlaender/Max Friedlaender-Adolf Friedlaender, Kommentar zur<br />

Rechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878, 3. Aufl. 1930, § 49 Rn. 5; Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />

1976, § 74 Anm. 6; Messer, FS Gerd Pfeiffer,<br />

1988, S. 973, 978; Kleine-Cosack (Fn. 111), § 74 BRAO Rn. 4; Tettinger,<br />

Kammerrecht, 1997, S. 138; Feuerich/Braun-Feuerich (Fn. 4) § 74 BRAO<br />

Rn. 20; Prütting, AnwBl. 1999, 361, 365.<br />

150 Kleine-Cosack (Fn. 111), Einl Rn. 22; Prütting AnwBl. 1999, 361; siehe<br />

auch BGH v. 18.6.2001, NJW-RR 2001, 1642; AnwG Hamm v. 25.8.1999,<br />

MDR 2000, 55 m. Anm. Hartung; für das Zulassungsverfahren der Landesjustizverwaltung<br />

ferner § 36 a BRAO.<br />

151 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 319 (Anm. 33).<br />

152 Bereits Neumeyer, ZStW 23 (1903) 436, 444 [für Ärzte, Geistliche].<br />

153 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders. WM 2000, 1366, 1372.<br />

154 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders. WM 2000, 1366, 1372.<br />

155 Besonders Mauro/Weil, AnwBl. 1981, 128, 130; Everling, Gutachten 58.<br />

DJT, 1990, S. C 29, 30.<br />

156 Kilian, WM 2000, 1366, 1372.<br />

157 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366, 1372.<br />

158 So das Beispiel von Kilian, WM 2000, 1366, 1372.<br />

159 In diese Richtung Mankowski, AnwBl. 2001, 249, 253 für einen europäischen<br />

Anwalt, der in den USA bei Transaktionen nach europäischem Recht<br />

beraten soll.<br />

160 Ausführlich unten V.


12<br />

l<br />

erbringung 161 sowie der Sitz des Mandanten 162 . Neuerdings<br />

entwickelt sich die Bildung von Grenznormen, die das Anwaltsberufsrecht<br />

eines Bundesstaates von dem eines anderen<br />

abgrenzen, jedoch weiter 163 : Der Auswahlprozess zwischen<br />

verschiedenen lokalen Anknüpfungsmomenten<br />

weicht einer qualitativ betonten Sichtweise 164 , die den Akzent<br />

allein auf die sachgerechte und professionelle Vertretung<br />

des Mandanten legt 165 . Dieser begrüßenswerte Ansatz<br />

hat den entscheidenden Vorteil, Anreizkonsequenzen für<br />

Anwälte nach sich zu ziehen, die eine professionelle internationale<br />

Vertretung kraft ihrer Größe tatsächlich gewährleisten<br />

können, dagegen diejenigen Berufsvertreter zu Recht<br />

vom internationalen Geschäft fern zu halten, die dies nicht<br />

vermögen. Er bedeutet aber nichts anderes, als dass man es<br />

aufgibt, eine lokale, kollisionsrechtlich betonte „Anknüpfung“<br />

vorzunehmen. Die „Heimat“ des internationalen<br />

Mandats wird ausschließlich in seiner für Anwalt und Mandant<br />

zufrieden stellenden Durchführung gesucht. Natürlich<br />

darf sich eine solche Sichtweise nicht von der alltäglichen<br />

Pflicht des Rechtsanwenders trennen, unter Kriterien zur<br />

Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs von<br />

Berufsordnungsgesetzen zu subsumieren. Dem Rechtsanwender<br />

sind daher Rechtssätze – wie oben gezeigt, z. B.<br />

Nr. 2.6.2 CCBE Code of Conduct – als verwaltungsrechtliche<br />

Grenznormen zur Seite zu stellen. Man mag noch so<br />

vehement hervorheben, dass die CCBE-Standesregeln generell<br />

166 oder jedenfalls internrechtlich 167 unverbindlich seien;<br />

oder in diesem Kodex gar den bedeutungslosen Ausdruck<br />

eines konservativen Grundkonsenses europäischer Anwaltschaften<br />

vermuten 168 . Rechtsgründe sprechen dennoch nicht<br />

dagegen, aus seinem Kernbestand sonst schmerzlich vermisste<br />

Grenznormen herauszufiltern. Die pauschal auf die<br />

„Sachnähe“ des Tätigkeitsstaats verweisende Auffassung 169<br />

hingegen gestattet dem Aufsichtsorgan, ganz ohne rechtsstaatlich<br />

verlässliche Rechtssätze zu seinem Rechtsanwendungsergebnis<br />

zu gelangen. Dies sollte der deutsche<br />

Rechtsanwalt angesichts seiner Grundrechtsposition aus<br />

Art. 12 GG und seinem Recht darauf, dass nur gesetzmäßige<br />

Aufsicht über ihn ausgeübt wird, nicht hinnehmen.<br />

d) Keine „Betroffenheit“ des Tätigkeitsstaats<br />

Noch weiteres spricht gegen die diskutierte Ansicht<br />

vom Vorrang des „sachnäheren“ Rechts. Wie soeben wiedergegeben,<br />

hält sie neben der „Sachnähe“ auch noch die<br />

„unmittelbare Betroffenheit“ des Tätigkeitsstaates für ausschlaggebend<br />

170 . Auch diese Formulierung ist gefährlich. In<br />

sich trägt sie bereits die höchst fragliche Abgrenzung zur<br />

„mittelbaren“ Betroffenheit, damit zu Fällen, die sich eben<br />

nicht auf den ersten Blick dem Territorium eines bestimmten<br />

oder überhaupt irgendeines Tätigkeitsstaates zuschreiben<br />

lassen. Man denke sich den Frankfurter Anwalt, der<br />

sich als einer aus einer Hand voll internationaler Experten<br />

auf das Claims Management und die Engineeringverträge<br />

für Ölbohrgesellschaften spezialisiert hat. Er übernimmt die<br />

baubegleitende Rechtsberatung u. a. für Bohrinseln auf hoher<br />

See, die er gelegentlich auch aufsucht. Die im Baumandat<br />

notwendige Korrespondenz führt er in Englisch; von<br />

ihm gefertigte und gelegentlich vor norwegischen Gerichten<br />

eingereichte, auf NKR lautende Klageschriften werden<br />

in Deutsch geschrieben und bei Fertigstellung ins Norwegische<br />

übersetzt. Sind seine Bezüge zum Tätigkeitsstaat stark<br />

genug, um zur „unmittelbaren Betroffenheit“ eines Staates<br />

zu führen; gibt es überhaupt einen Tätigkeitsstaat? 171 Hier<br />

begegnet das Problem der Dislozierung anwaltlicher Tätigkeit<br />

ganz greifbar auf Grund geographischer „weißer Fle-<br />

cken“. Die Meinung, wonach der modernen Anwaltstätigkeit<br />

irgendein Staat, und sei es der Tätigkeitsstaat,<br />

„sachnäher“ sei, kann nicht recht erklären, mit welcher Berechtigung<br />

sie die kompetente und sachgerechte Vertretung<br />

durch den Anwalt an allen beteiligten Orten ignoriert 172 .<br />

Helfen kann hier nur die Wahrnahme einer Berufsaufsicht<br />

durch den Staat, den es angeht, und zwar nicht kraft<br />

einer verschwommenen „Sachnähe“, sondern deshalb, weil<br />

ansonsten der Mandant im Einzelfall nicht sachgerecht vertreten<br />

wäre. Hierüber entscheidet aber nicht der vom Tätigkeitsstaat<br />

selbst nach freiem Belieben definierte Grad der<br />

Betroffenheit dieses Staates in den Gradstufen „unmittelbar“<br />

oder „mittelbar“, sondern Recht, und zwar sein eigenes,<br />

durch Grenznormen um internationale Bezüge erweitertes<br />

Berufsverwaltungsrecht. Schließlich legt die Floskel<br />

von der „Betroffenheit“ 173 noch die Annahme nahe, der die<br />

Berufsaufsicht über einen Rechtsanwalt ausübende Staat<br />

habe gleichsam subjektive Rechtspositionen, in denen er<br />

„betroffen“, d. h. subjektiv-rechtlich beeinträchtigt werde.<br />

Diejenigen Organe der in Deutschland mittelbaren Staatsverwaltung,<br />

welche die Aufsicht über Rechtsanwälte ausüben,<br />

handeln aber nicht auf Grund staatlicher Rechte oder<br />

Ansprüche, sondern in einem zum Gemeinwohlbelang erhobenen<br />

Interesse des rechtssuchenden Publikums an unverzichtbaren<br />

Mindeststandards einer funktionsfähigen Rechtspflege<br />

174 . Berufsordnungsgesetze sind niemals Selbstzweck,<br />

der schon bei „Betroffenheit“ eines Staates zu verfolgen<br />

wäre, sondern der Staat verwirklicht in ihnen ausschließlich<br />

im Allgemeininteresse ein Ordnungselement, das die ständige<br />

Standes- und Berufsaufsicht rechtfertigt 175 . „Sachnähe“<br />

und „unmittelbare Betroffenheit“ sind demnach keine tauglichen<br />

Kriterien zur Lösung von „Kollisionsfällen“ 176 .<br />

4. Vorrang des strengeren Rechts?<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

a) Meinungsspektrum<br />

Eine offenbar vereinzelt vertretene, abweichende Ansicht<br />

bezieht sich vorwiegend auf die Niederlassung europäischer<br />

Rechtsanwälte in einem anderen Mitgliedstaat der Europäi-<br />

161 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P.2d 1,<br />

5, 11 (Cal. 1998), cert. den., 525 U.S. 290, 119 S.Ct. 291; zu dieser Entscheidung<br />

Ronald A. Brand 34 VandJTL 1135, 1148 ff. (2001).<br />

162 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998); ähnlich<br />

der Standpunkt der American Bar Association; vgl. Memorandum to Bar<br />

Leaders from Harriet E. Miers, Chair Commission on Multijurisdictional<br />

Practice v. 1.11.2000; zu beiden Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1151 f.<br />

(2001).<br />

163 Eingehend unten V.<br />

164 Fought & Co. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P.2d 487, 497 (Haw.<br />

1998); daneben grundlegend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />

(2001).<br />

165 Vgl. § 43 S. 1 BRAO: „Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben.“<br />

166 Hempel (Fn. 125), S. 56.<br />

167 Joachim Gruber, DZWir 1997, 461, 463; a. A. für Frankreich CA Bordeaux<br />

2.10.1990, Gaz.Pal. 1991 (109/110) S. 23 m. Anm. Gardera; zu dieser Rspr.<br />

Joachim Gruber, BRAK-Mitt 1991, 195 f.<br />

168 Kleine-Cosack (Fn. 64), Anh. II 7 (Anm. 1).<br />

169 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183.<br />

170 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366, 1372.<br />

171 Zur Behandlung derartiger Fälle im Internationalen Privatrecht nur Kegel/<br />

Schurig-Schurig (Fn. 68), S. 17 f. (§ 1 IV 2 a).<br />

172 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150 (2001).<br />

173 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183.<br />

174 Beispiel: BGH v. 24.11.1997, MDR 1998, 244: Unverzichtbare Vermögenshaftpflicht<br />

eines deutschen Rechtsanwalts auch bei Kanzleieinrichtung nur<br />

im Ausland.<br />

175 Walter Schwarz, AnwBl. 1955, 222, 224.<br />

176 So aber Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366,<br />

1372.


AnwBl 1/2003 13<br />

Aufsätze l<br />

schen Union. Sie wird aber auch in allgemeineren Zusammenhange<br />

als Gegenposition zu der oben unter 2. behandelten<br />

Meinung vom Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates<br />

genannt 177 und geht davon aus, dass im Kollisionsfalle mehrerer<br />

Berufsrechtsordnungen dem jeweils strengeren Recht<br />

der Vorrang gebühre 178 . Eine solche „Kollisionsnorm“ wird<br />

im Schrifttum gelegentlich auch noch einer anderen<br />

Stimme zugeschrieben 179 , die bei näherem Hinsehen allerdings<br />

vernachlässigt werden kann. Diese Meinung engt ihre<br />

eigene Tragweite stark ein. Die Anwendung des strengeren<br />

Rechts sei nur bei internationaler Prozesstätigkeit des Anwalts<br />

rechtlich bindend, im Falle außergerichtlichen Tätigwerdens<br />

schulde der Anwalt dem strengeren Recht lediglich<br />

auf sittlicher Ebene die Beachtung seiner<br />

Grundlinien 180 . Wie oben ausgeführt, ist klassische Prozesstätigkeit<br />

für die moderne Berufstätigkeit der internationalen<br />

Anwaltssozietäten aber von marginaler Bedeutung 181 .<br />

Allein die Tätigkeit im transnationalen Schiedsverfahren<br />

hat noch originären Prozessbezug; sie ist aber ganz eigener<br />

Natur und auf hohem Niveau ohnehin Wenigen vorbehalten<br />

182 . Das U.S.-amerikanische Recht zweifelt sogar daran,<br />

ob die anwaltliche Tätigkeit im Schiedsverfahren überhaupt<br />

noch als „practice of law“ gelten könne 183 .<br />

b) Mandantenschutz?<br />

Auch die zuerst genannte Ansicht, dass das strengere<br />

Berufsrecht Vorrang habe184 , ist allerdings nicht eingehend<br />

begründet worden. Vermuten kann man, dass sie der von<br />

Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 77/249/EWG prima facie geschaffenen<br />

Verdopplung von Berufsrechten abhelfen soll: Der Vertreter<br />

dieser Meinung hatte die genannte Bestimmung bereits<br />

zuvor als wenig integrationsfreundlich bezeichnet185 .<br />

Die vorgeschlagene Wahlentscheidung zwischen Berufsrechten<br />

fällt allerdings fehlerhaft aus. Zunächst gerät der<br />

Hinweis, der Vorrang des strengeren Rechts auch bei der<br />

Niederlassung sei einer Art Angleichung an die Regelung<br />

der Dienstleistungstätigkeit geschuldet186 , in Widerspruch zu<br />

der auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wohl herrschenden,<br />

oben bereits diskutierten Ansicht187 . Wie bereits ausgeführt,<br />

leitet sich diese unmittelbar aus den Bestimmungen der<br />

Richtlinie 77/249/EWG ab188 und will für die Dienstleistungstätigkeit<br />

gerade nicht das strengere Recht bevorzugen,<br />

sondern das Recht des Herkunftsstaates im Kollisionsfall<br />

zurücktreten lassen. Selbst wenn man die Meinung aus ihren<br />

nicht ganz klaren gemeinschaftsrechtlichen Implikationen<br />

herauslöst, überzeugt sie nicht. Sie will die „Kompetenzzuteilung“<br />

korrigieren, nämlich dann eingreifen,<br />

wenn die Annahme eines Mandates in einem Staat, die<br />

überwiegende Bearbeitung indessen in einem anderen Staat<br />

erfolge189 . Damit es bei der „Mandatsabwicklung“ keine<br />

Schwierigkeiten gebe, solle das strengere Berufsrecht gelten190<br />

. Zunächst sei festgestellt: Wer meint, internationale<br />

Mandate moderner Prägung könnten „abgewickelt“, also offenbar<br />

in den Dreiklang von Mandatsannahme, kurzer Bearbeitung<br />

und Einzug der Honorarforderung aufgeteilt werden,<br />

irrt sich. Der im internationalen Transaktionsgeschäft tätige<br />

Anwalt übernimmt nicht selten einen Großteil der unternehmerischen<br />

Tätigkeit seines Transaktionsmandanten, und<br />

zwar von der Kognition geschäftserheblicher Tatsachen über<br />

alle Stufen der Transaktionsanbahung bis hin zu Vertragsabschluss<br />

und -betreuung. Eine herkömmliche „Mandatsabwicklung“<br />

ist hiervon weit entfernt. Hinter der diskutierten<br />

Ansicht steht aber offenbar ein Schutzgedanke zu<br />

Gunsten des Mandanten. Nur er (nicht etwa das nationale<br />

Organ der Berufsaufsicht!) kann als diejenige Partei des<br />

Mandatsvertrages, die man für strukturell schwächer hält 191 ,<br />

zugleich Profitträger eines Günstigkeits- bzw. Ungünstigkeitsvergleichs<br />

sein 192 , der ein Berufsrecht aus mehreren als<br />

das für den Anwalt „strengere“ identifiziert. Wo immer<br />

man im Kollisionsrecht versucht, das „strengere“ oder „ärgere“<br />

Recht zu ermitteln, stößt man allerdings stets auf die<br />

Schwierigkeit, dass in dem einen Punkt die eine, in einem<br />

anderen Punkt aber die andere Rechtsordnung die „ärgere“<br />

sein kann 193 .<br />

c) Maximale Berufsrechtsbeschwer als Ergebnis einer<br />

Alternativanknüpfung<br />

Wollte man aus der diskutierten Ansicht Hensslers 194<br />

dennoch eine Kollisionsnorm formulieren, lautete sie so:<br />

„Der Anwalt wird diszipliniert, wenn seine Tätigkeit entweder<br />

gegen das Ortsrecht der anwaltlichen Tätigkeit oder<br />

gegen das Geschäftsrecht des Anwaltsvertrages verstößt“.<br />

Im Wege einer alternativen Anknüpfung 195 erhielte man<br />

dann ein Maximum an Berufsrechtsbeschwer für den international<br />

tätigen Rechtsanwalt. Dies wäre nicht akzeptabel.<br />

Auf der kollisionsrechtlichen Ebene kann das Anliegen eines<br />

Mandantenschutzes nicht verwirklicht werden.<br />

aa) Kein Mandantenschutz durch internes Anwaltsrecht<br />

Folgte man Hensslers Kollisionsnorm vom Vorrang des<br />

strengeren Rechts, so erhielte der Mandant bei grenzüberschreitender<br />

Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses ein<br />

Schutzniveau, welches ihm das interne Anwaltsrecht ausdrücklich<br />

versagt. Die deutsche Rechtsordnung hält es<br />

nämlich gerade nicht für notwendig, den Mandanten neben<br />

seinen vertragsrechtlichen Rechtspositionen gegen den<br />

Rechtsanwalt, die aus dem Mandatsverhältnis folgen, auch<br />

noch mit einem Individualschutz kraft öffentlich-rechtlichem<br />

Berufsrecht auszustatten. Nach allgemeiner Meinung<br />

besteht kein subjektives öffentliches Recht bzw. kein<br />

Anspruch des Mandanten gegen die Rechtsanwaltskammer<br />

177 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183 (Anm. 2 a. E.).<br />

178 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709; ähnlich zuvor Skarlatos, LIEI 1991/1, 49,<br />

56.<br />

179 Henssler/Prütting-Schroeder/Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2 (Anm. 2).<br />

180 Skarlatos, LIEI 1991/1, 49, 56: „It should be noted that this deference to the<br />

more restrictive rule is, in the case of representation, mandatory, but in the<br />

case of all other activities, it applies only to the extent of giving respect to<br />

the general principles of these rules.“<br />

181Oben II 1.<br />

182 Böhlhoff, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 153.<br />

183 Williamson, P.A. v. John D. Quinn Constr. Corp., 537 F. Supp. 613 (S.D.N.Y.<br />

1982); Dissenting Opinion Kennard J. i. S. Birbrower, Montalbano, Condon<br />

& Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1 (Cal. 1998).<br />

184 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />

185 So nämlich Henssler, AnwBl. 1996, 353, 354.<br />

186 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />

187 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29 f.; Henssler/Prütting-Schroeder/<br />

Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2; nur beschreibend Kleine-Cosack<br />

(Fn. 111), Einl. Rn. 59-61; Büchting/Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3<br />

Rn. 45; zuvor bereits ähnlich Mauro/Weil, AnwBl. 1981, 128, 130.<br />

188 Oben IV 2a.<br />

189 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />

190 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />

191 Offenbar Steuber, RIW 2002, 590, 595.<br />

192 Zu dieser Stoßrichtung eines „Günstigkeitsprinzips“ im IPR nur Christian<br />

Schröder, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Privatrecht, 1996,<br />

S. 101 ff.<br />

193 Für das Internationale Eherecht z. B. Henrich, IPRax 1993, 236, 237; Staudinger-v.<br />

Bar/Mankowski, Art. 13–18 EGBGB; Anh zu Art. 13 EGBGB;<br />

Anh. I–II zu Art. 18 EGBGB, 13. Bearb. 1996, Art. 13 EGBGB Rn. 446; siehe<br />

auch v. Bar (Fn. 36), Rn. 553.<br />

194 ZEuP 1999, 689, 709.<br />

195 Hierzu v. Bar (Fn. 36), Rn. 564 ff.; Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68) S. 272<br />

(§ 6 IV).


14<br />

l<br />

auf Einschreiten gegen den Rechtsanwalt im Wege der Berufsaufsicht<br />

196 . Will der Mandant gegen seinen Rechtsanwalt<br />

Rechte geltend machen, muss er sich vornehmlich<br />

zivilrechtlicher Rechtsbehelfe bedienen (Anwaltshaftung,<br />

Erfüllungsverweigerung der Honorarforderung, Aufrechnung<br />

gegen diese etc.). Tut er dies erfolgreich, verwirklicht<br />

sich Mandantenschutz dort, wo er sinnvoll ist: bei nicht berufsmäßigem,<br />

unprofessionellem und damit haftungsauslösendem<br />

Verhalten des Anwalts. Das anwaltliche Berufsrecht<br />

als solches dagegen steht dem Mandanten ebenso wenig zur<br />

Seite, wie es seiner Disposition unterliegt. Zu Recht hat<br />

auch Henssler 197 eine Entscheidung des VG Schleswig kritisiert,<br />

das die Frage der inländischen Berufsaufsicht über einen<br />

Rechtsbeistand (zugleich „juridisk konsulent“ in Dänemark)<br />

von der Einwilligung des Mandanten abhängig<br />

gemacht hatte 198 . Anwaltliches Berufsrecht und die Rechteoder<br />

Pflichtenstellung des Mandanten haben eben auf primärer<br />

Ebene nichts miteinander zu tun. Um für den Mandanten<br />

oder einen Dritten rechtlich nutzbar zu sein, muss<br />

die berufsrechtliche Norm erst Aufnahme und Anerkennung<br />

in einer „Transportnorm“ 199 des Zivilrechts finden. Diese<br />

eindeutige Feststellung – dass das Öffentliche Berufsrecht<br />

für sich genommen Desinteresse am Individualschutz des<br />

einzelnen Mandanten hat – darf nicht auf einer der Rechtsanwendung<br />

vorgelagerten Ebene geändert werden. Mit<br />

Hensslers Auffassung 200 wäre eben dies der Fall, wenn man<br />

bereits bei der „Kollisionsfrage“ aus mehreren berührten<br />

Berufsrechtsordnungen die jeweils „strengere“ bzw. den<br />

Mandanten am meisten schützende Rechtsordnung auswählte.<br />

Wer so vorgeht, arbeitet nicht anerkennenswert kollisionsrechtlich,<br />

sondern rein ergebnisorientiert, indem er<br />

offenkundige Parteiinteressen in vermeintliche Staatsinteressen<br />

am Schutz dieser Parteien transponiert 201 . Man muss<br />

sich auch fragen, wie man diese Staatsinteressen – falls sie<br />

überhaupt bestehen – legitim durchsetzt. Ein wesentlicher<br />

Einwand gegen die Birbrower-Rechtsprechung des California<br />

Supreme Court 202 , wonach kalifornisches Anwaltsberufsrecht<br />

auf jede Tätigkeit eines fremdstaatlichen Anwalts<br />

in Kalifornien anwendbar sein soll, bestand denn auch<br />

darin, dass der Staat Kalifornien sein Interesse am Schutz<br />

der Rechtspflege keinesfalls durch ein protektionistisches,<br />

möglichst anwaltsfeindliches Aufgreifen jedes Berührungspunktes<br />

anwaltlicher Tätigkeit zu seinem Territorium verfolgen<br />

müsse. Dasselbe Ziel konnte auch durch andere Maßnahmen<br />

erreicht werden, v. a. durch die Ausweitung der<br />

Anwaltshaftung für unprofessionelles Verhalten 203 .<br />

bb) Kein Mandantenschutz durch IPR-Kollisionsrecht<br />

Die hier vertretene Auffassung deckt sich mit dem für<br />

das Mandatsverhältnis relevanten IPR. Auch das IPR hat<br />

grundsätzlich keinen Ehrgeiz, den Mandanten bereits auf<br />

der kollisionsrechtlichen Ebene dadurch zu schützen, dass<br />

es ihm stets die günstigere bzw. die für den Rechtsanwalt<br />

„strengere“ Rechtsordnung vermittelt. Für den grenzüberschreitenden<br />

Anwaltsvertrag ist Rechtwahl unumschränkt<br />

möglich204 und auch geboten205 . Lediglich wegen Art. 29<br />

EGBGB können sich verbraucherschützende Normen gelegentlich<br />

gegen das ansonsten für das Mandatsverhältnis geltende<br />

Vertragsstatut durchsetzen206 ; allerdings nicht – was<br />

man zuweilen übersieht207 –, wenn die Dienstleistung vollständig<br />

im Ausland erbracht wird208 . Das Kollisionsrecht ist<br />

kein allgemeines Vehikel für mandanten- bzw. „verbraucher“-schützende<br />

Normen. Beim Anwaltsvertrag ist mit ihnen<br />

selbst auf sachrechtlicher Ebene grundsätzlich Zurückhaltung<br />

geboten und der Tatbestand verbraucherschützender<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

Normen dezidiert durch ihren Sinn und Zweck zu begrenzen<br />

209 . Auf den Anwaltsvertrag findet das Internationale<br />

Verbraucherschutzrecht in aller Regel keine Anwendung 210 .<br />

Dagegen möchte Henssler berufskollisionsrechtlich in einer<br />

Lage helfen, in der der Abschluss des Mandatsvertrages im<br />

Inland, die überwiegende Mandatsbearbeitung hingegen im<br />

Ausland erfolgt 211 . Im IPR hilft in dieser Lage indessen<br />

nicht einmal Art. 29 EGBGB, wenn der Mandant zwar Verbraucher<br />

ist, die Dienstleistung des Anwalts aber nicht im<br />

Inland erfolgt. Die Meinung Hensslers 212 will durch eine im<br />

öffentlichen Berufsrecht fallende Rechtswahlentscheidung<br />

demnach mehr gewähren, als ein Mandant im erprobten Anknüpfungssystem<br />

des IPR erhielte. Man darf auch nicht auf<br />

Art. 34 EGBGB hinweisen, um zu belegen, dass das öffentliche<br />

Anwaltsberufsrecht bereits auf kollisionsrechtlicher<br />

Ebene zu Gunsten des Mandanten streiten kann. Zwar können<br />

einzelne Normen der BRAO durchaus einer Sonderanknüpfung<br />

nach Art. 34 EGBGB fähig sein 213 . Art. 34<br />

EGBGB kommt aber ohne jede Festlegung aus, ob die<br />

Norm, der er den Weg freisperrt, Privatrecht oder (wie zwei-<br />

196 BVerwG v. 20.10.1992, NJW 1993, 2066; VGH Mannheim v. 16.2.1982,<br />

NJW 1982, 2011; VG Freiburg v. 6.10.1977, NJW 1978, 967 f.; Kleine-Cosack<br />

(Fn. 111), § 73 BRAO Rn. 8; Prütting, AnwBl. 1999, 361, 364.<br />

197 ZEuP 1999, 689, 709.<br />

198 VG Schleswig v. 14.9.1988, NJW 1989, 1178; zu Recht ablehnend Willandsen,<br />

NJW 1989, 1128, 1130 sowie Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 222<br />

(Anm. 40 a. E.).<br />

199 Tilmann, WRP 1987, 293; Stolterfoht, FSFritz Rittner, 1991, S. 695, 696;<br />

Kleine-Cosack (Fn. 64), Einl Rn. 17; Achim Krämer, FS Henning Piper,<br />

1996, 327, 328; bereits Harm Peter Westermann, FSCarl-Hans Barz, 1974,<br />

S. 545, 550, 559 spricht von „Transformation“ berufsrechtlicher Normen.<br />

200 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />

201 Vgl. z. B. Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68) S. 178 (§ 3 XI) unter Kritik der<br />

Auffassung Curries.<br />

202 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court 949 P.2d 1<br />

(Cal. 1998).<br />

203 Motion of ACCA (American Corporate Counsel Association) et al. for leave<br />

to file a brief i.S. Birbrower, cert. den., 119 S.Ct. 291 (1998).<br />

204 Allgemeine Meinung; siehe nur Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30),<br />

Rn. 1471. Allerdings wird sich eine nachträgliche, lediglich aus prozesstaktischen<br />

Erwägungen getroffene Rechtswahländerung nicht gegen ein nach<br />

Art. 28 Abs. 2 EGBGB bestimmtes Vergütungsstatut durchsetzen; für den<br />

Steuerberatervertrag vgl. LG Essen v. 20.6.2001, RIW 2001, 943, 944.<br />

205 Hans Stoll, IPRax 1983, 52, 55; Sieg (Fn. 37), S. 196, 199; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />

(Fn. 30), Rn. 1471 ff; ders, AnwBl. 2001, 249, 253; ders.,<br />

EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334; ders., MDR 2001, 194, 198 [für<br />

den Parallelfall des Gutachtervertrages].<br />

206 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1474; Soergel-v.Hoffmann, X:<br />

Einführungsgesetz, 12. Aufl. 1996, Art. 29 EGBGB Rn. 8; Zugehör-Sieg,<br />

Handbuch der Anwaltshaftung, 1999, Rn. 171; Münchener Kommentar zum<br />

BGB-Martiny (Fn. 81) Art. 29 EGBGB Rn. 11; Czernich/Heiss-Heiss, EVÜ-<br />

Kommentar, Wien 1999, Art. 5 EVÜ Rn. 18; Christian Berger, NJW 2001,<br />

1530, 1533.<br />

207 Z. B. LG Hamburg v. 18.3.1999, NJW-RR 2000, 510; in Anlehung an dieses<br />

Urteil wohl auch Jayme/ Chris-tian Kohler, IPRax 2000, 454, 463 f.; Staudinger-Magnus,<br />

Art. 27–37 EGBGB, Anh. zu Art. 33 EGBGB, Anh. zu Art. 34<br />

EGBGB, Anhang I zu Art. 37 EGBGB, Anhang II zu Art. 27–37 EGBGB,<br />

13. Bearb. 2002, Art. 28 EGBGB Rn. 254.<br />

208 Für den Anwaltsvertrag Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1474;<br />

ders., AnwBl. 2001, 249, 252; Sieg (Fn. 37) S. 197; Ebke, Die zivilrechtliche<br />

Verantwortlichkeit der wirtschaftsprüfenden, rechts- und steuerberatenden<br />

Berufe im internationalen Vergleich, 1996, S. 57; Christian Berger, NJW<br />

2001, 1530, 1533; allg. Reich, ZHR 153 (1989) 571, 593 f.; Münchener Kommentar<br />

zum BGB-Martiny (Fn. 81) Art. 29 EGBGB Rn. 10, 16 f.<br />

209 Zutreffend daher AG Wiesloch v. 16.11.2001, JZ 2002, 671 abl. Anm. Bürger:<br />

Keine Anwendung des FernAbsG auf Anwaltsvertrag bei persönlicher<br />

Anbahnung des Mandatsverhältnisses; a. A. wohl Bürger, NJW 2002, 465 ff.;<br />

Hempel (Fn. 125), S. 106.<br />

210 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1535.<br />

211 ZEuP 1999, 689, 709.<br />

212 ZEuP 1999, 689, 709.<br />

213 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1488 f.; Sieg (Fn. 37) S. 189 f.;<br />

Staudinger-Magnus (Fn. 207) Art. 34 EGBGB Rn. 91; für § 49 b BRAO vgl.<br />

OLG Frankfurt v. 1.3.2000, NJW-RR 2000, 1367, 1369; Spickhoff, Der ordre<br />

public im internationalen Privatrecht, 1989, S. 195; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />

(Fn. 30), Rn. 1481; Münchener Kommentar zum BGB-Martiny<br />

(Fn. 81) Art. 28 EGBGB Rn. 150; Heß, NJW 1999, 2485; Mankowski,<br />

AnwBl. 2001, 249, 253; Palandt-Heldrich, Bürgerliches Gesetzbuch,<br />

61. Aufl. 2002, Art. 34 EGBGB Rn. 3; für Österreich ebenso Erika Wagner,<br />

JBl 2001, 416, 428; grds. a. A. Bendref, AnwBl. 1998, 309 ( § 49 b BRAO<br />

als einfache Norm des Vertragsrechts).


AnwBl 1/2003 15<br />

Aufsätze l<br />

fellos das anwaltliche Berufsrecht) Öffentliches Recht ist 214 .<br />

Sie „umschreibt“ 215 somit gerade nicht das Internationale<br />

Öffentliche Recht – und folglich auch nicht ein als Kollisionsrecht<br />

verstandenes „Internationales Anwaltsrecht“.<br />

Ebenso wenig ist für diese Norm relevant, nach welchem<br />

Recht sich der Vertrag im Übrigen richtet und auf Grund<br />

welcher Kollisionsnorm sich die Anwendbarkeit dieser<br />

Rechtsordnung ergibt 216 . Stattdessen geht es um die kollisionsrechtlich<br />

indifferente Durchsetzung bestimmter Normen,<br />

und zwar wiederum nicht mandantenschützender Vorschriften,<br />

sondern im Anwaltsrecht nur solcher Normen, die überindividuellen,<br />

nämlich öffentlichen Interessen dienen 217 .<br />

V. Berufsbezogenes Rechtsanwendungsrecht: Die „interstate<br />

practice“ in den USA<br />

Keinem der soeben diskutierten Anknüpfungsmodelle gelingt<br />

die Bereitstellung von Rechtsanwendungsnormen bzw.<br />

Aufgreifkriterien für Anwaltsberufsrecht, die genuin berufsbezogen<br />

sind. Berufsbezogene Aufgreifmodelle finden sich<br />

aber bereits in den Anwaltsberufsrechten der U.S.-amerikanischen<br />

Bundesstaaten 218 . Die von ihnen geregelte, sog. „interstate“<br />

oder „multistate practice“ von Anwälten kann mit gewissen<br />

Einschränkungen durchaus als Vorbild für die<br />

Regelung der internationalen Anwaltstätigkeit nach deutschem<br />

Recht herangezogen werden 219 . Bei den Rechtsanwendungsnormen<br />

für das anwaltliche Berufsrecht ist dies bislang –<br />

soweit ersichtlich – noch nicht geschehen, so dass abschließend<br />

der Frage nachgegangen wird, ob das Anwaltsrecht der<br />

U.S.-amerikanischen Bundesstaaten insoweit Lehren vermitteln<br />

kann 220 . In den USA ist man ebenso wie in Deutschland<br />

damit unzufrieden, dass der Anwalt mit der Anwendung einer<br />

Mehrheit von Berufsrechten auf seine Staatsgrenzen überschreitende<br />

Tätigkeit rechnen muss 221 . Im deutschen Anwaltsberufsrecht<br />

ist demgegenüber bislang zu wenig berücksichtigt<br />

worden, dass Erkenntnisse aus der Rechtsvergleichung zu den<br />

heranzuziehenden Auslegungstopoi gehören 222 .<br />

1. „Interstate practice“: Grundzüge<br />

Unter „interstate“ bzw. „multistate practice“ versteht das<br />

Recht der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten die Tätigkeit<br />

des in einem Bundesstaat der USA zugelassenen Rechtsanwalts<br />

in mindestens einem weiteren Bundesstaat sowie<br />

die Berufsausübung von Rechtsanwälten, die in mehreren<br />

Bundesstaaten zugelassen sind 223 . Der mit der Einzelstaatlichkeit<br />

der Bundesstaaten verbundene Zerfall des Anwaltsrechts<br />

in zahlreiche Binnenordnungen, die schlimmstenfalls<br />

zur „economic Balkanization“ 224 führt, ist in Europa ohne<br />

echte Parallele. Dieser Zustand konnte am ehesten noch mit<br />

der bis zum 1.6.2002 andauernden Divergenz der kantonalen<br />

Anwaltsordnungen in der Schweiz 225 – mit Auswirkungen<br />

vor allem im Beratungsbereich 226 – verglichen werden.<br />

Die Ausbildung einer „local legal culture“ 227 in beiden Ländern<br />

galt verbreitet als Gemeinsamkeit 228 , die mit der<br />

Schaffung eines einheitlichen Bundesanwaltsrechts für die<br />

Schweiz 229 , welches über bloße Freizügigkeitsregeln weit<br />

hinausgeht 230 , allerdings größtenteils entfallen ist 231 . Sedes<br />

materiae im Anwaltsrecht der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten<br />

ist zunächst ABA Model Rules 232 R 8.5 (a), die die<br />

Disziplinarzuständigkeit jeder Jurisdiktion für den in ihr zugelassenen<br />

Anwalt bekräftigt, gleichgültig, wo das beanstandete<br />

Verhalten des Rechtsanwalts stattfindet 233 . Ergänzt<br />

wird diese Zuständigkeitsregel durch eine sodann von ABA<br />

Model Rules R. 8.5 (b) ausgesprochene Grundregel für eine<br />

Koordination verschiedener Anwaltsrechte im Dienstleistungsbereich:<br />

Für den dienstleistenden Anwalt, der eine<br />

Zulassung im Dienstleistungsstaat besitzt, gilt zunächst das<br />

Recht dieses Staates. Bei Mehrfachzulassung gilt das Recht<br />

des Staates, in dem der Anwalt überwiegend praktiziert, es<br />

sei denn, dass die besondere Tätigkeit überwiegend in einem<br />

anderen Staat Auswirkungen hat. Hier handelt es sich<br />

um Interlokales Recht 234 für die Anwaltstätigkeit. In der Praxis<br />

kommt die genannte „Choice of Law“-Regel allerdings<br />

so gut wie gar nicht zur Anwendung. Stattdessen lösen<br />

U.S.-amerikanischen Gerichte die Frage, ob staatliches Berufsrecht<br />

die Berufstätigkeit fremdstaatlicher Anwälte aufgreift,<br />

nahezu ausschließlich auf der Ebene unerlaubter<br />

Rechtsberatung („unauthorized practice of law“). Grund<br />

hierfür ist, dass kein Staat eine allgemeine Befugnisnorm<br />

kennt, die fremdstaatliche Anwälte zur Berufsausübung in<br />

einem anderen Staat grundsätzlich zulässt. Die Einräumung<br />

einer solchen Befugnis ist grundsätzlich nicht Gegenstand<br />

staatlicher Normgebung, sondern Sache der Gerichte, die<br />

eine derartige Zulassung für den prozessualen Einzelfall erteilen,<br />

die sog. „pro hac vice“-Zulassung 235 . Gefährlich wird<br />

es für den fremden Anwalt, wenn er es unterlässt, eine sol-<br />

214 BAG v. 24.8.1989, DB 1990, 1666, 1668 mit Anschluss im Übrigen an Mankowski,<br />

RabelsZ 53 (1989) 487 ff.; Erman-Hohloch, Bürgerliches Gesetzbuch,<br />

II: §§ 854-2385, AGBG, EGBGB, ErbbauVO, HausratsVO, SachenR-<br />

BerG, 10. Aufl. 2000, Art. 34 EGBGB Rn. 12.<br />

215 So aber Kegel/Schurig-Kegel (Fn. 68), S. 596 (§ 18 I 2).<br />

216v. Bar (Fn. 36), Rn. 262.<br />

217 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1488.<br />

218 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />

219 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 59; ferner Henssler, AnwBl.<br />

1996, 353, 354 (Anm.6).<br />

220 Grundsätzlich bejahend Sieg, NJW 1996, 2209.<br />

221 Chesterfield Smith, 64 A.B.A. J. 557 (1978); Debra Baker, 84 A.B.A.J. 22<br />

(1998); Hayes, National L.J. A4 (1998); Wolfram, Modern Legal Ethics,<br />

St.Paul/Minn. 1986, S. 865 f.; ders., 36 S.Tex.L.Rev. 665 (1995); Ronald A.<br />

Brand, 17 J.L. & Com. 302 (1998); ders., 34 VandJTL 1135 (2001).<br />

222 Henssler, NJW 2001, 1521, 1524.<br />

223 Zur interstate practice besonders Llewellyn, JherJb 79 (1929) 233, 239<br />

(Anm. 3); Note, 80 Harv.L.Rev. 1711, 1718 ff. (1967); Chisum, 19 Stan.L.-<br />

Rev. 856 (1967); Travostino, 32 Stan.L.Rev. 1211 (1979); Wolfram, (Fn. 221),<br />

S. 865 ff.; ders., 36 S.Tex.L.Rev. 665, 677 f. (1995); Collett, 36 S.Tex.L.Rev.<br />

657 (1995); Daly, 36 S.Tex.L.Rev. 715 (1995); Carr/Van Fleet, 36 S.Tex.L.-<br />

Rev. 859 (1995); Dzienkowski, 36 S.Tex.L.Rev. 967 (1995); Hartigan, 36<br />

S.Tex.L.Rev. 999 (1995); Aultman, 36 S.Tex.L.Rev. 1055 (1995); Kathleen<br />

Clark, 36 S.Tex.L.Rev. 1069 (1995); Gregory Adams, 36 S.Tex.L.Rev. 1101<br />

(1995); Ronald A. Brand, 17 J.L. & Com. 301 (1998); ders., 34 VandJTL<br />

1135 (2001).<br />

224 Hughes v. Oklahoma, 99 S.Ct. 1727, 1731 (1979); Camps Newfound/Owatonna,<br />

Inc. v. Town of Harrison, Maine et al., 117 S.Ct. 1590, 1599 (1997).<br />

225 Dazu u. a. Henssler, ZZP 105 (1992) 385, 387.<br />

226 Nater, SJZ 98 (2002) 362, 363 f.<br />

227 Isaak Meier, RabelsZ 66 (2002) 308, 322.<br />

228 Etwa Kerameus, RabelsZ 66 (2002) 1, 10.<br />

229 Bundesgesetz v. 23.6.2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte<br />

(Anwaltsgesetz, BGFA), BBl. 2000, 3594; in Kraft seit 1.6.2002; zur<br />

Entwurfsfassung Wittmann, AnwBl. 2000, 301 f.<br />

230 Isaak Meier, FSReinhold Geimer, 2002, S. 691.<br />

231 Isaak Meier, FSReinhold Geimer, 2002, S. 691, 694, 713; zu den Reformbestrebungen<br />

bereits Kilian, BRAK-Mitt 1999, 249 ff.; krit. Nater, SJZ 98<br />

(2002) 362 ff.<br />

232 American Bar Association Model Rules of Professional Conduct (2002) (im<br />

weiteren: ABA Model Rules); zu dem Regelwerk allgemein etwa Taupitz,<br />

Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 353; Oberreit/Knapp,<br />

AnwBl. 1980, 328, 329.<br />

233 Ronald A. Brand, 17 J.L. & Com. 301, 305 (1998).<br />

234 Zur Existenz eines Interlokalen Verwaltungsrechts nur Christine Linke, Europäisches<br />

Internationales Verwal-tungsrecht, 2001, S. 27.<br />

235 Weit zurückreichender historischer Überblick über die pro hac vice-Zulassung<br />

in Flynt v. Leis, 574 F2d 874, 878 (6th Cir. 1978); zu dieser Entscheidung<br />

Comment, 79 Colum.L.Rev. 572, 574 n.13 (1979). In jüngerer Zeit ist<br />

vor allem problematisch geworden, ob an der Gewährung einer pro hac vice-<br />

Zulassung ein Bestandsinteresse besteht, aus der Rspr. etwa In re Ferris, 774<br />

A.2d 62 (R.I. 2001); Kirkland v. Nat’l Mortgage Network, Inc., 884 F.2d<br />

1367, 1371 (11th Cir.1989)]. Die Gerichte scheinen die Aufstellung von<br />

Rechtssätzen hierzu allerdings eher zu umgehen und die Frage – mit Unterschieden<br />

im Einzelnen – eher als eine solche der prozessualen Höflichkeit zu<br />

behandlen, vgl. United States v. Summet, 862 F.2d 784, 787 (9 th Cir. 1988);<br />

Koller v. Richardson-Merrell, Inc. 737 F.2d 1038 (D.C.1984), rev’d on other<br />

grounds, 472 U.S. 424 (1985); Johnson v. Trueblood, 629 F.2d 302, 304 (3d<br />

Cir. 1980); Hallman v. Sturm Ruger & Co., 639 P.2d 805, 809 (Wash.Ct.App.<br />

1982); Cooper v. Hutchinson, 184 F.2d 119, 123 (3d Cir. 1950).


16<br />

l<br />

che Einzelfallzulassung für eine konkrete Tätigkeit in einem<br />

anderen Staat einzuholen. Ab diesem Zeitpunkt muss<br />

er sich grundsätzlich dem Einwand der unerlaubten Rechtsberatung<br />

ausgesetzt sehen 236 , der gerne als Anwendungsfall<br />

der sog. „fee forfeiture“ verstanden wird, wonach ein Verstoß<br />

gegen Berufsrecht grundsätzlich gebührenversagend<br />

wirkt 237 . Während das Anwaltsrecht in Europa es zumeist<br />

mit Anwälten zu tun hat, die grundsätzlich befugt im Tätigkeitsstaat<br />

anwesend sind, so dass nur noch die Frage geklärt<br />

werden muss, welchem nationalen Berufsrecht sie sich zu<br />

unterwerfen haben, begegnet das U.S.-amerikanische Anwaltsrecht<br />

bei der Tätigkeit fremdstaatlicher Anwälte zumeist<br />

solchen Berufsträgern, deren gesamte Tätigkeitsbefugnis<br />

am einzelstaatlichen Berufsrecht gemessen und<br />

gegebenfalls als unerlaubte Rechtsberatung verworfen wird.<br />

Spätestens seit der auch im Ausland bekannt gewordenen<br />

Birbrower-Entscheidung des Supreme Court of California<br />

238 entwickeln U.S.-amerikanische Gerichte für die Feststellung<br />

einer solchen „unauthorized practice of law“<br />

sorgsam ausdifferenzierte Abgrenzungsregeln, die genau<br />

sagen, wann der beanstandete „conduct“ des Anwalts als<br />

auf eigenem Boden geschehen anzusehen ist 239 . Diese Ansätze<br />

werden im Weiteren vorgestellt.<br />

2. Birbrower: Schutz eigener Anwälte<br />

a) Entscheidung des Gerichts<br />

Im Birbrower-Urteil 240 hat der California Supreme Court<br />

gegen den Gebührenanspruch der New Yorker Anwaltkanzlei<br />

Birbrower den von Seiten der kalifornischen Mandantin<br />

erhobenen Einwand einer „fee forfeiture“ durchgreifen lassen.<br />

Der hiermit festgestellte Verstoß gegen Berufsrecht,<br />

welcher grundsätzlich gebührenversagend wirkt 241 , liegt<br />

nach der Auffassung des Gerichts in der Verletzung des kalifornischen<br />

Unauthorized Practice of Law Statute (UPL-<br />

Statute). Das kalifornische UPL-Statute sei anwendbar. Die<br />

Norm könne jede Rechtsberatungstätigkeit aufgreifen, die<br />

„in“ Kalifornien stattfinde, und sanktioniere sie, wenn dem<br />

Rechtsberater die Mitgliedschaft in der California State Bar<br />

fehle. Ob die Rechtsberatung „in“ Kalifornien stattfinde,<br />

sei danach zu entscheiden, ob die Tätigkeit des in Kalifornien<br />

nicht zugelassenen Anwalts hinreichenden Kontakt zu<br />

diesem Staat habe („sufficient activities in the state“) oder<br />

aber das Ergebnis einer verfestigten Geschäftsbeziehung<br />

mit einem im Staat ansässigen Mandaten sei, die ihrerseits<br />

Rechte und Pflichten des Anwalts hervorbringe („continuing<br />

relationship with the California client“ 242 ).<br />

b) Bewertung<br />

In den USA ist die Entscheidung als offen protektionistischer<br />

Abschirmungsversuch des Staates Kalifornien, der<br />

im Anwaltsberufsrecht bekanntlich gern eigene Wege geht,<br />

kritisiert worden 243 . Sie erscheine als „cloud over interstate<br />

law practice“ 244 . Ihre Sichtweise bringt wenig Verbesserungen<br />

gegenüber der in Deutschland wohl herrschenden Meinung,<br />

dass schematisch auf das Recht das Tätigkeitsstaates<br />

abzustellen sei. Anders als diese meint man aber nicht, dass<br />

das Recht des Herkunftsstaates im Zweifel zurücktrete.<br />

Vielmehr hat der California Supreme Court eher den „Vortritt“<br />

eigenstaatlichen Rechts im Sinn. Das UPL-Statute soll<br />

zu weitestgehender Wirkung gebracht, fremdstaatlichen<br />

Rechtsanwälten nahezu unmöglich gemacht werden, sich<br />

„ihr“ Berufsrecht mitzubringen 245 . Der hauptsächliche<br />

Nachteil dürfte – wie derjenige der bereits diskutierten Ansicht<br />

unter Geltung des europäischen Gemeinschaftsrechts –<br />

darin liegen, dass sie nur schematisierte und überhaupt<br />

keine berufsbezogenen Lösungen ermöglicht 246 . Selbst<br />

wenn der Rechtsanwalt eine für seinen Mandanten im<br />

höchsten Maße zufrieden stellende, sach- und fachgerechte<br />

Vertretung in Kalifornien durchführt, muss er jederzeit und<br />

in den USA unter Durchschlag auf seinen Gebührenanspruch<br />

damit rechnen, dass ihm die Anwendbarkeit kalifornischen<br />

Berufsrechts entgegengehalten wird. Besonders<br />

bemerkenswert ist, dass es zur Feststellung dieser Anwendbarkeit<br />

nach Birbrower keines Blickes auf die Belange des<br />

Mandanten oder des im konkreten Berufsrechtsfall mandatsbearbeitenden<br />

Anwalts bedarf. Wenn es von dem Ort<br />

der anwaltlichen Tätigkeit abhängen soll, ob eine Rechtsberatung<br />

„in“ Kalifornien stattfindet, so spielt es keine<br />

Rolle, ob der fremde Anwalt sein Mandat von einem einheimischen<br />

oder einem „fremden“ Mandanten übertragen<br />

erhalten hat. Die Birbrower-Rechtsprechung schützt daher<br />

nur das Eine: die jeweils ortsansässige Anwaltschaft, die<br />

sich ihrem Interesse an der Fernhaltung von Know-how-<br />

Import und Wettbewerb von Berufskollegen ein gutes Stück<br />

näher gebracht sieht. Als Wegweiser zur Gewinnung von<br />

Grenznormen im deutschen Internationalen Berufsverwaltungsrecht<br />

taugt diese Entscheidung nicht.<br />

3. Estate of Condon: Schutz eigener Mandanten<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

a) Entscheidung des Gerichts<br />

Einen abweichenden Ansatz hat der California Court of<br />

Appeals im Urteil Condon vertreten 247 . Auch hier ging es<br />

um „fee forfeiture“: Im Streit stand der Gebührenanspruch<br />

der in Colorado ansässigen Anwaltskanzlei Elrod, die von<br />

einem der zwei „executors“ eines kalifornischen Nachlasses<br />

mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt<br />

worden war. Der Mandant war ebenfalls in Colorado,<br />

der andere „Testamentsvollstrecker“ 248 in Kalifornien ansässig.<br />

Elrod hatte nur einen kleinen Anteil seiner Tätigkeit<br />

auf kalifornischem Boden abgeleistet. Der in Kalifornien<br />

ansässige Testamentsvollstrecker wandte sich im weiteren<br />

dagegen, den Nachlass mit den Anwaltsgebühren für Elrod<br />

236 Deutlich El Gemayel v. Seaman, 533 N.E.2d 245 (N.Y. 1988).<br />

237 Beispiele aus der jüngeren Rspr.: Soumah v. Flachs, 721 A.2d 680 (Md.<br />

1998); Z.A. v. San Bruno Park School District, 165 F3d 1273, 1276 (9th<br />

Cir. 1999); Capiello, Hoffman & Katz, P.C. v. Boyle, 105 Cal.Rptr. 2d 147,<br />

151 (Cal.Ct.App. 2001).<br />

238 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court 949 P.2d 1,<br />

5 (Cal. 1998): „In our view, the practice of law »in California« entails sufficient<br />

contact with the California client to render the nature of the legal service<br />

a clear legal representation.“ Hierbei soll es auf hinreichende Kontakte des<br />

Anwalts zum kalifornischen Mandanten ankommen, vor allem darauf, ob<br />

eine dauerhafte Mandantenbeziehung angeknüpft worden sei, die geeignet<br />

ist, Rechtspflichten hervorzubringen. Im Weiteren vgl. Fought & Co. v. Steel<br />

Eng’g & Erection, Inc. et al., 951 P.2d 487 (Haw. 1998); Estate of Condon v.<br />

McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998); zu allen sogleich.<br />

239 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1148 ff. (2001).<br />

240 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1<br />

(Cal.1998), cert.den., 525 U.S. 290, 119 S.Ct. 291 (1998).<br />

241 Beispiele aus der jüngeren Rspr.: Soumah v. Flachs, 721 A.2d 680 (Md.<br />

1998); Z.A. v. San Bruno Park School District, 165 F3d 1273, 1276 (9th<br />

Cir. 1999); Capiello, Hoffman & Katz, P.C. v. Boyle, 105 Cal.Rptr. 2d 147,<br />

151 (Cal.Ct.App. 2001).<br />

242 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1,<br />

5 (Cal. 1998).<br />

243 Motion of ACCA et al. for leave to file a brief i.S. Birbrower, cert. den., 119<br />

S.Ct. 291 (1998); D’Attomo, 39 Santa Clara L.Rev. 456 (1999).<br />

244 Vgl. McDonough, Chic.Daily L.Bull. v. 14.5.1998, S. 22.<br />

245 Zu dieser Motivlage im Berufsrecht allgemein Basedow, RabelsZ 55 (1991)<br />

409, 430.<br />

246 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150 (2001).<br />

247 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998).<br />

248 So kann das Rechtsinstitut des „executors“ im IPR qualifiziert werden, vgl.<br />

nur Kegel/Schurig-Kegel (Fn. 68), S. 875 (§ 21 IV 4).


AnwBl 1/2003 17<br />

Aufsätze l<br />

zu belasten. Anders als in Birbrower verneinte das Gericht<br />

allerdings einen Berufsrechtsverstoß, der gebührenversagend<br />

hätte wirken können, mit der Begründung, dass die<br />

Frage, ob Elrod „in“ Kalifornien praktiziert habe, vom Sitz<br />

des Mandanten abhängig zu machen sei. Dieser habe in Colorado<br />

gelegen, so dass Cal.Prof. & Bus.Code § 6125 249 –<br />

die kalifornische Verbotsnorm gegen Rechtsberatung in Kalifornien<br />

ohne kalifornische Zulassung – keine Anwendung<br />

finde 250 .<br />

b) Bewertung<br />

Allerdings überzeugt auch dieses Kriterium, auf den<br />

Sitz des Mandanten abzustellen, nicht. Will der Anwalt,<br />

der sich in eine fremdstaatliche Jurisdiktion begibt, wissen,<br />

ob dortiges Berufsrecht auf ihn Anwendung findet, müsste<br />

er seine Mandaten dann stets in zwei Klassen teilen: solche,<br />

die im Tätigkeitsstaat ansässig sind, und solche, denen ein<br />

solcher Sitz fehlt. Im Fall Condon war der Mandant ebenso<br />

wie sein „co-executor“ eine problemlos lokalisierbare Einzelperson.<br />

Da dessen Sitz im Sitzstaat des Anwalts lag, wo<br />

auch der Mandatsauftrag erteilt wurde, hatte der gesamte<br />

Berufsrechtsfall als einzigen Kontakt zu Kalifornien nur<br />

den Streitgegenstand. Jedenfalls wertungsmäßig gelangte<br />

das Gericht dann zum richtigen Ergebnis, wenn es eine Anwendbarkeit<br />

kalifornischen Berufsordnungsrechts verneint.<br />

Bei nahezu allen Mandatierungen, die der Anwalt in internationaler<br />

Sozietät entgegennimmt, liegt es allerdings wesentlich<br />

komplizierter. Zwar wird unmittelbarer Kontrahent<br />

stets eine lokalisierte Niederlassung oder ein Unternehmensteil<br />

eines multinationalen Unternehmens sein 251 , so<br />

dass sich abschätzen lässt, ob sie in der Tätigkeitsjurisdiktion<br />

ansässig ist. Es lässt sich aber keinesfalls ausschließen,<br />

dass sich der Mandant zu einem späteren Zeitpunkt – und<br />

zum ersten Mal – darauf beruft, auch im Tätigkeitsstaat<br />

eine Niederlassung zu haben, so dass er den Schutz des dortigen<br />

Berufsrechts genießen müsse. Der Anwalt kann die<br />

gesellschaftsrechtlichen und unternehmerischen Verflechtungen<br />

seines Mandanten oft ebenso wenig durchschauen<br />

wie der Mandant die seinen 252 . Dann gerät die Anwendung<br />

berufsrechtlicher Normen zur Zufälligkeit, wenn man sie an<br />

einen Sitz des Mandanten im Tätigkeitsstaat anknüpft. Dass<br />

auch auf Mandantenseite eine Diskriminierung entsteht,<br />

wenn nur forumstaatlich niedergelassene, nicht aber fremde<br />

Mandanten unter den Schutz des örtlichen Berufsrechts gestellt<br />

werden – sofern dieses ausnahmsweise einmal direkten<br />

Mandantenschutz bezwecken sollte – liegt auf der<br />

Hand.<br />

4. Fought: Berufsbezogene Anwendung des Berufsrechts<br />

auf fremdstaatliche Anwälte<br />

a)Entscheidung des Gerichts<br />

Vor dem Hintergrund der wenig überzeugend gehandhabten<br />

Aufgreifkriterien in Birbrower und Condon ist eine<br />

weitere, vom Supreme Court of Hawaii erlassene Entscheidung<br />

i. S. Fought 253 vom U.S.-amerikanischen Schrifttum<br />

begrüßt worden 254 . Das in Oregon ansässige Unternehmen<br />

Fought war Subunternehmer eines staatlichen Bauprojekts<br />

in Hawaii. Diverse Streitigkeiten um Vertragserfüllung wurden<br />

durch ein gerichtliches Auftreten der von Fought beauftragten<br />

hawaiianischen Anwälte, aber auch durch außergerichtliche<br />

Tätigkeit der in Oregon ansässigen<br />

„Hausanwälte“ von Fought, der Kanzlei Kobin, beigelegt.<br />

Der Staat Hawaii wandte gegen Foughts Forderung, für die<br />

außergerichtliche Tätigkeit Anwaltskosten zu tragen, ein,<br />

die Anwälte aus Oregon hätten in Hawaii nicht tätig werden<br />

dürfen. Der Supreme Court of Hawaii ist dieser Argumentation<br />

nicht gefolgt 255 . Seine Argumentation macht in höchst<br />

differenzierter Weise deutlich, dass die Frage, ob der Eintritt<br />

eines Anwalts in eine andere Jurisdiktion zur Unterwerfung<br />

unter das dortige Berufsrecht führt, berufsbezogen<br />

formuliert werden muss.<br />

b) Notwendigkeit einer Vertretung durch fremde Anwälte<br />

Der Supreme Court of Hawaii hebt zunächst hervor, dass<br />

die Geschäftstätigkeit eines grenzüberschreitenden Unternehmens<br />

die „Mitnahme“ eigener Anwälte in eine andere<br />

Jurisdiktion geradezu zwingend erfordert. Dem ist zuzustimmen.<br />

Das deutsche Unternehmen muss sich auf die ungehinderte<br />

Unterstützung seiner Anwälte im Ausland verlassen<br />

können, wenn es andere Jurisdiktionen betritt. Da diese wesentlich<br />

besser mit den Anforderungen dieses Unternehmenmandanten,<br />

z. B. seiner gesellschaftsrechtlichen, wirtschaftlichen<br />

und steuerlichen Gesamtsituation, vertraut sind, als dies<br />

zwar forumstaatlich zugelassene, gleichwohl „fremde“ Anwälte<br />

je sein könnten, kann dem Unternehmensmandanten<br />

nicht angesonnen werden, auf die Begleitung durch eigene<br />

Anwälte gänzlich zu verzichten. Der Grundstein dafür, einer<br />

grenzüberschreitenden Anwaltspraxis Anerkennung und eigenen<br />

Rechtswert zu verleihen, ist hiermit gelegt.<br />

c) Kostenersparnis durch multijurisdiktionelle<br />

Anwaltspraxis<br />

In seltener Klarheit weist das Gericht weiter darauf hin,<br />

dass die Tätigkeit von Anwälten aus anderen Staaten – als<br />

dem Unternehmensmandanten vertraute und kompetente<br />

Transaktionsbegleiter – Ersparnisse an Transaktionskosten<br />

bewirkt 256 . Der Supreme Court verdeutlicht damit eine wirtschaftliche<br />

Gegebenheit, die im deutschen Anwaltsberufsrecht<br />

bisher so gut wie gar nicht hervorgehoben wurde, die<br />

aber beachtliche Argumente dafür liefert, dass das Recht<br />

die in mehreren Staaten beheimatete Anwaltsberufstätigkeit<br />

so weit wie möglich gewähren lassen, ja grundsätzlich berufsfreundlich<br />

behandeln sollte. Man schreibt dem verbandsmäßig<br />

organisierten, großen und unweigerlich auch<br />

international tätigen Anwaltsunternehmen zunehmend positive<br />

Effekte für die Gesamtwohlfahrt zu 257 . Das Anwaltsunternehmen<br />

erfährt insoweit eine ähnliche ökonomische Anerkennung<br />

wie der Konzern der gewerblichen Wirtschaft,<br />

den das Recht zwar anspricht, aber aus Effizienzgründen jedenfalls<br />

„leben“ lässt 258 . Die Ballung professionellen Kön-<br />

249 Cal.Prof. & Bus.Code (West Supp.2001) sec. 6125 lautet wie folgt: „No person<br />

shall practice law in California unless the person is an active member of<br />

the State Bar.“<br />

250 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922, 927, 928 (Cal.Ct.App<br />

1998).<br />

251 Mankowski, AnwBl. 2001, 249, 253.<br />

252 Andeutungsweise Mankowski, AnwBl 2001, 249, 254.<br />

253 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487 (Haw.<br />

1998).<br />

254 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />

255 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497-98<br />

(Haw. 1998).<br />

256 Vgl. Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497<br />

(Haw. 1998): „At a minimum, this rule [i. e. eine Gebührenversagung,<br />

d.Verf.] would be to increase the total cost of legal representation and magnify<br />

the difficulty of controlling multijurisdictional litigation“.<br />

257 Grundlegend Gilson, 94 Yale L.J. 239 (1984).<br />

258 Köndgen, in:Hans-Bernd Schäfer/Claus Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse<br />

des Unternehmensrechts, 1993, S. 150 f.; Druey, ZGR-Sdh. 11/1994, 312,<br />

345; Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, in: diess. (Hrsg.), Handbuch der<br />

Konzernfinanzierung, 1998, Rn. 1.30, 1.31; zu allem auch Knöfel, JA 1997,<br />

723, 725.


