948,4 kB - Anwaltsblatt
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DeutscherAnwaltVerein<br />
Aus dem Inhalt<br />
A11041<br />
Zum Jahreswechsel 2002/2003 (Streck) 1<br />
Aufsätze<br />
Anwalts-Kollisionsrecht (Knöfel) 3<br />
Anwaltsrecht und Datenschutz (Rüpke) 19<br />
Selbstständiges Beweisverfahren (Ulrich) 26<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Parlamentarischer Abend des DAV<br />
in Brüssel 36<br />
Justiz in Bochum nach 1933 39<br />
ARGE Baurecht im DAV 41<br />
Mitteilungen<br />
Haftungsgefahren im Arbeitsrecht 47<br />
Rechtsprechung<br />
BVerfG: BGH-Singularzulassung 53<br />
AG Düsseldorf: Besprechungsgebühr 57<br />
AG Köln: Vorschuss auf Anwaltshonorar<br />
bei Rechtsschutzversicherung 60<br />
1/2003<br />
Januar DeutscherAnwaltVerlag
1/2003 l<br />
Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins Schriftleitung:<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Felix Busse Udo Henke<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack Rechtsanwälte<br />
Wolfgang Schwackenberg Berlin, Littenstraße 11<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Zum Jahreswechsel 2002/2003<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />
Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />
Aufsätze<br />
3 Anwalts-Kollisionsrecht<br />
Von Assessor Oliver Knöfel, Hamburg<br />
19 Freie Advokatur, anwaltliches Berufsgeheimnis und<br />
datenschutzrechtliche Kontrollbefugnisse<br />
Von Rechtsanwalt Privatdozent Dr. Giselher Rüpke MCL,<br />
Frankfurt am Main<br />
26 Grundzüge des selbstständigen Beweisverfahrens im<br />
Zivilprozess<br />
–1.Teil–<br />
Von Vors. Richter am Landgericht Jürgen Ulrich,<br />
Dortmund<br />
32 Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant<br />
– Effizienzsteigerung durch den Einsatz elektronischer<br />
Medien? –<br />
Von Prof. Dr. Mathias Groß und Rechtsanwalt Michael<br />
Herrmann, Lüneburg<br />
35 Buchhinweis:<br />
– Küttner (Hrsg.): Personalbuch 2002 (Hamacher)<br />
– Beck/Löhle: Fehlerquellen bei polizeilichen<br />
Messverfahren<br />
Meinung & Kritik<br />
36 Entbehrliche Rechtsprechung zum entbehrlichen Anwalt<br />
Von Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, Leipzig<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Jahrgang 53<br />
Januar 2003<br />
DAV Brüssel: Europäischer Parlamentarischer Abend des<br />
DAV 2002<br />
Von Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />
37 DAV-Pressemitteilungen:<br />
– Anwaltschaft nimmt Anwaltsausbildung selbst in die<br />
Hand<br />
38 – DAV begrüßt Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
– Geplante Strafverschärfung bei sexuellem Missbrauch<br />
von Kindern für die Opfer kontraproduktiv und<br />
schädlich<br />
– Ausgleich der Altersversorgung zwischen<br />
Geschiedenen ab 1.1.2003<br />
39 – EU-weite Übernahme der Anwaltskosten bei Unfällen<br />
gefordert<br />
Zeit ohne Recht: Justiz in Bochum nach 1933<br />
– Ansprache anlässlich einer Buchpräsentation<br />
Von Rechtsanwalt Jürgen Widder, Bochum<br />
41 ARGE Baurecht: 10 Jahre ARGE Baurecht –<br />
Jubiläumstagung in Stuttgart<br />
Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Geschäftsbericht der ARGE Baurecht für 2001<br />
Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
43 AG Steuerrecht: Veranstaltungsbericht Steueranwaltstag<br />
2002 in Berlin<br />
Von Rechtsanwalt Kirsten Bäumel-Ianniello, Aachen<br />
Mitteilungen<br />
45 Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“<br />
– Abschlussbericht der Schiedsperson zum<br />
Aufwendungsersatz für deutsche Rechtsanwälte –<br />
47 Arbeitsrechtsfragen: Arbeitsrechtliche Haftungsfalle:<br />
Urlaubsverfall im Kündigungsschutzprozess<br />
Von Rechtsanwalt Ulrich Fischer, Frankfurt<br />
48 Kommunikation: Venus und Mars – interessengerechte<br />
Konfliktlösungen zwischen Mann und Frau<br />
Von Sonja Meyer, München<br />
49 Haftpflichtfragen:<br />
Haftungsgefahren in Zusammenhang mit<br />
Entlassungsentschädigungen<br />
Von Rechtsanwältin Michaele Simon-Widmann<br />
Allianz Versicherungs-AG, MuÈ nchen<br />
52 Buchhinweis: Römermann/van der Moolen, Rabatte und<br />
Zugaben in der anwaltlichen Beratung<br />
Rechtsprechung<br />
53<br />
(Leitsätze siehe Seite II)<br />
Berufsrecht<br />
57 Gebührenrecht<br />
60 Impressum<br />
Auf dem Umschlag<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />
DAV-Informationen Seite VI, X, XVIII,<br />
XIX<br />
Internet-Aktuell Seite XIV<br />
Anwaltverlag-Aktuell Seite XVI<br />
DAV-Service Seite XX
II<br />
Rechtsprechung<br />
Berufsrecht<br />
BVerfG, Erster Senat, Beschl. v. 31.10.2002 – 1 BvR 819/02<br />
GG Art. 12 BRAO § 171<br />
§ 171 BRAO, der für die Rechtsanwälte eine ausschließliche<br />
Zulassung bei dem Bundesgerichtshof vorsieht, ist mit<br />
dem Grundgesetz vereinbar. (LS der Redaktion) – S. 53<br />
OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2002 – 3 Ss 143/01<br />
§ 356 Abs. 1 StGB<br />
Der Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute auf Grund<br />
deren gemeinsamen Auftrages ausschließlich über die Voraussetzungen<br />
und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten<br />
übereinstimmend gewollten einverständlichen Scheidung<br />
ihrer Ehe sowie den Unterhaltsanspruch beraten und<br />
den Unterhaltsanspruch berechnet hat, handelt nicht pflichtwidrig<br />
i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB, wenn er später einen der<br />
Ehepartner vertritt und den Unterhaltsanspruch geltend<br />
macht. – S. 55<br />
Gebührenrecht<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 23.5.2002 – 50 C 11933/01<br />
BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2 ARB §§ 1, 2, 14<br />
Gespräche des Rechtsanwalts, die der Informationsbeschaffung<br />
dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, sind von der Geschäftsgebühr<br />
umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten<br />
Dritten die Besprechungsgebühr auslösen, wobei<br />
allerdings nicht jede Besprechung des Anwalts mit einem<br />
Sachverständigen die Besprechungsgebühr auslöst, sondern<br />
nur dann, wenn dieser Sachverständige als „Dritter“ anzusehen<br />
ist und er nicht neben dem Auftraggeber als Informant<br />
oder Repräsentant im Lager „des Mandanten“ steht und mit<br />
ihm als „neutralem Dritten“ ein sachbezogenes Gespräch<br />
im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung (zwecks Förderung<br />
des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich oder gerichtlich)<br />
geführt wird.<br />
(Leitsatz der Redaktion) –S. 57<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 4.9.2001 – 21 C 6712/01<br />
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2 ZPO §§ 91, 93<br />
Dafür, dass vom Rechtsanwalt geführte Gespräche mit<br />
mehreren neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“<br />
im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO<br />
darstellen, spricht der Umstand, dass der Inhalt und Umfang<br />
der Gespräche ersichtlich über die reine Informationsverschaffung<br />
hinausging und die eingehende Erörterung<br />
der tatsächlichen und rechtlichen Fragen der medizinischen<br />
Fehlbehandlung der Klägerin auf eine Abklärung des Streitverhältnisses<br />
im Vorfeld gerichtet war. (Leitsatz der Redaktion)<br />
–S. 57<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2002 – 48 C 467/02<br />
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2, §§ 17, 17 ARB 1975 § 15<br />
Abs. 1 Ziff. d) cc), § 17 Abs. 2<br />
1. Die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers beginnt,<br />
sobald der Versicherungsnehmer wegen des Vorschusses<br />
von seinem Anwalt in Anspruch genommen wird,<br />
also sobald der Rechtsanwalt den Vorschuss einfordert.<br />
2. Bei einer arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit, die in<br />
der Regel einer umfangreichen Überprüfung und Erörterung<br />
bedarf, erscheint ein geforderter Vorschuss von 10/10<br />
auch angemessen i. S. v. BRAGO § 17.<br />
3. Nicht mit der Geschäftsgebühr abgegolten ist ein sachbezogenes<br />
Gespräch des Rechtsanwalts mit einem sachverständigen<br />
Arzt, der nicht Hausarzt des Mandanten ist, weil<br />
das Gespräch einer Interessenwahrnehmung nach außen,<br />
nicht der internen Prozessvorbereitung und Informationsaufnahme<br />
dient.<br />
(Leitsätze der Redaktion) – S. 58<br />
AG Köln, Urt. v. 25.7.2001 – 141 C 58/01<br />
BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2 ARB § 1 Abs. 2 ZPO<br />
§§ 21, 91 VVG § 48<br />
Die Kl hat, solange die Zahlung eines Vorschusses auf Anwaltshonorar<br />
nicht durch Überweisungsbeleg, Kontoauszug<br />
o. ä. nachgewiesen ist, gegen ihre Rechtsschutzversicherung<br />
einen – als Minus im Zahlungsanspruch enthaltenen – Freistellungsanspruch<br />
in Höhe der vom Anwalt als Vorschusszahlung<br />
geltend gemachten und zu erwartenden Anwaltsgebühren<br />
einschließlich einer Besprechungsgebühr.<br />
(Leitsatz der Redaktion) –S. 60
VI<br />
4<br />
In diesem Heft:<br />
Lesen Sie in diesem Heft aus der<br />
Arbeit des DAVauf Seite 36 bis 44:<br />
Parlamentarischer Abend in Brüssel /<br />
DAV-Pressemitteilungen / Justiz in<br />
Bochum nach 1933 / ARGE Baurecht:<br />
10-Jahr-Jubiläumstagung in<br />
Stuttgart & Geschäftsbericht 2001 /<br />
AG Steuerrecht: Steueranwaltstag<br />
2002<br />
Gebührenrecht in AGS Nr. 1/2003*<br />
9 Henke: Kommt ein neues Anwaltsgebührenrecht?<br />
9 Madert: Die Besprechungsgebühr<br />
9 OLG Stuttgart: Neue Angelegenheit<br />
nach Ablauf von zwei Kalenderjahren<br />
9 OLG Naumburg: Gesonderte Vergütung<br />
in einstweiligen Anordnungsverfahren<br />
9 OLG Saarbrücken: Prozesskostenhilfe<br />
im Urkundsverfahren<br />
9 LG Saarbrücken: Versicherungsschutz<br />
auch bei einfacher Körperverletzung<br />
9 J. Schneider: Anwaltsstunde – was<br />
muss sie bringen, was kostet sie?<br />
* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS)<br />
erscheint ab Januar 2003 mit deutlich<br />
erweitertem Inhalt und in neuem Outfit<br />
monatlich auf ca. 36 Seiten im<br />
Deutschen Anwaltverlag und wird<br />
hrsg. von RA Wolfgang Madert und<br />
RA Norbert Schneider in Verbindung<br />
mit dem Gebührenrechtsausschuss und<br />
der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
unter ständiger Mitarbeit von Dipl.-<br />
Rechtspfleger Heinricht Hellstab, RA<br />
Jürgen Schneider und RA Udo W.<br />
Henke.<br />
Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />
erhalten Sie vom Deutschen<br />
Anwaltverlag in 53111 Bonn,<br />
Wachsbleiche 7, Tel. 0228/91911-0.<br />
Info<br />
Arbeitsmarkt Juristen:<br />
Wer sucht?<br />
Aus einem Bericht im Handelsblatt<br />
und gestützt auf eine Auswertung von<br />
Stellenangeboten in 40 Tageszeitungen<br />
für den Zeitraum Januar bis Mai 2002<br />
durch die Adecco Personaldienstleistungen<br />
ergab sich folgende Stituation<br />
für den Arbeitsmarkt Juristen:<br />
Wer sucht?<br />
Notare,<br />
Suchangebote<br />
Anwaltskanzleien 236<br />
Finanzdienstleister 170<br />
Behörden 147<br />
Verbände 122<br />
Bildungswesen<br />
Sonstige private<br />
116<br />
Dienstleister 83<br />
Industrie 76<br />
Wirtschaftsberater 67<br />
sonstige Branchen 57<br />
Gesamt 1.074<br />
Anwaltsdichte in Deutschland<br />
Nach Angaben der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
beträgt die Anwaltsdichte<br />
in den Deutschen Bundesländern<br />
zwischen 273 Bürger je Anwalt<br />
in Hamburg bis zu 1.590 Bürger je<br />
Anwalt in Sachsen-Anhalt. Die Anwaltsdichte<br />
ist damit in Hamburg etwa<br />
6-mal höher als in Sachsen-Anhalt.<br />
Auch bei den übrigen Bundesländern<br />
und im Verhältnis von alten zu neuen<br />
Bundesländern bestehen erhebliche<br />
Unterschiede der Anwaltsdichte. Im<br />
Einzelnen ergibt sich folgendes Bild:<br />
Gebiet Bürger<br />
je Anwalt<br />
Hamburg 273<br />
Berlin 386<br />
Hessen 441<br />
Bremen 463<br />
Bayern 641<br />
Nordrhein-Westfalen 643<br />
Baden-Württemberg 815<br />
Schleswig-Holstein 944<br />
Saarbrücken 951<br />
Gebiet Bürger<br />
je Anwalt<br />
Niedersachsen 998<br />
Rheinland-Pfalz 1.072<br />
Sachsen 1.181<br />
Meck.-Vorpommern 1.299<br />
Brandenburg 1.359<br />
Thüringen 1.436<br />
Sachsen-Anhalt 1.590<br />
neue Bundesländer 1.336<br />
alte Bundesländer 645<br />
Deutschland 707<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Veranstaltungen Inland<br />
AG Familien- und Erbrecht<br />
im DAV<br />
Veranstaltungsübersicht<br />
1. Halbjahr 2003<br />
9 Schnittstellen zwischen Steuer-, Familien-<br />
und Erbrecht<br />
8.–15.3.2002, Winter Intensiv in Warth<br />
am Arlberg, Österreich (S.-Nr. 1230-03)<br />
9 Eheverträge und familienrechtliche<br />
Vereinbarungen<br />
RAuN Schwackenberg, Oldenburg<br />
11.1.2003, Kaiserslautern<br />
(S.-Nr. 1211-03)<br />
9 Eheverträge und familienrechtliche<br />
Vereinbarungen<br />
RAuN Schwackenberg, Oldenburg<br />
18.1.2003, Rottenburg<br />
(S.-Nr. 1201-03)<br />
9 Update im Familienrecht<br />
RAin Dr. Groß, Augsburg<br />
RA Kleinwegener, Detmold<br />
31.1/1.2.2003, München<br />
(S.-Nr. 1206-03)<br />
(Fortsetzung auf Seite X)<br />
Im nächsten Heft u. a.:<br />
9 Selbstständiges Beweisverfahren<br />
im Zivilprozess – 2. Teil
X<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VI)<br />
Veranstaltungen Inland<br />
9 Auseinandersetzungsversteigerung,<br />
insbesondere im Familien- und Erbrecht<br />
Dipl.-Rpfl. Prof. Hintzen, Berlin<br />
1.2.2003, Berlin (S.-Nr. 1203-03)<br />
9 Aktuelle Rechtsprechung des OLG<br />
Köln<br />
Ri Dr. Büttner, OLG Köln<br />
5.2.2003, Köln (S.-Nr. 1204-03)<br />
9 Lebenspartnerschaftsgesetz/ Nichteheliche<br />
Lebensgemeinschaft<br />
RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />
15.2.2003, Bamberg (S.-Nr. 1202-03)<br />
9 Eilverfahren, insbesondere Sicherung<br />
der Zugewinnausgleichsforderung<br />
RAin Saathoff, Oldenburg<br />
28.2.2003, Dresden (S.-Nr. 1227-03)<br />
9 Verfahren in Erbsachen<br />
RAuNin Hardt, Berlin<br />
12.3.2003, Rostock (S.-Nr. 1212-03)<br />
9 Vermögensausgleich außerhalb des<br />
Güterrechts<br />
Ri Wever, OLG Bremen<br />
15.3.2003, Karlsruhe (S.-Nr. 1213-03)<br />
9 § 1579 Nr. 1–7 BGB / Eine Vorschrift<br />
mit 7 Siegeln<br />
RA Schnitzler, Euskirchen<br />
19.3.2003, Koblenz (S.-Nr. 1209-03)<br />
9 Neues im Versorgungsausgleich<br />
Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
Neuregelungen im<br />
Versorgungsausgleich<br />
Oberamtsrat Eichler, Berlin<br />
N.N., Berlin<br />
Rechtsber. Glockner, Karlsruhe<br />
21./22.3.2003, Berlin (S.-Nr. 1210-03)<br />
Mitglieder der AG 200 E, Nichtmitglieder<br />
350 E<br />
9 Update compact im Familienrecht<br />
RA Kleinwegener, Detmold<br />
22.3.2003, Erfurt (S.-Nr. 1214-03)<br />
9 Vermögensausgleich außerhalb des<br />
Güterrechts<br />
Ri Wever, OLG Bremen<br />
22.3.2003, Dortmund (S.-Nr. 1215-03)<br />
9 Eilverfahren, insbesondere Sicherung<br />
der Zugewinnausgleichsforderung<br />
RAin Saathoff, Oldenburg<br />
28.3.2003, Frankfurt (S.-Nr. 1223-03)<br />
9 Thema folgt<br />
Begegnungsstätte Sankt Georg im<br />
Kloster Weltenburg<br />
28./29.3.2003, Weltenburg<br />
(S.-Nr. 1208-03)<br />
Mitglieder der AG 270 E, Nichtmitglieder<br />
370 E<br />
9 Elterliche Sorge/Umgangsrecht<br />
RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />
29.3.2003, Nürnberg (S.-Nr. 1225-03)<br />
9 Update im Familienrecht<br />
RAuNin Rakete-Dombek, Berlin<br />
RA Kleinwegener, Detmold<br />
11./12.4.2003, Saarbrücken<br />
(S.-Nr. 1207-03)<br />
Für alle Veranstaltungen werden Teilnahmebescheinigungen<br />
im Sinne von<br />
§ 15 FAO erteilt.<br />
Anmeldung und Informationen:<br />
Veranstaltungsagentur der AG Familien-<br />
und Erbrecht, conventionpartners<br />
GmbH, Karsten Baas, Gerhard-<br />
Rohlfs-Str. 22, 53173 Bonn, Tel.<br />
02 28/35 00 440, Fax 02 28/35 00 450,<br />
www.cp-bonn.de, info@cp-bonn.de<br />
AG Insolvenzrecht und<br />
Sanierung<br />
3.Veranstaltung zur<br />
Verbraucherinsolvenz<br />
– 31. Januar 2003 in Berlin –<br />
Die Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />
und Restschuldbefreiung der<br />
ARGE Insolvenzrecht und Sanierung<br />
im DAV führt am 31.01.2003 in Berlin<br />
eine Diskussionsveranstaltung zu möglichen<br />
Verbesserungen und Vereinfachungen<br />
der Insolvenzverfahren natürlicher<br />
Personen durch. Auf der<br />
Veranstaltung sollen mit namhaften<br />
Referenten Verbesserungsvorschläge<br />
und Vereinfachungen erarbeitet, diskutiert<br />
und anschließend der Praxis vorgestellt<br />
werden. Mit der Veranstaltung<br />
soll ein Meinungsbildungsprozess in<br />
Gang gesetzt werden, der auf der<br />
Herbsttagung im September 2003 der<br />
ARGE in Leipzig fortgesetzt werden<br />
soll und dort in konkrete Vorschläge<br />
auch an den Gesetzgeber münden soll.<br />
Referenten<br />
RA Prof. Dr. H. Grote, Köln, RiAG, Dr.<br />
H. Vallender, Köln, RiAG U. Schmerbach,<br />
Göttingen, RA und Insolvenzverwalter<br />
H.-J. Kloz, Hanau, Rpfl U. Mäusezahl,<br />
Krefeld, Ass. U. Jäger, Büro<br />
Giebel Bremen.<br />
Anmeldung<br />
Die Teilnahmegebühr beträgt 125 E.Anmeldungen<br />
bitte an DeutscheAnwalt-<br />
Akademie, Anja Hoffmann, Littenstr.<br />
11, 10179 Berlin, Tel. 0 30/726 15 31 83,<br />
Fax 0 30/ 726 15 31 88. Bei der Anmeldung<br />
sollte angegeben werden, ob man<br />
sich der Schuldner-, der Gläubiger-, der<br />
Justiz- oder der Verwalterseite zurechnet.<br />
Die Teilnehmerzahl ist auf 55 begrenzt.<br />
Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz<br />
und Restschuldbefreiung<br />
Weitere Informationen zu dieser Arbeitsgruppe<br />
in der ARGE Insolvenzrecht und<br />
Sanierung im DAV über RA Kai Henning,<br />
Hamburger Str. 89, 44135 Dortmund,<br />
Tel. 02 31/18 99 86-0, Fax 02 31/<br />
18 99 86-29, E-Mail: info@rahenning.de.<br />
DeutscheAnwaltAkademie<br />
Seminare Januar/Februar 2003<br />
9 17. Fachlehrgang Verwaltungsrecht<br />
Kurs in 6 Bausteinen<br />
23. Januar bis 12. April 2003 in Köln<br />
Seminar: R 42417-03<br />
9 17. Fachlehrgang Strafrecht<br />
Kurs in 6 Bausteinen<br />
23. Januar bis 13. April 2003 in München<br />
Seminar: R 42217-03<br />
9 71. Fachlehrgang Familienrecht<br />
Kurs in 6 Bausteinen<br />
30. Januar bis 26. April 2003 in Bielefeld<br />
Seminar: R 41271-03<br />
9 26. Fachlehrgang Arbeitsrecht<br />
Kurs in 6 Bausteinen<br />
6. Februar bis 26. April 2003 in Bremen<br />
Seminar: R 41026-03<br />
(Fortsetzung auf Seite XVIII)
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Berlin, Littenstraße 11<br />
Jahrgang 53<br />
Januar 2003 AQl<br />
Zum Jahreswechsel 2002/2003<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln, Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />
Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege,<br />
in den letzten Jahren habe ich immer wieder<br />
gesagt, jede engagierte Anwältin, jeder engagierter<br />
Anwalt finde einen Job oder den Raum für die<br />
Gründung einer Anwaltspraxis. Überall begegne<br />
mir die Nachfrage nach Rechtsrat, die nicht befriedigt<br />
werden könne.<br />
Die zunehmende Verrechtlichung aller Bereiche<br />
unserer Gesellschaft rief und ruft nach dem<br />
Berater und Führer durch das Normengewirr und<br />
nach dem parteiischen Vertreter im Konfliktfall.<br />
Wenn jedoch jährlich 7.000 bis 8.000 neue<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unsere<br />
Kollegen werden, stößt auch diese Aussage irgendwann<br />
an ihre Grenze. Selbst dem Optimisten<br />
wird der unbeschränkte und offenbar nicht begrenzbare<br />
Zugang zum Anwaltsberuf zu einem<br />
ernsten Problem. Der Zustrom betrifft die Qualität<br />
der Arbeit; und er betrifft die existentielle Sicherung<br />
unserer Profession. Irgendwann wird die<br />
„Masse Anwalt“ uns ersticken.<br />
Wir hatten gehofft, dass durch eine vernünftige,<br />
anwaltsbezogene Ausbildung eine qualitative und<br />
damit auch quantitative Begrenzung im Anwaltsmarkt<br />
stattfinden könne. Der Gesetzgeber hat jedoch<br />
nur ein Zeitfenster zur Ausbildung gegeben,<br />
keine Qualitätsmaßstäbe aufgestellt. Allein die<br />
Nachrichten für die Mitglieder<br />
des Deutschen Anwaltvereins e. V.
2<br />
l<br />
Tatsache, dass jeder Referendar 9 Monate einen<br />
Anwalt „besuchen“ muss, sichert noch keine Begrenzung<br />
des Wunsches, Rechtsanwältin oder<br />
Rechtsanwalt zu werden.<br />
Dieser Staat gibt dem Gesetzgeber die Verantwortung<br />
für die Rechtsanwaltsgebühren. Es ist<br />
Gesetz, dass Anwaltsgebühren im Regelfall gesetzlich<br />
festgelegt werden. Wenn dies aber so ist,<br />
so trägt er auch die Verantwortung für eine Reform<br />
und Anhebung. Er verletzt die Verantwortung,<br />
und zwar gravierend, wenn er 8 Jahre nach<br />
der letzten Anpassung immer noch zögerlich handelt.<br />
Die Erwartung, der sich der Gesetzgeber der<br />
letzten Legislaturperiode entzogen hat, richtet<br />
sich jetzt mit ganzer Härte und Schärfe an die<br />
neue Regierung und das neu gewählte Parlament.<br />
Uns kann man nicht sagen, eine Anhebung der<br />
Anwaltsgebühren passe nicht in die wirtschaftliche<br />
Landschaft, Nullrunden seien angebracht.<br />
Wir haben Nullrunden seit 1995 hingenommen.<br />
Es ist verrückt: Wohlfeiler scheint heute die<br />
Losung zu sein, die freien Berufe, also auch die<br />
Anwälte, mit neuen Steuerlasten zu belegen. In<br />
verändertem Namen soll die Gewerbesteuer auch<br />
auf andere Berufsgruppen erstreckt werden. Dies<br />
sei das Gebot der Stunde. Was ist hier verrückt?<br />
Die Einnahmeseite bestimmt sich nach den Maßstäben<br />
des Jahres 1994, die Steuerbelastung nach<br />
den Maßstäben des Jahres 2003. Dies ist absurd.<br />
Gleichwohl arbeiten wir in einem wunderbaren<br />
Beruf. Er ist notwendig und wird immer notwendiger.<br />
Die Anwältin und der Anwalt sind die berufenen<br />
Berater bei der Anwendung und Realisierung<br />
der Sozial- und Rechtsnormen, die sich<br />
immer mehr um unser Handeln legen und schlingen.<br />
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Zahl<br />
der Anwälte im Bundestag bemerkbar zugenommen<br />
hat. Anwältinnen und Anwälte bringen Bewegung<br />
in unsere Gesellschaft. Es sind nicht die<br />
Gerichte, die die Motoren sind, auch wenn dies<br />
so scheint. Kein Gericht entscheidet, ohne dass es<br />
nicht auf Kläger- oder Beklagtenseite durch Anwältinnen<br />
und Anwälte bewegt wird.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
Nachdem der Staat die Ausbildungsreform als<br />
„Programmpunkt“ durch eine Scheinreform erledigt<br />
hat, hat sich der Deutsche Anwaltverein entschlossen,<br />
die Anwaltsausbildung selbst in die<br />
Hand zu nehmen. Er wird die DAV-Anwaltsausbildung<br />
schaffen, die eigenständige Maßstäbe<br />
setzt, sich aber mit der staatlichen Juristenausbildung<br />
verknüpfen lässt. Am Markt wird es den<br />
DAV-ausgebildeten Rechtsanwalt geben, der mit<br />
dem Kollegen, der nur die Befähigung zum Richteramt<br />
aufzuweisen hat, in Wettbewerb treten<br />
wird.<br />
Die Wirkungskraft der Anwaltschaft nimmt zu.<br />
Die Wirkungskraft der Justiz tritt zurück. Wie<br />
soll ich das belegen? Zur Justiz gehören die Justizministerien.<br />
In der Silvesternacht des<br />
31.12.2002 gibt es keinen Justizminister, gibt es<br />
keine Justizsenatorin mehr, die diesen gleichen<br />
Job innehatte, als ich zum Präsidenten gewählt<br />
wurde, oder ihn nach diesem Tag angetreten hat.<br />
Es ist bitter und sollte auch von uns beklagt werden:<br />
Es gibt keine Kontinuität in den Justizministerien.<br />
Ein Ministerium, dem aber diese Kontinuität<br />
nicht gegönnt und zugemessen wird, hat<br />
wenig Wert. Darüber muss nachgedacht werden,<br />
dies muss kritisiert werden. Wenn die Justizminister<br />
und -senatorinnen dies nicht selbst zum Thema<br />
machen (was verständlich ist), müssen es die<br />
Anwältinnen und Anwälte tun.<br />
Jetzt könnte ich den mich selbst verblüffenden<br />
Befund, nämlich dass ich gewissermaßen alle<br />
Justizsenatorinnen und Justizminister „überlebt‘‘<br />
habe, zum Anlass nehmen, selbst im Mai auf dem<br />
DAT in Freiburg das Präsidentenamt zurückzugeben.<br />
Aber so ist es nicht. Dies ist kein Zeichen<br />
von Diskontinuität. Es ist im DAV gute Üblichkeit,<br />
dass nach etwa fünf Jahren im Ehrenamt des<br />
Präsidenten ein Wechsel eintritt. Dies garantiert<br />
die Kraft, die Innovationsfähigkeit, die Kreativität<br />
dieses seit 1871 lebenden Berufsverbandes.<br />
Ich wünsche Ihnen ein gutes und erfolgreiches<br />
Jahr 2003.
AnwBl 1/2003 3<br />
Aufsätze l<br />
Anwalts-Kollisionsrecht<br />
Assessor Oliver Knöfel * , Hamburg<br />
Wenn Rechtsanwälte international tätig sind, muss für<br />
die Normen des nationalen Berufsrechts geklärt werden, ob<br />
ihr internationaler Anwendungsbereich die jeweilige Aktivität<br />
des Rechtsanwalts umfasst. Wie ein Rechtsanwendungsrecht<br />
für die Berufsrechtsnormen der BRAO im Einzelnen<br />
auszusehen hat, ist im deutschen Recht noch völlig<br />
unklar. Gefestigte Rechtsanwendungsnormen gibt es nicht.<br />
Die bisher diskutierten Ansätze dazu, Verweisungsnormen<br />
für die Erfassung der internationalen Berufstätigkeit zu entwickeln,<br />
haben ihren Ursprung vorwiegend im europäischen<br />
Gemeinschaftsrecht. Ihnen begegnen allerdings nicht<br />
nur juristische Einwände. Sie werden auch den Erfordernissen<br />
der Anwaltspraxis kaum gerecht. An ihrer Stelle ist ein<br />
berufsbezogenes Kollisionsrecht für die anwaltliche Berufstätigkeit<br />
heranzubilden, das das allgemeine Gebot einer berufsfreundlichen<br />
Auslegung von Berufsordnungsgesetzen<br />
möglichst früh ernst nimmt, nämlich bereits auf der der<br />
sachrechtlichen Beurteilung vorgelagerten Rechtsanwendungsebene.<br />
I. Kollisionsrecht für die Anwaltstätigkeit<br />
1. Grundsätzliches<br />
Dass der Rechtsanwalt mehreren nationalen Berufsrechten<br />
begegnet, wenn er in einer anderen als der Jurisdiktion<br />
seiner Zulassung seine Berufstätigkeit ausübt, ist<br />
seit langer Zeit bekannt 1 . Dass der Anwalt hierbei seine<br />
Zuordnung zum heimischen Berufsrecht an der Grenze<br />
nicht abstreift, entspricht ebenfalls seit langem geteilter<br />
Überzeugung2 . Wenn das deutsche Recht für sich bejaht,<br />
dass das verwaltungsrechtliche Dauerrechtsverhältnis einer<br />
3 inländischen Zulassung andauert 4 , steht der Aufsichtsbefugnis<br />
des Kammervorstands gemäß § 73 BRAO<br />
für sich genommen nichts mehr im Wege5 .DieFrageist<br />
aber, ob das deutsche Berufsrecht für jede beliebige auslandsbezogene<br />
Tätigkeit des deutschen Rechtsanwalts<br />
Geltung beansprucht oder umgekehrt jedes Tätigwerden<br />
eines ausländischen Rechtsanwalts in Deutschland an seinen<br />
eigenen Voraussetzungen messen muss. Verzichtet<br />
man vorerst auf Feineinstellungen, liegt auch für den Anwalt<br />
der Grundkonflikt eines jeden international tätigen<br />
Dienstleisters6 klar. Aus der Sicht des „Heimatstaates“ ist<br />
ein staatliches Interesse daran, dem Ordnungsrecht des<br />
Zulassungsstaates Geltung zu verschaffen, unverkennbar7 .<br />
Der Rechtsanwalt bleibt Standesgenosse deutscher<br />
Rechtsanwälte und steht als solcher in unzähligen professionellen<br />
Beziehungen zu Inländern, die auch dann Anstoß<br />
an seinem beruflichen Verhalten nehmen können,<br />
wenn dieses im Ausland stattfindet. Darüber, ob ein solcher<br />
Anstoß auch einen rechtlich erheblichen Anlass zum<br />
Einschreiten der Berufsaufsicht bietet, gibt allein das<br />
deutsche Berufsrecht Auskunft. Allerdings wird man auch<br />
im Tätigkeitsstaat nicht uninteressiert daran sein, gegenüber<br />
dem „fremden“ Rechtsanwalt das eigene Berufsrecht<br />
zur Geltung zu bringen8 . Die klassische Anwaltstätigkeit<br />
ist mit dem staatlichen Interesse an einer funktionsfähigen<br />
Rechtspflege und ihren national naturgemäß<br />
höchst unterschiedlichen Bedingungen so eng verschränkt<br />
9 , dass das staatliche Regulierungsinteresse<br />
großes Gewicht hat.<br />
2. Fremdenrechtlicher Ansatz<br />
Nun kann die Rechtsordnung des Staates, in dem die anwaltliche<br />
Tätigkeit tatsächlich stattfindet, die Berufstätigkeit<br />
des „fremden“ Rechtsanwalts untersagen oder so stark beschränken,<br />
dass die Restriktionsdichte einem Vollverbot<br />
praktisch gleichkommt. Dann betritt man weniger den Bereich<br />
des auf Ausgleich bedachten Kollisionsrechts als vielmehr<br />
eines seiner Nachbargebiete: das Fremdenrecht, welches<br />
auf der staatlich gewollten und vom Rechtsanwender<br />
hingenommenen Andersbehandlung von Ausländern beruht.<br />
Das deutsche Recht kennt fremdenrechtliche Ansätze noch<br />
in einigen Berufsrechten, z. B. wenn § 14 Abs. 1 Nr. 11<br />
PAO 10 für die Zulassung zur Patentantwaltschaft fordert,<br />
dass die Bewerber Deutsche sein müssen, vorbehaltlich eines<br />
Absehens von diesem Erfordernis durch den Präsidenten<br />
des Patentamts gemäß Abs. 2 der Vorschrift11 .ImBereich<br />
der globalen Rechtsberatung begegnet der<br />
international tätige Anwalt bis heute einer solchen Rechtslage<br />
in Japan. Dort hat zwar ein erstmals im Jahre 1986 erlassenes<br />
Gesetz zumindest theoretisch rechtliche Rahmenbedingungen<br />
für die Tätigkeit ausländischer Anwälte<br />
geschaffen12 . Entgegen anders lautender Hinweise13 haben<br />
sich die hiermit verbundenen Hoffnungen auf weitere Liberalisierung<br />
– genährt besonders durch eine Gesetzesnovelle<br />
von 1994, welche pro forma die Eingehung von joint-ventures<br />
mit japanischen Berufsträgern gestattete14 – jedoch keineswegs<br />
erfüllt. Namhafte internationale Anwaltssozietäten<br />
machen von der bis heute im Tatsächlichen unsicheren Zusammenarbeitsform<br />
keinen Gebrauch und bedienen die Beratungsgebiete<br />
„ausländisches Recht“ und „japanisches<br />
Recht“ statt dessen durch zwei rechtlich und organisatorisch<br />
getrennte Büros, die lediglich unter derselben (zumeist Tokyoter)<br />
Geschäftsadresse firmieren. 15 Ein derart konsequent<br />
* Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für ausländisches und internationales<br />
Privat- und Prozessrecht der Universität Hamburg (Lehrstuhl Prof. Dr.<br />
Peter Mankowski). Verf. dankt Prof. Ronald A. Brand, Director, Center of<br />
International Legal Education, University of Pittsburgh School of Law, für die<br />
freundliche Überlassung diverser berufsrechtlicher Materialien.<br />
1 Note, 80 Harv.L.Rev. 1284, 1300 f. (1967).<br />
2 Gottfried Raiser, NJW 1991, 2049, 2057; ders., AnwBl. 1991, 487, 496;<br />
Henssler, JZ 1994, 178, 185; Louven, VersR 1997, 1050.<br />
3 Das durch die örtlich zuständigen Organe einmal aufgegriffene Berufsrechtsverhältnis<br />
erledigt sich nicht durch einen Zulassungswechsel, vgl. BVerfG v.<br />
30.4.2002, MDR 2002, 911 f.<br />
4 Jessnitzer/Blumberg, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl. 2000, § 113<br />
BRAO Rn. 5; Feuerich/Braun-Feuerich, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl.<br />
2000, § 113 BRAO Rn. 2, 3.<br />
5 Zuck, NJW 1987, 3033, 3036.<br />
6 Mankowski, IPRax 2002, 257, 260.<br />
7 Gwirtzman, in: Gerson (Hrsg.), Lawyers’ Ethics, Contemporary Dilemmas,<br />
New Brunswick London 1980, 251, 257.<br />
8 Meyrier, 13 Int’l Bus.Law. 410, 411 (1985); Lutz, 16 Fordham Int’l L.J. 53, 60<br />
(1992-93); Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1137 f. (2001).<br />
9 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 15; vgl. auch Nr. 1.2.2. CCBE-Standesregeln<br />
(i. d. F. v. 28.11.1998; Text u. a.: AnwBl. 2001, 337 ff.) : „Jede Anwaltschaft<br />
hat eigene auf ihrer besonderen Tradition beruhende Regeln. Diese<br />
entsprechen der Organisation des Berufsstandes und dem anwaltlichen Tätigkeitsbereich,<br />
dem Verfahren vor den Gerichten und Behörden sowie den Gesetzen<br />
des betreffenden Mitgliedstaates. Es ist weder möglich noch wünschenswert,<br />
sie aus diesem Zusammenhang herauszureißen oder Regeln zu<br />
verallgemeinern, die dafür nicht geeignet sind.“<br />
10 Patentanwaltsordnung v. 7.9.1966, BGBl. 1966 I S. 557; zuletzt geändert durch<br />
Gesetz v. 19.12.1998 (BGBl. 1998 I S. 3826).<br />
11 Weitere Beispiele bei Raape/Fritz Sturm, Internationales Privatrecht, I: Allgemeine<br />
Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 28 sowie bei Bernd Braun, Niederlassungsrecht<br />
in Deutschland, 2. Aufl. 1999, Rn. 325 ff.<br />
12 Gaikoku jimu bengoshi hô (Gesetz Nr. 66/1986 = Special Measures Law Concerning<br />
the Handling of Legal Business by Foreign Lawyers); engl. Text: 26<br />
I.L.M. 881-920 (1987); dazu Porges, 26 I.L.M. 881-883 (1987); Tremblay,<br />
Rev. du Not. 93 (1990) 115 ff. (Anm. 47); Oda, Japanese Law, London Dublin<br />
Edinburgh 1992, S. 108; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht,<br />
5. Aufl. 2002, § 5 Rn. 424.<br />
13 Henssler/Streck-Kilian, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, H Rn. 53.<br />
14 Nakamura, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 579, 590.<br />
15 So z. B. Freshfields; vgl. http://www.freshfields. com/places/japan/de.asp.
4<br />
l<br />
fremdenrechtlich angelegter Umgang mit ausländischen Anwälten<br />
ist aber nur möglich, wenn – wie in Japan – die Konkretisierung<br />
von Anwaltsrecht so weitgehend nichtstaatlicher<br />
Verbandsmacht überantwortet ist 16 , dass eine staatliche<br />
Verantwortung für die Gestaltung der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />
ohnehin so gut wie gar nicht wahrgenommen<br />
wird. 17<br />
3. Kollisionsrechtlicher Ansatz<br />
Soll diese Veranwortung – wie in Deutschland – dagegen<br />
von staatlichen Stellen und Aufsichtsorganen aktiv<br />
wahrgenommen werden, die sich auch Zeitströmungen nicht<br />
verschließen sollen 18 und das zentrale Anforderungsprogramm<br />
der Globalisierung 19 daher nicht ignorieren dürfen,<br />
kommt ein Vollverbot nicht in Frage. Dann muss der Tätigkeitsstaat<br />
nach rechtlichen Möglichkeiten suchen, den ausländischen<br />
Anwalt als Rechtsunterworfenen des heimischen<br />
Berufsrechts anzusprechen. Zuallermeist ist ein staatliches<br />
Interesse daran wahrnehmbar, dass die Anwesenheit und<br />
die nachhaltige berufliche Tätigkeit des ausländischen Anwalts<br />
im Inland nicht solche berufsrechtlichen Standards<br />
verletzen sollen, welche die Rechtspflege und die Mandantschaft<br />
von jedem einheimischen Anwalt erwarten 20 . Zugespitzt<br />
wird der Konflikt, wenn die beiden so relevanten Berufsrechte<br />
untereinander in inhaltlichem Widerspruch<br />
stehen 21 . Dass dieser Konflikt jedoch in rechtstechnischer<br />
Hinsicht als Kollisionslage erscheint, die die Anwendung<br />
regelrechter Kollisionsnormen erfordert, ist in Deutschland<br />
erstaunlich selten zur Kenntnis genommen worden. Zwar<br />
hatte Karl Neumeyer, der Pionier des „Internationalen Verwaltungsrechts“<br />
22 , bereits im Jahre 1917 darauf hingewiesen,<br />
dass die Bewältigung von Auslandssachverhalten der<br />
anwaltlichen Berufstätigkeit zuallererst die Feststellung der<br />
anwendbaren Berufsrechtsordnung erfordert 23 . Allerdings ist<br />
erst in allerneuester Zeit die ausdrückliche Forderung nach<br />
Kollisionsnormen für das Recht der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />
erhoben worden 24 . Wie solche aussehen könnten,<br />
ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.<br />
II. Normenhäufung<br />
1. Deutsches Recht<br />
Eine Rechtsnorm des deutschen Rechts, die als erklärte<br />
Kollisionsnorm die Anwendung des einen oder des anderen<br />
nationalen Berufsrechts auf den grenzüberschreitenden<br />
Sachverhalt der anwaltlichen Berufstätigkeit festlegte, gibt<br />
es nicht. Auch das seit dem Jahre 2000 in Kraft stehende<br />
Umsetzungsrecht zu den die Anwaltstätigkeit betreffenden<br />
Richtlinien des Gemeinschaftsrechts 25 – die Rede ist vom<br />
EuRAG 26 , das das RADG 27 mittlerweile vollständig abgelöst<br />
hat – schweigt hierzu. Dies hat klare Gründe. Das Eu-<br />
RAG hat einen deutlichen prozessrechtlichen Fokus (v. a.<br />
§§ 27 Abs. 1, 28 ff. EuRAG). Das rührt daher, dass die Prozessvertretung<br />
vor Gerichten und die Vertretung gegenüber<br />
Behörden nach traditioneller Anschauung die wohl „staatsnächsten“<br />
Tätigkeiten sind, welche ein Rechtsanwalt bei<br />
freier Advokatur ausüben kann. Die „staatlich gebundenen“<br />
28 Tätigkeiten von Freiberuflern waren in der Kompetenzordnung<br />
der Europäischen Gemeinschaft jedoch seit<br />
jeher Domänen der Mitgliedstaaten. Als solche sind sie Reservate<br />
gegenüber den Ansprüchen der Dienstleistungs- und<br />
Niederlassungsfreiheit geblieben – ein Aspekt, der heute<br />
noch besonders deutlich bei der Frage begegnet, ob sich das<br />
Berufsrecht der Notare überhaupt zur Europäisierung eignet<br />
29 . Von dieser Konfliktlage musste sich daher auch das<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
zu den Rechtsanwalts-Richtlinien ergehende Umsetzungsrecht<br />
besonders herausgefordert fühlen, so dass der Umsetzungsgeber<br />
gerade die prozessbezogenen Tätigkeiten dezidiert<br />
im EuRAG zu regeln hatte, zumal angesichts der<br />
gleichfalls prozessrechtlich akzentuierten „Vorgeschichte“<br />
um die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von § 4 RADG<br />
a. F 30 . Auch im Anwaltsbereich gibt es somit eine spezifisch<br />
justizbezogene Freizügigkeit 31 , der sich das EuRAG vorrangig<br />
annimmt. Natürlich können auch im prozessualen Streitverfahren<br />
Vorschriften entscheidungserheblich werden, die<br />
zumindest auch die berufliche Stellung des ausländischen<br />
Rechtsanwalts betreffen. Beispielsweise hatte es der bis<br />
zum 1.7.2002 fortgeltende, spätestens mit § 25 BRAO außer<br />
Kraft getretene § 27 Abs. 1 S. 3 EuRAG dem europäischen<br />
Rechtsanwalt untersagt, vor dem Oberlandesgericht aufzutreten,<br />
wenn keine Prozessvertretung in erster Instanz vorausgegangen<br />
war 32 . Außer bei der Postulationsfähigkeit 33<br />
begegnen andere Schnittstellen zwischen nationalem Verfahrensrecht<br />
und der berufsrechtlichen Zuordnung von ausländischen<br />
Anwälten etwa bei den prozessualen Formvorschriften<br />
34 und bei der Reichweite von Verfahrensgarantien,<br />
die hinreichenden anwaltlichen Beistand im Strafverfahren<br />
16 Die nahezu unumschränkte Machtvollkommenheit der Nichibenren (Japan Federation<br />
of Bar Associations) ist legendär.<br />
17 Zu jüngsten Reformbestrebungen für das anwaltliche Berufsrecht in Japan allerdings<br />
Ishikawa, ZZPInt 4 (1999) 381, 384 ff.; zu solchen in der Juristenausbildung<br />
vgl. Marutschke, Einführung in das japanische Recht, 1999, S. 80 f.;<br />
Nakamura, FSReinhold Geimer, 2002, S. 779, 791 f.<br />
18 Bereits Warburg, in:Ackermann/Albers/Bettermann (Hrsg.), Aus dem Hamburger<br />
Rechtsleben – Walter Reimers zum 65. Geburtstag, 1979, S. 139.<br />
19 Kilian, WM 2000, 1366.<br />
20 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29.<br />
21 Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 2002, § 61 Rn. 2, 3.<br />
22 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, 1922, passim; siehe auch Max<br />
Friedlaender, JW 1923, 158 f.<br />
23 Neumeyer, GA 64 (1917) 1; für weitere berufsrechtliche Zusammenhänge<br />
ders., ZStW 23 (1903) 436, 444.<br />
24 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52; ders., östAnwBl. 2002, 190.<br />
25 Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen<br />
Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte,<br />
ABlEG 1977 L 78/17 (Dienstleistungsrichtlinie); Richtlinie 89/48/EWG des<br />
Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der<br />
Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen,<br />
ABlEG 1989 L 19/16 (Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie) sowie<br />
Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />
16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs<br />
in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben<br />
wurde, ABlEG 1998 L 77, 36 (Niederlassungsrichtlinie).<br />
26 Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland = Art. 1<br />
Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf<br />
dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte, BGBl. 2000 I 182; dazu<br />
Lach, NJW 2000, 1609; Franz, BB 2000, 989; Klein, AnwBl. 2000, 190; Jessnitzer/Blumberg<br />
(Fn. 4), § 4 BRAO Rn. 2; Mankowski, AnwBl. 2001, 73, 77;<br />
Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2001, Rn. 2227 d.<br />
27 Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz vom 16.8.1980, BGBl. 1980 I 1453.<br />
28 Papier, FSWerner Lorenz, 2001, S. 35 ff.<br />
29 Dazu Hans Georg Fischer, DNotZ 1989, 467, 486, 496 f.; Basedow, RabelsZ<br />
55 (1991) 409 ff.; Pützer, FSWilli Weichler, 1997, S. 191, 194, 210; Hirsch,<br />
DNotZ 2000, 729 ff.; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325.<br />
30 Bekanntlich hatte der EuGH (25.2.1988 – Rs. C-427/85 [Kommission/Deutschland])<br />
die von § 4 RADG a. F. aufgestellten Anforderungen an die Herstellung<br />
des sog. Einvernehmens zwischen dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt<br />
und einem deutschen „Einvernehmensanwalt“ für gemeinschaftsrechtswidrig<br />
erklärt; dazu statt vieler Reithmann/Martiny-Mankowski, Internationales<br />
Vertragsrecht, 5. Aufl. 1996, Rn. 1491. Heute gilt die ehemalige<br />
„Gouvernantenklausel“ (u. a. Hans-Jürgen Rabe, RabelsZ 55 [1991] 291, 294)<br />
nur noch in stark abgeschwächter Form, vgl. §§ 28 ff. EuRAG; auch §§ 5, 14<br />
östEuRAG (östBGBl. 2000 I Nr. 27, S. 134, 136).<br />
31 Kerameus, RabelsZ 66 (2002) 1, 11.<br />
32 Henssler, JZ 2001, 337, 340. Mit § 226 Abs. 2 BRAO ist § 25 BRAO außer<br />
Kraft gesetzt worden, vgl. BVerfG v. 13.12.2000, NJW 2001, 353 = MDR<br />
2001, 177 m. Anm. Härting = EWiR Art. 12 GG 1/01, 17 m. Anm. Huff =<br />
JuS 2001, 504 m. Anm. Sachs; zu diesem Urteil Römermann, BB 2001, 272;<br />
Füßer, MDR 2001, 551; Kleine-Cosack, AnwBl 2001, 204; Rolf Schneider,<br />
AnwBl. 2001, 206; Grunewald, AnwBl. 2001, 377; Hartung, AnwBl. 2001,<br />
496; Brändel, ZRP 2001, 112, 114 f. Kürzlich ist ferner ein Antrag auf Erlass<br />
einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Fortgeltung von § 25 BRAO zurückgewiesen<br />
worden, BVerfG v. 12.6.2002, NJW 2002, 2632.<br />
33 Dazu noch östOGH v. 4.5.2000, ÖJZ 2000, 814.<br />
34 OLG Frankfurt v. 22.11.2000, RIW 2001, 543.
AnwBl 1/2003 5<br />
Aufsätze l<br />
sicherstellen sollen 35 . In diesen Fällen treten aber keine kollisionsrechtlichen<br />
Fragen im eigentlichen Sinne auf. Vielmehr<br />
wirkt sich sofort das lex-fori-Prinzip des Verfahrensrechts<br />
aus 36 , das bereits begrifflich ausschließt, ausländische Normen<br />
für die Anwaltstätigkeit mit ihrer Rechtsfolge zum Tragenzubringen.<br />
Von dieser dem Kollisionsrecht eher fernen, forumbezogenen<br />
Sichtweise ist der tatsächliche Zuschnitt der modernen<br />
internationalen Anwaltstätigkeit, wie sie etwa die an<br />
deutschen Standorten präsenten Großsozietäten anbieten,<br />
weit entfernt. Sie ist ganz überwiegend außergerichtliche<br />
Mandantenvertretung; das Auftreten vor den Gerichten eines<br />
anderen Staates hat nur noch geringe Bedeutung 37 .Zu<br />
dieser grenzüberschreitenden Dienstleistungstätigkeit des<br />
Rechtsanwalts äußert sich das Umsetzungsrecht allerdings<br />
kaum und allenfalls „sybillinisch“ 38 , wenn es in § 27 Abs. 2<br />
EuRAG festlegt, der Rechtsanwalt habe die „für den<br />
Rechtsanwalt geltenden Regeln“ einzuhalten, wobei die<br />
Entscheidung über die Frage, welche Berufsnormen im Einzelnen<br />
hierzu gehören, der Rechtsprechung vorbehalten<br />
bleiben soll 39 . In S. 2 sieht die Vorschrift zwar eine Schrankenbestimmung<br />
vor, wonach die Regeln nur insoweit gelten,<br />
als sie von der Niederlassung in Deutschland losgelöst<br />
werden können und das Befolgungsverlangen aus der<br />
„Wahrung des Ansehens und des Vertrauens“ gerechtfertigt<br />
werden kann, „welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert“.<br />
Dies sind jedoch nicht mehr als Generalklauseln,<br />
welche nochmals die Zweiteilung zwischen Dienstleistung<br />
und Niederlassung und die unterschiedlichen hierfür geltenden<br />
Maßstäbe 40 bestätigen, ohne wesentlich sachlich konkretisiert<br />
worden zu sein. Schon im internen Anwaltsrecht<br />
ist höchst fraglich geworden, ob der Vorschrift des § 2<br />
BRAO über die berufliche Stellung des Rechtsanwalts noch<br />
statusbegründende Bedeutung bzw. konkrete Rechtspflichten<br />
entnommen werden können 41 . Die Klärung der Schrankenreichweite<br />
des § 27 Abs. 2 EuRAG, die über die Tatbestandserstreckung<br />
von Rechtsnormen auf dienstleistende<br />
europäische Rechtsanwälte entscheidet, dürfte kaum leichter<br />
fallen. Nach der geltenden Rechtslage des gemeinschaftsrechtlichen<br />
Umsetzungsrechts hat der grenzüberschreitend<br />
tätige Rechtsanwalt damit zu rechnen, dass seine<br />
Berufstätigkeit als Regelungsgegenstand von mehr als einem<br />
nationalen Berufsrecht aufgegriffen wird.<br />
2. Einheitsrecht<br />
Von der Einsicht, dass ein solcher Zustand der Normenhäufung<br />
als Erschwernis, als Transaktionshemmnis wirkt,<br />
lebt jedes Kollisionsrecht und hat es seit jeher seine ideengeschichtlichen<br />
Geltungsgründe bezogen 42 . Seit langem<br />
wird die Funktionsfähigkeit des internationalen Wirtschaftsverkehrs<br />
daher als kollisionsrechtlicher Grundwert<br />
gesehen 43 . Ebenso ist allerdings bekannt, dass gerade die<br />
Anwaltschaft Kollisionsrecht und Rechtsanwendungsnormen<br />
überhaupt häufig als Präliminarien, als unnötige Vorstufe<br />
zur Entscheidung des Rechtsfalls in der Sache selbst<br />
empfindet. Bereits mit der Anwendung solcher Kollisionsnormen,<br />
die über die im Mandat bearbeitete Streitsache zu<br />
entscheiden haben und für deren Kenntnis der Rechtsanwalt<br />
ggf. haftet 44 , tut sich die Anwaltschaft daher oft schwer 45 .<br />
Soweit es nun gar um diejenigen Normen geht, die als Berufsordnungsrecht<br />
über die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts<br />
selbst zu entscheiden haben, scheint der Unwillen,<br />
eine differenzierte Betrachtung der Rechtsanwendungsfrage<br />
anzustreben, noch größer. Um Kollisionsfragen drückt man<br />
sich; meint, bei dem auf die Berufstätigkeit anwendbaren<br />
Recht eine „undurchsichtige Gemengelage“ 46 hinnehmen<br />
zu müssen. Das aktuelle Schrifttum spart zwar nicht mit<br />
Hinweisen darauf, dass eine schematische Unterwerfung<br />
der grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit unter jedes Berufsrecht,<br />
das einen Regelungsanspruch erheben mag, als<br />
wenig integrationsfreundlich zu gelten habe 47 und im Ergebnis<br />
abzulehnen sei 48 . Dies ist etwa für die §§ 6–10 BerufsO<br />
ausgesprochen worden, die besondere Berufspflichten<br />
des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Werbung<br />
aufstellen 49 . Das von der Anwaltschaft zu Recht<br />
gewünschte Ergebnis – die Entlastung des Rechtsanwalts<br />
von Normenhäufung und den mit ihr verbundenen Rechtsermittlungskosten<br />
– liegt auf der Hand. Zur Erreichung dieses<br />
Zieles möchte sich das Schrifftum allerdings dem Einheitsrecht<br />
anvertrauen und auf diesem Wege<br />
Rechtsanwendungsfragen aus dem Wege gehen. Es wird<br />
keine Kollisionsfrage mehr formuliert, sondern die Ansicht<br />
vertreten, stattdessen habe das von den internationalen Anwaltsverbänden<br />
zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung<br />
gesetzte Einheitsrecht – namentlich die CCBE-Standesregeln<br />
50 – die angestrebte Entlastung des Rechtsanwalts<br />
herbeizuführen 51 . Die CCBE-Standesregeln sollen offenbar<br />
im Alleingang für die nötige Rechtssicherheit sorgen 52 .<br />
Eine solche Sichtweise überfordert allerdings die CCBE-<br />
Standesregeln. Auf Grund der statischen Verweisung in<br />
§ 29 BerufsO 53 sind sie in ihrer jeweiligen Fassung zwar<br />
35 KG v. 21.9.2001, NStZ 2002, 52: Übersetzung von Verteidigergesprächen des<br />
dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts.<br />
36 v. Bar, Internationales Privatrecht, I: Allgemeine Lehren (1987) Rn. 370.<br />
37 Henssler, JZ 1994, 178, 184; ders., ZEuP 1999, 689, 698; Sieg, Internationale<br />
Anwaltshaftung (1996) S. 41; Henssler/Kilian, ZZP 113 (2000) 251, 255.<br />
38 Treffend Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 175; ders., JA 2000, 429, 432<br />
(Anm. 20).<br />
39 Henssler/Prütting-Schroeder/Federle, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1997, § 3<br />
RADG Rn. 13.<br />
40 Mankowski, AnwBl. 2001, 73, 78.<br />
41 Zu Recht verneinend Warburg, in: Ackermann/Albers/Bettermann (Hrsg.),<br />
Aus dem Hamburger Rechtsleben – Walter Reimers zum 65. Geburtstag,<br />
1979, 139, 150; Achim Krämer, FSHenning Piper, 1996, S. 327, 337 f.<br />
42 Umfassend v. Bar (Fn. 36), Rn. 416 ff.<br />
43 Wiethölter, FSGerhard Kegel, 1977, S. 213, 259; Meessen, AöR 110 (1985)<br />
398, 408 f.; Lüderitz, FS Rechtswiss. Fakultät Köln, 1989, S. 271, 291 f.;<br />
Großfeld in: Lutz Fischer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Aktivitäten deutscher<br />
Unternehmen und EU-Recht, 1997, S. 1, 2; Juenger, FS Ulrich Drobnig,<br />
1998, S. 299, 312 f.; Thomas Pfeiffer, NJW 1999, 3674, 3681; Staudinger-Fezer,<br />
IntWirtschR, 13. Bearb. 2000, Rn. 408 a. E; Kronke, FSDieter Henrich,<br />
2000, S. 385, 386 ff.; Schwander, Liber amicorum Kurt Siehr, The Hague Zürich<br />
2000, S. 673, 683 f.; Peter Behrens, FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für<br />
Privatrecht, 2001, S. 381, 396; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales<br />
Privatrecht, 2002, S. 20, 86.<br />
44 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1522.<br />
45 Bendref, AnwBl. 1982, 468, 469; Siehr, ZfRV 25 (1984) 124, 141 f.; ders.,<br />
Studi Broggini, 1997, 537 ff.; Schnorr, AnwBl. 1994, 98; Louven, VersR<br />
1997, 1050, 1052; Joachim Gruber, DZWir 1997, 461, 463; Böhlhoff, BRAK-<br />
Mitt 2002, 13; zur verbreitet diagnostizierten Überforderung des nicht-spezialisierten<br />
Juristen durch Probleme der auslandsbezogenen Rechtsanwendung<br />
siehe auch Schotten, FSHelmut Schippel, 1996, S. 945 f., 950; Harald Koch,<br />
RabelsZ 61 (1997) 623, 638 f.; Schack, Liber amicorum Gerhard Kegel, 2002,<br />
S. 179, 183.<br />
46 Kilian, WM 2000, 1366, 1371 f.<br />
47 Henssler, AnwBl. 1996, 353, 354; auch Kurt Franz FS Peter Rieß, 2002,<br />
S. 875, 890.<br />
48 Hartung/Holl-Römermann, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. 2001, Berufsrechts-<br />
u. Werbe-ABC, Stichw. „Ausland, Werbung im“.<br />
49 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 2.<br />
50 I. d. F v. 28.11.1998 (Lyon), Text u. a: AnwBl. 2001, 337 ff.<br />
51 Charakteristisch Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 3; in diese Richtung<br />
auch Hans-Jürgen Rabe, AnwBl. 1999, 66, 69.<br />
52 Weil, AnwBl. 1988, 632; Kespohl-Willemer, EuZW 1990, 88, 89; Toulmin,<br />
AnwBl. 1991, 256; Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30; Kristian Fischer,<br />
Die Kollision von nationalem Berufsrecht mit der Niederlassungsfreiheit<br />
in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 43; Hans-Jürgen Rabe,<br />
AnwBl. 1999, 66, 69; Büchting/Heussen-Heike Lörcher, Rechtsanwalts-Handbuch,<br />
6. Aufl. 1999, H 3 Rn. 46; Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110 f.<br />
53 I. d. F. v. 1.5.2002 verweist § 29 Abs. 1 BerufsO gemäß Beschluss der Satzungsversammlung<br />
v. 15./16.2.2001 nunmehr auf die CCBE-Standesregeln<br />
i. d. F. v. 28.11.1998 (Text: AnwBl. 2001, 337 ff.).
6<br />
l<br />
geltendes Berufsrecht, sofern ein grenzüberschreitender<br />
Sachverhalt gemäß Nr. 1.5. CCBE-Standesregeln vorliegt 54 .<br />
Dies darf aber nicht über ihre Rechtsnatur und die ihr immanenten<br />
Geltungsgrenzen der Standesregeln hinwegtäuschen.<br />
Die CCBE-Standesregeln sind nicht mehr – allerdings<br />
auch nicht weniger – als Verbandsrecht, seit den<br />
1970er Jahren gesetzt von der CCBE (Conseil Communautaire<br />
des Barreaux Européens), einer AISBL 55 belgischen<br />
Rechts 56 . § 29 Abs. 1 BerufsO ordnet den Nachrang dieses<br />
Verbandsrechts gegenüber europäischem Gemeinschaftsrecht<br />
sowie deutschem Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht<br />
ausdrücklich an 57 . Die jüngsten Entscheidungen<br />
des EuGH i. S. Wouters 58 und Arduino 59 , welche jeweils nationale<br />
Regelwerke für die Anwaltschaft an gemeinschaftsrechtlichen<br />
Vorgaben zu messen hatten, haben deutlich gezeigt,<br />
dass sich die Frage nach dem staatlichen und<br />
demokratischen Legitimationsgrad von „Anwaltsrecht“ zu<br />
einer zentralen Anforderung des Rechts der anwaltlichen<br />
Berufstätigkeit heranbildet 60 . Die den CCBE-Regeln immanente<br />
Begrenzung von Verbandsmacht 61 – ausgedrückt<br />
durch ihren Rangplatz in der Normenhierarchie 62 der für die<br />
Anwaltstätigkeit relevanten Vorschriften – muss daher ernst<br />
genommen werden, so dass den CCBE-Regeln unmittelbar<br />
keine Rechtsanwendungsnormen für die Zuordnung der<br />
grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit zu nationalen Berufsrechten<br />
entnommen werden können 63 . Es ginge allerdings<br />
zu weit, wollte man auf Grund der Nachrangigkeit,<br />
mit der die CCBE-Standesregeln ihren Anwendungsanspruch<br />
formulieren, auf eine völlige Irrelevanz der Regeln<br />
für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und seine<br />
Kollisionsregeln schließen 64 . Einzelne Bestimmungen der<br />
CCBE-Standesregeln können durchaus zur Ausfüllung und<br />
inhaltlichen Abstimmung anderweitig gefundener Rechtsanwendungsregeln<br />
herangezogen werden. Bestes Beispiel<br />
hierfür ist die Bestimmung in Nr. 2.6.2. CCBE-Standesregeln,<br />
wonach Anwaltswerbung als an einem Ort vorgenommen<br />
gilt, wo sie zulässig ist, sofern der Rechtsanwalt<br />
die Zielrichtung der Werbung auf diesen Ort, wo Mandanten<br />
angesprochen werden sollten, nachweist. Ein Indiz, das einen<br />
solchen Nachweis tragen kann, ist z. B. die Abfassung<br />
der Anwaltswerbung in einer Sprache mit begrenztem Verbreitungsgebiet<br />
65 . Der Sache nach ist dies nichts anderes als<br />
die Ermittlung eines Marktortes. Auf der Ebene des Internationalen<br />
Privatrechts hat eine Anknüpfung an diesen Ort bereits<br />
gut funktioniert, z. B. wenn festgestellt werden musste,<br />
an welchem nationalen Wettbewerbsrecht eine grenzüberschreitende<br />
Anwaltswerbung zu messen war 66 . Das Rechtsanwendungskriterium<br />
taugt seinem Inhalt nach aber auch<br />
zur Bestimmung von Aufgreifkriterien für die berufsverwaltungsrechtliche<br />
Beurteilung: Wenn gemäß Nr. 2.6.2. CCBE-<br />
Standesregeln die Nachweismöglichkeit des Anwalts über<br />
die Zielrichtung einer Werbung darüber entscheidet, ob das<br />
Berufsrecht den Sachverhalt aufgreift, so obliegt die Beibringung<br />
der relevanten Tatsachen dem, der als Unternehmer<br />
am besten über Zielrichtung und Umfang seiner Werbung<br />
Bescheid weiß: dem Anwalt selbst. Ist der von<br />
Nr. 2.6.2 CCBE-Standesregeln geforderte Nachweis geführt,<br />
so steht fest, dass das deutsche Recht zu der Werbemaßnahme<br />
schweigt, weil sie nicht in den internationalen<br />
Anwendungsbereich von § 43 b BRAO fällt. Gelingt der<br />
Nachweis nicht, ist der Weg zur Einleitung eines berufsaufsichtlichen<br />
Verfahrens frei. Eine solche Argumentation setzt<br />
allerdings voraus, dass eine verbindliche Rechtsanwendungsnorm<br />
des Internationalen Verwaltungsrechts zuvor<br />
eine Auswahl zwischen verschiedenen Berufsrechten trifft.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
Den nachrangig anwendbaren CCBE-Standesregeln allein<br />
kann eine solche Rechtsanwendungsnorm nicht entnommen<br />
werden.<br />
III. Internationales Öffentliches Recht der Rechtsberatung<br />
Die staatliche Regulierung der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />
wird in der deutschen Rechtsordnung dem Öffentlichen<br />
Recht zugeordnet, wobei diese Zuordnung in anderen<br />
Rechtskreisen oftmals ganz anders erfolgt, insbesondere mit<br />
Akzentsetzungen auf dem Vertrags- oder Verfahrensrecht 67 .<br />
In Deutschland dagegen muss das Recht der Anwaltstätigkeit<br />
– ebenso wie andere dem Öffentlichen Recht angehörige<br />
Rechtsmaterien – mit Denkzwängen fertig werden, die<br />
aus der immer noch verbreiteten Verwirrung um den Begriff<br />
„Internationales Öffentliches Recht“ 68 resultieren. Bevor<br />
man eine „Kollision verschiedener berufsrechtlicher Regelungen“<br />
69 ausmacht, muss daher entschieden werden, ob die<br />
öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Berufsordnungsrechts<br />
nicht jede Rechtsanwendungsfrage von vornherein ausschließt.<br />
Diese Frage ist zu verneinen. Sie bedeutet insbesondere<br />
nicht, dass es in der Rechtsberatung ein Internationales<br />
Öffentliches Recht nicht „geben“ könne.<br />
54 Joachim Gruber, MDR 1998, 1399, 1401.<br />
55 Association internationale sans but lucratif.<br />
56 Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107.<br />
57 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 180; Römermann/Hartung (Fn. 21),<br />
§ 59 Rn. 10.<br />
58 EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-309/99, NJW 2002, 877 = EuZW 2002, 172 m. Anm.<br />
Eichele 182 = JZ 2002, 453 m. Anm. Peter Schlosser = DVBl 2002, 464<br />
m. Anm. Andresen 685 = MDR 2002, 849 m. Anm. Kilian; zu diesem Urteil<br />
noch Römermann/Wellige, BB 2002, 633; Heike Lörcher, NJW 2002, 1092;<br />
Weil, BRAK-Mitt 2002, 50; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325, 339; Peter<br />
Schlosser, EuLF 2002 (D), 94, 99 f., 101; zu den Schlussanträgen des Generalanwalts<br />
Léger bereits Hans-Jürgen Hellwig, östAnwBl. 2002, 190, 192; ders.,<br />
BRAK-Mitt 2002, 52, 54; Rupert Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110; Vorlageentscheidung:<br />
Arr.Rb. Amsterdam v. 7.2.1997, Az. 96/1283 u. 96/2891 – n. v. –<br />
(Wouters et al. ./. Nederlandse Orde van Advocaten); zu dieser Entscheidung<br />
vgl. Kilian, NJW 2001, 326, 328 (Anm. 27).<br />
59 EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-35/99, EuLF 2002 (D), 111 = JZ 2002, 453 m. Anm.<br />
Peter Schlosser = EuZW 2002, 179 m. Anm. Eichele = DStR 2002, 652<br />
m. Anm. Hund = IStR 2002, 250; zu diesem Urteil Weil, BRAK-Mitt 2002,<br />
50, 52; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325, 338 ff.; Peter Schlosser, EuLF 2002<br />
(D), 94, 98 ff.; Vorlageentscheidung: Pretura di Pinerolo v. 15.1.1999 (Pret.<br />
Reynaud), EuLF 2000/01 (D), 149 m. Anm. Scassellati-Sforzolini; dazu Rupert<br />
Wolff, EuLF 2002 (D), 107, 110.<br />
60 Kilian, MDR 2002, 850; siehe auch Peter Schlosser, JZ 2002, 454, 455; Lausegger,<br />
WBl. 2002, 141, 144.<br />
61 Zur vergleichbaren Situation im Sportverbandsrecht unlängst Knöfel, SpuRt<br />
2002, 49, 51.<br />
62 Kilian, MDR 2002, 850 spricht unpräzise von „Normpyramide“, wodurch<br />
aber hierarchische Rangverhältnisse wie in § 29 Abs. 1 BerufsO nicht hinreichend<br />
zum Ausdruck kommen.<br />
63 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13), H Rn. 183.<br />
64 So noch Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1993, Anh. II 7<br />
(Anm. 1). Die Folgeauflagen des Werkes enthalten derartige Hinweise – soweit<br />
ersichtlich – nicht mehr.<br />
65 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 319 (Anm. 33).<br />
66 OLG Düsseldorf v. 19.10.1993, NJW 1994, 869 (Anwaltswerbung in den Niederlanden);<br />
zu diesem Urteil Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30),<br />
Rn. 1532; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, Einl<br />
UWG Rn. 184; im Übrigen BGH v. 15.11.1990, BGHZ 113, 11, 14 f. (Kauf im<br />
Ausland) = JZ 1991, 1038 m. Anm. Harald Koch = WuB IV E Art. 38<br />
EGBGB 1.91, 587 m. Anm. Thode = WRP 1991, 294 m. Anm. Paefgen 447=<br />
JuS 1991, 605 m. Anm. Hohloch = IPRax 1992, 45 m. Anm. Rolf Sack 24 =<br />
EWiR § 1 UWG 4/91, 297 m. Anm. Teske.<br />
67 Kötz, in:Kübler (Hrsg.), Anwaltsberuf im Wandel, Rechtspflegeorgan oder<br />
Dienstleistungsgewerbe, 1982, S. 79 f.; Kilian, WM 2000, 1366, 1372; Henssler/Streck-Kilian<br />
(Fn. 13), H Rn. 177; Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt<br />
2002, 52, 53 f.<br />
68 Zur Begriffskritik und -klärung einerseits v. Bar (Fn. 36), Rn. 242 ff.; andererseits<br />
Kegel/Schurig-Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Aufl. 2000, S. 130<br />
(§ 2 IV 1).<br />
69 Nerlich, in: Sozietätsrecht, 2000, § 31 Rn. 4; Kilian, WM 2000, 1366, 1372.
AnwBl 1/2003 7<br />
Aufsätze l<br />
Anwaltsrecht ist in Deutschland Öffentliches Recht;<br />
dasjenige Rechtsgebiet, das gemeinhin mit Kollisionsnormen<br />
arbeitet – das IPR – ist es nicht 70 . Die sich auftuende<br />
begriffliche Kluft ist aber ein Scheinproblem 71 . Bei seiner<br />
internationalen Tätigkeit gerät der Rechtsanwalt in Rechtsverhältnisse,<br />
v. a. zu Aufsichtsorganen, hinein, die sich<br />
nach nationalen Rechtssätzen richten 72 . Man kann es sich<br />
jedoch nicht so leicht machen anzunehmen, dass diese<br />
Rechtsverhältnisse, sobald sie in Deutschland als Öffentliches<br />
Recht gelten, stets bereits angeknüpft seien 73 . Die<br />
Frage, ob Öffentliches Recht – damit auch Berufsrecht –<br />
sich selbst anknüpft oder angeknüpft werden muss, ist wenig<br />
mehr als ein Sprachspiel: In beiden Fällen wird Berufsrecht<br />
angeknüpft. Als Eingriffsrecht benötigt daher jedenfalls<br />
auch das anwaltliche Berufsrecht Aufgreifkriterien für<br />
seine Anwendbarkeit 74 , die man – ähnlich wie im Internationalen<br />
Steuerrecht – auch „Grenznormen“ 75 nennen kann.<br />
Diese Aufgreifkriterien haben dafür zu sorgen, dass die jedenfalls<br />
„geltenden“ deutschen Rechtssätze – zugeschnitten<br />
auf den besonderen Auslandssachverhalt – entweder ausgedehnt<br />
76 oder zurückgenommen, jedenfalls aber sachgerecht<br />
angewendet werden 77 . Die vermeintliche Schwierigkeit,<br />
Berufseingriffsgesetze der Rechtsberatung als<br />
Anknüpfungsgegenstand von Kollisionsnormen zu behandeln,<br />
rührt somit nur daher, dass zum Zeitpunkt des Erlasses<br />
der Berufsordnungsgesetze von einer tatsächlich<br />
grenzüberschreitenden Rechtsberatungspraxis noch nicht<br />
die Rede sein konnte 78 . Die begriffliche Anbindung der<br />
Rechtsanwaltstätigkeit an das Öffentliche Recht bedeutet<br />
auf kollisionsrechtlicher Ebene nur noch einen Vorbehalt<br />
gegenüber mehrseitigen Anknüpfungsmodellen, jedoch keinen<br />
Vorbehalt gegenüber einer kollisionsrechtlichen Sichtweise<br />
überhaupt. Auch für die Rechtsberatung gibt es kein<br />
„öffentliches“ 79 oder gar „öffentlich-rechtliches Kollisionsrecht“<br />
80 , das darüber befinden könnte, welchen Staates<br />
öffentliches Recht anwendbar sei 81 . Natürlich wendet der<br />
Vorstand einer Rechtsanwaltskammer nur sein Amtsrecht –<br />
deutsches Recht – an; ebenso wie die Law Society einen<br />
Solicitor nur nach englischem Recht zur Verantwortung<br />
zieht 82 . Betont man daher die „Einseitigkeit“ des Internationalen<br />
Berufsverwaltungsrechts, so bedeutet dies nur, dass<br />
die zu bildenden Kollisionsnormen als Rechtsanwendungsrecht<br />
für die in Deutschland geltenden öffentlich-rechtlichen<br />
Berufsgesetze eben ausschließlich deren eigenen<br />
Anwendungsbereich abstecken 83 . Die internationale<br />
Rechtsberatung entbehrt solche Grenznormen noch; sie<br />
sind aber zu entwickeln 84 . Die zentrale an sie gerichtete<br />
Anforderung ist die der Berufsbezogenheit. Berufordnungsnormen<br />
für die Rechtsanwaltstätigkeit sind bei der Bestimmung<br />
ihrer internationalen Geltungsweite auf ihren<br />
absoluten Kernbereich zu reduzieren 85 , da die verfassungsrechtlichen<br />
Einstrahlungen der Berufsausübungsfreiheit 86<br />
auf jeder Normanwendungsebene, die den Anwalt als<br />
Rechtsunterworfenen behandelt, berücksichtigt werden müssen.<br />
IV. Einzelne Anknüpfungsmodelle<br />
Nachdem im Allgemeinen festgestellt werden konnte,<br />
dass auch das Anwaltsrecht eines Rechtsanwendungsrechts<br />
bedarf, da dieses bislang weder durch deutsches Recht noch<br />
durch Einheitsrecht bereitgestellt wird und auch nicht unter<br />
Hinweis auf die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Berufsrechts<br />
für überflüssig gehalten werden darf, sind die bisher<br />
für die grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit im Einzelnen<br />
vertretenen Anknüpfungsmodelle zu untersuchen. Ihnen<br />
fehlt bisher die Praktikabilität; berufsrechtlich gesprochen:<br />
die Berufsbezogenheit.<br />
1. Friedlaender: „Kollisionsrecht“ bei Doppelzulassungen<br />
a) Geschichtlicher Hintergrund<br />
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in<br />
ganz Europa zu Migrationsbewegungen großer Bevölkerungsteile.<br />
Unter den Vertriebenen befanden sich viele Anwälte87<br />
. Daran gehindert, in ihrem Heimatland den Anwaltsberuf<br />
weiterhin auszuüben, waren diese Anwälte<br />
gezwungen, in anderen Jurisdiktionen (darunter besonders<br />
häufig Großbritannien und die USA88 sowie Palästina/ Israel89<br />
) nach Existenz- und Praxismöglichkeiten zu suchen90 .<br />
Dies erforderte nicht selten äußerste persönliche Anstrengungen<br />
in Bezug auf die Sprache, das Rechtssystem und<br />
den rechtswissenschaftlichen Ausbildungsstand der Aufnahmeländer91<br />
. Unter Beachtung jeglichen Vorbehalts dagegen,<br />
der Emigration von Anwälten eine positive Sinnstiftung zu<br />
verleihen92 , brachte dieser Prozess einen in seiner internationalen<br />
Ausrichtung bisher nicht gekannten Personenkreis<br />
auslandserfahrener Rechtsanwälte hervor93 . Diese kann man<br />
durchaus als Ahnherren der modernen, global ausgerichte-<br />
70 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, S. 67; v. Bar (Fn. 36), Rn. 243;<br />
Heß, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 327 f.<br />
71 Eingehend Schurig (Fn. 70), 145 ff.<br />
72 Steuber, RIW 2002, 590.<br />
73 v. Bar (Fn.36), Rn. 252.<br />
74 Angedeutet bereits bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 2; dazu Max Friedlaender,<br />
JW 1923, 158; in heutiger Zeit Armbrüster, RIW 2000, 583, 585; Mankowski,<br />
AnwBl. 2001, 73; Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 219.<br />
75 Kluge, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2000, Rn. 5.<br />
76 Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 2.<br />
77 Für die nichtanwaltliche Rechtsbesorgung Mankowski, AnwBl. 2001, 73 ff.;<br />
ders., EWiR Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189, 190; ders., MDR 2001, 1310.<br />
78 In aller Deutlichkeit ausschließlich Mankowski, AnwBl. 2001, 73; ders.,<br />
EWiR Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189; siehe nun auch Budzikiewicz, IPRax<br />
2001, 218, 220 (Anm.12).<br />
79 BGH v. 16.4.1975, NJW 1975, 1220, 1222 (August Vierzehn). Kritik am Begriff<br />
„öffentliches Kollisionsrecht“ übt bereits Mann, FSEduard Wahl, 1973,<br />
S. 139, 153.<br />
80 So noch Staudinger-Blumenwitz, Art. 24–28 EGBGB a. F.; Art. 5, 6 EGBGB<br />
n. F., 12. Aufl. 1991, Art. 6 EGBGB n. F. Rn. 35, 39.<br />
81 So weiterhin Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68), S. 130 (§ 2 IV 1) trotz der eingehend<br />
begründeten Kritik bei v. Bar (Fn. 36), Rn. 242 ff.; siehe auch Münchener<br />
Kommentar zum BGB-Sonnenberger, X: Art. 1–38 EGBGB, IPR,<br />
3. Aufl. 1998, Einl IPR Rn. 395.<br />
82 Überblick bei Remmertz, ZVglRWiss 93 (1994) 202 ff.<br />
83 Allgemein v. Bar (Fn. 36), Rn. 250.<br />
84 Armbrüster, RIW 2000, 583, 585.<br />
85 Treffend Hartung/Holl-Römermann (Fn. 48), Berufsrechts- u. Werbe-ABC,<br />
Stichw. „Ausland, Werbung im“.<br />
86 Eingehend Zuck, FSKarlmann Geiß, 2000, S. 323 ff.; Depenheuer, FS 50 Jahre<br />
Bundesverfassungsgericht, II: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts,<br />
2001, S. 241 ff.<br />
87 Zu Gründen und Ausmaß der Verfolgung von Anwälten in der Zeit des Nationalsozialismus<br />
und der hiermit verbundenen Pervertierung des anwaltlichen<br />
Berufsrechts besonders Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871–1971,<br />
1971, S. 263 ff. u. ebd. 267 f.; Hartstang, Der deutsche Rechtsanwalt, 1986,<br />
S. 32 ff.; Sandrock, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 683, 684; Everling<br />
Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 10; zu Einzelschicksalen vgl. Hubert<br />
Lang, 63. DJT Leipzig, Beil. NJW 35/2000, 60 ff.; Abeßer, 51. DAT Berlin,<br />
Beil. NJW 19/2000, 36 ff. In der Vorkriegszeit findet sich ein an Deutlichkeit<br />
kaum zu überbietendes Bild von dem Gedankengut im anwaltlichen Berufsrecht,<br />
das diese Erscheinungen vorbereiten konnte, bei Feuchtwanger, Die<br />
freien Berufe, 1922, passim.<br />
88 Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht, 1998, S. 77 ff.<br />
89 Vgl. z. B. Küster, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 677 ff.; Buschbom<br />
NJW 1989, 1208 f., jeweils zum Lebensweg Walter Schwarz’.<br />
90 Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil, 1991, 110 ff.;<br />
Ladwig-Winters (Fn. 88), S. 77-82.<br />
91 Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 6.<br />
92 Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 211 f.<br />
93 Zahlreiche Beispiele bei Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 115 ff.
8<br />
l<br />
ten Anwaltstätigkeit betrachten 94 . Wo nun das Band eines<br />
solchen Anwalts zu seiner Heimatjurisdiktion nicht sofort<br />
oder nicht vollständig zerriss oder aber nach Beendigung<br />
des Krieges neu geknüpft wurde 95 , konnte es vorkommen,<br />
dass ein Anwalt zeitgleich mehrere Zulassungen in verschiedenen<br />
Jurisdiktionen besaß.<br />
Vor dem zeitlichen Hintergrund dieser Situation – und<br />
vorwiegend aus ihr heraus verständlich – hat im deutschsprachigen<br />
Schrifttum wohl zuerst Max Friedlaender den<br />
Begriff „Internationales Anwaltsrecht“ verwandt. In einem<br />
gleichnamigen Aufsatz hat Friedlaender dargelegt, dass<br />
dieser Begriff für eine Mehrheit nationaler Kollisionsrechtssätze<br />
stehe 96 . Die Orientierung Friedlaenders an Begrifflichkeiten,<br />
wie sie bis heute im IPR gebräuchlich (eigentlich:<br />
diesem vorbehalten) sind, ist unverkennbar. Nach<br />
deutschem internationalen Anwaltsrecht sei der Beruf als<br />
solcher den rechtlichen Regelungen am Ort der Niederlassung<br />
zu unterstellen 97 . Bei Mehrfachzulassung desselben<br />
Anwalts stelle sich ein Kollisionsproblem. Zu lösen sei es<br />
dadurch, dass sich die verwaltungsrechtliche Stellung des<br />
Anwalts nach dem Recht des Staates bestimme, dem die<br />
dem Anwalt übertragene Rechtssache zugehöre oder aber<br />
näher stehe als dem Recht eines anderen Staates 98 .<br />
b) Ausrichtung am Mandat traditionellen Zuschnitts<br />
Soweit ersichtlich, ist der gelegentlich zitierte 99 , indessen<br />
selten näher betrachtete Aufsatz Friedlaenders in der Praxis<br />
folgenlos geblieben. Er hat auch keine allgemein bekannte<br />
Begriffsprägung „Internationales Anwaltsrecht“ nach sich<br />
gezogen, so dass der gleichnamige Aufsatz von Zuck im<br />
Jahre 1987 100 durchaus als Novität gelten durfte. Sachlich<br />
empfindet man heute eher Unbehagen bei dem Vorschlag,<br />
dass die mangels fester Kriterien verschwommene Natur<br />
des Mandates bei der Bestimmung der verwaltungsrechtlichen<br />
Stellung des Anwalts zur Hilfe kommen soll.<br />
Schwierigkeiten bereitet besonders, dass nach Friedlaender<br />
die „Heimat“ des Mandates offenkundig als objektives Anknüpfungskriterium<br />
fungieren soll 101 . Zwar ist es im anwaltlichen<br />
Vertragsrecht auch heute gebräuchlich, bereits bei<br />
Mandatsannahme eine Vorausschau zu treffen, in welchem<br />
Land das Mandat voraussichtlich schwerpunktmäßig bearbeitet<br />
werden wird 102 . Die Antwort auf diese Frage dient –<br />
schon wegen ihrer Unwägbarkeit – allerdings nicht als objektives<br />
Anknüpfungskriterium, sondern als Steuerungselement<br />
dafür, möglichst die richtige Rechtswahl für den Anwaltsvertrag<br />
zu treffen 103 und so die objektive Anknüpfung<br />
gerade überflüssig zu machen 104 . Die Anknüpfung verwaltungsrechtlicher<br />
Fragen ist aber kein Rechtswahlproblem.<br />
Welchen Landes Disziplinaraufsicht der Anwalt unterliegt,<br />
kann er nicht wählen 105 . Soweit Friedlaender schließlich mit<br />
„Rechtskreisen“ 106 operiert, die darüber entscheiden sollen,<br />
ob das Mandat (und folglich die verwaltungsrechtliche Stellung<br />
des Rechtsanwalts) vorwiegend dem einen oder anderen<br />
Land angehöre, so ist heute Allgemeingut, dass die<br />
Frage nach „Rechtskreisen“ fast immer eine Quadratur derselben<br />
bedeutet. Für den Rechtsanwender gibt es sie<br />
schlichtweg nicht 107 . Friedlaenders Vorstellung vom „Internationalen<br />
Anwaltsrecht“ ist demnach in Zeiten zu Hause,<br />
die das anwaltliche Mandat noch als streng kontradiktorisches<br />
Rechtsverhältnis 108 (z. B. mit dem Mandanten in dem<br />
einen, dem Gegner oder dem Anwalt in einem anderen<br />
Staat) kannten. Wenn ein Anwalt aber heute z. B. eine<br />
Transaktion begleitet, die im Erwerb der weltweit verstreuten<br />
assets eines Unternehmens besteht 109 , hat das Mandat<br />
kein derart ausgewogenes „Zuhause“ 110 . Zusammenfassend<br />
lässt sich feststellen, dass sich der Ansatz Friedlaenders<br />
ungeachtet der Tatsache, dass sich die Aufsicht über<br />
Rechtsanwälte in Deutschland nach Öffentlichem Recht<br />
richtet, jedenfalls aus heutiger Sicht in einem so nicht passenden,<br />
aus dem Internationalen Privatrecht entlehnten Begriffssystem<br />
verliert.<br />
2. Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates kraft<br />
Gemeinschafts-Kollisionsnorm?<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
a) Gemeinschaftsrechtliche Grundlinien<br />
Nach derzeit wohl herrschender Ansicht soll das anwaltliche<br />
Berufsrecht des Herkunftsstaates im Kollisionsfalle<br />
zurücktreten 111 . Innerhalb der Gemeinschaft bestimme<br />
Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 77/249/EWG112 , dass der Rechtsanwalt<br />
die Standesregeln des Aufnahmestaats neben den<br />
ihm im Herkunftsstaat obliegenden Verpflichtungen einhält<br />
113 . Dies sei zugleich als Rücktrittsbefehl an das Recht<br />
des Herkunftsstaates im „Kollisionsfall“ 114 zu verstehen,<br />
und zwar deshalb, weil zugleich aus Art. 4 Abs. 4 Richtlinie<br />
77/249/EWG ein Gebot der Gleichbehandlung des im<br />
Aufnahmestaat dienstleistenden ausländischen Anwalts mit<br />
dem inländischen Anwalt folge115 . Ausweislich ihrer Begründung<br />
ist diese Auffassung gemeinschaftsrechtlich motiviert.<br />
Mit diesem Akzent ist sie auch durchaus noch aktuell,<br />
94 Vgl. Sandrock, FS 225 Jahre Verlag C.H.Beck, 1988, S. 683, 686, Stiefel/<br />
Mecklenburg (Fn. 90) S. 131 f.; Böhlhoff, BRAK-Mitt 2002, 13, 14, jeweils<br />
zu Lebenslauf und -leistung Ernst C. Stiefels.<br />
95 Eingehend Stiefel/Mecklenburg (Fn. 90), S. 119 f.<br />
96 Max Friedlaender, AnwBl. 1954, 1 ff.; zu ihm besonders Willandsen, NJW<br />
1989, 1128, 1129.<br />
97 Zuvor bereits Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 12; allerdings mit verwaltungsrechtlicher<br />
Akzentsetzung.<br />
98 Max Friedlaender, AnwBl. 1954, 1 ff.<br />
99 Z. B. bei Sieg (Fn. 37) S. 27; Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 223.<br />
100 Zuck, NJW 1987, 3033 ff.<br />
101 Hiergegen Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 59; ähnlich Henssler<br />
AnwBl. 1993, 541, 547.<br />
102 Mankowski, EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334.<br />
103 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1471 ff.<br />
104 Hans Stoll, IPRax 1983, 52, 55; Rolf A. Schütze, Deutsches Internationales<br />
Zivilprozessrecht, 1985, S. 79; Sieg (Fn. 37) S. 196, 199; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />
(Fn. 30), Rn. 1471; ders., AnwBl. 2001, 249, 253; ders.,<br />
EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334; ders., MDR 2001, 194, 198 (für<br />
den vergleichbaren Gutachterauftrag zur Ermittlung ausländischen Rechts).<br />
105 Ausdrücklich Sieg (Fn. 37) S. 189. Auch im U.S.-amerikanischen Berufsrecht<br />
sind subjektive Momente (z. B. die Vorstellung des Anwalts über das anwendbare<br />
Recht) grundsätzlich irrelevant, vgl. für das Recht von Florida Ibanez<br />
v. Florida Department of Business and Professional Regulation, Board<br />
of Accountancy, 512 U.S. 136 (1994); zu dieser Entscheidung Brugger, Einführung<br />
in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S. 166.<br />
106 Schon bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 9.<br />
107 v. Bar (Fn. 36), Rn. 123; vgl. auch Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung,<br />
3. Aufl. 1996, S. 72, die von einem „grobfingrigen Hilfsmittel“ sprechen; daneben<br />
gerade für öffentlich-rechtliche Rechtsmaterien zuletzt Grote, AöR<br />
126 (2001) 10, 14 ff.<br />
108 Deutlich bei Neumeyer, GA 64 (1917) 1, 15, 17.<br />
109 Geyrhalter, RIW 2002, 386 ff. Weitere Praxisbeispiele für die transnationale<br />
Anwaltstätigkeit modernen Zuschnitts bei Bastuck, WM 2000, 1091 sowie<br />
bei Gruson, RIW 2002, 596.<br />
110 Henssler, AnwBl. 1993, 541, 547; Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150<br />
(2001); Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 59; Wurster, AnwBl.<br />
2002, 316, 319.<br />
111 Maßgeblich Everling, Gutachten 58. DJT (1990) S. C 29 f.; zust. Henssler/<br />
Prütting-Schroeder/Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2; bloße Wiedergabe<br />
dieser Auffassung bei Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl.<br />
1997, Einl. Rn. 59–61; Henssler/Prütting-Eylmann (Fn. 39), Vorb. § 43<br />
BRAO Rn. 8; Büchting/Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3 Rn. 45; Feuerich/Braun-Feuerich<br />
(Fn. 4), § 27 EuRAG Rn. 2; zuvor bereits ähnlich Mauro/<br />
Weil, AnwBl. 1981, 128, 130.<br />
112 Vgl. oben Fn. 25.<br />
113 Adamson, Free Movement of Lawyers, 2. Aufl. London Dublin Edinburgh<br />
1998, S. 48; Ronald A. Brand, 17 J.L.& Com. 301, 313 (1998).<br />
114 Nerlich, in: Sozietätsrecht (Fn. 69), § 31 Rn. 4.<br />
115 Everling, Gutachten 58.DJT, 1990, S. C 29 f. (Anm. 66).
AnwBl 1/2003 9<br />
Aufsätze l<br />
da die von dieser Auffassung in Bezug genommenen, bei<br />
ihrem Aufkommen 116 bereits in § 3 Abs. 1 und 2 RADG<br />
umgesetzten Richtlinienbestimmungen heute nahezu unveränderten<br />
117 Niederschlag in § 27 EuRAG gefunden haben 118 .<br />
Angesichts des ausschließlich gemeinschaftsrechtlichen<br />
Einschlags dieser Meinung lässt sich bereits fragen, ob ihre<br />
Sichtweise aus dem Blickwinkel z. B. amerikanischer Anwälte<br />
nicht als unverbindliches Anwalts-Kollisionsrecht erscheint,<br />
das exklusiv für Gemeinschaftsanwälte gilt. Selbst<br />
wenn man die Bedenken daran zurückstellt, inwieweit ein<br />
so umgrenztes Internationales Anwaltsrecht überhaupt<br />
noch „international“ sei, überzeugt diese Auffassung nicht.<br />
Sie zieht aus der richtigen Beobachtung, dass die Richtlinie<br />
77/249/EWG die Dienstleistungen ausländischer Rechtsanwälte<br />
in den Mitgliedstaaten erleichtern sollte und hierbei<br />
auf nationale Berufsrechte stieß 119 , falsche Schlüsse.<br />
Diese Auffassung generiert Kollisionsnormen, für die es<br />
keine Rechtsgrundlage gibt und die der Anwalt vor allem<br />
auch nicht braucht. Eine sachgerechte Anwendung des jeweils<br />
„eigenen“ Verwaltungsrechts mit hierzu entwickelten<br />
Grenznormen des Internationalen Berufsverwaltungsrechts<br />
– die man durchaus auch als Internationales Öffentliches<br />
Recht betrachten kann, aber eben als einseitiges 120 – hilft<br />
ihm viel eher.<br />
b) Bestehen eines Gleichbehandlungsgebots<br />
Brüchig ist die Auffassung schon darin, dass sie nicht<br />
sagt, welche Norm denn den vermeintlich Rücktrittsbefehl<br />
an das Recht des Herkunftsstaates aussprechen soll. Eine<br />
solche Norm gibt es nicht 121 . Die diskutierte Meinung stützt<br />
sich hier ausschließlich auf ein allgemeines, aus Art. 4<br />
Abs. 2 und 4 Richtlinie 77/249/EWG herausgelesenes, zu<br />
Gunsten des ausländischen Anwalts anzuwendendes Gleichbehandlungsgebot<br />
122 . Fraglich ist schon, ob das Gemeinschaftsrecht<br />
überhaupt ein Gebot ausspricht, den ausländischen<br />
Anwalt unter allen Umständen ebenso wie den<br />
inländischen Anwalt zu behandeln. Hiergegen sprechen zunächst<br />
formelle Bedenken. Da die Berufsvereinigungen der<br />
Anwaltschaft in Europa über eine autonome Satzungskompetenz<br />
verfügen, kann und soll der europäische Gesetzgeber<br />
selbst keine dezidierten Vorgaben hinsichtlich der inhaltlichen<br />
Regelung des Berufsrechts treffen 123 . Berufsrechtliches<br />
Sekundärrecht der Gemeinschaft findet sich daher<br />
ausschließlich auf Grund deren Richtlinienkompetenz 124 ,<br />
während die Gesetzgebungsbefugnisse der Mitgliedstaaten<br />
im Übrigen unberührt bleiben 125 . Weiterhin ist auch die<br />
Sichtweise des EuGH, was den Gehalt von Art. 59 EGV angeht,<br />
eine andere: Gefordert wird grundsätzlich nicht die<br />
Gleichbehandlung einer Gruppe von Dienstleistenden (z. B.<br />
ausländische Anwälte) mit einer anderen (inländische Anwälte).<br />
Die Gewährung von Inländerbehandlung einerseits<br />
und die programmatischen Inhalte der Dienstleistung- und<br />
Niederlassungsfreiheit für Anwälte andererseits sind nicht<br />
identisch 126 . Anderenfalls bräuchte kein Mitgliedstaat seine<br />
Rechtsvorschriften, die die Dienstleistungserbringung regeln,<br />
inhaltlich auf den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit<br />
abzustimmen; vielmehr reichte es aus, den persönlichen<br />
Anwendungsbereich dieser Normen auszudehnen oder zu<br />
verengen. Stattdessen hebt der EuGH in ständiger Rechtsprechung<br />
hervor, dass nicht etwa eine so verstandene<br />
„Gleichbehandlung“ verlangt sei, sondern vielmehr der Abbau<br />
von die Dienstleistungstätigkeit erschwerenden Beschränkungen,<br />
und zwar ausdrücklich auch solcher, die für<br />
In- und Ausländer gleichermaßen gelten 127 . Entscheidend ist<br />
daher weniger eine komparativ geprägte als vielmehr eine<br />
qualitativ-wertende Sichtweise 128 . Daraus ist zutreffend gefolgert<br />
worden, dass auch der deutsche Gesetzgeber zur<br />
Gleichbehandlung in- und ausländischer Anwälte immer<br />
nur aufgerufen, nicht aber auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtet<br />
sein kann 129 .<br />
c) Reichweite eines Gleichbehandlungsgebots<br />
Selbst wenn man ein an die Zugehörigkeit zu der Personengruppe<br />
der „ausländischen Anwälte“ anknüpfendes<br />
Gleichbehandlungsgebot anerkennt 130 , kann es jedoch nicht<br />
den Inhalt haben, dass dem Recht am Ort der Tätigkeit des<br />
Anwalts der „Vorrang“ einzuräumen sei 131 . Wenn die Richtlinie<br />
77/249/EWG den Mitgliedstaaten überhaupt einen<br />
Gleichbehandlungsauftrag erteilt, kann jeder Mitgliedstaat<br />
diesen nur für das eigene Recht verwirklichen. Die Mitgliedstaaten<br />
können z. B. Normen des eigenen Rechts<br />
verändern oder abschaffen 132 , die sich für die Tätigkeit ausländischer<br />
Anwälte zuvor als fremdenrechtliche Beschränkungen<br />
auswirkten 133 . Bleiben solche Beschränkungen dennoch<br />
erhalten, kann das nationale Anwaltsrechts<br />
gemeinschaftsrechtswidrig sein. Dies ist kürzlich z. B. für<br />
die Vorschrift des bis zum 1.7.2002 fortgeltenden § 27<br />
Abs. 1 S. 3 EuRAG vertreten worden, die es dem europäischen<br />
Rechtsanwalt ansonsten verwehrt hätte, von der Abschaffung<br />
der Singularzulassung bei den Oberlandesgerich-<br />
116 Vgl. die Nachw. oben Fn. 111.<br />
117 Der wesentliche Unterschied von § 27 EuRAG gegenüber seiner Vorgängernorm<br />
in § 3 RADG besteht im Entfallen des Merkmals „Wohnsitz“ als Bezugspunkt<br />
für die Stellung des Rechtsanwalts, da inzwischen die vormals in<br />
§ 27 Abs. 1 BRAO geregelte Pflicht zur Wohnsitznahme im OLG-Bezirk der<br />
Zulassung entfallen ist (BGBl. 1994 I 2278); vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />
– Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen<br />
Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte,<br />
BR-Drs. 567/99, 80 [Zu § 27].<br />
118 Christian Berger, NJW 2001, 1530, 1531.<br />
119 Der EuGH nimmt die Normenhäufung offenkundig und ohne Diskussion hin,<br />
wenn er feststellt, der dienstleistende Rechtsanwalt habe „die Standesregeln<br />
so einzuhalten, wie sie im Aufnahmemitgliedstaat gelten“; vgl. EuGH v.<br />
19.1.1988 – Rs. C-292/86, Slg. 1988, I-111, I-137 Rn. 18 – Gullung/Conseil de<br />
l’ordre des avocats du barreau de Colmar et de Saverne.<br />
120 Oben III.<br />
121 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 61 Rn. 3.<br />
122 Everling, Gutachten 58. DJT (1990) S. C 29 (Anm. 66); siehe auch Büchting/<br />
Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3 Rn. 45.<br />
123 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 318; Fleischhauer, DNotZ 2002, 325; bereits<br />
Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 15.<br />
124 Kristian Fischer (Fn. 52) S. 40 f.<br />
125 EuGH v. 19.1.1988 – Rs. C-292/86, Slg. 1988, I-111, I-139 Rn. 28 – Gullung/<br />
Conseil de l’ordre des avocats du barreau de Colmar et de Saverne; Everling,<br />
Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 52; Hempel, Die rechtsberatenden Berufe im<br />
Europarecht, Wien 1996, S. 100.<br />
126 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 19 f.<br />
127 EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C-76/90, Slg. 1991, I-4221, I-4243 Rn. 12 – Säger;<br />
EuGH v. 9.8.1994 – Rs. C-43/93, Slg. 1994, I-3803, I-3823 Rn. 14 – Vander<br />
Elst; EuGH v. 28.3.1996 – Rs. C-272/94, Slg. 1996, I-1905, I-1920 Rn. 10 –<br />
Guiot; EuGH v. 12.12.1996 – Rs. C-3/95, Slg. 1996, I-6511, I-6537 Rn. 25 –<br />
Reisebüro Broede; EuGH v. 5.6.1997 – Rs. C-398/95, Slg. 1997, I-3091, I-<br />
3119 Rn. 16 – SETTG; EuGH v. 9.7.1997 – Rs. C-222/95, Slg. 1997, I-3899, I-<br />
3921 Rn. 18 – Parodi; EuGH v. 23.11.1999 – verb. Rs. C-369/96 u. C-376/96,<br />
Slg. 1999, I-8498, I-8513 Rn. 33 – Arblade u. a. = ZIP 1999, 2168 m. Anm.<br />
Däubler = EWiR Art. 59 EGV 1/2000, 79 m. Anm. Schaub = Rev.crit.dr.int.pr.<br />
89 (2000) 710 m. Anm. Fallon 728 = ZEuP 2001, 358 m. Anm.<br />
Krebber; dazu noch Kienle/Alexander Koch, DB 2001, 922, 925; für das<br />
Berufsrecht nur Pützer, FSWilli Weichler, 1997, S. 191, 194.<br />
128 Für den freien Kapitalverkehr nunmehr deutlich EuGH v. 4.6.2002 – Rs. C-<br />
367/98, EuZW 2002, 437, 440 – Kommission der EG/Portugiesische Republik.<br />
129 Römermann/Hartung (Fn. 21), § 58 Rn. 9.<br />
130 Aus der Rspr. offenbar LG Hamburg v. 18.3.1999, NJW-RR 2000, 510.<br />
131 So aber Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29.<br />
132 Zum gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit<br />
vgl. Albrecht Weber, NVwZ 1990, 1, 2; Wägenbaur, EuZW<br />
1991, 427, 429.<br />
133 östOGH v. 4.5.2000, ÖJZ 2000, 814 (EWR-RAG stellt vom Erfordernis der<br />
Eintragung in die Verteidigerliste frei; vgl. nun § 4 Abs. 1 östEuRAG,<br />
östBGBl. 2000 I Nr. 27, S. 133 f.). Überblicksweise zum Abbau von „Ausländerbeschränkungen“<br />
vgl. Kristian Fischer (Fn. 52) S. 62 ff.