18<br />

l<br />

nens in internationalen Anwaltssozietäten ermöglicht die<br />

Abwicklung internationaler Transaktionen in vorher undenkbarem<br />

Arbeitstempo und mit beispielloser Effektivität<br />

259 . Die Professionalisierung z. B. von Unternehmensund<br />

Immobilienprüfungen (due diligence und andere Testate)<br />

macht der Mandantschaft riesige Dokumentationskapazitäten<br />

260 , damit eine breite Sparte ökonomisch<br />

erwünschter Tools zugänglich 261 , die sonst allenfalls die<br />

großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften – allerdings ohne<br />

juristisch evaluierten Output – anzubieten vermöchten. Die<br />

großen internationalen Anwaltsunternehmen werden damit<br />

zu ökonomisch erwünschten, wohlfahrtssteigernden Organisationseinheiten,<br />

die Wertschöpfung ermöglichen 262 . Die in<br />

ihnen tätigen Anwälte erscheinen in diesem System als vorwiegend<br />

technokratisch tätige „transaction cost engineers“<br />

263 , die ihrer Beteiligtenrolle an der Gesamtrechtspflege<br />

ein neues institutionelles Gewicht geben. Der<br />

persönlich identifizierte, generalistische Fürsprecher in jeder<br />

Notlage des Rechtssuchenden – historischer Typus des<br />

Anwalts an sich – wird zum hoch qualifizierten und -spezialisierten<br />

Transaktionsmanager, dessen Dienste man sich<br />

für das Alltagsgeschäft der transnationalen Unternehmensmandanten<br />

schon deshalb versichert, damit dieses reibungslos<br />

und transaktionskostensparend geführt, teilweise überhaupt<br />

erst ermöglicht werden kann. Dem Anwalt<br />

persönlich entgegengebrachtes Vertrauen löst institutionalisiertes<br />

Vertrauen („artificial trust“) ab 264 . Letzteres traf auf<br />

die maßgeblich von den großen internationalen Anwaltssozietäten<br />

begleitete Erschließung osteuropäischer und<br />

asiatischer Märkte zu. Diese Märkte haben die Anwälte oft<br />

nicht einmal mehr als Parteivertreter innerhalb eines vorgefundenen<br />

Rechtssystems betreten, sondern das Rechtssystem<br />

auf Grund ihres juristischen Know-hows maßgeblich<br />

miterrichtet, was zugleich als hervorragendes Beispiel für<br />

den institutionell erwünschten Output der Großkanzleitätigkeit<br />

gelten darf 265 . Die in mehreren Jurisdiktionen auch institutionell<br />

formierte Anwaltstätigkeit stellt sich damit<br />

grundsätzlich nicht (mehr) als rechtlich unerwünschtes,<br />

durch die Globalisierung der Rechtsberatung geschaffenes<br />

Faktum, sondern als rechtlich anerkennenswerte Form der<br />

anwaltlichen Berufstätigkeit als solcher dar.<br />

d) Vermeidung von Berufsrechtskonflikten durch<br />

Vermeidung starrer Aufgreifkriterien<br />

Besonders hervorzuheben ist die Annahme des Supreme<br />

Court, dass starre, auf den Sitz des Mandanten oder eine<br />

Berührung des Tätigkeitsstaats abstellende Aufgreifkriterien,<br />

um den extraterritorialen Anwendungsbereich von Berufsrecht<br />

zu bestimmen, den Anwalt in einen vermeidbaren<br />

Berufsrechtskonflikt stürzen können. Das Gericht leitet die<br />

berufsrechtliche Pflicht des Anwalts, den Mandanten gewissenhaft,<br />

sach- und fachgerecht und in jeder Hinsicht<br />

umfassend zu vertreten, aus HRPC 266 R. 1.1 ab 267 , die inhaltlich<br />

ABA Model Rules R. 1.1 268 entspricht und zu umfassender<br />

Sorgfalt bei der Vertretung des Mandanten auch<br />

und gerade im internationalen Mandat auffordert 269 .<br />

e) Bewertung für das deutsche Berufsrecht<br />

Im deutschen Recht bildet die Pflicht des Anwalts zur<br />

gewissenhaften Vertretung des Mandanten auf Grund der<br />

Generalklausel in § 43 BRAO die zentrale Anforderung des<br />

anwaltlichen Berufsrechts überhaupt. Der Mandant kann<br />

„berufsmäßiges“ Verhalten seines Anwalts einfordern270 ,<br />

was als zivilrechtliche Pflicht nach dem Recht zu beurteilen<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

ist, das das Mandatsverhältnis bestimmt. Diese Pflicht<br />

müsste der Anwalt vernachlässigen, wenn er seinen Mandanten<br />

– besonders denjenigen, mit dem ihn eine langjährige<br />

Geschäftsbeziehung verbindet – beim Eintritt in eine<br />

andere Jurisdiktion allein ließe, weil ihm, dem Anwalt, ansonsten<br />

unvermeidbar die Anwendung dortiger Berufsrechtsvorschriften<br />

droht. Es liegt ein Fall unvermeidbarer<br />

Pflichtenkollision vor, der im Interesse des Mandanten, von<br />

„seinem“ Anwalt vertreten zu werden, nicht zu Gunsten einer<br />

starren Befolgung der berufsrechtlichen Norm, sondern<br />

nur zu Gunsten des Anwalts gelöst werden kann. Der interstaatliche<br />

oder internationale Anwendungsbereich der berufsrechtlichen<br />

Norm steht unter dem Vorbehalt, dass er<br />

sich von selbst versagt, wenn die Vertretung des Mandanten<br />

durch den Anwalt in der „fremden“ Jurisdiktion dem professionellen<br />

Bedürfnis nach sach- und fachgerechter Tätigkeit<br />

entspringt und im Einzelfall auch lege artis ausgeführt<br />

wird. Nur so kann der Anwalt von einer innerberufsrechtlichen<br />

Pflichtenkollision entlastet werden. Hier handelt es<br />

sich nun nicht darum, letztlich doch Einzelmandantenschutz<br />

über die Reichweite von Berufsrecht entscheiden zu lassen.<br />

Dies ist im anwaltlichen Berufsrecht nicht möglich 271 .Es<br />

handelt sich vielmehr darum, zwei Pflichtenpositionen des<br />

Anwalts selbst in Einklang zu bringen, von denen die bedeutendere,<br />

das Gebot sachgerechter Vertretung (§ 43<br />

BRAO) einem institutionellen Mandantenschutz verpflichtet<br />

ist. Der Anwalt dient dem Recht, indem er dem Mandanten<br />

dient 272 . Es kann dem Rechtsanwalt daher nicht zugemutet<br />

werden, seinen Mandanten nur deshalb nicht sachgerecht<br />

vertreten zu können, weil er sich ansonsten dem fremdstaatlichen<br />

Berufsrecht unterwerfen müsste. Man wende auch<br />

nicht ein, die Unterwerfung unter diese Bestimmungen sei<br />

nun einmal der „Preis“, den der Anwalt für sein mehrstaatliches<br />

Engagement zu zahlen habe. Davon abgesehen, dass<br />

dieser „Preis“ (z. B. die Rechtsermittlungskosten für die<br />

Feststellung fremdstaatlicher Berufsrechte) Gefahr läuft, im<br />

Ergebnis zu Lasten des Mandanten zu gehen, darf er auch<br />

nicht gefordert werden. Das mehrstaatliche Engagement ist<br />

eine Rechtspflegeaufgabe, die von § 2 BRAO umschlossen<br />

wird. Es dient dem übergeordneten Interesse an einer funktionsfähigen<br />

Rechtspflege, wenn der Mandant darauf vertrauen<br />

kann, dass ihm Anwälte solches mehrstaatliches Engagement<br />

anbieten. Die mehrstaatliche Tätigkeit wird<br />

nachgefragt; sie ist nicht verboten. Dann erschiene es als<br />

259 Ausdrücklich Lachmann, FSReinhold Geimer, 2002, S. 513, 514 f.; nur beschreibend<br />

Bungert, MDR 1994, 864 f.<br />

260 Jaletzke, The International Lawyer – Freundesgabe für Wulf H. Döser, 1999,<br />

S. 199 f.; Böhlhoff, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 153, 156.<br />

261 Lachmann, FSReinhold Geimer, 2002, S. 513, 514 f.<br />

262 Gilson, 94 Yale L.J. 239 ff. (1984).<br />

263 Gilson, 94 Yale L.J. 239, 253 (1984); Galanter, 66 U.Cin.L.Rev. 805, 807<br />

(1998).<br />

264 Galanter, 66 U.Cin.L.Rev. 805, 807 (1998).<br />

265 Siehe Zemánek, Liber amicorum Kurt Siehr, The Hague Zürich 2000, S. 863;<br />

Buxbaum, in: Systemtransformation in Mittel- und Osteuropa und ihre Folgen<br />

für Banken, Börsen und Kreditsicherheiten, 1998, S. 53.<br />

266 Hawaii Rules of Professional Conduct.<br />

267 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497 (Haw.<br />

1998).<br />

268 ABA Model Rules R 1.1: „Competence. A lawyer shall provide competent<br />

representation to a client. Competent representation requires the legal knowledge,<br />

skill, thoroughness and preparation reasonably necessary for the representation.“<br />

269 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1138 f. (2001).<br />

270 Ahrens, in:Gerhard Walter (Hrsg.), Professional Ethics and Procedural Fairness,<br />

1991, S. 89, 143.<br />

271 Siehe oben IV 4d.<br />

272 Kasper, JZ 1995, 746, 751 f.


AnwBl 1/2003 19<br />

Aufsätze l<br />

„Sonderopfer“, wenn man ein Verhalten des Anwaltes, der<br />

sich nach Kräften bemüht, allen fachlichen Anforderungen<br />

an diese Tätigkeit nachzukommen, mit der grundsätzlichen<br />

Anwendbarkeit mehrerer Berufsrechtsordnungen – anders<br />

ausgedrückt: der Anwendbarkeit der eigenen Berufsrechtsordnung<br />

um jeden Preis oder anhand starrer, formeller Kriterien<br />

– belegt.<br />

VI. Ergebnis: Berufsbezogene Rechtsanwendungsregeln<br />

für anwaltliches Berufsrechts<br />

Damit ergibt sich folgender Rechtssatz, an dem das<br />

Rechtsanwendungsrecht für den Fall, dass es zur Anwendung<br />

deutschen Berufsrechts führt, ausgerichtet werden<br />

sollte: Das Recht des Tätigkeitsstaates ist nicht zum Nachteil<br />

des Rechtsanwalts auf diesen anzuwenden, wenn die<br />

Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesem Staat erforderlich<br />

war, um eine sachgerechte Vertretung nach den Regeln desjenigen<br />

Rechts, das das Mandatsverhältnis regiert, zu gewährleisten.<br />

Die so gewonnene Aussage dient als praktikable<br />

Leitlinie zur Anwendung derjenigen berufsbezogenen<br />

Rechtsanwendungssätze, die aus den geteilten Berufsüberzeugungen<br />

des geltenden Internationalen Berufsverwaltungsrechts<br />

(z. B. Nr. 2.6.2 CCBE Code of Conduct) abgeleitet<br />

werden können.<br />

Freie Advokatur,<br />

anwaltliches<br />

Berufsgeheimnis und<br />

datenschutzrechtliche<br />

Kontrollbefugnisse*<br />

Rechtsanwalt Privatdozent Dr. Giselher Rüpke MCL,<br />

Frankfurt am Main<br />

I. Einführung<br />

1. Problemlage<br />

Ein Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt<br />

ist für dessen berufliche Tätigkeit unerlässlich. Ohne die<br />

Wahrung des Berufsgeheimnisses kann es nicht bestehen 1 .<br />

Dazu gehört nicht nur die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht<br />

durch den Berufsträger selbst, sondern auch –<br />

mit den Worten des BVerfG 2 –, „dass dieser ...einen freien<br />

Beruf ausübt, der staatliche Kontrolle und Bevormundung<br />

prinzipiell ausschließt.“ Historische Grundlage hierfür ist<br />

die Ablösung des Advokatenstandes aus den Bindungen des<br />

(aufgeklärten) Absolutismus im Laufe des 19. Jahrhunderts<br />

3 . Im Rechtsstaat unter dem GG ist für Staatsnähe des<br />

Anwaltsberufs kein Platz 4 .<br />

a) Eine aus § 38 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) 5 folgende<br />

Berechtigung staatlicher Aufsichtsbehörden, anwaltliche<br />

Informationsverarbeitung zu prüfen, würde dazu in<br />

deutlichem Gegensatz stehen. Nach der genannten Bestimmung<br />

hat die Behörde die Aufgabe, die automatisierte<br />

Verarbeitung 6 personenbezogener Daten 7 bei „nicht-öffentlichen<br />

Stellen“ 8 zu kontrollieren, und zwar zur Sicherstellung<br />

der „Ausführung dieses Gesetzes [des BDSG] sowie<br />

anderer Vorschriften über den Datenschutz“. Die Auskunfts-<br />

und Kontrollrechte im Einzelnen sind in Abs. 3 und<br />

4 wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Prüf- und Betretungsrechten<br />

nachgebildet 9 , welche der besonderen Sensitivität<br />

der Informationen bei Berufsgeheimnisträgern nicht Rechnung<br />

tragen. Abs. 4 enthält – umgekehrt – einen Verweis<br />

auf § 24 Abs. 6 und Abs. 2 BDSG, wonach die „Kontrolle...sich<br />

auch auf...personenbezogene Daten... erstreckt...,<br />

die einem Berufs...geheimnis...unterliegen.“<br />

Die involvierte Problematik hat sich durch die BDSG-<br />

Novelle vom 18.5.2001 weiter verschärft, mit welcher die<br />

bisherige Voraussetzung für die Durchführung von Kontrollen,<br />

das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für eine<br />

Gesetzesverletzung im Einzelfall, fallen gelassen wurde 10 .<br />

Es sind jetzt allgemein routinemäßige Prüfungen durch die<br />

Verwaltung vorgesehen, was eine beträchtliche Ausweitung<br />

behördlicher Machtbefugnis beinhaltet.<br />

b) Die Landesregierungen bestimmen die zuständigen<br />

Aufsichtsbehörden 11 . In der Mehrzahl der Länder ist die<br />

staatliche Mittelbehörde als untere und das Innenministerium<br />

als oberste Aufsichtsbehörde bzw. dieses für sich allein<br />

zuständig 12 . Teilweise ist die Aufgabe den Landesdatenschutzbeauftragten<br />

zugewiesen 13 , die zwar im Rahmen<br />

ihrer Hauptfunktion, nämlich der Ausübung der Datenschutzkontrolle<br />

gegenüber der öffentlichen Verwaltung, unabhängig,<br />

hinsichtlich ihrer Befugnisse nach § 38 BDSG<br />

aber nach bisheriger/überwiegender Auffassung in die Hierarchie<br />

der Exekutive einzubinden sind 14 . Andere öffentlichrechtliche<br />

Einrichtungen – wie etwa die Rechtsanwaltskammern<br />

in Ansehung der Informationsverarbeitung durch<br />

Rechtsanwälte – zur Aufsichtsbehörde nach § 38 zu bestim-<br />

* Der Autor lehrt Öffentliches Recht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

und ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Frankfurt a. M. tätig. Er ist<br />

Vorsitzender des Ausschusses für Datenschutzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />

1 Die deutsche Rechtstradition bezieht sich hierfür auf den Eid der Reichskammergerichtsadvokaten,<br />

vgl. BGHZ 109, 260 = NJW 1990, 510 (512) vom<br />

30.11.89; ausführlich A. und M. Friedlaender, Rechtsanwaltsordnung, 1930,<br />

Exkurs I zu § 28, S. 152 ff.; BVerfGE 33, 367 (377 f.) vom 19.7.1972 – Sozialarbeiter.<br />

2 BVerfGE 34, 293 ( 302) vom 14.2.1973 – Ensslin-Kassiber; übereinstimmend<br />

50, 16 (29) vom 8.11.1978 – Belehrung durch Kammervorstand.<br />

3 Vgl. Gneist, Freie Advokatur, 1867, S. 49 ff.; K. Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat,<br />

1980, S. 2 ff.; G. Pfeiffer, Die freie Anwaltschaft im Rechtsstaat,<br />

in: Hundert Jahre Rechtsanwaltskammern, Schriftenreihe der BRAK,<br />

Bd. 2, 1981, S. 58 ff.; Brangsch, Rechtsanwalt – ein ständiges Ärgernis?,<br />

aaO., S. 93 (99 ff.); Ostler, 100 Jahre Rechtsanwaltsordnung, NJW 1979,<br />

1959 f.<br />

4 Vgl. BVerfGE 87, 287 (321, 324) vom 4.11.1992 – Zweitberuf des Anwalts;<br />

zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen im Einzelnen vgl. den Überblick<br />

bei Hartstang, Anwaltsrecht 1991, S. 256 ff., mit umfangr. Nw.<br />

5 i. d. F. vom 20.12.1990, neu gefasst im Rahmen der Anpassung an die EG-Datenschutzrichtlinie<br />

(s. unten Fn. 44) durch Ges. vom 18.5.2001.<br />

6 unter Einschluss manueller Datenverarbeitung, sofern sie in oder aus Dateien<br />

(§ 3 Abs. 2 S. 2 BDSG) stattfindet, vgl. dazu Näheres in § 27 BDSG.<br />

7 Vgl. die Definition in § 3 Abs. 1 BDSG.<br />

8 Zu den „nicht-öffentlichen“ „verantwortlichen Stellen“ vgl. §§ 3 Abs. 7, 2<br />

Abs. 4 S. 1, 27 Abs. 1 Nr. 1 BDSG.<br />

9 Vgl. z. B. § 52 Abs. 2 und 5 BImSchG, § 44 Abs. 1 und 6 KWG, § 59 GWB;<br />

allgemein dazu Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung,<br />

1989.<br />

10 Darin ist eine generelle Anpassung an Art. 28 EuDatSR (unten Fußn. 44), zu<br />

sehen, vgl. die Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 14/4329 vom<br />

13.10.2000, S. 119.<br />

11 Vgl. § 38 Abs. 6 BDSG.<br />

12 Vgl. die Übersicht bei Schaffland/Wiltfang, BDSG, Komm., Lfg. 3/02, § 38<br />

Anh. 1.<br />

13 Insbesondere in den drei Stadtstaaten, auch in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein.<br />

14 So ausdrücklich § 22 Abs. 6 S. 2 NdsDSG; anders § 33 Abs. 1 S. 2 BlnDSG,<br />

§§ 39 Abs. 2, 38 LDSG-SH; § 23 Abs. 7 HmbDSG klärt die Frage nicht abschließend.<br />

Für strikte Weisungsgebundenheit (Fachaufsicht) Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz,<br />

Komm. zum BDSG, Lfg. 7/94, § 38 Rdnrn. 44,<br />

43; a. A. Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 8 Rdnr. 176.


20<br />

l<br />

men, ist, soweit ersichtlich, von den Landesregierungen bislang<br />

noch nicht in Erwägung gezogen worden.<br />

2. Anlass und Gang der Untersuchung<br />

Einzelne Aufsichtsbehörden haben in jüngster Zeit den<br />

Versuch gemacht, auf die Vorschriften des BDSG gestützt<br />

Kenntnis von bei Rechtsanwälten verarbeiteten Informationen,<br />

die dem Berufsgeheimnis unterfallen, unter Androhung<br />

von Zwangsmaßnahmen bzw. Bußgeldern zu erlangen.<br />

Es besteht also Veranlassung, sich mit der Recht- und<br />

Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens auseinander<br />

zu setzen. Zudem gilt es, vom Berufsrecht her adäquate<br />

Lösungen zu finden, um durch anwaltliche Informationsverarbeitung<br />

ggf. aufgeworfenen Fragen des Datenschutzes gerecht<br />

zu werden. Dabei können die institutionellen Vorgaben<br />

des anwaltsberuflichen Selbstverwaltungsrechts eine<br />

konstruktive Rolle spielen.<br />

Die nachfolgende Darstellung weist zunächst auf einige<br />

Aspekte zu der Ausgangsfrage hin, ob das BDSG aus materiell-rechtlichen,<br />

insbesondere verfassungsrechtlichen<br />

Gründen überhaupt auf die Datenverarbeitung von Rechtsanwälten<br />

anwendbar ist (Teil II). Unabhängig davon wird<br />

sodann die Bedeutung der Subsidiarität des BDSG gegenüber<br />

den Regelungen des Berufsrechts erörtert, vor allem im<br />

Hinblick auf die Kontrollzuständigkeit der Rechtsanwaltskammern<br />

(Teil III). Besondere Probleme sind mit Blick auf<br />

die EG-Datenschutzrichtlinie (EuDatSR) 15 zu klären, zumal<br />

wegen deren Vorgaben zu den Kontrollstellen (Teil IV).<br />

Schließlich wird zur Gewinnung eines Lösungsmodells die<br />

Weiterentwicklung der BRAO unter Berücksichtigung der<br />

vom Verfassungsrecht gesteckten Grenzen erwogen<br />

(Teil V).<br />

II. Rechtssystematische und verfassungsrechtliche<br />

Grundfragen<br />

Ob die mandatsbezogene Informationsverarbeitung dem<br />

BDSG unterfällt und Rechtsanwälte insoweit als verantwortliche<br />

Stellen nach dem Dritten Abschnitt des BDSG zu<br />

behandeln seien, ist außerordentlich zweifelhaft. Diese<br />

grundsätzliche, im Wesentlichen verfassungsrechtliche Problematik<br />

ist jedoch nicht der Hauptgegenstand der vorliegenden<br />

Untersuchung. Es werden hierzu im Folgenden nur<br />

kurze Hinweise gegeben16 .<br />

1. Der Anwalt als Vertreter der Interessen seines<br />

Mandanten<br />

Anwaltliche Informationsverarbeitung dient von Berufs<br />

wegen der (Partei ergreifenden) Interessenwahrnehmung zu<br />

Gunsten des Mandanten 17 . Sie entzieht sich von daher den<br />

Grundsätzen der Abwägung von „berechtigten Interessen“<br />

des Verarbeiters gegenüber dem „schützwürdigen Interesse<br />

des Betroffenen“ nach allgemeinem Datenschutzrecht. Insbesondere<br />

vermag deshalb § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG – als<br />

solcher einschlägig für nicht auf den Mandanten (Vertragspartner<br />

des Anwalts) bezogene Daten – nicht Platz zu greifen18<br />

. Besonders deutlich wird das für die Speicherung und<br />

weitere Verwendung von Daten, die sich auf den Gegner<br />

beziehen 19 . Es entspricht nicht der berufsrechtlichen Rolle<br />

des Anwalts, beim Umgang mit Information – jenseits der<br />

Beachtung des Sachlichkeitsgebots – berechtigte Interessen<br />

des Mandanten gegen solche beliebiger Dritter abzuwägen,<br />

wie es ggf. dem Richter zukommt. Für dieses Dilemma hat<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

die datenschutzrechtliche Diskussion bislang keine überzeugende<br />

Lösung gefunden 20 .<br />

2. Der verfassungsrechtliche Rang anwaltlicher<br />

Kommunikation<br />

Die freie Advokatur genießt nach der verfassungsgerichtlichen<br />

Rechtsprechung den besonderen Schutz des<br />

Art. 5 GG 21 . Die Konsequenzen sind zu berücksichtigen.<br />

a) Das generelle Verarbeitungsverbot mit gesetzlichem<br />

Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 BDSG widerstreitet der<br />

„Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede“ i. S. der<br />

Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz von „Beiträge[n]<br />

zum geistigen Meinungskampf“ nach Art. 5 GG 22 .DieAnwendung<br />

dieses Grundsatzes auf die Tätigkeit der Presse ist<br />

bekannt – und entspricht geltendem Datenschutzrecht 23 –.<br />

Für anwaltliche Kommunikation im System der Rechtspflege<br />

– im „Kampf ums Recht“ 24 – gilt dasselbe 25 .<br />

b) Freiheit der Kommunikation schließt eine Beurteilung<br />

derselben danach aus, ob sie erforderlich oder nicht erforderlich<br />

– vielleicht sogar „überflüssig“ – sei. Schranken<br />

kann sie nach Art. 5 Abs. 2 nur insoweit finden, als dies –<br />

umgekehrt – zum Schutz anderer Rechtsgüter jeweils erforderlich<br />

ist 26 . § 28 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BDSG legt ka-<br />

15 Vgl. unten Fn. 44.<br />

16 Ausführliche Untersuchung zu diesen Fragen bei Rüpke, Freie Advokatur, anwaltliche<br />

Informationsverarbeitung und Datenschutzrecht, 1995, Teile B II, C<br />

und E.<br />

17 Vgl. §§ 3 I, III, 43 a IV BRAO, §§ 1 III, auch 11 BORA.<br />

18 Dazu ausführlicher Rüpke (o. Fußn. 16), S. 28 f.; ders., Anwaltsrecht und Datenschutzrecht,<br />

NJW 1993, 3097 (3100 f.).<br />

19 Zu dieser Problematik H. Zuck, in:R. B. Abel, Hrsg., Datenschutz in Anwaltschaft,<br />

Notariat und Justiz, 2. Aufl., erscheint 2002/03, § 2 Abschn. II 4 a.<br />

20 Simitis (o. Fußn. 14), Lfg. 4/98, § 28 Rdnrn. 83–86, weicht dem Problem in<br />

stillschweigender Abkehr von der Vorauflage (s. am Ende dieser Fn.), § 23<br />

Rdnrn. 37–40, aus, indem er contra legem die Verarbeitung von drittbezogenen<br />

Daten nach § 28 I 1 Nr. 1 für zulässig erachten möchte; a. A. Bergmann/<br />

Möhrle/Herb, BDSG, Lfg. 10/96, § 28 Rdnr. 26; Auernhammer, BDSG, 1993,<br />

§ 28 Rdnr. 18. H. Redeker, in:Abel (o. Fußn. 19), § 4 Rdnrn. 32 f., möchte die<br />

Abwägung für den Anwalt durch den Hinweis erleichtern, der Dritte müsse<br />

die Speicherung in Akten (insofern wegen § 27 BDSG keine Anwendung des<br />

Gesetzes) ohnehin hinnehmen, so dass er durch die Verwendung von EDV<br />

nicht wesentlich beeinträchtigt sein könne; damit hebelt dieser Autor die Bedeutung<br />

des Datenschutzrechts für nicht-öffentliche Stellen überhaupt weitgehend<br />

aus; vgl. zur reziproken Fragestellung beim Kriterium Erforderlichkeit<br />

Dammann (o. Fußn. 14), § 14 Rdnr. 13, sowie in der Vorauflage Simitis/Dammann/Mallmann/Reh,<br />

1981, § 9 Rdnrn. 18 f.<br />

21 Vgl. BVerfGE 76, 171 (192 f.) vom 14.7.1987 – RichtlRA.I; 26, 186 (205)<br />

vom 11.6. 69 – „Roland Freisler“; BGHSt 21, 206 = NJW 1967, 891 f., vom<br />

16.1.1967; auch BVerfGE 76, 196 (207, 208 ff.) vom 14.7.1987 – RichtlRA.II;<br />

vom 22.8.1990, NJW 1991, 1045 (l.Sp.) – Sachlichkeitsgebot/Patentanwalt;<br />

Odersky, Anwaltliches Berufsrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung,<br />

1991, S. 15, 16. Zur diesbezüglich ungerechtfertigten Zurückhaltung in der Literatur<br />

Rüpke (o. Fußn. 16), S. 71 mit Fn. 338; auch bei H. Zuck (o. Fußn. 19),<br />

Abschn. II 1 b a. E., kommt diese Grundrechtsposition nicht hinreichend zum<br />

Tragen.<br />

22 Vgl. BVerfGE 7, 198 (212) vom 15.1.1958 – Lüth; wörtlich übereinstimmend<br />

61, 1 (11) vom 22.6.1982 – „NPD von Europa“; vom 5.3.1992, NJW 1992,<br />

2815 (2816) – „Gestapo-Methoden“; weiterhin (u. a.) BVerfGE 82, 43 (50 ff.)<br />

vom 19.4.1990 – „Faschistenfreund“; 82, 272 (280 ff.) vom 26.6.1990 –<br />

„Zwangsdemokrat“; 86, 1 (8 ff.) vom 25.3.1992 – „geb. Mörder“; BVerfGE 85,<br />

1 (16) vom 9.10.1991 – Bayer-Flugblatt; 66, 116 (139) vom 25.1.1984 – Wallraff<br />

–: „... je mehr es sich.... um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf<br />

in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt....“<br />

23 Vgl. § 41 BDSG, Art. 9 EuDatSR (unten Fn. 44); dabei geht das – in der Ausgestaltung<br />

im Einzelnen rechtspolitisch umstrittene – Medienprivileg beträchtlich<br />

über den Ausschluss des Verarbeitungsverbots i. S. d. § 4 Abs. 1 BDSG<br />

hinaus.<br />

24 Vgl. BVerfGE 26, 205 (o. Fn. 21); 63, 266 (284) vom 8.3.1983 „KBW“; BVerf-<br />

GE 76, 192 (o. Fn. 21); BVerfG vom 12.3.1990 (2. K. des I. Sen.), NJW 1991,<br />

2274; vom 22.8.1990, NJW 1991, 1045; auch vom 11.4.1991 (2. K. des II.<br />

Sen.), NJW 1991, 2074 (2075 r.Sp.); beachte schon den Titel des Werks Rudolf<br />

v. Jherings, Der Kampf um’s Recht, 3.Aufl., Wien 1873.<br />

25 Dazu ausführlich unter Auswertung der Rspr. des BVerfG Rüpke (o. Fußn. 16),<br />

Teil C II und III.<br />

26 Kommunikation, die sich am Maßstab adäquater Mittel-Zweck-Relation messen<br />

lassen müsste, wäre nicht mehr frei. Der Wechselwirkungstheorie zu<br />

Art. 5 Abs. 2 GG – BVerfGE 7, 208 (o. Fußn. 22) – entspricht allein der umgekehrte<br />

Ansatz.


AnwBl 1/2003 21<br />

Aufsätze l<br />

tegorisch ersteren Maßstab an 27 und hat deshalb im Anwendungsbereich<br />

des Art. 5 GG keinen Bestand 28 .<br />

c) Die Unanwendbarkeit der materiell-rechtlichen Kernbestimmungen<br />

des BDSG auf anwaltliche Informationsverarbeitung<br />

begründet schon für sich genommen starke Zweifel<br />

an der Anwendbarkeit der übrigen gesetzlichen<br />

Bestimmungen für diesen Bereich. Das gilt gerade auch für<br />

die Kontrollbefugnisse nach § 38 BDSG. Letztere gelten<br />

primär der Ausführung des BDSG und sind, wenn dessen<br />

materiell-rechtliche Vorschriften nicht greifen, insoweit leer<br />

laufend. Darüber hinaus sind sie i. S. d. Rechtsprechung des<br />

BVerfG Teil einer Gesamtregelung – nämlich derjenigen<br />

des BDSG –, so dass ihnen Gültigkeit für sich allein nicht<br />

zugesprochen werden kann 29 .<br />

III. Subsidiarität des BDSG gegenüber dem anwaltlichen<br />

Berufsrecht<br />

Kommt ungeachtet der vorangegangenen Ausführungen<br />

die Anwendung des BDSG auf anwaltliche, mandatsbezogene<br />

Informationsverarbeitung überhaupt in Betracht, dann<br />

verbleibt jedenfalls genauer zu prüfen, ob und inwieweit es<br />

gegenüber anwaltsrechtlichen Regelungen subsidiär ist 30 .<br />

Diese Frage näher zu untersuchen, ist angezeigt, schon um<br />

unabhängig von den sich aufdrängenden Grundsatzfragen,<br />

welche ggf. der verfassungsgerichtlichen Entscheidung<br />

bedürften, die Position der Anwaltschaft insbesondere gegenüber<br />

staatlichen Datenschutzinstanzen klarstellen zu<br />

können.<br />

1. Subsidiaritäts- und Vorrangklauseln, insbesondere das<br />

Berufsgeheimnis betreffend<br />

a) § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG räumt anderen Rechtsvorschriften<br />

des Bundes Vorrang ein, soweit sie (auch) auf personenbezogene<br />

Daten anzuwenden sind 31 . Solche Vorschriften<br />

sind § 43 a Abs. 2 BRAO und § 2 BORA. Diese bleiben<br />

(zudem) nach § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG „unberührt“, was sich<br />

freilich auch schon aus S. 1 ergibt 32 . § 2 Abs. 3 BORA regelt<br />

ausdrücklich, dass die Pflicht zur Verschwiegenheit<br />

nicht gilt, „soweit... andere Rechtsvorschriften 33 Ausnahmen<br />

zulassen“. Zu letzteren zählt fraglos z. B. die Pflicht<br />

zur Anzeige drohender Verbrechen nach §§ 138, 139 Abs. 3<br />

StGB 34 . Dem BDSG, das sich umgekehrt gerade selbst für<br />

subsidiär erklärt, können entsprechende Ausnahmen (jedenfalls)<br />

nur insofern entnommen werden, als es solche ausdrücklich<br />

vorsieht.<br />

b) Das geschieht an einer Stelle des Gesetzes. Nach § 24<br />

Abs. 2 Nr. 1 BDSG umfasst die Kontrolle durch den Bundesdatenschutzbeauftragten<br />

auch „personenbezogene Daten,<br />

die einem Berufs... geheimnis...unterliegen“. Dasselbe soll<br />

gemäß § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG für die Betretungs-,<br />

Prüfungs-, Besichtigungs- und Einsichtsrechte der Aufsichtsbehörde<br />

gelten. Die Regelungen stehen in auffälligem<br />

Gegensatz zu dem unter a) genannten allgemeinen Grundsatz<br />

des § 1 Abs. 3 BDSG. Von daher schon legt sich ihre<br />

restriktive Auslegung nahe, die u. a. dahin führt, § 38<br />

Abs. 4 S. 3 nicht entsprechend auf Abs. 3, also auf Auskunftspflicht,<br />

anwendbar ist 35 . Sonst wäre der Anwalt<br />

bezüglich letzterer nach datenschutzrechtlicher Gesetzeslage<br />

gegenüber der Exekutive weit weniger geschützt als<br />

gemeinhin gegenüber gerichtlichen Untersuchungen 36 .<br />

c) Was die aufsichtsbehördlichen Rechte aus § 38 Abs. 4<br />

selbst angeht, so scheitern sie gegenüber Anwaltspraxen als<br />

Einschränkungen des Art. 13 GG schon am Fehlen eines Zitats<br />

gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Seit der Novellierung<br />

von 1990 hat der Gesetzgeber auf den Hinweis auf eine<br />

Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung verzichtet<br />

37 . Auf die Bedeutung des Art. 13 GG wird im Zusammenhang<br />

berufsrechtlicher Neugestaltung zurückzukommen<br />

sein 38 . Zunächst bedarf es hierzu im Hinblick auf die unmittelbar<br />

nachfolgenden, weiter greifenden Überlegungen zur<br />

Subsidiarität des § 38 BDSG keiner Vertiefung.<br />

2. Spezialgesetzliche Kontrollzuständigkeit<br />

Der Verweis in § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG auf partielle Einschränkungsmöglichkeiten<br />

von Berufsgeheimnissen in entsprechender<br />

Anwendung des § 24 Abs. 2 enthält als solcher<br />

keine Aussage über die behördliche Kontrollzuständigkeit<br />

und die Anwendbarkeit der mit dieser ggf. im Zusammenhang<br />

stehenden Verfahrensvorschriften. Insoweit ist es vielmehr<br />

die Vorschrift des § 38 BDSG in ihrer Gesamtheit, die<br />

sich ungeachtet der in Abs. 4 S. 3 getroffenen Teilregelung<br />

am Subsidiaritätsprinzip des § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG messen<br />

lassen muss, auch wenn sich dabei ergäbe, dass Abs. 4 S. 3<br />

in Ansehung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses obsolet<br />

ist.<br />

Das anwaltliche Berufsrecht trifft Regelungen zur Berufsaufsicht<br />

durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />

in §§ 56, 73 BRAO. Dabei trägt § 56 Abs. 1 S. 2 den Belangen<br />

des durch das Berufsgeheimnis geschützten Mandanten<br />

in besonderer Weise Rechnung. Es liegt hier eine „bereichsspezifische“<br />

Regelung39 vor, aus der sich die zuständige<br />

Kontrollinstanz ergibt und die darüber hinaus den Konflikt<br />

27 Dem liegt die im Datenschutzrecht oftmals – ohne genauere verfassungsrechtliche<br />

Reflexion – angenommene Präponderanz des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“<br />

zu Grunde.<br />

28 Vgl. M. Langer, Informationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung,<br />

1992, S. 149 ff., 206 f.; Brossette, Der Wert der Wahrheit im Schatten<br />

des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, 1991, S. 185 ff., 280;<br />

Rüpke (o. Fußn. 16), S. 101–104.<br />

29 Vgl. BVerfGE 8, 274 (301) vom 12.11.1958 – PreisG; 1, 264 (272) vom<br />

30.4.1952 – Schornsteinfeger; 9, 305 (333) vom 16.6.1959 – TilgungsG; 10,<br />

200 (220) vom 17.11.1959 – Friedensgerichte; 15, 1 (24 f.) vom 30.10.1962 –<br />

WassStrReinhaltgG; 26, 246 (258) vom 25.6.1969 – IngenieurG; 48, 127<br />

(177) vom 13.4.1978 – WehrpflichtG; 61, 149 (206 ff.) vom 19.10.1982 –<br />

StaatshaftungsG; 72, 330 (421 f.) vom 24.6.1986 – Finanzausgleich.<br />

30 Vgl. dazu insgesamt Rüpke, NJW 1993, 3097 ff.; ders. (o. Fußn. 16), S. 5 ff.;<br />

Abel, in:Abel (o. Fußn. 19), § 1 Abschn. II; H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II;<br />

von Lewinski, in:Abel (o. Fußn. 19), § 6 Abschn. A I; H. Redeker, in:Abel<br />

(o. Fußn. 19), § 4 Rdnrn. 8 ff.<br />

31 Vgl. dazu schon den umfangr. Beispielskatalog des § 45 BDSG 1977, der in<br />

die späteren Fassungen des Gesetzes nicht übernommen wurde, ohne dass<br />

dies eine inhaltliche Änderung bedeutet hätte, vgl. Auernhammer (o.<br />

Fußn. 20), § 1 Rdnr. 24.<br />

32 Für durch Bundesgesetz geregelte Geheimhaltungspflichten hat Satz 2 keine<br />

(zusätzliche) Bedeutung, vgl. Gola/Schomerus, 2002, BDSG, § 4 Rdnr. 12 ;<br />

Auernhammer (o. Fn. 20), § 1 Rdnr. 28; h. M.; davon weicht auch die von<br />

Walz (o. Fußn. 14), Lfg. 5/93, § 1 Rdnrn. 297 ff., vertretene Differenzierung<br />

im Ergebnis nicht wesentlich ab.<br />

33 § 2 Abs. 3 BORA sieht auch vor, dass die Berufsordnung selbst Ausnahmen<br />

zulassen könne, was nicht geschehen ist und von Hartung/Holl, Anwaltliche<br />

Berufsordnung, 2001, § 2 Rdnr. 30, für unzulässig erachtet wird.<br />

34 Vgl. im Übrigen Hartung/Holl (o. Fußn. 33), § 2 Rdnrn. 25 ff.; Eylmann, in:<br />

Henssler/Prütting, BRAO, 1997, § 43a Rdnrn. 54 ff.<br />

35 Zwischen Aussageverpflichtung – § 38 Abs. 3 BDSG – einerseits und der behördlichen<br />

Ausschöpfung übriger Erkenntnismittel – Abs. 4 – durch Besichtigung,<br />

Einsichtnahme, ggfs. Beschlagnahme und Prüfung andererseits differenziert<br />

das Verfahrensrecht auch sonst deutlich, vgl. §§ 53 Abs. 1, auch 136<br />

Abs. 1 S. 2, 163 a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO einerseits<br />

und §§ 97 Abs. 1 und 2, 110 StPO andererseits; zur unterschiedlichen verfassungsrechtl.<br />

Bewertung in Fällen potenzieller Selbstbezichtigung vgl. BVerfGE<br />

55, 144 (150 f.) vom 22.10.1980; BVerfGE 56, 37 (42 f.) vom 13.1.1981.<br />

36 Vgl. insgesamt zu obigen Ausführungen Rüpke (o. Fußn. 16), S. 43–46; im Ergebnis<br />

übereinstimmend H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II 3 c.<br />

37 Vgl. demgegenüber § 30 Abs. 3 S. 3 BDSG 1977.<br />

38 Unten Abschn. V 2 d; vgl. im Übrigen Rüpke (o. Fußn. 16), S. 46-56; übereinstimmend<br />

mit ausführlicher Begründung H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II 3<br />

c.<br />

39 Zum Erfordernis bereichsspezifischen Datenschutzrechts vgl. Simitis, 1981 (o.<br />

Fußn. 20), Einl. Rdnrn. 64, 85.


22<br />

l<br />

mit der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht eigens steuert<br />

40 .<br />

Die Regelung ist zudem aus informationsrechtlicher<br />

Sicht auch die speziellere41 gerade deshalb, weil die Berufspflichten,<br />

deren Einhaltung die Kammer zu überwachen hat<br />

(§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO), den Umgang mit Information<br />

zum Schwerpunkt haben 42 , wie ein Blick in die Berufsordnung<br />

lehrt. Der enge Zusammenhang zwischen berufs- und<br />

informationsrechtlichen Pflichten des Anwalts wurde<br />

kürzlich – wenn auch mit umgekehrter Intention – von einer<br />

involvierten Datenschutz-Aufsichtsbehörde verdeutlicht,<br />

welche gegenüber dem zuständigen Kammervorstand<br />

vorschlug, es sei doch ihre Aufgabe, u. a. zu überprüfen, ob<br />

Anwälte die Pflichten aus § 43 a BRAO einhalten. Damit<br />

würde die gesetzlich vorgesehene Kompetenzzuweisung<br />

nachgerade auf den Kopf gestellt.<br />

Die Spezifizität der anwaltsberuflichen, körperschaftlichen<br />

Selbstkontrolle – im Unterschied zu Gewerbe- oder<br />

Kommunalaufsicht – hat ihr besonderes Gewicht sowohl<br />

wegen der Sensitivität des Mandatsgeheimnisses als auch<br />

wegen der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts von der<br />

Staatsverwaltung, wie sie sich aus dessen besonderer Stellung<br />

im System der Rechtspflege und dem Rechtsstaatsprinzip<br />

ergibt. Das gefundene Ergebnis entspricht zugleich<br />

verfassungskonformer Interpretation 43 .<br />

IV. Europarechtliche Anforderungen an die Kontrollstelle<br />

Unabhängig davon, dass, wie in Teil II erläutert wurde,<br />

das BDSG aus verfassungsrechtlichen Gründen auf anwaltliche<br />

Informationsverarbeitung bei der Wahrnehmung von<br />

Mandaten nicht anwendbar ist, ist bei der Gestaltung bzw.<br />

Interpretation des Berufsrechts den Vorgaben der EG-Datenschutzrichtlinie<br />

(EuDatSR) 44 Rechnung zu tragen. Die<br />

Frage, ob sich besondere Konsequenzen ergeben könnten,<br />

wenn ein entsprechender Konflikt auch zwischen EU-Recht<br />

und grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Gewährleistungen<br />

des GG erkennbar wäre 45 , ist im vorliegenden Zusammenhang<br />

ohne Relevanz. Denn die genannte Richtlinie belässt<br />

dem Berufsrecht den erforderlichen Freiraum zur<br />

Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten der freien<br />

Advokatur und der Verschwiegenheitspflicht. Dies ergibt<br />

sich aus mehreren dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber<br />

Flexibilität einräumenden Klauseln sowohl im Text 46 als<br />

auch in den Erwägungsgründen47 der Richtlinie, ferner aus<br />

deren Entstehungsgeschichte 48 .<br />

1. Unabhängigkeit der Kontrollstelle – ministerialfreie<br />

Verwaltung<br />

a) Die deutsche datenschutzrechtliche Diskussion hatte<br />

allerdings wegen der Regelung der „Kontrollstelle“ im<br />

Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zunächst<br />

auf allgemeiner Ebene ein verfassungsrechtliches Problem<br />

unter dem GG ausgemacht. Der Text sah vor, dass von den<br />

Mitgliedstaaten (1.) eine „unabhängige staatliche Behörde“<br />

geschaffen werde, die (2.) mit „effektive(n) Eingriffsbefugnisse(n)“<br />

zu versehen sei 49 . Die erste Forderung deckte sich<br />

zweifelsfrei nicht mit der Weisungsgebundenheit staatlicher<br />

Behörden nach § 38 BDSG, insbesondere nicht mit der<br />

Fachaufsicht gegenüber den Mittelbehörden. Doch sich von<br />

der bestehenden deutschen Regelung zu trennen, um eine<br />

unabhängige Behörde zu schaffen, löste Bedenken wegen<br />

befürchteter Unzulässigkeit ministerialfreier Verwaltung<br />

aus, und zwar insbesondere im Hinblick auf die vorgese-<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

hene Ausstattung der Stelle mit hoheitlichen Befugnissen<br />

gegenüber dem Bürger50 .<br />

Allerdings halten Rechtsprechung und Literatur unter<br />

dem GG Freiräume von exekutivischer Weisungsgebundenheit<br />

zur Gewährleistung von – überwiegend fachspezifisch<br />

begründeter – politischer Unabhängigkeit in beträchtlich<br />

größerem Umfang für zulässig, als es die datenschutzrechtliche<br />

Diskussion hat erkennen lassen. Verfassungsrechtliche<br />

Voraussetzung ist dabei, dass für eine solche Gestaltung besondere<br />

sachliche Gründe vorliegen und dass den von der<br />

unabhängigen Instanz zu treffenden Entscheidungen keine<br />

zentrale politische Tragweite zukommt51 . Dem entsprechen<br />

zahlreiche Regelungen, und zwar auch im Kontext hoheitlicher<br />

Befugnisse, wie sie z. B. den Prüfungsämtern, den<br />

Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerung oder dem Bundeskartellamt<br />

zukommen52 .<br />

Die genannten Voraussetzungen sind auch für die Kontrolle<br />

der Datenverarbeitung bei nicht-öffentlichen Stellen<br />

gegeben. In der Sache geht es dabei regelmäßig um die Regulierung<br />

von Konflikten zwischen privatwirtschaftlichen<br />

Datenverarbeitern einerseits und ggf. in ihrem Persönlichkeitsbereich<br />

betroffenen Personen andererseits, also um<br />

Abklärungen und Konsequenzen in Bezug auf den Interessenwiderstreit<br />

zwischen Privaten. Dazu bedarf es einer neutralen,<br />

fachkundigen Instanz mit besonderen Befugnissen<br />

wegen der spezifischen Arbeitsbedingungen von EDV, insbesondere<br />

wegen deren mangelnder „Durchsichtigkeit“ für<br />

Außenstehende 53 . Auf der Grundlage (teilweise) erzwungener<br />

Transparenz kann sie überwiegend Ausgleichsfunktionen<br />

wahrnehmen. Es geht weniger um die Ausübung von<br />

Macht und/oder politische Gestaltung als vorrangig um<br />

Schlichtung und die Herstellung von Bedingungen für offene<br />

und faire Auseinandersetzung. Damit befinden sich die<br />

40 Vgl. für Näheres dazu Feuerich/Braun, BRAO, 2000, § 56 Rdnrn. 26 ff.; Hartung,<br />

in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34), § 56 Rdnr. 23.<br />

41 worauf § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG nicht (unmittelbar) abstellt; vgl. dazu Auernhammer<br />

(o. Fußn. 20), § 1 Rdnr. 26; anders wohl nur Walz (o. Fußn. 14), Lfg.<br />

5/93, § 1 Rdnr. 281. Beachte aber die etwas anders gelagerte Fragestellung zur<br />

Subsidiarität bei der Regelung behördlicher Zuständigkeit, s. dazu nachfolgenden<br />

Text vor Fn. 43.<br />

42 Vgl. zur Bewertung der Spezialität bei Normen mit sich nicht überdeckenden,<br />

sondern überschneidenden Tatbeständen bzw. Regelungskomplexen Larenz/<br />

Canaris, Methodenlehre der Rechtswiss., 1995, Kap. 2 Abschn. 4 (S. 89 – 91);<br />

Zippelius, Juristische Methodenlehre, 1999, S. 35 f.<br />

43 Vgl. o. Fn. 2–4, unten Fn. 58 und Abschn. V 1 b, c und 2.<br />

44 Richtlinie 95/46/EG vom 24.10.1995, ABl EG L 281/31.<br />

45 Vgl. dazu BVerfGE 73, 339 (378 ff.) vom 22.10.1986 – Solange II; 102, 147<br />

(161 ff.) vom 7.6.2000 – Bananenmarkt; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht,<br />

2001, Rdnrn. 809 ff.<br />

46 Vgl. Art. 5, Art. 7 lit c und e, Art. 13 Abs. 1 g, auch Art. 9; dazu Rüpke,<br />

AnwBl 1995, 381 (383 f.) = DuD 1995, 703 (704 f.); auch ders., EuZW 1993,<br />

145 (155 f.).<br />

47 Vgl. Nr. 22 S. 2, 68.<br />

48 Vgl. Baumeister/Göcken, ZAP 1995, 661 (663); Rüpke, AnwBl (wie Fn. 46).<br />

49 Vgl. dazu Art. 30 Abs. 1 und Abs. 2 Spiegelstrich 2 des Geänderten Vorschlags<br />

der Kommission vom 15.10.1992, KOM(92) 422 endg. – SYN 287;<br />

ganz ähnlich die Formulierungen in Art. 26 Abs. 1 und 2 des 1. Entwurfs,<br />

KOM(90) 314, enthalten in BR-Dr. 690/90.<br />

50 Vgl. dazu Jacob, DuD 1994, 480 (482); Lepper/Wilde, CR 1997, 703 (704);<br />

zuvor schon Schweinoch, RDV 1988, 64 (66); I. Wind, Die Kontrolle des Datenschutzes<br />

im nicht-öffentlichen Bereich, 1994, S. 40 ff., 43; ausgewogen (im<br />

Kontext der Datenschutzkontrolle im öffentlichen Bereich) die ausführliche<br />

Erörterung bei Dammann, Die Kontrolle des Datenschutzes, 1977, S. 155 ff.<br />

51 Vgl. BVerfGE 9, 268 (282) vom 27.1.1959 – BremPVG; auch 93, 37 (72 ff.)<br />

vom 24.5.1995 – MBG Schl.-H.; ferner die nachf. Fn.; AK-GG – Bull, 2001,<br />

Art. 86 Rdnrn. 27 ff.; K. Stern, Staatsrecht der BRD, Bd. II, 1980, § 41 IV 10<br />

b ß (S. 791); Lerche, in:Maunz-Dürig, Lfg. 12/89, Art. 86 Rdnrn. 70 ff.; Jarass/Pieroth,<br />

GG, Komm., 2002, Art. 86 Rdnrn. 3 f.; grundlegend Fichtmüller,<br />

Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 91<br />

(1966), 297 ff.;<br />

52 Vgl. dazu BVerfGE 22, 106 (113) vom 20.6.1967 – Steuerausschüsse zur Entscheidung<br />

über Steuereinsprüche.<br />

53 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46) vom 15.12.1983 – VolkszählungsG.


AnwBl 1/2003 23<br />

Aufsätze l<br />

Kontrollstellen keineswegs im Kernbereich der Exekutive,<br />

der der Regierungsverantwortung von Verfassungs wegen<br />

nicht entbehren soll.<br />

b) Die bezeichneten Bedenken der Datenschutzrechtler 54<br />

haben jedoch dahin geführt, dass der Richtlinientext in seiner<br />

Endfassung insbesondere eine Modifikation dahingehend<br />

erfuhr, dass die „[Kontroll-]Stellen die ihnen zugewiesenen<br />

Arbeiten in völliger Unabhängigkeit<br />

wahr...nehmen“. Die Unabhängigkeit erscheint damit nicht<br />

mehr als Attribut der Stelle, sondern der von ihr zu leistenden<br />

Arbeit 55 . Ob dieser semantische Unterschied weit trägt,<br />

ist sehr fraglich, wenngleich nunmehr häufig angenommen<br />

wird, Art. 28 EuDatSR erlaube den Fortbestand der Eingliederung<br />

der Aufsichtbehörde in die behördliche Hierarchie<br />

der Exekutive. Die Annahme hat dazu geführt, dass<br />

§ 38 BDSG anlässlich der Novellierung im Jahr 2001 diesbezüglich<br />

unverändert geblieben ist. Ein Argument, das<br />

diese Position bekräftigen soll, geht dahin, mit „völliger<br />

Unabhängigkeit“ sei nicht anderes gemeint als die Unabhängigkeit<br />

der Behörde von den zu Kontrollierenden 56 . Ein<br />

so einseitiges Verständnis von Unabhängigkeit verbietet<br />

sich jedoch schon wegen des Zusatzes „völlig“. Insbesondere<br />

bestehende Fachaufsicht verträgt sich mit Arbeitswahrnehmung<br />

in völliger Unabhängigkeit keineswegs 57 .<br />

2. Unabhängigkeit der Rechtsanwaltskammern<br />

Die Rechtsanwaltskammer steht außerhalb der Hierarchie<br />

der staatlichen Behörden 58 . Die „Staatsaufsicht“ der<br />

Landesjustizverwaltung ist auf Rechtsaufsicht beschränkt,<br />

§ 62 Abs. 2 BRAO 59 . Dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />

obliegt als „Behörde“ dieser Körperschaft die Berufsaufsicht,<br />

§§ 56, 73 BRAO. Er unterliegt dabei keinen Weisungen<br />

der Kammerversammlung, die seine Mitglieder auf<br />

vier Jahre unrevozierbar wählt. § 89 Abs. 2 Nr. 6 BRAO<br />

sieht die Entlastung des Vorstands vor; wird diese von der<br />

Kammerversammlung versagt, hat das keine rechtlichen<br />

Folgen, kann jedoch Auslöser für die Ausübung staatlicher<br />

Rechtsaufsicht sein 60 . Die Vorstandsmitglieder sind ehrenamtlich<br />

tätig, § 75 BRAO, womit sie – anders als regelmäßig<br />

Beamte und Richter – auch wirtschaftlich unabhängig<br />

von dieser Tätigkeit sind.<br />

Die Voraussetzungen für die Ausübung datenschutzrechtlicher<br />

Kontrolle in „völliger Unabhängigkeit“ sind<br />

also beim Vorstand der Rechtsanwaltskammer in besonderer<br />

Weise erfüllt. Auch eine Abhängigkeit von den zu<br />

überprüfenden Kollegen ist nicht erkennbar. Deren Einfluss<br />

als Kammermitglieder kann sich allenfalls auf Beschlüsse<br />

der Kammerversammlung erstrecken, die jedoch wegen der<br />

von der BRAO vorgenommenen Kompetenzabgrenzungen<br />

die Aufsichtsfunktionen des Vorstands nicht wesentlich zu<br />

berühren vermögen. Im Übrigen steht der Versammlung<br />

nach § 89 Abs. 1 S. 2 nur das Recht zur Erörterung allgemeiner<br />

Angelegenheiten zu 61 , während umgekehrt der<br />

Vorstand auch ihr gegenüber das Recht und die Pflicht zur<br />

Verschwiegenheit (§ 76 BRAO) hat.<br />

V. Berufsrechtliche Lösung<br />

1. Ausgangssituation<br />

Auf der Grundlage der gesetzlich geregelten und den<br />

Vorgaben der EuDatSR entsprechenden Kompetenz der<br />

Rechtsanwaltskammer zur Durchführung der Datenschutzkontrolle<br />

sind Überlegungen zur künftigen rechtlichen Ausgestaltung<br />

dieses Aufgabenbereichs am Platz. Denn die gegenwärtige<br />

Regelung des § 56 BRAO wird den<br />

EDV-technischen Gegebenheiten der Informationsverarbeitung<br />

nicht im erforderlichen Umfang gerecht. Die Aufsichtssache<br />

„Datenschutz“ bedarf insofern der gesetzlichen<br />

Präzisierung. Das besondere Charakteristikum des § 56<br />

Abs. 1 S. 2 darf dabei nicht in Frage gestellt werden. Es<br />

geht – unverändert auch gegenüber dem Vorstand der<br />

Rechtsanwaltskammer – um die weitestgehende Schonung<br />

des Mandatsgeheimnisses, welche vor allem dann in Rede<br />

steht, wenn der Vorstand auf Veranlassung und/oder zum<br />

Schutz von Nichtmandanten tätig werden soll 62 .<br />

a) Für den Umfang zulässiger Kontrollmaßnahmen<br />

kommt es demgemäß wesentlich darauf an, ob sie mit einem<br />

Eindringen in für die Mandatsführung gespeicherte Informationsinhalte<br />

notwendig verbunden sind oder nicht.<br />

Insbesondere die Überprüfung der für die Datensicherheit<br />

zu treffenden technischen und organisatorischen Maßnahmen<br />

i. S. d. § 9 BDSG 63 macht ein solches Eindringen überwiegend<br />

nicht erforderlich. Insoweit können diese auch zum<br />

Gegenstand routinemäßiger Kontrollen werden, welche sich<br />

allerdings kaum ohne Einblicke vor Ort realisieren lassen.<br />

Das Gesetz hätte dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />

hierfür also Betretungs- und Besichtigungsrechte in der<br />

Kanzlei einzuräumen (die während der Bürozeit und i. d. R.<br />

nur nach vorheriger Ankündigung wahrzunehmen wären) 64 .<br />

b) Wenn immer eine Kontrolle die verarbeiteten Inhalte<br />

in einer Weise einbezieht, dass dem Berufsgeheimnis unterfallende<br />

Information dabei den Prüfenden zur Kenntnis gelangt,<br />

ist dies an besonders gesteigerte Voraussetzungen zu<br />

knüpfen. Vom Verfassungsrecht her folgt das aus den Gewährleistungen<br />

der Art. 5 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG. Die<br />

Ableitung des Schutzes des Anwaltsgeheimnisses aus der<br />

erstgenannten Bestimmung, nämlich aus der negativen Meinungsfreiheit,<br />

macht zusätzliche analytische Schritte erforderlich,<br />

die nicht Gegenstand der vorliegenden Darstellung<br />

sein können65 . Analog zur grundrechtlichen Vermutung der<br />

Zulässigkeit freier anwaltlicher Rede (vgl. oben Abschn. II<br />

2 a) ist als Ergebnis – als verfassungsrechtliches Minimum<br />

– die Vermutung zu Gunsten des anwaltlichen Rechts auf<br />

Verschwiegenheit festzuhalten, so dass eine völlig unspezi-<br />

54 Ganz anders übrigens schon zuvor Simitis, CR 1987, 602 (610), welcher umgekehrt<br />

die deutsche Regelung der Aufsichtsbehörden im Hinblick auf Vorgaben<br />

des BVerfG für nicht verfassungsgemäß hält, insofern nach dem BDSG die<br />

Unabhängigkeit nicht gewährleistet sei; dazu kritisch Wind (o. Fußn. 50),<br />

S. 40 ff.; zur Unabhängigkeit von Datenschutzinstanzen vgl. weiterhin Mitrou,<br />

Die Entwicklung der institutionellen Kontrolle des Datenschutzes, 1993, 70 ff.<br />

55 Vgl. Dammann/Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, Komm., 1997, Art. 28<br />

Rdnr. 5.<br />

56 Vgl. F. Kopp, DuD 1995, 204 (211); Lepper/Wilde, CR 1997, 703 ff.; Wilde/<br />

Ehmann/Niese/Knoblauch, Bayer. DatenschutzG, Komm. Lfg. 12/98, Art. 34<br />

Rdnr. 2 c, auch aaO. insgesamt zum Streitstand m. umfangr. Nw. in Rdnr. 2 e, 2 f.<br />

57 Vgl. Brühann/Zerdick, Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie, CR 1996,<br />

429 (435); Simitis, in: Informationsgesellschaft und Rechtskultur in Europa,<br />

hrsg. von Tinnefeld u. a., 1995, S. 65 f.; Ehmann/Helfrich, EG-Datenschutzrichtlinie,<br />

Komm., 1999, Art. 28 Rdnr. 6; a. A. Martina Weber, CR 1995, 297<br />

(298); unentschieden W. Rudolf, in: FS für K. Stern, 1997, S. 1347 (1361 ff.).<br />

58 Sie beruht auf dem Selbstverwaltungsprinzip und entspricht mit ihren Funktionen<br />

dem Berufsbild des Rechtsanwalts, vgl. dazu K. Redeker, Freiheit der Advokatur<br />

– heute, NJW 1987, 610 f. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen<br />

und Grenzen Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Hdb. d. Staatsrechts,<br />

hrsg. von Isensee u. a., Bd. IV, 1990, § 106 Rdnrn. 46 ff.<br />

59 Vgl. Feuerich/Braun (o. Fußn. 40), § 62 Rdnr. 6; Hartung, in:Henssler/Prütting<br />

(o. Fußn. 34), § 62 Rdnr. 10.<br />

60 Vgl. Hartung, in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34), § 89 Rdnr. 16.<br />

61 Vgl. Feuerich/Braun (o. Fußn. 40), § 89 Rdnrn. 2, 3, 12; für extensive Interpretation<br />

des Erörterungsrechts Hartung, in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34),<br />

§ 89 Rdnr. 4.<br />

62 Vgl. dazu die Nachw. o. in Fn. 40.<br />

63 Vgl. dazu auch Anlage zu § 9 Satz 1 BDSG am Ende des Gesetzes.<br />

64 Insoweit ist die Anlehnung an die Ausführungen des BVerfG zu Nachschaurechten<br />

– s. unten Fn. 80 und unten Abschn. 2 d – möglich und angezeigt,<br />

ebenso an § 38 Abs. 4 S. 1 BDSG; vgl. dazu auch Walz (o. Fußn. 14), Lfg. 7/<br />

94, § 38 Rdnr. 30.<br />

65 Vgl. dazu die Untersuchung bei Rüpke (o. Fußn. 16), S. 136 ff.


24<br />

l<br />

fische bzw. an einen bestimmbaren Anlass nicht gebundene<br />

Kontrollbefugnis von vornherein ausscheidet 66 .<br />

c) Des Weiteren lassen sich die verfassungsrechtlichen<br />

Grenzen möglicher Durchbrechung des Anwaltsgeheimnisses<br />

gerade anhand der Rechtsprechung des BVerfG zu<br />

Art. 12 GG verdeutlichen. Nach der Stufentheorie des Gerichts67<br />

muss die Betrachtung hierzu bei den Voraussetzungen<br />

objektiver Berufszulassungsschranken ansetzen. Dies<br />

mag zunächst überraschen, da in der bisherigen Diskussion<br />

Einschränkungen des Anwaltsgeheimnisses überwiegend<br />

als Berufsausübungsregelung angesehen wurden68 . Demgegenüber<br />

ist erneut auf die – historisch und im Rechtsstaatsprinzip<br />

begründete – zentrale Bedeutung des Geheimnisses<br />

für die freie Advokatur hinzuweisen. Jedwede<br />

Einschränkung, die nicht klar und „punktuell“ gesetzlich<br />

ausgestaltet 69 und von daher vorhersehbar und berechenbar<br />

ist, läuft Gefahr, das unerlässliche Vertrauensverhältnis zum<br />

Mandanten auszuhöhlen70 . In Rede steht also eine ggf. tief<br />

greifende Umgestaltung des Berufsbildes, welche einem<br />

objektiven Zulassungshindernis zur bisher charakteristischen<br />

beruflichen Betätigung gleichzusetzen ist 71 . – Zu einem<br />

ähnlichen Ergebnis kann übrigens die vom BVerfG<br />

mehrfach vorgenommene Relativierung der Stufentheorie<br />

führen, und zwar dahingehend, dass vorfindliche Berufsausübungsregelungen<br />

u. U. an ihren besonders einschneidenden<br />

Auswirkungen zu messen sind und von daher<br />

durchaus ebenso strengen Voraussetzungen unterliegen<br />

können wie objektive Zulassungsschranken72 .<br />

2. Leitlinien für die Ausgestaltung<br />

Objektive Berufswahlbeschränkungen sind nur zu Gunsten<br />

eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts unter<br />

strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />

mit dem GG vereinbar73 .<br />

a) Inwieweit der Schutz personenbezogener Daten ein<br />

überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist, lässt sich nicht<br />

generell beantworten. Vielmehr ist zu differenzieren. Kennzeichen<br />

des in diesem Zusammenhang als zentrales Schutzgut<br />

oft herangezogenen „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“<br />

ist, dass es im Ausgangspunkt jedwede<br />

personenbezogene Daten umfasst – kein Datum sei „belanglos“<br />

74 –, damit also weit ausgreifend angelegt ist. In<br />

dieser Breite jedenfalls kann ihm der Charakter eines Gemeinschaftsguts<br />

von besonderer Ranghöhe nicht zugebilligt<br />

werden, zumal nicht im Verhältnis zu den Berufsgeheimnissen,<br />

welche oft sensitive Informationen mit umfassen und<br />

zugleich die Integrität der jeweiligen beruflichen Tätigkeit<br />

betreffen.<br />

Eine andere Beurteilung kann demgegenüber gerechtfertigt<br />

sein, wenn die Abwehr schwerer/beharrlicher Persönlichkeitsverletzungen<br />

in Rede steht, die vermöge grob<br />

zweckwidriger Datenverarbeitung oder der Verarbeitung bewusst<br />

unwahrer Daten herbeigeführt werden können75 . So<br />

wäre es denkbar, dass ein Rechtsanwalt unter dem Deckmantel<br />

privilegierter anwaltlicher Informationsverarbeitung<br />

den Gewerbebetrieb einer Auskunftei oder Detektei zu betreiben<br />

versucht oder dass er sich dafür hergäbe, durch<br />

systematisches Speichern und Verändern der Daten einer bestimmten<br />

Person gegen diese eine gezielte Rufmordkampagne<br />

vorzubereiten. Die Grenze groben Missbrauchs, die<br />

hiermit generell angesprochen ist, wird im Berufsrecht<br />

rechtsähnlich – aber nicht deckungsgleich – durch das Sachlichkeitsgebot76<br />

markiert.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

b) Unter strikter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />

ist zu entscheiden, welche Eingriffe in das<br />

anwaltliche Berufsgeheimnis zur Missbrauchsbekämpfung<br />

gerechtfertigt sein können. Dabei kann der Umstand, dass<br />

bislang Missbräuche der genannten Art nicht bekannt geworden<br />

sind 77 , freilich kein hinreichender Grund dafür sein,<br />

überhaupt auf jedwede Kontrollen der anwaltlichen Informationsverarbeitung,<br />

die sich auf vom Berufgeheimnis umfasste<br />

Inhalte erstrecken, zu verzichten. Doch gebietet die<br />

Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den empirischen Befund<br />

gesteigerte Zurückhaltung.<br />

c) Unerlässlich ist der Eingriff ins Berufsgeheimnis nur,<br />

wenn andere Wege, einen Missbrauch aufzudecken, nicht in<br />

Betracht kommen. Entfaltet ein Anwalt möglicherweise<br />

z. B. eine berufsfremde, gewerbliche Tätigkeit, wird die<br />

Aufsichtsinstanz zunächst, ohne die Inhalte des Kanzleicomputers<br />

sofort durchsuchen zu müssen, den ihr vorliegenden<br />

Indizien anderweitig nachgehen können, um den bestehenden<br />

Verdacht weiter zu erhärten. Daraus ergibt sich in<br />

Anlehnung an bewährte rechtsbegriffliche Abstufungen der<br />

StPO das Postulat – zur Realisierung strikter Verhältnismäßigkeit<br />

–, dass der Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />

zureichenden oder hinreichenden Missbrauchsverdacht 78<br />

zwar zum Anlass für weitere Untersuchungen zu nehmen<br />

hat, eine Durchbrechung des Anwaltsgeheimnisses jedoch<br />

dringenden Verdacht 79 zur Voraussetzung hat.<br />

d) Die Prüfung der dem Geheimnis unterfallenden Informationsinhalte<br />

in der Anwaltskanzlei lässt sich nicht den<br />

66 Vgl. o. Abschn. II 2 a; Rüpke (o. Fußn. 16), S. 146 f.<br />

67 Die Grundsätze dazu wurden in BVerfGE 7, 377 (399 ff.) vom 11.06.1958 –<br />

Apotheke I – entwickelt.<br />

68 Vgl. Henssler, NJW 1994, 1819; BVerfGE 30, 1 (32) vom 15.12.1970 – „Abhörurteil“.<br />

69 vgl. §§ 138, 139 Abs. 3 StGB, weiterhin die sich aus §§ 840 oder 817 ZPO ergebenden<br />

Offenbarungszwänge, auch § 8 GwG. Darüber hinausgehend, aber<br />

immer noch sachlich viel stärker begrenzt als etwa routinemäßige Datenverarbeitungskontrollen:<br />

Geltendmachung von Honorarforderungen und Verteidigung<br />

in eigener Sache, vgl. § 2 Abs. 3 BORA; dazu Hartung/Holl (o.<br />

Fußn. 33), § 2 Rdnrn. 31 ff. m. entspr. Rspr.-Nw.; Feuerich (o. Fußn. 40),<br />

§ 43 a Rdnrn. 27 ff.<br />

70 Dazu Näheres bei Rüpke (o. Fußn. 16), S. 152.<br />

71 Zu Möglichkeit und Grenzen gesetzgeberischer Umgestaltung von Berufsbildern<br />

Scholz, in:Maunz-Dürig, GG, Lfg. 9/81, Art. 12 Rdnrn. 266-273; zur Bedeutung<br />

des Berufsgeheimnisses für das Berufsbild BVerfGE 33, 367 (377 ff.)<br />

vom 19.7.1972 – Sozialarbeiter.<br />

72 Zuerst in BVerfGE 11, 30 (43 ff.) vom 23.3.1960 – Kassenarzt; weitere Entscheidungen<br />

insbes. zu Steuern mit erdrosselnder Wirkung; vgl. hierzu Jarass/<br />

Pieroth (o. Fußn. 51), Art. 12 Rdnr. 28.<br />

73 Vgl. BVerfGE 7, 408 (wie Fn. 67); Jarass/Pieroth (o. Fußn. 51), Art. 12<br />

Rdnrn. 39 f.; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG-Komm., 2000, Art. 12<br />

Rdnr. 69.<br />

74 Vgl. BVerfGE 65, 45 (wie o. Fn. 53); dazu kritisch Vogelgesang, Grundrecht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, S. 181 f., 257.<br />

75 Vgl. dazu – wenngleich in anderem Regelungszusammenhang – das Tatbestandsmerkmal<br />

„besonderer Gefährdung des Persönlichkeitsrechts“ in § 36<br />

Abs. 5 S. 2 BDSG und dazu die Beispiele bei Bergmann/Möhrle/Herb (o.<br />

Fußn. 20), Lfg. 9/91, § 38 Rdnr. 64.<br />

76 Vgl. BVerfGE 76, 190 ff. (wie Fn. 21); Hartung/Holl (o. Fußn. 33), § 43a<br />

BRAO Rdnrn. 35 ff. Doch nicht jeder Verstoß hiergegen beinhaltet eine<br />

schwere Persönlichkeitsverletzung im zuvor dargelegten Sinn.<br />

77 Auch die Tätigkeitsberichte der Datenschutzbehörden der Länder ergeben<br />

hierzu – soweit sie überprüft werden konnten – nichts Gegenteiliges; vgl. auch<br />

Anne Arendt, Register der Tätigkeitsberichte zum Datenschutz, Teil 2: Nichtöffentlicher<br />

Bereich, 1993, sowie unter http://www.uni-frankfurt.de/fradata/ :<br />

Register, nicht Öffentlicher Bereich, Rechtsanwaltskanzlei.<br />

78 Zum hinreichenden Verdacht i. S. d. § 203 StPO vgl. Pfeiffer, StPO, 2002,<br />

§ 203 Rdnr. 2; die Frage, ob man stattdessen zureichenden Verdacht – „zureichende<br />

tatsächliche Anhaltspunkte“, § 152 Abs. 2 StPO, dazu Pfeiffer, § 152<br />

Rdnr. 1a ff. – für eine Untersuchungstätigkeit des Kammervorstands zu Grunde<br />

legt, ist m. E. keine verfassungsrechtliche, sondern eine rechtspolitische;<br />

vgl. auch die Formulierung in § 38 Abs. 1 BDSG 1990: „hinreichende Anhaltspunkte“,<br />

und dazu Gola/Schomerus, BDSG, 1997, § 38 Anm. 2.4, auch<br />

Neuaufl. 2002, § 38 Rdnr. 16, sowie Auernhammer (o. Fußn. 20), § 38<br />

Rdnr. 5.<br />

79 Vgl. zum dringenden Verdacht i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO Kleinknecht/<br />

Meyer-Goßner, StPO, 2001, § 112 Rdnrn. 26-28; weiterhin zu § 112 Pfeiffer<br />

(o. Fußn. 78), Rdnr. 2.


AnwBl 1/2003 25<br />

Aufsätze l<br />

üblichen wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Nachschaurechten<br />

zuordnen, welche nach der Rechtsprechung des BVerfG<br />

eine echte Grundrechtseinschränkung nach Art. 13 Abs. 7<br />

GG gar nicht beinhalten 80 . Denn dieser Grundsatz gilt nur<br />

für „reine Geschäfts- und Betriebsräume“ 81 , also für Räume<br />

mit ausgeprägt gewerblicher Nutzung 82 . Darüber hinaus beinhaltet<br />

das gezielte Suchen nach Sachverhalten in Räumen<br />

eine Durchsuchung i. S. d. Art. 13 Abs. 2 GG; 83 es ist deshalb<br />

die (anwalts)gerichtliche Anordnung einer solchen<br />

Maßnahme vorzusehen.<br />

3. Realisierung<br />

a) Zur Diskussion steht seit geraumer Zeit ein Vorschlag<br />

zur informationsrechtlichen Ergänzung der BRAO, welcher<br />

in erster Linie materiell-rechtliche Regelungen für die anwaltliche<br />

Datenverarbeitung als solche beinhaltet. Sie tragen<br />

deren Besonderheiten Rechnung und sind geeignet,<br />

eine Lösung in der bestehenden Situation anzubieten, insofern<br />

diese durch die Unanwendbarkeit des BDSG gekennzeichnet<br />

ist 84 . Zugleich enthält der Vorschlag u. a. eine entsprechende<br />

Erweiterung der Aufsichtsfunktionen der<br />

Rechtsanwaltskammern.<br />

Das Konzept entstand im Laufe der 90er-Jahre. Es<br />

wurde erstmalig von der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

1996 verabschiedet 85 , um in der Folgezeit<br />

mit Informations- und Berufsrechtsausschuss des<br />

DAV diskutiert, modifiziert und abgestimmt zu werden.<br />

Nach erneuter Beschlussfassung ist der Entwurf im Dezember<br />

2000 fertig gestellt worden 86 . Der vorgesehene § 50 a<br />

BRAO lautet auszugsweise (hier ohne die Prüfungsbefugnisse<br />

in Bezug auf Datensicherheit):<br />

„Datenschutzkontrolle durch den Vorstand der<br />

Rechtsanwaltskammer<br />

(1) Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer überprüft<br />

im Einzelfall die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener<br />

Daten in oder aus Dateien durch den Rechtsanwalt,<br />

wenn hinreichender Missbrauchsverdacht besteht. Missbrauch<br />

liegt insbesondere dann vor, wenn die Daten mit<br />

dem Ziel einer schweren Persönlichkeitsverletzung oder für<br />

gewerbliche oder sonstige außerhalb des anwaltlichen Aufgabenbereichs<br />

liegende Zwecke verwendet werden....<br />

(4) Der Vorstand ist berechtigt, die Räume der Anwaltskanzlei<br />

während der Bürozeiten zu betreten, um dort Besichtigungen<br />

und Prüfungen vorzunehmen. Er soll dies dem<br />

Rechtsanwalt rechtzeitig zuvor ankündigen.<br />

(5) Bei dringendem Missbrauchsverdacht umfasst die in<br />

Abs. 4 S. 1 bezeichnete Berechtigung das Recht der Einsichtnahme<br />

in gespeicherte personenbezogene Daten. Die<br />

Maßnahme bedarf der Anordnung durch das Anwaltsgericht,<br />

bei Gefahr im Verzuge durch den Vorsitzenden der<br />

zuständigen Kammer. Abs. 4 S. 2 findet keine Anwendung....<br />

(7) Art. 13 GG wird durch Abs. 4 und 5 eingeschränkt.“<br />

b) Die weit überwiegende Anzahl von Prüfungen werden<br />

voraussichtlich die technisch-organisatorische Datensicherheit<br />

betreffen, um hier erforderliche Standards (z. B. Zugriffskontrolle,<br />

fire-walls, Verschlüsselungstechnik) zu gewährleisten,<br />

übrigens u. a. gerade zum Schutz des<br />

Mandatsgeheimnisses. 87 Auch im Übrigen wird es bei erforderlichen<br />

(Inhalts-)Kontrollen vorrangig nicht um die Klärung<br />

von Rechtsbeziehungen, sondern vorab um das Aufspüren<br />

und Erfassen der zu Grunde liegenden<br />

datentechnischen Abläufe gehen. Zur kompetenten Inspek-<br />

tion sind nicht nur solide Kenntnisse des Datenschutzrechts,<br />

sondern insbesondere hoher informationstechnischer Sachverstand<br />

geboten. Ein etwaiges „schwarzes Schaf“ wird sich<br />

nicht erwischen lassen wollen; dessen Computertricks muss<br />

ein Prüfer gewachsen sein.<br />

Von daher sind in der Diskussion des Vorschlags zunächst<br />

Besorgnisse aufgekommen, inwieweit die Rechtsanwaltkammern<br />

vermöge ihrer personellen Ausstattung der<br />

gestellten Aufgabe gewachsen sein werden. Zwischenzeitlich<br />

hat sich überwiegend die Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />

die Kammern dieser ihnen von ihrer Stellung her originär<br />

zufallenden Funktion nicht ausweichen können und wollen.<br />

Zudem kommen sie von ihrem eigenen Tätigkeitsbereich<br />

her um den Erwerb entsprechend vertiefter Kenntnisse<br />

schwerlich noch aus, schon im Hinblick auf das in neueren<br />

Landesdatenschutzgesetzen etablierte Erfordernis der Bestellung<br />

eines „behördlichen Datenschutzbeauftragten“,<br />

welcher, was die Datenverarbeitung bei der Kammer selbst<br />

anbetrifft, (ähnlich einem betrieblichen Datenschutzbeauftragten)<br />

kompetente Selbstkontrolle für die Kammer zu realisieren<br />

hat 88 .<br />

Eine praktikable Lösung kann auch darin liegen, dass<br />

eine juristisch und EDV-technisch versierte Kontrollperson<br />

für mehrere Rechtsanwaltskammern tätig ist, so dass nicht<br />

jede von diesen einen eigenen geeigneten Spezialisten aufzuweisen<br />

hat. Der gemeinsame Kontrolleur unterfiele der<br />

Verschwiegenheitspflicht nach § 76 Abs. 1 S. 2 BRAO –<br />

wie sie in gleicher Weise von dem betreffenden Kammervorstand<br />

nach S. 1 zu beachten ist –, und zwar auch gegenüber<br />

jeweils anderen Kammervorständen, für die er in<br />

jeweils anderen Angelegenheiten ebenfalls tätig zu werden<br />

den separaten Auftrag hätte 89 .<br />

c) Zum Schutz des Anwaltsgeheimnisses sieht der genannte<br />

Entwurf im Übrigen in § 56b vor, dass die im Wege<br />

der Datenschutzkontrolle erlangten Informationen nicht<br />

zum Nachteil des Mandanten verwendet werden dürfen und<br />

dass, soweit die Kenntnis des konkreten Mandantenbezugs<br />

für die Bearbeitung des in Rede stehenden (Missbrauchs-)Falls<br />

für den Vorstand nicht unerlässlich sein<br />

sollte, solcher Personenbezug getilgt, die Information insoweit<br />

also anonymisiert wird 90 .<br />

80 Vgl. BVerfGE 32, 54 (75 f.) vom 13.10.1971 – Schnellreinigung.<br />

81 so das BVerfG aaO.<br />

82 Zu dieser Frage in Bezug auf Anwaltskanzleien Rüpke (o. Fußn. 16), S. 49 f.;<br />

H. Zuck (o. Fn. 19) Abschn. II 3 c.<br />

83 Vgl. BVerfGE 51, 97 (105 ff.) vom 3.4.1979; 57, 346 (354 f.) vom 16.6.1981;<br />

76, 83 (89 ff.) vom 16.6.1987, jeweils zur Durchsuchung bei der Vollstreckung<br />

in bewegl. Sachen; zur Problemstellung bei der „Suche im Computer“ Rüpke<br />

(o. Fußn. 16), S. 51 f. mit Nw.<br />

84 Vgl. dazu o. Abschn. II und III.<br />

85 In der 1996 verabschiedeten Fassung nebst Begründung abgedruckt in BRAK-<br />

Mitt. 1997, 16 ff.<br />

86 Der Entwurf in neuester Fassung kann bei der Geschäftsstelle der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

bezogen werden.<br />

87 Dazu heißt es, was die materiell-rechtlichen Pflichten des Anwalt anbelangt,<br />

in § 50 a Abs. 8 des zuvor genannten Entwurfs zur Ergänzung der BRAO:<br />

„Der Rechtsanwalt trifft technische und organisatorische Maßnahmen der Datensicherung<br />

zum Schutz personenbezogener sowie solcher Informationen, auf<br />

die sich die Pflicht des § 43 a Abs. 2 bezieht.“<br />

88 Vgl. dazu § 25 Abs. 2 BayDSG; § 19 a Abs. 5 BlnDSG; § 8 Abs. 2 NdsDSG;<br />

§ 5 HessDSG; § 20 DSG-MV; § 32 a DSG NRW; § 11 LDSG RP; § 14 a<br />

DSG-LSA; § 10 a Thür DSG; auch § 4 f BDSG.<br />

89 Die differenzierte Verschwiegenheitspflicht ist analog zu derjenigen einer Person,<br />

die bei mehreren Anwälten angestellt ist.<br />

90 Die diesbezügliche Anonymisierung ist auch für die Fälle des § 120 a und des<br />

§ 76 Abs. 3 BRAO vorgesehen. Im BDSG findet sich ein analoges Prinzip in<br />

§ 39.


26<br />

l<br />

VI. Zusammenfassung<br />

Unabhängigkeit anwaltlicher Informationsverarbeitung<br />

von staatlichen Prüfungen ist ein Gebot des GG. Dessen<br />

ungeachtet kann sich die Anwaltschaft im Hinblick auf die<br />

Möglichkeiten heutiger Datenverarbeitung einer Missbrauchskontrolle<br />

nicht völlig entziehen. Die Untersuchung<br />

hat ergeben, dass die einschlägige Vorschrift des BDSG –<br />

ganz abgesehen von verfassungsrechtlichen Einwänden gegen<br />

dessen Anwendbarkeit auf Rechtsanwälte – dem Recht<br />

der anwaltsrechtlichen Berufsaufsicht wegen Subsidiarität<br />

zu weichen hat. Die gesetzlich bestehende Zuständigkeit<br />

der Rechtsanwaltskammern entspricht zugleich den besonderen<br />

Erfordernissen der EG-Datenschutzrichtlinie. Im Berufsrecht<br />

selbst bedarf es freilich – insbesondere auf Grund<br />

der sich aus Art. 12 GG ergebenden Eingriffsvoraussetzungen<br />

– einer präziseren Festlegung und Eingrenzung datenschutzrechtlicher<br />

Kontrollbefugnis, insoweit diese sich auf<br />

der Verschwiegenheitspflicht unterfallende Informationen<br />

erstreckt. Einer Konkretisierung dient der seitens der Anwaltschaft<br />

im Jahr 2000 fertig gestellte Novellierungsvorschlag<br />

zur BRAO, nach welchem nur bei dringendem Missbrauchsverdacht<br />

und nach Anordnung durch das<br />

Anwaltsgericht das Recht des Kammervorstands besteht,<br />

Prüfungen auch unter Durchbrechung des Mandatsgeheimnisses<br />

vorzunehmen – bei striktem Verbot der Verwertung<br />

erlangter Kenntnisse zum Nachteil der Mandanten.<br />

Grundzüge des<br />

selbstständigen Beweisverfahrens<br />

im Zivilprozess*<br />

–1.Teil–<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht Jürgen Ulrich,<br />

Dortmund**<br />

Übersicht<br />

1. Teil<br />

A. Bedeutung<br />

I. Leitlinien<br />

II. Schiedsgerichts-/Schiedsgutachtenabrede<br />

B. Einzelheiten<br />

I. Erscheinungsformen<br />

1. Einvernehmliche Beweiserhebung<br />

2. Verlust von Beweismitteln oder Erschwerung<br />

3. Isoliertes Beweisverfahren<br />

a) Kein Hauptsacheprozess<br />

b) Beweisthemen<br />

c) Rechtliches Interesse<br />

II. Details zum Antrag<br />

1. Beteiligte des Verfahrens<br />

2. Tatsachenbezeichnung und Ausforschung<br />

3. Beweismittel<br />

4. Glaubhaftmachung<br />

2. Teil (folgt in einem späteren Heft)<br />

III. Verfahren<br />

1. Zuständigkeit des Gerichts<br />

2. Anwaltliche Vertretung<br />

3. Zustellung des Antrags<br />

4. Entscheidung des Gerichts<br />

a) Freigestellter Erörterungstermin<br />

b) Beschluss des Gerichts<br />

c) Sofortige Beschwerde<br />

5. Bestimmung des Sachverständigen<br />

6. Tätigkeit des Sachverständigen<br />

a) Hilfspflichten des Antragsgegners<br />

b) Ortstermin des Sachverständigen<br />

c) Förderungspflichten des Sachverständigen<br />

7. Ablehnung des Sachverständigen<br />

8. Mündliche Erläuterung/Ergänzung<br />

9. Antragsgegnerseite<br />

a) Unbekannte Gegner<br />

b) Gegenrechte<br />

aa) Einwendungen<br />

bb) Gegenansprüche<br />

10. Besonderheiten<br />

a) Zugang und Fristen; Beendigung<br />

b) Unterbrechen/Ruhen/Aussetzung<br />

c) Streitverkündung und Nebenintervention<br />

11. Verjährungsfragen<br />

12. Ausland<br />

3. Teil (folgt in einem späteren Heft)<br />

IV. Verwertung des Gutachtens<br />

V. Kosten<br />

1. Grundsätze<br />

2. Akzessorietät<br />

a) Zurücknahme des Antrags<br />

b) Zurückweisung des Antrags<br />

c) Weitere Fälle der ausnahmsweisen Kostenentscheidung<br />

3. Einzelheiten des § 494a ZPO<br />

4. Nämlichkeit<br />

a) Identität der Beteiligten<br />

b) Übereinstimmung im Gegenstand<br />

5. Besonderheiten des Hauptverfahrens<br />

6. Kosten der Nebenintervention<br />

VI. Streitwert<br />

1. Quote zum Hauptsachestreitwert<br />

2. Bewertung des Interesses<br />

3. Streitwertänderungsfrist<br />

A. Bedeutung<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

Mit dem Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom<br />

17.12.1990 mutierte der Gesetzgeber das damals schon recht<br />

betagte „Beweissicherungsverfahren“ zum „selbstständigen<br />

Beweisverfahren“. Diese Novelle konzentrierte sich glücklicherweise<br />

nicht darauf, allein ein Etikett farbiger zu gestalten,<br />

sondern griff mit der Neufassung der §§ 485 ff.<br />

ZPO auch inhaltlich bedeutsam in die Struktur ein; so fand<br />

in der Sache die notwendige Aktualisierung statt. Dennoch<br />

brauchte es noch einige Jahre, bis sich Effektivität und<br />

Zweckmäßigkeit dieses „besonderen Sicherungsmittels“ der<br />

Praxis vollständig offenbarten. Nachdem sich nun die jüngeren<br />

zur Beschleunigung und Vereinfachung insbesondere<br />

der baurechtlichen Streitigkeiten fabrizierten gesetzgeberischen<br />

Maßnahmen eher als Flops erweisen, besinnen sich<br />

die Beteiligten wieder der klassischen Möglichkeiten. Folge<br />

ist, dass in der gerichtlichen Praxis Zahl und Umfang dieser<br />

besonderen Verfahren heftig boomen; auch die Veröffentlichungen<br />

– durchweg zu Teilaspekten des selbstständigen<br />

Beweisverfahrens – häufen sich 1 . Soweit § 3 Nr. 4 VOB/B<br />

* Der Text geht zurück auf vom Verfasser am 13. und 14. März 2002 in der<br />

Deutschen Richterakademie, Trier, anlässlich der Wochentagung „Der Sachverständige<br />

im Zivilprozess“ vor Richtern gehaltene Vorträge. Das AnwBl<br />

veröffentlicht den Beitrag in 3 Teilen.<br />

** Der Verfasser ist zugleich Lehrbeauftragter für Sachverständigenrecht an der<br />

Fachhochschule Bochum.<br />

1 Vgl. u.a.: Bohnen BB 1995, 2333; Breyer BauR 1999, 320; Cuypers NJW<br />

1994, 1985; ders. ZfBR 1998, 163; Eibner BauR 1998, 497; von Eicken AGS<br />

2002, 122; Enaux Festschrift für Craushaar 1997, 375; ders. Jahrbuch Baurecht<br />

1999, 162; Fischer MDR 2001, 608; Hansen Rpfl 1997, 363; Kießling<br />

NJW 2001, 3668; Knacke Jahrbuch Baurecht 2002, 329; Koppmmann BauR<br />

2001, 1342; Kunze NJW 1996, 102; Lindacher JR 1999, 278; Maier/Falk<br />

BauR 2000, 1123; Notthoff/Buchholz JurBüro 1996, 5; Pauly JR 1996, 269;<br />

ders. MDR 1997, 1087; Schilling BauR 2001, 147; Schmitz BauR 1996, 340;<br />

Schneider MDR 2000, 1230; Scholl NZM 1999, 108; Scholtisseck BauR<br />

2000, 1118; Schulz SchlHA2000, 25; Siegburg Festschrift für Jack Mantscheff<br />

2000, 405; Weyer BauR 2001, 1807; Wirges JurBüro 1997, 565; Wita MDR<br />

2000, 1363. Umfassend Weise Selbstständiges Beweisverfahren im Baurecht<br />

2002 2.A. 2002.


AnwBl 1/2003 27<br />

Aufsätze l<br />

die Einschaltung von Sachverständigen außerhalb eines<br />

Rechtsstreits ermöglicht, handelt es sich um eine Art einvernehmlich<br />

vereinbarte Sicherung von Beweisen vor Beginn<br />

und Ausführung von Bauleistungen; diese Regelung<br />

schließt nicht aus, erforderlichenfalls – etwa bei schon aufgetretenen<br />

Meinungsverschiedenheiten – zusätzlich ein<br />

selbstständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO in<br />

die Wege zu leiten 2 .<br />

I. Leitlinien<br />

Das in der ZPO geregelte, von der jüngsten ZPO-Novelle<br />

nur wenig berührte und dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz<br />

hauptsächlich bei der Verjährung betroffene selbstständige<br />

Beweisverfahren folgt wohl diesen vier Leitlinien:<br />

9 Beweissicherung<br />

9 Prozessvermeidung<br />

9 Beschleunigung des Rechtsstreits<br />

9 Beeinflussung der Verjährung<br />

Die Praxis zeigt allerdings, dass der Beschleunigungseffekt<br />

gleichsam auf Grund (betriebs-)technischer Schwierigkeiten<br />

verloren gehen kann. Die das Verfahren einleitenden<br />

Parteien warten nämlich gelegentlich erst noch ab, ob<br />

nicht schon der den Antragsgegnern zur Stellungnahme<br />

übersandte Antrag auf Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

zu einer Reaktion der Gegner in der Sache<br />

führt, und zögern deshalb mit der zur weiteren gerichtlichen<br />

Bearbeitung erforderlichen Vorschusseinzahlung. Ferner<br />

neigen die Richter nicht von vornherein zu besonders rascher<br />

Bearbeitung. Diese erhalten nämlich – ohne nachvollziehbare<br />

Begründung – im Rahmen der Bewertung ihrer<br />

Leistungen weder nach den vorgegebenen Pensenschlüsseln<br />

noch in ihrer Erledigungsstatistik Punkte für die Bewältigung<br />

von selbstständigen Beweisverfahren. Wegen der ständig<br />

steigenden Arbeitsbelastung der Richter bewirkt dies<br />

die Tendenz, selbstständige Beweisverfahren eher beiläufig<br />

und manchmal auch lustlos-schleppend zu bearbeiten 3 .<br />

Auch die von den Gerichten beauftragten Sachverständigen<br />

betreiben die Erledigung nicht immer mit der gebotenen<br />

Eile. Die von ihnen überwiegend als unzureichend empfundene<br />

Entschädigung nach dem ZSEG 4 veranlasst sie nämlich,<br />

vorrangig und zügig Privataufträge zu erledigen, bei<br />

denen sie im Allgemeinen angemessene Vergütung erlangen<br />

können.<br />

Der wohl überwiegende Bereich des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

im Zivilprozess ist derjenige der Bausachen.<br />

Für das Werkrecht und in der Verjährungsrechtsfolge mit<br />

der Regelung des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB n. F. dem selbstständigen<br />

Beweisverfahren gleichgestellt gilt aber auch die<br />

mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen eingeführte,<br />

von der Praxis indes nicht angenommene Fertigstellungsbescheinigung<br />

gem. § 641 a BGB, wonach die<br />

schriftliche und in einem besonderen Verfahren von einem<br />

privat beauftragten Sachverständigen erstellte Erklärung zur<br />

Mangelfreiheit einer Abnahme gleichsteht und damit streiterledigende<br />

Wirkung haben soll 5 . Das selbstständige Beweisverfahren<br />

ist auch anerkannt für den Bereich des FGG 6 .<br />

Es ist statthaft insbesondere in WEG-Sachen 7 ; bei der Entscheidung<br />

über die Durchführung eines das Gemeinschaftseigentum<br />

betreffenden selbstständigen Beweisverfahrens<br />

und die Erhebung einer Sonderumlage für die dazu erforderlichen<br />

Kosten handelt es sich selbst dann um eine Maßnahme<br />

der Verwaltung i. S. d. § 21 WEG, wenn für den zu<br />

untersuchenden Bereich ein Sondernutzungsrecht bestellt<br />

ist 8 . Im Bereich der Kfz-Beschädigungen kann das selbst-<br />

ständige Beweisverfahren unter dem Gesichtspunkt der<br />

Schadensminderung Bedeutung haben. Wenn nämlich die<br />

geschädigte Partei das Fahrzeug vor Beendigung des<br />

Rechtsstreits verschrottet, wird i. d. R. der Vorwurf der Beweisvereitelung<br />

– analog §§ 427, 444 ZPO – erhoben. Indes<br />

muss immer geprüft werden, ob die sonst anfallenden<br />

„Verwahrkosten“ auch von einer vernünftigen und wirtschaftlich<br />

denkenden Partei getragen worden wären. Bei<br />

der Prüfung der Angemessenheit und Erstattungsfähigkeit<br />

kann in Betracht kommen, diese Verwahrkosten mit denen<br />

eines selbstständigen Beweisverfahrens zu vergleichen 9 .<br />

Betreffend Prozessvermeidung und Beschleunigung, insbesondere<br />

der Erledigung von Baustreitigkeiten, sind alternative<br />

Konfliktlösungsmodelle in der Diskussion 10 . Weil bei<br />

Baustreitigkeiten oft die Weiterarbeit bzw. Reparatur nötig<br />

ist, es also um mehr als „nur noch um Geld“ gehen kann,<br />

kommt die auch aus familienrechtlichen Streitigkeiten bekannte<br />

Mediation in Betracht 11 . Diskutiert wird auch eine<br />

in den USA mit Erfolg praktizierte early neutral evaluation;<br />

damit ist gemeint ein gänzlich außerhalb des gerichtlichen<br />

Verfahrens befindliches Institut, dessen Inhalte keine<br />

Bindungswirkung für einen späteren Prozess haben; in diesem<br />

freiwilligen Verfahren soll eine angerufene dritte Person<br />

nicht nur die tatsächlichen Verhältnisse, sondern auch<br />

Rechtsfragen zu klären versuchen 12 . In der Praxis bedeutsam<br />

sind ferner die privaten, „vereinbarten Begutachtungsverfahren“,<br />

deren grundsätzliche Gleichstellung mit den<br />

selbstständigen Beweisverfahren – jedenfalls bezüglich der<br />

Rechtsfolge der Verjährung – nun in § 204 Abs. 1 Nr. 8<br />

BGB geregelt ist.<br />

Noch immer streitig ist die Frage, ob und inwieweit das<br />

selbstständige Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht zulässig<br />

ist 13 . In der veröffentlichten Rechtsprechung setzt sich<br />

wohl die Auffassung durch, das selbstständige Beweisverfahren<br />

auch in dieser Sparte grds. für statthaft zu halten 14 .<br />

Die Argumentation der ablehnenden Meinung, dass im<br />

selbstständigen Beweisverfahren der Sachverständige sein<br />

2 Ingenstau/Korbion/Döring VOB 14.A. 2001 § 3 Rn. 48 weist darauf hin, dass<br />

das selbstständige Beweisverfahren häufig eine gesonderte Maßnahme nach<br />

§ 3 Nr. 4 VOB überflüssig macht.<br />

3 Enaux Jahrbuch Baurecht 1999, 162, 186; Schulz SchlHA 2000, 25, 30.<br />

4 Die Entscheidung des BVerfG 1.8.2001 NJW-RR 02, 67, mit der eine Verfassungsbeschwerde<br />

gegen Regelungen des ZSEG nicht zur Entscheidung angenommen<br />

wurde, wird von Sachverständigen als fehlerhaft empfunden; Ulrich<br />

DS 2001, 310; IfS 1/2002, 7; Ronellenfitsch WiVerw 2002, 1.<br />

5 Kritik zu diesem Rechtsinstitut äußern u. a. Kniffka ZfBR 2000, 227; Ulrich<br />

DS Sep/2000, 9; Heck WiVerw 2002, 56. Vgl auch Kamphausen BIS 2002,<br />

47.<br />

6 OLG Frankfurt 30.1.1997 NJW-RR 97, 851; OLG Celle 13.3.2000 OLGR 00,<br />

116: Im Vaterschaftsfeststellungsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />

sind die Bestimmungen der ZPO über das selbstständige Beweisverfahren entsprechend<br />

anzuwenden.<br />

7 BayObLG 21.9.1995 BayObLGR 96, 19; BayObLG 28.3.2001 ZMR 01, 641;<br />

LG Stuttgart 15.6.2001 ZMR 01, 1015; OLG Nürnberg 18.6.2001 OLGR 01,<br />

261; BayObLG 31.1.2002 NJW-RR 02, 805; BayObLG 7.3.2002 WuM 02,<br />

342. Kossmann ZAP Fach 7, 223 ff.<br />

8 OLG Jena 22.10.2001 – 6 W 482/01 n. v.<br />

9 Meyer MDR 2001, 402.<br />

10 Vgl. Eberl/Friedrich BauR 2002, 250; Schlapka BauR 2002, 694.<br />

11 Jung/Steding BB-Beilage Supplement Mediation & Recht 2001, 9.<br />

12 Hilber BB-Beilage Supplement Mediation & Recht 2001, 22.<br />

13 Grundsätzlich bejahend: Stegers Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht<br />

im DAV Bd. 3 2001, S. 11 ff.; ders. Der Sachverständigenbeweis<br />

im Arzthaftungsrecht 2002 Rn. 813 ff.; Mohr MedR 2000, 38. Differenzierend:<br />

Rehborn Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft im DAV Bd. 3, 2001,<br />

1ff.<br />

14 Bejahend: OLG Düsseldorf 30.7.1998 OLGR 98, 434; OLG Stuttgart<br />

6.10.1998 NJW 99, 874; KG 23.12.1998 VersR 99, 887; OLG Saarbrücken,<br />

13.5.1999 NJW 00, 3439; OLG Düsseldorf 12.1.2000 NJW 00, 3438; OLG<br />

Koblenz 24.10.2000 OLGR 01, 214; OLG Naumburg 9.2.2001 OLGR 01, 321;<br />

OLG Koblenz 14.12. 2001 zfs 02, 126; OLG Stuttgart 25.3.2002 – 1 W 12/02<br />

n. v.. Verneinend: OLG Hamm 17.10.1994 – 3 W 26/94 n. v.; OLG Hamm<br />

10.5.1995 – 3 W 6/95 n. v.; OLG Nürnberg 13.11.1996 MDR 97, 501; OLG<br />

Köln 21.8.1997 VersR 98, 1420.


28<br />

l<br />

Gutachten auf ungesicherten tatsächlichen Grundlagen erstelle<br />

und die Fragen einseitig vom Antragsteller formuliert<br />

werden, trifft – im Prinzip – jedes selbstständige Beweisverfahren<br />

und ist keine spezielle Besonderheit des Arzthaftungsprozesses;<br />

allein der Umstand, dass in Arzthaftungssachen<br />

ein selbstständiges Beweisverfahren möglicherweise<br />

unzweckmäßig erscheint, macht dieses besondere Verfahren<br />

nicht von vornherein unzulässig. Entsprechend kann in einem<br />

versicherungsrechtlichen Streit ein selbstständiges Beweisverfahren<br />

z. B. zu der Behauptung eingeleitet werden,<br />

eine bestimmte (Kur-)Behandlung sei notwendig 15 .<br />

II. Schiedsgerichts-/Schiedsgutachtenabrede<br />

Weder Schiedsgerichts-, noch Schiedsgutachtervereinbarung<br />

stehen der Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />

grds. nicht entgegen 16 . Solange das Schiedsgericht<br />

noch nicht konstituiert bzw. ein Schiedsgutachten<br />

noch nicht eingeholt ist, ist die Anrufung der staatlichen<br />

Gerichte zur Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />

zulässig 17 . Das selbstständige Beweisverfahren<br />

und das Schiedsgutachterverfahren 18 nach § 18 Nr. 3<br />

VOB/B können nebeneinander geltend gemacht werden19 .<br />

B. Einzelheiten<br />

I. Erscheinungsformen des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

Aus § 485 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO ergeben sich diese<br />

Varianten:<br />

9 Der Antragsgegner stimmt zu oder es ist zu besorgen,<br />

dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung<br />

erschwert wird (§ 485 Abs. 1 ZPO).<br />

9 Der Zustand einer Person oder der Zustand oder der<br />

Wert einer Sache soll festgestellt werden (§ 485 Abs. 2<br />

S. 1 Nr. 1 ZPO).<br />

9 Die Ursache des Personenschadens, Sachschadens oder<br />

Sachmangels ist festzustellen (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).<br />

9 Der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens,<br />

Sachschadens oder Sachmangels soll festgestellt<br />

werden (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).<br />

1. Einvernehmliche Beweiserhebung gem. § 485<br />

Abs. 1 ZPO<br />

Diese Art des selbstständigen Beweisverfahrens kommt<br />

in der Praxis eher selten vor. Sie ist zulässig während und<br />

außerhalb eines Hauptsacherechtsstreits. Bedeutsam ist hier,<br />

dass die für dieses Verfahren erforderliche und dann geleistete<br />

Zustimmung des Gegners als Prozesshandlung grundsätzlich<br />

nicht anfechtbar ist. Bestehen Zweifel, ob diese von<br />

dem Antragsgegner gewollt ist, bleibt nur die Glaubhaftmachung<br />

durch den Antragsteller; der Entscheidung sollte die<br />

Aufforderung zur Stellungnahme zum Antrag an den/die<br />

Gegner vorangehen. Ist der Gegner allerdings unbekannt,<br />

scheidet die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />

nach dieser Alternative aus. Zwar regelt § 494 ZPO<br />

ausdrücklich die Beteiligung des „unbekannten Gegners“<br />

im selbstständigen Beweisverfahren, dies aber nur unter der<br />

Bedingung der Zulässigkeit des Verfahrens gem. § 495<br />

ZPO, so dass die Zustimmung über § 494 ZPO nicht ersetzt<br />

werden kann.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

2. Verlust von Beweismitteln oder Erschwerung gem. § 485<br />

Abs. 1 ZPO<br />

Auch dieser Fall des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

ist während oder außerhalb des Hauptsacheverfahrens zulässig.<br />

Gründe für den Beweismittelverlust können persönliche<br />

sein, also bei Zeugen gefährliche Erkrankung oder hohes<br />

Alter, gegebenenfalls eine längere Auslandsreise. Ein<br />

Erfordernis kann sich auch aus den typischen Geschehensabläufen<br />

ergeben; so ist z. B. bei Baumaßnahmen ein selbstständigen<br />

Beweisverfahren nach dieser Alternative immer<br />

dann zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch den Baufortschritt<br />

Beweismittel verloren gehen; gemeint ist hier<br />

also die Sicherung von Bautenständen zu bestimmten Zeitpunkten,<br />

ferner der Fall von Mängeln an Vorgewerken.<br />

Dem Bauherren ist nicht zuzumuten, den vorhandenen<br />

Mangel bis auf weiteres zu „konservieren“, er braucht also<br />

das Bauvorhaben nicht bis zur Durchführung des Hauptverfahrens<br />

zu stoppen 20 . Verlust und Einschränkung müssen<br />

sich aber aus tatsächlichen Gründen ergeben, so dass bei<br />

bevorstehender Anspruchsverjährung kein Fall des § 485<br />

Abs. 1 ZPO vorliegt 21 . Es wird vertreten, dass neben einer<br />

Tatsachenfeststellung auch noch weitere Themen zum Gegenstand<br />

eines selbstständigen Verfahrens gemacht werden<br />

können, so z. B. die Klärung eines etwaigen Beseitigungsaufwandes<br />

22 . Wird aber im Antrag mitgeteilt, dass das Bauvorhaben<br />

nicht mehr fortgesetzt werden soll, droht mit der<br />

Folge der Unzulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

kein Verlust von Beweismitteln. Für die Beantwortung<br />

der Frage, welche Anforderungen an die Prüfung zu stellen<br />

sind, ob das Beweismittel für den Hauptprozess erforderlich<br />

ist, gilt dies:<br />

Zum Antrag nach § 485 Abs. 1 ZPO muss – wie für jedes<br />

verfahrenseinleitende Begehren – ein Rechtsschutzinteresse<br />

vorliegen; an dieses sind aber deutlich geringere Forderungen<br />

zu stellen als an das für die Fälle des § 485<br />

Abs. 2 ZPO dort ausdrücklich geforderte rechtliche Interesse.<br />

Wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens dürfen an<br />

die Darlegung des Rechtsschutzinteresses keine besonderen<br />

Substantiierungsanforderungen gestellt werden; das Gericht<br />

muss sich, zumal bei schwierigen und umfangreichen<br />

Hauptprozessen, auf eine kursorische Überprüfung beschränken.<br />

Insbesondere darf nicht darauf abgestellt werden,<br />

ob nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand eine Beweiserheblichkeit<br />

sicher gegeben ist; es genügt schon, wenn<br />

eine Änderung des Sach- und Streitstandes möglich bzw.<br />

nicht offensichtlich fern liegend ist 23 .<br />

15 A. A. LG Hannover 4.4.2002 VersR 01, 1099, wonach ein selbstständiges Beweisverfahren<br />

für die Klärung der medizinischen Geeignetheit und Notwendigkeit<br />

bestimmter Behandlungsmaßnahmen (Kuraufenthalt auf Ischia und<br />

psychotherapeutischen Maßnahmen) notwendig sei.<br />

16 OLG Köln 4.2.2002 BauR 02, 1120; Ingenstau/Korbion/Joussen VOB 14.A.<br />

2001 B § 18 Rn. 143. A. A. Weise Selbstständiges Beweisverfahren im Baurecht<br />

2.A. 2002 Rn. 249.<br />

17 OLG Koblenz 15.7.1998 BauR 99, 1055.<br />

18 Vgl auch Rösener DS 2002, 65 zum Zusammenschluss von öffentlich bestellten<br />

und vereidigten Sachverständigen zur „Schiedsgutachtenstelle Schwaben“,<br />

auf die sich miteinander streitende Parteien zur Feststellung streitgegenständlicher<br />

Tatsachen einigen können.<br />

19 Pauly JR 1996, 269, 271.<br />

20 OLG Köln 20.9.1993 MDR 94, 94.<br />

21 LG Amberg 19.5.1983 BauR 84, 93; Zöller/Herget ZPO 23.A. 2002 § 485<br />

Rn. 5; MüKo-Schreiber ZPO 2.A. 2000 § 485 Rn. 12.A. A. Baumbach/Lauterbach/Hartmann<br />

ZPO 60.A. 2002 § 485 Rn. 20; Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />

im Baurecht 2.A. 2002 Rn. 219.<br />

22 Einzelheiten bei Ingenstau/Korbion/Joussen VOB 14.A. 2001 § 18 Nr. 4<br />

Rn. 115.<br />

23 OLG Hamm 3.2.1998 OLGR 98, 103.


AnwBl 1/2003 29<br />

Aufsätze l<br />

3. Isoliertes Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO<br />

In Anlehnung an das angloamerikanische Recht des pretrial-discovery<br />

wird mit dieser Vorschrift die Möglichkeit<br />

eröffnet, den Sachverhalt vor Eintritt in den Hauptprozess<br />

weitgehend zu klären. Im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

gem. § 485 Abs. 2 ZPO ist – anders als bei<br />

§ 485 Abs. 1 ZPO – eine über den Sachverständigenbeweis<br />

hinausgehende weitere Beweiserhebung durch Einnahme<br />

gerichtlichen Augenscheins oder Vernehmung von Zeugen<br />

nicht zulässig 24 . Der Antragsteller hat in dem Verfahren<br />

nach § 485 Abs. 2 ZPO keinen Anspruch auf Vorlage von<br />

Urkunden durch den Antragsgegner 25 .<br />

a) Kein Hauptsacheprozess<br />

Voraussetzung für dieses sog. isolierte selbstständige<br />

Beweisverfahren ist, dass ein streitiges Verfahren nicht anhängig<br />

ist. Der Gesetzgeber hat in Kauf genommen, dass<br />

durch diese Vorschaltung im Einzelfall eine Verzögerung<br />

der gerichtlichen Sachentscheidung eintreten kann. Hauptsacheverfahren<br />

ist das Verfahren, in dem das Beweisergebnis<br />

verwertbar ist; auf die Parteistellung kommt es nicht<br />

an 26 . Ein Rechtsstreit in diesem Sinne ist auch bei einem<br />

Mahnverfahren 27 und ebenfalls bei Anbringung eines Prozesskostenhilfeantrages<br />

mit gleichzeitiger Einreichung der<br />

Klage anhängig.<br />

b) Beweisthemen<br />

Gegenstand darf sein der Zustand einer Person oder Sache.<br />

Der Sachverständige hat dann seine fachkundige Beschreibung<br />

der vorgefundenen Gegebenheiten abzugeben,<br />

gleichsam eine sachverständige und – i. d. R. – schriftliche<br />

Augenscheinseinnahme beizutragen. Beschaffenheit einer<br />

Sache meint die begriffliche Sachausgestaltung. Das selbstständige<br />

Beweisverfahren kann auch die Klärung der Frage<br />

nach dem Vorhandensein von Erfahrungssätzen, Verkehrssitten<br />

und Handelsbräuchen sein 28 . Gegenstand eines selbstständigen<br />

Beweisverfahrens kann dabei z. B. auch die Frage<br />

sein, ob eine unzureichende Ausschreibung vorliegt oder ob<br />

die Werkleistung technisch fehlerhaft werden würde, wenn<br />

der Ausschreibung entsprechend ausgeführt würde und der<br />

Auftragnehmer deshalb Bedenken gem. § 4 Nr. 3 VOB anmeldet<br />

29 . Wird der Sachverständige nach dem Wert gefragt,<br />

hat er diesen nach allen ihm zugänglichen und nachvollziehbaren<br />

Kriterien zu bestimmen. Zu warnen ist in diesem<br />

Zusammenhang vor der von den Sachverständigen gelegentlich<br />

als verbindlich eingestuften „Multifaktoren- oder Zielbaummethode“<br />

30 ; denn diese ist keine zwingend gesicherte<br />

Bewertungsgrundlage, sondern stellt eine i. d. R. nur subjektive<br />

Einstufung durch den Sachverständigen dar. Gem.<br />

§ 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann der Sachverständige befragt<br />

werden zu den Ursachen eines Personen- oder Sachschadens<br />

oder eines Sachmangels. Was Sachmängel im kaufrechtlichen<br />

Sinne sind, ergibt sich jetzt aus § 434 BGB; es kann<br />

nicht davon ausgegangen werden, dass die Sachverständigen<br />

die Details dieser Regelung kennen. Ihnen kann die<br />

rechtliche Auslegung nicht zugemutet werden, vielmehr ist<br />

es Aufgabe des Gerichts, den Auftrag so klar zu formulieren,<br />

dass die Sachverständigen in der Lage sind, sich ausschließlich<br />

mit der Darlegung ihrer sachverständigen<br />

Schlussfolgen aus den ihnen so vorgegebenen (Anknüpfungs-)Tatsachen<br />

auseinander zu setzen. Die Richter müssen<br />

sich insoweit der Notwendigkeit bewusst sein, klare und<br />

eindeutige Beschlüsse zu fassen. Der Begriff des in § 485<br />

Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genannten Schadens meint nicht den<br />

in §§ 249 ff. BGB definierten Vermögens- oder immateriellen<br />

Schaden; er dürfte hier untechnisch zu verstehen sein<br />

und die tatsächliche Abweichung vom vorherigen unveränderten<br />

Zustand betreffen. Ursache meint die physikalische/<br />

chemische/biologische Kausalität, die vom Idealzustand<br />

zum jetzigen Zustand der Sache oder Person führt. Nach<br />

§ 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist ferner möglich die Feststellung<br />

des Aufwandes für die Beseitigung eines Personen- oder<br />

Sachschadens oder Mangels 31 . Auch hier kann der Sachverständige<br />

sich an die allgemeinen Erkenntnismöglichkeiten<br />

halten; i. d. R. darf er nicht an Stelle der Parteien oder des<br />

Gerichts eine Betragsschätzung vornehmen. Diese nach<br />

§ 485 Abs. 2 ZPO eröffnete Möglichkeit, über eine bloße<br />

Zustandsfeststellung hinaus auch die technische Ursache eines<br />

Personenschadens, Sachschadens oder Mangels sowie<br />

den Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens,<br />

Sachschadens oder Mangels 32 sachverständig festzustellen,<br />

stellt eine wichtige Grundlage für die Möglichkeit einer Einigung<br />

bereits auf der Basis dieser Feststellungen und damit<br />

der Vermeidung eines anschließenden Hauptsacheprozesses<br />

dar. Dabei entspricht es diesem Ziel, dass die<br />

Ursachenfeststellung sich nicht auf das Herausfinden technischer<br />

Zusammenhänge beschränken muss, sondern auch<br />

die Ermittlung des für den Schaden oder Mangel tatsächlich<br />

Verantwortlichen, also die Zuordnung von Schaden<br />

und Mangel zu einem bestimmten Verursacher, umfassen<br />

darf. Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen kann mit<br />

der Begründung des verbotenen Ausforschungsbeweises die<br />

Fragestellung nach der Ursache eines Sachmangels und/<br />

oder nach dem Beseitigungsaufwand abgelehnt werden.<br />

Aus denselben Gründen kann im selbstständigen Beweisverfahren<br />

die Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />

zur Höhe der Mietminderung zulässig sein 33 . Ebenfalls geklärt<br />

werden kann im selbstständigen Beweisverfahren, ob<br />

nach Durchführung von Reparaturarbeiten ein merkantiler<br />

Minderwert verbleiben wird 34 . Auch darf die Frage an den<br />

Sachverständigen gestellt werden, ob und inwieweit es sich<br />

bei den festgestellten Mängeln um Planungs- oder Überwachungsmängel<br />

handelt 35 . Weiterhin streitig ist aber, ob<br />

ein Sachverständiger mit der Feststellung der technischen<br />

Verursachungsquote beauftragt werden kann; gemeint ist da<br />

z. B. der Fall, dass verschiedene Handwerker an demselben<br />

Gebäude tätig waren und nebeneinander den Schaden verursacht<br />

haben können. Die Frage nach der Verursachungsquote<br />

aus technischer Sicht dürfte jedenfalls in dem selbstständigen<br />

Beweisverfahren zulässig sein; die Antwort des<br />

Sachverständigen kann dann im späteren Hauptsacheprozess<br />

vom Gericht rechtlich gewertet werden 36 . Ob und in-<br />

24 OLG München 25.5.2000 BauR 01, 447.<br />

25 OLG Köln 23.1.2001 OLGR 02, 129.<br />

26 OLG Braunschweig 3.8.2000 BauR 01, 990.<br />

27 OLG Jena 13.10.1999 OLGR 00, 59.<br />

28 MüKo-Prütting ZPO 2.A. 2000 § 284 Rn. 43.<br />

29 OLG Jena 15.8.2001 BauR 01, 1945 mit Lutz.<br />

30 Vgl. Jessnitzer/Ulrich Der gerichtliche Sachverständige 11.A. 2001 Rn. 351<br />

m. w. N.<br />

31 OLG Düsseldorf 22.11.1991 JurBüro 92, 426: Im Rahmen eines selbstständigen<br />

Beweisverfahrens kann aber nicht die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses<br />

für die Mängelbeseitigung verlangt werden.<br />

32 OLG Karlsruhe 11.1.2002 – 13 W 178/01 n. v.: keine Klärung von Beweiswertfragen.<br />

33 KG 15.2.1999 KGR 99, 396; Scholl NZM 1999, 108. Vgl auch Kamphausen<br />

ZMR 1994, 448.<br />

34 OLG Schleswig 7.10.1999 SchlHA 00, 65 mit Kamphausen IBR 00, 245.<br />

35 OLG Frankfurt 29.6.2000 BauR 00, 1370 mit Kamphausen IBR 00, 470.<br />

36 Ebenso: OLG München 12.9.1997 OLGR 97, 281; Kamphausen BauR 1996,<br />

174. AA.: LG Stuttgart 24.4.1996 BauR 96, 137; Leineweber in Festschrift für<br />

Jack Mantscheff 2000, 249 ff.. Unklar: Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />

im Bauprozess 2.A. 2002 Rn. 210, 232.