10<br />
l<br />
ten zu profitieren 134 . Die Mitgliedstaaten können den<br />
dienstleistenden europäischen Anwalt aber auch durch die<br />
Gewährung einzelner Rechtsvorteile unterstützen, die im<br />
Interesse seines Mandanten ein der Vertretung durch einen<br />
einheimischen Anwalt entsprechendes Qualitätsniveau herstellen<br />
135 .<br />
Betrachtungen eines Mitgliedstaates mit dem Prüfungsziel,<br />
ob einheimische und dienstleistende europäische<br />
Rechtsanwälte in seinem eigenen Recht auch hinreichend<br />
„gleichstehen“, können aber niemals das Recht eines anderen<br />
Mitgliedstaates mit einbeziehen. Aus der Sicht des<br />
deutschen Gesetzgebers und der deutscher Rechtsanwender<br />
stehen ein deutscher und ein in Deutschland tätiger englischer<br />
Anwalt „gleich“, sobald sich beide mindestens an<br />
BRAO und BORA halten. Auch die Law Society bzw. das<br />
Solicitors Complaint Bureau entscheiden selbst, ob sie einen<br />
Solicitor für seine Tätigkeit in Deutschland disziplinieren136<br />
oder von ihren gesetzlich eingeräumten Aufsichtsbefugnissen<br />
über „registered foreign lawyers“ 137 Gebrauch<br />
machen 138 . Wollte der deutsche Gesetzgeber oder die<br />
Rechtsanwaltskammer hierüber befinden und im Interesse<br />
einer „Gleichbehandlung“ von sich aus das bereits angeknüpfte<br />
Rechtsverhältnis des Solicitors zu den genannten<br />
Aufsichtsorganen stören, wäre dies ein Eingriff in fremde<br />
Territorialhoheit139 . Der Grund hierfür ist, dass es im deutschen<br />
Recht keine Norm gibt, die sagt, wann ein englischer<br />
Anwalt gegen englisches Berufsrecht verstößt und in welchem<br />
Staat der Erde ein solcher Verstoß vorfallen muss, damit<br />
er zu Disziplinarmaßnahmen des englischen Aufsichtsorgans<br />
führt. Dass nur der legiferierende Staat den<br />
internationalen Anwendungsbereich seiner Gesetze festlegt,<br />
ist selbstverständlich 140 .<br />
d) Praktische Anwendung im Berufsrechtsfall<br />
aa) Kollision berufsrechtlicher Standards<br />
Dass es die von der hier diskutierten Auffassung postulierte<br />
„Kollisionsnorm“ eines Vorrangs des Rechts des Tätigkeitsstaates<br />
nicht nur nicht geben kann, sondern dass der<br />
Anwalt sie auch nicht braucht, lässt sich – wie stets – besondes<br />
gut an einem von dieser Auffassung angeführten,<br />
praktischen Beispiel zeigen. Die bereits diskutierte Kollisionsnorm<br />
bewirke im konkreten Fall, dass ein in Deutschland<br />
zugelassener Rechtsanwalt bei seiner Dienstleistungstätigkeit<br />
in England in derselben Weise mit seiner<br />
Fachkenntnis werben können wie ein englischer Solicitor,<br />
ohne dass ihn die deutsche Standesaufsicht belangen<br />
könne141 . „Anderes“ gelte nur, wenn die Werbung auch im<br />
Herkunftsstaat Auswirkungen habe 142 . Eingeschlagen werden<br />
soll nach dieser Ansicht offenbar folgender, am praktischen<br />
Beispiel zu verfolgender Prüfungsweg: Die Rechtsanwaltskammer<br />
erhält die Meldung eines Wettbewerbers,<br />
dass ein in England tätiges Mitglied dort auch werbe. Die<br />
Werbung bestehe darin, dass Mandanten und Nicht-Mandanten<br />
telefonisch und durch Drucksachen angesprochen<br />
und auf Erwerbsmöglichkeiten zum Verkauf stehender Unternehmen<br />
hingewiesen würden143 , wobei sich der Rechtsanwalt<br />
selbst besondere Fachkenntnisse im Bereich Mergers<br />
& Acquisitions (M & A) zuschreibe. 144<br />
bb) Lösung nach dem „Vorrang“ tätigkeitsstaatlichen<br />
Rechts<br />
Löst man den praktischen Berufsrechtsfall nach der wohl<br />
herrschenden Ansicht, die vom Rücktritt des herkunftsstaat-<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
lichen bzw. „Vorrang“ des tätigkeitsstaatlichen Rechts ausgeht<br />
145 , ergibt sich Folgendes: Bevor die Rechtsanwaltskammer<br />
§ 43 b BRAO prüft, fragt sie sich danach zunächst,<br />
welche Rechtsordnung das Verhalten regele. Nach der<br />
„Kollisionsnorm“ wäre das Recht des Tätigkeitsstaates,<br />
also englisches Recht anwendbar. Damit schließt die<br />
Rechtsanwaltskammer ihre Akten. Ihr Vertreter kann dem<br />
Wettbewerber des Anwalts schreiben, dass die Rechtsanwaltskammer<br />
nicht tätig werden könne, da der Rechtsanwalt<br />
nicht der deutschen Rechtsordnung unterstehe. Zuvor<br />
fragt er sich allerdings noch abschließend, ob die<br />
Werbung denn „Auswirkungen“ in Deutschland gehabt hat.<br />
Ist eine Kanzleibroschüre auch nach Deutschland gelangt?<br />
War ein englischer Adressat der Werbung mit deutschen<br />
Unternehmen verflochten, und hat er die vom Anwalt erfahrenen<br />
Erwerbsmöglichkeiten nach Deutschland mitgeteilt?<br />
Hat der Anwalt auf den erfolgreichen Abschluss einer<br />
der Geschäftsgelegenheiten, die ihm die Werbung<br />
eingetragen hat, auch in Deutschland aufmerksam gemacht,<br />
z. B. durch eine auch hier erhältliche Mandatreferenzliste?<br />
Die Rechtsanwaltskammer kann diese Fragen kaum verlässlich<br />
beantworten, da dies Aufklärungsmöglichkeiten voraussetzte,<br />
welche sie nicht hat und – in Ermangelung des<br />
„gläsernen“ Anwalts – auch nicht haben soll. Das Beispiel<br />
zeigt: Die vermeintliche „Kollisionsnorm“ funktioniert<br />
nicht, besonders nicht in ihrem Anspruch, eine an das IPR<br />
angelehnte kollisionsrechtliche Entscheidung zwischen der<br />
Anwendbarkeit verschiedener Rechtsordnungen herbeiführen<br />
zu wollen.<br />
cc) Lösung nach berufsbezogenen Internationalem<br />
Berufsverwaltungsrecht<br />
Anders fällt die Lösung aus, wenn man das Beispiel<br />
nach Internationalem Berufsverwaltungsrecht löst. Dieses<br />
leitet seine Grund-Kollisionsnorm – die Anwendbarkeit<br />
deutschen Rechts auf Personen, die als „Rechtsanwalt“ z. B.<br />
gegen § 43 b BRAO verstoßen können – aus der einfachen<br />
Frage nach der inländischen Zulassung ab146 . Bejahendenfalls<br />
prüft die Rechtsanwaltskammer auf die Meldung des<br />
Wettbewerbers wie selbstverständlich die BRAO, ohne sich<br />
um „Auswirkungen“ in Deutschland bekümmern zu müssen.<br />
134 Bereits oben II 1.; zu allem eingehend Henssler, JZ 2001, 337, 340.<br />
135 KG v. 21.9.2001, NStZ 2002, 52.<br />
136 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 53; zur englischen Berufsaufsicht<br />
besonders Mälzer, AnwBl. 1993, 481, 484; Remmertz, ZVglRWiss 93<br />
(1994) 202, 203 ff; Seneviratne, The Legal Profession: Regulation and the<br />
Consumer, London 1999, S. 124 f.<br />
137 Beispielsweise sind alle deutschen Gesellschafter von Lovells Boesebeck<br />
Droste zugleich „registered foreign lawyers“.<br />
138 Solicitors Act 1975, s 35, Sch 1, Pt I, para 1 (1) (c) ; Administration of Justice<br />
Act 1985, Sch 2, para 32; Courts and Legal Services Act 1990, Sch 14, Pt II,<br />
para 5 (Befugnisse der Law Society); Solicitors Act 1974, s 46; Administration<br />
of Justice Act 1985, Sch 2, para 16; Courts and Legal Services Act 1996,<br />
Sch 14, Pt II, para 15 (Befugnisse des Solicitors Disciplinary Tribunal); im<br />
Überblick vgl. Halsbury’s Statutes of England and Wales, Vol. 41, 4. Aufl.<br />
London 2000, S. 11.<br />
139 Aus der Sicht der Berufsaufsicht des Herkunftsstaates ebenso Henssler, ZEuP<br />
1999, 689, 709.<br />
140 Eichenhofer, FSGünther Jahr, 1993, S. 435, 451; Mankowski, AnwBl. 2001,<br />
73 (Anm. 9).<br />
141 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30. Die Beispiele Everlings werden<br />
unverändert übernommen von Kleine-Cosack (Fn. 111), Einl. Rn. 61.<br />
142 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 30.<br />
143 In England zulässig, vgl. Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 89; Mälzer,<br />
AnwBl. 1993, 481, 484; Henssler, AnwBl. 1993, 541, 548; Halsbury’s Laws<br />
of England, Vol. 44 (1) Solicitors, 4. Aufl. London 1995, para 492.<br />
144 Seitenverschieden formuliert findet sich das Beispiel auch bei Henssler<br />
AnwBl. 1993, 541, 548.<br />
145 Oben Fn. 111.<br />
146 Steuber, RIW 2002, 590.
AnwBl 1/2003 11<br />
Aufsätze l<br />
Die Geltung der BRAO steht dann allerdings unter dem<br />
Vorbehalt, dass der verwirklichte Lebenssachverhalt durch<br />
Grenznormen auch ihrem internationalen Anwendungsbereich<br />
zugewiesen sein muss. Oft existieren ausdrückliche<br />
Grenznormen noch nicht, da der (historische) Gesetzgeber<br />
bei der Setzung von Verwaltungsrecht, das die Rechtsberatung<br />
betrifft, ein den heutigen Verhältnissen entsprechendes<br />
Aufkommen auslandbezogener Sachverhalte nicht vorausgesehen<br />
hat 147 . Die Grenznorm wird daher häufig erst anhand<br />
der tatsächlichen Bedürfnisse der internationalen<br />
Rechtsberatung selbst zu bilden sein. Gerade im soeben<br />
erörterten Beispiel fällt es besonders leicht, den Inhalt einer<br />
solchen Norm zu ermitteln. Wie oben ausgeführt, stellt die<br />
Bestimmung in Nr. 2.6.2. der CCBE-Standesregeln klar,<br />
dass Werbung mit internationalen Bezügen als an einem<br />
Ort vorgenommen gilt, wo sie zulässig ist. Zweifel hieran<br />
kann der Rechtsanwalt selbst ausräumen, sobald er die Zielrichtung<br />
der Werbemaßnahme auf Mandanten an diesem<br />
Ort nachweist 148 . Da die Rechtsanwaltskammer bei ihrer<br />
von Amts wegen 149 wahrzunehmenden Berufsaufsicht verwaltungsrechtliche<br />
Maßstäbe zu beachten hat 150 , muss sie<br />
dem Rechtsanwalt ohnehin rechtliches Gehör gewähren<br />
und ihn vor Erlass einer Maßnahme von der erhobenen Beanstandung<br />
unterrichten. Bei dieser Gelegenheit dürfte es<br />
dem Rechtsanwalt nicht schwer fallen darzulegen, dass die<br />
Werbung für Mandanten im Auslande bestimmt war, wenn<br />
sich solches nicht schon aus dem Erscheinungsbild der Werbung<br />
(z. B. Abfassung in fremder Sprache 151 , erkennbarer<br />
redaktioneller Zuschnitt auf einen besonderen Markt) ergibt.<br />
Wenn sich die Rechtsanwendung nach derartigen Kriterien<br />
richtet, ist aber zu keinem Zeitpunkt fraglich gewesen,<br />
welche Rechtsordnung im Ganzen über die<br />
Wahrnahme der Berufsaufsicht entscheidet: das deutsche<br />
Berufsrecht als Amtsrecht der Rechtsanwaltskammer.<br />
Dies ist in der Folge allerdings sachgerecht angewandt<br />
worden. Letztlich entspricht der vorschlagene Prüfungsgang<br />
der wiederum seit Karl Neumeyer bekannten Beobachtung,<br />
dass das Berufsrecht am Tätigkeitsort gilt 152 ,allerdings<br />
nicht kraft einer diffusen<br />
Gemeinschafts-Kollisionsnorm, die angeblich Gleichbehandlung<br />
fordert, sondern nur unter der Voraussetzung,<br />
dass das Internationale Verwaltungsrecht nach seinen eigenen<br />
sachgerechten Kriterien auch auf diesen weist.<br />
3. Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates kraft<br />
„Sachnähe“?<br />
a) „Sachnähe“ überlagert rechtstechnische Kriterien<br />
Nahe bei der soeben abgelehnten Auffassung steht eine<br />
weitere Meinung, die grundsätzlich zum Recht des Tätigkeitsstaates<br />
kraft „Sachnähe“ gelangen will 153 . Diese Ansicht<br />
macht ihre Einordnung entweder in den Prüfungsgang<br />
eines eher an das IPR angelehnten Anwalts-Kollisionsrechts<br />
oder in den hier bevorzugten Weg eines Internationalen<br />
Berufsverwaltungsrechts mit Grenzkriterien besonders<br />
schwer. Sie meint, das Recht des Tätigkeitsstaates solle<br />
„zur Anwendung kommen“ 154 , ohne begrifflich festzulegen,<br />
auf welchem rechtstechnischem Wege dies denn geschehen<br />
soll. Schon deshalb ist die Ansicht abzulehnen. Ersichtlich<br />
um Modernität und „Praxisbezug“ bemüht, hat sie die ausdrücklich<br />
gemeinschaftsrechtliche Einkleidung der soeben<br />
diskutierten älteren Stellungnahmen 155 abgelegt. Nach dieser<br />
Ansicht geht es nicht mehr um Gleichbehandlung, sondern<br />
darum, was „sachgerecht“ sei, besonders bei der Behandlung<br />
von Interessenkonflikten156 .<br />
b) Mehrere Dimensionen von „Sachnähe“<br />
Die Einführung eines unbestimmten Rechtsbegriffs der<br />
„Sachnähe“ ist der Praxis aber nicht förderlich, sondern<br />
schädlich. Dass er keine brauchbaren Abgrenzungen generiert,<br />
zeigen schon die offenkundigen Formulierungsschwierigkeiten<br />
dieser Ansicht, wenn sie den von ihr befürworteten<br />
Rechtssatz aufstellt. Die Anwendung des Rechts des<br />
Tätigkeitsstaates scheine sachgerecht „auf Grund der größeren<br />
Sachnähe und der unmittelbaren Betroffenheit des<br />
Staats, in dem der Anwalt grenzüberschreitend tätig ist“ 157 .<br />
Man kann festhalten: Einen Staat, in dem der Anwalt<br />
„grenzüberschreitend“ tätig ist und der eine besondere<br />
Sachnähe zu der ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit aufwiese,<br />
gibt es nicht. Sonst wäre die Tätigkeit des Anwalts<br />
nicht „grenzüberschreitend“. Wer wollte behaupten, die Arbeit<br />
des englischen Anwalts, der auf Grund seines Expertenwissens<br />
in das deutsche Büro seiner internationalen Beratungsgesellschaft<br />
geholt wird158 – z. B. um ein IPO in<br />
Frankfurt zu betreuen – weise nun gar keine „Sachnähe“ zu<br />
seiner Heimatrechtsordnung mehr auf? Auch im Mandat arbeitet<br />
der englische Anwalt eben „wie ein Solicitor“, nicht<br />
wie ein deutscher Rechtsanwalt. Sonst brauchte man ihn in<br />
Frankfurt nicht159 . Man holt den englischen Anwalt, damit<br />
der Frankfurter Mandant die Vorteile des „one-stop-shopping“<br />
genießen kann, nämlich ebenso sachgerecht und professionell<br />
vertreten wird, als wenn er von sich aus – unter<br />
Inkaufnahme eines grenzüberschreitenden Mandatsverhältnisses<br />
– einen Solicitor beauftragt hätte. Sachnähe besteht<br />
demnach gerade zu allen beteiligten Rechtsordnungen.<br />
c) Mehrdimensionalität in der „multistate practice“<br />
Besonders deutlich zeigt dies ein Blick auf das Anwaltsrecht<br />
der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten zur „multistate<br />
practice“ 160 : Die Mehrdimensionalität und Sachnähe<br />
zu allen Rechtsordnungen, die der Anwalt bei Wahrnahme<br />
eines grenzüberschreitenden Mandats berührt, ist dort längst<br />
erkannt. Die Tätigkeit der dortigen Gerichte kreiste bisher<br />
darum, einer der berührten Dimensionen von „Sachnähe“<br />
den Vorrang vor den anderen zuzuweisen. Diskutiert wurden<br />
auch dort zunächst der Ort der anwaltlichen Leistungs-<br />
147 Mankowski, AnwBl. 2001, 73; ders., Art. 1 § 1 RBerG 2/2000, 189, 190; siehe<br />
auch Armbrüster, RIW 2000, 583, 585.<br />
148 Näher oben II 2.<br />
149 Adolf Friedlaender/Max Friedlaender-Adolf Friedlaender, Kommentar zur<br />
Rechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878, 3. Aufl. 1930, § 49 Rn. 5; Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung,<br />
1976, § 74 Anm. 6; Messer, FS Gerd Pfeiffer,<br />
1988, S. 973, 978; Kleine-Cosack (Fn. 111), § 74 BRAO Rn. 4; Tettinger,<br />
Kammerrecht, 1997, S. 138; Feuerich/Braun-Feuerich (Fn. 4) § 74 BRAO<br />
Rn. 20; Prütting, AnwBl. 1999, 361, 365.<br />
150 Kleine-Cosack (Fn. 111), Einl Rn. 22; Prütting AnwBl. 1999, 361; siehe<br />
auch BGH v. 18.6.2001, NJW-RR 2001, 1642; AnwG Hamm v. 25.8.1999,<br />
MDR 2000, 55 m. Anm. Hartung; für das Zulassungsverfahren der Landesjustizverwaltung<br />
ferner § 36 a BRAO.<br />
151 Wurster, AnwBl. 2002, 316, 319 (Anm. 33).<br />
152 Bereits Neumeyer, ZStW 23 (1903) 436, 444 [für Ärzte, Geistliche].<br />
153 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders. WM 2000, 1366, 1372.<br />
154 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders. WM 2000, 1366, 1372.<br />
155 Besonders Mauro/Weil, AnwBl. 1981, 128, 130; Everling, Gutachten 58.<br />
DJT, 1990, S. C 29, 30.<br />
156 Kilian, WM 2000, 1366, 1372.<br />
157 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366, 1372.<br />
158 So das Beispiel von Kilian, WM 2000, 1366, 1372.<br />
159 In diese Richtung Mankowski, AnwBl. 2001, 249, 253 für einen europäischen<br />
Anwalt, der in den USA bei Transaktionen nach europäischem Recht<br />
beraten soll.<br />
160 Ausführlich unten V.
12<br />
l<br />
erbringung 161 sowie der Sitz des Mandanten 162 . Neuerdings<br />
entwickelt sich die Bildung von Grenznormen, die das Anwaltsberufsrecht<br />
eines Bundesstaates von dem eines anderen<br />
abgrenzen, jedoch weiter 163 : Der Auswahlprozess zwischen<br />
verschiedenen lokalen Anknüpfungsmomenten<br />
weicht einer qualitativ betonten Sichtweise 164 , die den Akzent<br />
allein auf die sachgerechte und professionelle Vertretung<br />
des Mandanten legt 165 . Dieser begrüßenswerte Ansatz<br />
hat den entscheidenden Vorteil, Anreizkonsequenzen für<br />
Anwälte nach sich zu ziehen, die eine professionelle internationale<br />
Vertretung kraft ihrer Größe tatsächlich gewährleisten<br />
können, dagegen diejenigen Berufsvertreter zu Recht<br />
vom internationalen Geschäft fern zu halten, die dies nicht<br />
vermögen. Er bedeutet aber nichts anderes, als dass man es<br />
aufgibt, eine lokale, kollisionsrechtlich betonte „Anknüpfung“<br />
vorzunehmen. Die „Heimat“ des internationalen<br />
Mandats wird ausschließlich in seiner für Anwalt und Mandant<br />
zufrieden stellenden Durchführung gesucht. Natürlich<br />
darf sich eine solche Sichtweise nicht von der alltäglichen<br />
Pflicht des Rechtsanwenders trennen, unter Kriterien zur<br />
Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs von<br />
Berufsordnungsgesetzen zu subsumieren. Dem Rechtsanwender<br />
sind daher Rechtssätze – wie oben gezeigt, z. B.<br />
Nr. 2.6.2 CCBE Code of Conduct – als verwaltungsrechtliche<br />
Grenznormen zur Seite zu stellen. Man mag noch so<br />
vehement hervorheben, dass die CCBE-Standesregeln generell<br />
166 oder jedenfalls internrechtlich 167 unverbindlich seien;<br />
oder in diesem Kodex gar den bedeutungslosen Ausdruck<br />
eines konservativen Grundkonsenses europäischer Anwaltschaften<br />
vermuten 168 . Rechtsgründe sprechen dennoch nicht<br />
dagegen, aus seinem Kernbestand sonst schmerzlich vermisste<br />
Grenznormen herauszufiltern. Die pauschal auf die<br />
„Sachnähe“ des Tätigkeitsstaats verweisende Auffassung 169<br />
hingegen gestattet dem Aufsichtsorgan, ganz ohne rechtsstaatlich<br />
verlässliche Rechtssätze zu seinem Rechtsanwendungsergebnis<br />
zu gelangen. Dies sollte der deutsche<br />
Rechtsanwalt angesichts seiner Grundrechtsposition aus<br />
Art. 12 GG und seinem Recht darauf, dass nur gesetzmäßige<br />
Aufsicht über ihn ausgeübt wird, nicht hinnehmen.<br />
d) Keine „Betroffenheit“ des Tätigkeitsstaats<br />
Noch weiteres spricht gegen die diskutierte Ansicht<br />
vom Vorrang des „sachnäheren“ Rechts. Wie soeben wiedergegeben,<br />
hält sie neben der „Sachnähe“ auch noch die<br />
„unmittelbare Betroffenheit“ des Tätigkeitsstaates für ausschlaggebend<br />
170 . Auch diese Formulierung ist gefährlich. In<br />
sich trägt sie bereits die höchst fragliche Abgrenzung zur<br />
„mittelbaren“ Betroffenheit, damit zu Fällen, die sich eben<br />
nicht auf den ersten Blick dem Territorium eines bestimmten<br />
oder überhaupt irgendeines Tätigkeitsstaates zuschreiben<br />
lassen. Man denke sich den Frankfurter Anwalt, der<br />
sich als einer aus einer Hand voll internationaler Experten<br />
auf das Claims Management und die Engineeringverträge<br />
für Ölbohrgesellschaften spezialisiert hat. Er übernimmt die<br />
baubegleitende Rechtsberatung u. a. für Bohrinseln auf hoher<br />
See, die er gelegentlich auch aufsucht. Die im Baumandat<br />
notwendige Korrespondenz führt er in Englisch; von<br />
ihm gefertigte und gelegentlich vor norwegischen Gerichten<br />
eingereichte, auf NKR lautende Klageschriften werden<br />
in Deutsch geschrieben und bei Fertigstellung ins Norwegische<br />
übersetzt. Sind seine Bezüge zum Tätigkeitsstaat stark<br />
genug, um zur „unmittelbaren Betroffenheit“ eines Staates<br />
zu führen; gibt es überhaupt einen Tätigkeitsstaat? 171 Hier<br />
begegnet das Problem der Dislozierung anwaltlicher Tätigkeit<br />
ganz greifbar auf Grund geographischer „weißer Fle-<br />
cken“. Die Meinung, wonach der modernen Anwaltstätigkeit<br />
irgendein Staat, und sei es der Tätigkeitsstaat,<br />
„sachnäher“ sei, kann nicht recht erklären, mit welcher Berechtigung<br />
sie die kompetente und sachgerechte Vertretung<br />
durch den Anwalt an allen beteiligten Orten ignoriert 172 .<br />
Helfen kann hier nur die Wahrnahme einer Berufsaufsicht<br />
durch den Staat, den es angeht, und zwar nicht kraft<br />
einer verschwommenen „Sachnähe“, sondern deshalb, weil<br />
ansonsten der Mandant im Einzelfall nicht sachgerecht vertreten<br />
wäre. Hierüber entscheidet aber nicht der vom Tätigkeitsstaat<br />
selbst nach freiem Belieben definierte Grad der<br />
Betroffenheit dieses Staates in den Gradstufen „unmittelbar“<br />
oder „mittelbar“, sondern Recht, und zwar sein eigenes,<br />
durch Grenznormen um internationale Bezüge erweitertes<br />
Berufsverwaltungsrecht. Schließlich legt die Floskel<br />
von der „Betroffenheit“ 173 noch die Annahme nahe, der die<br />
Berufsaufsicht über einen Rechtsanwalt ausübende Staat<br />
habe gleichsam subjektive Rechtspositionen, in denen er<br />
„betroffen“, d. h. subjektiv-rechtlich beeinträchtigt werde.<br />
Diejenigen Organe der in Deutschland mittelbaren Staatsverwaltung,<br />
welche die Aufsicht über Rechtsanwälte ausüben,<br />
handeln aber nicht auf Grund staatlicher Rechte oder<br />
Ansprüche, sondern in einem zum Gemeinwohlbelang erhobenen<br />
Interesse des rechtssuchenden Publikums an unverzichtbaren<br />
Mindeststandards einer funktionsfähigen Rechtspflege<br />
174 . Berufsordnungsgesetze sind niemals Selbstzweck,<br />
der schon bei „Betroffenheit“ eines Staates zu verfolgen<br />
wäre, sondern der Staat verwirklicht in ihnen ausschließlich<br />
im Allgemeininteresse ein Ordnungselement, das die ständige<br />
Standes- und Berufsaufsicht rechtfertigt 175 . „Sachnähe“<br />
und „unmittelbare Betroffenheit“ sind demnach keine tauglichen<br />
Kriterien zur Lösung von „Kollisionsfällen“ 176 .<br />
4. Vorrang des strengeren Rechts?<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
a) Meinungsspektrum<br />
Eine offenbar vereinzelt vertretene, abweichende Ansicht<br />
bezieht sich vorwiegend auf die Niederlassung europäischer<br />
Rechtsanwälte in einem anderen Mitgliedstaat der Europäi-<br />
161 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P.2d 1,<br />
5, 11 (Cal. 1998), cert. den., 525 U.S. 290, 119 S.Ct. 291; zu dieser Entscheidung<br />
Ronald A. Brand 34 VandJTL 1135, 1148 ff. (2001).<br />
162 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998); ähnlich<br />
der Standpunkt der American Bar Association; vgl. Memorandum to Bar<br />
Leaders from Harriet E. Miers, Chair Commission on Multijurisdictional<br />
Practice v. 1.11.2000; zu beiden Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1151 f.<br />
(2001).<br />
163 Eingehend unten V.<br />
164 Fought & Co. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P.2d 487, 497 (Haw.<br />
1998); daneben grundlegend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />
(2001).<br />
165 Vgl. § 43 S. 1 BRAO: „Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben.“<br />
166 Hempel (Fn. 125), S. 56.<br />
167 Joachim Gruber, DZWir 1997, 461, 463; a. A. für Frankreich CA Bordeaux<br />
2.10.1990, Gaz.Pal. 1991 (109/110) S. 23 m. Anm. Gardera; zu dieser Rspr.<br />
Joachim Gruber, BRAK-Mitt 1991, 195 f.<br />
168 Kleine-Cosack (Fn. 64), Anh. II 7 (Anm. 1).<br />
169 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183.<br />
170 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366, 1372.<br />
171 Zur Behandlung derartiger Fälle im Internationalen Privatrecht nur Kegel/<br />
Schurig-Schurig (Fn. 68), S. 17 f. (§ 1 IV 2 a).<br />
172 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150 (2001).<br />
173 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183.<br />
174 Beispiel: BGH v. 24.11.1997, MDR 1998, 244: Unverzichtbare Vermögenshaftpflicht<br />
eines deutschen Rechtsanwalts auch bei Kanzleieinrichtung nur<br />
im Ausland.<br />
175 Walter Schwarz, AnwBl. 1955, 222, 224.<br />
176 So aber Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183; ders., WM 2000, 1366,<br />
1372.
AnwBl 1/2003 13<br />
Aufsätze l<br />
schen Union. Sie wird aber auch in allgemeineren Zusammenhange<br />
als Gegenposition zu der oben unter 2. behandelten<br />
Meinung vom Vorrang des Rechts des Tätigkeitsstaates<br />
genannt 177 und geht davon aus, dass im Kollisionsfalle mehrerer<br />
Berufsrechtsordnungen dem jeweils strengeren Recht<br />
der Vorrang gebühre 178 . Eine solche „Kollisionsnorm“ wird<br />
im Schrifttum gelegentlich auch noch einer anderen<br />
Stimme zugeschrieben 179 , die bei näherem Hinsehen allerdings<br />
vernachlässigt werden kann. Diese Meinung engt ihre<br />
eigene Tragweite stark ein. Die Anwendung des strengeren<br />
Rechts sei nur bei internationaler Prozesstätigkeit des Anwalts<br />
rechtlich bindend, im Falle außergerichtlichen Tätigwerdens<br />
schulde der Anwalt dem strengeren Recht lediglich<br />
auf sittlicher Ebene die Beachtung seiner<br />
Grundlinien 180 . Wie oben ausgeführt, ist klassische Prozesstätigkeit<br />
für die moderne Berufstätigkeit der internationalen<br />
Anwaltssozietäten aber von marginaler Bedeutung 181 .<br />
Allein die Tätigkeit im transnationalen Schiedsverfahren<br />
hat noch originären Prozessbezug; sie ist aber ganz eigener<br />
Natur und auf hohem Niveau ohnehin Wenigen vorbehalten<br />
182 . Das U.S.-amerikanische Recht zweifelt sogar daran,<br />
ob die anwaltliche Tätigkeit im Schiedsverfahren überhaupt<br />
noch als „practice of law“ gelten könne 183 .<br />
b) Mandantenschutz?<br />
Auch die zuerst genannte Ansicht, dass das strengere<br />
Berufsrecht Vorrang habe184 , ist allerdings nicht eingehend<br />
begründet worden. Vermuten kann man, dass sie der von<br />
Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 77/249/EWG prima facie geschaffenen<br />
Verdopplung von Berufsrechten abhelfen soll: Der Vertreter<br />
dieser Meinung hatte die genannte Bestimmung bereits<br />
zuvor als wenig integrationsfreundlich bezeichnet185 .<br />
Die vorgeschlagene Wahlentscheidung zwischen Berufsrechten<br />
fällt allerdings fehlerhaft aus. Zunächst gerät der<br />
Hinweis, der Vorrang des strengeren Rechts auch bei der<br />
Niederlassung sei einer Art Angleichung an die Regelung<br />
der Dienstleistungstätigkeit geschuldet186 , in Widerspruch zu<br />
der auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wohl herrschenden,<br />
oben bereits diskutierten Ansicht187 . Wie bereits ausgeführt,<br />
leitet sich diese unmittelbar aus den Bestimmungen der<br />
Richtlinie 77/249/EWG ab188 und will für die Dienstleistungstätigkeit<br />
gerade nicht das strengere Recht bevorzugen,<br />
sondern das Recht des Herkunftsstaates im Kollisionsfall<br />
zurücktreten lassen. Selbst wenn man die Meinung aus ihren<br />
nicht ganz klaren gemeinschaftsrechtlichen Implikationen<br />
herauslöst, überzeugt sie nicht. Sie will die „Kompetenzzuteilung“<br />
korrigieren, nämlich dann eingreifen,<br />
wenn die Annahme eines Mandates in einem Staat, die<br />
überwiegende Bearbeitung indessen in einem anderen Staat<br />
erfolge189 . Damit es bei der „Mandatsabwicklung“ keine<br />
Schwierigkeiten gebe, solle das strengere Berufsrecht gelten190<br />
. Zunächst sei festgestellt: Wer meint, internationale<br />
Mandate moderner Prägung könnten „abgewickelt“, also offenbar<br />
in den Dreiklang von Mandatsannahme, kurzer Bearbeitung<br />
und Einzug der Honorarforderung aufgeteilt werden,<br />
irrt sich. Der im internationalen Transaktionsgeschäft tätige<br />
Anwalt übernimmt nicht selten einen Großteil der unternehmerischen<br />
Tätigkeit seines Transaktionsmandanten, und<br />
zwar von der Kognition geschäftserheblicher Tatsachen über<br />
alle Stufen der Transaktionsanbahung bis hin zu Vertragsabschluss<br />
und -betreuung. Eine herkömmliche „Mandatsabwicklung“<br />
ist hiervon weit entfernt. Hinter der diskutierten<br />
Ansicht steht aber offenbar ein Schutzgedanke zu<br />
Gunsten des Mandanten. Nur er (nicht etwa das nationale<br />
Organ der Berufsaufsicht!) kann als diejenige Partei des<br />
Mandatsvertrages, die man für strukturell schwächer hält 191 ,<br />
zugleich Profitträger eines Günstigkeits- bzw. Ungünstigkeitsvergleichs<br />
sein 192 , der ein Berufsrecht aus mehreren als<br />
das für den Anwalt „strengere“ identifiziert. Wo immer<br />
man im Kollisionsrecht versucht, das „strengere“ oder „ärgere“<br />
Recht zu ermitteln, stößt man allerdings stets auf die<br />
Schwierigkeit, dass in dem einen Punkt die eine, in einem<br />
anderen Punkt aber die andere Rechtsordnung die „ärgere“<br />
sein kann 193 .<br />
c) Maximale Berufsrechtsbeschwer als Ergebnis einer<br />
Alternativanknüpfung<br />
Wollte man aus der diskutierten Ansicht Hensslers 194<br />
dennoch eine Kollisionsnorm formulieren, lautete sie so:<br />
„Der Anwalt wird diszipliniert, wenn seine Tätigkeit entweder<br />
gegen das Ortsrecht der anwaltlichen Tätigkeit oder<br />
gegen das Geschäftsrecht des Anwaltsvertrages verstößt“.<br />
Im Wege einer alternativen Anknüpfung 195 erhielte man<br />
dann ein Maximum an Berufsrechtsbeschwer für den international<br />
tätigen Rechtsanwalt. Dies wäre nicht akzeptabel.<br />
Auf der kollisionsrechtlichen Ebene kann das Anliegen eines<br />
Mandantenschutzes nicht verwirklicht werden.<br />
aa) Kein Mandantenschutz durch internes Anwaltsrecht<br />
Folgte man Hensslers Kollisionsnorm vom Vorrang des<br />
strengeren Rechts, so erhielte der Mandant bei grenzüberschreitender<br />
Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses ein<br />
Schutzniveau, welches ihm das interne Anwaltsrecht ausdrücklich<br />
versagt. Die deutsche Rechtsordnung hält es<br />
nämlich gerade nicht für notwendig, den Mandanten neben<br />
seinen vertragsrechtlichen Rechtspositionen gegen den<br />
Rechtsanwalt, die aus dem Mandatsverhältnis folgen, auch<br />
noch mit einem Individualschutz kraft öffentlich-rechtlichem<br />
Berufsrecht auszustatten. Nach allgemeiner Meinung<br />
besteht kein subjektives öffentliches Recht bzw. kein<br />
Anspruch des Mandanten gegen die Rechtsanwaltskammer<br />
177 Henssler/Streck-Kilian (Fn. 13) H Rn. 183 (Anm. 2 a. E.).<br />
178 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709; ähnlich zuvor Skarlatos, LIEI 1991/1, 49,<br />
56.<br />
179 Henssler/Prütting-Schroeder/Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2 (Anm. 2).<br />
180 Skarlatos, LIEI 1991/1, 49, 56: „It should be noted that this deference to the<br />
more restrictive rule is, in the case of representation, mandatory, but in the<br />
case of all other activities, it applies only to the extent of giving respect to<br />
the general principles of these rules.“<br />
181Oben II 1.<br />
182 Böhlhoff, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 153.<br />
183 Williamson, P.A. v. John D. Quinn Constr. Corp., 537 F. Supp. 613 (S.D.N.Y.<br />
1982); Dissenting Opinion Kennard J. i. S. Birbrower, Montalbano, Condon<br />
& Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1 (Cal. 1998).<br />
184 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />
185 So nämlich Henssler, AnwBl. 1996, 353, 354.<br />
186 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />
187 Everling, Gutachten 58. DJT, 1990, S. C 29 f.; Henssler/Prütting-Schroeder/<br />
Federle (Fn. 39), § 3 RADG Rn. 2; nur beschreibend Kleine-Cosack<br />
(Fn. 111), Einl. Rn. 59-61; Büchting/Heussen-Heike Lörcher (Fn. 52), H 3<br />
Rn. 45; zuvor bereits ähnlich Mauro/Weil, AnwBl. 1981, 128, 130.<br />
188 Oben IV 2a.<br />
189 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />
190 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />
191 Offenbar Steuber, RIW 2002, 590, 595.<br />
192 Zu dieser Stoßrichtung eines „Günstigkeitsprinzips“ im IPR nur Christian<br />
Schröder, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Privatrecht, 1996,<br />
S. 101 ff.<br />
193 Für das Internationale Eherecht z. B. Henrich, IPRax 1993, 236, 237; Staudinger-v.<br />
Bar/Mankowski, Art. 13–18 EGBGB; Anh zu Art. 13 EGBGB;<br />
Anh. I–II zu Art. 18 EGBGB, 13. Bearb. 1996, Art. 13 EGBGB Rn. 446; siehe<br />
auch v. Bar (Fn. 36), Rn. 553.<br />
194 ZEuP 1999, 689, 709.<br />
195 Hierzu v. Bar (Fn. 36), Rn. 564 ff.; Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68) S. 272<br />
(§ 6 IV).
14<br />
l<br />
auf Einschreiten gegen den Rechtsanwalt im Wege der Berufsaufsicht<br />
196 . Will der Mandant gegen seinen Rechtsanwalt<br />
Rechte geltend machen, muss er sich vornehmlich<br />
zivilrechtlicher Rechtsbehelfe bedienen (Anwaltshaftung,<br />
Erfüllungsverweigerung der Honorarforderung, Aufrechnung<br />
gegen diese etc.). Tut er dies erfolgreich, verwirklicht<br />
sich Mandantenschutz dort, wo er sinnvoll ist: bei nicht berufsmäßigem,<br />
unprofessionellem und damit haftungsauslösendem<br />
Verhalten des Anwalts. Das anwaltliche Berufsrecht<br />
als solches dagegen steht dem Mandanten ebenso wenig zur<br />
Seite, wie es seiner Disposition unterliegt. Zu Recht hat<br />
auch Henssler 197 eine Entscheidung des VG Schleswig kritisiert,<br />
das die Frage der inländischen Berufsaufsicht über einen<br />
Rechtsbeistand (zugleich „juridisk konsulent“ in Dänemark)<br />
von der Einwilligung des Mandanten abhängig<br />
gemacht hatte 198 . Anwaltliches Berufsrecht und die Rechteoder<br />
Pflichtenstellung des Mandanten haben eben auf primärer<br />
Ebene nichts miteinander zu tun. Um für den Mandanten<br />
oder einen Dritten rechtlich nutzbar zu sein, muss<br />
die berufsrechtliche Norm erst Aufnahme und Anerkennung<br />
in einer „Transportnorm“ 199 des Zivilrechts finden. Diese<br />
eindeutige Feststellung – dass das Öffentliche Berufsrecht<br />
für sich genommen Desinteresse am Individualschutz des<br />
einzelnen Mandanten hat – darf nicht auf einer der Rechtsanwendung<br />
vorgelagerten Ebene geändert werden. Mit<br />
Hensslers Auffassung 200 wäre eben dies der Fall, wenn man<br />
bereits bei der „Kollisionsfrage“ aus mehreren berührten<br />
Berufsrechtsordnungen die jeweils „strengere“ bzw. den<br />
Mandanten am meisten schützende Rechtsordnung auswählte.<br />
Wer so vorgeht, arbeitet nicht anerkennenswert kollisionsrechtlich,<br />
sondern rein ergebnisorientiert, indem er<br />
offenkundige Parteiinteressen in vermeintliche Staatsinteressen<br />
am Schutz dieser Parteien transponiert 201 . Man muss<br />
sich auch fragen, wie man diese Staatsinteressen – falls sie<br />
überhaupt bestehen – legitim durchsetzt. Ein wesentlicher<br />
Einwand gegen die Birbrower-Rechtsprechung des California<br />
Supreme Court 202 , wonach kalifornisches Anwaltsberufsrecht<br />
auf jede Tätigkeit eines fremdstaatlichen Anwalts<br />
in Kalifornien anwendbar sein soll, bestand denn auch<br />
darin, dass der Staat Kalifornien sein Interesse am Schutz<br />
der Rechtspflege keinesfalls durch ein protektionistisches,<br />
möglichst anwaltsfeindliches Aufgreifen jedes Berührungspunktes<br />
anwaltlicher Tätigkeit zu seinem Territorium verfolgen<br />
müsse. Dasselbe Ziel konnte auch durch andere Maßnahmen<br />
erreicht werden, v. a. durch die Ausweitung der<br />
Anwaltshaftung für unprofessionelles Verhalten 203 .<br />
bb) Kein Mandantenschutz durch IPR-Kollisionsrecht<br />
Die hier vertretene Auffassung deckt sich mit dem für<br />
das Mandatsverhältnis relevanten IPR. Auch das IPR hat<br />
grundsätzlich keinen Ehrgeiz, den Mandanten bereits auf<br />
der kollisionsrechtlichen Ebene dadurch zu schützen, dass<br />
es ihm stets die günstigere bzw. die für den Rechtsanwalt<br />
„strengere“ Rechtsordnung vermittelt. Für den grenzüberschreitenden<br />
Anwaltsvertrag ist Rechtwahl unumschränkt<br />
möglich204 und auch geboten205 . Lediglich wegen Art. 29<br />
EGBGB können sich verbraucherschützende Normen gelegentlich<br />
gegen das ansonsten für das Mandatsverhältnis geltende<br />
Vertragsstatut durchsetzen206 ; allerdings nicht – was<br />
man zuweilen übersieht207 –, wenn die Dienstleistung vollständig<br />
im Ausland erbracht wird208 . Das Kollisionsrecht ist<br />
kein allgemeines Vehikel für mandanten- bzw. „verbraucher“-schützende<br />
Normen. Beim Anwaltsvertrag ist mit ihnen<br />
selbst auf sachrechtlicher Ebene grundsätzlich Zurückhaltung<br />
geboten und der Tatbestand verbraucherschützender<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
Normen dezidiert durch ihren Sinn und Zweck zu begrenzen<br />
209 . Auf den Anwaltsvertrag findet das Internationale<br />
Verbraucherschutzrecht in aller Regel keine Anwendung 210 .<br />
Dagegen möchte Henssler berufskollisionsrechtlich in einer<br />
Lage helfen, in der der Abschluss des Mandatsvertrages im<br />
Inland, die überwiegende Mandatsbearbeitung hingegen im<br />
Ausland erfolgt 211 . Im IPR hilft in dieser Lage indessen<br />
nicht einmal Art. 29 EGBGB, wenn der Mandant zwar Verbraucher<br />
ist, die Dienstleistung des Anwalts aber nicht im<br />
Inland erfolgt. Die Meinung Hensslers 212 will durch eine im<br />
öffentlichen Berufsrecht fallende Rechtswahlentscheidung<br />
demnach mehr gewähren, als ein Mandant im erprobten Anknüpfungssystem<br />
des IPR erhielte. Man darf auch nicht auf<br />
Art. 34 EGBGB hinweisen, um zu belegen, dass das öffentliche<br />
Anwaltsberufsrecht bereits auf kollisionsrechtlicher<br />
Ebene zu Gunsten des Mandanten streiten kann. Zwar können<br />
einzelne Normen der BRAO durchaus einer Sonderanknüpfung<br />
nach Art. 34 EGBGB fähig sein 213 . Art. 34<br />
EGBGB kommt aber ohne jede Festlegung aus, ob die<br />
Norm, der er den Weg freisperrt, Privatrecht oder (wie zwei-<br />
196 BVerwG v. 20.10.1992, NJW 1993, 2066; VGH Mannheim v. 16.2.1982,<br />
NJW 1982, 2011; VG Freiburg v. 6.10.1977, NJW 1978, 967 f.; Kleine-Cosack<br />
(Fn. 111), § 73 BRAO Rn. 8; Prütting, AnwBl. 1999, 361, 364.<br />
197 ZEuP 1999, 689, 709.<br />
198 VG Schleswig v. 14.9.1988, NJW 1989, 1178; zu Recht ablehnend Willandsen,<br />
NJW 1989, 1128, 1130 sowie Budzikiewicz, IPRax 2001, 218, 222<br />
(Anm. 40 a. E.).<br />
199 Tilmann, WRP 1987, 293; Stolterfoht, FSFritz Rittner, 1991, S. 695, 696;<br />
Kleine-Cosack (Fn. 64), Einl Rn. 17; Achim Krämer, FS Henning Piper,<br />
1996, 327, 328; bereits Harm Peter Westermann, FSCarl-Hans Barz, 1974,<br />
S. 545, 550, 559 spricht von „Transformation“ berufsrechtlicher Normen.<br />
200 Henssler, ZEuP 1999, 689, 709.<br />
201 Vgl. z. B. Kegel/Schurig-Schurig (Fn. 68) S. 178 (§ 3 XI) unter Kritik der<br />
Auffassung Curries.<br />
202 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court 949 P.2d 1<br />
(Cal. 1998).<br />
203 Motion of ACCA (American Corporate Counsel Association) et al. for leave<br />
to file a brief i.S. Birbrower, cert. den., 119 S.Ct. 291 (1998).<br />
204 Allgemeine Meinung; siehe nur Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30),<br />
Rn. 1471. Allerdings wird sich eine nachträgliche, lediglich aus prozesstaktischen<br />
Erwägungen getroffene Rechtswahländerung nicht gegen ein nach<br />
Art. 28 Abs. 2 EGBGB bestimmtes Vergütungsstatut durchsetzen; für den<br />
Steuerberatervertrag vgl. LG Essen v. 20.6.2001, RIW 2001, 943, 944.<br />
205 Hans Stoll, IPRax 1983, 52, 55; Sieg (Fn. 37), S. 196, 199; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />
(Fn. 30), Rn. 1471 ff; ders, AnwBl. 2001, 249, 253; ders.,<br />
EWiR Art. 28 EGBGB 1/2000, 333, 334; ders., MDR 2001, 194, 198 [für<br />
den Parallelfall des Gutachtervertrages].<br />
206 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1474; Soergel-v.Hoffmann, X:<br />
Einführungsgesetz, 12. Aufl. 1996, Art. 29 EGBGB Rn. 8; Zugehör-Sieg,<br />
Handbuch der Anwaltshaftung, 1999, Rn. 171; Münchener Kommentar zum<br />
BGB-Martiny (Fn. 81) Art. 29 EGBGB Rn. 11; Czernich/Heiss-Heiss, EVÜ-<br />
Kommentar, Wien 1999, Art. 5 EVÜ Rn. 18; Christian Berger, NJW 2001,<br />
1530, 1533.<br />
207 Z. B. LG Hamburg v. 18.3.1999, NJW-RR 2000, 510; in Anlehung an dieses<br />
Urteil wohl auch Jayme/ Chris-tian Kohler, IPRax 2000, 454, 463 f.; Staudinger-Magnus,<br />
Art. 27–37 EGBGB, Anh. zu Art. 33 EGBGB, Anh. zu Art. 34<br />
EGBGB, Anhang I zu Art. 37 EGBGB, Anhang II zu Art. 27–37 EGBGB,<br />
13. Bearb. 2002, Art. 28 EGBGB Rn. 254.<br />
208 Für den Anwaltsvertrag Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1474;<br />
ders., AnwBl. 2001, 249, 252; Sieg (Fn. 37) S. 197; Ebke, Die zivilrechtliche<br />
Verantwortlichkeit der wirtschaftsprüfenden, rechts- und steuerberatenden<br />
Berufe im internationalen Vergleich, 1996, S. 57; Christian Berger, NJW<br />
2001, 1530, 1533; allg. Reich, ZHR 153 (1989) 571, 593 f.; Münchener Kommentar<br />
zum BGB-Martiny (Fn. 81) Art. 29 EGBGB Rn. 10, 16 f.<br />
209 Zutreffend daher AG Wiesloch v. 16.11.2001, JZ 2002, 671 abl. Anm. Bürger:<br />
Keine Anwendung des FernAbsG auf Anwaltsvertrag bei persönlicher<br />
Anbahnung des Mandatsverhältnisses; a. A. wohl Bürger, NJW 2002, 465 ff.;<br />
Hempel (Fn. 125), S. 106.<br />
210 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1535.<br />
211 ZEuP 1999, 689, 709.<br />
212 ZEuP 1999, 689, 709.<br />
213 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1488 f.; Sieg (Fn. 37) S. 189 f.;<br />
Staudinger-Magnus (Fn. 207) Art. 34 EGBGB Rn. 91; für § 49 b BRAO vgl.<br />
OLG Frankfurt v. 1.3.2000, NJW-RR 2000, 1367, 1369; Spickhoff, Der ordre<br />
public im internationalen Privatrecht, 1989, S. 195; Reithmann/Martiny-Mankowski<br />
(Fn. 30), Rn. 1481; Münchener Kommentar zum BGB-Martiny<br />
(Fn. 81) Art. 28 EGBGB Rn. 150; Heß, NJW 1999, 2485; Mankowski,<br />
AnwBl. 2001, 249, 253; Palandt-Heldrich, Bürgerliches Gesetzbuch,<br />
61. Aufl. 2002, Art. 34 EGBGB Rn. 3; für Österreich ebenso Erika Wagner,<br />
JBl 2001, 416, 428; grds. a. A. Bendref, AnwBl. 1998, 309 ( § 49 b BRAO<br />
als einfache Norm des Vertragsrechts).
AnwBl 1/2003 15<br />
Aufsätze l<br />
fellos das anwaltliche Berufsrecht) Öffentliches Recht ist 214 .<br />
Sie „umschreibt“ 215 somit gerade nicht das Internationale<br />
Öffentliche Recht – und folglich auch nicht ein als Kollisionsrecht<br />
verstandenes „Internationales Anwaltsrecht“.<br />
Ebenso wenig ist für diese Norm relevant, nach welchem<br />
Recht sich der Vertrag im Übrigen richtet und auf Grund<br />
welcher Kollisionsnorm sich die Anwendbarkeit dieser<br />
Rechtsordnung ergibt 216 . Stattdessen geht es um die kollisionsrechtlich<br />
indifferente Durchsetzung bestimmter Normen,<br />
und zwar wiederum nicht mandantenschützender Vorschriften,<br />
sondern im Anwaltsrecht nur solcher Normen, die überindividuellen,<br />
nämlich öffentlichen Interessen dienen 217 .<br />
V. Berufsbezogenes Rechtsanwendungsrecht: Die „interstate<br />
practice“ in den USA<br />
Keinem der soeben diskutierten Anknüpfungsmodelle gelingt<br />
die Bereitstellung von Rechtsanwendungsnormen bzw.<br />
Aufgreifkriterien für Anwaltsberufsrecht, die genuin berufsbezogen<br />
sind. Berufsbezogene Aufgreifmodelle finden sich<br />
aber bereits in den Anwaltsberufsrechten der U.S.-amerikanischen<br />
Bundesstaaten 218 . Die von ihnen geregelte, sog. „interstate“<br />
oder „multistate practice“ von Anwälten kann mit gewissen<br />
Einschränkungen durchaus als Vorbild für die<br />
Regelung der internationalen Anwaltstätigkeit nach deutschem<br />
Recht herangezogen werden 219 . Bei den Rechtsanwendungsnormen<br />
für das anwaltliche Berufsrecht ist dies bislang –<br />
soweit ersichtlich – noch nicht geschehen, so dass abschließend<br />
der Frage nachgegangen wird, ob das Anwaltsrecht der<br />
U.S.-amerikanischen Bundesstaaten insoweit Lehren vermitteln<br />
kann 220 . In den USA ist man ebenso wie in Deutschland<br />
damit unzufrieden, dass der Anwalt mit der Anwendung einer<br />
Mehrheit von Berufsrechten auf seine Staatsgrenzen überschreitende<br />
Tätigkeit rechnen muss 221 . Im deutschen Anwaltsberufsrecht<br />
ist demgegenüber bislang zu wenig berücksichtigt<br />
worden, dass Erkenntnisse aus der Rechtsvergleichung zu den<br />
heranzuziehenden Auslegungstopoi gehören 222 .<br />
1. „Interstate practice“: Grundzüge<br />
Unter „interstate“ bzw. „multistate practice“ versteht das<br />
Recht der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten die Tätigkeit<br />
des in einem Bundesstaat der USA zugelassenen Rechtsanwalts<br />
in mindestens einem weiteren Bundesstaat sowie<br />
die Berufsausübung von Rechtsanwälten, die in mehreren<br />
Bundesstaaten zugelassen sind 223 . Der mit der Einzelstaatlichkeit<br />
der Bundesstaaten verbundene Zerfall des Anwaltsrechts<br />
in zahlreiche Binnenordnungen, die schlimmstenfalls<br />
zur „economic Balkanization“ 224 führt, ist in Europa ohne<br />
echte Parallele. Dieser Zustand konnte am ehesten noch mit<br />
der bis zum 1.6.2002 andauernden Divergenz der kantonalen<br />
Anwaltsordnungen in der Schweiz 225 – mit Auswirkungen<br />
vor allem im Beratungsbereich 226 – verglichen werden.<br />
Die Ausbildung einer „local legal culture“ 227 in beiden Ländern<br />
galt verbreitet als Gemeinsamkeit 228 , die mit der<br />
Schaffung eines einheitlichen Bundesanwaltsrechts für die<br />
Schweiz 229 , welches über bloße Freizügigkeitsregeln weit<br />
hinausgeht 230 , allerdings größtenteils entfallen ist 231 . Sedes<br />
materiae im Anwaltsrecht der U.S.-amerikanischen Bundesstaaten<br />
ist zunächst ABA Model Rules 232 R 8.5 (a), die die<br />
Disziplinarzuständigkeit jeder Jurisdiktion für den in ihr zugelassenen<br />
Anwalt bekräftigt, gleichgültig, wo das beanstandete<br />
Verhalten des Rechtsanwalts stattfindet 233 . Ergänzt<br />
wird diese Zuständigkeitsregel durch eine sodann von ABA<br />
Model Rules R. 8.5 (b) ausgesprochene Grundregel für eine<br />
Koordination verschiedener Anwaltsrechte im Dienstleistungsbereich:<br />
Für den dienstleistenden Anwalt, der eine<br />
Zulassung im Dienstleistungsstaat besitzt, gilt zunächst das<br />
Recht dieses Staates. Bei Mehrfachzulassung gilt das Recht<br />
des Staates, in dem der Anwalt überwiegend praktiziert, es<br />
sei denn, dass die besondere Tätigkeit überwiegend in einem<br />
anderen Staat Auswirkungen hat. Hier handelt es sich<br />
um Interlokales Recht 234 für die Anwaltstätigkeit. In der Praxis<br />
kommt die genannte „Choice of Law“-Regel allerdings<br />
so gut wie gar nicht zur Anwendung. Stattdessen lösen<br />
U.S.-amerikanischen Gerichte die Frage, ob staatliches Berufsrecht<br />
die Berufstätigkeit fremdstaatlicher Anwälte aufgreift,<br />
nahezu ausschließlich auf der Ebene unerlaubter<br />
Rechtsberatung („unauthorized practice of law“). Grund<br />
hierfür ist, dass kein Staat eine allgemeine Befugnisnorm<br />
kennt, die fremdstaatliche Anwälte zur Berufsausübung in<br />
einem anderen Staat grundsätzlich zulässt. Die Einräumung<br />
einer solchen Befugnis ist grundsätzlich nicht Gegenstand<br />
staatlicher Normgebung, sondern Sache der Gerichte, die<br />
eine derartige Zulassung für den prozessualen Einzelfall erteilen,<br />
die sog. „pro hac vice“-Zulassung 235 . Gefährlich wird<br />
es für den fremden Anwalt, wenn er es unterlässt, eine sol-<br />
214 BAG v. 24.8.1989, DB 1990, 1666, 1668 mit Anschluss im Übrigen an Mankowski,<br />
RabelsZ 53 (1989) 487 ff.; Erman-Hohloch, Bürgerliches Gesetzbuch,<br />
II: §§ 854-2385, AGBG, EGBGB, ErbbauVO, HausratsVO, SachenR-<br />
BerG, 10. Aufl. 2000, Art. 34 EGBGB Rn. 12.<br />
215 So aber Kegel/Schurig-Kegel (Fn. 68), S. 596 (§ 18 I 2).<br />
216v. Bar (Fn. 36), Rn. 262.<br />
217 Reithmann/Martiny-Mankowski (Fn. 30), Rn. 1488.<br />
218 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />
219 Hans-Jürgen Hellwig, BRAK-Mitt 2002, 52, 59; ferner Henssler, AnwBl.<br />
1996, 353, 354 (Anm.6).<br />
220 Grundsätzlich bejahend Sieg, NJW 1996, 2209.<br />
221 Chesterfield Smith, 64 A.B.A. J. 557 (1978); Debra Baker, 84 A.B.A.J. 22<br />
(1998); Hayes, National L.J. A4 (1998); Wolfram, Modern Legal Ethics,<br />
St.Paul/Minn. 1986, S. 865 f.; ders., 36 S.Tex.L.Rev. 665 (1995); Ronald A.<br />
Brand, 17 J.L. & Com. 302 (1998); ders., 34 VandJTL 1135 (2001).<br />
222 Henssler, NJW 2001, 1521, 1524.<br />
223 Zur interstate practice besonders Llewellyn, JherJb 79 (1929) 233, 239<br />
(Anm. 3); Note, 80 Harv.L.Rev. 1711, 1718 ff. (1967); Chisum, 19 Stan.L.-<br />
Rev. 856 (1967); Travostino, 32 Stan.L.Rev. 1211 (1979); Wolfram, (Fn. 221),<br />
S. 865 ff.; ders., 36 S.Tex.L.Rev. 665, 677 f. (1995); Collett, 36 S.Tex.L.Rev.<br />
657 (1995); Daly, 36 S.Tex.L.Rev. 715 (1995); Carr/Van Fleet, 36 S.Tex.L.-<br />
Rev. 859 (1995); Dzienkowski, 36 S.Tex.L.Rev. 967 (1995); Hartigan, 36<br />
S.Tex.L.Rev. 999 (1995); Aultman, 36 S.Tex.L.Rev. 1055 (1995); Kathleen<br />
Clark, 36 S.Tex.L.Rev. 1069 (1995); Gregory Adams, 36 S.Tex.L.Rev. 1101<br />
(1995); Ronald A. Brand, 17 J.L. & Com. 301 (1998); ders., 34 VandJTL<br />
1135 (2001).<br />
224 Hughes v. Oklahoma, 99 S.Ct. 1727, 1731 (1979); Camps Newfound/Owatonna,<br />
Inc. v. Town of Harrison, Maine et al., 117 S.Ct. 1590, 1599 (1997).<br />
225 Dazu u. a. Henssler, ZZP 105 (1992) 385, 387.<br />
226 Nater, SJZ 98 (2002) 362, 363 f.<br />
227 Isaak Meier, RabelsZ 66 (2002) 308, 322.<br />
228 Etwa Kerameus, RabelsZ 66 (2002) 1, 10.<br />
229 Bundesgesetz v. 23.6.2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte<br />
(Anwaltsgesetz, BGFA), BBl. 2000, 3594; in Kraft seit 1.6.2002; zur<br />
Entwurfsfassung Wittmann, AnwBl. 2000, 301 f.<br />
230 Isaak Meier, FSReinhold Geimer, 2002, S. 691.<br />
231 Isaak Meier, FSReinhold Geimer, 2002, S. 691, 694, 713; zu den Reformbestrebungen<br />
bereits Kilian, BRAK-Mitt 1999, 249 ff.; krit. Nater, SJZ 98<br />
(2002) 362 ff.<br />
232 American Bar Association Model Rules of Professional Conduct (2002) (im<br />
weiteren: ABA Model Rules); zu dem Regelwerk allgemein etwa Taupitz,<br />
Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 353; Oberreit/Knapp,<br />
AnwBl. 1980, 328, 329.<br />
233 Ronald A. Brand, 17 J.L. & Com. 301, 305 (1998).<br />
234 Zur Existenz eines Interlokalen Verwaltungsrechts nur Christine Linke, Europäisches<br />
Internationales Verwal-tungsrecht, 2001, S. 27.<br />
235 Weit zurückreichender historischer Überblick über die pro hac vice-Zulassung<br />
in Flynt v. Leis, 574 F2d 874, 878 (6th Cir. 1978); zu dieser Entscheidung<br />
Comment, 79 Colum.L.Rev. 572, 574 n.13 (1979). In jüngerer Zeit ist<br />
vor allem problematisch geworden, ob an der Gewährung einer pro hac vice-<br />
Zulassung ein Bestandsinteresse besteht, aus der Rspr. etwa In re Ferris, 774<br />
A.2d 62 (R.I. 2001); Kirkland v. Nat’l Mortgage Network, Inc., 884 F.2d<br />
1367, 1371 (11th Cir.1989)]. Die Gerichte scheinen die Aufstellung von<br />
Rechtssätzen hierzu allerdings eher zu umgehen und die Frage – mit Unterschieden<br />
im Einzelnen – eher als eine solche der prozessualen Höflichkeit zu<br />
behandlen, vgl. United States v. Summet, 862 F.2d 784, 787 (9 th Cir. 1988);<br />
Koller v. Richardson-Merrell, Inc. 737 F.2d 1038 (D.C.1984), rev’d on other<br />
grounds, 472 U.S. 424 (1985); Johnson v. Trueblood, 629 F.2d 302, 304 (3d<br />
Cir. 1980); Hallman v. Sturm Ruger & Co., 639 P.2d 805, 809 (Wash.Ct.App.<br />
1982); Cooper v. Hutchinson, 184 F.2d 119, 123 (3d Cir. 1950).
16<br />
l<br />
che Einzelfallzulassung für eine konkrete Tätigkeit in einem<br />
anderen Staat einzuholen. Ab diesem Zeitpunkt muss<br />
er sich grundsätzlich dem Einwand der unerlaubten Rechtsberatung<br />
ausgesetzt sehen 236 , der gerne als Anwendungsfall<br />
der sog. „fee forfeiture“ verstanden wird, wonach ein Verstoß<br />
gegen Berufsrecht grundsätzlich gebührenversagend<br />
wirkt 237 . Während das Anwaltsrecht in Europa es zumeist<br />
mit Anwälten zu tun hat, die grundsätzlich befugt im Tätigkeitsstaat<br />
anwesend sind, so dass nur noch die Frage geklärt<br />
werden muss, welchem nationalen Berufsrecht sie sich zu<br />
unterwerfen haben, begegnet das U.S.-amerikanische Anwaltsrecht<br />
bei der Tätigkeit fremdstaatlicher Anwälte zumeist<br />
solchen Berufsträgern, deren gesamte Tätigkeitsbefugnis<br />
am einzelstaatlichen Berufsrecht gemessen und<br />
gegebenfalls als unerlaubte Rechtsberatung verworfen wird.<br />
Spätestens seit der auch im Ausland bekannt gewordenen<br />
Birbrower-Entscheidung des Supreme Court of California<br />
238 entwickeln U.S.-amerikanische Gerichte für die Feststellung<br />
einer solchen „unauthorized practice of law“<br />
sorgsam ausdifferenzierte Abgrenzungsregeln, die genau<br />
sagen, wann der beanstandete „conduct“ des Anwalts als<br />
auf eigenem Boden geschehen anzusehen ist 239 . Diese Ansätze<br />
werden im Weiteren vorgestellt.<br />
2. Birbrower: Schutz eigener Anwälte<br />
a) Entscheidung des Gerichts<br />
Im Birbrower-Urteil 240 hat der California Supreme Court<br />
gegen den Gebührenanspruch der New Yorker Anwaltkanzlei<br />
Birbrower den von Seiten der kalifornischen Mandantin<br />
erhobenen Einwand einer „fee forfeiture“ durchgreifen lassen.<br />
Der hiermit festgestellte Verstoß gegen Berufsrecht,<br />
welcher grundsätzlich gebührenversagend wirkt 241 , liegt<br />
nach der Auffassung des Gerichts in der Verletzung des kalifornischen<br />
Unauthorized Practice of Law Statute (UPL-<br />
Statute). Das kalifornische UPL-Statute sei anwendbar. Die<br />
Norm könne jede Rechtsberatungstätigkeit aufgreifen, die<br />
„in“ Kalifornien stattfinde, und sanktioniere sie, wenn dem<br />
Rechtsberater die Mitgliedschaft in der California State Bar<br />
fehle. Ob die Rechtsberatung „in“ Kalifornien stattfinde,<br />
sei danach zu entscheiden, ob die Tätigkeit des in Kalifornien<br />
nicht zugelassenen Anwalts hinreichenden Kontakt zu<br />
diesem Staat habe („sufficient activities in the state“) oder<br />
aber das Ergebnis einer verfestigten Geschäftsbeziehung<br />
mit einem im Staat ansässigen Mandaten sei, die ihrerseits<br />
Rechte und Pflichten des Anwalts hervorbringe („continuing<br />
relationship with the California client“ 242 ).<br />
b) Bewertung<br />
In den USA ist die Entscheidung als offen protektionistischer<br />
Abschirmungsversuch des Staates Kalifornien, der<br />
im Anwaltsberufsrecht bekanntlich gern eigene Wege geht,<br />
kritisiert worden 243 . Sie erscheine als „cloud over interstate<br />
law practice“ 244 . Ihre Sichtweise bringt wenig Verbesserungen<br />
gegenüber der in Deutschland wohl herrschenden Meinung,<br />
dass schematisch auf das Recht das Tätigkeitsstaates<br />
abzustellen sei. Anders als diese meint man aber nicht, dass<br />
das Recht des Herkunftsstaates im Zweifel zurücktrete.<br />
Vielmehr hat der California Supreme Court eher den „Vortritt“<br />
eigenstaatlichen Rechts im Sinn. Das UPL-Statute soll<br />
zu weitestgehender Wirkung gebracht, fremdstaatlichen<br />
Rechtsanwälten nahezu unmöglich gemacht werden, sich<br />
„ihr“ Berufsrecht mitzubringen 245 . Der hauptsächliche<br />
Nachteil dürfte – wie derjenige der bereits diskutierten Ansicht<br />
unter Geltung des europäischen Gemeinschaftsrechts –<br />
darin liegen, dass sie nur schematisierte und überhaupt<br />
keine berufsbezogenen Lösungen ermöglicht 246 . Selbst<br />
wenn der Rechtsanwalt eine für seinen Mandanten im<br />
höchsten Maße zufrieden stellende, sach- und fachgerechte<br />
Vertretung in Kalifornien durchführt, muss er jederzeit und<br />
in den USA unter Durchschlag auf seinen Gebührenanspruch<br />
damit rechnen, dass ihm die Anwendbarkeit kalifornischen<br />
Berufsrechts entgegengehalten wird. Besonders<br />
bemerkenswert ist, dass es zur Feststellung dieser Anwendbarkeit<br />
nach Birbrower keines Blickes auf die Belange des<br />
Mandanten oder des im konkreten Berufsrechtsfall mandatsbearbeitenden<br />
Anwalts bedarf. Wenn es von dem Ort<br />
der anwaltlichen Tätigkeit abhängen soll, ob eine Rechtsberatung<br />
„in“ Kalifornien stattfindet, so spielt es keine<br />
Rolle, ob der fremde Anwalt sein Mandat von einem einheimischen<br />
oder einem „fremden“ Mandanten übertragen<br />
erhalten hat. Die Birbrower-Rechtsprechung schützt daher<br />
nur das Eine: die jeweils ortsansässige Anwaltschaft, die<br />
sich ihrem Interesse an der Fernhaltung von Know-how-<br />
Import und Wettbewerb von Berufskollegen ein gutes Stück<br />
näher gebracht sieht. Als Wegweiser zur Gewinnung von<br />
Grenznormen im deutschen Internationalen Berufsverwaltungsrecht<br />
taugt diese Entscheidung nicht.<br />
3. Estate of Condon: Schutz eigener Mandanten<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
a) Entscheidung des Gerichts<br />
Einen abweichenden Ansatz hat der California Court of<br />
Appeals im Urteil Condon vertreten 247 . Auch hier ging es<br />
um „fee forfeiture“: Im Streit stand der Gebührenanspruch<br />
der in Colorado ansässigen Anwaltskanzlei Elrod, die von<br />
einem der zwei „executors“ eines kalifornischen Nachlasses<br />
mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung beauftragt<br />
worden war. Der Mandant war ebenfalls in Colorado,<br />
der andere „Testamentsvollstrecker“ 248 in Kalifornien ansässig.<br />
Elrod hatte nur einen kleinen Anteil seiner Tätigkeit<br />
auf kalifornischem Boden abgeleistet. Der in Kalifornien<br />
ansässige Testamentsvollstrecker wandte sich im weiteren<br />
dagegen, den Nachlass mit den Anwaltsgebühren für Elrod<br />
236 Deutlich El Gemayel v. Seaman, 533 N.E.2d 245 (N.Y. 1988).<br />
237 Beispiele aus der jüngeren Rspr.: Soumah v. Flachs, 721 A.2d 680 (Md.<br />
1998); Z.A. v. San Bruno Park School District, 165 F3d 1273, 1276 (9th<br />
Cir. 1999); Capiello, Hoffman & Katz, P.C. v. Boyle, 105 Cal.Rptr. 2d 147,<br />
151 (Cal.Ct.App. 2001).<br />
238 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court 949 P.2d 1,<br />
5 (Cal. 1998): „In our view, the practice of law »in California« entails sufficient<br />
contact with the California client to render the nature of the legal service<br />
a clear legal representation.“ Hierbei soll es auf hinreichende Kontakte des<br />
Anwalts zum kalifornischen Mandanten ankommen, vor allem darauf, ob<br />
eine dauerhafte Mandantenbeziehung angeknüpft worden sei, die geeignet<br />
ist, Rechtspflichten hervorzubringen. Im Weiteren vgl. Fought & Co. v. Steel<br />
Eng’g & Erection, Inc. et al., 951 P.2d 487 (Haw. 1998); Estate of Condon v.<br />
McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998); zu allen sogleich.<br />
239 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1148 ff. (2001).<br />
240 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1<br />
(Cal.1998), cert.den., 525 U.S. 290, 119 S.Ct. 291 (1998).<br />
241 Beispiele aus der jüngeren Rspr.: Soumah v. Flachs, 721 A.2d 680 (Md.<br />
1998); Z.A. v. San Bruno Park School District, 165 F3d 1273, 1276 (9th<br />
Cir. 1999); Capiello, Hoffman & Katz, P.C. v. Boyle, 105 Cal.Rptr. 2d 147,<br />
151 (Cal.Ct.App. 2001).<br />
242 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 949 P2d 1,<br />
5 (Cal. 1998).<br />
243 Motion of ACCA et al. for leave to file a brief i.S. Birbrower, cert. den., 119<br />
S.Ct. 291 (1998); D’Attomo, 39 Santa Clara L.Rev. 456 (1999).<br />
244 Vgl. McDonough, Chic.Daily L.Bull. v. 14.5.1998, S. 22.<br />
245 Zu dieser Motivlage im Berufsrecht allgemein Basedow, RabelsZ 55 (1991)<br />
409, 430.<br />
246 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1150 (2001).<br />
247 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922 (Cal.Ct.App 1998).<br />
248 So kann das Rechtsinstitut des „executors“ im IPR qualifiziert werden, vgl.<br />
nur Kegel/Schurig-Kegel (Fn. 68), S. 875 (§ 21 IV 4).
AnwBl 1/2003 17<br />
Aufsätze l<br />
zu belasten. Anders als in Birbrower verneinte das Gericht<br />
allerdings einen Berufsrechtsverstoß, der gebührenversagend<br />
hätte wirken können, mit der Begründung, dass die<br />
Frage, ob Elrod „in“ Kalifornien praktiziert habe, vom Sitz<br />
des Mandanten abhängig zu machen sei. Dieser habe in Colorado<br />
gelegen, so dass Cal.Prof. & Bus.Code § 6125 249 –<br />
die kalifornische Verbotsnorm gegen Rechtsberatung in Kalifornien<br />
ohne kalifornische Zulassung – keine Anwendung<br />
finde 250 .<br />
b) Bewertung<br />
Allerdings überzeugt auch dieses Kriterium, auf den<br />
Sitz des Mandanten abzustellen, nicht. Will der Anwalt,<br />
der sich in eine fremdstaatliche Jurisdiktion begibt, wissen,<br />
ob dortiges Berufsrecht auf ihn Anwendung findet, müsste<br />
er seine Mandaten dann stets in zwei Klassen teilen: solche,<br />
die im Tätigkeitsstaat ansässig sind, und solche, denen ein<br />
solcher Sitz fehlt. Im Fall Condon war der Mandant ebenso<br />
wie sein „co-executor“ eine problemlos lokalisierbare Einzelperson.<br />
Da dessen Sitz im Sitzstaat des Anwalts lag, wo<br />
auch der Mandatsauftrag erteilt wurde, hatte der gesamte<br />
Berufsrechtsfall als einzigen Kontakt zu Kalifornien nur<br />
den Streitgegenstand. Jedenfalls wertungsmäßig gelangte<br />
das Gericht dann zum richtigen Ergebnis, wenn es eine Anwendbarkeit<br />
kalifornischen Berufsordnungsrechts verneint.<br />
Bei nahezu allen Mandatierungen, die der Anwalt in internationaler<br />
Sozietät entgegennimmt, liegt es allerdings wesentlich<br />
komplizierter. Zwar wird unmittelbarer Kontrahent<br />
stets eine lokalisierte Niederlassung oder ein Unternehmensteil<br />
eines multinationalen Unternehmens sein 251 , so<br />
dass sich abschätzen lässt, ob sie in der Tätigkeitsjurisdiktion<br />
ansässig ist. Es lässt sich aber keinesfalls ausschließen,<br />
dass sich der Mandant zu einem späteren Zeitpunkt – und<br />
zum ersten Mal – darauf beruft, auch im Tätigkeitsstaat<br />
eine Niederlassung zu haben, so dass er den Schutz des dortigen<br />
Berufsrechts genießen müsse. Der Anwalt kann die<br />
gesellschaftsrechtlichen und unternehmerischen Verflechtungen<br />
seines Mandanten oft ebenso wenig durchschauen<br />
wie der Mandant die seinen 252 . Dann gerät die Anwendung<br />
berufsrechtlicher Normen zur Zufälligkeit, wenn man sie an<br />
einen Sitz des Mandanten im Tätigkeitsstaat anknüpft. Dass<br />
auch auf Mandantenseite eine Diskriminierung entsteht,<br />
wenn nur forumstaatlich niedergelassene, nicht aber fremde<br />
Mandanten unter den Schutz des örtlichen Berufsrechts gestellt<br />
werden – sofern dieses ausnahmsweise einmal direkten<br />
Mandantenschutz bezwecken sollte – liegt auf der<br />
Hand.<br />
4. Fought: Berufsbezogene Anwendung des Berufsrechts<br />
auf fremdstaatliche Anwälte<br />
a)Entscheidung des Gerichts<br />
Vor dem Hintergrund der wenig überzeugend gehandhabten<br />
Aufgreifkriterien in Birbrower und Condon ist eine<br />
weitere, vom Supreme Court of Hawaii erlassene Entscheidung<br />
i. S. Fought 253 vom U.S.-amerikanischen Schrifttum<br />
begrüßt worden 254 . Das in Oregon ansässige Unternehmen<br />
Fought war Subunternehmer eines staatlichen Bauprojekts<br />
in Hawaii. Diverse Streitigkeiten um Vertragserfüllung wurden<br />
durch ein gerichtliches Auftreten der von Fought beauftragten<br />
hawaiianischen Anwälte, aber auch durch außergerichtliche<br />
Tätigkeit der in Oregon ansässigen<br />
„Hausanwälte“ von Fought, der Kanzlei Kobin, beigelegt.<br />
Der Staat Hawaii wandte gegen Foughts Forderung, für die<br />
außergerichtliche Tätigkeit Anwaltskosten zu tragen, ein,<br />
die Anwälte aus Oregon hätten in Hawaii nicht tätig werden<br />
dürfen. Der Supreme Court of Hawaii ist dieser Argumentation<br />
nicht gefolgt 255 . Seine Argumentation macht in höchst<br />
differenzierter Weise deutlich, dass die Frage, ob der Eintritt<br />
eines Anwalts in eine andere Jurisdiktion zur Unterwerfung<br />
unter das dortige Berufsrecht führt, berufsbezogen<br />
formuliert werden muss.<br />
b) Notwendigkeit einer Vertretung durch fremde Anwälte<br />
Der Supreme Court of Hawaii hebt zunächst hervor, dass<br />
die Geschäftstätigkeit eines grenzüberschreitenden Unternehmens<br />
die „Mitnahme“ eigener Anwälte in eine andere<br />
Jurisdiktion geradezu zwingend erfordert. Dem ist zuzustimmen.<br />
Das deutsche Unternehmen muss sich auf die ungehinderte<br />
Unterstützung seiner Anwälte im Ausland verlassen<br />
können, wenn es andere Jurisdiktionen betritt. Da diese wesentlich<br />
besser mit den Anforderungen dieses Unternehmenmandanten,<br />
z. B. seiner gesellschaftsrechtlichen, wirtschaftlichen<br />
und steuerlichen Gesamtsituation, vertraut sind, als dies<br />
zwar forumstaatlich zugelassene, gleichwohl „fremde“ Anwälte<br />
je sein könnten, kann dem Unternehmensmandanten<br />
nicht angesonnen werden, auf die Begleitung durch eigene<br />
Anwälte gänzlich zu verzichten. Der Grundstein dafür, einer<br />
grenzüberschreitenden Anwaltspraxis Anerkennung und eigenen<br />
Rechtswert zu verleihen, ist hiermit gelegt.<br />
c) Kostenersparnis durch multijurisdiktionelle<br />
Anwaltspraxis<br />
In seltener Klarheit weist das Gericht weiter darauf hin,<br />
dass die Tätigkeit von Anwälten aus anderen Staaten – als<br />
dem Unternehmensmandanten vertraute und kompetente<br />
Transaktionsbegleiter – Ersparnisse an Transaktionskosten<br />
bewirkt 256 . Der Supreme Court verdeutlicht damit eine wirtschaftliche<br />
Gegebenheit, die im deutschen Anwaltsberufsrecht<br />
bisher so gut wie gar nicht hervorgehoben wurde, die<br />
aber beachtliche Argumente dafür liefert, dass das Recht<br />
die in mehreren Staaten beheimatete Anwaltsberufstätigkeit<br />
so weit wie möglich gewähren lassen, ja grundsätzlich berufsfreundlich<br />
behandeln sollte. Man schreibt dem verbandsmäßig<br />
organisierten, großen und unweigerlich auch<br />
international tätigen Anwaltsunternehmen zunehmend positive<br />
Effekte für die Gesamtwohlfahrt zu 257 . Das Anwaltsunternehmen<br />
erfährt insoweit eine ähnliche ökonomische Anerkennung<br />
wie der Konzern der gewerblichen Wirtschaft,<br />
den das Recht zwar anspricht, aber aus Effizienzgründen jedenfalls<br />
„leben“ lässt 258 . Die Ballung professionellen Kön-<br />
249 Cal.Prof. & Bus.Code (West Supp.2001) sec. 6125 lautet wie folgt: „No person<br />
shall practice law in California unless the person is an active member of<br />
the State Bar.“<br />
250 Estate of Condon v. McHenry, 76 Cal.Rptr. 2d 922, 927, 928 (Cal.Ct.App<br />
1998).<br />
251 Mankowski, AnwBl. 2001, 249, 253.<br />
252 Andeutungsweise Mankowski, AnwBl 2001, 249, 254.<br />
253 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487 (Haw.<br />
1998).<br />
254 Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1153 ff.<br />
255 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497-98<br />
(Haw. 1998).<br />
256 Vgl. Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497<br />
(Haw. 1998): „At a minimum, this rule [i. e. eine Gebührenversagung,<br />
d.Verf.] would be to increase the total cost of legal representation and magnify<br />
the difficulty of controlling multijurisdictional litigation“.<br />
257 Grundlegend Gilson, 94 Yale L.J. 239 (1984).<br />
258 Köndgen, in:Hans-Bernd Schäfer/Claus Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse<br />
des Unternehmensrechts, 1993, S. 150 f.; Druey, ZGR-Sdh. 11/1994, 312,<br />
345; Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, in: diess. (Hrsg.), Handbuch der<br />
Konzernfinanzierung, 1998, Rn. 1.30, 1.31; zu allem auch Knöfel, JA 1997,<br />
723, 725.
18<br />
l<br />
nens in internationalen Anwaltssozietäten ermöglicht die<br />
Abwicklung internationaler Transaktionen in vorher undenkbarem<br />
Arbeitstempo und mit beispielloser Effektivität<br />
259 . Die Professionalisierung z. B. von Unternehmensund<br />
Immobilienprüfungen (due diligence und andere Testate)<br />
macht der Mandantschaft riesige Dokumentationskapazitäten<br />
260 , damit eine breite Sparte ökonomisch<br />
erwünschter Tools zugänglich 261 , die sonst allenfalls die<br />
großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften – allerdings ohne<br />
juristisch evaluierten Output – anzubieten vermöchten. Die<br />
großen internationalen Anwaltsunternehmen werden damit<br />
zu ökonomisch erwünschten, wohlfahrtssteigernden Organisationseinheiten,<br />
die Wertschöpfung ermöglichen 262 . Die in<br />
ihnen tätigen Anwälte erscheinen in diesem System als vorwiegend<br />
technokratisch tätige „transaction cost engineers“<br />
263 , die ihrer Beteiligtenrolle an der Gesamtrechtspflege<br />
ein neues institutionelles Gewicht geben. Der<br />
persönlich identifizierte, generalistische Fürsprecher in jeder<br />
Notlage des Rechtssuchenden – historischer Typus des<br />
Anwalts an sich – wird zum hoch qualifizierten und -spezialisierten<br />
Transaktionsmanager, dessen Dienste man sich<br />
für das Alltagsgeschäft der transnationalen Unternehmensmandanten<br />
schon deshalb versichert, damit dieses reibungslos<br />
und transaktionskostensparend geführt, teilweise überhaupt<br />
erst ermöglicht werden kann. Dem Anwalt<br />
persönlich entgegengebrachtes Vertrauen löst institutionalisiertes<br />
Vertrauen („artificial trust“) ab 264 . Letzteres traf auf<br />
die maßgeblich von den großen internationalen Anwaltssozietäten<br />
begleitete Erschließung osteuropäischer und<br />
asiatischer Märkte zu. Diese Märkte haben die Anwälte oft<br />
nicht einmal mehr als Parteivertreter innerhalb eines vorgefundenen<br />
Rechtssystems betreten, sondern das Rechtssystem<br />
auf Grund ihres juristischen Know-hows maßgeblich<br />
miterrichtet, was zugleich als hervorragendes Beispiel für<br />
den institutionell erwünschten Output der Großkanzleitätigkeit<br />
gelten darf 265 . Die in mehreren Jurisdiktionen auch institutionell<br />
formierte Anwaltstätigkeit stellt sich damit<br />
grundsätzlich nicht (mehr) als rechtlich unerwünschtes,<br />
durch die Globalisierung der Rechtsberatung geschaffenes<br />
Faktum, sondern als rechtlich anerkennenswerte Form der<br />
anwaltlichen Berufstätigkeit als solcher dar.<br />
d) Vermeidung von Berufsrechtskonflikten durch<br />
Vermeidung starrer Aufgreifkriterien<br />
Besonders hervorzuheben ist die Annahme des Supreme<br />
Court, dass starre, auf den Sitz des Mandanten oder eine<br />
Berührung des Tätigkeitsstaats abstellende Aufgreifkriterien,<br />
um den extraterritorialen Anwendungsbereich von Berufsrecht<br />
zu bestimmen, den Anwalt in einen vermeidbaren<br />
Berufsrechtskonflikt stürzen können. Das Gericht leitet die<br />
berufsrechtliche Pflicht des Anwalts, den Mandanten gewissenhaft,<br />
sach- und fachgerecht und in jeder Hinsicht<br />
umfassend zu vertreten, aus HRPC 266 R. 1.1 ab 267 , die inhaltlich<br />
ABA Model Rules R. 1.1 268 entspricht und zu umfassender<br />
Sorgfalt bei der Vertretung des Mandanten auch<br />
und gerade im internationalen Mandat auffordert 269 .<br />
e) Bewertung für das deutsche Berufsrecht<br />
Im deutschen Recht bildet die Pflicht des Anwalts zur<br />
gewissenhaften Vertretung des Mandanten auf Grund der<br />
Generalklausel in § 43 BRAO die zentrale Anforderung des<br />
anwaltlichen Berufsrechts überhaupt. Der Mandant kann<br />
„berufsmäßiges“ Verhalten seines Anwalts einfordern270 ,<br />
was als zivilrechtliche Pflicht nach dem Recht zu beurteilen<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
ist, das das Mandatsverhältnis bestimmt. Diese Pflicht<br />
müsste der Anwalt vernachlässigen, wenn er seinen Mandanten<br />
– besonders denjenigen, mit dem ihn eine langjährige<br />
Geschäftsbeziehung verbindet – beim Eintritt in eine<br />
andere Jurisdiktion allein ließe, weil ihm, dem Anwalt, ansonsten<br />
unvermeidbar die Anwendung dortiger Berufsrechtsvorschriften<br />
droht. Es liegt ein Fall unvermeidbarer<br />
Pflichtenkollision vor, der im Interesse des Mandanten, von<br />
„seinem“ Anwalt vertreten zu werden, nicht zu Gunsten einer<br />
starren Befolgung der berufsrechtlichen Norm, sondern<br />
nur zu Gunsten des Anwalts gelöst werden kann. Der interstaatliche<br />
oder internationale Anwendungsbereich der berufsrechtlichen<br />
Norm steht unter dem Vorbehalt, dass er<br />
sich von selbst versagt, wenn die Vertretung des Mandanten<br />
durch den Anwalt in der „fremden“ Jurisdiktion dem professionellen<br />
Bedürfnis nach sach- und fachgerechter Tätigkeit<br />
entspringt und im Einzelfall auch lege artis ausgeführt<br />
wird. Nur so kann der Anwalt von einer innerberufsrechtlichen<br />
Pflichtenkollision entlastet werden. Hier handelt es<br />
sich nun nicht darum, letztlich doch Einzelmandantenschutz<br />
über die Reichweite von Berufsrecht entscheiden zu lassen.<br />
Dies ist im anwaltlichen Berufsrecht nicht möglich 271 .Es<br />
handelt sich vielmehr darum, zwei Pflichtenpositionen des<br />
Anwalts selbst in Einklang zu bringen, von denen die bedeutendere,<br />
das Gebot sachgerechter Vertretung (§ 43<br />
BRAO) einem institutionellen Mandantenschutz verpflichtet<br />
ist. Der Anwalt dient dem Recht, indem er dem Mandanten<br />
dient 272 . Es kann dem Rechtsanwalt daher nicht zugemutet<br />
werden, seinen Mandanten nur deshalb nicht sachgerecht<br />
vertreten zu können, weil er sich ansonsten dem fremdstaatlichen<br />
Berufsrecht unterwerfen müsste. Man wende auch<br />
nicht ein, die Unterwerfung unter diese Bestimmungen sei<br />
nun einmal der „Preis“, den der Anwalt für sein mehrstaatliches<br />
Engagement zu zahlen habe. Davon abgesehen, dass<br />
dieser „Preis“ (z. B. die Rechtsermittlungskosten für die<br />
Feststellung fremdstaatlicher Berufsrechte) Gefahr läuft, im<br />
Ergebnis zu Lasten des Mandanten zu gehen, darf er auch<br />
nicht gefordert werden. Das mehrstaatliche Engagement ist<br />
eine Rechtspflegeaufgabe, die von § 2 BRAO umschlossen<br />
wird. Es dient dem übergeordneten Interesse an einer funktionsfähigen<br />
Rechtspflege, wenn der Mandant darauf vertrauen<br />
kann, dass ihm Anwälte solches mehrstaatliches Engagement<br />
anbieten. Die mehrstaatliche Tätigkeit wird<br />
nachgefragt; sie ist nicht verboten. Dann erschiene es als<br />
259 Ausdrücklich Lachmann, FSReinhold Geimer, 2002, S. 513, 514 f.; nur beschreibend<br />
Bungert, MDR 1994, 864 f.<br />
260 Jaletzke, The International Lawyer – Freundesgabe für Wulf H. Döser, 1999,<br />
S. 199 f.; Böhlhoff, FSRolf A. Schütze, 1999, S. 153, 156.<br />
261 Lachmann, FSReinhold Geimer, 2002, S. 513, 514 f.<br />
262 Gilson, 94 Yale L.J. 239 ff. (1984).<br />
263 Gilson, 94 Yale L.J. 239, 253 (1984); Galanter, 66 U.Cin.L.Rev. 805, 807<br />
(1998).<br />
264 Galanter, 66 U.Cin.L.Rev. 805, 807 (1998).<br />
265 Siehe Zemánek, Liber amicorum Kurt Siehr, The Hague Zürich 2000, S. 863;<br />
Buxbaum, in: Systemtransformation in Mittel- und Osteuropa und ihre Folgen<br />
für Banken, Börsen und Kreditsicherheiten, 1998, S. 53.<br />
266 Hawaii Rules of Professional Conduct.<br />
267 Fought & Co., Inc. v. Steel Eng’g & Erection, Inc., 951 P2d 487, 497 (Haw.<br />
1998).<br />
268 ABA Model Rules R 1.1: „Competence. A lawyer shall provide competent<br />
representation to a client. Competent representation requires the legal knowledge,<br />
skill, thoroughness and preparation reasonably necessary for the representation.“<br />