30<br />

l<br />

wieweit ein mit der Bauaufsicht beauftragter Architekt verantwortlich<br />

ist, wenn bei eingebautem Estrich und anschließender<br />

Parkettverlegung Mängel an dem Werk auftreten,<br />

ist allerdings klar eine Rechtsfrage und damit nicht von<br />

dem Sachverständigen zu beantworten 37 . Nach ganz allgemeiner<br />

Meinung ist die Feststellung der Prüffähigkeit –<br />

nicht aber die der sachlichen Richtigkeit – einer Architektenrechnung<br />

als Rechtsfrage ebenfalls nicht dem Sachverständigen<br />

zu überlassen 38 . Die Gerichte sind angehalten, die<br />

Prüffähigkeit unter Berücksichtigung des Informations- und<br />

Kontrollinteresses des jeweiligen Rechnungsempfängers<br />

selbst festzustellen. Schließlich können im selbstständigen<br />

Beweisverfahren keine Rechtsbegriffe geklärt werden; etwa<br />

eine markenrechtliche Verwechselungsgefahr ist nicht durch<br />

Umfragegutachten aufklärbar, vielmehr handelt es sich insoweit<br />

um einen Rechtsbegriff, der mit einer empirischen Ermittlung<br />

nicht geklärt werden kann 39 . Gleiches gilt für<br />

Rechtsfragen 40 Wird fehlerhaft ein Sachverständigengutachten<br />

zu einer – dem Gutachter nicht zugänglichen – Rechtsfrage<br />

eingeholt, kann der Fall einer unrichtigen Sachbehandlung<br />

durch das Gericht 41 vorliegen mit der Folge der<br />

Rechtfertigung der Niederschlagung der insoweit verursachten<br />

Gerichtskosten gem. § 8 GKG 42 .<br />

Es entspricht ganz allgemeiner Auffassung, dass die Gerichte<br />

mit Blick auf § 487 Nr. 2 ZPO nicht allzu hohe Anforderungen<br />

an die bekannt gegebenen Beweisthemen stellen<br />

dürfen; insbesondere kann nicht verlangt werden, dass<br />

der Antragsteller gleichsam vorbereitend für das selbstständige<br />

Beweisverfahren detaillierte Feststellungen erst noch<br />

ermittelt 43 .<br />

c) Rechtliches Interesse<br />

§ 485 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmt, dass das rechtliche Interesse<br />

an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens<br />

gegeben ist, wenn die erbetenen Feststellungen der<br />

Vermeidung eines Rechtsstreites dienen können. Schon aus<br />

dieser Gesetzesformulierung folgt, dass das rechtliche Interesse<br />

des Antragstellers an der Durchführung des Verfahrens<br />

weit auszulegen ist 44 . Zur Darlegung dieses Interesses<br />

genügt nicht die bloße Wiedergabe des Wortlauts des § 485<br />

Abs. 2 S. 2 ZPO; wegen der richterlich durchzuführenden<br />

Prüfung, ob die beantragte Beweisaufnahme für den in Aussicht<br />

genommenen Rechtsstreit überhaupt bedeutsam ist und<br />

diesen vermeiden kann, muss deutlich gemacht werden, um<br />

welchen durch das Verfahren zu sichernden Antrag es<br />

geht 45 . In dem selbstständigen Beweisverfahren ist keine Erheblichkeitsprüfung<br />

durchzuführen. Es kommt also grds.<br />

nicht auf die Erheblichkeit der Beweismittel für den Hauptprozess<br />

und/oder die Erfolgsaussichten des Hauptprozesses<br />

an 46 . Das rechtliche Interesse i. S. d. § 485 Abs. 2 ZPO als<br />

Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchführung eines<br />

selbstständigen Beweisverfahrens ist deshalb weiter zu fassen<br />

als das für eine negative Feststellungsklage nach § 256<br />

ZPO erforderliche rechtliche Interesse 47 . Der Zulässigkeit<br />

steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerseite eine<br />

gütliche Einigung von vornherein ablehnt; denn es besteht<br />

die – mindestens denkbare – Möglichkeit, dass ein dem Antragsteller<br />

negatives Gutachten der Vermeidung eines<br />

Rechtsstreits dienen kann, weil es geeignet ist, den Antragsteller<br />

von der Weiterverfolgung seiner vermeintlichen Ansprüche<br />

abzuhalten 48 . Auch die Tatsache eines vor dem<br />

selbstständigen Beweisverfahren eingeholten Privatgutachtens<br />

der Partei schließt nicht das Feststellungsinteresse für<br />

die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />

zu denselben Fragen aus. Ein Interesse kann sogar gegen-<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

über dem Haftpflichtversicherer des nach §§ 823 Abs. 2<br />

BGB, 27 Abs. 1 NachbRG nw haftenden Nachbarn bejaht<br />

werden, sofern nicht von vornherein die Ansprüche gegen<br />

den Versicherer nach – künftiger – Pfändung und Überweisung<br />

eines möglichen Befreiungsanspruchs dieses Nachbarn<br />

ausgeschlossen erscheinen 49 .<br />

Der Antrag kann mit der Begründung des fehlenden<br />

rechtlichen Interesses nur in Ausnahmefällen ablehnt werden:<br />

So ist anerkannt, dass ein rechtliches Interesse für ein<br />

selbstständiges Beweisverfahren fehlt, wenn es ersichtlich<br />

nur dazu dienen soll, der antragstellenden Partei Tatsachenmaterial<br />

gegen eine mögliche Kündigung zu verschaffen 50 .<br />

Hat etwa eine Wohnungseigentümergemeinschaft das Eigentum<br />

von einem Bauträger erworben, der seinerseits einen<br />

Architekten mit der Planung und Objektüberwachung<br />

beauftragt hatte, fehlt der Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

für die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />

gegen den Architekten wegen Schäden in dem Gebäude<br />

das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auch dann,<br />

wenn die Bauträgerin ihre Ansprüche an die Mitglieder der<br />

Wohnungseigentümergemeinschaft abgetreten hat, solange<br />

die Eigentümergemeinschaft nicht schlüssig vorträgt, dass<br />

eine Schadloshaltung bei dem Bauträger gescheitert ist 51 .<br />

Ob ein rechtliches Interesse fehlt, wenn sich der Gegner auf<br />

einen zwischen den Beteiligten zu Stande gekommenen<br />

Vergleich beruft, durch den der Streit über den behaupteten<br />

und jetzt durch einen Sachverständigen festzustellenden<br />

Mangel einvernehmlich beigelegt worden ist 52 , erscheint<br />

fraglich, denn das selbstständige Beweisverfahren ist nicht<br />

geeignet, Inhalt, Umfang und/oder Wirksamkeit eines Vergleichs<br />

zu prüfen; die Antragsgegnerseite ist hinreichend<br />

durch § 494 a ZPO gestützt. Klar ist, dass ein rechtliches Interesse<br />

für ein selbstständigen Beweisverfahren fehlt, mit<br />

dem zu Lebzeiten des Erblassers auf Antrag des gesetzlichen<br />

Erben geklärt werden soll, dass der Erblasser im Bezug<br />

auf ein errichtetes Testament testierunfähig sei; denn<br />

für das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren ist allgemein<br />

anerkannt, dass auf die Feststellung des Erbrechts nach<br />

noch lebenden Personen deshalb nicht geklagt werden kann,<br />

weil die bloße Möglichkeit, Erbe zu werden, kein Rechts-<br />

37 OLG Oldenburg 7.7.1999 BauR 99, 1476.<br />

38 Werner/Pastor Bauprozess 9.A. 1999 Rn. 973 f.<br />

39 OLG München 12.7.2001 ZUM 01, 806.<br />

40 OLG Düsseldorf 17.9.1991 JurBüro 1992, 426: Die Rechtsfrage, ob eine Partei<br />

auf Gewährleistungsansprüche verzichtet hat, kann nicht im selbstständigen<br />

Beweisverfahren geklärt werden.<br />

41 OLG Koblenz 28.2.2002 – 14 W 133/02 n. v.: Die Nichterhebung von Kosten<br />

nach § 8 GKG setzt einen offensichtlichen und schweren Fehler des Gerichts<br />

voraus.<br />

42 Vom OLG Stuttgart 11.1.1999 BauR 99, 415 entschieden für den Fall der Einholung<br />

eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Prüffähigkeit einer<br />

Architektenhonorarrechnung; vgl. auch Siegburg BauR 2001, 875, 882.<br />

43 Vgl. Scholtissek BauR 2000, 1118 mit Hinweis auf eine nicht veröffentlichte,<br />

den Antrag auf Beweissicherung ablehnende Entscheidung des Landgerichts<br />

Hamburg und die ebenfalls nicht veröffentlichte diese landgerichtliche Entscheidung<br />

kassierende Entscheidung des OLG Hamburg.<br />

44 OLG Köln 18.7.2001 OLGR 02, 35: Selbst die vom Antragsgegner klar abgelehnte<br />

gütliche Einigung steht der Bejahung des rechtlichen Interesses nicht<br />

entgegen.<br />

45 OVG Münster 19.4.2002 – 6 E 322/02 n. v.<br />

46 OLG Köln 22.6.1995 OLGR 96, 23; OLG Hamm 26.6.1996 NJW-RR 98, 68.<br />

47 OLG Stuttgart 20.9.1999 BauR 00, 923.<br />

48 OLG Saarbrücken 13.5.1999, NJW 00, 3439. A. A. LG Hannover 11.12.1991<br />

JurBüro 92, 496 mit Mümmler.<br />

49 OLG Düsseldorf 16.1.2001 BauR 01, 1290.<br />

50 OLG Hamburg 18.11.1998 OLGR 99, 144.<br />

51 OLG Celle 17.3.1999 BauR 00, 601. A. A. Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />

im Baurecht 2.A. 2002 Rn. 257.<br />

52 So LG Deggendorf 20.4.1999 NJW-RR 00, 514.


AnwBl 1/2003 31<br />

Aufsätze l<br />

verhältnis i. S. d. § 256 ZPO ist 53 . Geht es um behauptete<br />

mangelhafte Arbeiten einer Kfz-Werkstatt, kann auch aus<br />

der Abmeldung des Fahrzeugs nicht zwingend auf ein fehlendes<br />

Benutzungsinteresse geschlossen werden 54 .<br />

Sind die Beweisfragen durch ein gerichtlich eingeholtes<br />

Sachverständigengutachten geklärt, fehlt für ein weiteres<br />

selbstständiges Beweisverfahren zu diesen Fragen zwischen<br />

denselben Parteien das Rechtsschutzbedürfnis auch dann,<br />

wenn es nun von dem vormaligen Antragsgegner beantragt<br />

wird 55 . Streitig ist, ob das Rechtsschutzbedürfnis für ein<br />

selbstständiges Beweisverfahren verneint werden muss,<br />

wenn ein Anspruch möglicherweise verjährt sein kann und<br />

der Antragsgegner die Einrede erhoben hat. Weil die Prüfung<br />

der Erfolgsaussichten des Hauptsacheprozesses, wozu<br />

ja auch die Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzung<br />

der Verjährungseinrede gehört, in dem selbstständigen Beweisverfahren<br />

nicht erfolgt, kommt es für das selbstständige<br />

Beweisverfahren auf die Verjährung grds. nicht an 56 .<br />

II. Details zum Antrag<br />

1. Beteiligte des Verfahrens<br />

Gem. § 487 Nr. 1 ZPO muss der Antrag die Bezeichnung<br />

des Gegners enthalten. Liegt ein Bauvorhaben zu<br />

Grunde, an dessen Ausführung unterschiedliche Personen<br />

neben- und/oder nacheinander beteiligt sind/waren, bereitet<br />

die richtige Auswahl gelegentlich einige Schwierigkeiten.<br />

Im selbstständigen Beweisverfahren gegen mehrere Antragsgegner<br />

kann der Antragsteller ausdrücklich bestimmen,<br />

wer für welche Behauptung konkreter der Gegner<br />

sein soll; fehlt diese Differenzierung, sind alle Antragsgegner<br />

unabhängig von dem Ergebnis der Beweiserhebung an<br />

dem gesamten Verfahren beteiligt 57 . Hat der Verwalter einer<br />

Wohnungseigentumsgemeinschaft im eigenen Namen ein<br />

selbstständiges Beweisverfahren wegen Mängel an der<br />

Wohnanlage beantragt, bleibt er Partei, auch wenn er abberufen<br />

wurde; der neue Verwalter oder die Eigentümergemeinschaft<br />

kann aber in dieses Verfahren als Antragsteller/in<br />

eintreten 58 . Zwar lässt § 494 ZPO das<br />

Beweisverfahren auch gegen unbekannte Gegner zu, sofern<br />

der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden<br />

außer Stande ist, den Gegner zu bezeichnen. In Bausachen<br />

reicht hierfür aber nicht schon, dass dem Antragsteller<br />

nicht genau bekannt ist, wer von mehreren Unternehmern<br />

für den Schaden verantwortlich ist. Weil es für die Hemmung<br />

der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB jetzt<br />

auf die Zustellung des Antrags ankommt, kann ein Antrag<br />

gegen unbekannt keinen Einfluss auf die Verjährung haben.<br />

2. Tatsachenbezeichnung und Ausforschung<br />

Der Beweisantrag muss gem. § 487 Nr. 2 ZPO diejenigen<br />

Tatsachen bezeichnen, über die Beweis erhoben werden<br />

soll. Damit enthält das selbstständige Beweisverfahren in<br />

der Gesetzesformulierung eigentlich strengere Anforderungen,<br />

als sie § 403 ZPO für den Hauptsacheprozess bestimmt;<br />

§ 403 ZPO verlangt von der Partei nämlich lediglich<br />

Vortrag über die „zu begutachtenden Punkte“. In der<br />

Praxis wird diese Unterscheidung so indes nicht vorgenommen.<br />

Das Erfordernis der hinreichenden Tatsachenbezeichnung<br />

erweist sich insbesondere in Bausachen oft als tatsächlich<br />

problematisch; der Auftraggeber, der i. d. R. Laie<br />

ist, überblickt nämlich nicht immer die technischen Zusammenhänge.<br />

Im Hauptsacheverfahren genügt für schlüssigen<br />

Vortrag deshalb schon, dass diese Partei diejenigen Erschei-<br />

nungen beschreibt, die sie der als fehlerhaft eingestuften<br />

Leistung des bestimmen Unternehmers zuschreibt. Die Klärung,<br />

ob Ursache des vorgestellten Symptoms tatsächlich<br />

die vertragswidrige Leistung ist 59 , wird dann zum Gegenstand<br />

des Beweises. Es erscheint zweifelhaft, ob das selbstständige<br />

Beweisverfahren insoweit noch geringere Anforderungen<br />

an die notwendige Substantiierung zulassen darf.<br />

Allein mit der Begründung, dass der Gesetzeszweck dieses<br />

besonderen Verfahrens auch in der Vermeidung von Hauptsacheprozessen<br />

liegt, kann nicht der den Zivilprozess beherrschende<br />

Grundsatz des Ausforschungsverbotes ausgehebelt<br />

werden. Indes ist erst ein Antrag ohne jeden<br />

tatsächlichen Kern unzulässig. Erlässt das Gericht in einem<br />

selbstständigen Beweisverfahren einen Beweisbeschluss,<br />

bejaht es also die Zulässigkeit, kann es dann die nun von<br />

dem Antragsteller begehrte Eintrittspflicht des eigenen<br />

Rechtsschutzversicherers nicht schon mit der Begründung<br />

ablehnen, der Antragsteller strenge das selbstständige Beweisverfahren<br />

nur zu Ausforschungszwecken an 60 .<br />

Die Sachverhaltsdarstellung muss also mindestens so<br />

konkret gebracht werden, dass die Zurechnung des im Antrag<br />

beschriebenen Symptoms zum Antragsgegner nicht<br />

von vornherein ausscheidet; die tatsächlichen Ausführungen<br />

müssen außerdem einen sachlich begrenzten gerichtlichen<br />

Sachverständigenauftrag ermöglichen. Geht es etwa<br />

um die Ist-Beschaffenheit der Bauleistung, also um den<br />

„Zustand einer Sache“ i. S. d. § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO,<br />

sind deshalb auf der Grundlage dieser Symptomtheorie<br />

vom Antragsteller jedenfalls diejenigen Tatsachen zur äußeren<br />

Erscheinung, die einen Baumangel rechtfertigen sollen,<br />

im Antrag aufzuführen und vom Gericht in den zu erlassenen<br />

Beweisbeschluss zu übernehmen 61 ; dabei ist das Gericht<br />

an die Tatsachenbehauptung des Antragstellers gebunden,<br />

es darf insbesondere die Beweisbedürftigkeit und auch<br />

die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsachen<br />

nicht besonders überprüfen 62 . Die in § 204 Abs. 1 Nr. 7<br />

BGB geregelte verjährungshemmende Wirkung des selbstständigen<br />

Beweisverfahrens ist nicht dadurch in Frage gestellt,<br />

dass der Antragsteller laienhaft nur einen Teil der<br />

wahrnehmbaren Erscheinungen desselben Mangels beschreibt<br />

63 . Die Geeignetheit des Sachvortrages für diese besondere<br />

Rechtsfolge kann nicht als Zulässigkeitskriterium<br />

dienen; die Frage, ob mit der Zustellung des Antrags Verjährungshemmung<br />

eingetreten ist, bleibt nämlich dem<br />

Hauptsacheverfahren vorbehalten.<br />

3. Beweismittel<br />

Die grundsätzlich auch im selbstständigen Beweisverfahren<br />

zulässige Beweisaufnahme durch gerichtlichen Au-<br />

53 OLG Frankfurt 30.1.1997 NJW-RR 97, 581.<br />

54 OLG Köln 11.1.2001 VRS Bd. 102 Nr. 135.<br />

55 OLG Düsseldorf 22.12.1997 OLGR 98, 160; LG Lüneburg 14.4.2000 BauR<br />

00, 1099.<br />

56 OLG Düsseldorf 13.10.2000 BauR 01, 128. A. A. OLG Karlsruhe 23.12.1998<br />

VersR 99, 887; OLG Karlsruhe 27.4.2001 NJW-RR 02, 951.<br />

57 OLG Nürnberg 19.8.1999 OLGR 00, 58 mit Taphorn IBR 00, 344.<br />

58 OLG Nürnberg 18.6.2001 OLGR 01, 261.<br />

59 Vgl. zur „Symptomrechtsprechung“: BGH 17.1.2002 NJW-RR 02, 743 mit<br />

Weise IBR 02, 187.<br />

60 A. A. AG Hannover 14.10.1999 r+s 02, 161.<br />

61 OLG Köln 4.2.2002 BauR 02, 1121; Siegburg BauR 2001, 875, 887.<br />

62 BGH 4.11.1999 BauR 00, 599 mit Groß IBR 00, 145.<br />

63 OLG Koblenz 23.5.2001 zfs 02, 180. Vgl. auch nachstehende Ausführungen<br />

zu Abschnitt B.III.11.


32<br />

l<br />

genschein, zu der ein Sachverständiger gem. § 372 ZPO<br />

hinzugezogen werden kann, kommt in der Praxis nicht vor.<br />

Bei der Bezeichnung des Beweismittels „Sachverständigen-Beweis“<br />

fordert § 484 Nr. 3 ZPO nicht die Benennung<br />

eines bestimmten Sachverständigen, so dass das Gericht bei<br />

seiner Auswahl frei 64 ist. Wird von dem Antragsteller ein<br />

Sachverständiger namentlich genannt, handelt es sich um<br />

eine Anregung an das Gericht 65 . Erfolgt vor Erlass des Beweisbeschlusses<br />

die übereinstimmende Benennung desselben<br />

Sachverständigen, ist das Gericht gem. §§ 492, 404<br />

Abs. 4 ZPO an diese Person gebunden; was nämlich im<br />

Klagehauptverfahren möglich ist, muss auch in dem vorbereitenden<br />

selbstständigen Beweisverfahren gegeben sein.<br />

4. Glaubhaftmachung<br />

Gem. § 487 Nr. 4 ZPO sind glaubhaft zu machen nur<br />

diejenigen Tatsachen, welche die Zulässigkeit und die Zuständigkeit<br />

des angerufenen Gerichts betreffen. Dies sind in<br />

der Praxis nur wenige Umstände. Für den Antrag auf Einleitung<br />

eines isolierten selbstständigen Beweisverfahrens ist<br />

wohl nicht erforderlich die – auch nur durch eidesstattliche<br />

Versicherung (§294 ZPO) zu belegende – Erklärung, dass<br />

gemäß der Darstellung im Antrag ein Hauptsacheverfahren<br />

nicht anhängig ist, denn keine Partei würde in dem Gesuch<br />

eine solche Angabe wider besseres Wissen machen 66 .Die<br />

behauptete Besorgnis des Beweisverlustes bzw. der Beweiserschwernis<br />

kann sich oft aus der Natur der Sache – z. B.<br />

bei einem Baurechtsfall wegen der klaren Notwendigkeit<br />

des Weiterbaus – ergeben, so dass eine zusätzlich geforderte<br />

Glaubhaftmachung zu überflüssiger Förmelei führte 67 .<br />

Wird dem Antrag als Anlage beigefügt die schriftliche Aufforderung<br />

zur Beseitigung (Urkundenbeweis), genügt die eidesstattliche<br />

Versicherung, dass die geforderte Reaktion<br />

nicht stattfand. Ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des<br />

angerufenen Gerichts kraft Gesetzes oder aus einer dem<br />

Antrag beigefügten Vertragsurkunde, kann eine zusätzliche<br />

Glaubhaftmachung nicht gefordert werden. Der für die<br />

sachliche Zuständigkeit bisweilen bedeutsame Wert des Anspruchs<br />

kann nicht glaubhaft gemacht werden. Soll gem.<br />

§ 485 Abs. 1 ZPO ein Verfahren mit Zustimmung des Antragsgegners<br />

eingeleitet werden und liegt eine gegenüber<br />

dem Gericht erklärte Einwilligung nicht vor, muss auch die<br />

dem Antragsteller bekannt gemachte Zustimmungserklärung<br />

glaubhaft gemacht werden.<br />

(Der Beitrag wird fortgesetzt)<br />

64 Allein Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 60.A.2002 § 487 Rn. 5 vertritt<br />

weiterhin die Auffassung, das Gericht sei an den vom Antragsteller benannten<br />

Sachverständigen gebunden.<br />

65 Zöller/Herget ZPO 23.A. 2002 § 487 Rn. 5 m. w. N.<br />

66 Kniffka/Koeble Kompendium des Baurechts 2000 4.Teil Rn. 4.<br />

67 Breyer BauR 1999, 320 ff.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Kommunikation zwischen<br />

Anwalt und Mandant<br />

Aufsätze<br />

– Effizienzsteigerung durch den Einsatz elektronischer<br />

Medien? –<br />

Professor Dr. Mathias Groß und Rechtsanwalt Michael<br />

Herrmann *, Lüneburg<br />

1. Einleitung<br />

Nichts ist in vielen Anwaltskanzleien verbesserungswürdiger,<br />

als die Kommunikation zwischen Anwalt und<br />

Mandanten. Defizite in der Kommunikation führen in so<br />

mancher Kanzlei sogar zum Verlust eines Mandates.<br />

Die Ursachen liegen in psychologischen und technischen<br />

Barrieren – besonders für den rechtsunkundigen<br />

Mandaten.<br />

Hat dieser erst einmal seine Berührungsängste überwunden<br />

und ist über die Schwelle eines Rechtsberaters getreten,<br />

stellt er häufig fest, dass der Anwalt seines Vertrauens<br />

„nicht seine Sprache spricht“ 1 . Dieses erste Kommunikationsdilemma<br />

wird größer, sobald der Mandant den ersten<br />

Schriftsatzentwurf in der Hand hält. Die umständliche Ausdrucksweise<br />

zahlreicher Anwälte 2 , die Notwendigkeit, sich<br />

den Regeln der „Relationstechnik“ zu unterwerfen, wirft<br />

beim Mandanten nicht selten die Frage auf, ob ihn sein Anwalt<br />

überhaupt verstanden hat. In Kombination mit Zeitdruck<br />

und weiteren Übermittlungsschwierigkeiten manifestiert<br />

sich beim Mandanten nicht selten das Gefühl, von<br />

seinem Rechtsberater allein gelassen zu sein.<br />

Kleinigkeiten, wie etwa ein versehentlich nicht erfolgter<br />

Rückruf beim Mandanten, führen in diesen Situationen zu<br />

weiterem Vertrauensverlust.<br />

Die Auseinandersetzung mit psychologischen Aspekten<br />

ist nicht Gegenstand dieser Abhandlung 3 . Gleichwohl<br />

schafft eine unzureichende Kommunikation zwischen Mandant<br />

und Anwalt oftmals erst das Klima für eine Zerrüttung<br />

des Mandatsverhältnisses.<br />

Hinter den Medienbrüchen in der Kommunikation und<br />

einer unzureichenden Kanzleiorganisation stehen in fast<br />

allen Fällen technische Probleme. Darüber hinaus bedeutet<br />

eine ineffiziente Kommunikation eine Verschwendung zeitlicher<br />

und personeller Ressourcen und ist damit ein echter,<br />

wenn auch auf den ersten Blick kein offensichtlicher Kostenfaktor.<br />

Ziel dieses Artikels ist es, die Kommunikation zwischen<br />

Anwalt und Mandant zu durchleuchten und Handlungsalternativen<br />

durch den Einsatz elektronischer Medien aufzuzeigen.<br />

* Prof. Dr. Mathias Groß ist Leiter des Instituts für interaktive Medien (iam) an<br />

der Fachhochschule Nordostniedersachsen in Lüneburg. Rechtsanwalt Michael<br />

Herrmann ist Lehrbeauftragter für Multimediarecht an der Fachhochschule<br />

Nordostniedersachsen. Beide Autoren leiten die Projektgruppe „Elektronischer<br />

Marktplatz für anwaltliche Dienstleistungen (EMFAD)“. EMFAD wird<br />

gefördert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).<br />

1 Vgl. hierzu Guttmann, „Aus dem reichhaltigen Fundus ,juristischer Sprachvergehen’“,<br />

abrufbar unter http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Referat-<br />

Guttmann.doc.<br />

2 Ders. Deutsch für Juristen oder: 10 gute Gründe, warum gutes Deutsch auch<br />

für Rechtsanwälte nicht standeswidrig ist, abrufbar unter http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Vortrag2_Guttmann.doc.<br />

3 Dies können andere besser: vgl. nur Heussen, Anwalt und Mandant – Ein Insider-Report,<br />

insbesondere Kapitel XV.


AnwBl 1/2003 33<br />

Aufsätze l<br />

2. Bestandsaufnahme<br />

Anwälte und Kanzleiangestellte schlagen täglich wahre<br />

„Materialschlachten“. Diese gewinnen an Schärfe durch die<br />

hohe Anzahl der eingesetzten Medien und deren mangelhafter<br />

Zusammenführung in einem einheitlichen Vorgang.<br />

Das Kanzleipersonal steht täglich vor der Aufgabe, die<br />

per Post, Telefon, Telefax, Datenfernübertragung, Microcassetten<br />

und eMail übermittelten Informationen zu sichten<br />

und in der richtigen Reihenfolge in das Herzstück der anwaltlichen<br />

Arbeit, die Akte, einzufügen. Die Vielzahl der<br />

Schnittstellen, wie die Mandanten selbst, Gerichte,<br />

Behörde, Rechtsschutzversicherer und nicht zuletzt die Prozessgegner,<br />

erschwert diese Aufgabe.<br />

Die Inkompatibilität der eingesetzten Kommunikationsmittel<br />

zwischen Anwalt und Mandant, menschliche Fehlleistungen<br />

und mangelnde Information zwischen den Beteiligten<br />

verschärfen diese Problematik. Nicht selten kommt<br />

es vor, dass Posteingänge in die falsche Akte abgeheftet<br />

werden. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere Akten eines<br />

Mandanten gleichzeitig geführt werden. Besonders Berufsanfänger<br />

und Auszubildende werden zunächst staunend und<br />

später leidend feststellen, dass papierene Akten sogar Beine<br />

haben und sich zeitweilig in der Kanzlei vor den Blicken<br />

der suchenden Mitarbeiter verstecken.<br />

Hieraus resultiert ein immens hoher und vermeidbarer<br />

Aufwand, der sich auf den im Verhältnis zum Streitwert<br />

ohnehin hohen Zeitaufwand addiert. Als Folge entpuppt<br />

sich das Mandat als unrentabel, schlimmstenfalls zahlt der<br />

Anwalt drauf. Aus Gebührensicht wäre, gerade bei niedrigen<br />

Streitwerten, die Alternative eine Honorarvereinbarung<br />

auf Zeitbasis oder das Mandat abzulehnen. Für die<br />

erste Variante fehlt es den meisten kleinen oder mittleren<br />

Kanzleien häufig an der Marktmacht, insbesondere in Zeiten<br />

einsetzenden Verdrängungswettbewerbes. Die zweite<br />

Variante birgt die Gefahr, den Mandanten als Kanzleikunden<br />

zu verlieren. Auch dies führt auf lange Sicht zu einer<br />

Schwächung der Marktposition.<br />

Das Kommunikationsproblem focussiert sich auf die<br />

entscheidende Frage, inwieweit elektronische Medien helfen<br />

können, das Mandat effizienter zu bearbeiten und zugleich<br />

den Raum für menschliche Fehlleistungen weiter<br />

einzuschränken.<br />

3. Möglichkeiten des Einsatzes elektronischer Medien für<br />

anwaltliche Dienstleistungen<br />

Die Einsatzmöglichkeiten elektronischer Medien sind<br />

ebenso vielfältig, wie bereits bestehende Lösungen und<br />

Produkte 4 . In diesem Zusammenhang soll nicht auf die<br />

zahlreichen reinen Kanzlei-Softwarelösungen eingegangen<br />

werden 5 . Gegenstand der Betrachtung sind vielmehr Lösungen,<br />

über die Mandant und Anwalt interaktiv kommunizieren<br />

können, vornehmlich Internet-basierte Lösungen.<br />

3.1 „Online-Rechtsberatung“<br />

Zu den bekanntesten und auch sehr skeptisch beurteilten<br />

Internet-Aktivitäten der Rechtsberatungsbranche gehört die<br />

sog. Online-Rechtsberatung. Das Prinzip dieses Modells ist<br />

denkbar einfach. Der Anwalt bietet dem Mandanten auf seiner<br />

Homepage eine Unterseite an. Dort gibt der potentielle<br />

Mandant in vorgegebenen Feldern seine Personalien und<br />

seine Rechtsfrage ein 6 . Die meisten Angebote versprechen,<br />

die Frage des Rechtssuchenden innerhalb eines relativ kurzen<br />

Zeitraumes – meist in 24 Stunden – zu beantworten 7 .<br />

Die Nachteile eines solchen Systems liegen auf der Hand.<br />

Der Mandant ist meist nicht in der Lage, sein Problem<br />

schriftlich präzise zu formulieren. Fragen wie „Ich habe<br />

mir bei einem Unfall die Hand gebrochen, wie hoch ist<br />

mein Schmerzensgeldanspruch?“ sind zudem derart global,<br />

das eine ziel- und bedarfsgerechte Beratung unmöglich ist.<br />

Das System ist nicht interaktiv und erlaubt dem Anwalt<br />

nicht, den Mandanten durch gezieltes Nachfragen, zur<br />

Kernproblematik des Falls zu führen. So weisen die meisten<br />

Angebote darauf hin, dass die „Online-Beratung“ keine<br />

vollwertige anwaltliche Beratung ersetzt und sich lediglich<br />

für die Erstberatung in einfach gelagerten Fällen eignet.<br />

Dem Durchschnittsmandanten wird es jedoch schwer fallen,<br />

diese Wertung vorzunehmen. Das Risiko, einen Mandanten<br />

nicht bedarfsgerecht beraten zu haben, ist hoch, die<br />

Frustration beim Mandaten vorprogrammiert. Somit wirkt<br />

die „Online-Beratung“, ursprünglich als Marketing-Instrument<br />

gedacht, kontraproduktiv.<br />

3.2 eMail<br />

Der Einsatz von eMail in Kanzleien ist mittlerweile verbreitet.<br />

Die meisten Kanzleien verfügen zumindest über<br />

eine zentrale eMail-Adresse (etwa info@kanzlei.de) 8 .Immer<br />

häufiger ist auch der einzelne Anwalt einer Kanzlei<br />

über eine eigene eMail-Adresse zu erreichen 9 .<br />

Die eMail ist ein benutzerfreundliches, leicht zu bedienendes,<br />

schnelles und damit effektives Kommunikationsmittel.<br />

Der Zugriff des Mandanten auf den Anwalt und damit<br />

zum Recht wird immens vereinfacht. Kontaktbarrieren,<br />

wie ein Vorzimmer entfallen durch dieses Medium. Diese<br />

positiven Aspekte beinhalten aber für den Anwalt auch die<br />

Gefahr eines „kommunikativen Amoklaufs“. Der Vergleich<br />

zur Vergabe von Telefondurchwahlen des Anwalts an Mandanten<br />

drängt sich auf. Aus guten Gründen wird eine solche<br />

Vergabe restriktiv gehandhabt.<br />

Durch den Wegfall zum Teil bewusst gesetzter Hemmschwellen,<br />

wie etwa das Sekretariat als Filter- und Verteilereinheit,<br />

erreichen den Anwalt per Mail auch Anfragen,<br />

die ihn zeitlich be- und nicht entlasten, z. B. Anfragen für<br />

Terminvereinbarungen.<br />

Zudem muss bedacht werden, dass einige Verwender<br />

von eMail dazu neigen, ihre Gedanken nicht klar, wie in<br />

einem Brief, strukturieren 10 .<br />

Diese Art des eMail-Einsatzes schafft keine Freiräume<br />

für den Anwalt. Im Gegenteil, sie bindet noch zusätzliche<br />

Ressourcen.<br />

Die Handlungsalternativen des Anwaltes sind auch in<br />

diesem Fall wiederum beschränkt: Ignoriert der Anwalt<br />

eMail, verärgert er den Mandanten und schafft sich unkalkulierbare<br />

Haftungsrisiken. Beantwortet er jede eMail persönlich<br />

oder delegiert er diese Aufgabe, arbeitet der Jurist<br />

sehr bald unwirtschaftlich. Einziger Ausweg ist die Deaktivierung<br />

der eigenen eMail-Adresse oder die Beschränkung<br />

auf eine Kanzlei-Sammel-eMail. Aber auch die Beschränkung<br />

auf eine Sammel-eMail-Adresse eröffnet einen weiteren<br />

Kommunikationskanal, der nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen<br />

Gründen regelmäßig kontrolliert werden muss. Damit<br />

4 Beispielhaft seien hier Anwaltsportale oder Rechtsberatungshotlines genannt.<br />

5 Eine Übersicht gängiger Lösungen ist erhältlich unter<br />

http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Anbieter_Anwaltsoftware.rtf.<br />

6 Vgl. etwa das Angebot unter www.rechtsratgeber.de.<br />

7 So etwa das Angebot von gigarecht.de<br />

(http://www.gigarecht.de/rechtsberatung.htm).<br />

8 Z. B. info@kanzlei-xy.de. Aktuelle Statistiken existieren leider nicht.<br />

9 Wenn gleich dieser Brauch meist nur in internationalen Großkanzleien üblich<br />

ist.<br />

10 Eingehend hierzu: Gundolf S. Freyermuth, Kommunikette 2.0: E-Mail, Handy<br />

& Co. richtig einsetzen.


34<br />

l<br />

entsteht ein Mehraufwand, soweit andere Kommunikationsmittel<br />

zumindest im gleichen Umfang genutzt werden.<br />

3.3 Internet basierte Video-Konferenz<br />

Ein vergleichsweise neues Kommunikationsmittel sind<br />

internet-gestützte Video-Konferenzen. Verlässliche Zahlen<br />

über den Einsatz von Video-Konferenzen durch Anwaltskanzleien<br />

liegen nicht vor. Das Grundprinzip des Einsatzes<br />

ist ebenfalls relativ einfach. Per Video- oder Web-Cam und<br />

Mikrofon aufgezeichnete Bild- und Toninformationen werden<br />

via Internet zum jeweils anderen Gesprächsteilnehmer<br />

übertragen. Eine entsprechende Software, wie etwa Microsoft<br />

Netmeeting, wandeln diese Informationen in sicht- und<br />

hörbare Informationen auf dem Bildschirm bzw. dem Lautsprecher<br />

des PCs der Teilnehmer um.<br />

Diese Technik erlaubt es den Beteiligten, auch ohne<br />

gleichzeitige physische Präsenz „von Angesicht zu Angesicht“<br />

miteinander zu kommunizieren. Diese Technologie<br />

kann auch genutzt werden, um mit mehreren Teilnehmern<br />

gleichzeitig überregional zu konferieren (etwa überörtliche<br />

Sozietäten). Damit ist vorstellbar, dass der Anwalt mit Sitz<br />

in Köln in einer Angelegenheit mit seinem Kollegen in<br />

Singapur konferiert und den Mandanten aus London hinzuschaltet.<br />

Anfahrtswege, Wartezeiten und Reisekosten<br />

können auf diese Weise minimiert werden. Terminvereinbarungen<br />

sind hingegen nicht entbehrlich. Es ist nahe liegend,<br />

dass sich diese Technik auch für die Vernehmung von<br />

Zeugen oder Anhörung von Sachverständigen in gerichtlichen<br />

Verfahren eignet 11 . In den USA hat diese Technik<br />

bereits Einzug in die Gerichtssäle gehalten 12 . Auch in<br />

Deutschland finden erste Modellversuche statt 13 . Mit Neufassung<br />

der ZPO besteht nach § 128a ZPO nunmehr auch<br />

die Möglichkeit, die mündliche Verhandlung per Bild- und<br />

Tonübertragung durchzuführen.<br />

Dafür sind Vorkehrungen nötig, die Identität und Authentizität<br />

der Teilnehmer wie der übermittelten Informationen<br />

gewährleisten 14 .<br />

Diese Technik ist jedoch noch nicht vollständig ausgereift.<br />

Die Qualität der übermittelten Bilder bleibt zumindest<br />

bei gängigen Standardprodukten weit hinter dem<br />

zurück, was der fernsehgewöhnte Mandant erwartet. Wird<br />

die Videokonferenz über ISDN-Leitungen geführt, entsprechen<br />

die Gebühren ca. 3-6 parallelen analogen Telefonverbindungen<br />

15 . Hochwertige individuelle Systeme sind in der<br />

Beschaffung meist kostspielig.<br />

Gerade für große und überörtliche Sozietäten kann der<br />

Einsatz eines solchen Systems aber durchaus sinnvoll sein.<br />

3.4 Call Center/Telefonrechtsberatung<br />

Als „Pionier“ der Rechtsberatung ohne physische Präsenz<br />

von Anwalt und Mandat gilt die Telefonrechtsberatung.<br />

Trotz fehlender Statistiken ist nicht zu erkennen, dass<br />

sich die Telefonrechtsberatung auf dem Vormarsch befindet.<br />

Die Gründe hierfür sind vielfältig.<br />

Zum einen ist die Beratung durch einen Anwalt immer<br />

noch Vertrauenssache. Damit ist, zumindest zeitweilig, der<br />

persönliche Kontakt zwischen Mandant und Anwalt nach<br />

wie vor erforderlich 16 . Die rein verbale Auskunft einer weitgehend<br />

anonymen Person über Telefon wird wohl von den<br />

meisten Rechtsuchenden als nicht ausreichend empfunden.<br />

Die Anwahl einer 0190- oder 0800-Nummer und der Einzug<br />

der Beratungsgebühren über die Telefonrechnung sind zumindest<br />

gewöhnungsbedürftig. Hier treffen die gleichen Argumente<br />

wie bei der Online-Beratung zu. Eine Erörterung komplexer<br />

Sachverhalte ist per Telefon nur begrenzt möglich.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aufsätze<br />

Eine Visualisierung, insbesondere von Dokumenten, kann<br />

nicht erfolgen. Das Angebot von Telefonrechtsberatung ist daher<br />

allenfalls für einfach gelagerte Probleme geeignet 17 .<br />

Damit bringt die Telefonrechtsberatung den Anwalt<br />

keine Entlastung bei seiner täglichen Arbeit. Die bereits<br />

skizzierten Ablaufprobleme lassen sich so nicht bewältigen.<br />

Eine glänzende Zukunft steht der Telefonrechtsberatung<br />

wohl nicht bevor.<br />

3.5 Datenbank-basierte Dienstleistungen<br />

Einige Firmen bieten anwaltliche Dienstleistungen wie<br />

Rechtsrat seit 2001 über datenbankbasierte Lösungen an.<br />

Als Beispiel seien hier drei Vertreter genannt.<br />

Das Angebot von janolaw.de 18 gibt dem Rechtsuchenden<br />

Rat über ein ausgeklügeltes Fragensystem. Ziel ist, das<br />

Recht für jedermann verständlich zu machen. Komplexe<br />

Sachverhalte, die nur mit „JA“ oder „NEIN“ zu beantworten<br />

sind, werden solange in Einzelfragen zerlegt, bis die Antwort<br />

auf die Frage des Rechtsuchenden feststeht. Unter dem<br />

Angebot „jano contract“ sind nach demselben Muster individuelle<br />

Verträge abgelegt. Die Abfrage erfolgt über eine<br />

Maske auf dem Bildschirm. Der Mandant klickt sich sozusagen<br />

selbst zu seiner Lösung. Dieses Angebot ist auf eine<br />

Erstberatung des Mandanten ausgerichtet. Es wird ergänzt<br />

durch Kooperations-Anwälte vor Ort, die, wenn nötig, eine<br />

tiefergehende Beratung vornehmen können. Die rechtliche<br />

Zulässigkeit dieser Beratung wurde durch zwei von der<br />

Firma janolaw.de in Auftrag gegebene Gutachten bestätigt 19 .<br />

Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein<br />

haben sich den Gutachten angeschlossen 20 .<br />

Aus Gesichtspunkten der Effizienz sind die von janolaw.de<br />

angebotenen Dienstleistungen günstig zu bewerten.<br />

Folgt der Online-Erstberatung ein persönliches Gespräch in<br />

der Kanzlei, ist dieser Termin gut vorbereitet. Das System<br />

arbeitet das juristische Problem des Rechtsuchenden bereits<br />

soweit auf, dass sich der Anwalt in der nachfolgenden Beratung<br />

auf seine Kernkompetenz, die Beantwortung juristischer<br />

Fragen beschränken kann. Die oftmals mühevolle Ermittlung<br />

des eigentlichen Kernproblems aus vielen einzelnen<br />

Informationen entfällt fast vollständig. Die gezielte<br />

Abfrage ermöglicht es dem Anwalt, sich auf das wesentliche<br />

zu konzentrieren. Die Beratung ist damit zielgerichteter<br />

und zeitsparender.<br />

Einen anderen Ansatz verfolgt das Online-Angebot von<br />

RA-MICRO.<br />

Die „RA-MICRO Web-Akte“ 21 bietet über ihren Kooperationspartner,<br />

die e.Consult AG, im Internet eine Plattform<br />

11 Dies gilt natürlich nur, soweit der jeweils Betroffene über eine entsprechende<br />

Technik verfügt. Denkbar wäre aber auch die Einrichtung eines Online-Konferenzraumes<br />

bei jedem Amts- bzw. Landgericht. Auf diese Weise könnte ein<br />

bundesweites Netzwerk geschaffen werden. Die betreffende Person hätte somit<br />

die Möglichkeit, sich im Extremfall lediglich zum Amtsgericht vor Ort,<br />

statt auf die Reise zu einem entfernteren Gericht zu begeben.<br />

12 So etwa im Projekt courtroom 21 (www.courtroom21.net).<br />

13 Vgl. Artikel vom 19.6.2002 in heise-online http://www.heise.de/newsticker/<br />

result.xhtml?url=/newsticker/data/wst-19.06.02-005/default.shtml&words=<br />

Finanzgericht.<br />

14 Etwa durch den Einsatz elektronische Signaturen und Verschlüsselungstechnologien.<br />

15 Näher hierzu:<br />

http://www.slf.ruhr-uni-bochum.de/etandem/etmedien2-de.html#video.<br />

16 Vgl. hierzu auch Huff, Markentwicklung der deutschen Anwaltschaft 1991<br />

bis 2001, BRAK-Mitt. 1/2002, S. 3, 5; Härting, Anwaltshotline – Alles Recht<br />

http://www.haerting.de/deutsch/archiv/anw03.htm.<br />

17 Wobei auch hier dem Mandanten die Differenzierung schwer fallen dürfte.<br />

18 www.janolaw.de.<br />

19 Henssler, CR 2001, S. 682-693; Gounalakis, UFITA, Bd. III, 2001.<br />

20 So zumindest nach eigenen Aussagen des Betreibers unter www.janolaw.de.<br />

21 www.ra-online.de.


AnwBl 1/2003 35<br />

Aufsätze l<br />

zum Austausch elektronischer Dokumente zwischen Kanzlei<br />

und Mandant. Der Kontakt und Informationsaustausch kann<br />

somit unabhängig von Bürozeiten und räumlichen Distanzen<br />

erfolgen. Im Wesentlichen handelt es sich hier um eine<br />

browserbasierte Anwendung. Auf die Plattform kann damit<br />

von jedem PC über das Internet zugegriffen werden. Nach<br />

Angaben des Herstellers bietet die Web-Akte die Möglichkeit,<br />

in dieser Arbeitsumgebung geschlossene Bereiche (Arbeitsräume)<br />

zu definieren. Dort können autorisierte Personen<br />

alle Informationen und Schriftstücke zu einem Vorgang einsehen,<br />

bearbeiten, gemeinsam diskutieren und neue Unterlagen<br />

ablegen. Mithin bietet diese Lösung eine Möglichkeit,<br />

etwa durch die Übernahme von ganzen Dokumenten oder<br />

einzelner Dokumententeile zeit- und ressourcensparend<br />

Schriftsätze abzustimmen und zu fertigen. Abgerundet wird<br />

das System durch umfangreiche Möglichkeiten zur online-<br />

Recherche (juris, Bonitätsauskünfte etc.).<br />

Die gleiche Zielrichtung verfolgt die Firma LECARE 22 .<br />

LECARE ist eine Weiterentwicklung der Software Phantasy<br />

3Company und nach Angaben des Herstellers auf die Anforderungen<br />

von großen, auch überörtlichen Sozietäten zugeschnitten.<br />

LECARE ist eine Browserentwicklung, die Internet-,<br />

Text- und Datenbankobjekte gleichwertig unter<br />

einer einheitlichen Bedieneroberfläche zur Verfügung stellt<br />

und miteinander vernetzt. Der Zugang zum Programm erfolgt<br />

verhältnismäßig einfach über einen Standard-Webbrowser<br />

im Internet.<br />

Darüber hinaus hat der Anwalt die Möglichkeit, an Mandanten<br />

differenzierte Rechte vergeben. Der Mandant kann<br />

somit auf „seine“ Akte passwortgeschützt per Browser zugreifen,<br />

beispielsweise den Stand der Forderungskonten per<br />

HTML-Report einsehen oder einen überarbeiteten Vertragsentwurf<br />

in eine Versionsverwaltung online einstellen.<br />

Schließlich bietet das System dem Anwalt umfangreiche<br />

Recherchemöglichkeiten, etwa in Juris.<br />

4. Zusammenfassung<br />

Die vorstehenden Ausführungen lassen erkennen, dass ein<br />

ungezielter und wahlloser Einsatz elektronischer Medien im<br />

Kanzleialltag kontraproduktiv wirken kann. Dies gilt insbesondere<br />

für einen „ungefilterten“ Einsatz von eMail. Zu<br />

selten wird berücksichtigt, dass mit der planlosen Öffnung<br />

neuer Kommunikationskanäle der Organisationsaufwand<br />

steigt. Die geplante Entlastung wird schnell zur Belastung.<br />

Die direkte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant<br />

via eMail ist daher ein zweischneidiges Schwert.<br />

Kritisch zu bewerten ist ebenfalls die reine Online-<br />

Rechtsberatung. Die mit dem Einsatz dieser Systeme verbundene<br />

Hoffnung auf den schnellen Gebühren-Euro ist<br />

oftmals vergebens. Zu häufig wird übersehen, dass anwaltliche<br />

Beratung nach wie vor vom persönlichen Kontakt<br />

lebt. Als Insellösung ist die Online-Rechtsberatung daher<br />

ungeeignet. Aus Effizienzgesichtspunkten bringt sie in ihrer<br />

bisherigen Form keinerlei Vorteile.<br />

Das Scheitern der meisten sogenannten Start-ups der<br />

New Economy hat gezeigt, dass der Markt für reine Internetlösungen,<br />

insbesondere im Beratungsbereich, noch nicht<br />

bereit ist. Von der „Virtualisierung anwaltlicher Dienstleistung“<br />

sind wir, nicht zuletzt aus kulturellen Gründen, noch<br />

ein gutes Stück entfernt. Es gilt vielmehr, durch den Einsatz<br />

elektronischer Medien bereits bestehende Prozesse zu optimieren<br />

und die Arbeitsabläufe im Kanzleialltag effizienter<br />

zu gestalten. Die Zukunft wird daher den Systemen gehören,<br />

die eine Kommunikation zwischen Anwalt und Man-<br />

dant ohne nennenswerte Medienbrüche aufbauen. Dies gilt<br />

zunächst für den Austausch fernmündlicher und/oder<br />

schriftlicher Informationen. Ein Schwerpunkt wird daher in<br />

der Fortentwicklung datenbankbasierter Lösungen liegen,<br />

auf die über einen Web-Browser zugegriffen werden kann.<br />

Dabei wird die Integration von Spracherkennung eine dominante<br />

Rolle spielen. Ein erhebliches Effizienzpotential<br />

liegt jedoch in der oft aufwändigen Sachverhaltsermittlung.<br />

Hier können künftig „intelligente Formulare“ oder Fragemasken<br />

zur Ermittlung des Sachverhaltes helfen. Nur so ist<br />

wirkliche Arbeitsentlastung denkbar – vorausgesetzt die gewonnenen<br />

Ergebnisse werden in eine elektronische Akte<br />

integriert und dem Anwalt verfügbar gemacht.<br />

Buchhinweis<br />

Küttner (Herausgeber), Personalbuch 2002: Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht,<br />

Sozialversicherungsrecht; 9. Aufl. 2002; Verlag C.H.<br />

Beck München; 2.593 S., 95 E<br />

Das außergewöhnlich praxisrelevante Buch denkt man schon<br />

seit jeher zur Verfügung zu haben. Dafür spricht, dass es nun schon<br />

in der 9. Auflage erscheint. Als Buch mit Jahreszahl im Titel reicht<br />

allerdings die erste Auflage gar nicht so weit zurück, nämlich in<br />

das Jahr 1994. So lange kennt man das Werk also noch gar nicht.<br />

Wie dem auch sei: Man will es einfach nicht mehr missen. Das<br />

Buch sollte bei denen, an die es sich von Anfang an wendet, also<br />

die Verantwortlichen der Personalabteilungen, deren Partner (Betriebsräte)<br />

und Berater (Rechtsanwälte, Steuerberater) sowie die<br />

Gerichtsbarkeiten des Arbeits-, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts<br />

in der Handbibliothek zur Verfügung stehen. Ausufernde<br />

Rechtsgebiete wie die behandelten nach Stichworten aufzuschließen<br />

und im Dreitakt der behandelnden Rechtsgebiete dann<br />

zu erörtern ist ein vorzügliches System, setzt aber um „abschließend“<br />

über das Stichwort zu informieren exzellente Fähigkeiten<br />

der Autoren voraus. Die sind vorhanden. Das Abarbeiten der Stichworte<br />

und deren Verknüpfungen sind durchweg sehr gut gelungen.<br />

In diesem Jahr war die Arbeit wegen der großen Reformen in späten<br />

Minuten des Jahres 2001 besonders mühsam. Man sieht es den<br />

Darlegungen nicht an. Neu sind aus nahe liegenden Gründen die<br />

Stichworte „Altersvorsorgevermögen“, „Betriebliche Altersversorgung“,<br />

„Internet-Nutzung“, ferner „Wertguthaben/Zeitguthaben“<br />

u. a. m. Man kann nur sagen: Auf ein Neues im Jahr 2003. Bis dahin<br />

ist treffliche Arbeit mit dem Personalbuch 2002 angesagt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />

Beck/Löhle: Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren.<br />

Geschwindigkeit – Abstand – Rotlicht – Waagen – Atemalkohol,<br />

Deutscher Anwaltverlag, Bonn, 7. Aufl. 2002, 209 S. brosch., 38 E<br />

Sachverständige warnen seit langem vor Fehlern bei der Radarmessung.<br />

Jetzt belegen auch ADAC-Tests die vielen Fehlerquellen bei<br />

polizeilichen Messverfahren. Spurwechsel, falscher Messwinkel, reflektierende<br />

Gegenstände im Kamerabereich – allein diese äußeren<br />

Umstände können zu falschen Ergebnissen führen. Aber auch konstruktionsbedingte<br />

Fehlleistungen der verschiedenen Gerätetypen<br />

sind häufig und können nachgewiesen werden. Und dies nicht nur<br />

bei Radarmessungen, sondern auch bei Atemalkoholtests, Rotlichtverstößen<br />

und Wägungen.<br />

Die 7. Auflage des bewährten Werkes „Fehlerquellen bei polizeilichen<br />

Messverfahren“ geht auf die aktuellsten Entwicklungen und<br />

Erkenntnisse ein. Diese werden einerseits aus juristischer Sicht dargestellt,<br />

andererseits aus der Sicht eines erfahrenen Physikers und<br />

Sachverständigen. Mit diesem fundierten Wissen ausgestattet, kann<br />

der Anwalt sich optimal für seinen Mandanten einsetzen.<br />

22 www.lecare.com.


36<br />

MN<br />

9<br />

Entbehrliche Rechtsprechung zum<br />

entbehrlichen Anwalt<br />

Zur Glosse AnwBl 2001, 669<br />

Mit der Veröffentlichung „Glosse: Entbehrliche Rechtsprechung<br />

zum entbehrlichen Anwalt“ (AnwBl 11/2002<br />

S. 669 f) reißt Dr. Peter Hamacher eine Thematik an, die<br />

keinen Einzelfall darstellt. Vielmehr ist sie Ausdruck einer<br />

sich in der Sozialgerichtsbarkeit abzeichnenden Entwicklung.<br />

Die Begründung der Entscheidung deckt sich inhaltlich<br />

mit bis Dezember 2001 ergangenen Beschlüssen des<br />

Landessozialgerichts Sachsen, dass ebenfalls im Großteil<br />

der rentenrechtlichen Streitigkeiten Anträge auf Gewährung<br />

von PKH unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz<br />

und die damit einhergehende Entbehrlichkeit analtlicher<br />

Vertretung ablehnte (vgl. nur beispielhaft:<br />

Beschluss des Sächsischen LSG vom 19.11.2001 Az.: SL 5<br />

RJ 246/01, Beschl. des Sächs LSG vom 17.10.2000 Az.: L 5<br />

RJ 62/00, Beschl. des Sächs LSG vom 24.1.2001 Az.: L 5<br />

RJ 206/00). Diese Beschlüsse begegnen bereits auf Grund<br />

der mangelnden Problematisierung zwischen PKH und der<br />

Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Rahmen der PKH, wie<br />

sie der Gesetzgeber in §§ 114 ff. ZPO vorsieht und den<br />

sich aus dem Wortlaut des $ § 73 a Abs. 1 S. 2 SGG ergebenden<br />

Auslegungen erheblichen Bedenken. § 73 a I S. 2<br />

SGG erscheint zumindest dahingehend auslegungswürdig,<br />

dass eine Erforderlichkeitsprüfung zur Beiordnung eines<br />

5 %<br />

DAV Brüssel<br />

Europäischer Parlamentarischer<br />

Abend des Deutschen<br />

Anwaltvereins 2002<br />

– EU-Binnenmarkt und Anwaltliches<br />

Berufsrecht –<br />

Für den Vorstand des Deutschen<br />

Anwaltvereins ist es stets eine Ehre<br />

und Freude, die Europaparlamentarier,<br />

die an der Rechts- und Anwaltspolitik<br />

mitwirken, zum Gespräch und zum<br />

Abendessen begrüßen zu dürfen.<br />

Der Europäische Parlamentarische<br />

Abend fand am 05. November 2002 im<br />

Restaurant „La Maison du Cygne‘‘ am<br />

Grand Place im Herzen Brüssels statt.<br />

In der Begrüßungsansprache wies<br />

der Präsident des Deutschen Anwaltvereins,<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck,<br />

auf die wesentlichen europäischen The-<br />

Dr. Streck, Präsident des DAV<br />

am Mikrofon: Dr. Margot Fröhlinger<br />

AnwBl 1/2003<br />

Rechtsanwaltes nach § 121 II ZPO entbehrlich wird, wenn<br />

nur die Voraussetzungen des §114 ZPO vorliegen. Dem<br />

Beteiligten ist abweichend vom Zivilprozess ein Rechtsanwalt<br />

dann gemäß § 73 a I S. 2 SGG auch ohne entsprechenden<br />

gesonderten Antrag zuzuordnen.<br />

Die Bedenken des Kollegen Dr. Hamacher hinsichtlich<br />

des Aufwandes der Beschlussbegründung lassen sich bei<br />

Lektüre der zitierten Entscheidungen des Sächs LSG zerstreuen.<br />

Die nahezu inhaltsgleichen Begründungen dürften<br />

auf Grund der angediehenen Routinebehandlung nur begrenzt<br />

zeitliche Vakanzen der Richterschaft gebunden haben.<br />

Das BVerfG bescheinigte dem Sächsischen LSG im Rahmen<br />

einer stattgebenden Verfassungsbeschwerde eines Kollegen<br />

in diesem Zusammenhang, den Rechtbegriff der Erforderlichkeit<br />

ersichtlich in einer Weise ausgelegt zu haben,<br />

die „auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von<br />

der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art 20 Abs. 3 GG<br />

verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht“ (vgl. BVerfG<br />

Beschl. v. 18.12.2001 Az.: 1 BvR 391/01). Daher sollte sich<br />

die Anwaltschaft ermutigt fühlen, gerade auch gegen solchen<br />

Entscheidungen, deren Begründung zwischen den Zeilen<br />

evident den „blauen Himmel“ atmen, im Rahmen Ihres<br />

Wächteramtes derartigen Entwicklungen in Teilen der Judikative<br />

auch unter Anrufung des BVerfG entgegenzutreten.<br />

Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, Leipzig<br />

men für die deutsche Anwaltschaft hin.<br />

Es bestehe die Befürchtung, dass die<br />

Kommission durch ihre Maßnahmen<br />

das Berufsrecht abbauen oder zumindest<br />

regulieren wolle. Dieser Eindruck<br />

entstehe durch die Binnenmarktstrategie,<br />

durch einzelne Richtlinienvorhaben,<br />

aber insbesondere auch durch<br />

die Befragung des österreichischen Instituts<br />

IHS zum Berufsrecht unter dem<br />

Aspekt von Marktzugangsbeschränkungen.<br />

Gerade die vermeintlich bestehende<br />

Kollision zwischen Berufs- und<br />

Wettbewerbsrecht sei bereits im vergangenen<br />

Jahr beim Europäischen<br />

Parlamentarischen Abend durch die<br />

Rede von Dr. Alexander Schaub, Generaldirektor<br />

der Generaldirektion<br />

Wettbewerb, deutlich geworden. Die<br />

Präsenz des Deutschen Anwaltvereins<br />

in Brüssel sei erforderlich und der<br />

Dialog mit den Parlamentariern gewünscht.<br />

Man stelle sich gerne der<br />

notwendigen Diskussion.