269 Eingehend Ronald A. Brand, 34 VandJTL 1135, 1138 f. (2001).<br />
270 Ahrens, in:Gerhard Walter (Hrsg.), Professional Ethics and Procedural Fairness,<br />
1991, S. 89, 143.<br />
271 Siehe oben IV 4d.<br />
272 Kasper, JZ 1995, 746, 751 f.
AnwBl 1/2003 19<br />
Aufsätze l<br />
„Sonderopfer“, wenn man ein Verhalten des Anwaltes, der<br />
sich nach Kräften bemüht, allen fachlichen Anforderungen<br />
an diese Tätigkeit nachzukommen, mit der grundsätzlichen<br />
Anwendbarkeit mehrerer Berufsrechtsordnungen – anders<br />
ausgedrückt: der Anwendbarkeit der eigenen Berufsrechtsordnung<br />
um jeden Preis oder anhand starrer, formeller Kriterien<br />
– belegt.<br />
VI. Ergebnis: Berufsbezogene Rechtsanwendungsregeln<br />
für anwaltliches Berufsrechts<br />
Damit ergibt sich folgender Rechtssatz, an dem das<br />
Rechtsanwendungsrecht für den Fall, dass es zur Anwendung<br />
deutschen Berufsrechts führt, ausgerichtet werden<br />
sollte: Das Recht des Tätigkeitsstaates ist nicht zum Nachteil<br />
des Rechtsanwalts auf diesen anzuwenden, wenn die<br />
Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesem Staat erforderlich<br />
war, um eine sachgerechte Vertretung nach den Regeln desjenigen<br />
Rechts, das das Mandatsverhältnis regiert, zu gewährleisten.<br />
Die so gewonnene Aussage dient als praktikable<br />
Leitlinie zur Anwendung derjenigen berufsbezogenen<br />
Rechtsanwendungssätze, die aus den geteilten Berufsüberzeugungen<br />
des geltenden Internationalen Berufsverwaltungsrechts<br />
(z. B. Nr. 2.6.2 CCBE Code of Conduct) abgeleitet<br />
werden können.<br />
Freie Advokatur,<br />
anwaltliches<br />
Berufsgeheimnis und<br />
datenschutzrechtliche<br />
Kontrollbefugnisse*<br />
Rechtsanwalt Privatdozent Dr. Giselher Rüpke MCL,<br />
Frankfurt am Main<br />
I. Einführung<br />
1. Problemlage<br />
Ein Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt<br />
ist für dessen berufliche Tätigkeit unerlässlich. Ohne die<br />
Wahrung des Berufsgeheimnisses kann es nicht bestehen 1 .<br />
Dazu gehört nicht nur die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht<br />
durch den Berufsträger selbst, sondern auch –<br />
mit den Worten des BVerfG 2 –, „dass dieser ...einen freien<br />
Beruf ausübt, der staatliche Kontrolle und Bevormundung<br />
prinzipiell ausschließt.“ Historische Grundlage hierfür ist<br />
die Ablösung des Advokatenstandes aus den Bindungen des<br />
(aufgeklärten) Absolutismus im Laufe des 19. Jahrhunderts<br />
3 . Im Rechtsstaat unter dem GG ist für Staatsnähe des<br />
Anwaltsberufs kein Platz 4 .<br />
a) Eine aus § 38 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) 5 folgende<br />
Berechtigung staatlicher Aufsichtsbehörden, anwaltliche<br />
Informationsverarbeitung zu prüfen, würde dazu in<br />
deutlichem Gegensatz stehen. Nach der genannten Bestimmung<br />
hat die Behörde die Aufgabe, die automatisierte<br />
Verarbeitung 6 personenbezogener Daten 7 bei „nicht-öffentlichen<br />
Stellen“ 8 zu kontrollieren, und zwar zur Sicherstellung<br />
der „Ausführung dieses Gesetzes [des BDSG] sowie<br />
anderer Vorschriften über den Datenschutz“. Die Auskunfts-<br />
und Kontrollrechte im Einzelnen sind in Abs. 3 und<br />
4 wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Prüf- und Betretungsrechten<br />
nachgebildet 9 , welche der besonderen Sensitivität<br />
der Informationen bei Berufsgeheimnisträgern nicht Rechnung<br />
tragen. Abs. 4 enthält – umgekehrt – einen Verweis<br />
auf § 24 Abs. 6 und Abs. 2 BDSG, wonach die „Kontrolle...sich<br />
auch auf...personenbezogene Daten... erstreckt...,<br />
die einem Berufs...geheimnis...unterliegen.“<br />
Die involvierte Problematik hat sich durch die BDSG-<br />
Novelle vom 18.5.2001 weiter verschärft, mit welcher die<br />
bisherige Voraussetzung für die Durchführung von Kontrollen,<br />
das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für eine<br />
Gesetzesverletzung im Einzelfall, fallen gelassen wurde 10 .<br />
Es sind jetzt allgemein routinemäßige Prüfungen durch die<br />
Verwaltung vorgesehen, was eine beträchtliche Ausweitung<br />
behördlicher Machtbefugnis beinhaltet.<br />
b) Die Landesregierungen bestimmen die zuständigen<br />
Aufsichtsbehörden 11 . In der Mehrzahl der Länder ist die<br />
staatliche Mittelbehörde als untere und das Innenministerium<br />
als oberste Aufsichtsbehörde bzw. dieses für sich allein<br />
zuständig 12 . Teilweise ist die Aufgabe den Landesdatenschutzbeauftragten<br />
zugewiesen 13 , die zwar im Rahmen<br />
ihrer Hauptfunktion, nämlich der Ausübung der Datenschutzkontrolle<br />
gegenüber der öffentlichen Verwaltung, unabhängig,<br />
hinsichtlich ihrer Befugnisse nach § 38 BDSG<br />
aber nach bisheriger/überwiegender Auffassung in die Hierarchie<br />
der Exekutive einzubinden sind 14 . Andere öffentlichrechtliche<br />
Einrichtungen – wie etwa die Rechtsanwaltskammern<br />
in Ansehung der Informationsverarbeitung durch<br />
Rechtsanwälte – zur Aufsichtsbehörde nach § 38 zu bestim-<br />
* Der Autor lehrt Öffentliches Recht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />
und ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Frankfurt a. M. tätig. Er ist<br />
Vorsitzender des Ausschusses für Datenschutzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />
1 Die deutsche Rechtstradition bezieht sich hierfür auf den Eid der Reichskammergerichtsadvokaten,<br />
vgl. BGHZ 109, 260 = NJW 1990, 510 (512) vom<br />
30.11.89; ausführlich A. und M. Friedlaender, Rechtsanwaltsordnung, 1930,<br />
Exkurs I zu § 28, S. 152 ff.; BVerfGE 33, 367 (377 f.) vom 19.7.1972 – Sozialarbeiter.<br />
2 BVerfGE 34, 293 ( 302) vom 14.2.1973 – Ensslin-Kassiber; übereinstimmend<br />
50, 16 (29) vom 8.11.1978 – Belehrung durch Kammervorstand.<br />
3 Vgl. Gneist, Freie Advokatur, 1867, S. 49 ff.; K. Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat,<br />
1980, S. 2 ff.; G. Pfeiffer, Die freie Anwaltschaft im Rechtsstaat,<br />
in: Hundert Jahre Rechtsanwaltskammern, Schriftenreihe der BRAK,<br />
Bd. 2, 1981, S. 58 ff.; Brangsch, Rechtsanwalt – ein ständiges Ärgernis?,<br />
aaO., S. 93 (99 ff.); Ostler, 100 Jahre Rechtsanwaltsordnung, NJW 1979,<br />
1959 f.<br />
4 Vgl. BVerfGE 87, 287 (321, 324) vom 4.11.1992 – Zweitberuf des Anwalts;<br />
zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen im Einzelnen vgl. den Überblick<br />
bei Hartstang, Anwaltsrecht 1991, S. 256 ff., mit umfangr. Nw.<br />
5 i. d. F. vom 20.12.1990, neu gefasst im Rahmen der Anpassung an die EG-Datenschutzrichtlinie<br />
(s. unten Fn. 44) durch Ges. vom 18.5.2001.<br />
6 unter Einschluss manueller Datenverarbeitung, sofern sie in oder aus Dateien<br />
(§ 3 Abs. 2 S. 2 BDSG) stattfindet, vgl. dazu Näheres in § 27 BDSG.<br />
7 Vgl. die Definition in § 3 Abs. 1 BDSG.<br />
8 Zu den „nicht-öffentlichen“ „verantwortlichen Stellen“ vgl. §§ 3 Abs. 7, 2<br />
Abs. 4 S. 1, 27 Abs. 1 Nr. 1 BDSG.<br />
9 Vgl. z. B. § 52 Abs. 2 und 5 BImSchG, § 44 Abs. 1 und 6 KWG, § 59 GWB;<br />
allgemein dazu Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung,<br />
1989.<br />
10 Darin ist eine generelle Anpassung an Art. 28 EuDatSR (unten Fußn. 44), zu<br />
sehen, vgl. die Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 14/4329 vom<br />
13.10.2000, S. 119.<br />
11 Vgl. § 38 Abs. 6 BDSG.<br />
12 Vgl. die Übersicht bei Schaffland/Wiltfang, BDSG, Komm., Lfg. 3/02, § 38<br />
Anh. 1.<br />
13 Insbesondere in den drei Stadtstaaten, auch in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein.<br />
14 So ausdrücklich § 22 Abs. 6 S. 2 NdsDSG; anders § 33 Abs. 1 S. 2 BlnDSG,<br />
§§ 39 Abs. 2, 38 LDSG-SH; § 23 Abs. 7 HmbDSG klärt die Frage nicht abschließend.<br />
Für strikte Weisungsgebundenheit (Fachaufsicht) Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz,<br />
Komm. zum BDSG, Lfg. 7/94, § 38 Rdnrn. 44,<br />
43; a. A. Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 8 Rdnr. 176.
20<br />
l<br />
men, ist, soweit ersichtlich, von den Landesregierungen bislang<br />
noch nicht in Erwägung gezogen worden.<br />
2. Anlass und Gang der Untersuchung<br />
Einzelne Aufsichtsbehörden haben in jüngster Zeit den<br />
Versuch gemacht, auf die Vorschriften des BDSG gestützt<br />
Kenntnis von bei Rechtsanwälten verarbeiteten Informationen,<br />
die dem Berufsgeheimnis unterfallen, unter Androhung<br />
von Zwangsmaßnahmen bzw. Bußgeldern zu erlangen.<br />
Es besteht also Veranlassung, sich mit der Recht- und<br />
Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vorgehens auseinander<br />
zu setzen. Zudem gilt es, vom Berufsrecht her adäquate<br />
Lösungen zu finden, um durch anwaltliche Informationsverarbeitung<br />
ggf. aufgeworfenen Fragen des Datenschutzes gerecht<br />
zu werden. Dabei können die institutionellen Vorgaben<br />
des anwaltsberuflichen Selbstverwaltungsrechts eine<br />
konstruktive Rolle spielen.<br />
Die nachfolgende Darstellung weist zunächst auf einige<br />
Aspekte zu der Ausgangsfrage hin, ob das BDSG aus materiell-rechtlichen,<br />
insbesondere verfassungsrechtlichen<br />
Gründen überhaupt auf die Datenverarbeitung von Rechtsanwälten<br />
anwendbar ist (Teil II). Unabhängig davon wird<br />
sodann die Bedeutung der Subsidiarität des BDSG gegenüber<br />
den Regelungen des Berufsrechts erörtert, vor allem im<br />
Hinblick auf die Kontrollzuständigkeit der Rechtsanwaltskammern<br />
(Teil III). Besondere Probleme sind mit Blick auf<br />
die EG-Datenschutzrichtlinie (EuDatSR) 15 zu klären, zumal<br />
wegen deren Vorgaben zu den Kontrollstellen (Teil IV).<br />
Schließlich wird zur Gewinnung eines Lösungsmodells die<br />
Weiterentwicklung der BRAO unter Berücksichtigung der<br />
vom Verfassungsrecht gesteckten Grenzen erwogen<br />
(Teil V).<br />
II. Rechtssystematische und verfassungsrechtliche<br />
Grundfragen<br />
Ob die mandatsbezogene Informationsverarbeitung dem<br />
BDSG unterfällt und Rechtsanwälte insoweit als verantwortliche<br />
Stellen nach dem Dritten Abschnitt des BDSG zu<br />
behandeln seien, ist außerordentlich zweifelhaft. Diese<br />
grundsätzliche, im Wesentlichen verfassungsrechtliche Problematik<br />
ist jedoch nicht der Hauptgegenstand der vorliegenden<br />
Untersuchung. Es werden hierzu im Folgenden nur<br />
kurze Hinweise gegeben16 .<br />
1. Der Anwalt als Vertreter der Interessen seines<br />
Mandanten<br />
Anwaltliche Informationsverarbeitung dient von Berufs<br />
wegen der (Partei ergreifenden) Interessenwahrnehmung zu<br />
Gunsten des Mandanten 17 . Sie entzieht sich von daher den<br />
Grundsätzen der Abwägung von „berechtigten Interessen“<br />
des Verarbeiters gegenüber dem „schützwürdigen Interesse<br />
des Betroffenen“ nach allgemeinem Datenschutzrecht. Insbesondere<br />
vermag deshalb § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG – als<br />
solcher einschlägig für nicht auf den Mandanten (Vertragspartner<br />
des Anwalts) bezogene Daten – nicht Platz zu greifen18<br />
. Besonders deutlich wird das für die Speicherung und<br />
weitere Verwendung von Daten, die sich auf den Gegner<br />
beziehen 19 . Es entspricht nicht der berufsrechtlichen Rolle<br />
des Anwalts, beim Umgang mit Information – jenseits der<br />
Beachtung des Sachlichkeitsgebots – berechtigte Interessen<br />
des Mandanten gegen solche beliebiger Dritter abzuwägen,<br />
wie es ggf. dem Richter zukommt. Für dieses Dilemma hat<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
die datenschutzrechtliche Diskussion bislang keine überzeugende<br />
Lösung gefunden 20 .<br />
2. Der verfassungsrechtliche Rang anwaltlicher<br />
Kommunikation<br />
Die freie Advokatur genießt nach der verfassungsgerichtlichen<br />
Rechtsprechung den besonderen Schutz des<br />
Art. 5 GG 21 . Die Konsequenzen sind zu berücksichtigen.<br />
a) Das generelle Verarbeitungsverbot mit gesetzlichem<br />
Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 BDSG widerstreitet der<br />
„Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede“ i. S. der<br />
Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz von „Beiträge[n]<br />
zum geistigen Meinungskampf“ nach Art. 5 GG 22 .DieAnwendung<br />
dieses Grundsatzes auf die Tätigkeit der Presse ist<br />
bekannt – und entspricht geltendem Datenschutzrecht 23 –.<br />
Für anwaltliche Kommunikation im System der Rechtspflege<br />
– im „Kampf ums Recht“ 24 – gilt dasselbe 25 .<br />
b) Freiheit der Kommunikation schließt eine Beurteilung<br />
derselben danach aus, ob sie erforderlich oder nicht erforderlich<br />
– vielleicht sogar „überflüssig“ – sei. Schranken<br />
kann sie nach Art. 5 Abs. 2 nur insoweit finden, als dies –<br />
umgekehrt – zum Schutz anderer Rechtsgüter jeweils erforderlich<br />
ist 26 . § 28 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BDSG legt ka-<br />
15 Vgl. unten Fn. 44.<br />
16 Ausführliche Untersuchung zu diesen Fragen bei Rüpke, Freie Advokatur, anwaltliche<br />
Informationsverarbeitung und Datenschutzrecht, 1995, Teile B II, C<br />
und E.<br />
17 Vgl. §§ 3 I, III, 43 a IV BRAO, §§ 1 III, auch 11 BORA.<br />
18 Dazu ausführlicher Rüpke (o. Fußn. 16), S. 28 f.; ders., Anwaltsrecht und Datenschutzrecht,<br />
NJW 1993, 3097 (3100 f.).<br />
19 Zu dieser Problematik H. Zuck, in:R. B. Abel, Hrsg., Datenschutz in Anwaltschaft,<br />
Notariat und Justiz, 2. Aufl., erscheint 2002/03, § 2 Abschn. II 4 a.<br />
20 Simitis (o. Fußn. 14), Lfg. 4/98, § 28 Rdnrn. 83–86, weicht dem Problem in<br />
stillschweigender Abkehr von der Vorauflage (s. am Ende dieser Fn.), § 23<br />
Rdnrn. 37–40, aus, indem er contra legem die Verarbeitung von drittbezogenen<br />
Daten nach § 28 I 1 Nr. 1 für zulässig erachten möchte; a. A. Bergmann/<br />
Möhrle/Herb, BDSG, Lfg. 10/96, § 28 Rdnr. 26; Auernhammer, BDSG, 1993,<br />
§ 28 Rdnr. 18. H. Redeker, in:Abel (o. Fußn. 19), § 4 Rdnrn. 32 f., möchte die<br />
Abwägung für den Anwalt durch den Hinweis erleichtern, der Dritte müsse<br />
die Speicherung in Akten (insofern wegen § 27 BDSG keine Anwendung des<br />
Gesetzes) ohnehin hinnehmen, so dass er durch die Verwendung von EDV<br />
nicht wesentlich beeinträchtigt sein könne; damit hebelt dieser Autor die Bedeutung<br />
des Datenschutzrechts für nicht-öffentliche Stellen überhaupt weitgehend<br />
aus; vgl. zur reziproken Fragestellung beim Kriterium Erforderlichkeit<br />
Dammann (o. Fußn. 14), § 14 Rdnr. 13, sowie in der Vorauflage Simitis/Dammann/Mallmann/Reh,<br />
1981, § 9 Rdnrn. 18 f.<br />
21 Vgl. BVerfGE 76, 171 (192 f.) vom 14.7.1987 – RichtlRA.I; 26, 186 (205)<br />
vom 11.6. 69 – „Roland Freisler“; BGHSt 21, 206 = NJW 1967, 891 f., vom<br />
16.1.1967; auch BVerfGE 76, 196 (207, 208 ff.) vom 14.7.1987 – RichtlRA.II;<br />
vom 22.8.1990, NJW 1991, 1045 (l.Sp.) – Sachlichkeitsgebot/Patentanwalt;<br />
Odersky, Anwaltliches Berufsrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung,<br />
1991, S. 15, 16. Zur diesbezüglich ungerechtfertigten Zurückhaltung in der Literatur<br />
Rüpke (o. Fußn. 16), S. 71 mit Fn. 338; auch bei H. Zuck (o. Fußn. 19),<br />
Abschn. II 1 b a. E., kommt diese Grundrechtsposition nicht hinreichend zum<br />
Tragen.<br />
22 Vgl. BVerfGE 7, 198 (212) vom 15.1.1958 – Lüth; wörtlich übereinstimmend<br />
61, 1 (11) vom 22.6.1982 – „NPD von Europa“; vom 5.3.1992, NJW 1992,<br />
2815 (2816) – „Gestapo-Methoden“; weiterhin (u. a.) BVerfGE 82, 43 (50 ff.)<br />
vom 19.4.1990 – „Faschistenfreund“; 82, 272 (280 ff.) vom 26.6.1990 –<br />
„Zwangsdemokrat“; 86, 1 (8 ff.) vom 25.3.1992 – „geb. Mörder“; BVerfGE 85,<br />
1 (16) vom 9.10.1991 – Bayer-Flugblatt; 66, 116 (139) vom 25.1.1984 – Wallraff<br />
–: „... je mehr es sich.... um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf<br />
in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt....“<br />
23 Vgl. § 41 BDSG, Art. 9 EuDatSR (unten Fn. 44); dabei geht das – in der Ausgestaltung<br />
im Einzelnen rechtspolitisch umstrittene – Medienprivileg beträchtlich<br />
über den Ausschluss des Verarbeitungsverbots i. S. d. § 4 Abs. 1 BDSG<br />
hinaus.<br />
24 Vgl. BVerfGE 26, 205 (o. Fn. 21); 63, 266 (284) vom 8.3.1983 „KBW“; BVerf-<br />
GE 76, 192 (o. Fn. 21); BVerfG vom 12.3.1990 (2. K. des I. Sen.), NJW 1991,<br />
2274; vom 22.8.1990, NJW 1991, 1045; auch vom 11.4.1991 (2. K. des II.<br />
Sen.), NJW 1991, 2074 (2075 r.Sp.); beachte schon den Titel des Werks Rudolf<br />
v. Jherings, Der Kampf um’s Recht, 3.Aufl., Wien 1873.<br />
25 Dazu ausführlich unter Auswertung der Rspr. des BVerfG Rüpke (o. Fußn. 16),<br />
Teil C II und III.<br />
26 Kommunikation, die sich am Maßstab adäquater Mittel-Zweck-Relation messen<br />
lassen müsste, wäre nicht mehr frei. Der Wechselwirkungstheorie zu<br />
Art. 5 Abs. 2 GG – BVerfGE 7, 208 (o. Fußn. 22) – entspricht allein der umgekehrte<br />
Ansatz.
AnwBl 1/2003 21<br />
Aufsätze l<br />
tegorisch ersteren Maßstab an 27 und hat deshalb im Anwendungsbereich<br />
des Art. 5 GG keinen Bestand 28 .<br />
c) Die Unanwendbarkeit der materiell-rechtlichen Kernbestimmungen<br />
des BDSG auf anwaltliche Informationsverarbeitung<br />
begründet schon für sich genommen starke Zweifel<br />
an der Anwendbarkeit der übrigen gesetzlichen<br />
Bestimmungen für diesen Bereich. Das gilt gerade auch für<br />
die Kontrollbefugnisse nach § 38 BDSG. Letztere gelten<br />
primär der Ausführung des BDSG und sind, wenn dessen<br />
materiell-rechtliche Vorschriften nicht greifen, insoweit leer<br />
laufend. Darüber hinaus sind sie i. S. d. Rechtsprechung des<br />
BVerfG Teil einer Gesamtregelung – nämlich derjenigen<br />
des BDSG –, so dass ihnen Gültigkeit für sich allein nicht<br />
zugesprochen werden kann 29 .<br />
III. Subsidiarität des BDSG gegenüber dem anwaltlichen<br />
Berufsrecht<br />
Kommt ungeachtet der vorangegangenen Ausführungen<br />
die Anwendung des BDSG auf anwaltliche, mandatsbezogene<br />
Informationsverarbeitung überhaupt in Betracht, dann<br />
verbleibt jedenfalls genauer zu prüfen, ob und inwieweit es<br />
gegenüber anwaltsrechtlichen Regelungen subsidiär ist 30 .<br />
Diese Frage näher zu untersuchen, ist angezeigt, schon um<br />
unabhängig von den sich aufdrängenden Grundsatzfragen,<br />
welche ggf. der verfassungsgerichtlichen Entscheidung<br />
bedürften, die Position der Anwaltschaft insbesondere gegenüber<br />
staatlichen Datenschutzinstanzen klarstellen zu<br />
können.<br />
1. Subsidiaritäts- und Vorrangklauseln, insbesondere das<br />
Berufsgeheimnis betreffend<br />
a) § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG räumt anderen Rechtsvorschriften<br />
des Bundes Vorrang ein, soweit sie (auch) auf personenbezogene<br />
Daten anzuwenden sind 31 . Solche Vorschriften<br />
sind § 43 a Abs. 2 BRAO und § 2 BORA. Diese bleiben<br />
(zudem) nach § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG „unberührt“, was sich<br />
freilich auch schon aus S. 1 ergibt 32 . § 2 Abs. 3 BORA regelt<br />
ausdrücklich, dass die Pflicht zur Verschwiegenheit<br />
nicht gilt, „soweit... andere Rechtsvorschriften 33 Ausnahmen<br />
zulassen“. Zu letzteren zählt fraglos z. B. die Pflicht<br />
zur Anzeige drohender Verbrechen nach §§ 138, 139 Abs. 3<br />
StGB 34 . Dem BDSG, das sich umgekehrt gerade selbst für<br />
subsidiär erklärt, können entsprechende Ausnahmen (jedenfalls)<br />
nur insofern entnommen werden, als es solche ausdrücklich<br />
vorsieht.<br />
b) Das geschieht an einer Stelle des Gesetzes. Nach § 24<br />
Abs. 2 Nr. 1 BDSG umfasst die Kontrolle durch den Bundesdatenschutzbeauftragten<br />
auch „personenbezogene Daten,<br />
die einem Berufs... geheimnis...unterliegen“. Dasselbe soll<br />
gemäß § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG für die Betretungs-,<br />
Prüfungs-, Besichtigungs- und Einsichtsrechte der Aufsichtsbehörde<br />
gelten. Die Regelungen stehen in auffälligem<br />
Gegensatz zu dem unter a) genannten allgemeinen Grundsatz<br />
des § 1 Abs. 3 BDSG. Von daher schon legt sich ihre<br />
restriktive Auslegung nahe, die u. a. dahin führt, § 38<br />
Abs. 4 S. 3 nicht entsprechend auf Abs. 3, also auf Auskunftspflicht,<br />
anwendbar ist 35 . Sonst wäre der Anwalt<br />
bezüglich letzterer nach datenschutzrechtlicher Gesetzeslage<br />
gegenüber der Exekutive weit weniger geschützt als<br />
gemeinhin gegenüber gerichtlichen Untersuchungen 36 .<br />
c) Was die aufsichtsbehördlichen Rechte aus § 38 Abs. 4<br />
selbst angeht, so scheitern sie gegenüber Anwaltspraxen als<br />
Einschränkungen des Art. 13 GG schon am Fehlen eines Zitats<br />
gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Seit der Novellierung<br />
von 1990 hat der Gesetzgeber auf den Hinweis auf eine<br />
Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung verzichtet<br />
37 . Auf die Bedeutung des Art. 13 GG wird im Zusammenhang<br />
berufsrechtlicher Neugestaltung zurückzukommen<br />
sein 38 . Zunächst bedarf es hierzu im Hinblick auf die unmittelbar<br />
nachfolgenden, weiter greifenden Überlegungen zur<br />
Subsidiarität des § 38 BDSG keiner Vertiefung.<br />
2. Spezialgesetzliche Kontrollzuständigkeit<br />
Der Verweis in § 38 Abs. 4 S. 3 BDSG auf partielle Einschränkungsmöglichkeiten<br />
von Berufsgeheimnissen in entsprechender<br />
Anwendung des § 24 Abs. 2 enthält als solcher<br />
keine Aussage über die behördliche Kontrollzuständigkeit<br />
und die Anwendbarkeit der mit dieser ggf. im Zusammenhang<br />
stehenden Verfahrensvorschriften. Insoweit ist es vielmehr<br />
die Vorschrift des § 38 BDSG in ihrer Gesamtheit, die<br />
sich ungeachtet der in Abs. 4 S. 3 getroffenen Teilregelung<br />
am Subsidiaritätsprinzip des § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG messen<br />
lassen muss, auch wenn sich dabei ergäbe, dass Abs. 4 S. 3<br />
in Ansehung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses obsolet<br />
ist.<br />
Das anwaltliche Berufsrecht trifft Regelungen zur Berufsaufsicht<br />
durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />
in §§ 56, 73 BRAO. Dabei trägt § 56 Abs. 1 S. 2 den Belangen<br />
des durch das Berufsgeheimnis geschützten Mandanten<br />
in besonderer Weise Rechnung. Es liegt hier eine „bereichsspezifische“<br />
Regelung39 vor, aus der sich die zuständige<br />
Kontrollinstanz ergibt und die darüber hinaus den Konflikt<br />
27 Dem liegt die im Datenschutzrecht oftmals – ohne genauere verfassungsrechtliche<br />
Reflexion – angenommene Präponderanz des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“<br />
zu Grunde.<br />
28 Vgl. M. Langer, Informationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung,<br />
1992, S. 149 ff., 206 f.; Brossette, Der Wert der Wahrheit im Schatten<br />
des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, 1991, S. 185 ff., 280;<br />
Rüpke (o. Fußn. 16), S. 101–104.<br />
29 Vgl. BVerfGE 8, 274 (301) vom 12.11.1958 – PreisG; 1, 264 (272) vom<br />
30.4.1952 – Schornsteinfeger; 9, 305 (333) vom 16.6.1959 – TilgungsG; 10,<br />
200 (220) vom 17.11.1959 – Friedensgerichte; 15, 1 (24 f.) vom 30.10.1962 –<br />
WassStrReinhaltgG; 26, 246 (258) vom 25.6.1969 – IngenieurG; 48, 127<br />
(177) vom 13.4.1978 – WehrpflichtG; 61, 149 (206 ff.) vom 19.10.1982 –<br />
StaatshaftungsG; 72, 330 (421 f.) vom 24.6.1986 – Finanzausgleich.<br />
30 Vgl. dazu insgesamt Rüpke, NJW 1993, 3097 ff.; ders. (o. Fußn. 16), S. 5 ff.;<br />
Abel, in:Abel (o. Fußn. 19), § 1 Abschn. II; H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II;<br />
von Lewinski, in:Abel (o. Fußn. 19), § 6 Abschn. A I; H. Redeker, in:Abel<br />
(o. Fußn. 19), § 4 Rdnrn. 8 ff.<br />
31 Vgl. dazu schon den umfangr. Beispielskatalog des § 45 BDSG 1977, der in<br />
die späteren Fassungen des Gesetzes nicht übernommen wurde, ohne dass<br />
dies eine inhaltliche Änderung bedeutet hätte, vgl. Auernhammer (o.<br />
Fußn. 20), § 1 Rdnr. 24.<br />
32 Für durch Bundesgesetz geregelte Geheimhaltungspflichten hat Satz 2 keine<br />
(zusätzliche) Bedeutung, vgl. Gola/Schomerus, 2002, BDSG, § 4 Rdnr. 12 ;<br />
Auernhammer (o. Fn. 20), § 1 Rdnr. 28; h. M.; davon weicht auch die von<br />
Walz (o. Fußn. 14), Lfg. 5/93, § 1 Rdnrn. 297 ff., vertretene Differenzierung<br />
im Ergebnis nicht wesentlich ab.<br />
33 § 2 Abs. 3 BORA sieht auch vor, dass die Berufsordnung selbst Ausnahmen<br />
zulassen könne, was nicht geschehen ist und von Hartung/Holl, Anwaltliche<br />
Berufsordnung, 2001, § 2 Rdnr. 30, für unzulässig erachtet wird.<br />
34 Vgl. im Übrigen Hartung/Holl (o. Fußn. 33), § 2 Rdnrn. 25 ff.; Eylmann, in:<br />
Henssler/Prütting, BRAO, 1997, § 43a Rdnrn. 54 ff.<br />
35 Zwischen Aussageverpflichtung – § 38 Abs. 3 BDSG – einerseits und der behördlichen<br />
Ausschöpfung übriger Erkenntnismittel – Abs. 4 – durch Besichtigung,<br />
Einsichtnahme, ggfs. Beschlagnahme und Prüfung andererseits differenziert<br />
das Verfahrensrecht auch sonst deutlich, vgl. §§ 53 Abs. 1, auch 136<br />
Abs. 1 S. 2, 163 a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO einerseits<br />
und §§ 97 Abs. 1 und 2, 110 StPO andererseits; zur unterschiedlichen verfassungsrechtl.<br />
Bewertung in Fällen potenzieller Selbstbezichtigung vgl. BVerfGE<br />
55, 144 (150 f.) vom 22.10.1980; BVerfGE 56, 37 (42 f.) vom 13.1.1981.<br />
36 Vgl. insgesamt zu obigen Ausführungen Rüpke (o. Fußn. 16), S. 43–46; im Ergebnis<br />
übereinstimmend H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II 3 c.<br />
37 Vgl. demgegenüber § 30 Abs. 3 S. 3 BDSG 1977.<br />
38 Unten Abschn. V 2 d; vgl. im Übrigen Rüpke (o. Fußn. 16), S. 46-56; übereinstimmend<br />
mit ausführlicher Begründung H. Zuck (o. Fußn. 19), Abschn. II 3<br />
c.<br />
39 Zum Erfordernis bereichsspezifischen Datenschutzrechts vgl. Simitis, 1981 (o.<br />
Fußn. 20), Einl. Rdnrn. 64, 85.
22<br />
l<br />
mit der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht eigens steuert<br />
40 .<br />
Die Regelung ist zudem aus informationsrechtlicher<br />
Sicht auch die speziellere41 gerade deshalb, weil die Berufspflichten,<br />
deren Einhaltung die Kammer zu überwachen hat<br />
(§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO), den Umgang mit Information<br />
zum Schwerpunkt haben 42 , wie ein Blick in die Berufsordnung<br />
lehrt. Der enge Zusammenhang zwischen berufs- und<br />
informationsrechtlichen Pflichten des Anwalts wurde<br />
kürzlich – wenn auch mit umgekehrter Intention – von einer<br />
involvierten Datenschutz-Aufsichtsbehörde verdeutlicht,<br />
welche gegenüber dem zuständigen Kammervorstand<br />
vorschlug, es sei doch ihre Aufgabe, u. a. zu überprüfen, ob<br />
Anwälte die Pflichten aus § 43 a BRAO einhalten. Damit<br />
würde die gesetzlich vorgesehene Kompetenzzuweisung<br />
nachgerade auf den Kopf gestellt.<br />
Die Spezifizität der anwaltsberuflichen, körperschaftlichen<br />
Selbstkontrolle – im Unterschied zu Gewerbe- oder<br />
Kommunalaufsicht – hat ihr besonderes Gewicht sowohl<br />
wegen der Sensitivität des Mandatsgeheimnisses als auch<br />
wegen der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts von der<br />
Staatsverwaltung, wie sie sich aus dessen besonderer Stellung<br />
im System der Rechtspflege und dem Rechtsstaatsprinzip<br />
ergibt. Das gefundene Ergebnis entspricht zugleich<br />
verfassungskonformer Interpretation 43 .<br />
IV. Europarechtliche Anforderungen an die Kontrollstelle<br />
Unabhängig davon, dass, wie in Teil II erläutert wurde,<br />
das BDSG aus verfassungsrechtlichen Gründen auf anwaltliche<br />
Informationsverarbeitung bei der Wahrnehmung von<br />
Mandaten nicht anwendbar ist, ist bei der Gestaltung bzw.<br />
Interpretation des Berufsrechts den Vorgaben der EG-Datenschutzrichtlinie<br />
(EuDatSR) 44 Rechnung zu tragen. Die<br />
Frage, ob sich besondere Konsequenzen ergeben könnten,<br />
wenn ein entsprechender Konflikt auch zwischen EU-Recht<br />
und grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Gewährleistungen<br />
des GG erkennbar wäre 45 , ist im vorliegenden Zusammenhang<br />
ohne Relevanz. Denn die genannte Richtlinie belässt<br />
dem Berufsrecht den erforderlichen Freiraum zur<br />
Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten der freien<br />
Advokatur und der Verschwiegenheitspflicht. Dies ergibt<br />
sich aus mehreren dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber<br />
Flexibilität einräumenden Klauseln sowohl im Text 46 als<br />
auch in den Erwägungsgründen47 der Richtlinie, ferner aus<br />
deren Entstehungsgeschichte 48 .<br />
1. Unabhängigkeit der Kontrollstelle – ministerialfreie<br />
Verwaltung<br />
a) Die deutsche datenschutzrechtliche Diskussion hatte<br />
allerdings wegen der Regelung der „Kontrollstelle“ im<br />
Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zunächst<br />
auf allgemeiner Ebene ein verfassungsrechtliches Problem<br />
unter dem GG ausgemacht. Der Text sah vor, dass von den<br />
Mitgliedstaaten (1.) eine „unabhängige staatliche Behörde“<br />
geschaffen werde, die (2.) mit „effektive(n) Eingriffsbefugnisse(n)“<br />
zu versehen sei 49 . Die erste Forderung deckte sich<br />
zweifelsfrei nicht mit der Weisungsgebundenheit staatlicher<br />
Behörden nach § 38 BDSG, insbesondere nicht mit der<br />
Fachaufsicht gegenüber den Mittelbehörden. Doch sich von<br />
der bestehenden deutschen Regelung zu trennen, um eine<br />
unabhängige Behörde zu schaffen, löste Bedenken wegen<br />
befürchteter Unzulässigkeit ministerialfreier Verwaltung<br />
aus, und zwar insbesondere im Hinblick auf die vorgese-<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
hene Ausstattung der Stelle mit hoheitlichen Befugnissen<br />
gegenüber dem Bürger50 .<br />
Allerdings halten Rechtsprechung und Literatur unter<br />
dem GG Freiräume von exekutivischer Weisungsgebundenheit<br />
zur Gewährleistung von – überwiegend fachspezifisch<br />
begründeter – politischer Unabhängigkeit in beträchtlich<br />
größerem Umfang für zulässig, als es die datenschutzrechtliche<br />
Diskussion hat erkennen lassen. Verfassungsrechtliche<br />
Voraussetzung ist dabei, dass für eine solche Gestaltung besondere<br />
sachliche Gründe vorliegen und dass den von der<br />
unabhängigen Instanz zu treffenden Entscheidungen keine<br />
zentrale politische Tragweite zukommt51 . Dem entsprechen<br />
zahlreiche Regelungen, und zwar auch im Kontext hoheitlicher<br />
Befugnisse, wie sie z. B. den Prüfungsämtern, den<br />
Ausschüssen für Kriegsdienstverweigerung oder dem Bundeskartellamt<br />
zukommen52 .<br />
Die genannten Voraussetzungen sind auch für die Kontrolle<br />
der Datenverarbeitung bei nicht-öffentlichen Stellen<br />
gegeben. In der Sache geht es dabei regelmäßig um die Regulierung<br />
von Konflikten zwischen privatwirtschaftlichen<br />
Datenverarbeitern einerseits und ggf. in ihrem Persönlichkeitsbereich<br />
betroffenen Personen andererseits, also um<br />
Abklärungen und Konsequenzen in Bezug auf den Interessenwiderstreit<br />
zwischen Privaten. Dazu bedarf es einer neutralen,<br />
fachkundigen Instanz mit besonderen Befugnissen<br />
wegen der spezifischen Arbeitsbedingungen von EDV, insbesondere<br />
wegen deren mangelnder „Durchsichtigkeit“ für<br />
Außenstehende 53 . Auf der Grundlage (teilweise) erzwungener<br />
Transparenz kann sie überwiegend Ausgleichsfunktionen<br />
wahrnehmen. Es geht weniger um die Ausübung von<br />
Macht und/oder politische Gestaltung als vorrangig um<br />
Schlichtung und die Herstellung von Bedingungen für offene<br />
und faire Auseinandersetzung. Damit befinden sich die<br />
40 Vgl. für Näheres dazu Feuerich/Braun, BRAO, 2000, § 56 Rdnrn. 26 ff.; Hartung,<br />
in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34), § 56 Rdnr. 23.<br />
41 worauf § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG nicht (unmittelbar) abstellt; vgl. dazu Auernhammer<br />
(o. Fußn. 20), § 1 Rdnr. 26; anders wohl nur Walz (o. Fußn. 14), Lfg.<br />
5/93, § 1 Rdnr. 281. Beachte aber die etwas anders gelagerte Fragestellung zur<br />
Subsidiarität bei der Regelung behördlicher Zuständigkeit, s. dazu nachfolgenden<br />
Text vor Fn. 43.<br />
42 Vgl. zur Bewertung der Spezialität bei Normen mit sich nicht überdeckenden,<br />
sondern überschneidenden Tatbeständen bzw. Regelungskomplexen Larenz/<br />
Canaris, Methodenlehre der Rechtswiss., 1995, Kap. 2 Abschn. 4 (S. 89 – 91);<br />
Zippelius, Juristische Methodenlehre, 1999, S. 35 f.<br />
43 Vgl. o. Fn. 2–4, unten Fn. 58 und Abschn. V 1 b, c und 2.<br />
44 Richtlinie 95/46/EG vom 24.10.1995, ABl EG L 281/31.<br />
45 Vgl. dazu BVerfGE 73, 339 (378 ff.) vom 22.10.1986 – Solange II; 102, 147<br />
(161 ff.) vom 7.6.2000 – Bananenmarkt; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht,<br />
2001, Rdnrn. 809 ff.<br />
46 Vgl. Art. 5, Art. 7 lit c und e, Art. 13 Abs. 1 g, auch Art. 9; dazu Rüpke,<br />
AnwBl 1995, 381 (383 f.) = DuD 1995, 703 (704 f.); auch ders., EuZW 1993,<br />
145 (155 f.).<br />
47 Vgl. Nr. 22 S. 2, 68.<br />
48 Vgl. Baumeister/Göcken, ZAP 1995, 661 (663); Rüpke, AnwBl (wie Fn. 46).<br />
49 Vgl. dazu Art. 30 Abs. 1 und Abs. 2 Spiegelstrich 2 des Geänderten Vorschlags<br />
der Kommission vom 15.10.1992, KOM(92) 422 endg. – SYN 287;<br />
ganz ähnlich die Formulierungen in Art. 26 Abs. 1 und 2 des 1. Entwurfs,<br />
KOM(90) 314, enthalten in BR-Dr. 690/90.<br />
50 Vgl. dazu Jacob, DuD 1994, 480 (482); Lepper/Wilde, CR 1997, 703 (704);<br />
zuvor schon Schweinoch, RDV 1988, 64 (66); I. Wind, Die Kontrolle des Datenschutzes<br />
im nicht-öffentlichen Bereich, 1994, S. 40 ff., 43; ausgewogen (im<br />
Kontext der Datenschutzkontrolle im öffentlichen Bereich) die ausführliche<br />
Erörterung bei Dammann, Die Kontrolle des Datenschutzes, 1977, S. 155 ff.<br />
51 Vgl. BVerfGE 9, 268 (282) vom 27.1.1959 – BremPVG; auch 93, 37 (72 ff.)<br />
vom 24.5.1995 – MBG Schl.-H.; ferner die nachf. Fn.; AK-GG – Bull, 2001,<br />
Art. 86 Rdnrn. 27 ff.; K. Stern, Staatsrecht der BRD, Bd. II, 1980, § 41 IV 10<br />
b ß (S. 791); Lerche, in:Maunz-Dürig, Lfg. 12/89, Art. 86 Rdnrn. 70 ff.; Jarass/Pieroth,<br />
GG, Komm., 2002, Art. 86 Rdnrn. 3 f.; grundlegend Fichtmüller,<br />
Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 91<br />
(1966), 297 ff.;<br />
52 Vgl. dazu BVerfGE 22, 106 (113) vom 20.6.1967 – Steuerausschüsse zur Entscheidung<br />
über Steuereinsprüche.<br />
53 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46) vom 15.12.1983 – VolkszählungsG.
AnwBl 1/2003 23<br />
Aufsätze l<br />
Kontrollstellen keineswegs im Kernbereich der Exekutive,<br />
der der Regierungsverantwortung von Verfassungs wegen<br />
nicht entbehren soll.<br />
b) Die bezeichneten Bedenken der Datenschutzrechtler 54<br />
haben jedoch dahin geführt, dass der Richtlinientext in seiner<br />
Endfassung insbesondere eine Modifikation dahingehend<br />
erfuhr, dass die „[Kontroll-]Stellen die ihnen zugewiesenen<br />
Arbeiten in völliger Unabhängigkeit<br />
wahr...nehmen“. Die Unabhängigkeit erscheint damit nicht<br />
mehr als Attribut der Stelle, sondern der von ihr zu leistenden<br />
Arbeit 55 . Ob dieser semantische Unterschied weit trägt,<br />
ist sehr fraglich, wenngleich nunmehr häufig angenommen<br />
wird, Art. 28 EuDatSR erlaube den Fortbestand der Eingliederung<br />
der Aufsichtbehörde in die behördliche Hierarchie<br />
der Exekutive. Die Annahme hat dazu geführt, dass<br />
§ 38 BDSG anlässlich der Novellierung im Jahr 2001 diesbezüglich<br />
unverändert geblieben ist. Ein Argument, das<br />
diese Position bekräftigen soll, geht dahin, mit „völliger<br />
Unabhängigkeit“ sei nicht anderes gemeint als die Unabhängigkeit<br />
der Behörde von den zu Kontrollierenden 56 . Ein<br />
so einseitiges Verständnis von Unabhängigkeit verbietet<br />
sich jedoch schon wegen des Zusatzes „völlig“. Insbesondere<br />
bestehende Fachaufsicht verträgt sich mit Arbeitswahrnehmung<br />
in völliger Unabhängigkeit keineswegs 57 .<br />
2. Unabhängigkeit der Rechtsanwaltskammern<br />
Die Rechtsanwaltskammer steht außerhalb der Hierarchie<br />
der staatlichen Behörden 58 . Die „Staatsaufsicht“ der<br />
Landesjustizverwaltung ist auf Rechtsaufsicht beschränkt,<br />
§ 62 Abs. 2 BRAO 59 . Dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />
obliegt als „Behörde“ dieser Körperschaft die Berufsaufsicht,<br />
§§ 56, 73 BRAO. Er unterliegt dabei keinen Weisungen<br />
der Kammerversammlung, die seine Mitglieder auf<br />
vier Jahre unrevozierbar wählt. § 89 Abs. 2 Nr. 6 BRAO<br />
sieht die Entlastung des Vorstands vor; wird diese von der<br />
Kammerversammlung versagt, hat das keine rechtlichen<br />
Folgen, kann jedoch Auslöser für die Ausübung staatlicher<br />
Rechtsaufsicht sein 60 . Die Vorstandsmitglieder sind ehrenamtlich<br />
tätig, § 75 BRAO, womit sie – anders als regelmäßig<br />
Beamte und Richter – auch wirtschaftlich unabhängig<br />
von dieser Tätigkeit sind.<br />
Die Voraussetzungen für die Ausübung datenschutzrechtlicher<br />
Kontrolle in „völliger Unabhängigkeit“ sind<br />
also beim Vorstand der Rechtsanwaltskammer in besonderer<br />
Weise erfüllt. Auch eine Abhängigkeit von den zu<br />
überprüfenden Kollegen ist nicht erkennbar. Deren Einfluss<br />
als Kammermitglieder kann sich allenfalls auf Beschlüsse<br />
der Kammerversammlung erstrecken, die jedoch wegen der<br />
von der BRAO vorgenommenen Kompetenzabgrenzungen<br />
die Aufsichtsfunktionen des Vorstands nicht wesentlich zu<br />
berühren vermögen. Im Übrigen steht der Versammlung<br />
nach § 89 Abs. 1 S. 2 nur das Recht zur Erörterung allgemeiner<br />
Angelegenheiten zu 61 , während umgekehrt der<br />
Vorstand auch ihr gegenüber das Recht und die Pflicht zur<br />
Verschwiegenheit (§ 76 BRAO) hat.<br />
V. Berufsrechtliche Lösung<br />
1. Ausgangssituation<br />
Auf der Grundlage der gesetzlich geregelten und den<br />
Vorgaben der EuDatSR entsprechenden Kompetenz der<br />
Rechtsanwaltskammer zur Durchführung der Datenschutzkontrolle<br />
sind Überlegungen zur künftigen rechtlichen Ausgestaltung<br />
dieses Aufgabenbereichs am Platz. Denn die gegenwärtige<br />
Regelung des § 56 BRAO wird den<br />
EDV-technischen Gegebenheiten der Informationsverarbeitung<br />
nicht im erforderlichen Umfang gerecht. Die Aufsichtssache<br />
„Datenschutz“ bedarf insofern der gesetzlichen<br />
Präzisierung. Das besondere Charakteristikum des § 56<br />
Abs. 1 S. 2 darf dabei nicht in Frage gestellt werden. Es<br />
geht – unverändert auch gegenüber dem Vorstand der<br />
Rechtsanwaltskammer – um die weitestgehende Schonung<br />
des Mandatsgeheimnisses, welche vor allem dann in Rede<br />
steht, wenn der Vorstand auf Veranlassung und/oder zum<br />
Schutz von Nichtmandanten tätig werden soll 62 .<br />
a) Für den Umfang zulässiger Kontrollmaßnahmen<br />
kommt es demgemäß wesentlich darauf an, ob sie mit einem<br />
Eindringen in für die Mandatsführung gespeicherte Informationsinhalte<br />
notwendig verbunden sind oder nicht.<br />
Insbesondere die Überprüfung der für die Datensicherheit<br />
zu treffenden technischen und organisatorischen Maßnahmen<br />
i. S. d. § 9 BDSG 63 macht ein solches Eindringen überwiegend<br />
nicht erforderlich. Insoweit können diese auch zum<br />
Gegenstand routinemäßiger Kontrollen werden, welche sich<br />
allerdings kaum ohne Einblicke vor Ort realisieren lassen.<br />
Das Gesetz hätte dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />
hierfür also Betretungs- und Besichtigungsrechte in der<br />
Kanzlei einzuräumen (die während der Bürozeit und i. d. R.<br />
nur nach vorheriger Ankündigung wahrzunehmen wären) 64 .<br />
b) Wenn immer eine Kontrolle die verarbeiteten Inhalte<br />
in einer Weise einbezieht, dass dem Berufsgeheimnis unterfallende<br />
Information dabei den Prüfenden zur Kenntnis gelangt,<br />
ist dies an besonders gesteigerte Voraussetzungen zu<br />
knüpfen. Vom Verfassungsrecht her folgt das aus den Gewährleistungen<br />
der Art. 5 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG. Die<br />
Ableitung des Schutzes des Anwaltsgeheimnisses aus der<br />
erstgenannten Bestimmung, nämlich aus der negativen Meinungsfreiheit,<br />
macht zusätzliche analytische Schritte erforderlich,<br />
die nicht Gegenstand der vorliegenden Darstellung<br />
sein können65 . Analog zur grundrechtlichen Vermutung der<br />
Zulässigkeit freier anwaltlicher Rede (vgl. oben Abschn. II<br />
2 a) ist als Ergebnis – als verfassungsrechtliches Minimum<br />
– die Vermutung zu Gunsten des anwaltlichen Rechts auf<br />
Verschwiegenheit festzuhalten, so dass eine völlig unspezi-<br />
54 Ganz anders übrigens schon zuvor Simitis, CR 1987, 602 (610), welcher umgekehrt<br />
die deutsche Regelung der Aufsichtsbehörden im Hinblick auf Vorgaben<br />
des BVerfG für nicht verfassungsgemäß hält, insofern nach dem BDSG die<br />
Unabhängigkeit nicht gewährleistet sei; dazu kritisch Wind (o. Fußn. 50),<br />
S. 40 ff.; zur Unabhängigkeit von Datenschutzinstanzen vgl. weiterhin Mitrou,<br />
Die Entwicklung der institutionellen Kontrolle des Datenschutzes, 1993, 70 ff.<br />
55 Vgl. Dammann/Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, Komm., 1997, Art. 28<br />
Rdnr. 5.<br />
56 Vgl. F. Kopp, DuD 1995, 204 (211); Lepper/Wilde, CR 1997, 703 ff.; Wilde/<br />
Ehmann/Niese/Knoblauch, Bayer. DatenschutzG, Komm. Lfg. 12/98, Art. 34<br />
Rdnr. 2 c, auch aaO. insgesamt zum Streitstand m. umfangr. Nw. in Rdnr. 2 e, 2 f.<br />
57 Vgl. Brühann/Zerdick, Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie, CR 1996,<br />
429 (435); Simitis, in: Informationsgesellschaft und Rechtskultur in Europa,<br />
hrsg. von Tinnefeld u. a., 1995, S. 65 f.; Ehmann/Helfrich, EG-Datenschutzrichtlinie,<br />
Komm., 1999, Art. 28 Rdnr. 6; a. A. Martina Weber, CR 1995, 297<br />
(298); unentschieden W. Rudolf, in: FS für K. Stern, 1997, S. 1347 (1361 ff.).<br />
58 Sie beruht auf dem Selbstverwaltungsprinzip und entspricht mit ihren Funktionen<br />
dem Berufsbild des Rechtsanwalts, vgl. dazu K. Redeker, Freiheit der Advokatur<br />
– heute, NJW 1987, 610 f. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen<br />
und Grenzen Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Hdb. d. Staatsrechts,<br />
hrsg. von Isensee u. a., Bd. IV, 1990, § 106 Rdnrn. 46 ff.<br />
59 Vgl. Feuerich/Braun (o. Fußn. 40), § 62 Rdnr. 6; Hartung, in:Henssler/Prütting<br />
(o. Fußn. 34), § 62 Rdnr. 10.<br />
60 Vgl. Hartung, in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34), § 89 Rdnr. 16.<br />
61 Vgl. Feuerich/Braun (o. Fußn. 40), § 89 Rdnrn. 2, 3, 12; für extensive Interpretation<br />
des Erörterungsrechts Hartung, in:Henssler/Prütting (o. Fußn. 34),<br />
§ 89 Rdnr. 4.<br />
62 Vgl. dazu die Nachw. o. in Fn. 40.<br />
63 Vgl. dazu auch Anlage zu § 9 Satz 1 BDSG am Ende des Gesetzes.<br />
64 Insoweit ist die Anlehnung an die Ausführungen des BVerfG zu Nachschaurechten<br />
– s. unten Fn. 80 und unten Abschn. 2 d – möglich und angezeigt,<br />
ebenso an § 38 Abs. 4 S. 1 BDSG; vgl. dazu auch Walz (o. Fußn. 14), Lfg. 7/<br />
94, § 38 Rdnr. 30.<br />
65 Vgl. dazu die Untersuchung bei Rüpke (o. Fußn. 16), S. 136 ff.
24<br />
l<br />
fische bzw. an einen bestimmbaren Anlass nicht gebundene<br />
Kontrollbefugnis von vornherein ausscheidet 66 .<br />
c) Des Weiteren lassen sich die verfassungsrechtlichen<br />
Grenzen möglicher Durchbrechung des Anwaltsgeheimnisses<br />
gerade anhand der Rechtsprechung des BVerfG zu<br />
Art. 12 GG verdeutlichen. Nach der Stufentheorie des Gerichts67<br />
muss die Betrachtung hierzu bei den Voraussetzungen<br />
objektiver Berufszulassungsschranken ansetzen. Dies<br />
mag zunächst überraschen, da in der bisherigen Diskussion<br />
Einschränkungen des Anwaltsgeheimnisses überwiegend<br />
als Berufsausübungsregelung angesehen wurden68 . Demgegenüber<br />
ist erneut auf die – historisch und im Rechtsstaatsprinzip<br />
begründete – zentrale Bedeutung des Geheimnisses<br />
für die freie Advokatur hinzuweisen. Jedwede<br />
Einschränkung, die nicht klar und „punktuell“ gesetzlich<br />
ausgestaltet 69 und von daher vorhersehbar und berechenbar<br />
ist, läuft Gefahr, das unerlässliche Vertrauensverhältnis zum<br />
Mandanten auszuhöhlen70 . In Rede steht also eine ggf. tief<br />
greifende Umgestaltung des Berufsbildes, welche einem<br />
objektiven Zulassungshindernis zur bisher charakteristischen<br />
beruflichen Betätigung gleichzusetzen ist 71 . – Zu einem<br />
ähnlichen Ergebnis kann übrigens die vom BVerfG<br />
mehrfach vorgenommene Relativierung der Stufentheorie<br />
führen, und zwar dahingehend, dass vorfindliche Berufsausübungsregelungen<br />
u. U. an ihren besonders einschneidenden<br />
Auswirkungen zu messen sind und von daher<br />
durchaus ebenso strengen Voraussetzungen unterliegen<br />
können wie objektive Zulassungsschranken72 .<br />
2. Leitlinien für die Ausgestaltung<br />
Objektive Berufswahlbeschränkungen sind nur zu Gunsten<br />
eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts unter<br />
strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />
mit dem GG vereinbar73 .<br />
a) Inwieweit der Schutz personenbezogener Daten ein<br />
überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist, lässt sich nicht<br />
generell beantworten. Vielmehr ist zu differenzieren. Kennzeichen<br />
des in diesem Zusammenhang als zentrales Schutzgut<br />
oft herangezogenen „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“<br />
ist, dass es im Ausgangspunkt jedwede<br />
personenbezogene Daten umfasst – kein Datum sei „belanglos“<br />
74 –, damit also weit ausgreifend angelegt ist. In<br />
dieser Breite jedenfalls kann ihm der Charakter eines Gemeinschaftsguts<br />
von besonderer Ranghöhe nicht zugebilligt<br />
werden, zumal nicht im Verhältnis zu den Berufsgeheimnissen,<br />
welche oft sensitive Informationen mit umfassen und<br />
zugleich die Integrität der jeweiligen beruflichen Tätigkeit<br />
betreffen.<br />
Eine andere Beurteilung kann demgegenüber gerechtfertigt<br />
sein, wenn die Abwehr schwerer/beharrlicher Persönlichkeitsverletzungen<br />
in Rede steht, die vermöge grob<br />
zweckwidriger Datenverarbeitung oder der Verarbeitung bewusst<br />
unwahrer Daten herbeigeführt werden können75 . So<br />
wäre es denkbar, dass ein Rechtsanwalt unter dem Deckmantel<br />
privilegierter anwaltlicher Informationsverarbeitung<br />
den Gewerbebetrieb einer Auskunftei oder Detektei zu betreiben<br />
versucht oder dass er sich dafür hergäbe, durch<br />
systematisches Speichern und Verändern der Daten einer bestimmten<br />
Person gegen diese eine gezielte Rufmordkampagne<br />
vorzubereiten. Die Grenze groben Missbrauchs, die<br />
hiermit generell angesprochen ist, wird im Berufsrecht<br />
rechtsähnlich – aber nicht deckungsgleich – durch das Sachlichkeitsgebot76<br />
markiert.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
b) Unter strikter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />
ist zu entscheiden, welche Eingriffe in das<br />
anwaltliche Berufsgeheimnis zur Missbrauchsbekämpfung<br />
gerechtfertigt sein können. Dabei kann der Umstand, dass<br />
bislang Missbräuche der genannten Art nicht bekannt geworden<br />
sind 77 , freilich kein hinreichender Grund dafür sein,<br />
überhaupt auf jedwede Kontrollen der anwaltlichen Informationsverarbeitung,<br />
die sich auf vom Berufgeheimnis umfasste<br />
Inhalte erstrecken, zu verzichten. Doch gebietet die<br />
Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den empirischen Befund<br />
gesteigerte Zurückhaltung.<br />
c) Unerlässlich ist der Eingriff ins Berufsgeheimnis nur,<br />
wenn andere Wege, einen Missbrauch aufzudecken, nicht in<br />
Betracht kommen. Entfaltet ein Anwalt möglicherweise<br />
z. B. eine berufsfremde, gewerbliche Tätigkeit, wird die<br />
Aufsichtsinstanz zunächst, ohne die Inhalte des Kanzleicomputers<br />
sofort durchsuchen zu müssen, den ihr vorliegenden<br />
Indizien anderweitig nachgehen können, um den bestehenden<br />
Verdacht weiter zu erhärten. Daraus ergibt sich in<br />
Anlehnung an bewährte rechtsbegriffliche Abstufungen der<br />
StPO das Postulat – zur Realisierung strikter Verhältnismäßigkeit<br />
–, dass der Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />
zureichenden oder hinreichenden Missbrauchsverdacht 78<br />
zwar zum Anlass für weitere Untersuchungen zu nehmen<br />
hat, eine Durchbrechung des Anwaltsgeheimnisses jedoch<br />
dringenden Verdacht 79 zur Voraussetzung hat.<br />
d) Die Prüfung der dem Geheimnis unterfallenden Informationsinhalte<br />
in der Anwaltskanzlei lässt sich nicht den<br />
66 Vgl. o. Abschn. II 2 a; Rüpke (o. Fußn. 16), S. 146 f.<br />
67 Die Grundsätze dazu wurden in BVerfGE 7, 377 (399 ff.) vom 11.06.1958 –<br />
Apotheke I – entwickelt.<br />
68 Vgl. Henssler, NJW 1994, 1819; BVerfGE 30, 1 (32) vom 15.12.1970 – „Abhörurteil“.<br />
69 vgl. §§ 138, 139 Abs. 3 StGB, weiterhin die sich aus §§ 840 oder 817 ZPO ergebenden<br />
Offenbarungszwänge, auch § 8 GwG. Darüber hinausgehend, aber<br />
immer noch sachlich viel stärker begrenzt als etwa routinemäßige Datenverarbeitungskontrollen:<br />
Geltendmachung von Honorarforderungen und Verteidigung<br />
in eigener Sache, vgl. § 2 Abs. 3 BORA; dazu Hartung/Holl (o.<br />
Fußn. 33), § 2 Rdnrn. 31 ff. m. entspr. Rspr.-Nw.; Feuerich (o. Fußn. 40),<br />
§ 43 a Rdnrn. 27 ff.<br />
70 Dazu Näheres bei Rüpke (o. Fußn. 16), S. 152.<br />
71 Zu Möglichkeit und Grenzen gesetzgeberischer Umgestaltung von Berufsbildern<br />
Scholz, in:Maunz-Dürig, GG, Lfg. 9/81, Art. 12 Rdnrn. 266-273; zur Bedeutung<br />
des Berufsgeheimnisses für das Berufsbild BVerfGE 33, 367 (377 ff.)<br />
vom 19.7.1972 – Sozialarbeiter.<br />
72 Zuerst in BVerfGE 11, 30 (43 ff.) vom 23.3.1960 – Kassenarzt; weitere Entscheidungen<br />
insbes. zu Steuern mit erdrosselnder Wirkung; vgl. hierzu Jarass/<br />
Pieroth (o. Fußn. 51), Art. 12 Rdnr. 28.<br />
73 Vgl. BVerfGE 7, 408 (wie Fn. 67); Jarass/Pieroth (o. Fußn. 51), Art. 12<br />
Rdnrn. 39 f.; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG-Komm., 2000, Art. 12<br />
Rdnr. 69.<br />
74 Vgl. BVerfGE 65, 45 (wie o. Fn. 53); dazu kritisch Vogelgesang, Grundrecht<br />
auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, S. 181 f., 257.<br />
75 Vgl. dazu – wenngleich in anderem Regelungszusammenhang – das Tatbestandsmerkmal<br />
„besonderer Gefährdung des Persönlichkeitsrechts“ in § 36<br />
Abs. 5 S. 2 BDSG und dazu die Beispiele bei Bergmann/Möhrle/Herb (o.<br />
Fußn. 20), Lfg. 9/91, § 38 Rdnr. 64.<br />
76 Vgl. BVerfGE 76, 190 ff. (wie Fn. 21); Hartung/Holl (o. Fußn. 33), § 43a<br />
BRAO Rdnrn. 35 ff. Doch nicht jeder Verstoß hiergegen beinhaltet eine<br />
schwere Persönlichkeitsverletzung im zuvor dargelegten Sinn.<br />
77 Auch die Tätigkeitsberichte der Datenschutzbehörden der Länder ergeben<br />
hierzu – soweit sie überprüft werden konnten – nichts Gegenteiliges; vgl. auch<br />
Anne Arendt, Register der Tätigkeitsberichte zum Datenschutz, Teil 2: Nichtöffentlicher<br />
Bereich, 1993, sowie unter http://www.uni-frankfurt.de/fradata/ :<br />
Register, nicht Öffentlicher Bereich, Rechtsanwaltskanzlei.<br />
78 Zum hinreichenden Verdacht i. S. d. § 203 StPO vgl. Pfeiffer, StPO, 2002,<br />
§ 203 Rdnr. 2; die Frage, ob man stattdessen zureichenden Verdacht – „zureichende<br />
tatsächliche Anhaltspunkte“, § 152 Abs. 2 StPO, dazu Pfeiffer, § 152<br />
Rdnr. 1a ff. – für eine Untersuchungstätigkeit des Kammervorstands zu Grunde<br />
legt, ist m. E. keine verfassungsrechtliche, sondern eine rechtspolitische;<br />
vgl. auch die Formulierung in § 38 Abs. 1 BDSG 1990: „hinreichende Anhaltspunkte“,<br />
und dazu Gola/Schomerus, BDSG, 1997, § 38 Anm. 2.4, auch<br />
Neuaufl. 2002, § 38 Rdnr. 16, sowie Auernhammer (o. Fußn. 20), § 38<br />
Rdnr. 5.<br />
79 Vgl. zum dringenden Verdacht i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO Kleinknecht/<br />
Meyer-Goßner, StPO, 2001, § 112 Rdnrn. 26-28; weiterhin zu § 112 Pfeiffer<br />
(o. Fußn. 78), Rdnr. 2.
AnwBl 1/2003 25<br />
Aufsätze l<br />
üblichen wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Nachschaurechten<br />
zuordnen, welche nach der Rechtsprechung des BVerfG<br />
eine echte Grundrechtseinschränkung nach Art. 13 Abs. 7<br />
GG gar nicht beinhalten 80 . Denn dieser Grundsatz gilt nur<br />
für „reine Geschäfts- und Betriebsräume“ 81 , also für Räume<br />
mit ausgeprägt gewerblicher Nutzung 82 . Darüber hinaus beinhaltet<br />
das gezielte Suchen nach Sachverhalten in Räumen<br />
eine Durchsuchung i. S. d. Art. 13 Abs. 2 GG; 83 es ist deshalb<br />
die (anwalts)gerichtliche Anordnung einer solchen<br />
Maßnahme vorzusehen.<br />
3. Realisierung<br />
a) Zur Diskussion steht seit geraumer Zeit ein Vorschlag<br />
zur informationsrechtlichen Ergänzung der BRAO, welcher<br />
in erster Linie materiell-rechtliche Regelungen für die anwaltliche<br />
Datenverarbeitung als solche beinhaltet. Sie tragen<br />
deren Besonderheiten Rechnung und sind geeignet,<br />
eine Lösung in der bestehenden Situation anzubieten, insofern<br />
diese durch die Unanwendbarkeit des BDSG gekennzeichnet<br />
ist 84 . Zugleich enthält der Vorschlag u. a. eine entsprechende<br />
Erweiterung der Aufsichtsfunktionen der<br />
Rechtsanwaltskammern.<br />
Das Konzept entstand im Laufe der 90er-Jahre. Es<br />
wurde erstmalig von der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
1996 verabschiedet 85 , um in der Folgezeit<br />
mit Informations- und Berufsrechtsausschuss des<br />
DAV diskutiert, modifiziert und abgestimmt zu werden.<br />
Nach erneuter Beschlussfassung ist der Entwurf im Dezember<br />
2000 fertig gestellt worden 86 . Der vorgesehene § 50 a<br />
BRAO lautet auszugsweise (hier ohne die Prüfungsbefugnisse<br />
in Bezug auf Datensicherheit):<br />
„Datenschutzkontrolle durch den Vorstand der<br />
Rechtsanwaltskammer<br />
(1) Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer überprüft<br />
im Einzelfall die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener<br />
Daten in oder aus Dateien durch den Rechtsanwalt,<br />
wenn hinreichender Missbrauchsverdacht besteht. Missbrauch<br />
liegt insbesondere dann vor, wenn die Daten mit<br />
dem Ziel einer schweren Persönlichkeitsverletzung oder für<br />
gewerbliche oder sonstige außerhalb des anwaltlichen Aufgabenbereichs<br />
liegende Zwecke verwendet werden....<br />
(4) Der Vorstand ist berechtigt, die Räume der Anwaltskanzlei<br />
während der Bürozeiten zu betreten, um dort Besichtigungen<br />
und Prüfungen vorzunehmen. Er soll dies dem<br />
Rechtsanwalt rechtzeitig zuvor ankündigen.<br />
(5) Bei dringendem Missbrauchsverdacht umfasst die in<br />
Abs. 4 S. 1 bezeichnete Berechtigung das Recht der Einsichtnahme<br />
in gespeicherte personenbezogene Daten. Die<br />
Maßnahme bedarf der Anordnung durch das Anwaltsgericht,<br />
bei Gefahr im Verzuge durch den Vorsitzenden der<br />
zuständigen Kammer. Abs. 4 S. 2 findet keine Anwendung....<br />
(7) Art. 13 GG wird durch Abs. 4 und 5 eingeschränkt.“<br />
b) Die weit überwiegende Anzahl von Prüfungen werden<br />
voraussichtlich die technisch-organisatorische Datensicherheit<br />
betreffen, um hier erforderliche Standards (z. B. Zugriffskontrolle,<br />
fire-walls, Verschlüsselungstechnik) zu gewährleisten,<br />
übrigens u. a. gerade zum Schutz des<br />
Mandatsgeheimnisses. 87 Auch im Übrigen wird es bei erforderlichen<br />
(Inhalts-)Kontrollen vorrangig nicht um die Klärung<br />
von Rechtsbeziehungen, sondern vorab um das Aufspüren<br />
und Erfassen der zu Grunde liegenden<br />
datentechnischen Abläufe gehen. Zur kompetenten Inspek-<br />
tion sind nicht nur solide Kenntnisse des Datenschutzrechts,<br />
sondern insbesondere hoher informationstechnischer Sachverstand<br />
geboten. Ein etwaiges „schwarzes Schaf“ wird sich<br />
nicht erwischen lassen wollen; dessen Computertricks muss<br />
ein Prüfer gewachsen sein.<br />
Von daher sind in der Diskussion des Vorschlags zunächst<br />
Besorgnisse aufgekommen, inwieweit die Rechtsanwaltkammern<br />
vermöge ihrer personellen Ausstattung der<br />
gestellten Aufgabe gewachsen sein werden. Zwischenzeitlich<br />
hat sich überwiegend die Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />
die Kammern dieser ihnen von ihrer Stellung her originär<br />
zufallenden Funktion nicht ausweichen können und wollen.<br />
Zudem kommen sie von ihrem eigenen Tätigkeitsbereich<br />
her um den Erwerb entsprechend vertiefter Kenntnisse<br />
schwerlich noch aus, schon im Hinblick auf das in neueren<br />
Landesdatenschutzgesetzen etablierte Erfordernis der Bestellung<br />
eines „behördlichen Datenschutzbeauftragten“,<br />
welcher, was die Datenverarbeitung bei der Kammer selbst<br />
anbetrifft, (ähnlich einem betrieblichen Datenschutzbeauftragten)<br />
kompetente Selbstkontrolle für die Kammer zu realisieren<br />
hat 88 .<br />
Eine praktikable Lösung kann auch darin liegen, dass<br />
eine juristisch und EDV-technisch versierte Kontrollperson<br />
für mehrere Rechtsanwaltskammern tätig ist, so dass nicht<br />
jede von diesen einen eigenen geeigneten Spezialisten aufzuweisen<br />
hat. Der gemeinsame Kontrolleur unterfiele der<br />
Verschwiegenheitspflicht nach § 76 Abs. 1 S. 2 BRAO –<br />
wie sie in gleicher Weise von dem betreffenden Kammervorstand<br />
nach S. 1 zu beachten ist –, und zwar auch gegenüber<br />
jeweils anderen Kammervorständen, für die er in<br />
jeweils anderen Angelegenheiten ebenfalls tätig zu werden<br />
den separaten Auftrag hätte 89 .<br />
c) Zum Schutz des Anwaltsgeheimnisses sieht der genannte<br />
Entwurf im Übrigen in § 56b vor, dass die im Wege<br />
der Datenschutzkontrolle erlangten Informationen nicht<br />
zum Nachteil des Mandanten verwendet werden dürfen und<br />
dass, soweit die Kenntnis des konkreten Mandantenbezugs<br />
für die Bearbeitung des in Rede stehenden (Missbrauchs-)Falls<br />
für den Vorstand nicht unerlässlich sein<br />
sollte, solcher Personenbezug getilgt, die Information insoweit<br />
also anonymisiert wird 90 .<br />
80 Vgl. BVerfGE 32, 54 (75 f.) vom 13.10.1971 – Schnellreinigung.<br />
81 so das BVerfG aaO.<br />
82 Zu dieser Frage in Bezug auf Anwaltskanzleien Rüpke (o. Fußn. 16), S. 49 f.;<br />
H. Zuck (o. Fn. 19) Abschn. II 3 c.<br />
83 Vgl. BVerfGE 51, 97 (105 ff.) vom 3.4.1979; 57, 346 (354 f.) vom 16.6.1981;<br />
76, 83 (89 ff.) vom 16.6.1987, jeweils zur Durchsuchung bei der Vollstreckung<br />
in bewegl. Sachen; zur Problemstellung bei der „Suche im Computer“ Rüpke<br />
(o. Fußn. 16), S. 51 f. mit Nw.<br />
84 Vgl. dazu o. Abschn. II und III.<br />
85 In der 1996 verabschiedeten Fassung nebst Begründung abgedruckt in BRAK-<br />
Mitt. 1997, 16 ff.<br />
86 Der Entwurf in neuester Fassung kann bei der Geschäftsstelle der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
bezogen werden.<br />
87 Dazu heißt es, was die materiell-rechtlichen Pflichten des Anwalt anbelangt,<br />
in § 50 a Abs. 8 des zuvor genannten Entwurfs zur Ergänzung der BRAO:<br />
„Der Rechtsanwalt trifft technische und organisatorische Maßnahmen der Datensicherung<br />
zum Schutz personenbezogener sowie solcher Informationen, auf<br />
die sich die Pflicht des § 43 a Abs. 2 bezieht.“<br />
88 Vgl. dazu § 25 Abs. 2 BayDSG; § 19 a Abs. 5 BlnDSG; § 8 Abs. 2 NdsDSG;<br />
§ 5 HessDSG; § 20 DSG-MV; § 32 a DSG NRW; § 11 LDSG RP; § 14 a<br />
DSG-LSA; § 10 a Thür DSG; auch § 4 f BDSG.<br />
89 Die differenzierte Verschwiegenheitspflicht ist analog zu derjenigen einer Person,<br />
die bei mehreren Anwälten angestellt ist.<br />
90 Die diesbezügliche Anonymisierung ist auch für die Fälle des § 120 a und des<br />
§ 76 Abs. 3 BRAO vorgesehen. Im BDSG findet sich ein analoges Prinzip in<br />
§ 39.
26<br />
l<br />
VI. Zusammenfassung<br />
Unabhängigkeit anwaltlicher Informationsverarbeitung<br />
von staatlichen Prüfungen ist ein Gebot des GG. Dessen<br />
ungeachtet kann sich die Anwaltschaft im Hinblick auf die<br />
Möglichkeiten heutiger Datenverarbeitung einer Missbrauchskontrolle<br />
nicht völlig entziehen. Die Untersuchung<br />
hat ergeben, dass die einschlägige Vorschrift des BDSG –<br />
ganz abgesehen von verfassungsrechtlichen Einwänden gegen<br />
dessen Anwendbarkeit auf Rechtsanwälte – dem Recht<br />
der anwaltsrechtlichen Berufsaufsicht wegen Subsidiarität<br />
zu weichen hat. Die gesetzlich bestehende Zuständigkeit<br />
der Rechtsanwaltskammern entspricht zugleich den besonderen<br />
Erfordernissen der EG-Datenschutzrichtlinie. Im Berufsrecht<br />
selbst bedarf es freilich – insbesondere auf Grund<br />
der sich aus Art. 12 GG ergebenden Eingriffsvoraussetzungen<br />
– einer präziseren Festlegung und Eingrenzung datenschutzrechtlicher<br />
Kontrollbefugnis, insoweit diese sich auf<br />
der Verschwiegenheitspflicht unterfallende Informationen<br />
erstreckt. Einer Konkretisierung dient der seitens der Anwaltschaft<br />
im Jahr 2000 fertig gestellte Novellierungsvorschlag<br />
zur BRAO, nach welchem nur bei dringendem Missbrauchsverdacht<br />
und nach Anordnung durch das<br />
Anwaltsgericht das Recht des Kammervorstands besteht,<br />
Prüfungen auch unter Durchbrechung des Mandatsgeheimnisses<br />
vorzunehmen – bei striktem Verbot der Verwertung<br />
erlangter Kenntnisse zum Nachteil der Mandanten.<br />
Grundzüge des<br />
selbstständigen Beweisverfahrens<br />
im Zivilprozess*<br />
–1.Teil–<br />
Vorsitzender Richter am Landgericht Jürgen Ulrich,<br />
Dortmund**<br />
Übersicht<br />
1. Teil<br />
A. Bedeutung<br />
I. Leitlinien<br />
II. Schiedsgerichts-/Schiedsgutachtenabrede<br />
B. Einzelheiten<br />
I. Erscheinungsformen<br />
1. Einvernehmliche Beweiserhebung<br />
2. Verlust von Beweismitteln oder Erschwerung<br />
3. Isoliertes Beweisverfahren<br />
a) Kein Hauptsacheprozess<br />
b) Beweisthemen<br />
c) Rechtliches Interesse<br />
II. Details zum Antrag<br />
1. Beteiligte des Verfahrens<br />
2. Tatsachenbezeichnung und Ausforschung<br />
3. Beweismittel<br />
4. Glaubhaftmachung<br />
2. Teil (folgt in einem späteren Heft)<br />
III. Verfahren<br />
1. Zuständigkeit des Gerichts<br />
2. Anwaltliche Vertretung<br />
3. Zustellung des Antrags<br />
4. Entscheidung des Gerichts<br />
a) Freigestellter Erörterungstermin<br />
b) Beschluss des Gerichts<br />
c) Sofortige Beschwerde<br />
5. Bestimmung des Sachverständigen<br />
6. Tätigkeit des Sachverständigen<br />
a) Hilfspflichten des Antragsgegners<br />
b) Ortstermin des Sachverständigen<br />
c) Förderungspflichten des Sachverständigen<br />
7. Ablehnung des Sachverständigen<br />
8. Mündliche Erläuterung/Ergänzung<br />
9. Antragsgegnerseite<br />
a) Unbekannte Gegner<br />
b) Gegenrechte<br />
aa) Einwendungen<br />
bb) Gegenansprüche<br />
10. Besonderheiten<br />
a) Zugang und Fristen; Beendigung<br />
b) Unterbrechen/Ruhen/Aussetzung<br />
c) Streitverkündung und Nebenintervention<br />
11. Verjährungsfragen<br />
12. Ausland<br />
3. Teil (folgt in einem späteren Heft)<br />
IV. Verwertung des Gutachtens<br />
V. Kosten<br />
1. Grundsätze<br />
2. Akzessorietät<br />
a) Zurücknahme des Antrags<br />
b) Zurückweisung des Antrags<br />
c) Weitere Fälle der ausnahmsweisen Kostenentscheidung<br />
3. Einzelheiten des § 494a ZPO<br />
4. Nämlichkeit<br />
a) Identität der Beteiligten<br />
b) Übereinstimmung im Gegenstand<br />
5. Besonderheiten des Hauptverfahrens<br />
6. Kosten der Nebenintervention<br />
VI. Streitwert<br />
1. Quote zum Hauptsachestreitwert<br />
2. Bewertung des Interesses<br />
3. Streitwertänderungsfrist<br />
A. Bedeutung<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
Mit dem Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom<br />
17.12.1990 mutierte der Gesetzgeber das damals schon recht<br />
betagte „Beweissicherungsverfahren“ zum „selbstständigen<br />
Beweisverfahren“. Diese Novelle konzentrierte sich glücklicherweise<br />
nicht darauf, allein ein Etikett farbiger zu gestalten,<br />
sondern griff mit der Neufassung der §§ 485 ff.<br />
ZPO auch inhaltlich bedeutsam in die Struktur ein; so fand<br />
in der Sache die notwendige Aktualisierung statt. Dennoch<br />
brauchte es noch einige Jahre, bis sich Effektivität und<br />
Zweckmäßigkeit dieses „besonderen Sicherungsmittels“ der<br />
Praxis vollständig offenbarten. Nachdem sich nun die jüngeren<br />
zur Beschleunigung und Vereinfachung insbesondere<br />
der baurechtlichen Streitigkeiten fabrizierten gesetzgeberischen<br />
Maßnahmen eher als Flops erweisen, besinnen sich<br />
die Beteiligten wieder der klassischen Möglichkeiten. Folge<br />
ist, dass in der gerichtlichen Praxis Zahl und Umfang dieser<br />
besonderen Verfahren heftig boomen; auch die Veröffentlichungen<br />
– durchweg zu Teilaspekten des selbstständigen<br />
Beweisverfahrens – häufen sich 1 . Soweit § 3 Nr. 4 VOB/B<br />
* Der Text geht zurück auf vom Verfasser am 13. und 14. März 2002 in der<br />
Deutschen Richterakademie, Trier, anlässlich der Wochentagung „Der Sachverständige<br />
im Zivilprozess“ vor Richtern gehaltene Vorträge. Das AnwBl<br />
veröffentlicht den Beitrag in 3 Teilen.<br />
** Der Verfasser ist zugleich Lehrbeauftragter für Sachverständigenrecht an der<br />
Fachhochschule Bochum.<br />
1 Vgl. u.a.: Bohnen BB 1995, 2333; Breyer BauR 1999, 320; Cuypers NJW<br />
1994, 1985; ders. ZfBR 1998, 163; Eibner BauR 1998, 497; von Eicken AGS<br />
2002, 122; Enaux Festschrift für Craushaar 1997, 375; ders. Jahrbuch Baurecht<br />
1999, 162; Fischer MDR 2001, 608; Hansen Rpfl 1997, 363; Kießling<br />
NJW 2001, 3668; Knacke Jahrbuch Baurecht 2002, 329; Koppmmann BauR<br />
2001, 1342; Kunze NJW 1996, 102; Lindacher JR 1999, 278; Maier/Falk<br />
BauR 2000, 1123; Notthoff/Buchholz JurBüro 1996, 5; Pauly JR 1996, 269;<br />
ders. MDR 1997, 1087; Schilling BauR 2001, 147; Schmitz BauR 1996, 340;<br />
Schneider MDR 2000, 1230; Scholl NZM 1999, 108; Scholtisseck BauR<br />
2000, 1118; Schulz SchlHA2000, 25; Siegburg Festschrift für Jack Mantscheff<br />
2000, 405; Weyer BauR 2001, 1807; Wirges JurBüro 1997, 565; Wita MDR<br />
2000, 1363. Umfassend Weise Selbstständiges Beweisverfahren im Baurecht<br />
2002 2.A. 2002.
AnwBl 1/2003 27<br />
Aufsätze l<br />
die Einschaltung von Sachverständigen außerhalb eines<br />
Rechtsstreits ermöglicht, handelt es sich um eine Art einvernehmlich<br />
vereinbarte Sicherung von Beweisen vor Beginn<br />
und Ausführung von Bauleistungen; diese Regelung<br />
schließt nicht aus, erforderlichenfalls – etwa bei schon aufgetretenen<br />
Meinungsverschiedenheiten – zusätzlich ein<br />
selbstständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO in<br />
die Wege zu leiten 2 .<br />
I. Leitlinien<br />
Das in der ZPO geregelte, von der jüngsten ZPO-Novelle<br />
nur wenig berührte und dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz<br />
hauptsächlich bei der Verjährung betroffene selbstständige<br />
Beweisverfahren folgt wohl diesen vier Leitlinien:<br />
9 Beweissicherung<br />
9 Prozessvermeidung<br />
9 Beschleunigung des Rechtsstreits<br />
9 Beeinflussung der Verjährung<br />
Die Praxis zeigt allerdings, dass der Beschleunigungseffekt<br />
gleichsam auf Grund (betriebs-)technischer Schwierigkeiten<br />
verloren gehen kann. Die das Verfahren einleitenden<br />
Parteien warten nämlich gelegentlich erst noch ab, ob<br />
nicht schon der den Antragsgegnern zur Stellungnahme<br />
übersandte Antrag auf Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
zu einer Reaktion der Gegner in der Sache<br />
führt, und zögern deshalb mit der zur weiteren gerichtlichen<br />
Bearbeitung erforderlichen Vorschusseinzahlung. Ferner<br />
neigen die Richter nicht von vornherein zu besonders rascher<br />
Bearbeitung. Diese erhalten nämlich – ohne nachvollziehbare<br />
Begründung – im Rahmen der Bewertung ihrer<br />
Leistungen weder nach den vorgegebenen Pensenschlüsseln<br />
noch in ihrer Erledigungsstatistik Punkte für die Bewältigung<br />
von selbstständigen Beweisverfahren. Wegen der ständig<br />
steigenden Arbeitsbelastung der Richter bewirkt dies<br />
die Tendenz, selbstständige Beweisverfahren eher beiläufig<br />
und manchmal auch lustlos-schleppend zu bearbeiten 3 .<br />
Auch die von den Gerichten beauftragten Sachverständigen<br />
betreiben die Erledigung nicht immer mit der gebotenen<br />
Eile. Die von ihnen überwiegend als unzureichend empfundene<br />
Entschädigung nach dem ZSEG 4 veranlasst sie nämlich,<br />
vorrangig und zügig Privataufträge zu erledigen, bei<br />
denen sie im Allgemeinen angemessene Vergütung erlangen<br />
können.<br />
Der wohl überwiegende Bereich des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
im Zivilprozess ist derjenige der Bausachen.<br />
Für das Werkrecht und in der Verjährungsrechtsfolge mit<br />
der Regelung des § 204 Abs. 1 Nr. 8 BGB n. F. dem selbstständigen<br />
Beweisverfahren gleichgestellt gilt aber auch die<br />
mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen eingeführte,<br />
von der Praxis indes nicht angenommene Fertigstellungsbescheinigung<br />
gem. § 641 a BGB, wonach die<br />
schriftliche und in einem besonderen Verfahren von einem<br />
privat beauftragten Sachverständigen erstellte Erklärung zur<br />
Mangelfreiheit einer Abnahme gleichsteht und damit streiterledigende<br />
Wirkung haben soll 5 . Das selbstständige Beweisverfahren<br />
ist auch anerkannt für den Bereich des FGG 6 .<br />
Es ist statthaft insbesondere in WEG-Sachen 7 ; bei der Entscheidung<br />
über die Durchführung eines das Gemeinschaftseigentum<br />
betreffenden selbstständigen Beweisverfahrens<br />
und die Erhebung einer Sonderumlage für die dazu erforderlichen<br />
Kosten handelt es sich selbst dann um eine Maßnahme<br />
der Verwaltung i. S. d. § 21 WEG, wenn für den zu<br />
untersuchenden Bereich ein Sondernutzungsrecht bestellt<br />
ist 8 . Im Bereich der Kfz-Beschädigungen kann das selbst-<br />
ständige Beweisverfahren unter dem Gesichtspunkt der<br />
Schadensminderung Bedeutung haben. Wenn nämlich die<br />
geschädigte Partei das Fahrzeug vor Beendigung des<br />
Rechtsstreits verschrottet, wird i. d. R. der Vorwurf der Beweisvereitelung<br />
– analog §§ 427, 444 ZPO – erhoben. Indes<br />
muss immer geprüft werden, ob die sonst anfallenden<br />
„Verwahrkosten“ auch von einer vernünftigen und wirtschaftlich<br />
denkenden Partei getragen worden wären. Bei<br />
der Prüfung der Angemessenheit und Erstattungsfähigkeit<br />
kann in Betracht kommen, diese Verwahrkosten mit denen<br />
eines selbstständigen Beweisverfahrens zu vergleichen 9 .<br />
Betreffend Prozessvermeidung und Beschleunigung, insbesondere<br />
der Erledigung von Baustreitigkeiten, sind alternative<br />
Konfliktlösungsmodelle in der Diskussion 10 . Weil bei<br />
Baustreitigkeiten oft die Weiterarbeit bzw. Reparatur nötig<br />
ist, es also um mehr als „nur noch um Geld“ gehen kann,<br />
kommt die auch aus familienrechtlichen Streitigkeiten bekannte<br />
Mediation in Betracht 11 . Diskutiert wird auch eine<br />
in den USA mit Erfolg praktizierte early neutral evaluation;<br />
damit ist gemeint ein gänzlich außerhalb des gerichtlichen<br />
Verfahrens befindliches Institut, dessen Inhalte keine<br />
Bindungswirkung für einen späteren Prozess haben; in diesem<br />
freiwilligen Verfahren soll eine angerufene dritte Person<br />
nicht nur die tatsächlichen Verhältnisse, sondern auch<br />
Rechtsfragen zu klären versuchen 12 . In der Praxis bedeutsam<br />
sind ferner die privaten, „vereinbarten Begutachtungsverfahren“,<br />
deren grundsätzliche Gleichstellung mit den<br />
selbstständigen Beweisverfahren – jedenfalls bezüglich der<br />
Rechtsfolge der Verjährung – nun in § 204 Abs. 1 Nr. 8<br />
BGB geregelt ist.<br />
Noch immer streitig ist die Frage, ob und inwieweit das<br />
selbstständige Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht zulässig<br />
ist 13 . In der veröffentlichten Rechtsprechung setzt sich<br />
wohl die Auffassung durch, das selbstständige Beweisverfahren<br />
auch in dieser Sparte grds. für statthaft zu halten 14 .<br />
Die Argumentation der ablehnenden Meinung, dass im<br />
selbstständigen Beweisverfahren der Sachverständige sein<br />
2 Ingenstau/Korbion/Döring VOB 14.A. 2001 § 3 Rn. 48 weist darauf hin, dass<br />
das selbstständige Beweisverfahren häufig eine gesonderte Maßnahme nach<br />
§ 3 Nr. 4 VOB überflüssig macht.<br />
3 Enaux Jahrbuch Baurecht 1999, 162, 186; Schulz SchlHA 2000, 25, 30.<br />
4 Die Entscheidung des BVerfG 1.8.2001 NJW-RR 02, 67, mit der eine Verfassungsbeschwerde<br />
gegen Regelungen des ZSEG nicht zur Entscheidung angenommen<br />
wurde, wird von Sachverständigen als fehlerhaft empfunden; Ulrich<br />
DS 2001, 310; IfS 1/2002, 7; Ronellenfitsch WiVerw 2002, 1.<br />
5 Kritik zu diesem Rechtsinstitut äußern u. a. Kniffka ZfBR 2000, 227; Ulrich<br />
DS Sep/2000, 9; Heck WiVerw 2002, 56. Vgl auch Kamphausen BIS 2002,<br />
47.<br />
6 OLG Frankfurt 30.1.1997 NJW-RR 97, 851; OLG Celle 13.3.2000 OLGR 00,<br />
116: Im Vaterschaftsfeststellungsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />
sind die Bestimmungen der ZPO über das selbstständige Beweisverfahren entsprechend<br />
anzuwenden.<br />
7 BayObLG 21.9.1995 BayObLGR 96, 19; BayObLG 28.3.2001 ZMR 01, 641;<br />
LG Stuttgart 15.6.2001 ZMR 01, 1015; OLG Nürnberg 18.6.2001 OLGR 01,<br />
261; BayObLG 31.1.2002 NJW-RR 02, 805; BayObLG 7.3.2002 WuM 02,<br />
342. Kossmann ZAP Fach 7, 223 ff.<br />
8 OLG Jena 22.10.2001 – 6 W 482/01 n. v.<br />
9 Meyer MDR 2001, 402.<br />
10 Vgl. Eberl/Friedrich BauR 2002, 250; Schlapka BauR 2002, 694.<br />
11 Jung/Steding BB-Beilage Supplement Mediation & Recht 2001, 9.<br />
12 Hilber BB-Beilage Supplement Mediation & Recht 2001, 22.<br />
13 Grundsätzlich bejahend: Stegers Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht<br />
im DAV Bd. 3 2001, S. 11 ff.; ders. Der Sachverständigenbeweis<br />
im Arzthaftungsrecht 2002 Rn. 813 ff.; Mohr MedR 2000, 38. Differenzierend:<br />
Rehborn Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft im DAV Bd. 3, 2001,<br />
1ff.<br />
14 Bejahend: OLG Düsseldorf 30.7.1998 OLGR 98, 434; OLG Stuttgart<br />
6.10.1998 NJW 99, 874; KG 23.12.1998 VersR 99, 887; OLG Saarbrücken,<br />
13.5.1999 NJW 00, 3439; OLG Düsseldorf 12.1.2000 NJW 00, 3438; OLG<br />
Koblenz 24.10.2000 OLGR 01, 214; OLG Naumburg 9.2.2001 OLGR 01, 321;<br />
OLG Koblenz 14.12. 2001 zfs 02, 126; OLG Stuttgart 25.3.2002 – 1 W 12/02<br />
n. v.. Verneinend: OLG Hamm 17.10.1994 – 3 W 26/94 n. v.; OLG Hamm<br />
10.5.1995 – 3 W 6/95 n. v.; OLG Nürnberg 13.11.1996 MDR 97, 501; OLG<br />
Köln 21.8.1997 VersR 98, 1420.