AnwBl 1/2003 37<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Ein besonderes Willkommen galt<br />

Frau Dr. Margot Fröhlinger, nach der<br />

EU-E-Commerce-Richtlinie nunmehr<br />

zuständig für die Binnenmarktstrategie<br />

in der Generaldirektion XV/E1 der<br />

Europäischen Kommission, Kabinett<br />

EU-Kommissar Bolkestein. In ihrem<br />

Vortrag „Der Anwaltsberuf im Binnenmarkt‘‘<br />

ging sie unter anderem auf das<br />

für die Anwaltschaft bedeutsame Verhältnis<br />

Binnenmarkt und Anwaltliches<br />

Berufsrecht ein. Sie erläuterte, dass im<br />

Binnenmarkt noch immer Schranken<br />

im freien Dienstleistungsverkehr Unternehmen<br />

und Verbraucher behinderten.<br />

Sie schilderte die verschiedenen<br />

Stufen der Binnenmarktstrategie für<br />

den Dienstleistungssektor. Sie ging<br />

auch auf die Selbstverwaltungsstrukturen<br />

der Anwaltschaft im Binnenmarkt<br />

ein. Die Kommission habe nicht die<br />

Absicht, diese abzuschaffen. Man solle<br />

die Freiräume im EU-Binnenmarkt<br />

nutzen. Den vollen Wortlaut ihrer<br />

Rede werden Sie in einem der nächsten<br />

Anwaltblätter abgedruckt finden.<br />

Eine große Zahl von Europaparlamentariern,<br />

unter Ihnen der Vizepräsident<br />

des Europäischen Parlaments,<br />

Ingo Friedrich, sowie Willy Rothley,<br />

unter anderem zuständig für die für<br />

die Anwaltschaft bedeutsame 5. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie<br />

sowie<br />

Klaus-Heiner Lehne bekannt vor allem<br />

auf Grund der 2. EU-Geldwäscherichtlinie<br />

aber auch der Übernahmerichtlinie<br />

und zuständig für das Europäische Zivilgesetzbuch,<br />

waren wie gewohnt für<br />

die Gespräche offen. Der DAV zeigte<br />

sich im Hinblick auf die Präsenz zahlreicher<br />

Abgeordneter des Europäischen<br />

Parlaments - Anwälte und Juristen aus<br />

den für den DAV wichtigen Ausschüssen<br />

des Europäischen Parlaments -, von<br />

Vertretern der Europäischen Kommission<br />

sowie der Ständigen Vertretung<br />

der Bundesrepublik Deutschland bei<br />

der EU und von Mitgliedern der<br />

deutschsprachigen Delegationen beim<br />

Rat der Europäischen Anwaltschaften<br />

(CCBE) erfreut über das Interesse an<br />

den für die Anwälte wichtigen Themen.<br />

Gesprächsgegenstände an den Tischen<br />

waren dann im Verlauf des festlichen<br />

Abends z.B. auch die Entwicklungen<br />

bei der Maßnahme zu<br />

außervertraglichen Schuldverhältnissen,<br />

außergerichtlicher Streitbeilegung,<br />

Prozesskostenhilferichtlinie, mögliche<br />

Neuauflage der Geldwäscherichtlinie,<br />

Gefährdung der Bürgerrechte unter<br />

vermeintlicher Rechtfertigung zur Aufrechterhaltung<br />

der Sicherheit nach dem<br />

11. September 2001 etc.<br />

v.l.n.r.: Dr. Michael Streck / Präsident DAV, Marcella<br />

Prunbauer-Glaser / Vors. der Österr. CCBE-Delegation,<br />

Dr. Hans-Jürgen Hellwig / Vize-Präsident DAV, Jonathan<br />

Goldsmith / CCBE-Generalsekretär ....<br />

Begrüßungsworte von Dr. Streck<br />

Der Empfang fand in Folge einer<br />

informellen DAV-Vorstandssitzung, zu<br />

der bereits Frau Dr. Koch-Mehrin zum<br />

Thema „Lobbying in Brüssel‘‘ referierte,<br />

statt. So bot sich den Vorstandsmitgliedern<br />

die Gelegenheit zu einem<br />

Gedanken- und Meinungsaustausch<br />

mit den EU-Repräsentanten unmittelbar<br />

in Brüssel.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL.M., Berlin<br />

DAV-Pressemitteilungen<br />

Anwaltschaft nimmt<br />

Anwaltsausbildung selbst in die<br />

Hand<br />

– Die DAV-Mitgliederversammlung<br />

beschließt eine eigene Anwaltsausbildung<br />

–<br />

Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung<br />

des Deutschen<br />

Anwaltvereins (DAV) wurde am<br />

23. November 2002 mit großer Mehrheit<br />

(abgegebene Stimmen: 4.700, dafür:<br />

3520, dagegen: 610, Enthaltungen:<br />

570) ein eigenes Modell zur<br />

Anwaltsausbildung beschlossen. Der<br />

DAV sieht sich zu diesem Schritt gezwungen,<br />

da das im Juli 2002 beschlossene<br />

Gesetz zur Reform der Juristenausbildung,<br />

welches am 1. Juli<br />

2003 in Kraft tritt, sein Ziel einer tat-<br />

sächlichen Reform einer anwaltsbezogenen<br />

Juristenausbildung verfehlt. Insbesondere<br />

die fehlende Festschreibung<br />

und Überprüfung der anwaltsbezogenen<br />

Ausbildungsinhalte wird kritisiert.<br />

Das Modell einer DAV-Anwaltsausbildung<br />

besteht aus einer zwölfmonatigen<br />

praktischen Tätigkeit in einer DAV-<br />

Ausbildungskanzlei und einem dreimonatigen<br />

theoretischen, die praktische<br />

Ausbildung begleitenden Ausbildungskurs.<br />

Der Inhalt der zwölfmonatigen<br />

praktischen Tätigkeit wird in einem<br />

Ausbildungshandbuch konkretisiert und<br />

verpflichtend für Ausbilder und Auszubildenden<br />

vorgegeben. Die DAV-Ausbildung<br />

wird weitgehend in die<br />

herkömmliche Referendarausbildung<br />

integriert, das heißt während des Referendariats<br />

im Wesentlichen absolviert.<br />

„Der DAV setzt dort an, wo die Reform<br />

aufhört, nämlich bei der Verlängerung<br />

der Anwaltsstation im Rahmen<br />

des Referendariats. Mit diesem Ausbildungsmodell<br />

ermöglichen wir es<br />

motivierten Ausbildungswilligen, die<br />

notwendigen Qualifikationen zum Anwaltsberuf<br />

zu erhalten“, so Rechtsanwalt<br />

Dr. Michael Streck, Präsident<br />

des DAV, in Berlin. Die überfällige<br />

Ausbildungsreform hätte zweierlei<br />

leisten müssen: Einmal die Konzeption<br />

einer tatsächlichen Ausbildung zur<br />

Anwältin bzw. zum Anwalt und zum<br />

anderen die Berücksichtigung der nur<br />

begrenzten Kapazität der Anwaltschaft<br />

für die Anwaltsausbildung. „Dies ist<br />

nicht geschehen“, so der DAV-Präsident<br />

weiter. Die Ausbildungskapazität der<br />

Anwaltschaft für eine notwendige intensive<br />

Ausbildung reiche auf Grund<br />

des damit verbundenen personellen und<br />

materiellen Aufwandes für maximal<br />

2.000 bis 3.000 Referendare jährlich,<br />

nicht aber für die etwa 8.000 bis 9.000<br />

in der Ausbildung befindlichen.<br />

Im Rahmen der DAV-Ausbildung<br />

wird ein Ausbildervertrag zwischen<br />

dem DAV und der ausbildenden Kanzlei<br />

einerseits und ein Ausbildungsvertrag<br />

zwischen dem DAV und dem Referendar<br />

andererseits geschlossen. Die Kanzlei<br />

verpflichtet sich, im Sinne des vorgestellten<br />

neuen DAV-Ausbildungshandbuches<br />

praktisch auszubilden. Die<br />

Referendarin bzw. der Referendar muss<br />

die Kosten der theoretischen Ausbildung<br />

tragen, die sich auf ca. 3.000,00 E<br />

bis 4.000,00 E bewegen werden. Der<br />

DAV wird diesen theoretischen Ausbildungskurs<br />

kostendeckend organisieren.<br />

Durch ausbildungsbegleitende Leistungskontrollen<br />

wird die Qualität der<br />

Ausbildung sichergestellt und schließlich<br />

durch ein DAV-Ausbildungszertifi-


38<br />

MN<br />

kat ausgewiesen. Das Ausbildungshandbuch<br />

beinhaltet eine detaillierte<br />

Anleitung zur praktischen Ausbildung.<br />

„Die Ausbildung umfasst alle Gegenstände,<br />

die zum „Handwerkszeug“ des<br />

Anwaltsberufs gehören“, so Streck.<br />

Das DAV-Ausbildungshandbuch ist<br />

im Internet unter www.anwaltverein.de/handbuch.pdf<br />

abrufbar.<br />

(DAV-Pressemitt. 36/02 v. 25.11.2002)<br />

DAV begrüßt Ausweitung der<br />

Fachanwaltschaften<br />

– Satzungsversammlung macht Weg<br />

für Fachanwaltschaft Versicherungsrecht<br />

frei –<br />

Auf ihrer Sitzung am 7. November<br />

2002 in Berlin hat die Satzungsversammlung,<br />

das „Anwaltsparlament“,<br />

beschlossen, die Voraussetzungen für<br />

die Einführung der Fachanwaltschaft<br />

für Versicherungsrecht zu schaffen.<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) befürwortet<br />

seit langem die Einführung<br />

weiterer Fachanwaltschaften. Es sei<br />

aber überhaupt nicht nachvollziehbar<br />

und begründbar, warum es für so wichtige<br />

Rechtsgebiete wie Verkehrsrecht,<br />

Medizinrecht, Baurecht und Mietrecht<br />

noch keine Fachanwaltschaften gebe<br />

und diese nach wie vor von der Satzungsversammlung<br />

abgelehnt werden.<br />

Die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

sei marktgerecht, da die Verbraucher<br />

mehr Fachanwaltschaften<br />

wünschen. Dies habe eine repräsentative<br />

Untersuchung des DAV ergeben.<br />

„Dies ist leider nur ein kleiner<br />

Schritt in die richtige Richtung“, so<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck,<br />

Präsident des DAV. Man dürfe die Qualifizierung<br />

von Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälten nicht durch die Beschränkung<br />

auf einige wenige Gebiete,<br />

für die es die Fachanwaltschaften gibt,<br />

verweigern. Der DAV fordere daher<br />

seit langem die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

für die Rechtsgebiete<br />

Verkehrsrecht, Medizinrecht, Baurecht<br />

und Mietrecht. Bisher gebe es die<br />

Fachanwaltschaften für die Rechtsund<br />

Arbeitsgebiete Arbeits-, Familien-,<br />

Insolvenz-, Sozial-, Steuer-,<br />

Straf- und Verwaltungsrecht.<br />

Für die Einführung weiterer Fachanwaltschaften<br />

ist die Satzungsversammlung,<br />

das gewählte Parlament<br />

der Anwaltschaft, zuständig.<br />

Nach einer Marktuntersuchung des<br />

DAV bevorzugen über 67 Prozent der<br />

Bevölkerung bei der Anwaltssuche einen<br />

für das in Frage kommende<br />

Rechtsgebiet spezialisierten Anwalt.<br />

Die Auswertung habe gezeigt, dass<br />

der Begriff des „Fachanwalts“ geeignet<br />

sei, dieses Expertenwissen zum<br />

Ausdruck zu bringen. Mit der Ausweitung<br />

der Fachanwaltschaften gebe es<br />

nach Ansicht des DAV mehr Transparenz<br />

über die Qualifikation der anwaltlichen<br />

Dienstleistung. Daher<br />

müsse die Möglichkeit der geprüften<br />

Spezialisierung und der damit verbundenen<br />

Fortbildungspflicht, wie sie bei<br />

einer Fachanwaltschaft entsteht, ausgeweitet<br />

werden.<br />

(DAV-Pressemitt 33/02 v. 7.11.2002)<br />

Geplante Strafverschärfung<br />

bei sexuellem Missbrauch<br />

von Kindern für die Opfer<br />

kontraproduktiv und<br />

schädlich<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV)<br />

lehnt die vom Bundesjustizministerium<br />

geplante Erhöhung des Strafrahmens<br />

für (einfachen) sexuellen Missbrauch<br />

von Kindern als schädlich ab.<br />

Die Absicht, auch einfachen sexuellen<br />

Missbrauch von Kindern durch Anhebung<br />

der Mindestfreiheitsstrafe von<br />

derzeit sechs Monaten auf ein Jahr<br />

zum Verbrechenstatbestand aufzuwerten,<br />

hätte zur Folge, dass entsprechende<br />

Taten nicht mehr per Strafbefehl<br />

geahndet werden könnten. Dies<br />

hätte immer Hauptverhandlungen zur<br />

Folge mit den schädlichen Auswirkungen<br />

für die Kinder. Darüber hinaus<br />

wäre auch in leichtesten Fällen eine<br />

Verfahrenseinstellung gegen Auflagen<br />

(§ 153 a StPO) nicht mehr möglich.<br />

„Die geplante Strafverschärfung<br />

erzwingt geradezu eine zweite Traurhatisierung<br />

von kindlichen Opfern sexuellen<br />

Missbrauchs durch eine<br />

Hauptverhandlung auch in Fällen<br />

minderer Schwere“, so Rechtsanwalt<br />

Georg Prasser, Stuttgart, Vizepräsident<br />

des DAV, und sei deshalb gerade auch<br />

unter dem Aspekt des Opferschutzes<br />

kontraproduktiv. Im Übrigen bestehe<br />

unter sämtlichen Experten Einigkeit<br />

darüber, dass Erhöhungen des Strafrahmens<br />

– gerade im Bereich des Sexualstrafrechts<br />

– nicht die geringste<br />

abschreckende Wirkung auf potentielle<br />

Täter hätte.<br />

Nach Ansicht des DAV ist die geplante<br />

Gesetzesänderung deshalb ungeeignet,<br />

sexuellen Missbrauch von<br />

Kindern zu bekämpfen. Würde das<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Gesetz entsprechend den Plänen des<br />

Bundesjustizministeriums geändert,<br />

gäbe es kein Opfer weniger, wohl aber<br />

durch die dann unumgängliche öffentliche<br />

Hauptverhandlung zusätzliche<br />

Verletzungen der Opfer.<br />

(DAV-Pressemitt. 35/02 v. 11.11.2002)<br />

Ausgleich der Altersversorgung<br />

zwischen Geschiedenen ab<br />

1.1.2003: Teuer, ungerecht und<br />

unsozial?<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Familienund<br />

Erbrecht im Deutschen Anwaltverein<br />

(DAV) fordert den Gesetzgeber<br />

auf, über den 31.12.2002 hinaus sicherzustellen,<br />

dass Eheleute, die sich<br />

scheiden lassen wollen, schon im<br />

Zeitpunkt der Scheidung die Versorgungen<br />

erhalten, die ihnen zustehen.<br />

Das kann mit dem Erlass einer neuen<br />

Barwertverordnung erreicht werden.<br />

Vor allem Frauen wären auf Unterhaltsleistungen<br />

ihrer Kinder oder auf<br />

Sozialhilfe angewiesen, wenn ein<br />

jetzt vorgelegter Gesetzentwurf umgesetzt<br />

wird. Er sieht einen Aufschub<br />

des Ausgleiches für eine Vielzahl von<br />

Versorgungen vor. Dabei wird entweder<br />

übersehen oder in Kauf genommen,<br />

welche verheerenden Auswirkungen<br />

dieser Aufschub hätte: Die<br />

geschiedene Frau könnte die Versorgung<br />

erst dann beziehen, wenn ihr<br />

Ex-Mann Rentner wird. In Fällen, in<br />

denen die Frau vor dem Mann in<br />

Rente geht – der Regelfall – entstünde<br />

also eine Versorgungslücke. Dabei<br />

geht es nicht um Einzelfälle. 140.000<br />

Ehen werden jährlich in Deutschland<br />

geschieden. Etwa 70.000 Verfahren<br />

sind von dem Gesetzentwurf betroffen,<br />

dessen Stopp der DAV fordert.<br />

Zum Handeln drängt eine Entscheidung<br />

des Bundesgerichtshofes (BGH)<br />

vom 5.9.2001. Danach gilt die Barwertverordnung<br />

nur noch bis<br />

31.12.2002; sie ist veraltet. Nach der<br />

Verordnung werden bestimmte betriebliche<br />

Altersversorgungen, öffentliche<br />

Zusatzversorgungen und berufsständische<br />

Versorgungen berechnet.<br />

Geschieht nichts, müssen diese Versorgungen<br />

ab 1.1.2003 mit Hilfe von<br />

Sachverständigen errechnet und ausgeglichen<br />

werden. Es dauert dann länger<br />

und wer geschieden werden will,<br />

muss tiefer in die Tasche greifen. Das<br />

war seit September 2001 absehbar.<br />

Erst kurz vor Fristablauf legt das Bundesjustizministerium<br />

seinen Gesetzentwurf<br />

vor. Der Entwurf schließt die


AnwBl 1/2003 39<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

durch die BGH-Entscheidung entstandene<br />

Regelungslücke nicht. Er schafft<br />

im Gegenteil für eine Vielzahl von<br />

Frauen Ungerechtigkeiten, gegen die<br />

sich der Protest der Anwaltschaft richtet.<br />

Der Ausgleich der Renten bei<br />

Scheidung soll Frauen einen vom Ex-<br />

Mann unabhängigen Versorgungsstatus<br />

verschaffen. Der Entwurf verkehrt<br />

diese Absicht des Gesetzgebers ins<br />

Gegenteil. Die Versorgung der geschiedenen<br />

Frau wäre (wieder) vom<br />

Ex-Mann abhängig. Sie erhält zum<br />

Beispiel ihren Anteil an der Versorgung<br />

nur bis zum Tod ihres 1. Mannes,<br />

wenn Sie wieder geheiratet hat.<br />

Diese Vernichtung bereits entstandener<br />

Ansprüche, so Rechtsanwältin<br />

Dr. Ingrid Groß, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

Familien- und Erbrecht,<br />

sei systemwidrig, ungerecht und<br />

unsozial.<br />

(DAV-Pressemitt. 37/02 v. 25.11.2002)<br />

EU-weite Übernahme der<br />

Anwaltskosten bei Unfällen<br />

gefordert<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV)<br />

begrüßt die Empfehlung des Europäischen<br />

Verkehrsrechtstages an Parlament<br />

und Kommission der Europäischen<br />

Union (EU), die Erstattung der<br />

Anwaltskosten bei der Unfallregulierung<br />

durch eine Richtlinie festzuschreiben.<br />

Dies ist das Ergebnis der<br />

Ansprache des Vorsitzenden des Bochumer Anwalt- und Notarvereins<br />

Rechtsanwalt Jürgen Widder<br />

anläßlich der Präsentation des Buches<br />

Zeit ohne Recht<br />

Justiz in Bochum nach 1933<br />

Dokumentation einer Ausstellung<br />

Tagung bei der Europäischen Rechtsakademie<br />

vom 7. und 8. November<br />

2002 in Trier. Bisher habe der Geschädigte<br />

bei einem unverschuldeten Unfall<br />

zum Beispiel in Frankreich Probleme,<br />

seine Anwaltskosten vom<br />

Gegner ersetzt zu bekommen, wie dies<br />

in Deutschland sowie in vielen anderen<br />

Ländern der Fall ist. Durch eine<br />

Richtlinie könnten die Geschädigten<br />

auch die Erstattung der Anwaltskosten<br />

bei Verkehrsunfällen im Ausland<br />

durchsetzen, die ihnen nach deutschem<br />

Recht zustehen.<br />

„Damit würde die geschädigtenfreundliche<br />

Rechtsprechung der deutschen<br />

Gerichte zum EU-Standard erhoben,“<br />

so Rechtsanwalt Oskar<br />

Riedmeyer, München, von der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im<br />

DAV. In Deutschland wären die Kfz-<br />

Haftpflichtversicherungen durch die<br />

Rechtsprechung verpflichtet, bei unverschuldeten<br />

Unfällen dem Geschädigten<br />

die bei der Regulierung anfallenden<br />

Anwaltskosten zu erstatten.<br />

Unter Leitung des EU-Abgeordneten<br />

Willy Rothley trafen sich in Trier über<br />

100 Repräsentanten aus Rechtswissenschaft,<br />

Versicherungswirtschaft, Anwaltschaft<br />

und Politik. Die Teilnehmer<br />

aus fast allen EU-Staaten und einigen<br />

Beitrittsländern forderten außerdem<br />

eine einheitliche Anhebung der Verjährungsfrist<br />

(Zeitraum, innerhalb dem die<br />

Ansprüche erstmals geltend gemacht<br />

werden können) auf vier Jahre.<br />

(DAV-Pressemitt. 34/02 v. 11.11.2002)<br />

am 9. Oktober 2002 im Landgericht Bochum<br />

Ich freue mich sehr, dass Sie Zeit<br />

und Gelegenheit gefunden haben, unserer<br />

Einladung zur Präsentation „unseres“<br />

Buches „Zeit ohne Recht“ folgen<br />

zu können.<br />

Im Namen des Herausgebers –<br />

nämlich des Bochumer Anwalt- und<br />

Notarvereins heiße ich Sie herzlich im<br />

Landgericht Bochum willkommen.<br />

Mitverantwortlich für den Inhalt<br />

und die Gestaltung des Buches sind<br />

auch: die Präsidentin des Landgerichts<br />

Bochum sowie der Verein „Erinnern<br />

für die Zukunft e. V.“.<br />

„Anwalt ohne Recht“, das war, das<br />

ist der Titel, das ist das Thema einer<br />

Ausstellung, die erstmals anlässlich<br />

des Deutschen Juristentages im September<br />

2000 in Leipzig präsentiert<br />

wurde. Diese als Wanderausstellung<br />

konzipierte Dokumentation zeigt das<br />

Schicksal jüdischer Rechtsanwälte –<br />

oder sollte ich besser sagen: Rechtsanwälte<br />

jüdischen Glaubens? – nach<br />

der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten<br />

ab 1933 in Deutschland.<br />

Die Ausstellung selbst geht zurück auf<br />

eine Initiative der Rechtsanwaltskammer<br />

Berlin und der Stiftung „Neue Synagoge<br />

Berlin – Zentrum Judaicum“.<br />

Diese Dokumentation der beruflichen<br />

und privaten Lebens- und Leidensgeschichte<br />

jüdischer Anwälte während<br />

der Nazizeit wurde aufgegriffen durch<br />

die Bundesrechtsanwaltskammer und<br />

den Deutschen Juristentag und unter<br />

dem Titel „Anwalt ohne Recht –<br />

Schicksale jüdischer Rechtsanwälte in<br />

Deutschland nach 1933“ mit einer umfangreichen<br />

Ausstellung präsentiert.<br />

Als ich seinerzeit die Gelegenheit<br />

hatte, der Eröffnung der Ausstellung<br />

in Leipzig beizuwohnen, war erst wenigen<br />

Eingeweihten bekannt, dass<br />

mein Vorgänger im Amt des Vorsitzenden<br />

des Bochumer Anwalt- und Notarvereins,<br />

Herr Kollege Egbert Schenkel<br />

d.Ä., schon längst die Idee hatte, diese<br />

Ausstellung nach Bochum zu holen.<br />

„Anwalt ohne Recht“, das war der<br />

Titel, war das Thema dieser Ausstellung,<br />

die aufgrund der Initiative und<br />

durch das Engagement des Kollegen<br />

Schenkel schon ein halbes Jahr später<br />

hier im Landgericht Bochum an dieser<br />

Stelle im April 2001 durch Frau Präsidentin<br />

Anne José Paulsen eröffnet<br />

werden konnte. Die Ausstellung war<br />

in der Zeit vom 27. April bis 30. Mai<br />

letzten Jahres hier im Landgericht zu<br />

sehen.<br />

Schon in die ersten Planungen,<br />

noch lange bevor die Ausstellungs-Dokumente<br />

nach Bochum kamen, konnte<br />

Herr Dr. Hubert Schneider – Historiker<br />

an der Ruhr-Universität Bochum und<br />

gleichzeitig Vorsitzender des Vereins<br />

„Erinnern für die Zukunft e. V.“ – gewonnen<br />

werden, dem Schicksal der<br />

jüdischen Kollegenschaft aus Bochum<br />

nachzuspüren. Herrn Dr. Schneider gelang<br />

es, die Schicksale einer großen<br />

Anzahl von Kollegen, die jüdischen<br />

Glaubens waren, – aus jener Zeit, hier<br />

in Bochum –, zu ergründen, festzustellen,<br />

und zu dokumentieren. Seine Forschungsergebnisse<br />

konnten in brillanter<br />

Weise mit in die Ausstellung eingearbeitet<br />

werden. Sie konnten in gleicher<br />

Weise präsentiert werden, wie die<br />

vorhandenen Ausstellungsstücke.<br />

Diese viel beachtete und mit Interesse<br />

verfolgte Ausstellung fand in der<br />

Öffentlichkeit ein großes Echo. Auch<br />

die Präsenz u. a. von Justizminister Jochen<br />

Dieckmann und vieler anderer


40<br />

MN<br />

Persönlichkeiten am Eröffnungstage<br />

verdeutlicht dieses.<br />

Was viele von uns anlässlich der<br />

Eröffnung bewegt hat, war die Anwesenheit<br />

und Teilnahme von Angehörigen<br />

und insbesondere Kindern derer,<br />

welche mit ihrem Schicksal in der Dokumentation<br />

beschrieben wurden. Als<br />

Beispiel darf ich hier hervorheben,<br />

dass Frau Broude aus Oakland/Kalifornien<br />

aus den USA zur Eröffnungsveranstaltung<br />

mit ihrem Mann angereist<br />

war. Frau Broude ist die Tochter<br />

des Bochumer Rechtsanwaltes Max<br />

Ferse.<br />

Kollege Rechtsanwalt Ferse, – im<br />

ersten Weltkrieg verwundet und hochdekoriert<br />

–, war nach eigenem Verständnis<br />

in allererster Linie Deutscher,<br />

Jurist und dann erst Jude. Ihm wurde<br />

1933 das Notariat – und damit ein<br />

wichtiger Teil seiner wirtschaftlichen<br />

Existenz – entzogen. Er rettete sich<br />

vier Jahre später mit seiner Familie<br />

nach Palästina, um dort in einer Blechbaracke<br />

mit der Aufzucht von Hühnern<br />

seinen Lebensunterhalt zu verdienen.<br />

Dieses ist nur ein Schicksalsbeispiel<br />

von vielen. Es ist aber ein Beispiel<br />

dafür, dass solche, mit dem Rassenwahn<br />

begründete Gesetze, die Grundlage<br />

für Diskriminierung und Verfolgung<br />

lieferten, aber die betroffenen<br />

Anwälte „ohne Recht“ dastehen ließen.<br />

Die Ausstellung selbst war allerdings<br />

mehr als nur eine einfache Darstellung<br />

und Aneinanderreihung von<br />

Tafeln und Dokumenten. Sie wurde<br />

unterstützt und vertieft von einer Anzahl<br />

von begleitenden Vorträgen. Insgesamt<br />

fünf Begleitveranstaltungen<br />

zur Ausstellung wurden hier in den<br />

Räumen des Landgerichts durchgeführt.<br />

Einen Teil dieser Vorträge<br />

bzw. Schriften der Vortragenden finden<br />

sich im Buch wieder.<br />

Das alles hat uns ermutigt und eigentlich<br />

– so will ich sagen – geradezu<br />

verpflichtet, diese Ergebnisse nicht in<br />

Vergessenheit geraten zu lassen, sondern<br />

sie zu bewahren. Wir haben es<br />

als Herausforderung angesehen, unsere<br />

Ausstellung in Buchform darzustellen.<br />

Wir halten – trotz aller neuen Medien<br />

– das Buch für das Nachhaltigste, das<br />

Mächtigste, um zu berichten, um zu<br />

dokumentieren und um zu bewahren.<br />

„Zeit ohne Recht“, das ist der Titel<br />

unseres Buches, welches wir Ihnen<br />

heute präsentieren möchten.<br />

Ich habe Ihnen gegenüber eines im<br />

Voraus: Ich hatte Zeit und Gelegenheit<br />

in das Buch hinein zu schauen, darin<br />

zu lesen. Dieses Buch beschreibt<br />

Schicksale Juristen jüdischen Glaubens<br />

in Deutschland während des NS-<br />

Regimes in einer Zeit „ohne Recht“<br />

für diese Menschen.<br />

Warum war die Anwaltschaft als<br />

ein juristischer Beruf in diesem Zusammenhang<br />

besonders betroffen? Der<br />

Anteil der Anwälte, die Juden oder<br />

jüdischer Herkunft waren, war schon<br />

Anfang des 20. Jahrhundert relativ<br />

hoch. Dies wird zurückgeführt auf eine<br />

Jahrhunderte lange juristische Sonderstellung<br />

von Juden in Deutschland. Sie<br />

waren praktisch immer in ihrer Berufsausübung<br />

eingeschränkt. Auch nach einer<br />

scheinbar vollständigen rechtlichen<br />

Gleichstellung in Deutschland nach<br />

1871 hatten sie zunächst keinen ungehinderten<br />

Zugang zu Funktionen im<br />

Staatsdienst. Nahezu zeitgleich mit der<br />

Reichsgründung hatte sich die freie Advokatur<br />

entwickelt. Die Auseinandersetzung<br />

mit dem Recht stellt im übrigen<br />

eine der zentralen Säulen der<br />

jüdischen Kultur dar, so dass solche<br />

Berufe traditionell sehr nahe lagen.<br />

Viele Juden machten von der Möglichkeit<br />

Gebrauch, freiberuflich im juristischen<br />

Sektor als Anwälte zu arbeiten.<br />

Die Ausstellung einerseits und das<br />

Buch andererseits beschreiben die Lebens-<br />

und Leidensgeschichte dieser<br />

Menschen, einer Vielzahl von ihnen.<br />

Ich erinnere an die Fahne, die zur<br />

Zeit der Ausstellung vom obersten Teil<br />

dieses Gebäudes herabhing. Auf dieser<br />

waren die Namen derjenigen aufgeführt,<br />

die in jener Zeit verfolgt wurden<br />

und umkamen. Die Höhe dieses<br />

Gebäudes reichte indes nicht einmal<br />

für die Länge der Fahne aus. Was<br />

mich beim Lesen erschrocken und betroffen<br />

gemacht hat, ist nicht nur das<br />

Schicksal so vieler Berufskollegen. Es<br />

ist vielmehr das Wissen und die Erfahrung<br />

darum, dass es hier geschehen ist.<br />

Hier an diesem Ort, hier in Bochum,<br />

wo ich heute wohne, lebe und arbeite.<br />

Es sind Berufskollegen gewesen, wie<br />

ich ihnen auch jetzt und gegenwärtig<br />

im Prinzip jeden Tag begegne. Der Ort<br />

ist der gleiche, nur die Zeit ist verschieden,<br />

eine „Zeit ohne Recht“.<br />

Ich bin deshalb der Auffassung,<br />

dass dieses Projekt „Buch“ nicht nur<br />

wichtig, sondern auch richtig war. Wir<br />

haben uns daher ohne zu Zögern daran<br />

gemacht, dieses Projekt zu beginnen<br />

und durchzuführen.<br />

Herr Vizepräsident Hartwig Kemner<br />

übernahm die Koordination mit<br />

den Autoren, dem Verlag, dem Ministerium<br />

und anderen beteiligten Stellen.<br />

In unermüdlicher Klein- und Fleiß-<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

arbeit mussten die Unterlagen gesichtet<br />

werden, zusammengestellt werden,<br />

die Beschreibungen und Bilder in den<br />

Text mit eingebaut werden und die<br />

Texte gelesen und überarbeitet werden.<br />

Während wir noch an der Verwirklichung<br />

und Gestaltung des Buches<br />

arbeiteten, wurde Frau Präsidentin<br />

Paulsen an das Oberlandesgericht Düsseldorf<br />

als dortige Chefpräsidentin berufen.<br />

Die ihr nachfolgende Präsidentin<br />

des Landgerichts Bochum, Frau Marie<br />

Luise Graf-Schlicker, setzte sich sofort<br />

mit Engagement an dieser Stelle ein.<br />

Nunmehr ist es uns gelungen, das<br />

fertige „Produkt“ vorzustellen: das<br />

Buch „Zeit ohne Recht“. Der Erfolg<br />

hat viele Väter, – so sagt das Sprichwort<br />

– und wenn ich ergänzen darf:<br />

das Ergebnis, unser Buch, hat viele<br />

Väter und Mütter. Einige Namen derer,<br />

die sich an diesem Buch verdient gemacht<br />

haben, habe ich bereits erwähnt.<br />

Viele weitere, die sich an der Ausstellung<br />

seinerzeit, wie auch jetzt an der<br />

Umsetzung zur Verwirklichung unseres<br />

Buches mit verdient gemacht haben<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

des Land- und Amtsgerichts Bochum,<br />

der Geschäftsstelle des Bochumer Anwalt-<br />

& Notarvereins -, habe ich nicht<br />

namentlich erwähnt, was gleichwohl<br />

ihren Verdienst nicht schmälern soll.<br />

Andere, insbesondere auch Kollegen<br />

aus der Bochumer Anwaltschaft<br />

und Anwaltsverbände haben durch<br />

Spenden dazu beigetragen, dass unsere<br />

Vorstellungen auch umgesetzt werden<br />

konnten und nicht aus materiellen<br />

Gründen Einschränkungen hätten erleiden<br />

müssen.<br />

Ihnen allen, und allen denen, die<br />

mitgewirkt haben oder dieses Projekt<br />

unterstützt haben, gilt mein besonderer<br />

Dank. Der Bochumer Anwalt- & Notarverein<br />

ist stolz darauf, Herausgeber<br />

dieses Buches zu sein.<br />

Sie können dieses Buch kaufen,<br />

worum wir Sie natürlich herzlich bitten<br />

möchten, – und, soviel Eigenwerbung<br />

sei mir erlaubt – hier und heute<br />

an unserem Verkaufsstand, oder auch<br />

im örtlichen Buchhandel. namentlich<br />

erwähnen darf ich die Buchhandlungen:<br />

Bahnhofsbuchhandlung, Janssen,<br />

Mayersche und Schaten. Der Preis beträgt<br />

10,15 E.<br />

Abschließen möchte ich mit dem<br />

Zitat aus dem Vorwort:<br />

„Die Ausstellung und dieses Buch<br />

soll nicht nur Erinnerung sein, sondern<br />

auch Mahnung für uns, Mahnung<br />

Acht zu geben auf ähnliche Gefahren<br />

in heutiger Zeit, wo diskriminiert wird


AnwBl 1/2003 41<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

aus vielerlei Gründen – aber eben<br />

ohne Recht“.<br />

Jürgen Widder, Vorsitzender des<br />

Bochumer Anwalt- und Notarvereins<br />

e. V.<br />

ARGE Baurecht<br />

10 Jahre ARGE Baurecht –<br />

Jubiläumstagung in Stuttgart<br />

Die ARGE Baurecht im Deutschen<br />

Anwaltverein entstand im August 1992<br />

in Seefeld/Tirol auf einem Sommerintensivkurs<br />

Privates Baurecht der<br />

Deutschen Anwaltakademie mit acht<br />

Gründungsmitgliedern. Inzwischen verzeichnet<br />

die ARGE Baurecht knapp<br />

2.500 Baurechtsanwälte und -anwältinnen<br />

als Mitglieder in ihren Reihen.<br />

Aus Anlass des 10-jährigen Bestehens<br />

der ARGE Baurecht wurde der<br />

Ablauf der 20. Baurechtstagung am<br />

15. und 16. November 2002 im Stuttgarter<br />

Maritim Hotel im fachlichen<br />

und im außerfachlichen Teil als Festprogramm<br />

konzipiert.<br />

Höhepunkt war ein Gala-Abend am<br />

Freitag mit 240 Teilnehmern, der renommierten<br />

Münchner Unterhaltungsband<br />

„Ambros Seelos“ (mit neun Musikern<br />

und einer exotischen Sängerin)<br />

sowie einer Einlage des über die Region<br />

hinaus bekannten „Stuttgarter Juristenkabaretts“.<br />

Die Fachtagung konnte 370 Teilnehmer<br />

verzeichnen. Sieben Referenten<br />

trugen am Freitagnachmittag und<br />

am Samstagvormittag folgende Themen<br />

vor:<br />

– Sicherheiten am Bau, Stand der<br />

Rechtsprechung (Dr. Johann Kuffer,<br />

Richter am BGH)<br />

– Mängelhaftung und Verjährung bei<br />

Architekten- und Ingenieurverträgen<br />

nach neuem Recht (Dr. Wolfgang<br />

Koeble, Rechtsanwalt)<br />

– Vergaberechtliche Kontrolle von<br />

(Bau)Vertragsbedingungen (Monika<br />

Steinforth, Rechtsanwältin)<br />

– Aktuelles zum deutschen Baurecht<br />

(Prof. Dr. Axel Wirth, TU Darmstadt)<br />

– Der Mangelbegriff – Gestern und<br />

Heute (Georg Volk, Rechtsanwalt)<br />

– Der lange Arm des Architekten?<br />

Gedanken zum Urheberrecht (Prof.<br />

Dr. Ulrich Werner, Rechtsanwalt)<br />

– Kündigung des Werkvertrages nach<br />

neuem Recht (Antje Boldt, Rechtsanwältin)<br />

Für die Begleitpersonen wurde am<br />

Freitagnachmittag eine Besichtigung<br />

der „Galerie der Stadt Stuttgart“ im<br />

Kunstgebäude organisiert.<br />

Als Abschlussveranstaltung nahmen<br />

etwa 90 Tagungsteilnehmer und ihre<br />

Begleitung an einem Ausflug in die<br />

„Weißenhofsiedlung“ in Stuttgart teil.<br />

Auf der Mitgliederversammlung,<br />

die unmittelbar nach der Tagung<br />

Samstagmittag stattfand, wurde der<br />

gesamte bisherige Geschäftsführende<br />

Ausschuss der ARGE Baurecht (acht<br />

gewählte Mitglieder plus je ein Mitglied<br />

aus der DAV-Geschäftsführung<br />

und vom DAV-Vorstand entsandt) für<br />

zwei weitere Jahre im Amt bestätigt:<br />

– Rechtsanwalt Dr. Peter Bergmann,<br />

Villingen-Schwenningen<br />

– Rechtsanwältin Dr. Anke Leineweber-Jung,<br />

Köln<br />

– Rechtsanwalt JR Dr. Karl Gessner,<br />

Saarbrücken<br />

– Rechtsanwalt Peter Michael Oppler,<br />

München<br />

– Rechtsanwältin Heike Rath, Frankfurt<br />

– Rechtsanwalt Hans-Benno Ulbrich,<br />

Würzburg<br />

– Rechtsanwalt Herwart Virneburg,<br />

Wiesbaden<br />

– Rechtsanwalt und Notar Franz Werner<br />

Wiesel, Essen.<br />

Außerdem legte die Mitgliederversammlung<br />

den Jahresmitgliedsbeitrag<br />

mit Wirkung zum 01.01.2002 auf 50 E<br />

pro Mitglied und Jahr fest und änderte<br />

insofern auch die Geschäftsordnung<br />

der ARGE Baurecht.<br />

Die Resonanz der Teilnehmer auf<br />

die Veranstaltung war rundum positiv.<br />

Die nächsten Veranstaltungen der<br />

ARGE Baurecht finden statt:<br />

9 am 21./22. März 2003 in Köln (21.<br />

Baurechtstagung, Maritim Hotel am<br />

Heumarkt)<br />

9 am 16./17. Mai 2003 in Bonn („Bauropa<br />

– Baurecht und Europa“, Dorint<br />

Hotel auf dem Venusberg)<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Geschäftsbericht der ARGE<br />

Baurecht für 2001<br />

9 Mitgliederentwicklung<br />

Der Mitgliederbestand betrug 2.111<br />

am 2.1.2001 und 2.337 am 3.1.2002.<br />

Der Zuwachs von 226 (Vorjahr: 285)<br />

beläuft sich prozentual auf 10,7 %<br />

(Vorjahr: 15,6 %) im 9. Jahr nach der<br />

Gründung. Derzeit (Mitte November<br />

2002) gehören rund 2.450 Mitglieder<br />

der Arbeitsgemeinschaft an.<br />

Der jährliche Mitgliederzuwachs in<br />

den ersten 9 Jahren seit der Gründung<br />

war immer sehr beachtlich z. B. +<br />

75,3 % im Jahr 1994, + 21 % in 1995,<br />

+ 18 % in 1996, + 18,1 %, in 1997<br />

und + 14,5 % im Jahr 1998.<br />

9 Veranstaltungen<br />

1. Siebzehnte Baurechtstagung in Berlin<br />

Am 16./17. März 2001 fand mit 310<br />

Teilnehmern im Hotel InterConti Berlin<br />

die Frühjahrstagung 2001 zum Thema<br />

„Die Bauzeit“ mit Referaten von Diplom-Ingenieur<br />

Manuel Biermann, Litzendorf<br />

zum Thema „Baubetriebliche<br />

Grundsätze der Planung und Kontrolle<br />

von Terminabläufen“, von Rechtsanwältin<br />

Dr. Anke Leineweber, Köln zum<br />

Thema „Mehrkostenansprüche des Auftragnehmers<br />

bei gestörtem Bauablauf“,<br />

sowie von Prof. Dr.-Ing. Andreas Lang,<br />

Heppenheim zum Thema „Die baubetriebliche<br />

Ermittlung von störungsbedingten<br />

Mehrforderungen“ sowie abschließender<br />

Themendiskussion statt.<br />

2. Achtzehnte Baurechtstagung in<br />

Nürnberg<br />

Die 18. Baurechtstagung fand am<br />

23./24. November 2001 im Maritim-<br />

Hotel in Nürnberg zum Leitthema<br />

„Die Beweiserhebung im Bauprozess“<br />

vor etwa 350 Teilnehmern statt.<br />

Vorträge hielten Rechtsanwalt Justizrat<br />

Dr. Karl Gessner, Saarbrücken und<br />

Rechtsanwalt Peter Oppler, München<br />

zum Thema „Abgrenzung der rechtlichen<br />

und technischen Beweisfragen,<br />

Thesen und Antithesen“, Rechtsanwältin<br />

Heike Rath, Frankfurt a. M. zum<br />

Thema „Probleme des Sachverständigenbeweises<br />

im Architektenhonorarprozess“,<br />

Axel Wendler, Richter am<br />

OLG Stuttgart zum Thema „Wahrheitsfindung<br />

in der Beweisaufnahme<br />

beim Bauprozess“ sowie Rechtsanwalt<br />

Uwe Lutz, Würzburg zum Thema<br />

„Kosten im Beweisverfahren“.<br />

Als Experiment wurden erstmals<br />

mit Hilfe eines Kamera-Teams die Vorgänge<br />

auf dem Rednerpult und dem<br />

Podium auf eine große Leinwand projeziert<br />

und damit auch für die ungünstigen<br />

Plätze besser sichtbar gemacht.<br />

Die Tagungsteilnehmer begrüßten<br />

diese Neuerung durchweg. Bei den anschließenden<br />

großen Baurechtstagungen<br />

in Dresden und in Stuttgart wurde<br />

das Verfahren beibehalten und noch<br />

verbessert.


42<br />

MN<br />

3. Mitgliederversammlung in Berlin<br />

Die 9. ordentliche Mitgliederversammlung<br />

der ARGE Baurecht (72<br />

Teilnehmer) fand statt am 17. März<br />

2001 in Berlin im Anschluss an die<br />

17. Baurechtstagung. Die Mitgliederversammlung<br />

bestätigte nach Diskussion<br />

einhellig den Meinungsstand,<br />

weiterhin die Einführung des „Fachanwalts<br />

für privates Baurecht“ zu fordern.<br />

Die Satzungsversammlung hatte<br />

bekanntlich im Februar 2001 die Einführung<br />

neuer Fachanwaltschaften insgesamt<br />

abgelehnt. Inzwischen hat in<br />

neuester Plenumssitzung die Satzungsversammlung<br />

im November 2002 beschlossen,<br />

einen „Fachanwalt für Versicherungsrecht“<br />

neu einzuführen. Die<br />

Fachanwalts-Diskussion ist also weiterhin<br />

in Bewegung.<br />

Außerdem ergab ein Meinungsbild<br />

der Mitgliederversammlung einstimmige<br />

Zustimmung für den Vorschlag,<br />

den Mitgliedsbeitrag wegen der Euro-<br />

Umstellung ab 1.1.2002 von 100 DM<br />

auf 50 E umzustellen. Diese wird seit<br />

Jahresanfang auch bereits praktiziert –<br />

im Vorgriff auf die heute anstehende<br />

formelle Beschlussfassung zur Änderung<br />

der Geschäftsordnung bzgl. Beitragshöhe.<br />

Der vom Ausschuss-Vorsitzenden<br />

vorgetragene Geschäftsbericht für<br />

2000 wurde im <strong>Anwaltsblatt</strong> Heft<br />

5/2001, 284 sowie im Mitteilungsblatt<br />

Heft 2/2001, 32 veröffentlicht.<br />

4. Europa-Seminar in Obernai/Elsaß<br />

Am 4./5. Mai 2001 wurde zum<br />

sechsten Mal in Obernai/Elsaß ein Seminar<br />

– zum vierten Mal über zwei<br />

Tage – veranstaltet zum Thema<br />

„Euro’2001 – Baurecht und Europa“<br />

mit den Referenten Rechtsanwalt Dr.<br />

Rainer Noch, Berlin zum Thema „Aktuelle<br />

Fragen des Vergaberechts“,<br />

Prof. Dr. Reinhold Thode, Richter am<br />

BGH, Karlsruhe zum Thema „Die<br />

Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen<br />

Rechtsverkehr“ und Prof.<br />

Friedrich Quack, Richter am BGH<br />

a. D., Berlin über „Grenzüberschreitende<br />

Verträge“. Die Veranstaltung besuchten<br />

54 Teilnehmer.<br />

5. Schlichterseminare SOBau:<br />

Bereits seit Anfang des Jahres<br />

2000 veranstaltet die ARGE Baurecht<br />

in eigener Verantwortung ein fünftägiges<br />

Seminar „Schlichtung nach der<br />

SOBau“ an verschiedenen Veranstaltungsorten.<br />

Die Teilnehmerzahl ist auf<br />

25 begrenzt. Der Besuch des Schlichter-Seminars<br />

ist Voraussetzung für die<br />

Aufnahme in die Schlichterliste. Das<br />

Seminar wurde im Jahr 2001 vier Mal<br />

in Bad Soden, Berlin, Nürnberg und<br />

Hannover geboten. Es nahmen insgesamt<br />

60 Kolleginnen und Kollegen<br />

teil (im Vorjahr bei vier Veranstaltungen:<br />

104 Teilnehmer). Zusätzlich wurden<br />

in Bad Soden und Nürnberg zwei<br />

Vertiefungsseminare mit insgesamt 23<br />

Teilnehmern (im Vorjahr: 30 Teilnehmer)<br />

durchgeführt.<br />

9 Mitteilungsblätter<br />

Wie in den Vorjahren erschien das<br />

Mitteilungsblatt der ARGE Baurecht<br />

auch im Jahr 2001 mit insgesamt 4<br />

Ausgaben. Die Druckauflage betrug<br />

im Durchschnitt 2.800 Hefte (Gesamtdruckauflage<br />

2001: 11.200 Hefte; Vorjahr:<br />

11.000 Hefte). Redaktion und<br />

Abwicklung der Herstellung und des<br />

Versandes wurden ehrenamtlich von<br />

Frau Kollegin Heike Rath geleistet.<br />

9 Pressearbeit und Publikationen<br />

Im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2001 wurden die<br />

Aktivitäten der ARGE Baurecht dargestellt<br />

auf den Seiten 101, 163, 284,<br />

334 und 418. Hinzuweisen ist außerdem<br />

auf die Kooperation seit 1992 mit<br />

der anerkannten Baufachzeitschrift<br />

„Baurecht“.<br />

9 Homepage/Internet-Aktivitäten<br />

Bei der 16. Baurechtstagung im<br />

November 2000 in Hamburg wurde<br />

das ganz neu aufgelegte Informationsportal<br />

„www.arge-baurecht.com“ den<br />

Mitgliedern und den Tagungsteilnehmern<br />

vorgestellt. Anschließend und im<br />

Laufe des Jahres 2001 wurde das Angebot<br />

verfeinert, regelmäßig aktualisiert<br />

und ergänzt z. B. um die neue Rubrik<br />

„Bauropa – Baurecht in<br />

Europa“.<br />

Im Mai, Juni und Juli 2002 erschienen<br />

die ersten drei Ausgaben des<br />

neuen monatlichen Informationsdienstes<br />

„Bauropa“, den die ARGE Baurecht<br />

im DAV in Zusammenarbeit mit<br />

dem DAV-Büro in Brüssel für die Mitglieder<br />

der Arbeitsgemeinschaft exklusiv<br />

zusammenstellt. Die „Bauropa“-Informationen<br />

werden nur über die<br />

Homepage der ARGE Baurecht verbreitet.<br />

Die Informationen sind nur<br />

nach Eingabe eines allen Mitgliedern<br />

der ARGE Baurecht bekannten Passwortes<br />

zugänglich. Der Informationsdienst<br />

wurde zunächst monatlich,<br />

derzeit im Zwei-Monats-Rhythmus zusammengestellt.<br />

Die Informationen<br />

werden im Auftrag der ARGE Baurecht<br />

von einem deutschen Kollegen<br />

(Herr Röpke/Bochum) recherchiert<br />

und verfasst.<br />

Seit September 2001 wurde ein<br />

Markenschutzverfahren für die Be-<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

zeichnung „Bauropa“ betrieben. Seit<br />

Oktober 2002 ist die Marke „Bauropa“<br />

rechtsbeständig beim Deutschen Patent-<br />

und Markenamt eingetragen.<br />

9 SOBau<br />

Auch die Bezeichnung „SOBau“<br />

wurde im Jahr 2001 zum Markenschutz<br />

beim Deutschen Patent- und<br />

Markenamt in München angemeldet.<br />

Seit Oktober 2002 ist das Wort-Bild-<br />

Zeichen „SOBau“ dort als Marke<br />

geschützt.<br />

Weniger erfreulich war im Laufe des<br />

Jahres 2001 eine Auseinandersetzung<br />

der ARGE Baurecht mit Kollegen aus<br />

Franken, die das System der SOBau gegenüber<br />

dem Publikum als eigenes Produkt<br />

und unter eigenen Bezeichnungen<br />

verwendeten. Inzwischen wurden entsprechendeUnterlassungsvereinbarungen<br />

außergerichtlich getroffen.<br />

Natürlich ist die Verwendung des „SO-<br />

Bau“-Systems und auch der Schlichtungs-<br />

und Schiedsordnung durch die<br />

Mitglieder geradezu erwünscht – aber<br />

bitte in der autentischen Form und unter<br />

Hinweis auf die Urheberschaft durch<br />

die ARGE Baurecht, nicht als „Plagiat“<br />

in einer irreführenden Darstellung eigener<br />

Urheberschaft.<br />

Auf der Schlichter-/Schiedsrichterliste<br />

der ARGE Baurecht werden mittlerweile<br />

164 Kolleginnen und Kollegen<br />

nach Prüfung durch den Bestellungsund<br />

Benennungsausschuss geführt.<br />

9 Geschäftsführender Ausschuss<br />

Die Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses kamen im Jahr<br />

2001 zu fünf Ausschuss-Sitzungen<br />

zusammen (Frankfurt a. M., Berlin,<br />

Obernai, Nürnberg 2 x).<br />

Die wichtigsten Themen der Ausschuss-Sitzung<br />

waren die Vorbereitung<br />

der kommenden großen Baurechtstagungen<br />

sowie der beiden Obernai-Veranstaltungen<br />

„Euro’2001“ und<br />

„Euro’2002“. Ein weiteres Kardinalthema<br />

war die bereits erwähnte<br />

„Schlichtungs- und Schiedsverfahrensordnung<br />

für Baustreitigkeiten“ in verschiedenen<br />

Facetten (Werbung, Verbreitung,<br />

Aktionsplan, Bestellung und<br />

Benennung von Schlichtern/Schiedsrichtern,<br />

Schlichter-Seminare usw). Außerdem<br />

wurden die Mitgliederversammlungen<br />

2001 in Berlin und 2002 in<br />

Stuttgart sowie das Thema „Fachanwalt<br />

für Baurecht“ eingehend erörtert.<br />

9 Veranstaltungsorganisation<br />

Die Veranstaltungen der ARGE Baurecht<br />

werden bereits seit 1996 von der<br />

Organisationsabteilung der Deutschen<br />

Anwaltakademie im Auftrag der ARGE<br />

Baurecht organisiert, zunächst von


AnwBl 1/2003 43<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Bonn und seit November 2000 von Berlin<br />

aus. Die Zusammenarbeit ist gekennzeichnet<br />

von einem guten Klima zu den<br />

Mitarbeitern der Anwaltakademie und<br />

dies bei einem hohem organisatorischen<br />

Anspruch. Seit der Herbsttagung 2000<br />

in Hamburg ist Herr Frank Ritter aus<br />

Berlin für die Veranstaltungsorganisation<br />

verantwortlich.<br />

9 Rückblick und Ausblick für 2002<br />

und 2003<br />

Für die Geschäftsjahre 2002 und<br />

2003 ist zu den Aktivitäten der ARGE<br />

Baurecht zu berichten:<br />

1. Baurechtstagungen im Jahr 2002:<br />

Die 19. Baurechtstagung am<br />

15./16. März 2002 im Kempinski Taschenbergpalais<br />

in Dresden mit dem<br />

Thema „Auswirkungen der Schuldrechtsreform<br />

und der ZPO-Reform<br />

im Baurecht“ hatte einen Besuch von<br />

rund 430 Teilnehmern.<br />

Die 20. Baurechtstagung – unmittelbar<br />

im Vorfeld dieser Mitgliederversammlung<br />

– hier in der „Alten Reithalle“<br />

in Stuttgart, Maritim Hotel<br />

(Oberthema: „Aktuelle Probleme des<br />

privaten Baurechts“) mit Ball am<br />

Freitagabend aus Anlass des 10-jährigen<br />

Bestehens der ARGE Baurecht ist<br />

gerade beendet. Sie verbucht etwa 360<br />

Teilnehmer.<br />

2. Baurechtstagungen im Jahr 2003:<br />

Die 21. Baurechtstagung ist geplant<br />

für Freitag/Samstag, den 21./22. März<br />

2003 in Köln, Maritim Hotel zum<br />

Leitthema „AGB am Bau“. Die Themen<br />

der einzelnen Vorträge und die<br />

Referenten werden in Kürze im Mitteilungsblatt<br />

und im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

veröffentlicht.<br />

Die 22. Baurechtstagung soll am<br />

21./22. November 2003 in Hannover,<br />

Maritim-Airport-Hotel stattfinden. Die<br />

Themen stehen noch nicht fest.<br />

3. Europa-Seminare:<br />

Am 31.5./1.6.2002 fand zum siebten<br />

Mal in Obernai/Elsaß – diesmal<br />

mit 35 Teilnehmern – die Veranstaltung<br />

„Euro’2002 – Baurecht in Europa“<br />

statt mit Vorträgen von Rechtsanwalt<br />

Dr. Rainer Noch, Berlin zum<br />

Thema „Die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf,<br />

§ 651 BGB, Die Unwägbarkeiten<br />

im neuen Werkvertragsrecht“,<br />

mit Dr.-Ing. Horst Grüneis,<br />

COBRA Projekt- und Objektmanagement<br />

GmbH, Frankfurt a. M. zum<br />

Thema „Operative Risiken in der Realisierung<br />

von Großprojekten, Konsequenzen<br />

aus Basel II“, mit Rechtsanwalt<br />

Thorsten Röller, Frankfurt a. M.<br />

zum Thema „Geltung der Gründungsoder<br />

der Sitztheorie im Europäischen<br />

Kontext und Auswirkungen auf die<br />

Bauwirtschaft“ sowie mit Rechtsanwältin<br />

Dr. Anke Leineweber, Köln<br />

zum Thema „Die Auswirkungen der<br />

Europäischen DIN-EN-Normen auf<br />

deutsche Bauverträge anhand des Beispiels<br />

Stahlbau“.<br />

Für den 16./17. Mai 2003 ist zum<br />

achten Mal eine bau-europarechtliche<br />

Veranstaltung „Bauropa 2003 – Baurecht<br />

in Europa“ geplant – aber erstmals<br />

nicht in Obernai sondern in<br />

Bonn, Dorint-Hotel Venusberg – unter<br />

anderem mit Vorträgen ausländischer<br />

Kolleginnen und Kollegen aus<br />

den Niederlanden, aus Polen und aus<br />

Spanien zu den Grundzügen des Baurechts<br />

ihrer Herkunftsländer. Alle Vorträge<br />

sollen auf Deutsch gehalten werden.<br />

Der Teilnehmerkreis ist auf 80<br />

Teilnehmer begrenzt.<br />

4. Schlichterseminare SOBau:<br />

Im Jahre 2002 wurde der zunächst<br />

geplante und beworbene Grundlagenkurs<br />

(in Nürnberg) für die Ausbildung<br />

zum Schlichter nach der SOBau wg.<br />

zu geringer Anmeldezahl storniert.<br />

Allerdings konnte ein Vertiefungsseminar<br />

II unter der Leitung von Frau<br />

Dipl.-Psych. Wölke am 19./20.4.2002<br />

in Nürnberg durchgeführt werden (15<br />

Teilnehmer).<br />

Im Jahr 2003 ist derzeit nur ein<br />

sehr reduziertes Angebot an Schlichterseminaren<br />

geplant, da die Nachfrage<br />

deutlich zurückgegangen ist. Geplant<br />

ist im 1. Halbjahr nur ein<br />

Grundlagenseminar im Januar in Berlin.<br />

Plätze sind noch frei.<br />

5. Homepage/Internet:<br />

Angedacht ist eine Aufwertung der<br />

Homepage www.arge-baurecht.com<br />

durch ein – wie auch immer gestaltetes<br />

– Datenbankangebot für die Mitglieder.<br />

Gewünscht ist ein kostengünstiger<br />

Zugang zu den wesentlichen<br />

baurechtlichen Entscheidungen und<br />

Informationen. Die Daten sollen<br />

brandaktuell sein. Die Gespräche und<br />

Verhandlungen laufen noch.<br />

6. Mitgliederliste:<br />

Die aktuelle Mitgliederliste 2002<br />

wird dem nächsten Mitteilungsblatt<br />

Ausgabe 4/2002 – erscheint Mitte Dezember<br />

– beiliegen.<br />

Hinweis: Informationen über die<br />

Aktivitäten, Veranstaltungen, Zielsetzungen<br />

und Planungen oder Beitrittsunterlagen<br />

erhalten interessierte Anwälte<br />

auf der Homepage unter<br />

www.arge-baurecht.com oder beim<br />

Sekretariat der ARGE Baurecht in der<br />

DAV-Geschäftsstelle unter der<br />

Adresse: 10179 Berlin, Littenstraße<br />

11, Fax: 0 30 – 72 61 52-136 oder<br />

über E-Mail: henke@anwaltverein.de.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