28<br />
l<br />
Gutachten auf ungesicherten tatsächlichen Grundlagen erstelle<br />
und die Fragen einseitig vom Antragsteller formuliert<br />
werden, trifft – im Prinzip – jedes selbstständige Beweisverfahren<br />
und ist keine spezielle Besonderheit des Arzthaftungsprozesses;<br />
allein der Umstand, dass in Arzthaftungssachen<br />
ein selbstständiges Beweisverfahren möglicherweise<br />
unzweckmäßig erscheint, macht dieses besondere Verfahren<br />
nicht von vornherein unzulässig. Entsprechend kann in einem<br />
versicherungsrechtlichen Streit ein selbstständiges Beweisverfahren<br />
z. B. zu der Behauptung eingeleitet werden,<br />
eine bestimmte (Kur-)Behandlung sei notwendig 15 .<br />
II. Schiedsgerichts-/Schiedsgutachtenabrede<br />
Weder Schiedsgerichts-, noch Schiedsgutachtervereinbarung<br />
stehen der Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />
grds. nicht entgegen 16 . Solange das Schiedsgericht<br />
noch nicht konstituiert bzw. ein Schiedsgutachten<br />
noch nicht eingeholt ist, ist die Anrufung der staatlichen<br />
Gerichte zur Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />
zulässig 17 . Das selbstständige Beweisverfahren<br />
und das Schiedsgutachterverfahren 18 nach § 18 Nr. 3<br />
VOB/B können nebeneinander geltend gemacht werden19 .<br />
B. Einzelheiten<br />
I. Erscheinungsformen des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
Aus § 485 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO ergeben sich diese<br />
Varianten:<br />
9 Der Antragsgegner stimmt zu oder es ist zu besorgen,<br />
dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung<br />
erschwert wird (§ 485 Abs. 1 ZPO).<br />
9 Der Zustand einer Person oder der Zustand oder der<br />
Wert einer Sache soll festgestellt werden (§ 485 Abs. 2<br />
S. 1 Nr. 1 ZPO).<br />
9 Die Ursache des Personenschadens, Sachschadens oder<br />
Sachmangels ist festzustellen (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).<br />
9 Der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens,<br />
Sachschadens oder Sachmangels soll festgestellt<br />
werden (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).<br />
1. Einvernehmliche Beweiserhebung gem. § 485<br />
Abs. 1 ZPO<br />
Diese Art des selbstständigen Beweisverfahrens kommt<br />
in der Praxis eher selten vor. Sie ist zulässig während und<br />
außerhalb eines Hauptsacherechtsstreits. Bedeutsam ist hier,<br />
dass die für dieses Verfahren erforderliche und dann geleistete<br />
Zustimmung des Gegners als Prozesshandlung grundsätzlich<br />
nicht anfechtbar ist. Bestehen Zweifel, ob diese von<br />
dem Antragsgegner gewollt ist, bleibt nur die Glaubhaftmachung<br />
durch den Antragsteller; der Entscheidung sollte die<br />
Aufforderung zur Stellungnahme zum Antrag an den/die<br />
Gegner vorangehen. Ist der Gegner allerdings unbekannt,<br />
scheidet die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />
nach dieser Alternative aus. Zwar regelt § 494 ZPO<br />
ausdrücklich die Beteiligung des „unbekannten Gegners“<br />
im selbstständigen Beweisverfahren, dies aber nur unter der<br />
Bedingung der Zulässigkeit des Verfahrens gem. § 495<br />
ZPO, so dass die Zustimmung über § 494 ZPO nicht ersetzt<br />
werden kann.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
2. Verlust von Beweismitteln oder Erschwerung gem. § 485<br />
Abs. 1 ZPO<br />
Auch dieser Fall des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
ist während oder außerhalb des Hauptsacheverfahrens zulässig.<br />
Gründe für den Beweismittelverlust können persönliche<br />
sein, also bei Zeugen gefährliche Erkrankung oder hohes<br />
Alter, gegebenenfalls eine längere Auslandsreise. Ein<br />
Erfordernis kann sich auch aus den typischen Geschehensabläufen<br />
ergeben; so ist z. B. bei Baumaßnahmen ein selbstständigen<br />
Beweisverfahren nach dieser Alternative immer<br />
dann zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch den Baufortschritt<br />
Beweismittel verloren gehen; gemeint ist hier<br />
also die Sicherung von Bautenständen zu bestimmten Zeitpunkten,<br />
ferner der Fall von Mängeln an Vorgewerken.<br />
Dem Bauherren ist nicht zuzumuten, den vorhandenen<br />
Mangel bis auf weiteres zu „konservieren“, er braucht also<br />
das Bauvorhaben nicht bis zur Durchführung des Hauptverfahrens<br />
zu stoppen 20 . Verlust und Einschränkung müssen<br />
sich aber aus tatsächlichen Gründen ergeben, so dass bei<br />
bevorstehender Anspruchsverjährung kein Fall des § 485<br />
Abs. 1 ZPO vorliegt 21 . Es wird vertreten, dass neben einer<br />
Tatsachenfeststellung auch noch weitere Themen zum Gegenstand<br />
eines selbstständigen Verfahrens gemacht werden<br />
können, so z. B. die Klärung eines etwaigen Beseitigungsaufwandes<br />
22 . Wird aber im Antrag mitgeteilt, dass das Bauvorhaben<br />
nicht mehr fortgesetzt werden soll, droht mit der<br />
Folge der Unzulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
kein Verlust von Beweismitteln. Für die Beantwortung<br />
der Frage, welche Anforderungen an die Prüfung zu stellen<br />
sind, ob das Beweismittel für den Hauptprozess erforderlich<br />
ist, gilt dies:<br />
Zum Antrag nach § 485 Abs. 1 ZPO muss – wie für jedes<br />
verfahrenseinleitende Begehren – ein Rechtsschutzinteresse<br />
vorliegen; an dieses sind aber deutlich geringere Forderungen<br />
zu stellen als an das für die Fälle des § 485<br />
Abs. 2 ZPO dort ausdrücklich geforderte rechtliche Interesse.<br />
Wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens dürfen an<br />
die Darlegung des Rechtsschutzinteresses keine besonderen<br />
Substantiierungsanforderungen gestellt werden; das Gericht<br />
muss sich, zumal bei schwierigen und umfangreichen<br />
Hauptprozessen, auf eine kursorische Überprüfung beschränken.<br />
Insbesondere darf nicht darauf abgestellt werden,<br />
ob nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand eine Beweiserheblichkeit<br />
sicher gegeben ist; es genügt schon, wenn<br />
eine Änderung des Sach- und Streitstandes möglich bzw.<br />
nicht offensichtlich fern liegend ist 23 .<br />
15 A. A. LG Hannover 4.4.2002 VersR 01, 1099, wonach ein selbstständiges Beweisverfahren<br />
für die Klärung der medizinischen Geeignetheit und Notwendigkeit<br />
bestimmter Behandlungsmaßnahmen (Kuraufenthalt auf Ischia und<br />
psychotherapeutischen Maßnahmen) notwendig sei.<br />
16 OLG Köln 4.2.2002 BauR 02, 1120; Ingenstau/Korbion/Joussen VOB 14.A.<br />
2001 B § 18 Rn. 143. A. A. Weise Selbstständiges Beweisverfahren im Baurecht<br />
2.A. 2002 Rn. 249.<br />
17 OLG Koblenz 15.7.1998 BauR 99, 1055.<br />
18 Vgl auch Rösener DS 2002, 65 zum Zusammenschluss von öffentlich bestellten<br />
und vereidigten Sachverständigen zur „Schiedsgutachtenstelle Schwaben“,<br />
auf die sich miteinander streitende Parteien zur Feststellung streitgegenständlicher<br />
Tatsachen einigen können.<br />
19 Pauly JR 1996, 269, 271.<br />
20 OLG Köln 20.9.1993 MDR 94, 94.<br />
21 LG Amberg 19.5.1983 BauR 84, 93; Zöller/Herget ZPO 23.A. 2002 § 485<br />
Rn. 5; MüKo-Schreiber ZPO 2.A. 2000 § 485 Rn. 12.A. A. Baumbach/Lauterbach/Hartmann<br />
ZPO 60.A. 2002 § 485 Rn. 20; Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />
im Baurecht 2.A. 2002 Rn. 219.<br />
22 Einzelheiten bei Ingenstau/Korbion/Joussen VOB 14.A. 2001 § 18 Nr. 4<br />
Rn. 115.<br />
23 OLG Hamm 3.2.1998 OLGR 98, 103.
AnwBl 1/2003 29<br />
Aufsätze l<br />
3. Isoliertes Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO<br />
In Anlehnung an das angloamerikanische Recht des pretrial-discovery<br />
wird mit dieser Vorschrift die Möglichkeit<br />
eröffnet, den Sachverhalt vor Eintritt in den Hauptprozess<br />
weitgehend zu klären. Im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
gem. § 485 Abs. 2 ZPO ist – anders als bei<br />
§ 485 Abs. 1 ZPO – eine über den Sachverständigenbeweis<br />
hinausgehende weitere Beweiserhebung durch Einnahme<br />
gerichtlichen Augenscheins oder Vernehmung von Zeugen<br />
nicht zulässig 24 . Der Antragsteller hat in dem Verfahren<br />
nach § 485 Abs. 2 ZPO keinen Anspruch auf Vorlage von<br />
Urkunden durch den Antragsgegner 25 .<br />
a) Kein Hauptsacheprozess<br />
Voraussetzung für dieses sog. isolierte selbstständige<br />
Beweisverfahren ist, dass ein streitiges Verfahren nicht anhängig<br />
ist. Der Gesetzgeber hat in Kauf genommen, dass<br />
durch diese Vorschaltung im Einzelfall eine Verzögerung<br />
der gerichtlichen Sachentscheidung eintreten kann. Hauptsacheverfahren<br />
ist das Verfahren, in dem das Beweisergebnis<br />
verwertbar ist; auf die Parteistellung kommt es nicht<br />
an 26 . Ein Rechtsstreit in diesem Sinne ist auch bei einem<br />
Mahnverfahren 27 und ebenfalls bei Anbringung eines Prozesskostenhilfeantrages<br />
mit gleichzeitiger Einreichung der<br />
Klage anhängig.<br />
b) Beweisthemen<br />
Gegenstand darf sein der Zustand einer Person oder Sache.<br />
Der Sachverständige hat dann seine fachkundige Beschreibung<br />
der vorgefundenen Gegebenheiten abzugeben,<br />
gleichsam eine sachverständige und – i. d. R. – schriftliche<br />
Augenscheinseinnahme beizutragen. Beschaffenheit einer<br />
Sache meint die begriffliche Sachausgestaltung. Das selbstständige<br />
Beweisverfahren kann auch die Klärung der Frage<br />
nach dem Vorhandensein von Erfahrungssätzen, Verkehrssitten<br />
und Handelsbräuchen sein 28 . Gegenstand eines selbstständigen<br />
Beweisverfahrens kann dabei z. B. auch die Frage<br />
sein, ob eine unzureichende Ausschreibung vorliegt oder ob<br />
die Werkleistung technisch fehlerhaft werden würde, wenn<br />
der Ausschreibung entsprechend ausgeführt würde und der<br />
Auftragnehmer deshalb Bedenken gem. § 4 Nr. 3 VOB anmeldet<br />
29 . Wird der Sachverständige nach dem Wert gefragt,<br />
hat er diesen nach allen ihm zugänglichen und nachvollziehbaren<br />
Kriterien zu bestimmen. Zu warnen ist in diesem<br />
Zusammenhang vor der von den Sachverständigen gelegentlich<br />
als verbindlich eingestuften „Multifaktoren- oder Zielbaummethode“<br />
30 ; denn diese ist keine zwingend gesicherte<br />
Bewertungsgrundlage, sondern stellt eine i. d. R. nur subjektive<br />
Einstufung durch den Sachverständigen dar. Gem.<br />
§ 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann der Sachverständige befragt<br />
werden zu den Ursachen eines Personen- oder Sachschadens<br />
oder eines Sachmangels. Was Sachmängel im kaufrechtlichen<br />
Sinne sind, ergibt sich jetzt aus § 434 BGB; es kann<br />
nicht davon ausgegangen werden, dass die Sachverständigen<br />
die Details dieser Regelung kennen. Ihnen kann die<br />
rechtliche Auslegung nicht zugemutet werden, vielmehr ist<br />
es Aufgabe des Gerichts, den Auftrag so klar zu formulieren,<br />
dass die Sachverständigen in der Lage sind, sich ausschließlich<br />
mit der Darlegung ihrer sachverständigen<br />
Schlussfolgen aus den ihnen so vorgegebenen (Anknüpfungs-)Tatsachen<br />
auseinander zu setzen. Die Richter müssen<br />
sich insoweit der Notwendigkeit bewusst sein, klare und<br />
eindeutige Beschlüsse zu fassen. Der Begriff des in § 485<br />
Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genannten Schadens meint nicht den<br />
in §§ 249 ff. BGB definierten Vermögens- oder immateriellen<br />
Schaden; er dürfte hier untechnisch zu verstehen sein<br />
und die tatsächliche Abweichung vom vorherigen unveränderten<br />
Zustand betreffen. Ursache meint die physikalische/<br />
chemische/biologische Kausalität, die vom Idealzustand<br />
zum jetzigen Zustand der Sache oder Person führt. Nach<br />
§ 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist ferner möglich die Feststellung<br />
des Aufwandes für die Beseitigung eines Personen- oder<br />
Sachschadens oder Mangels 31 . Auch hier kann der Sachverständige<br />
sich an die allgemeinen Erkenntnismöglichkeiten<br />
halten; i. d. R. darf er nicht an Stelle der Parteien oder des<br />
Gerichts eine Betragsschätzung vornehmen. Diese nach<br />
§ 485 Abs. 2 ZPO eröffnete Möglichkeit, über eine bloße<br />
Zustandsfeststellung hinaus auch die technische Ursache eines<br />
Personenschadens, Sachschadens oder Mangels sowie<br />
den Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens,<br />
Sachschadens oder Mangels 32 sachverständig festzustellen,<br />
stellt eine wichtige Grundlage für die Möglichkeit einer Einigung<br />
bereits auf der Basis dieser Feststellungen und damit<br />
der Vermeidung eines anschließenden Hauptsacheprozesses<br />
dar. Dabei entspricht es diesem Ziel, dass die<br />
Ursachenfeststellung sich nicht auf das Herausfinden technischer<br />
Zusammenhänge beschränken muss, sondern auch<br />
die Ermittlung des für den Schaden oder Mangel tatsächlich<br />
Verantwortlichen, also die Zuordnung von Schaden<br />
und Mangel zu einem bestimmten Verursacher, umfassen<br />
darf. Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen kann mit<br />
der Begründung des verbotenen Ausforschungsbeweises die<br />
Fragestellung nach der Ursache eines Sachmangels und/<br />
oder nach dem Beseitigungsaufwand abgelehnt werden.<br />
Aus denselben Gründen kann im selbstständigen Beweisverfahren<br />
die Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />
zur Höhe der Mietminderung zulässig sein 33 . Ebenfalls geklärt<br />
werden kann im selbstständigen Beweisverfahren, ob<br />
nach Durchführung von Reparaturarbeiten ein merkantiler<br />
Minderwert verbleiben wird 34 . Auch darf die Frage an den<br />
Sachverständigen gestellt werden, ob und inwieweit es sich<br />
bei den festgestellten Mängeln um Planungs- oder Überwachungsmängel<br />
handelt 35 . Weiterhin streitig ist aber, ob<br />
ein Sachverständiger mit der Feststellung der technischen<br />
Verursachungsquote beauftragt werden kann; gemeint ist da<br />
z. B. der Fall, dass verschiedene Handwerker an demselben<br />
Gebäude tätig waren und nebeneinander den Schaden verursacht<br />
haben können. Die Frage nach der Verursachungsquote<br />
aus technischer Sicht dürfte jedenfalls in dem selbstständigen<br />
Beweisverfahren zulässig sein; die Antwort des<br />
Sachverständigen kann dann im späteren Hauptsacheprozess<br />
vom Gericht rechtlich gewertet werden 36 . Ob und in-<br />
24 OLG München 25.5.2000 BauR 01, 447.<br />
25 OLG Köln 23.1.2001 OLGR 02, 129.<br />
26 OLG Braunschweig 3.8.2000 BauR 01, 990.<br />
27 OLG Jena 13.10.1999 OLGR 00, 59.<br />
28 MüKo-Prütting ZPO 2.A. 2000 § 284 Rn. 43.<br />
29 OLG Jena 15.8.2001 BauR 01, 1945 mit Lutz.<br />
30 Vgl. Jessnitzer/Ulrich Der gerichtliche Sachverständige 11.A. 2001 Rn. 351<br />
m. w. N.<br />
31 OLG Düsseldorf 22.11.1991 JurBüro 92, 426: Im Rahmen eines selbstständigen<br />
Beweisverfahrens kann aber nicht die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses<br />
für die Mängelbeseitigung verlangt werden.<br />
32 OLG Karlsruhe 11.1.2002 – 13 W 178/01 n. v.: keine Klärung von Beweiswertfragen.<br />
33 KG 15.2.1999 KGR 99, 396; Scholl NZM 1999, 108. Vgl auch Kamphausen<br />
ZMR 1994, 448.<br />
34 OLG Schleswig 7.10.1999 SchlHA 00, 65 mit Kamphausen IBR 00, 245.<br />
35 OLG Frankfurt 29.6.2000 BauR 00, 1370 mit Kamphausen IBR 00, 470.<br />
36 Ebenso: OLG München 12.9.1997 OLGR 97, 281; Kamphausen BauR 1996,<br />
174. AA.: LG Stuttgart 24.4.1996 BauR 96, 137; Leineweber in Festschrift für<br />
Jack Mantscheff 2000, 249 ff.. Unklar: Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />
im Bauprozess 2.A. 2002 Rn. 210, 232.
30<br />
l<br />
wieweit ein mit der Bauaufsicht beauftragter Architekt verantwortlich<br />
ist, wenn bei eingebautem Estrich und anschließender<br />
Parkettverlegung Mängel an dem Werk auftreten,<br />
ist allerdings klar eine Rechtsfrage und damit nicht von<br />
dem Sachverständigen zu beantworten 37 . Nach ganz allgemeiner<br />
Meinung ist die Feststellung der Prüffähigkeit –<br />
nicht aber die der sachlichen Richtigkeit – einer Architektenrechnung<br />
als Rechtsfrage ebenfalls nicht dem Sachverständigen<br />
zu überlassen 38 . Die Gerichte sind angehalten, die<br />
Prüffähigkeit unter Berücksichtigung des Informations- und<br />
Kontrollinteresses des jeweiligen Rechnungsempfängers<br />
selbst festzustellen. Schließlich können im selbstständigen<br />
Beweisverfahren keine Rechtsbegriffe geklärt werden; etwa<br />
eine markenrechtliche Verwechselungsgefahr ist nicht durch<br />
Umfragegutachten aufklärbar, vielmehr handelt es sich insoweit<br />
um einen Rechtsbegriff, der mit einer empirischen Ermittlung<br />
nicht geklärt werden kann 39 . Gleiches gilt für<br />
Rechtsfragen 40 Wird fehlerhaft ein Sachverständigengutachten<br />
zu einer – dem Gutachter nicht zugänglichen – Rechtsfrage<br />
eingeholt, kann der Fall einer unrichtigen Sachbehandlung<br />
durch das Gericht 41 vorliegen mit der Folge der<br />
Rechtfertigung der Niederschlagung der insoweit verursachten<br />
Gerichtskosten gem. § 8 GKG 42 .<br />
Es entspricht ganz allgemeiner Auffassung, dass die Gerichte<br />
mit Blick auf § 487 Nr. 2 ZPO nicht allzu hohe Anforderungen<br />
an die bekannt gegebenen Beweisthemen stellen<br />
dürfen; insbesondere kann nicht verlangt werden, dass<br />
der Antragsteller gleichsam vorbereitend für das selbstständige<br />
Beweisverfahren detaillierte Feststellungen erst noch<br />
ermittelt 43 .<br />
c) Rechtliches Interesse<br />
§ 485 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmt, dass das rechtliche Interesse<br />
an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens<br />
gegeben ist, wenn die erbetenen Feststellungen der<br />
Vermeidung eines Rechtsstreites dienen können. Schon aus<br />
dieser Gesetzesformulierung folgt, dass das rechtliche Interesse<br />
des Antragstellers an der Durchführung des Verfahrens<br />
weit auszulegen ist 44 . Zur Darlegung dieses Interesses<br />
genügt nicht die bloße Wiedergabe des Wortlauts des § 485<br />
Abs. 2 S. 2 ZPO; wegen der richterlich durchzuführenden<br />
Prüfung, ob die beantragte Beweisaufnahme für den in Aussicht<br />
genommenen Rechtsstreit überhaupt bedeutsam ist und<br />
diesen vermeiden kann, muss deutlich gemacht werden, um<br />
welchen durch das Verfahren zu sichernden Antrag es<br />
geht 45 . In dem selbstständigen Beweisverfahren ist keine Erheblichkeitsprüfung<br />
durchzuführen. Es kommt also grds.<br />
nicht auf die Erheblichkeit der Beweismittel für den Hauptprozess<br />
und/oder die Erfolgsaussichten des Hauptprozesses<br />
an 46 . Das rechtliche Interesse i. S. d. § 485 Abs. 2 ZPO als<br />
Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchführung eines<br />
selbstständigen Beweisverfahrens ist deshalb weiter zu fassen<br />
als das für eine negative Feststellungsklage nach § 256<br />
ZPO erforderliche rechtliche Interesse 47 . Der Zulässigkeit<br />
steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerseite eine<br />
gütliche Einigung von vornherein ablehnt; denn es besteht<br />
die – mindestens denkbare – Möglichkeit, dass ein dem Antragsteller<br />
negatives Gutachten der Vermeidung eines<br />
Rechtsstreits dienen kann, weil es geeignet ist, den Antragsteller<br />
von der Weiterverfolgung seiner vermeintlichen Ansprüche<br />
abzuhalten 48 . Auch die Tatsache eines vor dem<br />
selbstständigen Beweisverfahren eingeholten Privatgutachtens<br />
der Partei schließt nicht das Feststellungsinteresse für<br />
die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />
zu denselben Fragen aus. Ein Interesse kann sogar gegen-<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
über dem Haftpflichtversicherer des nach §§ 823 Abs. 2<br />
BGB, 27 Abs. 1 NachbRG nw haftenden Nachbarn bejaht<br />
werden, sofern nicht von vornherein die Ansprüche gegen<br />
den Versicherer nach – künftiger – Pfändung und Überweisung<br />
eines möglichen Befreiungsanspruchs dieses Nachbarn<br />
ausgeschlossen erscheinen 49 .<br />
Der Antrag kann mit der Begründung des fehlenden<br />
rechtlichen Interesses nur in Ausnahmefällen ablehnt werden:<br />
So ist anerkannt, dass ein rechtliches Interesse für ein<br />
selbstständiges Beweisverfahren fehlt, wenn es ersichtlich<br />
nur dazu dienen soll, der antragstellenden Partei Tatsachenmaterial<br />
gegen eine mögliche Kündigung zu verschaffen 50 .<br />
Hat etwa eine Wohnungseigentümergemeinschaft das Eigentum<br />
von einem Bauträger erworben, der seinerseits einen<br />
Architekten mit der Planung und Objektüberwachung<br />
beauftragt hatte, fehlt der Wohnungseigentümergemeinschaft<br />
für die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens<br />
gegen den Architekten wegen Schäden in dem Gebäude<br />
das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auch dann,<br />
wenn die Bauträgerin ihre Ansprüche an die Mitglieder der<br />
Wohnungseigentümergemeinschaft abgetreten hat, solange<br />
die Eigentümergemeinschaft nicht schlüssig vorträgt, dass<br />
eine Schadloshaltung bei dem Bauträger gescheitert ist 51 .<br />
Ob ein rechtliches Interesse fehlt, wenn sich der Gegner auf<br />
einen zwischen den Beteiligten zu Stande gekommenen<br />
Vergleich beruft, durch den der Streit über den behaupteten<br />
und jetzt durch einen Sachverständigen festzustellenden<br />
Mangel einvernehmlich beigelegt worden ist 52 , erscheint<br />
fraglich, denn das selbstständige Beweisverfahren ist nicht<br />
geeignet, Inhalt, Umfang und/oder Wirksamkeit eines Vergleichs<br />
zu prüfen; die Antragsgegnerseite ist hinreichend<br />
durch § 494 a ZPO gestützt. Klar ist, dass ein rechtliches Interesse<br />
für ein selbstständigen Beweisverfahren fehlt, mit<br />
dem zu Lebzeiten des Erblassers auf Antrag des gesetzlichen<br />
Erben geklärt werden soll, dass der Erblasser im Bezug<br />
auf ein errichtetes Testament testierunfähig sei; denn<br />
für das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren ist allgemein<br />
anerkannt, dass auf die Feststellung des Erbrechts nach<br />
noch lebenden Personen deshalb nicht geklagt werden kann,<br />
weil die bloße Möglichkeit, Erbe zu werden, kein Rechts-<br />
37 OLG Oldenburg 7.7.1999 BauR 99, 1476.<br />
38 Werner/Pastor Bauprozess 9.A. 1999 Rn. 973 f.<br />
39 OLG München 12.7.2001 ZUM 01, 806.<br />
40 OLG Düsseldorf 17.9.1991 JurBüro 1992, 426: Die Rechtsfrage, ob eine Partei<br />
auf Gewährleistungsansprüche verzichtet hat, kann nicht im selbstständigen<br />
Beweisverfahren geklärt werden.<br />
41 OLG Koblenz 28.2.2002 – 14 W 133/02 n. v.: Die Nichterhebung von Kosten<br />
nach § 8 GKG setzt einen offensichtlichen und schweren Fehler des Gerichts<br />
voraus.<br />
42 Vom OLG Stuttgart 11.1.1999 BauR 99, 415 entschieden für den Fall der Einholung<br />
eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Prüffähigkeit einer<br />
Architektenhonorarrechnung; vgl. auch Siegburg BauR 2001, 875, 882.<br />
43 Vgl. Scholtissek BauR 2000, 1118 mit Hinweis auf eine nicht veröffentlichte,<br />
den Antrag auf Beweissicherung ablehnende Entscheidung des Landgerichts<br />
Hamburg und die ebenfalls nicht veröffentlichte diese landgerichtliche Entscheidung<br />
kassierende Entscheidung des OLG Hamburg.<br />
44 OLG Köln 18.7.2001 OLGR 02, 35: Selbst die vom Antragsgegner klar abgelehnte<br />
gütliche Einigung steht der Bejahung des rechtlichen Interesses nicht<br />
entgegen.<br />
45 OVG Münster 19.4.2002 – 6 E 322/02 n. v.<br />
46 OLG Köln 22.6.1995 OLGR 96, 23; OLG Hamm 26.6.1996 NJW-RR 98, 68.<br />
47 OLG Stuttgart 20.9.1999 BauR 00, 923.<br />
48 OLG Saarbrücken 13.5.1999, NJW 00, 3439. A. A. LG Hannover 11.12.1991<br />
JurBüro 92, 496 mit Mümmler.<br />
49 OLG Düsseldorf 16.1.2001 BauR 01, 1290.<br />
50 OLG Hamburg 18.11.1998 OLGR 99, 144.<br />
51 OLG Celle 17.3.1999 BauR 00, 601. A. A. Weise Selbstständiges Beweisverfahren<br />
im Baurecht 2.A. 2002 Rn. 257.<br />
52 So LG Deggendorf 20.4.1999 NJW-RR 00, 514.
AnwBl 1/2003 31<br />
Aufsätze l<br />
verhältnis i. S. d. § 256 ZPO ist 53 . Geht es um behauptete<br />
mangelhafte Arbeiten einer Kfz-Werkstatt, kann auch aus<br />
der Abmeldung des Fahrzeugs nicht zwingend auf ein fehlendes<br />
Benutzungsinteresse geschlossen werden 54 .<br />
Sind die Beweisfragen durch ein gerichtlich eingeholtes<br />
Sachverständigengutachten geklärt, fehlt für ein weiteres<br />
selbstständiges Beweisverfahren zu diesen Fragen zwischen<br />
denselben Parteien das Rechtsschutzbedürfnis auch dann,<br />
wenn es nun von dem vormaligen Antragsgegner beantragt<br />
wird 55 . Streitig ist, ob das Rechtsschutzbedürfnis für ein<br />
selbstständiges Beweisverfahren verneint werden muss,<br />
wenn ein Anspruch möglicherweise verjährt sein kann und<br />
der Antragsgegner die Einrede erhoben hat. Weil die Prüfung<br />
der Erfolgsaussichten des Hauptsacheprozesses, wozu<br />
ja auch die Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzung<br />
der Verjährungseinrede gehört, in dem selbstständigen Beweisverfahren<br />
nicht erfolgt, kommt es für das selbstständige<br />
Beweisverfahren auf die Verjährung grds. nicht an 56 .<br />
II. Details zum Antrag<br />
1. Beteiligte des Verfahrens<br />
Gem. § 487 Nr. 1 ZPO muss der Antrag die Bezeichnung<br />
des Gegners enthalten. Liegt ein Bauvorhaben zu<br />
Grunde, an dessen Ausführung unterschiedliche Personen<br />
neben- und/oder nacheinander beteiligt sind/waren, bereitet<br />
die richtige Auswahl gelegentlich einige Schwierigkeiten.<br />
Im selbstständigen Beweisverfahren gegen mehrere Antragsgegner<br />
kann der Antragsteller ausdrücklich bestimmen,<br />
wer für welche Behauptung konkreter der Gegner<br />
sein soll; fehlt diese Differenzierung, sind alle Antragsgegner<br />
unabhängig von dem Ergebnis der Beweiserhebung an<br />
dem gesamten Verfahren beteiligt 57 . Hat der Verwalter einer<br />
Wohnungseigentumsgemeinschaft im eigenen Namen ein<br />
selbstständiges Beweisverfahren wegen Mängel an der<br />
Wohnanlage beantragt, bleibt er Partei, auch wenn er abberufen<br />
wurde; der neue Verwalter oder die Eigentümergemeinschaft<br />
kann aber in dieses Verfahren als Antragsteller/in<br />
eintreten 58 . Zwar lässt § 494 ZPO das<br />
Beweisverfahren auch gegen unbekannte Gegner zu, sofern<br />
der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden<br />
außer Stande ist, den Gegner zu bezeichnen. In Bausachen<br />
reicht hierfür aber nicht schon, dass dem Antragsteller<br />
nicht genau bekannt ist, wer von mehreren Unternehmern<br />
für den Schaden verantwortlich ist. Weil es für die Hemmung<br />
der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB jetzt<br />
auf die Zustellung des Antrags ankommt, kann ein Antrag<br />
gegen unbekannt keinen Einfluss auf die Verjährung haben.<br />
2. Tatsachenbezeichnung und Ausforschung<br />
Der Beweisantrag muss gem. § 487 Nr. 2 ZPO diejenigen<br />
Tatsachen bezeichnen, über die Beweis erhoben werden<br />
soll. Damit enthält das selbstständige Beweisverfahren in<br />
der Gesetzesformulierung eigentlich strengere Anforderungen,<br />
als sie § 403 ZPO für den Hauptsacheprozess bestimmt;<br />
§ 403 ZPO verlangt von der Partei nämlich lediglich<br />
Vortrag über die „zu begutachtenden Punkte“. In der<br />
Praxis wird diese Unterscheidung so indes nicht vorgenommen.<br />
Das Erfordernis der hinreichenden Tatsachenbezeichnung<br />
erweist sich insbesondere in Bausachen oft als tatsächlich<br />
problematisch; der Auftraggeber, der i. d. R. Laie<br />
ist, überblickt nämlich nicht immer die technischen Zusammenhänge.<br />
Im Hauptsacheverfahren genügt für schlüssigen<br />
Vortrag deshalb schon, dass diese Partei diejenigen Erschei-<br />
nungen beschreibt, die sie der als fehlerhaft eingestuften<br />
Leistung des bestimmen Unternehmers zuschreibt. Die Klärung,<br />
ob Ursache des vorgestellten Symptoms tatsächlich<br />
die vertragswidrige Leistung ist 59 , wird dann zum Gegenstand<br />
des Beweises. Es erscheint zweifelhaft, ob das selbstständige<br />
Beweisverfahren insoweit noch geringere Anforderungen<br />
an die notwendige Substantiierung zulassen darf.<br />
Allein mit der Begründung, dass der Gesetzeszweck dieses<br />
besonderen Verfahrens auch in der Vermeidung von Hauptsacheprozessen<br />
liegt, kann nicht der den Zivilprozess beherrschende<br />
Grundsatz des Ausforschungsverbotes ausgehebelt<br />
werden. Indes ist erst ein Antrag ohne jeden<br />
tatsächlichen Kern unzulässig. Erlässt das Gericht in einem<br />
selbstständigen Beweisverfahren einen Beweisbeschluss,<br />
bejaht es also die Zulässigkeit, kann es dann die nun von<br />
dem Antragsteller begehrte Eintrittspflicht des eigenen<br />
Rechtsschutzversicherers nicht schon mit der Begründung<br />
ablehnen, der Antragsteller strenge das selbstständige Beweisverfahren<br />
nur zu Ausforschungszwecken an 60 .<br />
Die Sachverhaltsdarstellung muss also mindestens so<br />
konkret gebracht werden, dass die Zurechnung des im Antrag<br />
beschriebenen Symptoms zum Antragsgegner nicht<br />
von vornherein ausscheidet; die tatsächlichen Ausführungen<br />
müssen außerdem einen sachlich begrenzten gerichtlichen<br />
Sachverständigenauftrag ermöglichen. Geht es etwa<br />
um die Ist-Beschaffenheit der Bauleistung, also um den<br />
„Zustand einer Sache“ i. S. d. § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO,<br />
sind deshalb auf der Grundlage dieser Symptomtheorie<br />
vom Antragsteller jedenfalls diejenigen Tatsachen zur äußeren<br />
Erscheinung, die einen Baumangel rechtfertigen sollen,<br />
im Antrag aufzuführen und vom Gericht in den zu erlassenen<br />
Beweisbeschluss zu übernehmen 61 ; dabei ist das Gericht<br />
an die Tatsachenbehauptung des Antragstellers gebunden,<br />
es darf insbesondere die Beweisbedürftigkeit und auch<br />
die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsachen<br />
nicht besonders überprüfen 62 . Die in § 204 Abs. 1 Nr. 7<br />
BGB geregelte verjährungshemmende Wirkung des selbstständigen<br />
Beweisverfahrens ist nicht dadurch in Frage gestellt,<br />
dass der Antragsteller laienhaft nur einen Teil der<br />
wahrnehmbaren Erscheinungen desselben Mangels beschreibt<br />
63 . Die Geeignetheit des Sachvortrages für diese besondere<br />
Rechtsfolge kann nicht als Zulässigkeitskriterium<br />
dienen; die Frage, ob mit der Zustellung des Antrags Verjährungshemmung<br />
eingetreten ist, bleibt nämlich dem<br />
Hauptsacheverfahren vorbehalten.<br />
3. Beweismittel<br />
Die grundsätzlich auch im selbstständigen Beweisverfahren<br />
zulässige Beweisaufnahme durch gerichtlichen Au-<br />
53 OLG Frankfurt 30.1.1997 NJW-RR 97, 581.<br />
54 OLG Köln 11.1.2001 VRS Bd. 102 Nr. 135.<br />
55 OLG Düsseldorf 22.12.1997 OLGR 98, 160; LG Lüneburg 14.4.2000 BauR<br />
00, 1099.<br />
56 OLG Düsseldorf 13.10.2000 BauR 01, 128. A. A. OLG Karlsruhe 23.12.1998<br />
VersR 99, 887; OLG Karlsruhe 27.4.2001 NJW-RR 02, 951.<br />
57 OLG Nürnberg 19.8.1999 OLGR 00, 58 mit Taphorn IBR 00, 344.<br />
58 OLG Nürnberg 18.6.2001 OLGR 01, 261.<br />
59 Vgl. zur „Symptomrechtsprechung“: BGH 17.1.2002 NJW-RR 02, 743 mit<br />
Weise IBR 02, 187.<br />
60 A. A. AG Hannover 14.10.1999 r+s 02, 161.<br />
61 OLG Köln 4.2.2002 BauR 02, 1121; Siegburg BauR 2001, 875, 887.<br />
62 BGH 4.11.1999 BauR 00, 599 mit Groß IBR 00, 145.<br />
63 OLG Koblenz 23.5.2001 zfs 02, 180. Vgl. auch nachstehende Ausführungen<br />
zu Abschnitt B.III.11.
32<br />
l<br />
genschein, zu der ein Sachverständiger gem. § 372 ZPO<br />
hinzugezogen werden kann, kommt in der Praxis nicht vor.<br />
Bei der Bezeichnung des Beweismittels „Sachverständigen-Beweis“<br />
fordert § 484 Nr. 3 ZPO nicht die Benennung<br />
eines bestimmten Sachverständigen, so dass das Gericht bei<br />
seiner Auswahl frei 64 ist. Wird von dem Antragsteller ein<br />
Sachverständiger namentlich genannt, handelt es sich um<br />
eine Anregung an das Gericht 65 . Erfolgt vor Erlass des Beweisbeschlusses<br />
die übereinstimmende Benennung desselben<br />
Sachverständigen, ist das Gericht gem. §§ 492, 404<br />
Abs. 4 ZPO an diese Person gebunden; was nämlich im<br />
Klagehauptverfahren möglich ist, muss auch in dem vorbereitenden<br />
selbstständigen Beweisverfahren gegeben sein.<br />
4. Glaubhaftmachung<br />
Gem. § 487 Nr. 4 ZPO sind glaubhaft zu machen nur<br />
diejenigen Tatsachen, welche die Zulässigkeit und die Zuständigkeit<br />
des angerufenen Gerichts betreffen. Dies sind in<br />
der Praxis nur wenige Umstände. Für den Antrag auf Einleitung<br />
eines isolierten selbstständigen Beweisverfahrens ist<br />
wohl nicht erforderlich die – auch nur durch eidesstattliche<br />
Versicherung (§294 ZPO) zu belegende – Erklärung, dass<br />
gemäß der Darstellung im Antrag ein Hauptsacheverfahren<br />
nicht anhängig ist, denn keine Partei würde in dem Gesuch<br />
eine solche Angabe wider besseres Wissen machen 66 .Die<br />
behauptete Besorgnis des Beweisverlustes bzw. der Beweiserschwernis<br />
kann sich oft aus der Natur der Sache – z. B.<br />
bei einem Baurechtsfall wegen der klaren Notwendigkeit<br />
des Weiterbaus – ergeben, so dass eine zusätzlich geforderte<br />
Glaubhaftmachung zu überflüssiger Förmelei führte 67 .<br />
Wird dem Antrag als Anlage beigefügt die schriftliche Aufforderung<br />
zur Beseitigung (Urkundenbeweis), genügt die eidesstattliche<br />
Versicherung, dass die geforderte Reaktion<br />
nicht stattfand. Ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des<br />
angerufenen Gerichts kraft Gesetzes oder aus einer dem<br />
Antrag beigefügten Vertragsurkunde, kann eine zusätzliche<br />
Glaubhaftmachung nicht gefordert werden. Der für die<br />
sachliche Zuständigkeit bisweilen bedeutsame Wert des Anspruchs<br />
kann nicht glaubhaft gemacht werden. Soll gem.<br />
§ 485 Abs. 1 ZPO ein Verfahren mit Zustimmung des Antragsgegners<br />
eingeleitet werden und liegt eine gegenüber<br />
dem Gericht erklärte Einwilligung nicht vor, muss auch die<br />
dem Antragsteller bekannt gemachte Zustimmungserklärung<br />
glaubhaft gemacht werden.<br />
(Der Beitrag wird fortgesetzt)<br />
64 Allein Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 60.A.2002 § 487 Rn. 5 vertritt<br />
weiterhin die Auffassung, das Gericht sei an den vom Antragsteller benannten<br />
Sachverständigen gebunden.<br />
65 Zöller/Herget ZPO 23.A. 2002 § 487 Rn. 5 m. w. N.<br />
66 Kniffka/Koeble Kompendium des Baurechts 2000 4.Teil Rn. 4.<br />
67 Breyer BauR 1999, 320 ff.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Kommunikation zwischen<br />
Anwalt und Mandant<br />
Aufsätze<br />
– Effizienzsteigerung durch den Einsatz elektronischer<br />
Medien? –<br />
Professor Dr. Mathias Groß und Rechtsanwalt Michael<br />
Herrmann *, Lüneburg<br />
1. Einleitung<br />
Nichts ist in vielen Anwaltskanzleien verbesserungswürdiger,<br />
als die Kommunikation zwischen Anwalt und<br />
Mandanten. Defizite in der Kommunikation führen in so<br />
mancher Kanzlei sogar zum Verlust eines Mandates.<br />
Die Ursachen liegen in psychologischen und technischen<br />
Barrieren – besonders für den rechtsunkundigen<br />
Mandaten.<br />
Hat dieser erst einmal seine Berührungsängste überwunden<br />
und ist über die Schwelle eines Rechtsberaters getreten,<br />
stellt er häufig fest, dass der Anwalt seines Vertrauens<br />
„nicht seine Sprache spricht“ 1 . Dieses erste Kommunikationsdilemma<br />
wird größer, sobald der Mandant den ersten<br />
Schriftsatzentwurf in der Hand hält. Die umständliche Ausdrucksweise<br />
zahlreicher Anwälte 2 , die Notwendigkeit, sich<br />
den Regeln der „Relationstechnik“ zu unterwerfen, wirft<br />
beim Mandanten nicht selten die Frage auf, ob ihn sein Anwalt<br />
überhaupt verstanden hat. In Kombination mit Zeitdruck<br />
und weiteren Übermittlungsschwierigkeiten manifestiert<br />
sich beim Mandanten nicht selten das Gefühl, von<br />
seinem Rechtsberater allein gelassen zu sein.<br />
Kleinigkeiten, wie etwa ein versehentlich nicht erfolgter<br />
Rückruf beim Mandanten, führen in diesen Situationen zu<br />
weiterem Vertrauensverlust.<br />
Die Auseinandersetzung mit psychologischen Aspekten<br />
ist nicht Gegenstand dieser Abhandlung 3 . Gleichwohl<br />
schafft eine unzureichende Kommunikation zwischen Mandant<br />
und Anwalt oftmals erst das Klima für eine Zerrüttung<br />
des Mandatsverhältnisses.<br />
Hinter den Medienbrüchen in der Kommunikation und<br />
einer unzureichenden Kanzleiorganisation stehen in fast<br />
allen Fällen technische Probleme. Darüber hinaus bedeutet<br />
eine ineffiziente Kommunikation eine Verschwendung zeitlicher<br />
und personeller Ressourcen und ist damit ein echter,<br />
wenn auch auf den ersten Blick kein offensichtlicher Kostenfaktor.<br />
Ziel dieses Artikels ist es, die Kommunikation zwischen<br />
Anwalt und Mandant zu durchleuchten und Handlungsalternativen<br />
durch den Einsatz elektronischer Medien aufzuzeigen.<br />
* Prof. Dr. Mathias Groß ist Leiter des Instituts für interaktive Medien (iam) an<br />
der Fachhochschule Nordostniedersachsen in Lüneburg. Rechtsanwalt Michael<br />
Herrmann ist Lehrbeauftragter für Multimediarecht an der Fachhochschule<br />
Nordostniedersachsen. Beide Autoren leiten die Projektgruppe „Elektronischer<br />
Marktplatz für anwaltliche Dienstleistungen (EMFAD)“. EMFAD wird<br />
gefördert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).<br />
1 Vgl. hierzu Guttmann, „Aus dem reichhaltigen Fundus ,juristischer Sprachvergehen’“,<br />
abrufbar unter http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Referat-<br />
Guttmann.doc.<br />
2 Ders. Deutsch für Juristen oder: 10 gute Gründe, warum gutes Deutsch auch<br />
für Rechtsanwälte nicht standeswidrig ist, abrufbar unter http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Vortrag2_Guttmann.doc.<br />
3 Dies können andere besser: vgl. nur Heussen, Anwalt und Mandant – Ein Insider-Report,<br />
insbesondere Kapitel XV.
AnwBl 1/2003 33<br />
Aufsätze l<br />
2. Bestandsaufnahme<br />
Anwälte und Kanzleiangestellte schlagen täglich wahre<br />
„Materialschlachten“. Diese gewinnen an Schärfe durch die<br />
hohe Anzahl der eingesetzten Medien und deren mangelhafter<br />
Zusammenführung in einem einheitlichen Vorgang.<br />
Das Kanzleipersonal steht täglich vor der Aufgabe, die<br />
per Post, Telefon, Telefax, Datenfernübertragung, Microcassetten<br />
und eMail übermittelten Informationen zu sichten<br />
und in der richtigen Reihenfolge in das Herzstück der anwaltlichen<br />
Arbeit, die Akte, einzufügen. Die Vielzahl der<br />
Schnittstellen, wie die Mandanten selbst, Gerichte,<br />
Behörde, Rechtsschutzversicherer und nicht zuletzt die Prozessgegner,<br />
erschwert diese Aufgabe.<br />
Die Inkompatibilität der eingesetzten Kommunikationsmittel<br />
zwischen Anwalt und Mandant, menschliche Fehlleistungen<br />
und mangelnde Information zwischen den Beteiligten<br />
verschärfen diese Problematik. Nicht selten kommt<br />
es vor, dass Posteingänge in die falsche Akte abgeheftet<br />
werden. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere Akten eines<br />
Mandanten gleichzeitig geführt werden. Besonders Berufsanfänger<br />
und Auszubildende werden zunächst staunend und<br />
später leidend feststellen, dass papierene Akten sogar Beine<br />
haben und sich zeitweilig in der Kanzlei vor den Blicken<br />
der suchenden Mitarbeiter verstecken.<br />
Hieraus resultiert ein immens hoher und vermeidbarer<br />
Aufwand, der sich auf den im Verhältnis zum Streitwert<br />
ohnehin hohen Zeitaufwand addiert. Als Folge entpuppt<br />
sich das Mandat als unrentabel, schlimmstenfalls zahlt der<br />
Anwalt drauf. Aus Gebührensicht wäre, gerade bei niedrigen<br />
Streitwerten, die Alternative eine Honorarvereinbarung<br />
auf Zeitbasis oder das Mandat abzulehnen. Für die<br />
erste Variante fehlt es den meisten kleinen oder mittleren<br />
Kanzleien häufig an der Marktmacht, insbesondere in Zeiten<br />
einsetzenden Verdrängungswettbewerbes. Die zweite<br />
Variante birgt die Gefahr, den Mandanten als Kanzleikunden<br />
zu verlieren. Auch dies führt auf lange Sicht zu einer<br />
Schwächung der Marktposition.<br />
Das Kommunikationsproblem focussiert sich auf die<br />
entscheidende Frage, inwieweit elektronische Medien helfen<br />
können, das Mandat effizienter zu bearbeiten und zugleich<br />
den Raum für menschliche Fehlleistungen weiter<br />
einzuschränken.<br />
3. Möglichkeiten des Einsatzes elektronischer Medien für<br />
anwaltliche Dienstleistungen<br />
Die Einsatzmöglichkeiten elektronischer Medien sind<br />
ebenso vielfältig, wie bereits bestehende Lösungen und<br />
Produkte 4 . In diesem Zusammenhang soll nicht auf die<br />
zahlreichen reinen Kanzlei-Softwarelösungen eingegangen<br />
werden 5 . Gegenstand der Betrachtung sind vielmehr Lösungen,<br />
über die Mandant und Anwalt interaktiv kommunizieren<br />
können, vornehmlich Internet-basierte Lösungen.<br />
3.1 „Online-Rechtsberatung“<br />
Zu den bekanntesten und auch sehr skeptisch beurteilten<br />
Internet-Aktivitäten der Rechtsberatungsbranche gehört die<br />
sog. Online-Rechtsberatung. Das Prinzip dieses Modells ist<br />
denkbar einfach. Der Anwalt bietet dem Mandanten auf seiner<br />
Homepage eine Unterseite an. Dort gibt der potentielle<br />
Mandant in vorgegebenen Feldern seine Personalien und<br />
seine Rechtsfrage ein 6 . Die meisten Angebote versprechen,<br />
die Frage des Rechtssuchenden innerhalb eines relativ kurzen<br />
Zeitraumes – meist in 24 Stunden – zu beantworten 7 .<br />
Die Nachteile eines solchen Systems liegen auf der Hand.<br />
Der Mandant ist meist nicht in der Lage, sein Problem<br />
schriftlich präzise zu formulieren. Fragen wie „Ich habe<br />
mir bei einem Unfall die Hand gebrochen, wie hoch ist<br />
mein Schmerzensgeldanspruch?“ sind zudem derart global,<br />
das eine ziel- und bedarfsgerechte Beratung unmöglich ist.<br />
Das System ist nicht interaktiv und erlaubt dem Anwalt<br />
nicht, den Mandanten durch gezieltes Nachfragen, zur<br />
Kernproblematik des Falls zu führen. So weisen die meisten<br />
Angebote darauf hin, dass die „Online-Beratung“ keine<br />
vollwertige anwaltliche Beratung ersetzt und sich lediglich<br />
für die Erstberatung in einfach gelagerten Fällen eignet.<br />
Dem Durchschnittsmandanten wird es jedoch schwer fallen,<br />
diese Wertung vorzunehmen. Das Risiko, einen Mandanten<br />
nicht bedarfsgerecht beraten zu haben, ist hoch, die<br />
Frustration beim Mandaten vorprogrammiert. Somit wirkt<br />
die „Online-Beratung“, ursprünglich als Marketing-Instrument<br />
gedacht, kontraproduktiv.<br />
3.2 eMail<br />
Der Einsatz von eMail in Kanzleien ist mittlerweile verbreitet.<br />
Die meisten Kanzleien verfügen zumindest über<br />
eine zentrale eMail-Adresse (etwa info@kanzlei.de) 8 .Immer<br />
häufiger ist auch der einzelne Anwalt einer Kanzlei<br />
über eine eigene eMail-Adresse zu erreichen 9 .<br />
Die eMail ist ein benutzerfreundliches, leicht zu bedienendes,<br />
schnelles und damit effektives Kommunikationsmittel.<br />
Der Zugriff des Mandanten auf den Anwalt und damit<br />
zum Recht wird immens vereinfacht. Kontaktbarrieren,<br />
wie ein Vorzimmer entfallen durch dieses Medium. Diese<br />
positiven Aspekte beinhalten aber für den Anwalt auch die<br />
Gefahr eines „kommunikativen Amoklaufs“. Der Vergleich<br />
zur Vergabe von Telefondurchwahlen des Anwalts an Mandanten<br />
drängt sich auf. Aus guten Gründen wird eine solche<br />
Vergabe restriktiv gehandhabt.<br />
Durch den Wegfall zum Teil bewusst gesetzter Hemmschwellen,<br />
wie etwa das Sekretariat als Filter- und Verteilereinheit,<br />
erreichen den Anwalt per Mail auch Anfragen,<br />
die ihn zeitlich be- und nicht entlasten, z. B. Anfragen für<br />
Terminvereinbarungen.<br />
Zudem muss bedacht werden, dass einige Verwender<br />
von eMail dazu neigen, ihre Gedanken nicht klar, wie in<br />
einem Brief, strukturieren 10 .<br />
Diese Art des eMail-Einsatzes schafft keine Freiräume<br />
für den Anwalt. Im Gegenteil, sie bindet noch zusätzliche<br />
Ressourcen.<br />
Die Handlungsalternativen des Anwaltes sind auch in<br />
diesem Fall wiederum beschränkt: Ignoriert der Anwalt<br />
eMail, verärgert er den Mandanten und schafft sich unkalkulierbare<br />
Haftungsrisiken. Beantwortet er jede eMail persönlich<br />
oder delegiert er diese Aufgabe, arbeitet der Jurist<br />
sehr bald unwirtschaftlich. Einziger Ausweg ist die Deaktivierung<br />
der eigenen eMail-Adresse oder die Beschränkung<br />
auf eine Kanzlei-Sammel-eMail. Aber auch die Beschränkung<br />
auf eine Sammel-eMail-Adresse eröffnet einen weiteren<br />
Kommunikationskanal, der nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen<br />
Gründen regelmäßig kontrolliert werden muss. Damit<br />
4 Beispielhaft seien hier Anwaltsportale oder Rechtsberatungshotlines genannt.<br />
5 Eine Übersicht gängiger Lösungen ist erhältlich unter<br />
http://anwaltsmanagement.anwaltverein.de/Anbieter_Anwaltsoftware.rtf.<br />
6 Vgl. etwa das Angebot unter www.rechtsratgeber.de.<br />
7 So etwa das Angebot von gigarecht.de<br />
(http://www.gigarecht.de/rechtsberatung.htm).<br />
8 Z. B. info@kanzlei-xy.de. Aktuelle Statistiken existieren leider nicht.<br />
9 Wenn gleich dieser Brauch meist nur in internationalen Großkanzleien üblich<br />
ist.<br />
10 Eingehend hierzu: Gundolf S. Freyermuth, Kommunikette 2.0: E-Mail, Handy<br />
& Co. richtig einsetzen.