AG Steuerrecht<br />

Veranstaltungsbericht Steueranwaltstag<br />

2002 in Berlin<br />

Die Veranstaltung – unter „neuer<br />

Leitung“<br />

Der von der Ag Steuerrecht veranstaltete,<br />

einmal jährlich stattfindende<br />

„Steueranwaltstag“ ist zu einer<br />

festen Größe im Programm des DAV<br />

geworden und lockt von Jahr zu Jahr<br />

mehr am Steuerrecht Interessierte<br />

nach Berlin. So zog die Veranstaltung<br />

am 15.–16. November, die unter der<br />

souveränen Leitung des Kollegen<br />

Friedhelm Jacob, Hengeler Mueller,<br />

Frankfurt, stand, in diesem Jahr mehr<br />

als doppelt so viele Teilnehmer wie im<br />

Jahr 2001, nämlich mehr als 220 in<br />

das Hilton Hotel am Gendarmenmarkt.<br />

Die Referate am Freitag<br />

Der Freitagvormittag gehörte den<br />

Referenten Dr. Randolf Mohr, Fachanwalt<br />

für Steuerrecht, Wirtz & Kraneis,<br />

Köln und Dr. Rolf Schwedhelm,<br />

Fachanwalt für Steuerrecht, Streck<br />

Mack Schwedhelm, Köln. „Die GmbH<br />

& Co. KG – Rechtsform mit neuer Attraktivität“<br />

war ihr Thema. Neben den<br />

zivilrechtlichen Grundlagen, der Darstellung<br />

der Gründungsprobleme, der<br />

Gesellschafterhaftung und der Anteilsübertragung,<br />

wandten sich die Referenten<br />

eingehend den steuerlichen<br />

Vor- und Nachteilen der GmbH & Co.<br />

KG bei laufender Besteuerung, der Unternehmensnachfolge<br />

und dem Unternehmenskauf<br />

zu. Auch die Darstellung<br />

der Umwandlung fehlte nicht. Den Teilnehmern<br />

konnte ein hervorragendes,<br />

146 Seiten (einschließlich Mustersatzung)<br />

umfassendes Skript zur Verfügung<br />

gestellt werden, das qualifizierte<br />

Nachbereitung ermöglicht. Danke.<br />

Den Nachmittag begann Dr. Peter<br />

Bilsdorfer, Richter am Finanzgericht<br />

Saarland, mit einer Darstellung der<br />

„Informationsquellen und -wege der<br />

Finanzverwaltung“. Die politische Motivation,<br />

wie sie im Koalitionsvertrag<br />

vom 16.10.2002 festgehalten wurde,<br />

nämlich sicherzustellen, daß das geltende<br />

Steuerrecht insbesondere für pri-


44<br />

MN<br />

vate Veräußerungsgeschäfte Kapitalsowie<br />

Mieterträge effektiver erfasse,<br />

stellte er voran. Eine Analyse der bisherigen<br />

Rechtsprechung zu Ermittlungen<br />

ins Blaue, Rasterfahndungen und<br />

Ausforschungsdurchsuchungen folgte.<br />

Bereits hier bot sich Gelegenheit, bestehende<br />

strukturelle Mängel des Steuererhebungsverfahrens<br />

kurz zu diskutieren.<br />

Nicht ohne richterlichen<br />

Witz und Scharfsinn kommentierte<br />

Bilsdorfer den Informationsaustausch<br />

innerhalb der Finanzverwaltung. Kritisch<br />

äußerte er sich insbesondere zum<br />

Informationsfluß zwischen den Veranlagungsstellen<br />

zur Einkommensteuer<br />

und den Erbschaftsteuerstellen der Finanzämter.<br />

Nicht nur für Steuerstrafrechtler darf<br />

als Höhepunkt des Nachmittags sicher<br />

das Referat von Prof. Dr. Erich Samson,<br />

Buccerius Law School, Hamburg, bezeichnet<br />

werden. Professor Samson<br />

machte die Zuhörer mit dem „Syndrom<br />

der Verwöhnungsverwahrlosung“ vertraut,<br />

eine Erscheinung, die üblicherweise<br />

im Bereich der Jugendkriminologie<br />

diskutiert wird. Nach wenigen<br />

einleitenden Worten erschloß sich jedem<br />

Zuhörer blitzschnell, daß hier das<br />

Verhalten des Gesetzgebers einer scharfen<br />

Analyse mit eindeutig vernichtendem<br />

Ergebnis unterzogen wurde.<br />

„Geldwäsche-Risiken für Beratung und<br />

Berater“ war ein Thema, was dem Referenten<br />

zur Kritik jede erdenkliche Gelegenheit<br />

bot. Mit Hilfe der These der<br />

„Kontaminierten Volkswirtschaft“ und<br />

unter Hinweis auf die verfehlte Diagnose,<br />

daß der Gesetzgeber lernfähig sei,<br />

sezierte Professor Samson den Gesetzestext<br />

des Geldwäschetatbestandes:<br />

„Das Verbergen der Herkunft ersparter<br />

Aufwendungen“ sei eine Tatbestandsalternative,<br />

deren Wortlaut schon nicht<br />

nachvollziehbar sei. Keiner der über<br />

220 Tagungsteilnehmer widersprach<br />

folglich, als Samson dem Geldwäschetatbestand<br />

höchste verfassungsrechtliche<br />

Fragwürdigkeit bescheinigte.<br />

So vorbereitetes Terrain fand dann<br />

Dr. Ingo Flore, Rechtsanwalt und<br />

Steuerberater, Echtermeyer & Koll.,<br />

Dortmund, der sich im Anschluß dem<br />

Tatbestand der gewerbs- oder bandenmäßigen<br />

Steuerhinterziehung (§ 370 a<br />

AO), widmete. Es bedarf kaum der Erwähnung,<br />

daß auch diese Glanzleistung<br />

des Gesetzgebers – fachlich fundiert<br />

– vom blanken Dortmunder<br />

zerlegt wurde. Das Fazit: Bei ergebnisoffener<br />

Beratung kommt die Selbstanzeige<br />

nicht mehr in Betracht. Konfliktoffene<br />

Steuerstrafverteidigung ist<br />

die Konsequenz.<br />

Das aufgeputschte Auditorium ließ<br />

sich zum Abschluß des ersten Tages mit<br />

Dr. Rainer Spatscheck, Fachanwalt für<br />

Steuerrecht, Streck Mack Schwedhelm,<br />

München, nochmals intensiv auf „Strafbarkeit<br />

und Haftung nach dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz“<br />

– die<br />

weiteren Neuregelungen ohne § 370 a<br />

AO und § 261 StGB – ein. Umsatzsteuernachschau,<br />

Sicherheitsleistung bei<br />

Vorsteuerüberhängen, Haftung für<br />

fremde Umsatzsteuerschulden und die<br />

Frage nach dem Fortbestand der Selbstanzeigemöglichkeit<br />

trotz Nachschau<br />

gaben jeden Anlaß für eine aufgeschlossene<br />

Diskussion. Auch in diesem<br />

Punkt wurde die Qualität der Tagungsbeiträge<br />

deutlich, denn welcher<br />

Teilnehmer könnte nach so einem Programm<br />

noch fachlich diskutieren, ohne<br />

„abzusacken“, wäre er nicht immer<br />

wieder herausgefordert worden?<br />

Das Rahmenprogramm<br />

Die DATEV sponserte, die Teilnehmer<br />

blieben gern: Mit einem kleinen<br />

Empfang klang die Freitagsveranstaltung<br />

aus. Offensichtlich waren viele<br />

zu „k.o.“ um jetzt noch Berlin zu genießen<br />

... Oder doch nicht?<br />

Die Mitgliederversammlung<br />

Die Mitgliederversammlung begann<br />

pünktlich am Freitagabend im<br />

unmittelbaren Anschluß an den letzten<br />

Tagungsbeitrag des Tages. Der Vorsitzende<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses,<br />

Dr. Rolf Schwedhelm, Köln,<br />

eröffnete mit dem Geschäftsbericht für<br />

das zurückliegende Jahr. Veranstaltungen,<br />

Internetauftritt und steueranwaltsmagazin<br />

haben sich etabliert. In der<br />

anstehenden Neuwahl des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses wurden die<br />

weitgehend wieder kandidierenden<br />

Mitglieder bestätigt. Rechtsanwältin<br />

Anja Möwisch, Hannover, kandidierte<br />

nicht erneut. Statt ihrer rückte Andreas<br />

Jahn, Rechtsanwalt und Steuerberater,<br />

Meyer-Köring von Danwitz<br />

Privat, Bonn, nach. Aufmerksamen<br />

Lesern des steueranwaltsmagazins ist<br />

er bereits bekannt. Neben regelmäßigen<br />

Beiträgen hat er dort die Rubrik<br />

„Tax LawLinks“ übernommen.<br />

Vorsitzender des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses ist Dr. Rolf Schwedhelm,<br />

Köln, sein Stellvertreter Dr.<br />

Ingo Flore, Dortmund. Die weiteren<br />

Mitglieder sind Kirsten Bäumel-Ianniello,<br />

Aachen, Andreas Jahn, Bonn,<br />

Sebastian Korts, Köln, Dr. Jochen<br />

Krieger, Stade, Dr. Marcel Sauren,<br />

Aachen, Jürgen Wagner, Konstanz.<br />

Vom DAV „abgeordnet“ wird nach wie<br />

vor Friedhelm Jacob, Frankfurt, dem<br />

an dieser Stelle ausdrücklich für die<br />

Leitung der Tagung und der Mitgliederversammlung<br />

zu danken ist.<br />

Die Referate des Steueranwaltstages<br />

werden, wie gewohnt, in der<br />

Broschüre „Steueranwalt 2002“ zusammengefaßt<br />

und den Mitgliedern im<br />

kommenden Frühjahr zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Der nächste Tag<br />

AnwBl 1/2003<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Brennend aktuell ging es am nächsten<br />

Morgen mit Dr. Reinhard Geck,<br />

Rechtsanwalt, Notar und Steuerberater,<br />

Hannover, weiter. Auch hier waren es<br />

Gesetzesänderungen und der Vorlagebeschluß<br />

des BFH vom 22.0.2002<br />

(II R 61/99, BStBl. II, 2002, 598), die<br />

das Referat über „Aktuelle Entwicklungen<br />

bei vorweggenommener Erbfolge<br />

und Erwerb von Todes wegen“ unverzichtbar<br />

und den Saal voll machten.<br />

Nicht ohne gewissen Sarkasmus – „Sterben<br />

für die Bildung“ – kommentierte<br />

auch dieser Referent die verzweifelten<br />

Versuche des Gesetzgebers „Druck aus<br />

dem Kessel“ zu lassen. Sein Ziel, „zwar<br />

kein harmonisches, jedoch ein einigermaßen<br />

vollständiges Bild“ der Entwicklungen<br />

im Bereich vorweggenommener<br />

Erbfolge sowie Erwerbes von Todes wegen<br />

zu geben, hat der Referent erfüllt.<br />

Die gründliche Auseinandersetzung mit<br />

der Rechtsprechung wurde auch hier in<br />

einem auffallend guten Skript (37 Seiten)<br />

dokumentiert und bleibt zur Nachbereitung<br />

empfohlen.<br />

Dem in nichts nachstehend folgte<br />

Karsten Sessinghaus, Richter am Finanzgericht<br />

Köln, mit einem Referat<br />

über die praktische Relevanz der einzelnen<br />

neuen Bestimmungen in der FGO-<br />

Novelle. Auch hier blieb die Diskussion<br />

nicht aus, zeigte der Autor doch die<br />

praktischen Konsequenzen der Neuregelungen<br />

auf, die nicht immer die Zustimmung<br />

des Auditoriums fanden, an<br />

denen der prozessierende Steueranwalt<br />

jedoch kaum vorbeikommt.<br />

Was in „Kapitalvermögen und privaten<br />

Veräußerungsgewinnen“ steckt,<br />

erschloß sich durch den Vortrag von<br />

Dr. Jörg-Andreas Lohr, Wirtschaftsprüfer<br />

und Steuerberater, Düsseldorf.<br />

Auch hier fand sich die qualifizierte<br />

Aufarbeitung des Beraterthemas. Gesetzliche<br />

Neuregelungen und die neueste<br />

Entwicklung in der Rechtsprechung<br />

brachten die Teilnehmer auf den<br />

neuesten Stand.<br />

Rechtsanwalt Kirsten Bäumel-Ianniello,<br />

Aachen


AnwBl 1/2003 45<br />

6<br />

Stiftung „Erinnerung, Verantwortung<br />

und Zukunft“<br />

Am 2.8.2000 wurde nach großer Zustimmung aller<br />

Fraktionen des Deutschen Bundestages das Gesetz zur Errichtung<br />

einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und<br />

Zukunft“ verkündet (BGBl. I 2000, S. 1263).<br />

Es ist am 03.08.2000 in Kraft getreten. Die Bundesrepublik<br />

und viele Unternehmen der deutschen Wirtschaft<br />

haben für die Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen<br />

und Zwangsarbeitern einen Fonds in Höhe von<br />

10.000.000.000 DM zur Verfügung gestellt, der seit dem Inkrafttreten<br />

des Gesetzes von Vorstand und Kuratorium der<br />

Stiftung verwaltet und ausgekehrt wird.<br />

Am Zustandekommen des Gesetzes haben auch deutsche<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte durch gerichtliche<br />

und außergerichtliche Tätigkeit mitgewirkt. In Anerkennung<br />

dieser Tatsache ist in § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes eine<br />

Erstattung vorgesehen für Aufwendungen von Rechtsanwälten<br />

und Rechtsbeiständen, die durch ihr Tätigwerden zu<br />

Gunsten der nach § 11 des Gesetzes leistungsberechtigten<br />

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zur Errichtung der<br />

Stiftung beigetragen oder auf andere Weise ihr Zustandekommen<br />

gefördert haben, insbesondere, indem sie an den<br />

multilateralen Verhandlungen teilgenommen oder indem sie<br />

zwischen dem 14. November 1990 und dem 17. Dezember<br />

1999 für die Leistungsberechtigten Klage erhoben haben.<br />

Ein Rechtsanspruch auf diese Entschädigung besteht nach<br />

dem Gesetzeswortlaut nicht. Nach dieser grundsätzlichen gesetzlichen<br />

Bestimmung hat das Kuratorium der Stiftung am<br />

25.1.2001 Richtlinien für die Entscheidungen über Honorarforderungen<br />

von deutschen Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen<br />

im Sinne dieser Gesetzesbestimmung erlassen, einen<br />

Höchstbetrag von 4.000.000 DM für die Erstattung solcher<br />

Aufwendungen festgelegt und nach der gesetzlichen Regelung<br />

bestimmt, dass für die Verteilung dieses Betrages als<br />

Schiedsperson Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig Koch, Köln,<br />

berufen wird. Unter Wiederholung des Gesetzestextes wird<br />

festgelegt, dass seine Entscheidungen endgültig sind.<br />

Nach seiner Berufung hat Koch die Tätigkeit als<br />

Schiedsperson im Sinne von § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes<br />

aufgenommen.<br />

Nach umfangreichen Recherchen hat er unter dem<br />

15.7.2002 dem Vorstand der Stiftung z. H. des Vorstandsmitglieds<br />

Dr. Hans Otto Bräutigam einen Abschlussbericht<br />

vorgelegt, der folgenden Wortlaut hat:<br />

Abschlussbericht der Schiedsperson zum<br />

Aufwendungsersatz für deutsche Rechtsanwälte<br />

und Rechtsbeistände gem. § 9 Abs. 12 EVZ StiftG;<br />

Beschluss des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung,Verantwortung<br />

und Zukunft“ vom 25.1.2001<br />

I.<br />

Das Stiftungsgesetz mit § 9 Abs. 12 ist am 3.8.2000 in<br />

Kraft getreten. Am 25.1.2001 hat das Kuratorium der Stiftung,<br />

dem gesetzlichen Auftrag entsprechend, den oben umrissenen<br />

Beschluss gefasst und in Ziffer 9 dieses Beschlusses<br />

mich zur Verteilung des Betrages gem. § 8 des<br />

Beschlusses, nämlich 4 Mio. DM für die Erstattung von<br />

l<br />

Aufwendungen der Rechtsanwälten und Rechtsbeistände,<br />

berufen.<br />

Hierüber wurde ich durch Schreiben des Vorstands der<br />

Stiftung vom 2.2.2001 unterrichtet und habe danach die Zusammenarbeit<br />

mit dem Vorstand, zuständig Dr. Hans Otto<br />

Bräutigam, aufgenommen. Meine erste Tätigkeit war die<br />

Formulierung und die Veranlassung, den Beschluss des Kuratoriums<br />

vom 25.01.2001 zu veröffentlichen, um die Antragsfrist<br />

des § 9 Abs. 12 EVZ StiftG in Gang zu setzen.<br />

Veröffentlicht wurde der Richtlinienbeschluss in den Mitteilungen<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer, dem <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

des Deutschen Anwaltvereins, der Neuen Juristischen<br />

Wochenschrift und im Bundesanzeiger. Die letzte Veröffentlichung<br />

war die im Bundesanzeiger vom 13.6.2001 mit<br />

der Konsequenz, dass die Antragsfrist des Gesetzes für<br />

Aufwendungsersatzanträge deutscher Rechtsanwälte und<br />

Rechtsbeistände am 13.2.2002 ablief.<br />

II.<br />

Nach Veröffentlichung der Richtlinien gingen sukzessive,<br />

zuletzt am 12. und 13.2.2002, insgesamt 34 Anträge<br />

von Antragstellerinnen und Antragstellern ein.<br />

Anhand der eingereichten Anträge und Unterlagen<br />

wurde umfangreiche Aktenprüfung notwendig. Das Gesetz<br />

und der Richtlinienbeschluss schreiben vor, dass die geltend<br />

gemachten Aufwendungen zu belegen sind, so dass die<br />

Schiedsperson eine Belegprüfung vornehmen musste. Angesichts<br />

der Vielzahl der von Antragstellerinnen und Antragstellern<br />

beratenen und vertretenen Fälle ergab sich ein<br />

so umfangreiches Aktenmaterial, dass in mehreren Fällen<br />

die Belegprüfung vor Ort in der Kanzlei der antragstellenden<br />

Rechtsanwälte durch meinen Kollegen Börsch und<br />

mich vorgenommen werden musste.<br />

III.<br />

Weil die Prüfung Ende 2001 ergab, dass der vom Kuratorium<br />

zur Verfügung gestellte Höchstbetrag von<br />

4 Mio. DM oder 2.045.167,50 E keineswegs ausreichte,<br />

habe ich die Antragstellerinnen und Antragsteller zu einem<br />

Gespräch, um dies zu erläutern, nach Berlin in das Haus<br />

des Deutschen Anwaltvereins eingeladen, der einen Sitzungsraum<br />

dankenswerterweise zur Verfügung stellte, so<br />

dass Mietaufwendungen erspart wurden. Im Gespräch mit<br />

16 Antragstellerinnen und Antragstellern, die umfangreich<br />

beraten und vertreten hatten, habe ich meinen Vorsatz erläutert,<br />

aus dem zur Verfügung stehenden Höchstbetrag nach<br />

Möglichkeit die nachgewiesenen, aus dem eigenen Vermögen<br />

der Antragstellerinnen und Antragsteller tatsächlich<br />

ausgegebenen Kosten, Reisekosten, Fotokopierkosten, Hotelkosten,<br />

spezielle Aufrüstung von EDV, Übersetzungskosten,<br />

personelle Aufwendungen für zum Zwecke der Bearbeitung<br />

der Angelegenheiten von Zwangsarbeiterinnen und<br />

Zwangsarbeitern zusätzlich eingestelltem Büropersonal, zu<br />

ersetzen. Den dann noch nicht verbrauchten Teil des<br />

Höchstbetrages von 2.045.167,50 E, so meine den Antragstellerinnen<br />

und Antragstellern mitgeteilte Entscheidung,<br />

würde ich dann im Verhältnis des Vertretungsaufwandes<br />

nach einem geltend gemachten und von mir auf Schlüssigkeit<br />

geprüften anwaltlichen Zeithonorar vergüten, wobei ein<br />

Stundensatz von 62 E allenfalls zugrunde gelegt werden<br />

könnte.<br />

Da dies ein Stundenhonorar ist, das deutlich unter dem<br />

von deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten übli-


46<br />

l<br />

cherweise abgerechneten Stundenhonorar bleibt, wurde das<br />

im Endergebnis in der Diskussion des 23.01.2002 mit den<br />

erschienenen Antragstellerinnen und Antragstellern im<br />

Blick auf die Honorierung der US-amerikanischen Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte und eines deutschen<br />

Rechtsanwalts enttäuscht registriert, aber akzeptiert.<br />

IV.<br />

Die Diskussion erbrachte die übereinstimmende Bitte aller<br />

am 23.1.2002 in Berlin erschienenen Antragstellerinnen<br />

und Antragsteller, durch die Schiedsperson die Anregung<br />

an den Vorstand und über den Vorstand an das Kuratorium<br />

der Stiftung heranzutragen, den Höchstbetrag der Ziffer 8<br />

des Richtlinienbeschlusses – 2.045.167,50 E – zu erhöhen.<br />

Entsprechend habe ich bei dem Vorstand beantragt, der<br />

dies befürwortend an den Vorsitzenden des Kuratoriums<br />

weitergab. So kam es zur Anhörung der Schiedsperson in<br />

der Sitzung des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung<br />

und Zukunft“ am 21. Februar 2002 in Berlin.<br />

Ich habe entsprechend vorgetragen, es wurde diskutiert,<br />

mehrheitlich konnte sich das Kuratorium der Stiftung aber<br />

nicht dazu entschließen, den Höchstbetrag zu erhöhen.<br />

V.<br />

Also war am 21.2.2002 endgültig klar, dass der zur<br />

Verfügung stehende Höchstbetrag zu verteilen war. Es ergab<br />

sich bei der danach einsetzenden Prüfung in vielen Einzelfällen<br />

die Notwendigkeit, in Kommunikation mit den<br />

Antragstellern zu treten, in einigen Fällen ergab sich schon<br />

aus der Antragstellung und den eigenen Hinweisen von<br />

Antragstellern die Unbegründetheit von Anträgen.<br />

Die Abschlussprüfung der Schiedsperson setzte Mitte<br />

März 2002 ein und war mit letzten Diktaten am 13. Juli<br />

2002 abgeschlossen.<br />

Zu bescheiden waren insgesamt 34 Anträge. Von diesen<br />

34 Anträgen waren 12 unbegründet, zum Teil unzulässig.<br />

Nach entsprechenden Hinweisen wurden die Anträge entweder<br />

von Antragstellern zurückgenommen oder von der<br />

Schiedsperson abschlägig beschieden.<br />

Nach § 13 Abs. 12 EVZ StiftG und Ziffer 9 des Richtlinienbeschlusses<br />

des Kuratoriums besteht auf Aufwendungsersatz<br />

von berechtigten Antragstellerinnen und Antragstellern<br />

kein Rechtsanspruch, die Entscheidungen der<br />

Schiedsperson sind endgültig und nicht rechtsbehelfsfähig.<br />

22 Anträge waren zulässig und begründet. Zu verteilen<br />

war der vom Kuratorium der Stiftung zur Verfügung gestellte<br />

Höchstbetrag an deutsche Rechtsanwälte und Rechtsbeistände.<br />

Der Begriff des Rechtsbeistands im Sinne der<br />

gesetzlichen und der Richtlinienbestimmung war nicht<br />

rechtstechnisch im Sinne eines nach den Bestimmungen<br />

des Rechtsberatungsgesetzes ausdrücklich zugelassenen<br />

Rechtsbeistands zu verstehen, wie die Gesetzesmaterialien<br />

belegen. Von den 22 zulässigen und begründeten Anträgen<br />

gab es 2 Anträge von zugelassenen Rechtsbeiständen, einer<br />

von einem nicht zugelassenen Rechtsbeistand, der sich jahrzehntelang<br />

in besonderem Umfang für die Entschädigung<br />

von NS-Geschädigten, in Sonderheit auch Zwangsarbeiterinnen<br />

und Zwangsarbeitern, auch in der Zusammenarbeit<br />

mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie anderen<br />

Personen und Organisationen eingesetzt hatte, die daran<br />

mitgewirkt haben, dass das Stiftungsgesetz in Deutschland<br />

verabschiedet wurde.<br />

VI.<br />

Der Umfang der Tätigkeit der 22 Rechtsanwälte und<br />

Rechtsbeistände im Sinne von § 9 Abs. 12 EVZ StiftG war<br />

AnwBl 1/2003<br />

Mitteilungen<br />

unterschiedlich. Ein Rechtsanwalt hat in Zusammenarbeit<br />

mit einem amerikanischen und osteuropäischen Anwalt<br />

eine osteuropäische Stiftung, nicht einzelne nach § 11 des<br />

EVZ StiftG Leistungsberechtigte außergerichtlich, politisch<br />

vertreten und so am Zustandekommen des Gesetzes auch in<br />

Zusammenarbeit mit einem amerikanischen und osteuropäischen<br />

Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit mitgewirkt. Hier<br />

konnte nur ein Bruchteil des geltend gemachten Kostenund<br />

Zeitaufwandes honoriert werden, weil eben nach § 9<br />

Abs. 12 EVZ StiftG und dem Richtlinienbeschluss amerikanische<br />

und osteuropäische Rechtsanwälte nicht antragsberechtigt<br />

sind.<br />

Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die von<br />

nichtdeutschen Stiftungen beauftragt waren, für individuelle<br />

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Zahlungsansprüche<br />

gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend<br />

zu machen, haben vor Verkündung und Inkrafttreten des<br />

Gesetzes insgesamt 44.250 Fälle bei Gericht anhängig gemacht,<br />

sei es, dass PKH-Anträge gestellt wurden, sei es,<br />

dass Klagen bei Zivilgerichten, Arbeitsgerichten und Sozialgerichten<br />

eingereicht wurden. In einigen Fällen wurden<br />

solche Rechtsstreite durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht<br />

geführt. Umfangreichste anwaltliche Tätigkeit<br />

dieser deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

war erforderlich und ist, wovon ich mich durch<br />

Besuche in den einzelnen Rechtsanwaltskanzleien überzeugt<br />

habe, belegt. Nicht alle Aufträge, die deutschen<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur gerichtlichen<br />

Geltendmachung erteilt wurden, wurden durchgeführt. Ergab<br />

die rechtliche Vorprüfung, dass keine Aussicht auf Erfolg<br />

war, wurde der bearbeitete Fall nicht in die gerichtliche<br />

Sphäre erhoben. Aus den angemeldeten, von Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälten vertretenen Fällen ergab die<br />

Gesamtaddition die Vertretung von 54.696 Zwangsarbeiterinnen<br />

und Zwangsarbeitern. In einem Fall, in dem nicht in<br />

die gerichtliche Sphäre übergeleitet wurde, sondern eine<br />

osteuropäische Stiftung im politischen Raum vertreten<br />

wurde, ging es um das Interesse von hinter dieser Stiftung<br />

stehenden 300.000 osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen<br />

und Zwangsarbeitern.<br />

VII.<br />

Mein persönliches Fazit der Tätigkeit als Schiedsperson<br />

im Sinne von § 9 Abs. 12 EVZ StiftG in der Zeit von März<br />

2001 bis Juli 2002 ist wie folgt zu umreissen:<br />

Eine, nur in Deutschland mögliche, vom anwaltlichen<br />

Alltag sich deutlich unterscheidende und abhebende Tätigkeit<br />

war zu erledigen.<br />

Die Aufgabe war ehrenvoll. Das mir von Vorstand und<br />

Kuratorium der Stiftung auf Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins<br />

entgegengebrachte Vertrauen ist dankbar zu registrieren.<br />

Ich verbeuge mich respektvoll vor Kolleginnen und Kollegen,<br />

Volljuristen und Nichtjuristen, die sich für eine Entschädigung<br />

für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter,<br />

eben im Sinne von § 11 des EVZ StiftG Leistungsberechtigten<br />

in einem Umfang eingesetzt haben, der, was das Entgelt<br />

betrifft, soeben Kostendeckung, häufig Unterschuß,<br />

fast nie Gewinn gebracht hat. Ich bezeichne dies als eine<br />

starke berufliche und menschliche Leistung.<br />

Es ist festzuhalten, dass dieser, von mir zu prüfende Einsatz<br />

von Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen im Interesse<br />

von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern hinsichtlich<br />

der Honorierung in groteskem Missverhältnis steht zu den<br />

Honoraren, die US-amerikanische Rechtsanwältinnen und


AnwBl 1/2003 47<br />

Mitteilungen l<br />

Rechtsanwälte und ein deutscher Rechtsanwalt aus Stiftungsmitteln<br />

erhalten haben.<br />

So habe ich die Bitte und die Hoffnung, dass dieser Abschlussbericht<br />

der Schiedsperson dem Kuratorium der Stiftung<br />

vorgelegt wird mit meiner Anregung, doch nochmals<br />

zu beraten und zu beschließen, ob der Höchstbetrag aus<br />

Ziffer 9 des Beschlusses zu den Richtlinien für die Entscheidungen<br />

über Honorarforderungen von deutschen<br />

Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen nach § 9 Abs. 12 des<br />

Stiftungsgesetzes nachträglich erhöht werden kann.<br />

In der IV. Sitzung des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung,<br />

Verantwortung und Zukunft“ am 24./25. Januar 2001<br />

in Berlin ist zu Tagesordnungspunkt 14, Richtlinien für Anwaltshonorare,<br />

vom Vorstand der Stiftung vorgetragen worden:<br />

Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland sind<br />

zahlreiche Klagen eingereicht worden, die in der Regel unter<br />

Hinweis auf die in dem Stiftungsgesetz vorgesehenen Leistungen<br />

an ehemalige Zwangsarbeiter abgewiesen worden<br />

sind. Insgesamt besteht der Eindruck, dass die deutschen<br />

Anwälte – von Ausnahmen abgesehen – in den Verfahren vor<br />

deutschen Gerichten nicht eine den amerikanischen Anwälten<br />

vergleichbare anwaltliche Arbeit geleistet haben. Dafür<br />

haben sie sehr viel mehr gleichgelagerte Fälle auf den Weg<br />

gebracht. Einige deutsche Anwaltskanzleien scheinen Tausende<br />

von Klägern aus verschiedenen Ländern vertreten zu<br />

haben. Ein Honoraranspruch der Anwälte gegen die deutsche<br />

Stiftung besteht nicht. Es gibt nur grobe Schätzungen<br />

über die Zahl der beteiligten Anwälte und die von ihnen erhobenen<br />

Klagen. Deshalb sollte der Schiedsperson für die<br />

Festsetzung einer angemessenen Entschädigung der deutschen<br />

Anwälte auf der Grundlage des Stiftungsgesetzes ein<br />

größeres Ermessen eingeräumt werden. Ein Höchstbetrag<br />

für die Entschädigung der deutschen Anwälte sollte aus unserer<br />

Sicht ausreichend sein. Sie kann allerdings nicht völlig<br />

ausschließen, dass der vorgeschlagene Gesamtbetrag noch<br />

einmal geringfügig erhöht werden muss.<br />

Das, was heute aus den bis 13.2.2002 gestellten Anträgen<br />

bekannt ist, war damals nicht bekannt, nämlich weder<br />

die Zahl der eingereichten Klagen noch die Intensität der<br />

tatsächlichen und rechtlichen Bearbeitung durch die Instanzen<br />

bis zum Bundesverfassungsgericht.<br />

Bestätigt hat sich die damalige Annahme des Vorstands<br />

der Stiftung, dass die Zahl der US-amerikanischen Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, die geklagt haben, höher<br />

war als die der deutschen. Die Prüfung von nach § 9<br />

Abs. 12 EVZ StiftG gestellten Anträgen hat aber ergeben,<br />

dass die Zahl der Fälle, die deutsche Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte bearbeitet, anhängig gemacht und durch<br />

die Instanzen geführt haben, denen der US-amerikanischen<br />

Rechtsanwälte sehr deutlich überlegen ist.<br />

Am 24./25.1.2001 konnte in den Sitzungen von Vorstand<br />

und Kuratorium der Stiftung nicht völlig ausgeschlossen<br />

werden, dass der vorgeschlagene Gesamtbetrag noch einmal<br />

geringfügig erhöht werden muss. Aus den zwischenzeitlich<br />

gewonnenen Erkenntnissen ist die Anregung begründet,<br />

hierüber jetzt nochmals zu prüfen und zu<br />

entscheiden. Angeregt wird eine Erhöhung des bisher zur<br />

Verfügung gestellten Höchstbetrages um rd. 25 %, also<br />

500.000,00 E.<br />

Köln, im Juli 2002<br />

Die Schiedsperson<br />

Dr. Ludwig Koch<br />

Erfreulicherweise hat der Anregung von Dr. Ludwig<br />

Koch, den Höchstbetrag um 500.000 E zu erhöhen, auf Vorschlag<br />

des Vorstands der Stiftung das Kuratorium in seiner<br />

SitzungvonSeptember2002einenweiterenBetragvon500.000 E<br />

als Aufwendungsersatz für die nach § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes<br />

aufwendungsersatzberechtigten Rechtsanwälte<br />

und Rechtsbeistände bewilligt.<br />

Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen zur Auskehrung<br />

dieses Betrages durch die Schiedsperson wurden Anfang<br />

November 2002 geschaffen. Auch dieser Betrag ist<br />

auf Vorschlag der Schiedsperson inzwischen an die antragsberechtigten<br />

Rechtsanwälte und Rechtsbeistände ausgekehrt.<br />

Arbeitsrechtsfragen<br />

Arbeitsrechtliche Haftungsfalle:<br />

Urlaubsverfall im Kündigungsschutzprozess<br />

1. Allgemeines arbeitsrechtliches Haftungsrisiko des<br />

Rechtsanwaltes<br />

Dass Anwälte gefährlich leben, dass ihre Arbeit durch<br />

Haftungsrisiken belastet wird, wissen jedenfalls die Anwälte<br />

nur zu gut und aus teilweiser schmerzhafter eigener<br />

Erfahrung 1 . Das Arbeitsrecht ist auf Grund seiner vielfältigen<br />

Fristen 2 besonders „gefahrgeeignet.“ Glücklicherweise<br />

wird diese Risikosituation dadurch gemindert, dass eine<br />

Großzahl der Kündigungsschutzprozesse durch Vergleiche<br />

enden, die dann auch meistens, wenn auch keineswegs immer<br />

3 , eine endgültige Befriedigung zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer bringen und Haftungsrisiken für die Anwälte<br />

ausschließen.<br />

2. Kündigungsschutzklage und Urlaubsverfall<br />

Führt die Tätigkeit des Arbeitnehmeranwaltes zu einem<br />

Obsiegen im Kündigungsschutzprozess seines Mandanten<br />

und somit zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses,<br />

wird nicht zuletzt durch ein neues Urteil des BAG 4 die Siegesfreude<br />

des Anwaltes nicht selten geschmälert dadurch,<br />

dass er plötzlich feststellen muss, dass mit der Erhebung<br />

der Kündigungsschutzklage und ihrer Durchführung keineswegs<br />

alle Ansprüche des Arbeitnehmers abgesichert waren.<br />

Bekanntlich unterbricht die Kündigungsschutzklage weder<br />

die Verjährung 5 , noch führt sie dazu, dass zweistufige Ausschlussfristen<br />

gehalten werden 6 . In seiner Entscheidung vom<br />

21.9.1999 hatte das BAG 7 entschieden, dass Urlaubsansprüche,<br />

die nach Auslaufen des gekündigten Arbeitsverhältnisses<br />

entstanden sind im Kalenderjahr bzw. „im Übertragungszeitraum“,<br />

also bis zum 31.3. des Folgejahres,<br />

regelmäßig geltend gemacht werden müssen. Das BAG hat<br />

die Haftungsanforderungen nun noch eine Schraube weiter<br />

1 Vgl. dazu allgemein: Zirnbauer, FA 1998, 40 ff; ders., FA 1997, 2 ff.; Sartorius,<br />

ZAP, Fach 17, 459 ff.; Fischer, FA 2000, 83 unter Hinweis auf die Entscheidung<br />

des BGH vom 18.11.1999, NJW 2000, 216 ff.<br />

2 Ausschluss-, Verfall-, Anfechtungs-, Klage- und Rechtsmittelfristen.<br />

3 BGH vom 14.11.1986 in BGHR BGB § 675, Anwaltsvertrag 1; OLG Frankfurt<br />

vom 5.10.2000, OLGR Frankfurt, 2001, 124; OLG Karlsruhe vom 31.10.2000,<br />

OLGR Karlsruhe 2001, 445 f.<br />

4 Vom 18.9.2001 EZA-Sd, 2001, Nr. 25, 5 bis 8.<br />

5 BAG vom 5.11.1992, AP Nr. 6 zu § 209 BGB.<br />

6 BAG vom 9.8.1990, AP Nr. 46 zu § 615 BGB.<br />

7 In AP Nr. 77 zu § 7 BUrlG, Abgeltung.


48<br />

l<br />

gedreht. Mit Urteil vom 18.11.2001 hat der 9. Senat des<br />

BAG entschieden, dass die Urlaubsansprüche eines<br />

gekündigten Arbeitnehmers, der vom Arbeitgeber nicht<br />

weiter beschäftigt wird, mit Ablauf des Kalenderjahres enden.<br />

Werden sie nicht rechtzeitig geltend gemacht, d. h. jedenfalls<br />

so rechtzeitig, dass eine zeitliche Realisierung<br />

noch innerhalb des Kalenderjahres möglich ist, verfallen<br />

sie unwiederbringlich, und zwar auf Grund der gesetzlichen<br />

Regelung in § 7 BUrlG.<br />

Im Rahmen dieser Ausführungen ist es müßig, die Argumente<br />

des BAG einer Einzelkritik zu unterziehen, wesentlicher<br />

ist die Feststellung, dass der zuständige 9. Senat des<br />

BAG, auch unter seinem neuen Vorsitzenden, seine bisherige<br />

Linie zur Urlaubsrechtsprechung konsequent beibehält. Wohl<br />

oder übel wird sich darauf die Anwaltschaft einzustellen haben,<br />

um der strikten Auffassung des BAG zum Beschreiten<br />

des „sichersten Weges“ gerecht zu werden 8 Da nach der<br />

Rechtsprechung des BGH 9 der Anwalt verpflichtet ist, alle<br />

im Zusammenhang mit einer Kündigung stehenden relevanten<br />

Ansprüche zu prüfen und ggf. geltend zu machen, wird<br />

dem Arbeitnehmeranwalt nichts anderes übrig bleiben, als<br />

konsequent die restlichen Urlaubsansprüche gekündigter Arbeitnehmer<br />

rechtzeitig geltend zu machen. Dies führt naturgemäß<br />

zu einer erhöhten Risikolage, andererseits aber auch<br />

dazu, dass Rechtsschutzversicherungen diesem Tätigwerden<br />

des Anwaltes nicht mit dem Argument entgegen treten<br />

können, zunächst möge einmal der Ausgang des Kündigungsschutzprozesses<br />

abgewartet werden 10 .Zunächstistausreichend<br />

für die Geltendmachung des Urlaubes die entsprechende<br />

Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber. Sehen die<br />

tarifvertraglichen Bestimmungen Ausschlussfristen vor,<br />

müssen die Formvorschriften und Fristen dieser Ausschlussfristen,<br />

ggf. zweistufigen Ausschlussfristen, eingehalten werden.<br />

Das bedingt dann auch die Erhebung der Urlaubsklage<br />

während des laufenden Kündigungsschutzprozesses. Die<br />

Rechtsschutzversicherung wird hier zwingend Rechtsschutz<br />

gewähren müssen, da ansonsten Rechtsverlust zu Lasten des<br />

Arbeitnehmers droht.<br />

3. Praktische Folgerung für den Anwalt<br />

Der Arbeitnehmeranwalt im Kündigungsschutzprozess<br />

hat somit nicht nur an die Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag,<br />

die nach der Rechtsprechung des BAG auch extrem<br />

kurz sein können 11 , an die tarifvertraglichen Ausschlussfristen<br />

12 , bei länger dauerndem Kündigungsschutzprozess an<br />

die gesetzlichen Verjährungsfristen, sondern auch daran zu<br />

denken, dass restliche Urlaubsansprüche bzw. auflaufende<br />

Urlaubsansprüche rechtzeitig, d. h. im Kalenderjahr, also<br />

bis zum 31.12., nicht erst im Übertragungszeitraum, geltend<br />

gemacht werden.<br />

In der Praxis dürfte es sich deshalb empfehlen, gleich<br />

bei Mandatsbeginn den restlichen Urlaubsanspruch zu errechnen<br />

und dem Arbeitgeber gegenüber schriftlich geltend<br />

zu machen. Zieht sich ein Kündigungsschutzprozess über<br />

Jahre hinweg, muss jedes Urlaubsjahr gesondert geltend gemacht<br />

werden.<br />

Rechtsanwalt Ulrich Fischer, Frankfurt<br />

8 Vgl. dazu BGH vom 11.2.1999, AnwBl 1999, 350 f.<br />

9 Urteil vom 29.3.1983, 1665 ff.<br />

10 Zu den Problemen im Zusammenhang mit der Rechtsschutzgewährung bei<br />

Kündigungsschutzverfahren und Folgeprozessen, vgl. Fischer, FA 1999, 178 ff.<br />

11 Urteil vom 13.12.2000, AP Nr. 2 zu § 241 BGB.<br />

12 Insofern bringt die neue Regelung des § 195 BGB eine Entlastung.<br />

Kommunikation<br />

AnwBl 1/2003<br />

Mitteilungen<br />

Venus und Mars – interessengerechte<br />

Konfliktlösungen zwischen Mann und Frau<br />

– Bericht einer Teilnehmerin – *<br />

„Was soll ich heute Abend anziehen Schatz? Soll ich<br />

das neue schwarze Kleid anlassen? Oder doch besser das<br />

kurze Rote? – „Mir egal Liebes. Ganz wie du willst.“ –<br />

„Aber eines muss dir doch besser gefallen!“ – „Dann lass<br />

das Schwarze an und alles ist in bester Ordnung.“ – „Gefällt<br />

dir das Rote etwa nicht? Das war doch schon immer<br />

dein Lieblingskleid an mir. Nie bist du ehrlich zu mir! Das<br />

ist so gemein.“ – „Das stimmt doch alles gar nicht. Reg<br />

dich doch nicht über solche Banalitäten auf“ ... (Fortsetzung<br />

den meisten Personen bekannt!)<br />

So und nicht anders sehen viele Alttagssituationen aus,<br />

in denen aus einer kleinen Mücke ein wahrhaft riesiger Elefant<br />

werden kann und eine Fülle von Missverständnissen<br />

entsteht, wenn es um die Kommunikation zwischen Männern<br />

und Frauen geht.<br />

Diesem Phänomen sind auf dem 53. Deutschen Anwaltstag<br />

in München Dagmar Ponschab-Steinhausen (Managementtrainerin/Betriebspädagogin,<br />

München) und ihr Mann<br />

Dr. Reiner Ponschab (Rechtsanwalt/Mediator, München) auf<br />

den Grund gegangen. Zusammen mit ca. 30 Teilnehmern<br />

und Teilnehmerinnen wollte man die typisch weiblichen und<br />

männlichen Strukturen der Kommunikation erarbeiten.<br />

Allem voran ging die Frage, was Frauen an Männern<br />

und umgekehrt besonders schätzen. So war es primär die<br />

Ruhe und Überlegtheit der Männer, die den Frauen imponieren.<br />

Im Gegensatz dazu stand bei den Männern die<br />

Gefühlsbetonung und das Einfühlungsvermögen der Frauen<br />

an erster Stelle. In Gruppenarbeiten konnten im Anschluss<br />

alle Teilnehmer ihrer Kreativität und Fantasie freien Lauf<br />

lassen als es um die Merkmale typisch weiblicher bzw.<br />

männlicher Kommunikation und um die Ursachen für bestimmte<br />

Konfliktsituationen unter den Geschlechtern ging.<br />

Schnell waren aus einer Vielzahl von Magazinen Bilder,<br />

ganze Teile eines Artikels oder einfach nur Überschriften<br />

ausgeschnitten und in Kollagen zusammengestellt. Im Ergebnis<br />

schnitten dabei allerdings die Männer schlechter als<br />

die Frauen ab. Wesentlich für männliche Kommunikation<br />

sei der Drang zum „Macho“, der nicht mehr sich selbst verkörpert,<br />

sondern vor allem im Begehren um Frauen dem<br />

utopischen Bild des perfekten Mannes aus der Modewelt<br />

oder den starken Schauspielhelden der Hollywoodliga<br />

nacheifert. Die Kommunikation solcher Männer sei von<br />

Übertreibung und Unglaubwürdigkeit geprägt.<br />

Auf Seiten der Frauen ... Um diese verschiedenen Verhaltensmuster<br />

der Kommunikation zu belegen, unternahm<br />

Dr. Reiner Ponschab daraufhin einen kleinen biologischen<br />

Exkurs in die Welt der Gehirnanatomie und zeigte die Unterschiede<br />

zwischen weiblichen und männlichen Gehirnstrukturen.<br />

So seien die Gefühlswahrnehmungen bei Männern<br />

nicht so ausgeprägt wie bei Frauen, da nur ein kleiner<br />

Gehirnteil dafür zuständig ist. Im Gegensatz dazu bietet das<br />

weibliche Gehirn dafür aber um so mehr Platz. Nach allgemeiner<br />

Belustigung der Frauen konnten die Männer aller-<br />

* Veranstaltung des DAV-Ausschusses Außergerichtliche Konfliktbeilegung –<br />

Tagesseminar im Rahmen des 53. Deutschen Anwalttages in München.


AnwBl 1/2003 49<br />

Mitteilungen l<br />

dings den „Vorteil“ ausgleichen. Denn die Sprachfunktion<br />

liegt, dank dem dafür zuständigen großen Gehirnbereich, in<br />

den Händen der Männer.<br />

Wer sich seiner persönlichen Gehirnprogrammierung unsicher<br />

war, nämlich ob vorwiegend männlich oder weiblich<br />

oder einer Mischung von beidem, konnte dies anhand eines<br />

Tests herausfinden. Fragen wie beispielsweise „Was tun<br />

Sie, wenn Sie eine Straßenkarte lesen müssen?“ oder „Wie<br />

gehen Sie vor, wenn Sie einkaufen?“ ergaben bei der Auswertung<br />

der Fragen Punkte. Eine niedrige Punktzahl stand<br />

für einen hohen Testosterongehalt im Körper und bedeutet,<br />

dass dieser Mensch über streng logische, analytische und<br />

verbale Fähigkeiten verfügt und zu diszipliniertem und gut<br />

organisiertem Verhalten neigt. Je höher die Punktzahl, desto<br />

weiblicher war die Orientierung des Gehirns und umso<br />

größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffende<br />

Person über herausragende kreative, artistische oder musikalische<br />

Talente verfügt.<br />

Nach einer sonnigen Mittagspause ging es nun darum,<br />

wie man die am Vormittag zusammengetragenen Schwachstellen<br />

weiblicher und männlicher Kommunikation „ausbügeln“<br />

könnte. Äußerst wichtig für konfliktfreie Kommunikation<br />

sei die Fähigkeit aufeinander zugehen zu<br />

können und bestimmte „Kommunikationsklippen“ zu überwinden.<br />

So wurde mit Hilfe von Gruppenspielen Strategie<br />

und Absprache geübt.<br />

„Gesagt ist nicht gehört – Gehört ist nicht verstanden –<br />

Verstanden ist nicht einverstanden (C. K. Lorenz)“. Diese<br />

These nahm Dagmar Ponschab-Steinhausen im Anschluss<br />

daran auf, um über die Therapie der Kommunikation zu referieren.<br />

Bestünde zwischen einem Paar ein sog. „leeres Beziehungskonto“,<br />

so gäbe es in dieser Beziehung keine Balance<br />

mehr untereinander. „Die Ampel ist grün.“ Diese an<br />

sich neutrale Information könne im Fall eines leeren Beziehungskontos<br />

für den anderen Partner möglicherweise nach<br />

Kritik klingen, gegen die er sich wehrt: „Glaubst du, ich<br />

hab’ Tomaten auf den Augen?“ Durch fehlende Balance<br />

der Beziehung kommen dann bei leeren Beziehungskonten<br />

Antworten wie diese: „Typisch, dass du das wieder so verstehst.<br />

Du bist wie deine Mutter!“ oder „Immer dasselbe<br />

mit dir! Fahr doch endlich los“. In diesen Fällen fehle bei<br />

den Partnern quasi die Fähigkeit von ihrem Beziehungskonto<br />

auch einmal etwas „abbuchen“ zu können, d. h. Verständnis,<br />

Ruhe und Toleranz dem Partner entgegenzubringen.<br />

Von diesen Eigenschaften sei nichts mehr vorhanden,<br />

so dass auch dem Gegenüber davon nichts zukommen<br />

könne. Die mangelnde Belastbarkeit der Beziehung verursache<br />

dann den Konflikt.<br />

Vereinfacht in den sog. „Vier Seiten einer Botschaft“<br />

(nach Schulz von Thun) führe also die nicht richtig verstandene<br />

neutrale Information zu einem Appell, der die Beziehung<br />

zum anderen stört. Daraus resultiere dann eine Selbstoffenbarung<br />

in Form einer negativen Selbstdarstellung, die<br />

das wahre Ich zum Vorschein bringe. Ein volles Beziehungskonto<br />

zeige allerdings die andere Seite der Medaille.<br />

Hier handele es sich um eine belastbare Beziehung, in der<br />

sich keiner der Partner von etwaigen negativ gefärbten Aussagen<br />

des anderen beeinflussen lässt. Dass dieses Konto<br />

„abbuchbar“ sei, zeige sich in Antworten wie: „Danke.<br />

Gut, dass du es mir sagst.“ Eine solche Beziehung habe<br />

die Fähigkeit, die Nachricht richtig zu decodieren und damit<br />

die Basis für eine konfliktfreie Kommunikation zu schaffen.<br />

Bis dahin noch nicht gelöst war allerdings die Frage,<br />

was man tun könnte, um die Kommunikation zwischen<br />

Frauen und Männern zu verbessern bzw. was man tunlichst<br />

vermeiden sollte. Dazu war wieder die aktive Mithilfe aller<br />

Teilnehmer gefragt. Entscheidende Kommunikationssünden<br />

waren danach: Hysterie, Unsachlichkeit, Schweigen, nicht<br />

zuhören und nicht ausreden lassen und besonders die fehlende<br />

Kompromisslosigkeit. Zu den wichtigsten Kommunikationsfördermitteln<br />

gehörten: Lob, Sachlichkeit, ausreden<br />

lassen und das Zuhören sowie Nachgiebigkeit und die<br />

Liebe bzw. Zuwendung zu dem Partner.<br />

Ein allgemeines Feed-back über den Tag beendete<br />

schließlich das Seminar. Dabei ernteten Dagmar und Reiner<br />

Ponschab viele Lobeshymnen und Anerkennung für die<br />

Auswahl eines solchen von aktiver Beteiligung und Kreativität<br />

bestimmten Themen. Mit dem festen Vorsatz künftig<br />

auf ein volles Beziehungskonto zu achten und der sicheren<br />

Erkenntnis: Männer sind anders. Frauen auch. (John Gray),<br />

verabschiedete man sich voneinander.<br />

Haftpflichtfragen<br />

Rechtsanwältin Michaele Simon-Widmann,<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

Sonja Meyer, München<br />

Haftungsgefahren in Zusammenhang<br />

mit Entlassungsentschädigungen<br />

Wer heute die Zeitung aufschlägt, findet fast täglich<br />

neue Ankündigungen über einen geplanten Stellenabbau.<br />

Die Diskussion über die neuesten Arbeitslosenzahlen<br />

scheint nicht enden zu wollen. Die Zahl der Arbeitsverhältnisse,<br />

die durch Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung<br />

beendet werden, steigt. Der Ärger und die Enttäuschung<br />

über den Verlust des Arbeitsplatzes wird noch<br />

größer, wenn dann der Fiskus die Hand aufhält und die<br />

Steuerbegünstigung für die Abfindungszahlung versagt.<br />

Nicht selten sucht der Mandant die Schuld hierfür bei seinem<br />

Anwalt. Wie sich im Haftungsfall häufig herausstellt,<br />

ist die Ursache für die Inanspruchnahme des Beraters die<br />

falsche Erwartung des Mandanten, die Abfindungszahlung<br />

sei immer und in jedem Falle steuerfrei. Solche Mißverständnisse<br />

lassen sich vermeiden, wenn der Mandant von<br />

vornherein über die steuerlichen Risiken und Folgen aufgeklärt<br />

wird. Gegebenenfalls sollte dem Mandanten empfohlen<br />

werden, vor Abschluß eines Aufhebungsvertrages<br />

oder eines arbeitsgerichtlichen Vergleiches die steuerliche<br />

Seite durch einen Steuerberater nochmals prüfen zu lassen.<br />

Im letzten Jahr wurden eine Reihe von Urteilen der Finanzgerichte<br />

und des BFH veröffentlicht, die sich mit der<br />

Steuerbarkeit von Entschädigungszahlungen befassen. Anhand<br />

dieser Rechtsprechung sollen einige Problempunkte<br />

angesprochen werden, auf die der Anwalt seinen Mandanten<br />

aufmerksam machen sollte, um das eigene Haftungsrisiko<br />

zu vermindern.<br />

Ein Mißverständnis kann sich bereits daraus ergeben,<br />

daß zwar im Abfindungsvergleich die Zahlung als Entschä-


50<br />

l<br />

digung für den Verlust des Arbeitsplatzes bezeichnet wird,<br />

das Finanzamt die Steuervergünstigung dennoch versagt.<br />

Die Mandanten haben oft die Vorstellung, daß diese Formulierung<br />

ausreichen müßte, um die Steuervergünstigung zu<br />

erhalten. Allein die Bezeichnung in einem Abfindungsvergleich<br />

ist für die steuerliche Bewertung nicht maßgeblich.<br />

Es muß sich vielmehr um eine Entschädigungszahlung anläßlich<br />

der Auflösung des Dienstverhältnisses handeln, die<br />

auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruht<br />

und die dem Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum<br />

zusammengeballt zugeflossen ist.<br />

Begriff der Entschädigung i. S.von § 24 Nr. 1 a EStG<br />

Der Begriff der Entschädigung ist im Gesetz nicht umschrieben,<br />

setzt nach der Rechtsprechung aber voraus, dass<br />

die Leistung als Ersatz für entgangene oder entgehende<br />

Einnahmen geleistet wird oder an deren Stelle tritt (BFH,<br />

BFH-NV 1987, 574; BFH-NV 1994, 23; BFH-NV 2001,<br />

26). Zahlungen, die nicht für weggefallene oder wegfallende<br />

Einnahmen erbracht werden, sondern bürgerlichrechtliche<br />

Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses<br />

sind, die sich der Arbeitnehmer also bereits verdient hat,<br />

zählen nicht zu den Entschädigungen. Die Entschädigungsleistung<br />

muss auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage<br />

beruhen.<br />

Neue Rechts- und Billigkeitsgrundlage<br />

Allein der Umstand, daß ein Betrag ausgehandelt und<br />

das Gesamtergebnis als eine neue vertragliche Vereinbarung<br />

formuliert wird, macht diese Vereinbarung noch<br />

nicht zu einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage. Entscheidend<br />

ist, aufgrund welcher Erwägungen die Abfindung<br />

von den Verhandlungspartnern bestimmt wurde und ob eine<br />

neue Rechtsgrundlage etwa in Form einer Vertragsveränderung<br />

geschaffen wurde (BFH, BFH-NV 2001, 26<br />

m. w. N.; BFH-NV 1994, 23). Ansprüche aus früheren Vertragsverhältnissen<br />

werden nicht allein durch die Zusammenfassung<br />

mit Ersatzleistungen zu steuerbegünstigten<br />

Entschädigungszahlungen.<br />

Eine bereits im Anstellungsvertrag oder in einer Nachtragsvereinbarung<br />

für den Fall der Kündigung geregelte<br />

Abfindungsvereinbarung schließt die Steuerbegünstigung<br />

nicht notwendig aus (Finanzgericht Köln, DStRE 2002,<br />

1245). Ein zeitliches Moment wohnt dem Entschädigungsberiff<br />

nicht inne (BFH, Urteil vom 6.2.1987, VI R 229/83).<br />

Entscheidend ist nur, dass der Entschädigungsanspruch erst<br />

als Folge einer vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses<br />

entsteht (BNF-Schreiben vom 18.12.1998, BStBl I<br />

1998, 1512).<br />

Eine tarifbegünstigt zu versteuernde Entschädigungsleistung<br />

liegt nicht vor, wenn vertragliche Ansprüche bestehen<br />

bleiben und sich nur die Auszahlungsmodalitäten ändern<br />

(BFH BFHE 172, 338, BStBl II 1994, 167; BFHE 172, 349;<br />

BFH-NV 2000, 712). Zu denken ist hier besonders an die<br />

Fälle der Pensionszusagen. Soweit Pensions- oder Versorgungsansprüche,<br />

die auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

weiterbestanden hätten, durch Zahlung eines Abfindungsbetrages<br />

abgegolten werden, liegt lediglich eine<br />

Änderung der Zahlungsmodalitäten vor, eine neue Rechtsgrundlage<br />

für den Versorgungsanspruch wird dadurch nicht<br />

geschaffen (BFH, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703;<br />

BFH-NV 2002, 1080).<br />

AnwBl 1/2003<br />

Mitteilungen<br />

Auflösung des Dienstverhältnisses<br />

Die Beurteilung des einem Arbeitnehmer geleisteten Ersatzes<br />

für entgangene oder entgehende Einnahmen als Entschädigung<br />

i. S. der §§ 24 Nr. 1 a, 34 Abs. 1 und 2 EStG<br />

setzt voraus, dass das zugrundeliegende Arbeitsverhältnis<br />

beendet wird (BFH HFR 2002, 302). Man sollte annehmen,<br />

daß dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.<br />

Streitfragen können sich jedoch in Zusammenhang mit einer<br />

Betriebsveräußerung oder einem befristeten Arbeitsverhältnis<br />

ergeben.<br />

In dem oben zitierten Fall war der Betrieb der D-GmbH<br />

auf die neu gegründete P-GmbH übergegangen. Die Mitarbeiter<br />

hatten die Wahl zwischen dem Widerspruch gegen<br />

den Betriebsübergang und der nachfolgenden Kündigung<br />

oder der Zustimmung und Übernahme durch die neu<br />

gegründete P-GmbH. Für die Mitarbeiter, die nicht widersprachen,<br />

stellte die D-GmbH der P-GmbH einen Betrag<br />

von 10.000 DM zur Verfügung. Der BFH hat eine steuerbegünstigte<br />

Entschädigungszahlung verneint, da der Betriebsübergang<br />

nach § 613 a BGB nicht zur endgültigen Beendigung<br />

des bestehenden Arbeitsverhältnisses führt.<br />

Das hessische Finanzgericht (DStRE 2002, 729, Revision<br />

eingelegt BFH XI R 50/01) hat die Steuerfreiheit von<br />

Abfindungen an Vorruheständler bei formalem Fortbestehen<br />

des Dienstverhältnisses abgelehnt. Eine vollständige und<br />

bedingungslose Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde<br />

verneint, weil bei der vorzeitigen Beurlaubung zwar die Bestimmungen<br />

des einschlägigen Tarifvertrages zu vorgezogenen<br />

freiwilligen Pensionierungen zugrundegelegt wurden,<br />

aber, um Nachteile im Hinblick auf die Zusatzversorgungskasse<br />

zu vermeiden, vereinbart wurde, dass das Arbeitsverhältnis<br />

nicht beendet ist. Es nützte auch nichts, dass der<br />

vereinbarte Fortbestand des Dienstverhältnisses mit einem<br />

Ausschluß der Arbeitswiederaufnahme verbunden war.<br />

Wenn ein befristeter Arbeitsvertrag nach der darin bestimmten<br />

Zeit abläuft und nicht verlängert wird, ist die Voraussetzung<br />

der Auflösung des Dienstverhältnisses nicht<br />

erfüllt. Bei bloßem Zeitablauf handelt es sich nicht um eine<br />

vom Arbeitgeber veranlaßte Beendigung des Dienstverhältnisses<br />

(BFH DStR 1991, 1585; DStR 1980, 510).<br />

In einem vom Finanzgericht Hamburg (DStRE 2002,<br />

1001, Revision eingelegt BFH XI R 9/02) entschiedenen<br />

Fall war strittig, ob der befristete Arbeitsvertrag durch<br />

mündliche Vereinbarung bereits vor Ablauf der Befristung<br />

verlängert worden war. Nach Überzeugung des Gerichts<br />

konnte dieser Nachweis durch die Beweisaufnahme nicht<br />

erbracht werden. Auch in diesem Fall genügte es nicht,<br />

dass die Zahlung als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes<br />

bezeichnet wurde.<br />

Sofern der Arbeitnehmer selbst bei dem zum Einnahmeausfall<br />

führenden Ereignis mitgewirkt hat, z. B. durch einen<br />

Aufhebungsvertrag, wird von der Rechtsprechung verlangt,<br />

dass er unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen<br />

oder tatsächlichen Druck gehandelt hat. Das ist<br />

anzunehmen, wenn der Aufhebungsvertrag geschlossen<br />

wurde, um einer sonst mit Sicherheit zu erwartenden Kündigung<br />

zuvorzukommen und die Vereinbarung daher nur formale<br />

Bedeutung hat oder wenn dem Arbeitnehmer nicht<br />

mehr zumutbar ist, bei der gegebenen Situation das Arbeitsverhältnis<br />

fortzusetzen. An der erforderlichen Zwangslage<br />

fehlt es jedoch, wenn der Steuerpflichtige freiwillig eine Ursachenkette<br />

in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum<br />

mehr beläßt. Die Entwicklung der Ursachenkette<br />

muss sich allerdings in einem überschaubaren


AnwBl 1/2003 51<br />

Mitteilungen l<br />

Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige<br />

nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung<br />

lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang<br />

und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 a EStG<br />

relevante Zwangslage herbeiführen.<br />

Die Finanzgerichte und der BFH haben sich mehrfach<br />

mit diesem Problem in Zusammenhang mit der Abfindung<br />

von Pensionsansprüchen eines Allein- oder Mehrheitsgesellschaftergeschäftsführers<br />

einer Kapitalgesellschaft beschäftigt.<br />

Wegen der wirtschaftlichen Identität von Gesellschaft<br />

und Gesellschafter sind die Gerichte äußerst<br />

zurückhaltend mit der Annahme einer notwendigen<br />

Zwangslage. In den Fällen des Anteilsverkaufs (Finanzgericht<br />

Düsseldorf, DStRE 2000, 1143, Revision eingelegt<br />

BFH XI R 38/00; Finanzgericht Köln, EFG 2002, 682, Revision<br />

eingelegt XI R 4/02) und auch der Liquidation der<br />

Gesellschaft (Finanzgericht München, EFG 2002, 196, Revision<br />

eingelegt BFH XI R 53/01) wurde das Vorliegen einer<br />

notwendigen Zwangslage verneint, da die Veräußerung<br />

der Gesellschaftsanteile in der freien Entscheidung des Gesellschafter-Geschäftsführers<br />

lag und die Gesellschaft mit<br />

ruhendem Geschäftsbetrieb zur Abwicklung der zugesagten<br />

Versorgungsansprüche hätte weiterbetrieben werden können,<br />

so dass keine zwingende Notwendigkeit für eine Liquidation<br />

bestand. Der BFH hat festgestellt, dass bei einem<br />

Verkauf aus Altersgründen der Gesellschafter-Geschäftsführer<br />

nicht damit zu rechnen braucht, dass ein solcher nur bei<br />

gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen<br />

Abfindungsleistung möglich ist. Eine Zwangslage kann daher<br />

vorliegen, wenn im Rahmen von Verkaufsverhandlungen über<br />

die GmbH-Anteile von dritter Seite der Verzicht auf die Pensionsansprüche<br />

erzwungen wird (BFH, DStRE 2002, 497).<br />

Eine Entschädigungszahlung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />

wegen Übernahme eines Regierungsbeamten<br />

hat der BFH (BFH-NV 2002, 1080) als tarifbegünstigt<br />

angesehen. Die Kandidatur für ein politisches Amt ist<br />

nach Auffassung des BFH nicht das schadenstiftende Ereignis,<br />

sondern lediglich das Motiv des Arbeitgebers für<br />

die Auflösung des Vertragsverhältnisses. Das schadenstiftende<br />

Ereignis hat nach Ansicht des Gerichts der Aufsrichtsratvorsitzende<br />

verursacht, da dieser eine Fortsetzung<br />

des Dienstverhältnisses für nicht vertretbar hielt, während<br />

jedoch theoretisch die Möglichkeit bestanden hätte, das<br />

Dienstverhältnis ruhen zu lassen.<br />

Zusammenballung von Einkünften<br />

Die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen bedingt oft,<br />

dass die Abfindungszahlung nicht auf einmal ausgezahlt<br />

werden kann. Bei derartigen Vereinbarungen ist absolute<br />

Vorsicht geboten, da die Rechtsprechung nur in eng begrenzten<br />

Ausnahmefällen bei einer Verteilung der Entschädigungszahlung<br />

auf verschiedene Veranlagungszeiträume<br />

die Steuervergünstigung zulässt.<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind außerordentliche<br />

Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nur<br />

dann gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem<br />

Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die<br />

Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen<br />

entstehen. Die ermäßigte Besteuerung bezweckt,<br />

Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung<br />

ergeben. Dementsprechend sind Einkünfte i. S.<br />

von § 24 Nr. 1 a EStG nur dann außerordentliche Einkünfte,<br />

wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende<br />

Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf über mehrere<br />

Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag bezahlt<br />

werden (BFH, BFH-NV 1992, 102; DStR 1993, 795; BFH-<br />

NV 2001, 431; BFH-NV 1991, 88; DStR 1996, 1004;<br />

DStR 1998, 929). Bei einer Entschädigungszahlung, die<br />

sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, ist<br />

eine Zusammenballung von Einkünften nicht gegeben, weshalb<br />

eine Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht in<br />

Betracht kommt.<br />

Eine Ausnahme ist nach der Rechtsprechung dann gegeben,<br />

wenn die Zahlung der Entschädigung urspünglich in<br />

einer Summe vorgesehen war, und nur wegen der ungewöhnlichen<br />

Höhe und der besonderen Verhältnisse des<br />

Zahlungsverpflichteten auf zwei Jahre verteilt wird ( RFH<br />

RStBl 1941,442) oder wenn der Entschädigungsempfänger<br />

über keinerlei Geldmittel verfügt und zur Sicherung seiner<br />

Existenz auf eine Vorauszahlung angewiesen ist (BFH<br />

BFHE 64,271, BStBl III 19, 104).Unschädlich sind Teilzahlungen<br />

in einem Veranlagungszeitraum. Eine Ausnahme besteht<br />

auch dann, wenn die Abfindungszahlung die Freibeträge<br />

nach § 3 Nr. 9 EStG nicht überschreitet.<br />

Um die Höhe der Abfindungszahlung zu vermindern, erklären<br />

sich viele Arbeitgeber bereit, zusätzliche Leistungen,<br />

die nicht sofort fällig sind, zu erbringen. In letzter Zeit<br />

haben sich die Finanzgerichte und der BFH häufiger mit<br />

der Frage befaßt, inwieweit Zusatzleistungen, die zu einem<br />

späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden, eine Steuerschädlichkeit<br />

der Entlassungsentschädigung zur Folge haben.<br />

Der BFH (DStR 2002, 257) lässt eine Ausnahme von dem<br />

Grundsatz, daß die Entlassungsentschädigung in einem Veranlagungszeitraum<br />

zufließen muss, in den Fällen zu, in denen<br />

aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse<br />

Übergangszeit Entschädigungsleistungen gewährt werden.<br />

Das sind beispielsweise solche Leistungen, die der frühere<br />

Arbeitgeber dem Steuerpflichtigen zur Erleichterung des<br />

Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an<br />

eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt.<br />

Wie der BFH (Urteil vom 3.7.2002, XI R 80/00)<br />

weiter klargestellt hat, setzen diese Zusatzleistungen keine<br />

Bedürftigkeit des Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge<br />

ist allgemein i. S. der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen<br />

früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber<br />

zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich.<br />

Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der<br />

einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die<br />

Beurteilung der Hauptleistung als eine zusammengeballte<br />

Entschädigung. Die einheitliche Entschädigung ist nur einmal<br />

ermäßigt zu besteuern.<br />

Die Unbeachtlichkeit von ergänzenden Zusatzleistungen<br />

beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34<br />

EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />

(BVerfG, BVerfGE 67, 157; BVerfGE 80,103;<br />

BFH, BStBl II 2000, 229). Dieser Grundsatz enthält neben<br />

den Elementen der Eignung und der Erforderlichkeit auch<br />

das Element der Angemessenheit. § 34 EStG bezweckt, die<br />

sich aus dem zusammengeballten Zufluß von Einnahmen<br />

durch den progressiv gestalteten Steuertarif ergebenden<br />

Härten zu mildern; dabei sind grundsätzlich alle Zahlungen<br />

zu berücksichtigen. Es ist nach Auffassung des BFH unangemessen,<br />

ergänzende Zusatzleistungen, die in anderen Veranlagungszeiträumen<br />

erbracht werden, als schädlich zu beurteilen,<br />

wenn sie der sozialen Fürsorge entspringen; die<br />

Zusammenballung der Hauptleistung wird durch diese Art<br />

von ergänzenden Zusatzleistungen nicht in Frage gestellt.<br />

Es verstößt gegen das Übermaßverbot, wenn allein aufgrund<br />

einer ergänzenden Zusatzleistung, die aus dem Ge-


52<br />

l<br />

danken der sozialen Fürsorge erbracht wird und die in manchen<br />

Fällen nicht einmal die Höhe des Steuervorteils erreicht,<br />

die Steuerbegünstigung der Hauptleistung verhindert<br />

wird. Weder ist die Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers<br />

noch die nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers<br />

im arbeitsrechtlichen Sinne Voraussetzung für<br />

die Beurteilung der Zusatzleistung als steuerunschädlich<br />

(BFH, Urteil vom 3.7.2002, XI R 80/00).<br />

In dem vom BFH (DStR 2002, 257) entschiedenen Fall<br />

war der Arbeitgeber bereit, eine Outplacement-Beratung<br />

bis zu einem Wert von 50.000 DM incl. Mehrwertsteuer zu<br />

übernehmen. Das Gericht ist der Auffassung, dass es für<br />

die Frage der Begünstigung darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer<br />

tatsächlich die Outplacement-Beratung in Anspruch<br />

genommen hat oder ob der hierfür vorgesehene Betrag<br />

ausgezahlt wurde. Die Übernahme der Kosten ist eine<br />

sozial motivierte Zusatzleistung und damit unschädlich.<br />

Wurde dagegen der Betrag ausgezahlt und für nicht sozial<br />

motivierte Zwecke verwendet, so ist die Entschädigungszahlung<br />

auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt worden.<br />

Eine Zusammenballung der Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum<br />

liegt dann nicht vor.<br />

Die Tarifbegünstigung hat der BFH (BFH-NV 2002,<br />

717) auch in dem Fall angenommen, in dem der Arbeitgeber<br />

neben einer einmaligen Abfindung eine Jubiläumsgabe<br />

und zur Überbrückung der Arbeitslosigkeit eine monatliche<br />

Ausgleichszahlung leistete, obwohl diese<br />

Zahlungen in einem späteren Veranlagungszeitraum erfolgten.<br />

Auch hier wäre es unangemessen, die aus Fürsorgegesichtspunkten<br />

für eine Übergangszeit erbrachten Zusatzleistungen<br />

als schädlich zu beurteilen. Die Unangemessenheit<br />

wird besonders deutlich, wenn die in einem späteren Veranlagungszeitraum<br />

zugeflossenen Leistungen niedriger sind<br />

als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung.<br />

Zur Höhe der steuerunschädlichen Zusatzleistung hat<br />

sich der BFH ebenfalls geäußert (BFH-NV 2002, 715 =<br />

HFR 2002, 500). Danach muß die Zusatzleistung betragsmäßig<br />

lediglich einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung<br />

bilden, darf diese also bei weitem nicht erreichen. In<br />

dem entschiedenen Fall erhielt der Arbeitnehmer eine Versorgungsgarantie<br />

in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes<br />

des letzten Bruttogehaltes sowie Zahlungen für die Lebensversicherung;<br />

betragsmäßig erreichten die Zusatzleistungen<br />

die gleiche Größenordnung wie die Abfindung selbst.<br />

Erfreulich ist auch die Entscheidung des BFH (Urteil<br />

vom 3.7.2002, XI R 80/00) zur Überlassung des Dienstwagens<br />

für eine bestimmte Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />

In diesem Fall war dem Arbeitnehmer<br />

der Firmenwagen noch für 15 Monate überlassen worden.<br />

Der Arbeitgeber hatte sich verpflichtet, die Leasingraten<br />

sowie die Steuer und Versicherung des Pkw zu tragen. Der<br />

sich daraus ergebende geldwerte Vorteil bildet nach Auffassung<br />

des Gerichts zusammen mit der Abfindungszahlung<br />

eine als einheitlich zu beurteilende Entschädigung. Bei der<br />

zeitlich befristeten kostenlosen Überlassung des bereits<br />

während des Anstellungsverhältnisses privat genutzten<br />

Pkw’s handelt es sich um eine nicht unübliche Entschädigungszusatzleistung,<br />

mit der für eine Übergangsfrist dem<br />

Arbeitnehmer die Vorteile bleiben sollen, die mit der bisherigen<br />

Tätigkeit verbunden waren. Auch wenn hierfür keine<br />

Verpflichtung des Arbeitgebers aus nachvertraglicher<br />

Fürsorgepflicht im arbeitsrechtlichen Sinne besteht, so dient<br />

die Leistung doch dem Zweck, die Härten des Arbeitsplatzverlustes<br />

abzumildern; sie beruht damit auf sozialen Gründen<br />

im weiteren Sinne und dient der Erleichterung der mit<br />

dem Arbeitsplatzverlust typischerweise verbundenen Anpassungsschwierigkeiten.<br />

Steuerliche Behandlung<br />

Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, so ist<br />

nach § 3 Nr. 9 EStG derzeit ein Betrag von 8.181 EUR steuerfrei.<br />

Dieser Betrag erhöht sich auf 10.226 EUR, wenn der<br />

Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet hat und die<br />

Dienstzeit mindestens 15 Jahre betrug. Nach Vollendung des<br />

55. Lebensjahres und einer Dienstzeit von mindestens 20<br />

Jahren beträgt der Freibetrag 12.271 EUR. Bis zum Erreichen<br />

des Höchstbetrages sind die Abfindungszahlungen,<br />

auch wenn sie in Teilbeträgen ausgezahlt werden, steuerfrei.<br />

Der darüber hinausgehende steuerpflichtige Teil der Abfindung<br />

unterliegt der begünstigten Besteuerung nach § 24<br />

Nr. 1 a EStG in Verbindung mit § 34 Abs. 1 und 2 EStG.<br />

Nach § 34 Abs. 1 EStG ist auf unwiderruflichen Antrag die<br />

auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen<br />

Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen<br />

2 bis 4 zu berechnen. Die Berechnung der Steuer erfolgt<br />

nach der sog. 1/5-Regelung in drei Schritten.<br />

Zunächst wird die Einkommensteuer für das Einkommen<br />

ohne die außerordentlichen Einkünfte nach der Grund- oder<br />

Splittingtabelle ermittelt. Sodann wird die Einkommensteuer<br />

ohne die außerordentlichen Einkünfte zuzüglich 1/5<br />

der außerordentlichen Einkünfte ermittelt. Schließlich werden<br />

beide Einkommensteuerbeträge einander gegenübergestellt<br />

und die Differenz mit dem Faktor 5 multipliziert. Der<br />

so ermittelte Betrag wird der Einkommensteuer für das verbleibende<br />

Einkommen hinzugerechnet.<br />

Durch diese Regelung tendiert bei höheren Einkünften,<br />

wegen der dort geringen oder nicht mehr vorhandenen Progression,<br />

die Steuervergünstigung gegen null.<br />

Buchhinweis<br />

AnwBl 1/2003<br />

Mitteilungen<br />

Römermann/van der Moolen, Rabatte und Zugaben in der anwaltlichen<br />

Beratung; Deutscher Anwaltsverlag Bonn, 1. Aufl.<br />

2002, 295 S., brosch. 40 E; ISBN 3-8240-0501-8<br />

Neue Werbemöglichkeiten für den Handel. Was gilt beim Einsatz<br />

von Kopplungsgeschäften, Preisnachlässen, Gratis- und Probegaben?<br />

Welchen Spielraum gibt es in der Preisgestaltung? Was muss<br />

man beim Aufbau eines Kundenbindungssystems beachten? Nach<br />

dem Wegfall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung herrscht im<br />

Handel Orientierungslosigkeit. Welche Gesetze sind in Zukunft zu<br />

beachten? Wie können Unternehmen die neuen Freiräume für sich<br />

nutzen? Seien Sie auf diesen Beratungsbedarf vorbereitet! Die Autoren<br />

geben einen Ausblick auf die neue Rechtslage und einen<br />

Überblick über die relevanten Normen des Wettbewerbsrechts. Sie<br />

stellen einzelne, für die Werbung besonders relevante Problemfelder<br />

heraus, z. B. Bonusmeilen, Kundenkarten, Gewinnspiele,<br />

Mobiltelefone, Rückgaberechte. Die Autoren greifen aktuelle Tendenzen<br />

in der Rechtsprechung auf und geben Hinweise für die konkrete<br />

Werbegestaltung.<br />

Aus dem Inhalt: Erläuterung relevanter Vorschriften des UWG, der<br />

Preisangabenverordnung, des deutschen und europäischen Kartellrechts<br />

Darstellung zulässiger Werbemaßnahmen Möglichkeiten des<br />

e-Commerce Internetwerbung: Powershopping, Internetauktionen<br />

oder Werbung per E-Mail Werbung im europäischen Ausland und<br />

europarechtliche Einflüsse Vorgehen gegen Urteile, Beschlüsse und<br />

Unterwerfungsverträge, die noch auf der alten Rechtslage beruhen<br />

prozessuale Besonderheiten des Verfügungsverfahrens.


AnwBl 1/2003 53<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

GG Art. 12; BRAO § 171<br />

§ 171 BRAO, der für die Rechtsanwälte eine ausschließliche Zulassung<br />

bei dem Bundesgerichtshof vorsieht, ist mit dem Grundgesetz<br />

vereinbar. (LS der Redaktion)<br />

BVerfG, Erster Senat, Beschl. v. 31.10.2002 – 1 BvR 819/02<br />

Aus den Gründen: A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die<br />

Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof sowie<br />

das Wahlverfahren zum Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof.<br />

I. Der Beschwerdeführer ist als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht<br />

Hamm zugelassen und übt zudem den Beruf des Notars<br />

aus. Beim Bundesministerium der Justiz beantragte er, ihn – unter<br />

Beibehaltung seiner bisherigen Zulassung – als Rechtsanwalt bei<br />

dem Bundesgerichtshof in Zivilsachen zuzulassen. Der Antrag<br />

wurde abgelehnt. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung, der durch Beschluss des Bundesgerichtshofs<br />

zurückgewiesen wurde (BGH, NJW 2002, S. 1725):<br />

Es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber<br />

den bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälten eine<br />

weitere Zulassung bei anderen Gerichten verwehre (Singularzulassung);<br />

auf die Einzelheiten des Auswahlverfahrens für eine Singularzulassung<br />

komme es nicht an, weil der Beschwerdeführer diese<br />

nicht erstrebe.<br />

II. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer<br />

die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1<br />

GG durch die genannten Entscheidungen.<br />

Die Vorschriften über die Singularzulassung als Rechtsanwalt<br />

bei dem Bundesgerichtshof in §§ 171, 172 der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

(im Folgenden: BRAO) und die vorgelagerte Wahl<br />

sowie die hierfür geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 164 bis<br />

169 BRAO stellten eine einheitliche Regelung dar, die in dem angegriffenen<br />

Beschluss des Bundesgerichtshofs bei der Prüfung der<br />

Verfassungsmäßigkeit der Singularzulassung unzulässig aufgespalten<br />

worden sei. Mit der Verweigerung der Zulassung werde in seine<br />

Freiheit der Berufswahl eingegriffen, da die Tätigkeit als Rechtsanwalt<br />

bei dem Bundesgerichtshof ein eigenständiger Beruf sei. Die<br />

Singularzulassung könne nicht mit Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt<br />

werden; sie sei willkürlich. Bei keinem anderen obersten<br />

Bundesgericht bestehe eine spezialisierte Anwaltschaft. Auch<br />

mit der historischen Entwicklung lasse sie sich nicht erklären. Der<br />

historische Gesetzgeber habe sich bei einem damals wesentlich geringeren<br />

Verfahrensanfall entschlossen, für die Revision in Zivilsachen<br />

die Postulationsfähigkeit zu beschränken. Dann überzeuge<br />

aber die nunmehr vorgebrachte Begründung nicht, dass wegen der<br />

geringeren Fallzahlen bei den anderen obersten Bundesgerichten<br />

eine solche Anwaltschaft wirtschaftlich nicht tragfähig sei.<br />

Im Hinblick auf die modernen Telekommunikationsmittel und<br />

elektronischen Medien sowie angesichts der gestiegenen Mobilität<br />

treffe auch die Überlegung der vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

zwischen Gericht und örtlich niedergelassenen Rechtsanwalt nicht<br />

mehr zu. Das „Vier-Augen-Prinzip“ als Mittel zur Verbesserung<br />

der Rechtspflege könne die Singularzulassung ebenfalls nicht<br />

rechtfertigen. Es sei statistisch nicht belegt, dass der Anwaltschaft<br />

beim Bundesgerichtshof wegen ihrer besonderen Qualifikation eine<br />

„Filterfunktion“ zukomme. Schließlich verliere das zur Rechtfertigung<br />

der Singularzulassung bemühte Argument der besonderen<br />

Schwierigkeit des Revisionsrechts in Zivilsachen zunehmend an<br />

Bedeutung, weil durch die Reform der Zivilprozessordnung das<br />

Revisionsrecht den Verfahrensordnungen in den anderen Gerichtszweigen<br />

angepasst worden sei.<br />

Bei der Verabschiedung der Bundesrechtsanwaltsordnung 1959<br />

sei der Gesetzgeber vom Berufsbild des nicht spezialisierten Einzelanwalts<br />

ausgegangen, während heute Sozietäten und Fachanwälte<br />

das Bild der Anwaltschaft prägten; die Spezialisierung<br />

finde mittlerweile außerhalb der Singularzulassung statt. Zudem sei<br />

als milderes Mittel zwischenzeitlich der Bearbeiterwechsel in § 27<br />

l<br />

Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte<br />

in Deutschland (EuRAG) eingeführt worden.<br />

Die in den §§ 164 ff. BRAO getroffenen Regelungen über das<br />

Wahlverfahren verstießen ebenfalls gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie<br />

seien nicht geeignet, eine qualifizierte Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof<br />

zu gewährleisten und verfehlten damit den beabsichtigten<br />

Zweck.<br />

B. Die Voraussetzungen, von denen nach § 93 a Abs. 2<br />

BVerfGG die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung<br />

abhängt, liegen nicht vor.<br />

I.1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche<br />

Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).<br />

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt,<br />

dass die anwaltliche Berufsausübung durch den Grundsatz<br />

der freien Advokatur gekennzeichnet ist, der einer staatlichen Kontrolle<br />

und Bevormundung grundsätzlich entgegensteht (vgl.<br />

BVerfGE 50, 16 [29]; 76, 171 [183]). Ferner ist entschieden, unter<br />

welchen Voraussetzungen gesetzliche Regelungen der Berufsausübung<br />

zulässig sind (vgl. BVerfGE 93, 362 [369]; 103, 1 [10]).<br />

2. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten<br />

des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe<br />

b BVerfGG). Der Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers<br />

verletzt ihn nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12<br />

Abs. 1 GG.<br />

a) Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist berührt. Durch<br />

die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegende<br />

gesetzliche Regelung in § 171 BRAO wird die Freiheit der Berufsausübung<br />

des Beschwerdeführers beschränkt, da es ihm nicht<br />

ermöglicht wird, neben seiner bisherigen Berufstätigkeit nach einer<br />

Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof seine Mandanten<br />

in Zivilverfahren auch in der Revisionsinstanz zu vertreten.<br />

Ob von der angegriffenen Regelung ein Eingriff in die Freiheit der<br />

Berufswahl ausgehen kann (vgl. hierzu BVerfGE 33, 125 [161]),<br />

weil sich ein Rechtsanwalt entscheiden muss, ob er sich darauf beschränken<br />

will, bei dem Bundesgerichtshof und den sonstigen in<br />

§ 172 Abs. 1 BRAO Genannten Gerichten aufzutreten, oder ob er<br />

bei allen Gerichten mit Ausnahme des Bundesgerichtshofs postulationsfähig<br />

sein will, kann hier dahinstehen. Unter dem Blickwinkel<br />

des gestellten Antrages greifen die Entscheidungen und die zugrunde<br />

liegenden Normen allerdings nur in die Berufsausübungsfreiheit<br />

ein; sie betreffen einen dem Beschwerdeführer verschlossenen<br />

Teil seiner beruflichen Betätigung als Rechtsanwalt. Ihm<br />

wird eine Erweiterung seines bisherigen Tätigkeitsfeldes verwehrt<br />

(vgl. BVerfGE 103, 1 [9 f.]).<br />

b) Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung<br />

sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch<br />

hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Die aus<br />

Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des<br />

Grundrechts stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl.<br />

BVerfGE 19, 330 [336 f.]; 54, 301 [313]). Eingriffe in die Berufsfreiheit<br />

dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden<br />

Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 101, 331<br />

[347]). Eine sowohl den Freiheitsanspruch des Berufstätigen wie<br />

die öffentlichen Belange berücksichtigende Lösung kann nur in<br />

Abwägung der Bedeutung der einander gegenüberstehenden und<br />

möglicherweise einander widerstreitenden Interessen gefunden<br />

werden (vgl. BVerfGE 7, 377 [404f.]). Diese verfassungsgerichtlich<br />

entwickelten Maßstäbe hat der Bundesgerichtshof bei Auslegung<br />

und Anwendung des Gesetzes beachtet.<br />

c) Sein Ergebnis, dass § 171 BRAO mit dem Grundgesetz vereinbar<br />

ist, lässt derzeit keine Fehler erkennen, die auf einer grundsätzlich<br />

unrichtigen Anschauung vom Umfang des Schutzbereichs<br />

von Art. 12 Abs. 1 GG beruhen (vgl. BVerfGE 85, 248 [257 f.]).<br />

Nach der Argumentation des Bundesgerichtshofs wird die Singularzulassung<br />

durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt;<br />

die gewählten Mittel sind zur Erreichung des verfolgten<br />

Zwecks geeignet und erforderlich und stellen sich bei einer Gesamtabwägung<br />

zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht<br />

der ihn rechtfertigenden Gründe insgesamt noch als ange-


54<br />

l<br />

messen dar. Angesichts der inzwischen eingetretenen Änderungen<br />

der Zivilprozessordnung, die nach dem derzeitigen Erkenntnisstand<br />

noch keine Prognose über die zukünftige Entwicklung des Revisionsverfahrens<br />

zulassen, hat sich der Bundesgerichtshof insoweit zu<br />

Recht auf die bisherigen Erkenntnisse gestützt, insbesondere diejenigen<br />

der vom Bundesministerium der Justiz eingesetzten Kommission,<br />

die 1998 ihre Vorschläge zur Neuregelung des Rechts der<br />

Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat (aa).<br />

Dem steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom<br />

13. Dezember 2000 zu § 25 BRAO (BVerfGE 103, 1) nicht entgegen<br />

(bb).<br />

aa) § 171 BRAO dient nach der Absicht des Gesetzgebers überkommenen<br />

legitimen Gemeinwohlinteressen (vgl. BTDrucks 3/120,<br />

S. 111). Er bezweckt eine Stärkung der Rechtspflege durch eine leistungsfähige<br />

und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft.<br />

Nach den verfügbaren statistischen Unterlagen, die im Bericht<br />

der Kommission 1998 ausgewertet worden sind, sowie den<br />

vom Bundesgerichtshof herangezogenen Veröffentlichungen sind<br />

mit der Singularzulassung Vorteile für die Rechtsuchenden und das<br />

Revisionsgericht verbunden. Die Rechtsuchenden werden kompetent<br />

beraten und können im Vorfeld von aussichtslosen Rechtsmitteln<br />

Abstand nehmen, was ihnen Kosten erspart. Zugleich wird der Bundesgerichtshof<br />

von unzulässigen Rechtsmitteln entlastet.<br />

Obwohl bei den anderen obersten Bundesgerichten gleich<br />

starke Gemeinwohlinteressen ins Feld geführt werden könnten, hat<br />

der Gesetzgeber bei diesen von einer singular zugelassenen Anwaltschaft<br />

mit nachvollziehbarer Begründung abgesehen. Das stellt<br />

indessen die Gemeinwohlbelange nicht in Frage, Nach den gegenwärtigen<br />

Fallzahlen wäre nach der Einschätzung der Kommission,<br />

die sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht hat, eine Spezialisierung<br />

bei andeen obersten Bundesgerichten – auch für solche<br />

Rechtsanwälte, die im jeweiligen Bereich als Fachanwälte tätig<br />

sind – wirtschaftlich nicht tragbar. Diese Annahme wird entgegen<br />

der Auffassung des Beschwerdeführers weder mit dem Zahlenwerk<br />

wiederlegt, das zu Zeiten des Reichsgerichts das Maß der bei den<br />

Anwälten anfallenden Arbeit (und damit das Einkommen) bestimmte,<br />

noch mit dem Arbeitsanfall, der nach der am 1. Januar<br />

2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreform (Gesetz vom 27. Juli<br />

2001 ) zu erwarten ist.<br />

Auch die vom Beschwerdeführer genannten Zahlen entkräften<br />

das vom Bundesgerichtshof verwertete statistische Material nicht.<br />

Wenn der Beschwerdeführer den 4.265 Revisionen, die im Jahre<br />

2001 beim Bundesgerichtshof eingegangen sind, beispielsweise einen<br />

Verfahrenseingang beim Bundesgerichtshof im selben Jahr von<br />

2.288 Sachen gegenüberstellt, differenziert er nicht ausreichend.<br />

Beim Bundessozialgericht sind in dem genannten Jahr lediglich<br />

575 Revisionen eingegangen; die restlichen Eingänge entfielen auf<br />

Nichtzulassungsbeschwerden. Die vom Bundesgerichtshof herausgestellten<br />

Unterschiede beruhen deshalb nach wie vor auf tatsächlichen<br />

Gegebenheiten und rechtfertigen die unterschiedlichen Regelungen,<br />

solange der Gesetzgeber davon ausgehen kann, dass in den<br />

anderen Gerichtszweigen eine wirtschaftliche Grundlage für eine<br />

auf das Revisionsrecht spezialisierte Anwaltschaft fehlt.<br />

Es kann auch dahinstehen, ob die in dem angegriffenen Beschluss<br />

erwähnte „Filterfunktion“ durch die beim Bundesgerichtshof<br />

zugelassenen Rechtsanwälte zahlenmäßig genau belegbar ist.<br />

Jedenfalls wird etwa ein Viertel der eingelegten Revisionen wieder<br />

zurückgenommen, und es liegt auf der Hand, dass bei offensichtlich<br />

aussichtslosen Revisionen das Mandat erst gar nicht übernommen<br />

oder vor der Begründung der Revisionen niedergelegt wird,<br />

sofern nicht schon die Einlegung des Rechtsmittels unterbleibt,<br />

was statistisch nicht erfasst werden kann.<br />

Nachvollziehbar hat der Bundesgerichtshof auch hervorgehoben,<br />

dass die europarechtlichen Vorschriften kein milderes Mittel<br />

aufzeigen, das dem Antrag des Beschwerdeführers gerecht werden<br />

könnte. Zwar kann auch ein vorgeschriebener Bearbeiterwechsel<br />

der Rechtspflege förderlich sein und in einem Teilbereich den Zielen<br />

dienen, die mit der angegriffenen Norm des § 171 BRAO umfassender<br />

verfolgt werden. Auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips<br />

durch Bearbeiterwechsel vor Eintritt in die Revisionsinstanz<br />

richtet sich der Antrag des Beschwerdeführers indessen nicht. Er<br />

strebt mit der Simutanzulassung im Gegenteil die durchhgängige<br />

Vertretung eines Mandanten in allen Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit<br />

an.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Rechtsprechung<br />

Angesichts dieses vom Beschwerdeführer vorgegebenen Verfahrensziels<br />

lässt sich die Wertung des Bundesgerichtshofs, die<br />

Einschränkung durch das Verbot der Simultanzulassung bei dem<br />

Bundesgerichtshof sei für einen beim Landgericht und Oberlandesgericht<br />

zugelassenen Rechtsanwalt nur von geringer wirtschaftlicher<br />

Bedeutung, ebenfalls gut nachvollziehen. Wären alle Rechtsanwälte<br />

mit einiger Berufserfahrung berechtigt, ihre Mandanten<br />

vor dem Bundesgerichtshof zu vertreten, würden sich die dort anhängigen<br />

Verfahren auf viele Anwälte verteilen. Der Zuwachs an<br />

Mandaten bliebe gering. Das gilt insbesondere, weil nach bisherigem<br />

Recht die Möglichkeiten der Revision in Zivilsachen eingeschränkt<br />

waren (vgl. § 546 ZPO a. F.), Die Auswirkungen der Zivilprozessreform<br />

auf das Revisionsverfahren, insbesondere der<br />

Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO<br />

n. F., sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Erst<br />

wenn dazu tatsächliche Erfahrungswerte vorliegen, wird sich beurteilen<br />

lassen, ob das Verbot der Simultanzulassung bei dem Bundesgerichtshof<br />

weiterhin mit dem Verfassungsrecht, insbesondere<br />

mit Art. 12 Abs. 1 GG, vereinbar ist.<br />

bb) Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember<br />

2000 (BVerfGE 103, 1) angeführten Argumente zur fehlenden<br />

Eignung und Erforderlichkeit der in § 25 BRAO Getroffenen<br />

Regelung über die Singularzulassung der bei einem Oberlandesgericht<br />

zugelassenen Rechtsanwälte lassen sich nicht ohne weiteres<br />

auf die tatsächlich und rechtlich abweichende Lage der Rechtsanwaltschaft<br />

bei dem Bundesgerichtshof übertragen. Der Bundesgerichtshof<br />

hat sich in seinem hier angegriffenen Beschluss unter<br />

B. II. 2. c der Entscheidungsgründe (BGH, NJW 2002, S. 1725<br />

[1727 f.]) mit dieser Argumentation eingehend und mit zutreffendem<br />

Ergebnis auseinander gesetzt. Vorliegend gibt es keine regionalen<br />

Verschiedenheiten im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit, auf<br />

die das Bundesverfassungsgericht maßgeblich abgestellt hatte<br />

(BVerfGE 103, 1 [17 f.]). Die Unterschiede zwischen den einzelnen<br />

Gerichtszweigen sind in der verfassungsgerichtlichen Argumentation<br />

nicht gegen § 25 BRAO verwendet worden. Auch die Schwächung<br />

des Prinzips der Singularzulassung durch Mischsozietäten<br />

trifft auf die Anwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof nicht zu (vgl.<br />

§ 59 a BRAO einerseits und § 172 a BRAO andererseits). Soweit die<br />

Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zusätzlich darauf abgestellt<br />

hat, das Singularprinzip sei durch die Auflösung der Verknüpfung<br />

von Postulationsfähigkeit und berufsrechtlicher Lokalisation<br />

in § 78 ZPO geschwächt worden, trifft diese Erwägung auf die<br />

Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof ebenfalls nicht zu.<br />

Berufsrechtliche Lokalisation, Postulationsfähigkeit (§ 172 BRAO)<br />

sowie Kanzleisitz (§ 27 BRAO) bilden weiterhin eine Einheit.<br />

Weder aus der Systematik des Gesetzes noch aus der historischen<br />

Entwicklung oder der Umsetzung der Normen in der forensischen<br />

Praxis ergeben sich derzeit Anhaltspunkte dafür, dass die<br />

Singularzulassung nicht mehr als geeignetes und erforderliches<br />

Mittel zugunsten einer qualitativen Verbesserung der Rechtspflege<br />

angesehen werden kann. Ob allerdings die Sicherung der Arbeitsfähigkeit<br />

des Bundesgerichtshofs, die in der angegriffenen Entscheidung<br />

zum Beleg für die Erforderlichkeit der Regelung herangezogen<br />

wird, tragfähig bleibt, wird anhand des neuen<br />

Prozessrechts mit seiner Veränderung von Berufungs- und Revisionsverfahren<br />

im Zivilprozess sowie der Annäherung der Revisionszulassung<br />

vor dem Bundesgerichtshof an die finanz-, sozialund<br />

verwartungsgerichtlichen Verfahren zu beurteilen sein. Die Beschränkungen<br />

der anwaltlichen Tätigkeit sind jedenfalls nicht<br />

schon deswegen erforderlich, weil sie dort, wo sie gelten, von den<br />

Richtern als sachdienlich empfunden werden (vgl. BVerfGE 103, 1<br />

[18]**).<br />

d) Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Auswahlverfahren<br />

gemäß §§ 166 ff. BRAO sind verfassungsrechtlich ebenfalls<br />

nicht zu beanstanden. Die Normen regeln das Verfahren der Singularzulassung,<br />

die der Beschwerdeführer nicht angestrebt hat. Da<br />

der Bundesgerichtshof von seinem Standpunkt aus folgerichtig<br />

diese Normen seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat, sind<br />

sie nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.<br />

Die hiergegen gerichteten Angriffe in der Verfassungsbeschwerde<br />

gehen deshalb ins Leere. Sie richten sich unmittelbar<br />

gegen Normen, ohne dass diese Gegenstand gerichtlicher Entscheidung<br />

gewesen wären. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die<br />

Dauer des Wahlverfahrens und die deshalb zu erwartende unzumutbare<br />

Belastung, sofern er sich hierauf einließe, mag darauf hindeu-


AnwBl 1/2003 55<br />

Rechtsprechung l<br />

ten, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen von § 90<br />

Abs. 2 Satz 2 BVerfGG für gegeben erachtet. Diese entbinden allerdings<br />

nicht von dem Erfordernis, dass ein Beschwerdeführer von<br />

den angegriffenen Vorschriften selbst betroffen sein muss. Erstrebt<br />

ein Rechtsanwalt nicht den Status, dessen verfahrensrechtliche Voraussetzungen<br />

er für verfassungswidrig hält, betrifft ihn das Verfahrensrecht<br />

nicht; die Behauptung, selbst in einem Grundrecht verletzt<br />

zu sein, die § 90 Abs. 1 BVerfGG als allgemeine<br />

Voraussetzung der Verfassungsbeschwerde nennt, kann nicht mit<br />

der Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung begründet werden.<br />

II. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1<br />

Satz 3 BVerfGG abgesehen.<br />

§ 356 Abs. 1 StGB<br />

Der Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute auf Grund deren<br />

gemeinsamen Auftrages ausschließlich über die Voraussetzungen<br />

und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten übereinstimmend<br />

gewollten einverständlichen Scheidung ihrer Ehe<br />

sowie den Unterhaltsanspruch beraten und den Unterhaltsanspruch<br />

berechnet hat, handelt nicht pflichtwidrig i. S. d. § 356<br />

Abs. 1 StGB, wenn er später einen der Ehepartner vertritt und<br />

den Unterhaltsanspruch geltend macht.<br />

OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2002 – 3 Ss 143/01<br />

Aus den Gründen: II. ... Die auf die Sachrüge gestützte Revision<br />

des Angeklagten hat Erfolg und führt zu seinem Freispruch.<br />

Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten<br />

wegen Parteiverrats nicht. Die dem Angeklagten zur Last<br />

gelegte Tat vom 22.1.1999 kann aus rechtlichen Gründen nicht<br />

festgestellt werden.<br />

Tatvorwurf laut Anklageschrift und Gegenstand der Aburteilung<br />

ist ausschließlich das Verhalten des Angeklagten bei der am<br />

2.12.1998 in seiner Kanzlei im Hinblick auf die von den Eheleuten<br />

S und J G gewünschte einverständliche Scheidung ihrer Ehe durchgeführten<br />

gemeinsamen Besprechung bzw. Beratung der beiden Eheleute<br />

einerseits und die Fertigung und Absendung des namens S G<br />

an J G gerichteten Anwaltsschriftsatzes des Angeklagten vom<br />

22.1.1999 andererseits. Dass der Angeklagte in der Folgezeit in der<br />

Scheidungsangelegenheit weiter außergerichtlich und gerichtlich für<br />

die Ehefrau, S G, tätig war, bis er auf Aufforderung der Rechtsanwaltskammer<br />

Karlsruhe im Mai 1999 das Mandat niederlegte, ist<br />

weder in der Anklageschrift in einer der Abgrenzungs- und Informationsfunktion<br />

genügenden Weise, noch im Urteil konkretisiert (vgl.<br />

hierzu Senat Die Justiz 1994, 449; BGH NJW 1994, 2966).<br />

Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt<br />

zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte mit der Beratung der beiden<br />

Eheleute am 2.12.1998 einerseits und mit dem namens S G an J G<br />

gerichteten Schriftsatz vom 22.1.1999 andererseits nicht pflichtwidrig<br />

beiden Parteien, d. h. beiden Eheleuten, diente. Denn der<br />

Angeklagte hatte in der gemeinsamen Besprechung mit den beiden<br />

Eheleuten am 2.12.1998 den Ehemann, J G, nicht im entgegengesetzten<br />

Interesse beraten oder vertreten, folglich auch mit dem<br />

inkriminierten Schriftsatz vom 22.1.1999 die Ehefrau, S G, nicht<br />

im entgegengesetzten Interesse vertreten.<br />

Freilich hatte der Angeklagte bei der gemeinsamen Besprechung<br />

am 2.12.1998 beiden Eheleuten als Anwalt bei der ihm von<br />

diesen in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheit in einer<br />

Rechtssache durch Rat gedient. Gegenstand der aufgrund des gemeinsamen<br />

Auftrages beider Eheleute am 2.12.1998 durchgeführten<br />

Besprechung/Beratung waren die Voraussetzungen und die Herbeiführung<br />

einer von beiden Eheleuten übereinstimmend gewollten<br />

einverständlichen Scheidung sowie die Errechnung der Unterhaltsansprüche<br />

der Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes. Zweifellos<br />

ist der Angeklagte hierbei – auch bei Berücksichtigung seiner privaten<br />

Beziehungen zu den Eheleuten – nicht außerberuflich in privater<br />

Eigenschaft, sondern in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt<br />

tätig geworden (vgl. hierzu RGSt, 62, 289, 292 f.; BGHSt 20, 41;<br />

BGHR StGB § 356 Rechtsanwalt 1) und zwar in einer Rechtssache.<br />

Als Rechtssache i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB sind alle Angelegenheiten<br />

zu verstehen, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem<br />

Interesse einander gegenüberstehen können (BGHSt 18, 192;<br />

vgl. zum Interessengegensatz näher die nachfolgenden Ausführungen<br />

zum Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit). Dass der Angeklagte<br />

am 2.12.1998 beide Eheleute gleichzeitig in deren übereinstimmendem<br />

Interesse beriet, steht der Annahme des Merkmals<br />

des Dienens nicht entgegen. Dienen i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB ist<br />

jede berufliche Tätigkeit eines Anwalts, durch die das Interesse<br />

des Auftraggebers durch Rat oder Beistand gefördert werden soll<br />

(BGHSt 5, 301, 305:7, 17, 19; NStZ 1985, 74).<br />

Es besteht auch kein Zweifel, dass der Angeklagte mit dem an<br />

J G gerichteten Schriftsatz vom 22.1.1999 als anwaltlicher Vertreter<br />

der S G nun dieser in derselben Rechtssache (vgl. BGHSt 18,<br />

192) durch Rat und Beistand diente, indem er gegenüber J G vorgerichtlich<br />

Unterhaltsansprüche geltend machte, wobei er zu deren<br />

Berechnung die Zahlen zugrundelegte, die ihm beide Eheleute bei<br />

der gemeinsamen Besprechung am 2.12.1998 mitgeteilt hatten.<br />

Hiermit handelte der Angeklagte indes nicht pflichtwidrig.<br />

Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten sieht die<br />

Strafkammer darin, dass der Angeklagte nach/trotz der gemeinsamen<br />

Beratung der Eheleute, bei der diese eine einverständliche<br />

Scheidung wollten, eine einseitige Tätigkeit zu Gunsten der Ehefrau<br />

S G aufnahm, sich quasi auf die Gegenseite geschlagen und<br />

J G dadurch „verraten“ habe (vgl. hierzu BGHSt 20, 41, 42). Dieser<br />

Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.<br />

Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Sinne des<br />

§ 356 Abs. 1 StGB setzt einen Interessengegensatz zwischen den<br />

Parteien voraus. Darin liegt eine wesentliche tatbestandsmäßige<br />

Einschränkung. Pflichtwidrig ist das Dienen des Anwalts dann,<br />

wenn er einer Partei Rat oder Beistand leistet, nachdem er einer<br />

anderen Partei in derselben Rechtsache, aber im entgegengesetzten<br />

Sinne, bereits Rat und Beistand geleistet hat (vgl. beispielhaft zum<br />

Scheidungsverfahren BGHR StGB § 356 Abs. 1 Rechtssache 1<br />

Ehescheidung = wistra 1991, 221). Der Interessengegensatz ist<br />

nicht abstrakt und von der objektiven Interessenlage der Partei her,<br />

sondern in der Weise zu bestimmen, welches Ziel die Partei – subjektiv<br />

– verfolgt haben will und welchen Inhalt der dem Rechtsanwalt<br />

erteilte Auftrag hat (OLG Karlsruhe Die Justiz 1997, 448 =<br />

NStZ-RR 1997, 236 = AnwBl 1998, 102; BGHSt 5, 301, 306 ff.;<br />

MDR 1981, 734; St 15, 332, 334, 339; 34, 190, 192). Ob der Interessengegensatz<br />

vorliegt, ergibt sich aus dem Auftrag, den der<br />

Rechtsanwalt erhalten hat; denn dieser Auftrag bestimmt den Umfang<br />

der Belange, mit deren Wahrnehmung der Auftraggeber den<br />

Rechtsanwalt betraut (vgl. auch BGH St 7, 17, 20). Anvertraubar<br />

ist auch ein nur begrenztes Interesse. Der strafrechtliche Schutz erstreckt<br />

sich nicht notwendig auf die Gesamtheit der persönlichen<br />

und wirtschaftlichen Belange des Auftraggebers, er wird vielmehr<br />

durch den Kreis der Rechtsinteressen begrenzt, die der Auftraggeber<br />

dem Rechtsanwalt anvertraut hat, sowie dadurch, wie weit<br />

sich nach dem Willen des Auftraggebers die anwaltliche Treuepflicht<br />

erstrecken sollte; es wäre sinnwidrig, den Strafschutz<br />

darüber hinaus auszudehnen (BGHSt 5, 301, 306 ff.; AnwBl 1955,<br />

59). Hiernach ist es rechtlich möglich, dass ein Anwalt in derselben<br />

Rechtssache mehreren Beteiligten dient, deren Interessen sich<br />

tatsächlich widerstreiten, soweit sich die Interessen der Parteien in<br />

derselben Rechtssache vom Standpunkt der Beteiligten aus miteinander<br />

vereinigen lassen und soweit sie dem Rechtsanwalt die<br />

Wahrnehmung ihres gemeinsamen (vermeintlichen) Interesses anvertraut<br />

haben; es handelt sich dann für den Anwalt nicht um Gegenparteien<br />

oder um entgegengesetzte Interessen und es kann von<br />

einem Missbrauch des Vertrauens im Dienste des Gegners nicht<br />

die Rede sein (BGHSt 5, 301, 307, 308). Sind die Ziele, deren Verfolgung<br />

mehrere Beteiligte einem Rechtsanwalt anvertraut haben,<br />

nicht gegeneinander gerichtet, so verstößt er demgemäß nicht gegen<br />

die Bestimmung des § 356 StGB (vgl. auch § 43 a Abs. 4<br />

BRAO), wenn er beiden Parteien, obwohl sie tatsächlich entgegengesetzte<br />

Interessen haben, im gemeinsamen beiderseitigen Interesse<br />

dient (BGHSt 5, 301, 307, 308). Ein Interessengegensatz<br />

schließt nicht aus, dass Parteien gleichgerichtete Interessen haben;<br />

in solchen Fällen hat der Rechtsanwalt einen größeren Spielraum<br />

als dort, wo seine Bemühungen um einen Vergleich einen Interessenkonflikt<br />

der Parteien betreffen (BGH NStZ 1982, 331; St 15,<br />

332, 336; Feuerich/Braun BRAO 5. Aufl. § 43 a Rdnr. 64).<br />

Bei den im vorliegenden Fall einer Scheidungssache disponiblen<br />

Rechtsgütern wird der Interessenbegriff vom Willen der Parteien<br />

gestaltet und richtet sich nach deren subjektiven Zielen. In<br />

Ehescheidungssachen steht es den Ehegatten frei, einverständlich


56<br />

l<br />

die Voraussetzungen einer Ehescheidung (§ 630 Abs. 1 ZPO) herbeizuführen<br />

(vgl. auch zur Verfügbarkeit über die Komponenten<br />

des durch § 356 StGB geschützten Rechtsguts, des Vertrauens der<br />

Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltsund<br />

Rechtsbeistandschaft einerseits und des Schutzes des Auftraggebers<br />

vor ungetreuer Benachteiligung andererseits: BGHSt 15,<br />

332, 336). Hieraus rechtfertigt sich vorliegend – etwa im Unterschied<br />

zum Strafprozess, in dem eine subjektive Disposition des<br />

Mandanten über die Interessen nicht möglich ist und nur eine objektive<br />

Bestimmung des Interessengegensatzes in Frage kommt,<br />

d. h. die objektive wirkliche Interessenlage entscheidet (vgl. BGHSt<br />

5, 284; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35 mit Anm. Dahs NStZ<br />

1995, 16; BayObLG NJW 1995, 606; SK-Rudolphi StGB Stand<br />

1997 § 356 Rdnr. 26) – das subjektive Verständnis des Interessengegensatzes.<br />

Ob ein solcher gegeben ist, wird durch einen Vergleich<br />

der beiderseitigen subjektiven Parteianliegen ermittelt (vgl. auch<br />

Schönke/Schröder – Cramer StGB 26. Aufl. § 356 Rdnr. 18).<br />

Im Falle einer einverständlichen Scheidung treten – bei subjektiver<br />

Betrachtung – keine entgegengesetzten Interessen auf. Die<br />

Eheleute sind sich – wie im vorliegenden Fall – einig, dass nach<br />

§ 630 ZPO i. V. m. §§ 1565, 1566 Abs. 1 BGB vorgegangen werden<br />

soll (vgl. hierzu differenzierend für das familiengerichtliche Verfahren:<br />

BayObLG NJW 1981, 832; Schönke/Schröder-Cramer aaO<br />

§ 356 Rdnr. 18; Lackner/Kühl 24. Aufl. § 356 Rdnr. 7; SK-Rudolphi<br />

aaO § 356 Rdnr. 28). Ob bei einer einverständlichen Scheidung<br />

nach § 630 Abs. 1 ZPO ein Interessengegensatz entfällt, hat der<br />

BGH allerdings bislang nicht grundsätzlich entschieden (BGH<br />

NStZ 1985, 74).<br />

Ausgehend von den Feststellungen der Strafkammer waren unter<br />

Berücksichtigung der dargelegten Rechtsgrundsätze die hier in<br />

Rede stehenden Interessen der beiden Parteien/Eheleute in der Besprechung<br />

am 2.12.1998 nicht konträr, sondern gleichgerichtet,<br />

nämlich auf eine einverständliche Ehescheidung hin. Im entgegengesetzten<br />

Interesse beraten, etwa durch einen empfehlenden Vorschlag<br />

des Angeklagten zu einem bestimmten Verhalten, wurde<br />

J G nicht, ebenso wenig S G. Dass J G dem Angeklagten sonst etwas<br />

anvertraut hätte, hinsichtlich dessen dieser ihm die Treue hätte<br />

brechen können, ist nicht festgestellt. Im Falle widerstreitender Interessen<br />

wollte der Angeklagte den J G nicht vertreten, sondern<br />

dessen Ehefrau S G. Anhand der von beiden Ehegatten im Beisein<br />

des anderen freiwillig gemachten Angaben zu den Einkünften und<br />

Verbindlichkeiten berechnete der Angeklagte noch bei dieser Besprechung<br />

die Unterhaltsansprüche der Ehefrau, S G, und des gemeinsamen<br />

Kindes. Zwischen den Eheleuten bestand hierbei Interessenübereinstimmung.<br />

Ziel war es, auch insoweit eine<br />

Parteivereinbarung herbeizuführen (auch dadurch unterscheidet<br />

sich vorliegender Sachverhalt von dem der Entscheidung des Bay-<br />

ObLG NJW 1981, 832 zugrundeliegenden). Die bloße Möglichkeit,<br />

es könne später zwischen den Eheleuten zu Streit über die<br />

Scheidung und/oder Scheidungsfolgen kommen, führt zu keiner anderen<br />

Beurteilung. Der Widerstreit der Interessen muss nämlich<br />

zum Zeitpunkt der fraglichen anwaltlichen Tätigkeit vorliegen; darauf,<br />

ob ein solcher Widerstreit vorauszusehen ist, kommt es nicht<br />

an (RGSt 71, 231, 236; BGHSt 34, 190,192, 193).<br />

Mit dem an J G gerichteten Aufforderungsschreiben vom<br />

22.1.1999 diente der Angeklagte zwar der Ehefrau S G, aber nicht<br />

im entgegengesetzten Sinne, weder mit Blick auf die Interessen<br />

des J G noch auf die der S G selbst, zumal die Unterhaltsansprüche<br />

weiterhin außer Streit waren. Ersichtlich wiederholte der Angeklagte<br />

in diesem Schriftsatz – ohne Verstoß gegen seine Treuepflicht<br />

und die Interessen des J G – die bei der Besprechung am<br />

2.12.1998 einvernehmlich vorgenommene Berechnung des Unterhaltes<br />

mit dem erneuten Appell, zu einer möglichst sinnvollen und<br />

gütlichen Einigung über die zu regelnden Punkte zu kommen, wie<br />

dies beide Eheleute nochmals am Vortag abgesprochen hatten. Ob<br />

der Unterhalt der Höhe nach rechtlich zutreffend berechnet war, ist<br />

insoweit ohne Belang; das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit<br />

i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB stellt nicht auf die inhaltliche Richtigkeit<br />

des anwaltlichen Tuns ab.<br />

Hinzu kommt: Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen<br />

der Strafkammer bei der Besprechung am 2.12.1998 beiden Eheleuten<br />

ausdrücklich und ohne Widerspruch des J G, aber auch der<br />

S G erklärt, dass er im Falle einer streitigen Auseinandersetzung<br />

nicht dessen Interessen, sondern die der Ehefrau S G vertreten<br />

werde; er bekräftigte dies mit dem fraglichen Schriftsatz vom<br />

AnwBl 1/2003<br />

Rechtsprechung<br />

22.1.1999. Dem Angeklagten ist daher zugute zu halten, dass sich<br />

J G bei dieser Festlegung/Abgrenzung des Aufgabenkreises von<br />

vornherein darüber im Klaren sein musste, dass der Angeklagte<br />

die Interessen der S G mitberücksichtigen würde und diese nicht<br />

seinen, des J G, Interessen hintansetzen dürfe (vgl. hierzu RGSt 71,<br />

231, 237; BGHSt 5, 301, 308). Zwar wäre das Einverständnis einer<br />

Partei mit der späteren Vertretung der anderen Partei durch denselben<br />

Anwalt grundsätzlich unbeachtlich und könnte eine darin etwa<br />

liegende Pflichtwidrigkeit des Anwaltes nicht rechtfertigen<br />

(BGHSt 18, 192, 198; BGH NStZ 1985, 74); Rechtsgut des § 356<br />

StGB ist – wie bereits ausgeführt – nicht nur der Schutz des Auftraggebers,<br />

sondern auch das Ansehen der Anwaltschaft als wichtigem<br />

Organ der Rechtspflege (BGHSt 15, 332, 336; differenzierend<br />

BGHSt 5, 301, 306 f.; vgl. etwa auch Tröndle/Fischer StGB 50.<br />

Aufl. § 356 Rdnr. 1). Durch das Einverständnis, das in der Sache<br />

zwischen den Parteien besteht, kann aber die Gegensätzlichkeit ihrer<br />

Interessen aufgehoben sein (BGHSt 15, 332, 325 f.). Dies gilt<br />

auch für den Umstand, welchen Ehepartner der Anwalt im Scheidungsverfahren<br />

vertreten soll. So liegt der Fall hier.<br />

Da der Beratungsauftrag dem Angeklagten von beiden Eheleuten<br />

gemeinsam mit dem eingangs genannten Ziel erteilt worden<br />

war, war der Angeklagte in der Besprechung am 2.12.1998 mithin<br />

nicht Diener bzw. Vertreter einseitiger Parteiinteressen, sondern unparteiischer<br />

Mittler. Ihm war daher auch nicht untersagt, später die<br />

eine der beiden Parteien gegen die andere in derselben Angelegenheit<br />

zu vertreten. Auf die Frage, ob ein solches Verhalten nach<br />

standesrechtlichen Gesichtspunkten billigenswert ist, kommt es<br />

hier nicht an (BGH AnwBl 1955, 69; zustimmend Schönke/<br />

Schröder-Cramer aaO Rdnr. 15; vgl. auch RGSt 14, 364, 379; 66,<br />

103; BGHSt 5, 301, 309).<br />

Auch die in der Entscheidung BGHSt 5, 301, 305 bis 309, 312<br />

aufgestellten Grundsätze führen unter den besonderen Umständen<br />

des vorliegenden Einzelfalls dazu, dass der Angeklagte in Anbetracht<br />

der am 2.12.1998 mit beiden Eheleuten ausdrücklich besprochenen<br />

Interessen- und Auftragsabgrenzung (vgl. zur Auftragsund<br />

Aufgabenbegrenzung auch RGSt 66, 103, 104; 71, 231, 234 f.)<br />

mit Recht davon ausging, dass ein die Pflichtwidrigkeit begründender<br />

Gegensatz der ihm hierbei anvertrauten Interessen jedenfalls<br />

bei der Geltendmachung des Getrenntlebensunterhaltes und des<br />

Kindesunterhaltes mit Schriftsatz vom 22.1.1999, der bereits Gegenstand<br />

der Besprechung vom 2.12.1998 war, nicht gegeben war.<br />

Die Irrtumsproblematik (vgl. hierzu BGHSt 4, 80, 83; 5, 301, 311;<br />

7, 17; 15, 332, 338 f.; 18, 196, 200) stellt sich damit nicht.<br />

Dem gefundenen Ergebnis steht die Entscheidung BGHSt 18,<br />

192 (vgl. auch BGH wistra 1991, 221) nicht entgegen. Die Entscheidung<br />

hatte das Verhalten eines Rechtsanwalts zum Gegenstand,<br />

der in einem Ehescheidungsverfahren den einen Ehegatten<br />

vertrat, während er vorher schon in derselben Rechtssache dem anderen<br />

Ehegatten seinen Beistand geleistet hatte und somit ausschließlich<br />

jedem von beiden, und zwar im jeweils entgegengesetzten<br />

Interesse diente. Der BGH stellt klar, dass selbst bei dieser<br />

Konstellation das Verhalten des Rechtsanwalts nicht unter allen<br />

Umständen gegen die Belange dieses letzteren Ehegatten gerichtet<br />

und damit pflichtwidrig ist (BGH St 18, 192, 198 ff.; vgl. auch<br />

OLG Karlsruhe aaO). Vom vorliegenden Fall unterscheidet sich jener<br />

Sachverhalt aber schon vor allem dadurch, dass hier bei der Besprechung<br />

am 2.12.1998 dem Ehemann J G allein gerade kein individueller,<br />

vertraulicher, auf seine Person bezogener anwaltlicher<br />

Beistand/Rat in seinem Auftrag geleistet worden war (ebenso wenig<br />

der Ehefrau S G), sondern die Beratung auf einem gemeinsamen<br />

Auftrag beider Eheleute mit Blick auf das gemeinsame Interesse<br />

an einer einverständlichen Scheidung beruhte (vgl. zur<br />

sukzessiven Vertretung und zur Rechtslage vor der Reform des<br />

Ehe- und Familienrechts durch Gesetz vom 14.6.1976: BGHSt 4,<br />

80; 17, 305 bis 307 mit kritischer Anm. Gutmann AnwBl 1963, 90;<br />

18, 193, 199; ähnlich RGSt 62, 289, 292). Die von J G am<br />

2.12.1998 ausschließlich für den Fall einer einverständlichen Scheidung<br />

zur Stellung des Scheidungsantrages unterzeichnete Prozessvollmacht<br />

kam zu keinem Zeitpunkt zum Tragen. Die bloße Erteilung<br />

des Mandats seitens des J G, dessen Annahme seitens des<br />

Angeklagten sowie der Widerruf des Mandats mit Schriftsatz des<br />

Angeklagten vom 22.1.1999 waren schon kein Dienen i. S. d. § 356<br />

Abs. 1 StGB, weil dadurch nicht das Interesse des J G durch Rat<br />

oder Beistandleisten gefördert wurde (Schönke/Schröder-Cramer<br />

aaO § 356 Rdnr. 10). Das Gleiche gilt bzgl. des in der Besprechung


AnwBl 1/2003 57<br />

Rechtsprechung l<br />

am 2.12.1998 von dem Angeklagten mittels des Computerprogramms<br />

erstellten, aber nicht fertiggestellten Entwurfs eines Scheidungsantrages<br />

für eine einverständliche Scheidung.<br />

Dass bei der Besprechung am 2.12.1998 auch die Durchführung<br />

eines streitigen Scheidungsverfahrens – die bloße Möglichkeit<br />

oder Voraussehbarkeit eines solchen Verfahrens genügt, wie<br />

ausgeführt, nicht – Gegenstand jeweils interessenbezogener individueller,<br />

sachlicher Beratung eines oder beider Ehepartner gewesen<br />

wäre, ist ausweislich der allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht<br />

festgestellt. Die Besprechung kann mithin auch nicht als Vergleichsbemühung<br />

des Angeklagten zur Beilegung eines Streites<br />

zwischen den Eheleuten (vgl. hierzu etwa RGSt 62, 289, 292; 66,<br />

103, 105; BGHSt 4, 80, 82; 15, 332, 336, 337; NStZ 1982, 331,<br />

332; Schönke/Schröder-Cramer aaO § 356 Rdnr. 19, 8 a. E.) eingeordnet<br />

werden oder als Mediation zur Schlichtung und Vermittlung,<br />

deren Scheitern bzw. Beendigung der weiteren Beratung oder Vertretung<br />

einer der Parteien in derselben Angelegenheit entgegenstünde<br />

(vgl. OLG Karlsruhe NJW 2001, 3197; Feuerich/Braun aaO<br />

§ 43 a Rdnr. 65, Henssler AnwBl 1997, 129 f.).<br />

Das Urteil des LG vom 30.7.2001 ist nach alledem nebst dem<br />

Urteil des OAG vom 8.2.2001 aufzuheben. Nach dem Inhalt des<br />

angefochtenen Urteils erscheint es ausgeschlossen, dass in einer<br />

neuen Hauptverhandlung weitere, einen Schuldspruch nach § 356<br />

StGB tragende Feststellungen getroffen werden könnten. Der Senat<br />

spricht den Angeklagten deshalb frei (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

Mitgeteilt von dem 3. Strafsenat des OLG Karlsruhe<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2;ARB §§ 1, 2, 14<br />

Gespräche des Rechtsanwalts, die der Informationsbeschaffung<br />

dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, sind von der Geschäftsgebühr<br />

umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten Dritten<br />

die Besprechungsgebühr auslösen, wobei allerdings nicht<br />

jede Besprechung des Anwalts mit einem Sachverständigen die<br />

Besprechungsgebühr auslöst, sondern nur dann, wenn dieser<br />

Sachverständige als „Dritter“ anzusehen ist und er nicht neben<br />

dem Auftraggeber als Informant oder Repräsentant im Lager<br />

„des Mandanten“ steht und mit ihm als „neutralem Dritten“ ein<br />

sachbezogenes Gespräch im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung<br />

(zwecks Förderung des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich<br />

oder gerichtlich) geführt wird. (Leitsatz der Redaktion)<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 23.5.2002 – 50 C 11933/01<br />

Aus den Gründen: Die Kl kann im Wege der Rechtsnachfolge<br />

den von der Bekl noch nicht ausgeglichenen Teil der in der Liquidation<br />

vom 9.7.2001 enthaltenen Besprechungsgebühr in Höhe von<br />

755,40 DM beanspruchen. Die von ihrem Prozessbevollmächtigten<br />

in Ansatz gebrachte 10/10 Besprechungsgebühr gemäß § 118<br />

Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO ist nicht zu beanstanden.<br />

Soweit die Bekl – nunmehr – in Abrede stellt, dass überhaupt<br />

eine Besprechungsgebühr angefallen ist, ist dies ohne Belang. Indem<br />

sie eine in dem von ihr anerkannten Betrag von 8.465,38 DM<br />

enthaltene 7,5/10 Besprechungsgebühr anerkannt und eine solche<br />

auch in der Folgezeit ausgeglichen hat, hat sie die Berechtigung einer<br />

Besprechungsgebühr dem Grunde nach anerkannt. Damit kann<br />

sie von vornherein keine Einwendungen mehr insoweit erheben.<br />

Ungeachtet dessen ist aber auch eine Besprechungsgebühr im Hinblick<br />

auf das zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Kl und<br />

Frau Dr. S als fachmedizinischer Gutachterin am 1.6.2001 geführte<br />

40-minütige Gespräch angefallen. Diese Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten<br />

der Kl ist nicht durch eine Geschäftsgebühr nach<br />

§ 118 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO abgegolten. Das Gericht schließt<br />

sich insoweit den Ausführungen des Amtsgericht Düsseldorf im<br />

Urt. v. 21.9.2001 in Sachen 232 C 6678/01 an, in dem es wie folgt<br />

heißt:<br />

„Die Abgrenzung dessen, was noch als allgemeines Betreiben<br />

des Geschäfts i. S. d § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO anzusehen ist und<br />

dessen, was die zusätzliche Gebühr nach Nr. 2 auslöst, hat vom<br />

Wortlaut dieser Gebührentatbestände und ihrem Systemzusammen-<br />

hang auszugehen. Danach werden Gespräche, die der Informationsbeschaffung<br />

dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, von der Geschäftsgebühr<br />

umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten<br />

Dritten die Besprechungsgebühr auslösen.<br />

Insoweit ist die Geschäftsgebühr mit der Prozessgebühr nach<br />

§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und die Besprechungsgebühr mit der<br />

Verhandlungsgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO vergleichbar.<br />

Nicht jede Besprechung des Anwalts mit einem Sachverständigen<br />

löst die Besprechungsgebühr des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO aus,<br />

sondern nur dann, wenn dieser Sachverständige als „Dritter“ anzusehen<br />

ist und nicht neben dem Auftraggeber als Informant oder Repräsentant.<br />

Voraussetzung hierfür ist auch nicht, dass der Dritte<br />

Gegner ist. Er darf nur nicht bereits im Lager „des Mandanten“<br />

sein, sondern ein „neutraler Dritter“, mit dem ein sachbezogenes<br />

Gespräch im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung (zwecks<br />

Förderung des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich oder gerichtlich)<br />

geführt wird. Jedenfalls ist als Dritter nicht nur ein Gegner<br />

des Auftraggebers zu sehen“.<br />

Vorliegend ist Frau Dr. S als Dritte im aufgezeigten Sinne anzusehen,<br />

da sie als neutrale Gutachterin nicht im Lager des – ehemaligen<br />

– Kl gestanden hat.<br />

Die von dem Prozessbevollmächtigten der Kl angesetzte Besprechungsgebühr<br />

ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.<br />

Die 10/10 Gebühr ist gerechtfertigt. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />

Düsseldorf hat in seinem überzeugenden Gutachten<br />

vom 28.2.2002 nachvollziehbar dargelegt, dass und weshalb<br />

die von dem Prozessbevollmächtigten der Kl in Ansatz gebrachte<br />

10/10 Besprechungsgebühr im Sinne des § 118 Abs. 1 Ziffer 2<br />

BRAGO noch im Rahmen des dem Rechtsanwalt zuzubilligenden<br />

Ermessensspielraums liegt. Dahinstehen kann, ob und inwieweit<br />

die Einholung des Gebührengutachtens möglicherweise entbehrlich<br />

gewesen ist. Denn das Gericht schließt sich in jedem Fall den überzeugenden<br />

Rechtsausführungen in dem Gutachten an und macht<br />

sich diese zu eigen. Erhebliche Einwendungen gegen den Inhalt<br />

des Gutachtens hat die Bekl nicht vorgebracht. Soweit sie geltend<br />

macht, es sei nicht ersichtlich, auf welche Besprechung sich das<br />

Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer beziehe, geht<br />

dies fehl. Denn in dem Gutachten ist auf Seite 2 ausdrücklich Bezug<br />

genommen worden auf das 40-minütige Gespräch mit der<br />

fachmedizinischen Gutachterin Frau Dr. S. Schließlich kann die<br />

Bekl auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Prozessbevollmächtigte<br />

der Kl habe zu den Kriterien, anhand derer die Besprechungsgebühr<br />

gemäß § 118 Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO bestimmt<br />

wird, nicht Stellung genommen.<br />

Eine ausführliche Stellungnahme dazu ist auf Seite 6 und 7 der<br />

Klageschrift erfolgt.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />

BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2; ZPO §§ 91, 93<br />

Dafür, dass vom Rechtsanwalt geführte Gespräche mit mehreren<br />

neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“ im<br />

Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO darstellen, spricht der Umstand,<br />

dass der Inhalt und Umfang der Gespräche ersichtlich<br />

über die reine Informationsverschaffung hinausging und die eingehende<br />

Erörterung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen<br />

der medizinischen Fehlbehandlung der Klägerin auf eine Abklärung<br />

des Streitverhältnisses im Vorfeld gerichtet war.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 4.9.2001 – 21 C 6712/01<br />

Aus den Gründen: Die Klage ist begründet.<br />

Die Kl war aufgrund des bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages<br />

ursprünglich berechtigt, die Bekl auch auf Erstattung<br />

von Anwaltsgebühren in Höhe von 2.213,40 DM in Anspruch<br />

zu nehmen. Nachdem die Bekl diese Klageforderung nach Rechtshängigkeit<br />

beglich, ist insoweit nunmehr festzustellen, dass der<br />

Rechtsstreit in der Hauptsache seine Erledigung gefunden hat.<br />

Die berechtigte Geltendmachung des Erstattungsanspruches hat<br />

die Bekl anerkannt. Durch die erfolgte Leistung vom 26.5.2001 hat<br />

sie ihre Zahlungsverpflichtung inzwischen auch erfüllt.


58<br />

l<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Als unterliegende<br />

Partei hat die Bekl die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.<br />

Eine für sie günstigere Kostenregelung kann die Bekl nicht mit<br />

Erfolg aus dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO herleiten. Nach dieser<br />

Bestimmung fallen für den Fall, dass der Bekl nicht durch sein<br />

Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat, die<br />

Prozesskosten dem Kl zur Last, wenn der Bekl den Anspruch sofort<br />

anerkennt. Zwar ist das im Rahmen der Klageerwiderungsschrift<br />

abgegebene Anerkenntnis der Bekl als „sofort“ i. S. d. Kostenvorschrift<br />

einzustufen. Entgegen ihrer Ansicht hat sie aber<br />

durch ihr vorgerichtliches Verhalten zur Klage Veranlassung geboten.<br />

Unstreitig bezog die erteilte Deckungsschutzzusage vom<br />

9.10.2000 nicht die von den Prozessbevollmächtigten der Kl in Ansatz<br />

gebrachte Besprechungsgebühr i. S. v § 118 Abs. 1 Nr. 2<br />

BRAGO mit ein, deren Ansatz die Bekl nunmehr akzeptiert. Sie<br />

beruft sich insoweit im Wesentlichen darauf, dass die mit der Gegenseite<br />

des beabsichtigten Rechtsstreites geführten Gespräche von<br />

der Klägerin erstmals in der Klageschrift mitgeteilt worden seien,<br />

die zuvor angegebenen Gespräche mit den medizinischen Sachverständigen<br />

hingegen keine Besprechungsgebühr rechtfertigten. Dieser<br />

Einwand vermag aber nicht zu überzeugen. Dabei kann für die<br />

vorliegende Entscheidung letztlich offen bleiben, ob die geführten<br />

Gespräche mit den neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“<br />

i. S. v § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO darstellten.<br />

Hierfür spricht immerhin der Umstand, dass der von der Kl geschilderte<br />

Inhalt und Umfang der Gespräche mit mehreren Sachverständigen<br />

ersichtlich über die reine Informationsverschaffung<br />

hinaus ging und die eingehende Erörterung der tatsächlichen und<br />

rechtlichen Fragen der medizinischen Fehlbehandlung der Kl auf<br />

eine Abklärung des Streitverhältnisses im Vorfeld gerichtet war.<br />

Dass indes schon Gespräche mit der Gegenseite sehr wohl Inhalt<br />

der vorgerichtlichen Korrespondenz waren, indiziert das Schreiben<br />

der Bekl vom 10.4.2001. Darin teilte sie den klägerischen Prozessbevollmächtigten<br />

ihren Erfahrungswert mit, wonach derartige Gespräche<br />

„in Fällen der vorliegenden Art nichts bringen“, und riet<br />

von einer entsprechenden weiteren Kontaktaufnahme ab. Sollte dabei<br />

die Bekl im vorgerichtlichen Bereich tatsächlich über die Vornahme<br />

von Gesprächen mit der Seite des vorgesehenen Prozessgegners<br />

im Zweifel oder im Unklaren gewesen sein, hätte dies die<br />

Bekl zudem durch eine einfache Nachfrage bei den klägerischen<br />

Prozessbevollmächtigten klären können. Die vorliegende Prozessführung<br />

hätte sich danach sicher vermeiden lassen.“<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />

BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2, §§ 17, 17; ARB 1975 § 15 Abs. 1<br />

Ziff. d) cc), § 17Abs. 2<br />

1. Die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers beginnt,<br />

sobald der Versicherungsnehmer wegen des Vorschusses von seinem<br />

Anwalt in Anspruch genommen wird, also sobald der<br />

Rechtsanwalt den Vorschuss einfordert.<br />

2. Bei einer arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit, die in der<br />

Regel einer umfangreichen Überprüfung und Erörterung bedarf,<br />

erscheint ein geforderter Vorschuss von 10/10 auch angemessen<br />

i. S.v. BRAGO § 17.<br />

3. Nicht mit der Geschäftsgebühr abgegolten ist ein sachbezogenes<br />

Gespräch des Rechtsanwalts mit einem sachverständigen<br />

Arzt, der nicht Hausarzt des Mandanten ist, weil das Gespräch<br />

einer Interessenwahrnehmung nach außen, nicht der internen<br />

Prozessvorbereitung und Informationsaufnahme dient.<br />

(Leitsätze der Redaktion)<br />

AG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2002 – 48 C 467/02<br />

Aus den Gründen: Die Klage ist überwiegend begründet.<br />

Der Kl steht gegenüber der Bekl ein Anspruch auf Freistellung<br />

von dem Vorschussanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten in<br />

Höhe von 2.378,99 EUR zu.<br />

Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsverhältnis.<br />

Die Bekl ist grundsätzlich verpflichtet, für die arzthaftungsrechtliche<br />

Angelegenheit zwischen der Kl und dem E-Krankenhaus<br />

Köln Versicherungsschutz zu gewähren. Die Bekl hat dies dem<br />

Grunde nach auch mit Schreiben vom 24.10.2001 bestätigt.<br />

AnwBl 1/2003<br />

Rechtsprechung<br />

Der Höhe nach kann die Kl von der Bekl die Freistellung von<br />

der Vorschussforderung ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe<br />

von 2.378,99 EUR verlangen.<br />

Gem. § 2 Abs. 1 ARB 75 hat der Rechtsschutzversicherer dem<br />

Versicherungsnehmer die bei der Interessenwahrnehmung entstehenden<br />

Anwalts- und Gerichtskosten zu erstatten. Seine Pflicht zur<br />

Kostentragung kann der Rechtsschutzversicherer auf zweierlei<br />

Weise erfüllen. Hat der Versicherungsnehmer als Kostenschuldner<br />

den Kostengläubiger noch nicht befriedigt, zahlt der Rechtsschutzversicherer<br />

die Kosten unmittelbar an den Kostengläubiger und befreit<br />

dadurch den Versicherungsnehmer von seiner Kostenschuld<br />

(§ 267 BGB). Von diesem Freistellungsanspruch kann die Kl vorliegend<br />

gegenüber der Bekl Gebrauch machen, da sie die Vorschussliquidation<br />

ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2001<br />

bisher nicht beglichen hat.<br />

Das Gericht hat keine Bedenken dagegen, dass die Kl die Freistellung<br />

von einem Vorschuss gem. § 17 BRAGO verlangt. Nach<br />

der vorgenannten Vorschrift kann ein Rechtsanwalt von seinem<br />

Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden<br />

Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss<br />

verlangen. Verlangt der Anwalt von dem Versicherungsnehmer einen<br />

solchen Vorschuss, dann ist dies ein Teil seiner gesetzlichen<br />

Vergütung im Sinne des § 2 Abs. 1 a ARB 75 und daher von dem<br />

Rechtsschutzversicherer zu übernehmen. Die Leistungspflicht des<br />

Rechtsschutzversicherers beginnt, sobald der Versicherungsnehmer<br />

wegen des Vorschusses von seinem Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />

wird. Dies ist der Fall, sobald der Rechtsanwalt den Vorschuss<br />

einfordert. Hiervon ist im Entscheidungsfall auszugehen, da<br />

die Prozessbevollmächtigten der Kl dieser mit der Vorschussliquidation<br />

vom 24.11.2001 einen Vorschuss von 5.788,20 DM in Rechnung<br />

gestellt haben.<br />

Der Höhe nach hat die Bekl zunächst eine Geschäftsgebühr<br />

gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO von 1.185,00 DM bei einem<br />

Gegenstandswert von 32.000,00 DM zu erstatten. Für die Tätigkeit<br />

des Prozessbevollmächtigten der Kl in der arzthaftungsrechtlichen<br />

Angelegenheit gegenüber dem E-Krankenhaus Köln ist eine Geschäftsgebühr<br />

gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO angefallen.<br />

Der Höhe nach kann die Kl die Erstattung der von ihrem Prozessbevollmächtigten<br />

geltend gemachten 10/10-Gebühr verlangen.<br />

Nach § 17 BRAGO kann der Rechtsanwalt von dem Versicherungsnehmer<br />

einen „angemessenen“ Vorschuss verlangen. Angemessen<br />

ist der Gesamtbetrag der Gebühren und Auslagen, die voraussichtlich<br />

entstehen können. Da es sich vorliegend um eine arzthaftungsrechtliche<br />

Angelegenheit handelt, die in der Regel einer umfangreichen<br />

Überprüfung und Erörterung bedarf, erscheint der<br />

geforderte Vorschuss von 10/10 gerechtfertigt. Ob dieser Betrag<br />

bei der endgültigen Abrechnung tatsächlich auch anfällt, ist bei der<br />

Beurteilung der Frage, ob ein angemessener Vorschuss gefordert<br />

wird, unerheblich.<br />

Des Weiteren kann die Kl von der Bekl eine Besprechungsgebühr<br />

gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO von 1.185,00 DM verlangen.<br />

Insofern geht das Gericht zunächst davon aus, dass zwischen<br />

der Rechtsanwältin B der Sachverständigen S zwei Telefonate stattgefunden<br />

haben, bei denen die Sach- und Rechtslage der arzthaftungsrechtlichen<br />

Angelegenheit in medizinischer Hinsicht erörtert<br />

worden ist. Die Zeugin B hat nachvollziehbar bekundet, dass sie<br />

am 13.12.2001 ein Gespräch mit der Zeugin Dr. S geführt hat. Die<br />

Zeugin vermochte im Einzelnen anzugeben, was genau mit der<br />

Sachverständigen Dr. S besprochen worden ist und wie die Reaktion<br />

der Zeugin Dr. S im Einzelnen war. Des Weiteren konnte die<br />

Zeugin B angeben, wie der weitere Verlauf der Erörterung war. So<br />

hat die Zeugin bekundet, dass um den 20.12.2001 herum ein weiteres<br />

Telefonat mit der Sachverständigen Dr. S geführt worden ist<br />

und hierbei Einzelheiten aufgrund der überreichten Behandlungsunterlagen<br />

besprochen worden sind. Anhaltspunkte, an der<br />

Glaubwürdigkeit der Zeugin zu zweifeln, waren für das Gericht<br />

nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Zeugin Sachbearbeiterin<br />

der arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit war, ist nicht geeignet,<br />

an der ansonsten glaubhaften Aussage zu zweifeln.<br />

Durch diese Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Kl ist<br />

eine Gebühr nach § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO angefallen. Diese<br />

Tätigkeit ist nicht bereits mit der Geschäftsgebühr nach § 118<br />

Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO abgegolten. Dies ist nur dann der Fall, wenn


AnwBl 1/2003 59<br />

Rechtsprechung l<br />

das Gespräch des Rechtsanwalts nicht einer Interessenwahrnehmung<br />

nach außen dient, sondern der internen Prozessvorbereitung<br />

und Informationsaufnahme. Die eine Besprechungsgebühr nicht<br />

auslösende Informationsaufnahme ist auch nicht auf die Besprechung<br />

mit den eigenen Mandaten zu beschränken, sondern auf alle<br />

auszudehnen, die aufgrund ihrer Spezialkenntnisse weitere Auskunft<br />

für den Mandaten geben können. Dies kann z. B. der Hausarzt<br />

sein. Vorliegend aber ist mit der Sachverständigen Dr. S nicht<br />

der Hausarzt als Repräsentant der Kl, sondern ein sachverständiger<br />

Arzt befragt worden, der die Kl nicht kannte und daher auch gar<br />

nicht Auskunft für die Kl geben konnte. Vielmehr ist die Sachverständige<br />

Dr. S eine neutrale Dritte, mit der die Prozessbevollmächtigte<br />

der Kl ein sachbezogenes Gespräch im Sinne einer geistigen<br />

Auseinandersetzung geführt hat. Hierbei hat die Prozessbevollmächtigte<br />

der Kl erfahren, welche medizinischen Probleme vorlagen<br />

und dass von einer nicht lege artis geführten Behandlung<br />

auszugehen war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung<br />

des OLG Düsseldorf vom 6.7.2001 (MDR 2001,<br />

1319 ff.). Das OLG hat in der vorgenannten Entscheidung bei der<br />

Frage, ob im Falle einer Informationsbeschaffung bei Dritten eine<br />

Besprechungsgebühr anfällt, darauf abgestellt, ob es dem Willen<br />

des Mandanten entspricht, dass der Rechtsanwalt in einer Besprechung<br />

mit dem Dritten auch die Interessen des Auftraggebers gerade<br />

diesem Dritten gegenüber wahrnimmt. Dies ist dann der Fall,<br />

wenn der Rechtsanwalt bei der Besprechung von dem Dritten nicht<br />

ausschließlich Informationen für den Mandaten erhält, sondern ein<br />

auf die Sache bezogenes Gespräch führt und eine Erörterung vornimmt<br />

(Gerold/Schmidt, BRAGO, 12. Aufl., § 118, Rdnr. 8<br />

m. w. N.). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Die Zeugin B hat<br />

von der Sachverständigen Dr. S nicht lediglich Informationen erhalten,<br />

sondern mit dieser nach ihrer eigenen Zeugenaussage ein<br />

sachbezogenes Gespräch hinsichtlich der medizinischen Problematik<br />

des Falls.geführt. Damit aber ist auch unter Berücksichtigung<br />

der Entscheidung des OLG Düsseldorf eine Besprechungsgebühr<br />

angefallen.<br />

Ferner geht das Gericht davon aus, dass die Besprechung im<br />

Einverständnis der Kl im Sinne des § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO<br />

erfolgt ist.<br />

Voraussetzung für den Anfall der Besprechungsgebühr ist, dass<br />

die Besprechung im Einverständnis mit dem Auftraggeber geführt<br />

wird. Unter Einverständnis des Auftraggebers ist nicht der allgemeine<br />

Auftrag zu verstehen, die Interessen des Auftraggebers<br />

wahrzunehmen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Auftraggeber<br />

gerade mit der Besprechung einverstanden ist. Andererseits wird<br />

mit einem solchen Einverständnis weniger gefordert als mit einem<br />

besonderen Auftrag. Ein Auftrag muss erteilt werden, ein Einverständnis<br />

muss nur bestehen. Das Einverständnis kann erzielt werden<br />

durch ausdrückliche oder stillschweigende, vorherige oder<br />

nachträgliche Billigung des Auftraggebers. Es kann sich auch aus<br />

den Umständen ergeben. Der Auftrag des Auftraggebers geht in<br />

der Regel – ohne Beschränkungen – dahin, eine Angelegenheit<br />

sachgemäß im Interesse des Auftraggebers zu erledigen. Gehört zu<br />

der sachgemäßen Erledigung eine mündliche Verhandlung, ist der<br />

Rechtsanwalt ermächtigt, diese Verhandlung zu führen (stillschweigendes<br />

Einverständnis des Auftraggebers) (Gerold/Schmidt,<br />

BRAGO, 12. Aufl., § 118, Rdnr. 8 m. w. N.). Im Entscheidungsfall<br />

kann danach dahingestellt bleiben, ob die Kl ausdrücklich ihr Einverständnis<br />

mit der Erörterung zwischen der Rechtsanwältin B und<br />

der Sachverständigen S erteilt hat. Es ist jedenfalls von einem konkludenten<br />

Einverständnis der Kl auszugehen. Die Kl hat ihrem<br />

Prozessbevollmächtigten ein uneingeschränktes Mandat in der arzthaftungsrechtlichen<br />

Angelegenheit erteilt. Damit aber ist davon<br />

auszugehen, dass die Kl die Erörterung mit der Sachverständigen<br />

Dr. S gebilligt hat, da diese Erörterung der Vorbereitung einer<br />

Klage gegen das Krankenhaus diente.<br />

Der Höhe nach erscheint eine 10/10-Gebühr als Vorschuss gerechtfertigt.<br />

Insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.<br />

Des Weiteren kann die Kl eine Verhandlungsgebühr in Höhe<br />

von 1.185,00 DM gem. § 31 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO verlangen. Ein<br />

Vorschuss in dieser Höhe ist insofern angemessen, als die Kl beabsichtigt,<br />

Klage gegenüber dem E-Krankenhaus Köln zu erheben.<br />

Ferner scheint ein Vorschuss für Kopierkosten von 50,00 DM<br />

und Auslagen gem. § 26 BRAGO von 40,00 DM angemessen. Ins-<br />

gesamt errechnet sich eine Forderung von 3.645,00 DM. Zzgl. der<br />

16 %igen MwSt. von 583,20 DM errechnet sich eine Forderung<br />

von 4.228,20 DM.<br />

Des Weiteren kann die Kl Gerichtskosten von 1.560,00 DM<br />

von der Bekl erstattet verlangen. Im Hinblick auf die beabsichtigte<br />

Klage ist dieser Vorschuss ebenfalls gerechtfertigt.<br />

Insgesamt errechnet sich eine Vorschussleistung von<br />

5.788,20 DM (2.959,46 EUR). Abzgl. des für erledigt erklärten<br />

Teilbetrages von 580,52 EUR errechnet sich eine Forderung von<br />

2.378,99 EUR.<br />

Die Vorschussleistung ist auch fällig. Entgegen der Ansicht der<br />

Bekl ist die Mitteilung einer spezifizierten Berechnung gem. § 18<br />

BRAGO im Falle einer Vorschussanforderung gem. § 17 BRAGO<br />

nicht erforderlich.<br />

Der Einwand der Bekl, sie sei deshalb nicht leistungspflichtig,<br />

weil sie keine ausreichenden Unterlagen zur Verfügung gestellt<br />

bekommen habe, um die Erfolgschancen der beabsichtigten Klage<br />

zu überprüfen, ist unbeachtlich. Die Prozessbevollmächtigten der<br />

Kl haben der Bekl einen von der Kl ausgefüllten Fragebogen nebst<br />

Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kl an das St. E-Krankenhaus<br />

in Köln vom 24.10.2001 übersandt. Unstreitig ist zwischen<br />

den Parteien, dass zu diesem Zeitpunkt ein Klagentwurf<br />

noch nicht existiert hat und der Kl weitere Behandlungsunterlagen<br />

des Krankenhauses nicht zur Verfügung standen. Damit aber ist<br />

die Kl ihren vertraglichen Verpflichtungen in ausreichendem<br />

Maße nachgekommen. Da der Kl selbst keine weiteren Unterlagen<br />

zur Verfügung standen und aus den überlassenen Unterlagen ersichtlich<br />

war, um was für einen Sachverhalt es sich handelt, war<br />

die Bekl in der Lage, die Erfolgschancen der beabsichtigten Klage<br />

zu überprüfen.<br />

Der Erstattungspflicht der Bekl steht auch nicht die Vorschrift<br />

des § 15 d) cc) ARB 75 entgegen. Nach der vorgenannten Vorschrift<br />

hat der Versicherungsnehmer kostenauslösende Maßnahmen<br />

mit dem Versicherer abzustimmen und eine unnötige Erhöhung der<br />

Kosten zu vermeiden. Hauptbeispiele derartiger kostenauslösender<br />

Maßnahmen sind die Erhebung von Klagen und die Einlegung von<br />

Rechtsmitteln aller Art. Die Besprechung mit der Sachverständigen<br />

Dr. S stellt keine derartige kostenauslösende Maßnahme dar. Der<br />

Anfall der Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO<br />

ist vielmehr als übliche Kostenfolge einer vorgerichtlichen anwaltlichen<br />

Vertretung anzusehen mit der Folge, dass die Kl nicht verpflichtet<br />

war, vor Entstehung der Besprechungsgebühr diese Maßnahme<br />

mit der Bekl abzustimmen.<br />

Schließlich steht der Erstattungspflicht der Bekl nicht die Vorschrift<br />

des § 17 Abs. 2 ARB 75 entgegen, da die Bekl ihre Leistungspflicht<br />

bisher nicht gem. § 17 Abs. 1 ARB 75 mangels hinreichender<br />

Erfolgsaussichten abgelehnt hat.<br />

Ein Zinsanspruch steht der Kl nach den Vorschriften des<br />

§ 284 ff. BGB nicht zu. Die Kl verlangt von der Bekl die Freistellung<br />

von der Kostenliquidation. Hinsichtlich dieses Freistellungsanspruchs<br />

können Verzugszinsen nicht geltend gemacht<br />

werden.<br />

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 91 a ZPO.<br />

Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der<br />

Hauptsache in Höhe von 580,52 EUR für erledigt erklärt haben,<br />

war über die Kosten gem. § 91 a ZPO nach billigem Ermessen unter<br />

Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.<br />

Dies führte insofern zur Auferlegung der Kosten auf die<br />

Bekl, da die Bekl nach den obigen Ausführungen insofern den<br />

Rechtsstreit verloren hätte.<br />

Wie bereits ausgeführt, stand der Kl gegenüber der Bekl ein<br />

Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der Vorschussliquidation in<br />

Höhe von insgesamt 2.959,51 EUR zu. Damit aber war die Bekl<br />

verpflichtet, auch den übereinstimmend für erledigt erklärten Teilbetrag<br />

von 580,52 EUR an die Prozessbevollmächtigten der Kl zu<br />

leisten.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf


60<br />

l<br />

BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2; ARB § 1 Abs. 2; ZPO §§ 21, 91;<br />

VVG § 48<br />

Die Kl hat, solange die Zahlung eines Vorschusses auf Anwaltshonorar<br />

nicht durch Überweisungsbeleg, Kontoauszug o. ä.<br />

nachgewiesen ist, gegen ihre Rechtsschutzversicherung einen –<br />

als Minus im Zahlungsanspruch enthaltenen – Freistellungsanspruch<br />

in Höhe der vom Anwalt als Vorschusszahlung geltend<br />

gemachten und zu erwartenden Anwaltsgebühren einschließlich<br />

einer Besprechungsgebühr.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

AG Köln, Urt. v. 25.7.2001 – 141 C 58/01<br />

Aus den Gründen: Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die<br />

örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gemäß § 21 ZPO<br />

im Hinblick auf die in Köln vorhandene Niederlassung der Bekl<br />

gegeben. Der Hinweis der Bekl auf § 48 VVG geht fehl, da diese<br />

Vorschrift keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründet. Der Kl<br />

steht es daher frei, die Klage im Gerichtsstand der Niederlassung<br />

zu erheben.<br />

Die Klage ist auch mit der Maßgabe begründet, dass die Kl<br />

von der Bekl nicht die Zahlung des Vorschusses, sondern lediglich<br />

die Freistellung von dem Vorschussanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten<br />

in der beantragten Höhe von 8.000 DM verlangen kann.<br />

Gemäß § 17 BRAGO kann der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber<br />

für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden<br />

Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss fordern.<br />

Dieser Vorschussanspruch richtet sich auch dann<br />

ausschließlich gegen den Mandanten, wenn zu dessen Gunsten<br />

eine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist. In diesem Fall hat<br />

aber der Mandant als Versicherungsnehmer gemäß § 1 Abs. 2 ARB<br />

einen Anspruch gegen den Versicherer auf Freistellung (vgl. Gerold/Schmidt/von<br />

Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für<br />

Rechtsanwälte, 14. Aufl. 1999, § 17 Rdnr. 15). Fordert der Rechtsanwalt<br />

von seinem Mandanten – wie im vorliegenden Fall – einen<br />

Vorschuss, so hat der Versicherer diesen gegenüber dem Mandanten<br />

zu erfüllen (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert aaO.).<br />

Die von der Bekl gegen diesen Anspruch geltend gemachten<br />

Einwendungen greifen nicht durch. Entgegen der Auffassung der<br />

Bekl ist der Versicherungsfall bereits durch die Erblindung der<br />

Tochter der Kl eingetreten (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl.<br />

1998, § 14 ARB 75, Rdnr. 1 m. w. N.). Ob den behandelnden Ärzten<br />

dabei ein Behandlungsfehler unterlaufen ist oder nicht, soll gerade<br />

das ins Auge gefasste Verfahren klären. Entgegen der Ansicht<br />

der Bekl bedarf es auch keines Ablehnungsschreibens der Universitätsklinik<br />

Charite. Nachdem die Kl gegenüber der Universitätsklinik<br />

Charite mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom<br />

9.4.2001 (S. 19 d. A.) ihre Ansprüche geltend gemacht und diese<br />

unter Fristsetzung bis zum 18.4.2001 aufgefordert hat, die Haftung<br />

dem Grunde nach zu erkennen, brauchte nur der Ablauf dieser Frist<br />

abgewartet zu werden.<br />

Bedenken gegen die Höhe des geltend gemachten Vorschussanspruches<br />

bestehen ebenfalls nicht. Die Höhe des Vorschusses<br />

richtet sich nach der voraussichtlichen Höhe der Vergütung. Der<br />

Vorschuss kann dabei in der vollen der Vergütung gefordert werden,<br />

nicht nur in Höhe eines Teilbetrages (vgl. Gerold/Schmidt/von<br />

Eicken/Madert, aaO., § 17 Rdnr. 5). Der in der Kostennote vom<br />

4.4.2001 (Bl. 16 d. A.) zugrunde gelegte Streitwert von insgesamt<br />

650.000 DM erscheint durchaus angemessen, hat doch die Rechtsprechung<br />

bei der völligen Erblindung eines Kleinkindes Schmerzensgeldbeträge<br />

zwischen 350.000 DM und 500.000 DM zuzüglich<br />

einer monatlichen Rente von 500 DM bis 650 DM zugesprochen<br />

(vgl. OLG Köln NJW-RR 1996, 281; LG Hanau ZfS 1995, 211;<br />

siehe auch Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 20. Aufl.,<br />

Entscheidungen Nr. 2677, 2679 und 2686). Letztlich kann die Frage<br />

aber offen bleiben, da selbst bei einem Streitwert von 500.000 DM<br />

der hier geltend gemachte Vorschussanspruch von 8.000 DM (zuzüglich<br />

der bereits gezahlten 2.511,40 DM) gerechtfertigt wäre.<br />

Entgegen der Auffassung der Bekl ist es auch unerheblich, ob die<br />

Besprechungsgebühr bereits entstanden ist. Der Vorschussanspruch<br />

bezieht sich nämlich auch auf solche Gebühren, deren Entstehung<br />

erst zu erwarten ist (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO.,<br />

§ 17 Rdnr. 5). Sollte eine Besprechungsgebühr im vorliegenden<br />

AnwBl 1/2003<br />

Rechtsprechung<br />

Fall noch nicht entstanden sein, ist deren Entstehung aber ohne<br />

weiteres zu erwarten.<br />

Die Kl hat allerdings nicht – etwa durch die Vorlage eines<br />

Überweisungsbeleges, Kontoauszuges o. a. – nachgewiesen, dass<br />

sie bereits 8.000 DM an ihre Prozessbevollmächtigten gezahlt hat.<br />

Aus diesem Grunde ist ihr Vorschussanspruch gegen die Bekl –<br />

wie oben bereits erwähnt – lediglich auf Freistellung und nicht auf<br />

Zahlung gerichtet. Dieser Freistellungsanspruch ist als Minus im<br />

Zahlungsantrag enthalten.<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.<br />

Eine Kostenverteilung im Hinblick auf den Umstand, dass hier<br />

lediglich zur Freistellung und nicht zur Zahlung verurteilt worden<br />

ist, kommt nicht in Betracht, da es sich wirtschaftlich gesehen um<br />

da gleiche Ergebnis handelt.“<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />

impressum<br />

Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin (Mitte), Tel. 030/ 726152-0, Fax 030/726152-191, e-<br />

Mail: anwaltsblatt@anwaltverein.de. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher<br />

(v. i. S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des<br />

Herausgebers.Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft<br />

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Jährlich 121,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis<br />

11,– E (inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins<br />

ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen:<br />

Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen<br />

müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag<br />

vorliegen. Zuschriften: Für die Schriftleitung bestimmte Zuschriften<br />

sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare<br />

werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright:<br />

Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />

gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und<br />

Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken<br />

oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />

der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XIV<br />

4<br />

9 Eine Übersicht zu „Informationen zur<br />

Besteuerung des E-Commerce“ ist bei<br />

STB-Web erhältlich. Die auf Kanzleien<br />

und KMU spezialisierte Webeagentur<br />

mit Sitz in Marburg (Lahn) bietet seit<br />

1999 Lösungen für Fachrecherche, Marketing<br />

und Kommunikation im Internet<br />

an. Der zugrundeliegende Newsartikel<br />

verweist auf Beiträge des BMF, steuernewsletter.de<br />

sowie eine Arbeit von<br />

Axel Conrad über die Besteuerung von<br />

Geschäften im Internet in Deutschland,<br />

UK und den USA sowie dazugehörigen<br />

Links und News (mit Stand 9/ 2001).<br />

Das BMF beschreibt nach den wesentlichen<br />

Begriffserklärungen, was Mandanten<br />

unternehmen müssen, um ihre steuerlichen<br />

Verpflichtungen zu erfüllen:<br />

Verfahrensfragen, Umsatzsteuer, Einkommensteuer<br />

und Sonstige Steuern. Ein<br />

Glossar rundet das Informationsangebot<br />

ab.<br />

http://www.stb-web.de/news/article.php/<br />

id/86 (HIT)<br />

9 Nicht mehr brandaktuell aber eventuell<br />

noch weitgehend unbekannt: Aus einer<br />

weiteren Mitteilung von STB-Web ergibt<br />

sich, daß Nordrhein-Westfalen bereits seit<br />

dem 1. April 2002 als erstes Bundesland<br />

das Web nutzt, um die nach der Insolvenzordnung<br />

notwendigen Bekanntmachungen<br />

publik zu machen. Die Internet-<br />

Veröffentlichung ist durch eine Änderung<br />

der Insolvenzordnung ermöglicht worden,<br />

die auf einen Vorschlag von NRW-Justizminister<br />

Jochen Dieckmann zurückgeht.<br />

Unter http://www.insolvenzen.nrw.de<br />

können sich interessierte Bürger über das<br />

Insolvenzgeschehen in NRW informieren<br />

und abrufen, wer insolvent geworden ist<br />

und wer eine Chance zur Restschuldbefreiung<br />

hat. Eine uneingeschränkte Suche<br />

nach Bekanntmachungen ist jedoch nur<br />

innerhalb von zwei Wochen nach dem ersten<br />

Tag der Veröffentlichung zulässig, danach<br />

ist die Kenntnis von Verfahrensdaten<br />

notwendig.<br />

Unter http://www.zvg.nrw.de sind weiterhin<br />

Einblicke in die Zwangsversteige-<br />

Internet –Aktuell<br />

rungsdaten von Immobilien in Nordrhein-Westfalen<br />

zu erhalten (sogar mit<br />

Fotos und Gutachten zum Download).<br />

http://www.stb-web.de/news/article.php/<br />

id/15 (HIT)<br />

9 Die Jusline AG führt ein interessantes<br />

Gerichtsverzeichnis. Der kostenlose<br />

Dienst kann über den Button „Rechtsprechung“<br />

erreicht werden. Im dann rechts<br />

oben aktualisierten Auswahbereich führt<br />

„Gerichte“ weiter zur endgültigen Optionsliste.<br />

Unter „Auswahl des zuständigen<br />

deutschen Gerichtes“ ist die Ermittlung<br />

zum Beispiel durch Eingabe der<br />

Postleitzahl realisierbar. Die weiteren<br />

Links führen zu Adressammlungen einzelner<br />

Gerichtsarten. Von dort aus ist sogar<br />

die direkte Anwahl der jeweiligen<br />

Gerichtshomepage möglich, sofern vorhanden.<br />

Erwähnt sei auch die hilfreiche<br />

Zusammenstellung von Online-Bibliotheken<br />

und der Handelsregister-Auszugsdienst<br />

(Ergebnisse nach Angabe dort innerhalb<br />

von zwei Stunden per E-Mail).<br />

http://www.jusline.de/ (HIT)<br />

9 Schon seit einiger Zeit war es angekündigt;<br />

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes<br />

sollen online beim BGH<br />

abrufbar werden. Seit dem 15.11.2002<br />

ist es nun soweit. Wie der Deutsche Anwaltverein<br />

am gleichen Tag auf seiner<br />

Homepage meldete, sind als Service für<br />

den Bürger nun über 5.000 Entscheidungen<br />

des Bundesgerichtshofs ab dem Jahr<br />

2000 hinterlegt und können nach Aktenzeichen<br />

oder Datum abgefragt werden.<br />

Weiterhin kann mit Begriffen aus dem<br />

Entscheidungstext gesucht werden. Die<br />

Entscheidungen sind im sog. PDF-Format<br />

abgespeichert. und entsprechen 1:1<br />

den Originalentscheidungen des Bundesgerichtshofs.<br />

Einsehbar sind Entscheidungen,<br />

die in der Presse oder im Fernsehen<br />

zitiert werden oder über die eine<br />

Pressemitteilung des Gerichts berichtet.<br />

Sobald die schriftlichen Entscheidungsgründe<br />

vorliegen und den Parteien zugestellt<br />

sind, werden sie über das Internet<br />

unter http://www.bundesgerichtshof.de<br />

auch allgemein zugänglich sein, so die<br />

Meldung 117/2002.<br />

http://www.anwaltverein.de/bgh117-02.html<br />

(HIT)<br />

9 Trotz klarstellender Urteile zur Verantwortlichkeit<br />

der DENIC (landläufig als<br />

zentrale deutsche Domainvergabestelle<br />

bezeichnet), gibt es immer wieder Unsicherheiten.<br />

Ein Artikel im Handelsblatt<br />

vom 30. September 2002 sorgte offenbar<br />

für Verwirrung. DENIC ließ verlautbaren,<br />

daß es sich bei dem dort erwähnten<br />

Urteil des Landgerichts Frankfurt<br />

nicht um eine aktuelle Entscheidung handele,<br />

sondern um eine Entscheidung vom<br />

Mai 2000, die darüber hinaus gegenstandslos<br />

sei. Entgegen dem Eindruck,<br />

den der Artikel und der Kommentar erwecke,<br />

bestehe somit für DENIC keine<br />

Verpflichtung, Domains zu „sperren“.<br />

Diese Rechtsposition werde auch durch<br />

zwei weitere Urteile bestätigt, die die<br />

Domain „kurt-biedenkopf.de“ betreffen,<br />

und die im Gegensatz zum Urteil des<br />

Landgerichts Frankfurt Bestand haben.<br />

Sowohl das Landgericht Dresden als<br />

auch das Oberlandesgericht Dresden hätten<br />

in diesem Fall entschieden, daß eine<br />

„Sperrung“ von Domains von der DE-<br />

NIC nicht verlangt werden könne. Es sei<br />

in diesem Zusammenhang daher wenig<br />

hilfreich, Unternehmen explizit aufzufordern,<br />

mit „Sperrungs“-wünschen an die<br />

DENIC heranzutreten.<br />

http://www.denic.de/doc/DENIC/presse/<br />

handelsblatt.html (HIT)<br />

ergänzend<br />

http://www.denic.de/doc/recht/rspr/<br />

index.html (HIT)<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />

Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />

Augsburg (HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />

Henke, DAV, Berlin (HEN).


XVIII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite X)<br />

9 Aktuelles Unterhaltsrecht<br />

Helmut Borth, Präsident des AG, Stuttgart<br />

14. Februar 2003 in Braunschweig<br />

Seminar: R 11203-03<br />

9 Expertenseminar zum Unterhaltsrecht:<br />

Inhaltskontrolle von Eheverträgen<br />

– Bedarfsveränderungen –<br />

Wohnwert<br />

Helmut Borth, Präsident des AG, Stuttgart<br />

15. Februar 2003 in Braunschweig<br />

Seminar: R 21205-03<br />

Anmeldung und Info:<br />

DeutscheAnwaltAkademie,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />

Tel. (0 30) 72 61 53-0,<br />

Fax 72 61 53-111<br />

www.anwaltakademie.de<br />

Institut für Anwaltsrecht an<br />

der Universität München<br />

Ringvorlesung „anwaltliche<br />

Berufsfelder“<br />

Das Institut für Anwaltsrecht an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München bietet im Wintersemester<br />

2002/2003 eine Veranstaltungsreihe<br />

„Anwaltliche Berufsfelder“ an, bei<br />

der Anwälte über ihren Beruf berichten.<br />

Die Veranstaltungen finden jeweils<br />

donnerstags, 18.15 Uhr im<br />

Hörsaal 109 der Universität (Ainmillerstr.<br />

11, 80801 München, Anmeldung<br />

nicht erforderlich; keine Teilnehmergebühr)<br />

statt. Folgende Themen<br />

sind vorgesehen:<br />

9 9.1.2003: RAin Weiler, Mediation<br />

in unterschiedlichen Bereichen<br />

des Zivilrechts<br />

9 23.1.2003: RA Prof. Dr. Ingerl, Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

9 30.1.2003: RA Dr. Kempter, Aus<br />

dem Alltag eines Fachanwalts für<br />

Arbeitsrecht<br />

9 6.2.2003: RA Schließ, Internetrecht<br />

in der anwaltlichen Praxis<br />

9 13.2.2003: RA Dr. Jofer, Strafverteidigung<br />

in der Praxis<br />

Weitere Veranstaltungen sind:<br />

9 25.1.2003, 10.00 bis 13.00 Uhr s. t.<br />

(im Institut): Prof. Dr. Schweizer,<br />

Typische Anwaltsfehler auf dem<br />

Gebiet des Wirtschaftsrechts<br />

(Teilnehmergebühr: Studenten, Referendare:<br />

keine; Rechtsanwälte: 25 E;<br />

Anmeldung erforderlich per E-Mail<br />

oder Anruf)<br />

9 3. bis 28.3.2003 an der Universität<br />

München: Der Anwalt in der Praxis,<br />

bayerischer Anwaltskurs für<br />

Rechtsreferendare<br />

(Teilnehmergebühr: keine; Anmeldung<br />

erforderlich beim OLG München)<br />

9 14.1.2003, 17.00 bis 19.00 Uhr s. t.<br />

(im CIP-Pool, Raum E 48, Juristisches<br />

Seminargebäude, Prof.-Huber-Platz<br />

2, München), Der Jurist<br />

und die EDV, Referent Thomas<br />

Riehm, wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl<br />

Prof. Canaris<br />

(Teilnehmergebühr: Studenten, Referendare:<br />

keine; Rechtsanwälte: 25 E,<br />

Anmeldung erforderlich per E-Mail<br />

oder Anruf;)<br />

Information und Anmeldung: Institut<br />

für Anwaltsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München, Ainmillerstr.<br />

11, 80801 München, Tel.:<br />

089/ 34 02 94 – 76; Fax: 089/34 02 94<br />

– 78, www.anwaltsrecht.de; info@anwaltsrecht.de<br />

Leipziger Insolvenzrechtstag e.V.<br />

Vierter Leipziger<br />

Insolvenzrechtstag 3. März 2003<br />

Der Leipziger Insolvenzrechtstag e.V.<br />

(ein Zusammenschluss von in Leipzig<br />

tätigen Insolvenzverwaltern, Insolvenzrichtern,<br />

Rechtspflegern, Mitarbeitern<br />

von Banken und Vertretern<br />

der Wissenschaft) unter wissenschaftlicher<br />

Mitarbeit des Institutes für Anwaltsrecht<br />

der Juristenfakultät der Universität<br />

Leipzig (Prof. Dr. Christian<br />

Berger; Prof. Dr. Ekkehard Becker-<br />

Eberhard) veranstaltet am 3. März<br />

2003 den Vierten Leipziger Insolvenzrechtstag.<br />

Im Mittelpunkt des ganztägigen<br />

Symposiums stehen folgende<br />

Vorträge und Workshops:<br />

(1) „Auswirkungen der Schuldrechtsreform<br />

auf das Insolvenzrecht“ (Arne<br />

Wittig, Deutsche Bank AG, Frankfurt;<br />

Prof. Dr. Achim Albrecht, Recklinghausen);<br />

(2) „Steuern in der Insolvenz“ (Vors-<br />

RiOLG Dr. Dietmar Onusseit, Dresden;<br />

RA Ulrich Kraft, Dresden; RA<br />

Dr. Klaus Olbing, Berlin);<br />

(3) „Immaterialgüterrechte in der Insolvenz“<br />

(RA Dr. Thomas Hoffmann,<br />

Berlin; RA Dr. Paul Abel, München;<br />

Dr. Andreas Fröhlich, perspektiv<br />

GmbH, München).<br />

Der Teilnehmerbeitrag beträgt 350 E,<br />

für max. seit zwei Jahren zugelassene<br />

Rechtsanwälte 250 E, für Angehörige<br />

des öffentlichen Dienstes 25 E. Im<br />

Teilnehmerbeitrag ist der Tagungsband<br />

enthalten. Die Teilnahme wird auf -<br />

Wunsch als Fortbildungsveranstaltung<br />

gem. § 15 Fachanwaltsordnung bescheinigt.<br />

Informationen bei: Leipziger Insolvenzrechtstag<br />

e. V., c/o Prof. Dr. Christian<br />

Berger, Institut für Anwaltsrecht, PSF<br />

100920, 04009 Leipzig; Tel.: 03 41/<br />

9 73 53 10, Fax: 03 41/9 73 53 19;<br />

http://www.insolvenzrechtstag.de.<br />

Buchhinweis<br />

„Schnittstellen zwischen Steuer-,<br />

Familien- und Erbrecht‘‘<br />

Herausgeber: Geschäftsführender<br />

Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />

Familien- und Erbrecht im Deutschen<br />

Anwaltverein, 384 S., Deutscher Anwaltverlag,<br />

Bonn 2002, 21,40 E<br />

Die Arbeitsgemeinschaft hat sich dem<br />

Thema bereits in der Vergangenheit<br />

mit verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen<br />

gewidmet. 2002 fand erstmals<br />

in Warth, Österreich, ein einwöchiges<br />

Seminar statt, das sich<br />

insbesondere mit Fragen der Einkommensermittlung<br />

und Einkommensmanipulation,<br />

mit der steuerlichen Veranlagung<br />

von Eheleuten und dem<br />

Steuerausgleich zwischen ihnen sowie<br />

mit den Bewertungen im Endvermögen<br />

und Nachlass und mit familienund<br />

erbrechtlichen Gestaltungen befasst<br />

hat.


Die Inhalte dieses Seminars werden in<br />

dem soeben erschienenen Buch dokumentiert.<br />

Sie können dieses Buch, das Ihnen die<br />

anwaltliche Beratung und Vertretung<br />

auf den genannten Gebieten erleichtern<br />

soll, bei CP bestellen, auch per E-<br />

Mail (info@cp-bonn.de):<br />

Das nächste Seminar findet vom 8. bis<br />

15. März 2003 in Warth statt. Das ausführliche<br />

Programm finden Sie ebenfalls<br />

im Internet.<br />

Veranstaltungsagentur der AG Familien-<br />

und Erbrecht, conventionpartners<br />

gmbh, Gerhard-Rohlfs-Str. 22,<br />

53173 Bonn Tel.: 02 28/3 50 04 40,<br />

Fax.:0228/3500450,www.cp-bonn.de,<br />

E-Mail baas@cp-bonn.de<br />

Internet<br />

Gefahren aus dem Internet<br />

Der tägliche Geschäftsbetrieb erfordert<br />

von jedem Unternehmen die Nutzung<br />

des Internets zum Beschaffen von Informationen<br />

und zum Datenaustausch!<br />

Eine gewisse Vorsicht ist dabei allerdings<br />

nicht ganz unberechtigt.<br />

Wer sein internes Netzwerk an das Internet<br />

anbindet, muss es damit zumindest<br />

teilweise für den Datenaustausch<br />

öffnen. Das bringt Risiken mit sich,<br />

die man erkennen und minimieren<br />

muss: Wer die eigene IT-Infrastruktur<br />

öffnet, geht die Gefahr von Spionage,<br />

Manipulation und Zerstörung ein. Potenziellen<br />

Angreifern stehen verschiedene<br />

Möglichkeiten zur Kompromittierung<br />

des eigenen Netzes zur Verfügung.<br />

Sie können beispielsweise<br />

Viren, Würmer oder Trojanische<br />

Pferde in das System einschleusen,<br />

sich unberechtigten Zugang zum System<br />

verschaffen oder dessen Verfügbarkeit<br />

beeinträchtigen.<br />

Der Schaden, den ein einzelner Virus<br />

verursacht, wird von den Teilnehmern<br />

der aktuellen KES/KPMG-Sicherheitsstudie<br />

2002 auf rd. 26.000 E im Unternehmen<br />

eingeschätzt.<br />

Einer Umfrage zur IT-Security von<br />

Pricewaterhouse-Coopers und Informationweek<br />

zufolge, waren im Jahr 2001<br />

57 % aller befragten Unternehmen in<br />

Deutschland Sicherheitsverletzungen<br />

in Form von Computerviren und Trojanischen<br />

Pferden ausgesetzt.<br />

Code Red (2002) 2,62 Mrd. USD<br />

SirCam (2002) 1,15 Mrd. USD<br />

Nimda (2002) 635 Mio. USD<br />

„I Love You“ (2000) 8,75 Mrd. USD<br />

Melissa (1999) 1,10 Mrd. USD<br />

Explorer (1999) 1,02 Mrd. USD<br />

Quelle: CSI/FBI Computer-Crime and Security<br />

Survey 2002<br />

Üblicherweise haben gerade mittelständische<br />

Unternehmen Maßnahmen gegen<br />

diese Gefahren getroffen. Auf den<br />

PCs der Mitarbeiter sind zumeist Virenscanner<br />

und Personal Firewalls installiert;<br />

der Zugang zum Internet wird<br />

durch einen vorkonfigurierten IDSNoder<br />

DSL-Router realisiert. Lobenswert<br />

daran ist, dass sich die Firmen Gedanken<br />

über die Sicherheit gemacht haben<br />

und ihre System-Lieferanten versuchen,<br />

diese mit auf dem Markt<br />

verfügbaren Standard-Lösungen zu<br />

gewährleisten. Diese Strategie ist aber<br />

nur dann weitgehend ausreichend:<br />

9 wenn alle PC-Anwender mit der<br />

Sicherheits-Software vertraut sind<br />

(z. B. durch Schulungen).<br />

9 wenn alle Mitarbeiter an den PCs<br />

keine Freemail-Anbieter benutzen.<br />

9 wenn alle Systeme ständig fachgerecht<br />

administriert und gewartet werden<br />

(Update der Virenscanner, Einspielen<br />

von Servicepacks und Patches).<br />

9 wenn jeder Download aller Mitarbeiter<br />

aus dem Internet auf Viren geprüft<br />

wird.<br />

Das heißt die Disziplin, die Loyalität<br />

und vor allem das technische Know-<br />

How der Mitarbeiter spielen in diesem<br />

Szenario eine sehr große Rolle. Diese<br />

Rolle darf aber nicht jedem einzelnen<br />

Mitarbeiter aufgebürdet werden, da er<br />

z. B. aufgrund seiner Ausbildung oder<br />

seiner Tätigkeit gar nicht in der Lage<br />

sein kann, sie zu erfüllen.<br />

Abgesehen vom immensen Administrations-Aufwand<br />

einer solchen (eigentlich<br />

dezentralen) Lösung sind einige<br />

wichtige Sicherheits-Ziele auch<br />

im Idealfall auf diese Weise prinzipiell<br />

nicht zu realisieren:<br />

9 Gewährleisten eines firmenweiten<br />

Sicherheits-Standards<br />

9 Zentrale Konfiguration und Kontrolle<br />

des Übergangspunktes zum Internet<br />

9 Schutz des internen Netzwerks<br />

trotz Kompromittierung des Zugangspunktes<br />

zum Internet<br />

9 Allgemeine oder arbeitsplatzbezogene<br />

Zugangsbeschränkungen für bestimmte<br />

Internet-Seiten und -Dienste<br />

XIX<br />

9 Zentrale Protokollierung des Datenverkehrs<br />

mit dem Internet<br />

9 Heterogene Umgebung, z. B. Windows-Arbeitsplatz-Rechner<br />

und Internet-Zugang<br />

über UNIX/Linux-Rechner<br />

(mehrere unterschiedlich realisierte Systeme<br />

sind schwieriger zu überwinden)<br />

9 Einsatz von „Open Source Software“<br />

für den Internet-Zugang (Sicherheit<br />

wird von vielen Experten<br />

überprüft)<br />

Die angeführten prinzipiellen Schwächen<br />

und Unwägbarkeiten in der<br />

Durchführung machen es zur Managementaufgabe,<br />

die Mitarbeiter zu entlasten<br />

und eine Strategie zu entwerfen,<br />

die den zusätzlichen Sicherheits-Zielen<br />

gerecht wird.<br />

9 Ein IT-Verantwortlicher für Sicherheit<br />

wird definiert (und ggf. ausgebildet),<br />

der als Schnittstelle zu einem<br />

9 externer Sicherheits-Dienstleister<br />

fungiert. Letzterer stellt das sicherheitstechnische<br />

Spezialwissen bereit<br />

und legt die<br />

9 Sicherheits-Anforderungen zusammen<br />

mit dem IT-Verantwortlichen fest.<br />

Gemeinsam<br />

9 definieren und realisieren sie das<br />

Sicherheits-Konzept. Der Sicherheits-<br />

Dienstleister<br />

9 wartet das Sicherheits-System ständig<br />

und passt es ggf. neuen Anforderungen<br />

an. Darüber hinaus sollten von<br />

ihm auch<br />

9 Mitarbeiter sicherheitstechnisch geschult<br />

werden.<br />

Die Kosten eines derartigen Systems<br />

lassen sich beziffern. Wieviel ein gutes<br />

Sicherheits-Konzept und dessen<br />

Realisierung wert sind bzw. an Schaden<br />

ersparen, wird man allerdings nie<br />

in Euro und Cent ausdrücken können.<br />

Denn im Gegensatz zu einer Versicherung<br />

greift es ja bereits, bevor ein<br />

Schaden entsteht. Jegliche Diskussion<br />

über die tatsächliche Höhe des Schadens<br />

(z. B. mit der Versicherungs-Gesellschaft)<br />

erübrigt sich dadurch.<br />

Überspitzt formuliert: Wer eine gute<br />

Unfallversicherung abgeschlossen hat,<br />

verzichtet beim Autokauf doch auch<br />

nicht auf die Airbags und verlässt sich<br />

nur auf den Sicherheitsgurt ...<br />

Thomas Birnthaler, Dipl.-Inf. Univ.,<br />

freier Trainer und IT-Berater,<br />

thomas.birnthaler@t-online.de<br />

Hermann Gottschalk,<br />

Dipl.-Phys. Univ., Geschäftsführer der<br />

up2date solutions GmbH,<br />

hg@up2date-solutions.de,<br />

www.up2date-solutions.de

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