34<br />
l<br />
entsteht ein Mehraufwand, soweit andere Kommunikationsmittel<br />
zumindest im gleichen Umfang genutzt werden.<br />
3.3 Internet basierte Video-Konferenz<br />
Ein vergleichsweise neues Kommunikationsmittel sind<br />
internet-gestützte Video-Konferenzen. Verlässliche Zahlen<br />
über den Einsatz von Video-Konferenzen durch Anwaltskanzleien<br />
liegen nicht vor. Das Grundprinzip des Einsatzes<br />
ist ebenfalls relativ einfach. Per Video- oder Web-Cam und<br />
Mikrofon aufgezeichnete Bild- und Toninformationen werden<br />
via Internet zum jeweils anderen Gesprächsteilnehmer<br />
übertragen. Eine entsprechende Software, wie etwa Microsoft<br />
Netmeeting, wandeln diese Informationen in sicht- und<br />
hörbare Informationen auf dem Bildschirm bzw. dem Lautsprecher<br />
des PCs der Teilnehmer um.<br />
Diese Technik erlaubt es den Beteiligten, auch ohne<br />
gleichzeitige physische Präsenz „von Angesicht zu Angesicht“<br />
miteinander zu kommunizieren. Diese Technologie<br />
kann auch genutzt werden, um mit mehreren Teilnehmern<br />
gleichzeitig überregional zu konferieren (etwa überörtliche<br />
Sozietäten). Damit ist vorstellbar, dass der Anwalt mit Sitz<br />
in Köln in einer Angelegenheit mit seinem Kollegen in<br />
Singapur konferiert und den Mandanten aus London hinzuschaltet.<br />
Anfahrtswege, Wartezeiten und Reisekosten<br />
können auf diese Weise minimiert werden. Terminvereinbarungen<br />
sind hingegen nicht entbehrlich. Es ist nahe liegend,<br />
dass sich diese Technik auch für die Vernehmung von<br />
Zeugen oder Anhörung von Sachverständigen in gerichtlichen<br />
Verfahren eignet 11 . In den USA hat diese Technik<br />
bereits Einzug in die Gerichtssäle gehalten 12 . Auch in<br />
Deutschland finden erste Modellversuche statt 13 . Mit Neufassung<br />
der ZPO besteht nach § 128a ZPO nunmehr auch<br />
die Möglichkeit, die mündliche Verhandlung per Bild- und<br />
Tonübertragung durchzuführen.<br />
Dafür sind Vorkehrungen nötig, die Identität und Authentizität<br />
der Teilnehmer wie der übermittelten Informationen<br />
gewährleisten 14 .<br />
Diese Technik ist jedoch noch nicht vollständig ausgereift.<br />
Die Qualität der übermittelten Bilder bleibt zumindest<br />
bei gängigen Standardprodukten weit hinter dem<br />
zurück, was der fernsehgewöhnte Mandant erwartet. Wird<br />
die Videokonferenz über ISDN-Leitungen geführt, entsprechen<br />
die Gebühren ca. 3-6 parallelen analogen Telefonverbindungen<br />
15 . Hochwertige individuelle Systeme sind in der<br />
Beschaffung meist kostspielig.<br />
Gerade für große und überörtliche Sozietäten kann der<br />
Einsatz eines solchen Systems aber durchaus sinnvoll sein.<br />
3.4 Call Center/Telefonrechtsberatung<br />
Als „Pionier“ der Rechtsberatung ohne physische Präsenz<br />
von Anwalt und Mandat gilt die Telefonrechtsberatung.<br />
Trotz fehlender Statistiken ist nicht zu erkennen, dass<br />
sich die Telefonrechtsberatung auf dem Vormarsch befindet.<br />
Die Gründe hierfür sind vielfältig.<br />
Zum einen ist die Beratung durch einen Anwalt immer<br />
noch Vertrauenssache. Damit ist, zumindest zeitweilig, der<br />
persönliche Kontakt zwischen Mandant und Anwalt nach<br />
wie vor erforderlich 16 . Die rein verbale Auskunft einer weitgehend<br />
anonymen Person über Telefon wird wohl von den<br />
meisten Rechtsuchenden als nicht ausreichend empfunden.<br />
Die Anwahl einer 0190- oder 0800-Nummer und der Einzug<br />
der Beratungsgebühren über die Telefonrechnung sind zumindest<br />
gewöhnungsbedürftig. Hier treffen die gleichen Argumente<br />
wie bei der Online-Beratung zu. Eine Erörterung komplexer<br />
Sachverhalte ist per Telefon nur begrenzt möglich.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aufsätze<br />
Eine Visualisierung, insbesondere von Dokumenten, kann<br />
nicht erfolgen. Das Angebot von Telefonrechtsberatung ist daher<br />
allenfalls für einfach gelagerte Probleme geeignet 17 .<br />
Damit bringt die Telefonrechtsberatung den Anwalt<br />
keine Entlastung bei seiner täglichen Arbeit. Die bereits<br />
skizzierten Ablaufprobleme lassen sich so nicht bewältigen.<br />
Eine glänzende Zukunft steht der Telefonrechtsberatung<br />
wohl nicht bevor.<br />
3.5 Datenbank-basierte Dienstleistungen<br />
Einige Firmen bieten anwaltliche Dienstleistungen wie<br />
Rechtsrat seit 2001 über datenbankbasierte Lösungen an.<br />
Als Beispiel seien hier drei Vertreter genannt.<br />
Das Angebot von janolaw.de 18 gibt dem Rechtsuchenden<br />
Rat über ein ausgeklügeltes Fragensystem. Ziel ist, das<br />
Recht für jedermann verständlich zu machen. Komplexe<br />
Sachverhalte, die nur mit „JA“ oder „NEIN“ zu beantworten<br />
sind, werden solange in Einzelfragen zerlegt, bis die Antwort<br />
auf die Frage des Rechtsuchenden feststeht. Unter dem<br />
Angebot „jano contract“ sind nach demselben Muster individuelle<br />
Verträge abgelegt. Die Abfrage erfolgt über eine<br />
Maske auf dem Bildschirm. Der Mandant klickt sich sozusagen<br />
selbst zu seiner Lösung. Dieses Angebot ist auf eine<br />
Erstberatung des Mandanten ausgerichtet. Es wird ergänzt<br />
durch Kooperations-Anwälte vor Ort, die, wenn nötig, eine<br />
tiefergehende Beratung vornehmen können. Die rechtliche<br />
Zulässigkeit dieser Beratung wurde durch zwei von der<br />
Firma janolaw.de in Auftrag gegebene Gutachten bestätigt 19 .<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein<br />
haben sich den Gutachten angeschlossen 20 .<br />
Aus Gesichtspunkten der Effizienz sind die von janolaw.de<br />
angebotenen Dienstleistungen günstig zu bewerten.<br />
Folgt der Online-Erstberatung ein persönliches Gespräch in<br />
der Kanzlei, ist dieser Termin gut vorbereitet. Das System<br />
arbeitet das juristische Problem des Rechtsuchenden bereits<br />
soweit auf, dass sich der Anwalt in der nachfolgenden Beratung<br />
auf seine Kernkompetenz, die Beantwortung juristischer<br />
Fragen beschränken kann. Die oftmals mühevolle Ermittlung<br />
des eigentlichen Kernproblems aus vielen einzelnen<br />
Informationen entfällt fast vollständig. Die gezielte<br />
Abfrage ermöglicht es dem Anwalt, sich auf das wesentliche<br />
zu konzentrieren. Die Beratung ist damit zielgerichteter<br />
und zeitsparender.<br />
Einen anderen Ansatz verfolgt das Online-Angebot von<br />
RA-MICRO.<br />
Die „RA-MICRO Web-Akte“ 21 bietet über ihren Kooperationspartner,<br />
die e.Consult AG, im Internet eine Plattform<br />
11 Dies gilt natürlich nur, soweit der jeweils Betroffene über eine entsprechende<br />
Technik verfügt. Denkbar wäre aber auch die Einrichtung eines Online-Konferenzraumes<br />
bei jedem Amts- bzw. Landgericht. Auf diese Weise könnte ein<br />
bundesweites Netzwerk geschaffen werden. Die betreffende Person hätte somit<br />
die Möglichkeit, sich im Extremfall lediglich zum Amtsgericht vor Ort,<br />
statt auf die Reise zu einem entfernteren Gericht zu begeben.<br />
12 So etwa im Projekt courtroom 21 (www.courtroom21.net).<br />
13 Vgl. Artikel vom 19.6.2002 in heise-online http://www.heise.de/newsticker/<br />
result.xhtml?url=/newsticker/data/wst-19.06.02-005/default.shtml&words=<br />
Finanzgericht.<br />
14 Etwa durch den Einsatz elektronische Signaturen und Verschlüsselungstechnologien.<br />
15 Näher hierzu:<br />
http://www.slf.ruhr-uni-bochum.de/etandem/etmedien2-de.html#video.<br />
16 Vgl. hierzu auch Huff, Markentwicklung der deutschen Anwaltschaft 1991<br />
bis 2001, BRAK-Mitt. 1/2002, S. 3, 5; Härting, Anwaltshotline – Alles Recht<br />
http://www.haerting.de/deutsch/archiv/anw03.htm.<br />
17 Wobei auch hier dem Mandanten die Differenzierung schwer fallen dürfte.<br />
18 www.janolaw.de.<br />
19 Henssler, CR 2001, S. 682-693; Gounalakis, UFITA, Bd. III, 2001.<br />
20 So zumindest nach eigenen Aussagen des Betreibers unter www.janolaw.de.<br />
21 www.ra-online.de.
AnwBl 1/2003 35<br />
Aufsätze l<br />
zum Austausch elektronischer Dokumente zwischen Kanzlei<br />
und Mandant. Der Kontakt und Informationsaustausch kann<br />
somit unabhängig von Bürozeiten und räumlichen Distanzen<br />
erfolgen. Im Wesentlichen handelt es sich hier um eine<br />
browserbasierte Anwendung. Auf die Plattform kann damit<br />
von jedem PC über das Internet zugegriffen werden. Nach<br />
Angaben des Herstellers bietet die Web-Akte die Möglichkeit,<br />
in dieser Arbeitsumgebung geschlossene Bereiche (Arbeitsräume)<br />
zu definieren. Dort können autorisierte Personen<br />
alle Informationen und Schriftstücke zu einem Vorgang einsehen,<br />
bearbeiten, gemeinsam diskutieren und neue Unterlagen<br />
ablegen. Mithin bietet diese Lösung eine Möglichkeit,<br />
etwa durch die Übernahme von ganzen Dokumenten oder<br />
einzelner Dokumententeile zeit- und ressourcensparend<br />
Schriftsätze abzustimmen und zu fertigen. Abgerundet wird<br />
das System durch umfangreiche Möglichkeiten zur online-<br />
Recherche (juris, Bonitätsauskünfte etc.).<br />
Die gleiche Zielrichtung verfolgt die Firma LECARE 22 .<br />
LECARE ist eine Weiterentwicklung der Software Phantasy<br />
3Company und nach Angaben des Herstellers auf die Anforderungen<br />
von großen, auch überörtlichen Sozietäten zugeschnitten.<br />
LECARE ist eine Browserentwicklung, die Internet-,<br />
Text- und Datenbankobjekte gleichwertig unter<br />
einer einheitlichen Bedieneroberfläche zur Verfügung stellt<br />
und miteinander vernetzt. Der Zugang zum Programm erfolgt<br />
verhältnismäßig einfach über einen Standard-Webbrowser<br />
im Internet.<br />
Darüber hinaus hat der Anwalt die Möglichkeit, an Mandanten<br />
differenzierte Rechte vergeben. Der Mandant kann<br />
somit auf „seine“ Akte passwortgeschützt per Browser zugreifen,<br />
beispielsweise den Stand der Forderungskonten per<br />
HTML-Report einsehen oder einen überarbeiteten Vertragsentwurf<br />
in eine Versionsverwaltung online einstellen.<br />
Schließlich bietet das System dem Anwalt umfangreiche<br />
Recherchemöglichkeiten, etwa in Juris.<br />
4. Zusammenfassung<br />
Die vorstehenden Ausführungen lassen erkennen, dass ein<br />
ungezielter und wahlloser Einsatz elektronischer Medien im<br />
Kanzleialltag kontraproduktiv wirken kann. Dies gilt insbesondere<br />
für einen „ungefilterten“ Einsatz von eMail. Zu<br />
selten wird berücksichtigt, dass mit der planlosen Öffnung<br />
neuer Kommunikationskanäle der Organisationsaufwand<br />
steigt. Die geplante Entlastung wird schnell zur Belastung.<br />
Die direkte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant<br />
via eMail ist daher ein zweischneidiges Schwert.<br />
Kritisch zu bewerten ist ebenfalls die reine Online-<br />
Rechtsberatung. Die mit dem Einsatz dieser Systeme verbundene<br />
Hoffnung auf den schnellen Gebühren-Euro ist<br />
oftmals vergebens. Zu häufig wird übersehen, dass anwaltliche<br />
Beratung nach wie vor vom persönlichen Kontakt<br />
lebt. Als Insellösung ist die Online-Rechtsberatung daher<br />
ungeeignet. Aus Effizienzgesichtspunkten bringt sie in ihrer<br />
bisherigen Form keinerlei Vorteile.<br />
Das Scheitern der meisten sogenannten Start-ups der<br />
New Economy hat gezeigt, dass der Markt für reine Internetlösungen,<br />
insbesondere im Beratungsbereich, noch nicht<br />
bereit ist. Von der „Virtualisierung anwaltlicher Dienstleistung“<br />
sind wir, nicht zuletzt aus kulturellen Gründen, noch<br />
ein gutes Stück entfernt. Es gilt vielmehr, durch den Einsatz<br />
elektronischer Medien bereits bestehende Prozesse zu optimieren<br />
und die Arbeitsabläufe im Kanzleialltag effizienter<br />
zu gestalten. Die Zukunft wird daher den Systemen gehören,<br />
die eine Kommunikation zwischen Anwalt und Man-<br />
dant ohne nennenswerte Medienbrüche aufbauen. Dies gilt<br />
zunächst für den Austausch fernmündlicher und/oder<br />
schriftlicher Informationen. Ein Schwerpunkt wird daher in<br />
der Fortentwicklung datenbankbasierter Lösungen liegen,<br />
auf die über einen Web-Browser zugegriffen werden kann.<br />
Dabei wird die Integration von Spracherkennung eine dominante<br />
Rolle spielen. Ein erhebliches Effizienzpotential<br />
liegt jedoch in der oft aufwändigen Sachverhaltsermittlung.<br />
Hier können künftig „intelligente Formulare“ oder Fragemasken<br />
zur Ermittlung des Sachverhaltes helfen. Nur so ist<br />
wirkliche Arbeitsentlastung denkbar – vorausgesetzt die gewonnenen<br />
Ergebnisse werden in eine elektronische Akte<br />
integriert und dem Anwalt verfügbar gemacht.<br />
Buchhinweis<br />
Küttner (Herausgeber), Personalbuch 2002: Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht,<br />
Sozialversicherungsrecht; 9. Aufl. 2002; Verlag C.H.<br />
Beck München; 2.593 S., 95 E<br />
Das außergewöhnlich praxisrelevante Buch denkt man schon<br />
seit jeher zur Verfügung zu haben. Dafür spricht, dass es nun schon<br />
in der 9. Auflage erscheint. Als Buch mit Jahreszahl im Titel reicht<br />
allerdings die erste Auflage gar nicht so weit zurück, nämlich in<br />
das Jahr 1994. So lange kennt man das Werk also noch gar nicht.<br />
Wie dem auch sei: Man will es einfach nicht mehr missen. Das<br />
Buch sollte bei denen, an die es sich von Anfang an wendet, also<br />
die Verantwortlichen der Personalabteilungen, deren Partner (Betriebsräte)<br />
und Berater (Rechtsanwälte, Steuerberater) sowie die<br />
Gerichtsbarkeiten des Arbeits-, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts<br />
in der Handbibliothek zur Verfügung stehen. Ausufernde<br />
Rechtsgebiete wie die behandelten nach Stichworten aufzuschließen<br />
und im Dreitakt der behandelnden Rechtsgebiete dann<br />
zu erörtern ist ein vorzügliches System, setzt aber um „abschließend“<br />
über das Stichwort zu informieren exzellente Fähigkeiten<br />
der Autoren voraus. Die sind vorhanden. Das Abarbeiten der Stichworte<br />
und deren Verknüpfungen sind durchweg sehr gut gelungen.<br />
In diesem Jahr war die Arbeit wegen der großen Reformen in späten<br />
Minuten des Jahres 2001 besonders mühsam. Man sieht es den<br />
Darlegungen nicht an. Neu sind aus nahe liegenden Gründen die<br />
Stichworte „Altersvorsorgevermögen“, „Betriebliche Altersversorgung“,<br />
„Internet-Nutzung“, ferner „Wertguthaben/Zeitguthaben“<br />
u. a. m. Man kann nur sagen: Auf ein Neues im Jahr 2003. Bis dahin<br />
ist treffliche Arbeit mit dem Personalbuch 2002 angesagt.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />
Beck/Löhle: Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren.<br />
Geschwindigkeit – Abstand – Rotlicht – Waagen – Atemalkohol,<br />
Deutscher Anwaltverlag, Bonn, 7. Aufl. 2002, 209 S. brosch., 38 E<br />
Sachverständige warnen seit langem vor Fehlern bei der Radarmessung.<br />
Jetzt belegen auch ADAC-Tests die vielen Fehlerquellen bei<br />
polizeilichen Messverfahren. Spurwechsel, falscher Messwinkel, reflektierende<br />
Gegenstände im Kamerabereich – allein diese äußeren<br />
Umstände können zu falschen Ergebnissen führen. Aber auch konstruktionsbedingte<br />
Fehlleistungen der verschiedenen Gerätetypen<br />
sind häufig und können nachgewiesen werden. Und dies nicht nur<br />
bei Radarmessungen, sondern auch bei Atemalkoholtests, Rotlichtverstößen<br />
und Wägungen.<br />
Die 7. Auflage des bewährten Werkes „Fehlerquellen bei polizeilichen<br />
Messverfahren“ geht auf die aktuellsten Entwicklungen und<br />
Erkenntnisse ein. Diese werden einerseits aus juristischer Sicht dargestellt,<br />
andererseits aus der Sicht eines erfahrenen Physikers und<br />
Sachverständigen. Mit diesem fundierten Wissen ausgestattet, kann<br />
der Anwalt sich optimal für seinen Mandanten einsetzen.<br />
22 www.lecare.com.
36<br />
MN<br />
9<br />
Entbehrliche Rechtsprechung zum<br />
entbehrlichen Anwalt<br />
Zur Glosse AnwBl 2001, 669<br />
Mit der Veröffentlichung „Glosse: Entbehrliche Rechtsprechung<br />
zum entbehrlichen Anwalt“ (AnwBl 11/2002<br />
S. 669 f) reißt Dr. Peter Hamacher eine Thematik an, die<br />
keinen Einzelfall darstellt. Vielmehr ist sie Ausdruck einer<br />
sich in der Sozialgerichtsbarkeit abzeichnenden Entwicklung.<br />
Die Begründung der Entscheidung deckt sich inhaltlich<br />
mit bis Dezember 2001 ergangenen Beschlüssen des<br />
Landessozialgerichts Sachsen, dass ebenfalls im Großteil<br />
der rentenrechtlichen Streitigkeiten Anträge auf Gewährung<br />
von PKH unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz<br />
und die damit einhergehende Entbehrlichkeit analtlicher<br />
Vertretung ablehnte (vgl. nur beispielhaft:<br />
Beschluss des Sächsischen LSG vom 19.11.2001 Az.: SL 5<br />
RJ 246/01, Beschl. des Sächs LSG vom 17.10.2000 Az.: L 5<br />
RJ 62/00, Beschl. des Sächs LSG vom 24.1.2001 Az.: L 5<br />
RJ 206/00). Diese Beschlüsse begegnen bereits auf Grund<br />
der mangelnden Problematisierung zwischen PKH und der<br />
Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Rahmen der PKH, wie<br />
sie der Gesetzgeber in §§ 114 ff. ZPO vorsieht und den<br />
sich aus dem Wortlaut des $ § 73 a Abs. 1 S. 2 SGG ergebenden<br />
Auslegungen erheblichen Bedenken. § 73 a I S. 2<br />
SGG erscheint zumindest dahingehend auslegungswürdig,<br />
dass eine Erforderlichkeitsprüfung zur Beiordnung eines<br />
5 %<br />
DAV Brüssel<br />
Europäischer Parlamentarischer<br />
Abend des Deutschen<br />
Anwaltvereins 2002<br />
– EU-Binnenmarkt und Anwaltliches<br />
Berufsrecht –<br />
Für den Vorstand des Deutschen<br />
Anwaltvereins ist es stets eine Ehre<br />
und Freude, die Europaparlamentarier,<br />
die an der Rechts- und Anwaltspolitik<br />
mitwirken, zum Gespräch und zum<br />
Abendessen begrüßen zu dürfen.<br />
Der Europäische Parlamentarische<br />
Abend fand am 05. November 2002 im<br />
Restaurant „La Maison du Cygne‘‘ am<br />
Grand Place im Herzen Brüssels statt.<br />
In der Begrüßungsansprache wies<br />
der Präsident des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck,<br />
auf die wesentlichen europäischen The-<br />
Dr. Streck, Präsident des DAV<br />
am Mikrofon: Dr. Margot Fröhlinger<br />
AnwBl 1/2003<br />
Rechtsanwaltes nach § 121 II ZPO entbehrlich wird, wenn<br />
nur die Voraussetzungen des §114 ZPO vorliegen. Dem<br />
Beteiligten ist abweichend vom Zivilprozess ein Rechtsanwalt<br />
dann gemäß § 73 a I S. 2 SGG auch ohne entsprechenden<br />
gesonderten Antrag zuzuordnen.<br />
Die Bedenken des Kollegen Dr. Hamacher hinsichtlich<br />
des Aufwandes der Beschlussbegründung lassen sich bei<br />
Lektüre der zitierten Entscheidungen des Sächs LSG zerstreuen.<br />
Die nahezu inhaltsgleichen Begründungen dürften<br />
auf Grund der angediehenen Routinebehandlung nur begrenzt<br />
zeitliche Vakanzen der Richterschaft gebunden haben.<br />
Das BVerfG bescheinigte dem Sächsischen LSG im Rahmen<br />
einer stattgebenden Verfassungsbeschwerde eines Kollegen<br />
in diesem Zusammenhang, den Rechtbegriff der Erforderlichkeit<br />
ersichtlich in einer Weise ausgelegt zu haben,<br />
die „auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von<br />
der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art 20 Abs. 3 GG<br />
verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht“ (vgl. BVerfG<br />
Beschl. v. 18.12.2001 Az.: 1 BvR 391/01). Daher sollte sich<br />
die Anwaltschaft ermutigt fühlen, gerade auch gegen solchen<br />
Entscheidungen, deren Begründung zwischen den Zeilen<br />
evident den „blauen Himmel“ atmen, im Rahmen Ihres<br />
Wächteramtes derartigen Entwicklungen in Teilen der Judikative<br />
auch unter Anrufung des BVerfG entgegenzutreten.<br />
Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, Leipzig<br />
men für die deutsche Anwaltschaft hin.<br />
Es bestehe die Befürchtung, dass die<br />
Kommission durch ihre Maßnahmen<br />
das Berufsrecht abbauen oder zumindest<br />
regulieren wolle. Dieser Eindruck<br />
entstehe durch die Binnenmarktstrategie,<br />
durch einzelne Richtlinienvorhaben,<br />
aber insbesondere auch durch<br />
die Befragung des österreichischen Instituts<br />
IHS zum Berufsrecht unter dem<br />
Aspekt von Marktzugangsbeschränkungen.<br />
Gerade die vermeintlich bestehende<br />
Kollision zwischen Berufs- und<br />
Wettbewerbsrecht sei bereits im vergangenen<br />
Jahr beim Europäischen<br />
Parlamentarischen Abend durch die<br />
Rede von Dr. Alexander Schaub, Generaldirektor<br />
der Generaldirektion<br />
Wettbewerb, deutlich geworden. Die<br />
Präsenz des Deutschen Anwaltvereins<br />
in Brüssel sei erforderlich und der<br />
Dialog mit den Parlamentariern gewünscht.<br />
Man stelle sich gerne der<br />
notwendigen Diskussion.
AnwBl 1/2003 37<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Ein besonderes Willkommen galt<br />
Frau Dr. Margot Fröhlinger, nach der<br />
EU-E-Commerce-Richtlinie nunmehr<br />
zuständig für die Binnenmarktstrategie<br />
in der Generaldirektion XV/E1 der<br />
Europäischen Kommission, Kabinett<br />
EU-Kommissar Bolkestein. In ihrem<br />
Vortrag „Der Anwaltsberuf im Binnenmarkt‘‘<br />
ging sie unter anderem auf das<br />
für die Anwaltschaft bedeutsame Verhältnis<br />
Binnenmarkt und Anwaltliches<br />
Berufsrecht ein. Sie erläuterte, dass im<br />
Binnenmarkt noch immer Schranken<br />
im freien Dienstleistungsverkehr Unternehmen<br />
und Verbraucher behinderten.<br />
Sie schilderte die verschiedenen<br />
Stufen der Binnenmarktstrategie für<br />
den Dienstleistungssektor. Sie ging<br />
auch auf die Selbstverwaltungsstrukturen<br />
der Anwaltschaft im Binnenmarkt<br />
ein. Die Kommission habe nicht die<br />
Absicht, diese abzuschaffen. Man solle<br />
die Freiräume im EU-Binnenmarkt<br />
nutzen. Den vollen Wortlaut ihrer<br />
Rede werden Sie in einem der nächsten<br />
Anwaltblätter abgedruckt finden.<br />
Eine große Zahl von Europaparlamentariern,<br />
unter Ihnen der Vizepräsident<br />
des Europäischen Parlaments,<br />
Ingo Friedrich, sowie Willy Rothley,<br />
unter anderem zuständig für die für<br />
die Anwaltschaft bedeutsame 5. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie<br />
sowie<br />
Klaus-Heiner Lehne bekannt vor allem<br />
auf Grund der 2. EU-Geldwäscherichtlinie<br />
aber auch der Übernahmerichtlinie<br />
und zuständig für das Europäische Zivilgesetzbuch,<br />
waren wie gewohnt für<br />
die Gespräche offen. Der DAV zeigte<br />
sich im Hinblick auf die Präsenz zahlreicher<br />
Abgeordneter des Europäischen<br />
Parlaments - Anwälte und Juristen aus<br />
den für den DAV wichtigen Ausschüssen<br />
des Europäischen Parlaments -, von<br />
Vertretern der Europäischen Kommission<br />
sowie der Ständigen Vertretung<br />
der Bundesrepublik Deutschland bei<br />
der EU und von Mitgliedern der<br />
deutschsprachigen Delegationen beim<br />
Rat der Europäischen Anwaltschaften<br />
(CCBE) erfreut über das Interesse an<br />
den für die Anwälte wichtigen Themen.<br />
Gesprächsgegenstände an den Tischen<br />
waren dann im Verlauf des festlichen<br />
Abends z.B. auch die Entwicklungen<br />
bei der Maßnahme zu<br />
außervertraglichen Schuldverhältnissen,<br />
außergerichtlicher Streitbeilegung,<br />
Prozesskostenhilferichtlinie, mögliche<br />
Neuauflage der Geldwäscherichtlinie,<br />
Gefährdung der Bürgerrechte unter<br />
vermeintlicher Rechtfertigung zur Aufrechterhaltung<br />
der Sicherheit nach dem<br />
11. September 2001 etc.<br />
v.l.n.r.: Dr. Michael Streck / Präsident DAV, Marcella<br />
Prunbauer-Glaser / Vors. der Österr. CCBE-Delegation,<br />
Dr. Hans-Jürgen Hellwig / Vize-Präsident DAV, Jonathan<br />
Goldsmith / CCBE-Generalsekretär ....<br />
Begrüßungsworte von Dr. Streck<br />
Der Empfang fand in Folge einer<br />
informellen DAV-Vorstandssitzung, zu<br />
der bereits Frau Dr. Koch-Mehrin zum<br />
Thema „Lobbying in Brüssel‘‘ referierte,<br />
statt. So bot sich den Vorstandsmitgliedern<br />
die Gelegenheit zu einem<br />
Gedanken- und Meinungsaustausch<br />
mit den EU-Repräsentanten unmittelbar<br />
in Brüssel.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL.M., Berlin<br />
DAV-Pressemitteilungen<br />
Anwaltschaft nimmt<br />
Anwaltsausbildung selbst in die<br />
Hand<br />
– Die DAV-Mitgliederversammlung<br />
beschließt eine eigene Anwaltsausbildung<br />
–<br />
Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung<br />
des Deutschen<br />
Anwaltvereins (DAV) wurde am<br />
23. November 2002 mit großer Mehrheit<br />
(abgegebene Stimmen: 4.700, dafür:<br />
3520, dagegen: 610, Enthaltungen:<br />
570) ein eigenes Modell zur<br />
Anwaltsausbildung beschlossen. Der<br />
DAV sieht sich zu diesem Schritt gezwungen,<br />
da das im Juli 2002 beschlossene<br />
Gesetz zur Reform der Juristenausbildung,<br />
welches am 1. Juli<br />
2003 in Kraft tritt, sein Ziel einer tat-<br />
sächlichen Reform einer anwaltsbezogenen<br />
Juristenausbildung verfehlt. Insbesondere<br />
die fehlende Festschreibung<br />
und Überprüfung der anwaltsbezogenen<br />
Ausbildungsinhalte wird kritisiert.<br />
Das Modell einer DAV-Anwaltsausbildung<br />
besteht aus einer zwölfmonatigen<br />
praktischen Tätigkeit in einer DAV-<br />
Ausbildungskanzlei und einem dreimonatigen<br />
theoretischen, die praktische<br />
Ausbildung begleitenden Ausbildungskurs.<br />
Der Inhalt der zwölfmonatigen<br />
praktischen Tätigkeit wird in einem<br />
Ausbildungshandbuch konkretisiert und<br />
verpflichtend für Ausbilder und Auszubildenden<br />
vorgegeben. Die DAV-Ausbildung<br />
wird weitgehend in die<br />
herkömmliche Referendarausbildung<br />
integriert, das heißt während des Referendariats<br />
im Wesentlichen absolviert.<br />
„Der DAV setzt dort an, wo die Reform<br />
aufhört, nämlich bei der Verlängerung<br />
der Anwaltsstation im Rahmen<br />
des Referendariats. Mit diesem Ausbildungsmodell<br />
ermöglichen wir es<br />
motivierten Ausbildungswilligen, die<br />
notwendigen Qualifikationen zum Anwaltsberuf<br />
zu erhalten“, so Rechtsanwalt<br />
Dr. Michael Streck, Präsident<br />
des DAV, in Berlin. Die überfällige<br />
Ausbildungsreform hätte zweierlei<br />
leisten müssen: Einmal die Konzeption<br />
einer tatsächlichen Ausbildung zur<br />
Anwältin bzw. zum Anwalt und zum<br />
anderen die Berücksichtigung der nur<br />
begrenzten Kapazität der Anwaltschaft<br />
für die Anwaltsausbildung. „Dies ist<br />
nicht geschehen“, so der DAV-Präsident<br />
weiter. Die Ausbildungskapazität der<br />
Anwaltschaft für eine notwendige intensive<br />
Ausbildung reiche auf Grund<br />
des damit verbundenen personellen und<br />
materiellen Aufwandes für maximal<br />
2.000 bis 3.000 Referendare jährlich,<br />
nicht aber für die etwa 8.000 bis 9.000<br />
in der Ausbildung befindlichen.<br />
Im Rahmen der DAV-Ausbildung<br />
wird ein Ausbildervertrag zwischen<br />
dem DAV und der ausbildenden Kanzlei<br />
einerseits und ein Ausbildungsvertrag<br />
zwischen dem DAV und dem Referendar<br />
andererseits geschlossen. Die Kanzlei<br />
verpflichtet sich, im Sinne des vorgestellten<br />
neuen DAV-Ausbildungshandbuches<br />
praktisch auszubilden. Die<br />
Referendarin bzw. der Referendar muss<br />
die Kosten der theoretischen Ausbildung<br />
tragen, die sich auf ca. 3.000,00 E<br />
bis 4.000,00 E bewegen werden. Der<br />
DAV wird diesen theoretischen Ausbildungskurs<br />
kostendeckend organisieren.<br />
Durch ausbildungsbegleitende Leistungskontrollen<br />
wird die Qualität der<br />
Ausbildung sichergestellt und schließlich<br />
durch ein DAV-Ausbildungszertifi-
38<br />
MN<br />
kat ausgewiesen. Das Ausbildungshandbuch<br />
beinhaltet eine detaillierte<br />
Anleitung zur praktischen Ausbildung.<br />
„Die Ausbildung umfasst alle Gegenstände,<br />
die zum „Handwerkszeug“ des<br />
Anwaltsberufs gehören“, so Streck.<br />
Das DAV-Ausbildungshandbuch ist<br />
im Internet unter www.anwaltverein.de/handbuch.pdf<br />
abrufbar.<br />
(DAV-Pressemitt. 36/02 v. 25.11.2002)<br />
DAV begrüßt Ausweitung der<br />
Fachanwaltschaften<br />
– Satzungsversammlung macht Weg<br />
für Fachanwaltschaft Versicherungsrecht<br />
frei –<br />
Auf ihrer Sitzung am 7. November<br />
2002 in Berlin hat die Satzungsversammlung,<br />
das „Anwaltsparlament“,<br />
beschlossen, die Voraussetzungen für<br />
die Einführung der Fachanwaltschaft<br />
für Versicherungsrecht zu schaffen.<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) befürwortet<br />
seit langem die Einführung<br />
weiterer Fachanwaltschaften. Es sei<br />
aber überhaupt nicht nachvollziehbar<br />
und begründbar, warum es für so wichtige<br />
Rechtsgebiete wie Verkehrsrecht,<br />
Medizinrecht, Baurecht und Mietrecht<br />
noch keine Fachanwaltschaften gebe<br />
und diese nach wie vor von der Satzungsversammlung<br />
abgelehnt werden.<br />
Die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
sei marktgerecht, da die Verbraucher<br />
mehr Fachanwaltschaften<br />
wünschen. Dies habe eine repräsentative<br />
Untersuchung des DAV ergeben.<br />
„Dies ist leider nur ein kleiner<br />
Schritt in die richtige Richtung“, so<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck,<br />
Präsident des DAV. Man dürfe die Qualifizierung<br />
von Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälten nicht durch die Beschränkung<br />
auf einige wenige Gebiete,<br />
für die es die Fachanwaltschaften gibt,<br />
verweigern. Der DAV fordere daher<br />
seit langem die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
für die Rechtsgebiete<br />
Verkehrsrecht, Medizinrecht, Baurecht<br />
und Mietrecht. Bisher gebe es die<br />
Fachanwaltschaften für die Rechtsund<br />
Arbeitsgebiete Arbeits-, Familien-,<br />
Insolvenz-, Sozial-, Steuer-,<br />
Straf- und Verwaltungsrecht.<br />
Für die Einführung weiterer Fachanwaltschaften<br />
ist die Satzungsversammlung,<br />
das gewählte Parlament<br />
der Anwaltschaft, zuständig.<br />
Nach einer Marktuntersuchung des<br />
DAV bevorzugen über 67 Prozent der<br />
Bevölkerung bei der Anwaltssuche einen<br />
für das in Frage kommende<br />
Rechtsgebiet spezialisierten Anwalt.<br />
Die Auswertung habe gezeigt, dass<br />
der Begriff des „Fachanwalts“ geeignet<br />
sei, dieses Expertenwissen zum<br />
Ausdruck zu bringen. Mit der Ausweitung<br />
der Fachanwaltschaften gebe es<br />
nach Ansicht des DAV mehr Transparenz<br />
über die Qualifikation der anwaltlichen<br />
Dienstleistung. Daher<br />
müsse die Möglichkeit der geprüften<br />
Spezialisierung und der damit verbundenen<br />
Fortbildungspflicht, wie sie bei<br />
einer Fachanwaltschaft entsteht, ausgeweitet<br />
werden.<br />
(DAV-Pressemitt 33/02 v. 7.11.2002)<br />
Geplante Strafverschärfung<br />
bei sexuellem Missbrauch<br />
von Kindern für die Opfer<br />
kontraproduktiv und<br />
schädlich<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV)<br />
lehnt die vom Bundesjustizministerium<br />
geplante Erhöhung des Strafrahmens<br />
für (einfachen) sexuellen Missbrauch<br />
von Kindern als schädlich ab.<br />
Die Absicht, auch einfachen sexuellen<br />
Missbrauch von Kindern durch Anhebung<br />
der Mindestfreiheitsstrafe von<br />
derzeit sechs Monaten auf ein Jahr<br />
zum Verbrechenstatbestand aufzuwerten,<br />
hätte zur Folge, dass entsprechende<br />
Taten nicht mehr per Strafbefehl<br />
geahndet werden könnten. Dies<br />
hätte immer Hauptverhandlungen zur<br />
Folge mit den schädlichen Auswirkungen<br />
für die Kinder. Darüber hinaus<br />
wäre auch in leichtesten Fällen eine<br />
Verfahrenseinstellung gegen Auflagen<br />
(§ 153 a StPO) nicht mehr möglich.<br />
„Die geplante Strafverschärfung<br />
erzwingt geradezu eine zweite Traurhatisierung<br />
von kindlichen Opfern sexuellen<br />
Missbrauchs durch eine<br />
Hauptverhandlung auch in Fällen<br />
minderer Schwere“, so Rechtsanwalt<br />
Georg Prasser, Stuttgart, Vizepräsident<br />
des DAV, und sei deshalb gerade auch<br />
unter dem Aspekt des Opferschutzes<br />
kontraproduktiv. Im Übrigen bestehe<br />
unter sämtlichen Experten Einigkeit<br />
darüber, dass Erhöhungen des Strafrahmens<br />
– gerade im Bereich des Sexualstrafrechts<br />
– nicht die geringste<br />
abschreckende Wirkung auf potentielle<br />
Täter hätte.<br />
Nach Ansicht des DAV ist die geplante<br />
Gesetzesänderung deshalb ungeeignet,<br />
sexuellen Missbrauch von<br />
Kindern zu bekämpfen. Würde das<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Gesetz entsprechend den Plänen des<br />
Bundesjustizministeriums geändert,<br />
gäbe es kein Opfer weniger, wohl aber<br />
durch die dann unumgängliche öffentliche<br />
Hauptverhandlung zusätzliche<br />
Verletzungen der Opfer.<br />
(DAV-Pressemitt. 35/02 v. 11.11.2002)<br />
Ausgleich der Altersversorgung<br />
zwischen Geschiedenen ab<br />
1.1.2003: Teuer, ungerecht und<br />
unsozial?<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Familienund<br />
Erbrecht im Deutschen Anwaltverein<br />
(DAV) fordert den Gesetzgeber<br />
auf, über den 31.12.2002 hinaus sicherzustellen,<br />
dass Eheleute, die sich<br />
scheiden lassen wollen, schon im<br />
Zeitpunkt der Scheidung die Versorgungen<br />
erhalten, die ihnen zustehen.<br />
Das kann mit dem Erlass einer neuen<br />
Barwertverordnung erreicht werden.<br />
Vor allem Frauen wären auf Unterhaltsleistungen<br />
ihrer Kinder oder auf<br />
Sozialhilfe angewiesen, wenn ein<br />
jetzt vorgelegter Gesetzentwurf umgesetzt<br />
wird. Er sieht einen Aufschub<br />
des Ausgleiches für eine Vielzahl von<br />
Versorgungen vor. Dabei wird entweder<br />
übersehen oder in Kauf genommen,<br />
welche verheerenden Auswirkungen<br />
dieser Aufschub hätte: Die<br />
geschiedene Frau könnte die Versorgung<br />
erst dann beziehen, wenn ihr<br />
Ex-Mann Rentner wird. In Fällen, in<br />
denen die Frau vor dem Mann in<br />
Rente geht – der Regelfall – entstünde<br />
also eine Versorgungslücke. Dabei<br />
geht es nicht um Einzelfälle. 140.000<br />
Ehen werden jährlich in Deutschland<br />
geschieden. Etwa 70.000 Verfahren<br />
sind von dem Gesetzentwurf betroffen,<br />
dessen Stopp der DAV fordert.<br />
Zum Handeln drängt eine Entscheidung<br />
des Bundesgerichtshofes (BGH)<br />
vom 5.9.2001. Danach gilt die Barwertverordnung<br />
nur noch bis<br />
31.12.2002; sie ist veraltet. Nach der<br />
Verordnung werden bestimmte betriebliche<br />
Altersversorgungen, öffentliche<br />
Zusatzversorgungen und berufsständische<br />
Versorgungen berechnet.<br />
Geschieht nichts, müssen diese Versorgungen<br />
ab 1.1.2003 mit Hilfe von<br />
Sachverständigen errechnet und ausgeglichen<br />
werden. Es dauert dann länger<br />
und wer geschieden werden will,<br />
muss tiefer in die Tasche greifen. Das<br />
war seit September 2001 absehbar.<br />
Erst kurz vor Fristablauf legt das Bundesjustizministerium<br />
seinen Gesetzentwurf<br />
vor. Der Entwurf schließt die
AnwBl 1/2003 39<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
durch die BGH-Entscheidung entstandene<br />
Regelungslücke nicht. Er schafft<br />
im Gegenteil für eine Vielzahl von<br />
Frauen Ungerechtigkeiten, gegen die<br />
sich der Protest der Anwaltschaft richtet.<br />
Der Ausgleich der Renten bei<br />
Scheidung soll Frauen einen vom Ex-<br />
Mann unabhängigen Versorgungsstatus<br />
verschaffen. Der Entwurf verkehrt<br />
diese Absicht des Gesetzgebers ins<br />
Gegenteil. Die Versorgung der geschiedenen<br />
Frau wäre (wieder) vom<br />
Ex-Mann abhängig. Sie erhält zum<br />
Beispiel ihren Anteil an der Versorgung<br />
nur bis zum Tod ihres 1. Mannes,<br />
wenn Sie wieder geheiratet hat.<br />
Diese Vernichtung bereits entstandener<br />
Ansprüche, so Rechtsanwältin<br />
Dr. Ingrid Groß, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />
Familien- und Erbrecht,<br />
sei systemwidrig, ungerecht und<br />
unsozial.<br />
(DAV-Pressemitt. 37/02 v. 25.11.2002)<br />
EU-weite Übernahme der<br />
Anwaltskosten bei Unfällen<br />
gefordert<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV)<br />
begrüßt die Empfehlung des Europäischen<br />
Verkehrsrechtstages an Parlament<br />
und Kommission der Europäischen<br />
Union (EU), die Erstattung der<br />
Anwaltskosten bei der Unfallregulierung<br />
durch eine Richtlinie festzuschreiben.<br />
Dies ist das Ergebnis der<br />
Ansprache des Vorsitzenden des Bochumer Anwalt- und Notarvereins<br />
Rechtsanwalt Jürgen Widder<br />
anläßlich der Präsentation des Buches<br />
Zeit ohne Recht<br />
Justiz in Bochum nach 1933<br />
Dokumentation einer Ausstellung<br />
Tagung bei der Europäischen Rechtsakademie<br />
vom 7. und 8. November<br />
2002 in Trier. Bisher habe der Geschädigte<br />
bei einem unverschuldeten Unfall<br />
zum Beispiel in Frankreich Probleme,<br />
seine Anwaltskosten vom<br />
Gegner ersetzt zu bekommen, wie dies<br />
in Deutschland sowie in vielen anderen<br />
Ländern der Fall ist. Durch eine<br />
Richtlinie könnten die Geschädigten<br />
auch die Erstattung der Anwaltskosten<br />
bei Verkehrsunfällen im Ausland<br />
durchsetzen, die ihnen nach deutschem<br />
Recht zustehen.<br />
„Damit würde die geschädigtenfreundliche<br />
Rechtsprechung der deutschen<br />
Gerichte zum EU-Standard erhoben,“<br />
so Rechtsanwalt Oskar<br />
Riedmeyer, München, von der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht im<br />
DAV. In Deutschland wären die Kfz-<br />
Haftpflichtversicherungen durch die<br />
Rechtsprechung verpflichtet, bei unverschuldeten<br />
Unfällen dem Geschädigten<br />
die bei der Regulierung anfallenden<br />
Anwaltskosten zu erstatten.<br />
Unter Leitung des EU-Abgeordneten<br />
Willy Rothley trafen sich in Trier über<br />
100 Repräsentanten aus Rechtswissenschaft,<br />
Versicherungswirtschaft, Anwaltschaft<br />
und Politik. Die Teilnehmer<br />
aus fast allen EU-Staaten und einigen<br />
Beitrittsländern forderten außerdem<br />
eine einheitliche Anhebung der Verjährungsfrist<br />
(Zeitraum, innerhalb dem die<br />
Ansprüche erstmals geltend gemacht<br />
werden können) auf vier Jahre.<br />
(DAV-Pressemitt. 34/02 v. 11.11.2002)<br />
am 9. Oktober 2002 im Landgericht Bochum<br />
Ich freue mich sehr, dass Sie Zeit<br />
und Gelegenheit gefunden haben, unserer<br />
Einladung zur Präsentation „unseres“<br />
Buches „Zeit ohne Recht“ folgen<br />
zu können.<br />
Im Namen des Herausgebers –<br />
nämlich des Bochumer Anwalt- und<br />
Notarvereins heiße ich Sie herzlich im<br />
Landgericht Bochum willkommen.<br />
Mitverantwortlich für den Inhalt<br />
und die Gestaltung des Buches sind<br />
auch: die Präsidentin des Landgerichts<br />
Bochum sowie der Verein „Erinnern<br />
für die Zukunft e. V.“.<br />
„Anwalt ohne Recht“, das war, das<br />
ist der Titel, das ist das Thema einer<br />
Ausstellung, die erstmals anlässlich<br />
des Deutschen Juristentages im September<br />
2000 in Leipzig präsentiert<br />
wurde. Diese als Wanderausstellung<br />
konzipierte Dokumentation zeigt das<br />
Schicksal jüdischer Rechtsanwälte –<br />
oder sollte ich besser sagen: Rechtsanwälte<br />
jüdischen Glaubens? – nach<br />
der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten<br />
ab 1933 in Deutschland.<br />
Die Ausstellung selbst geht zurück auf<br />
eine Initiative der Rechtsanwaltskammer<br />
Berlin und der Stiftung „Neue Synagoge<br />
Berlin – Zentrum Judaicum“.<br />
Diese Dokumentation der beruflichen<br />
und privaten Lebens- und Leidensgeschichte<br />
jüdischer Anwälte während<br />
der Nazizeit wurde aufgegriffen durch<br />
die Bundesrechtsanwaltskammer und<br />
den Deutschen Juristentag und unter<br />
dem Titel „Anwalt ohne Recht –<br />
Schicksale jüdischer Rechtsanwälte in<br />
Deutschland nach 1933“ mit einer umfangreichen<br />
Ausstellung präsentiert.<br />
Als ich seinerzeit die Gelegenheit<br />
hatte, der Eröffnung der Ausstellung<br />
in Leipzig beizuwohnen, war erst wenigen<br />
Eingeweihten bekannt, dass<br />
mein Vorgänger im Amt des Vorsitzenden<br />
des Bochumer Anwalt- und Notarvereins,<br />
Herr Kollege Egbert Schenkel<br />
d.Ä., schon längst die Idee hatte, diese<br />
Ausstellung nach Bochum zu holen.<br />
„Anwalt ohne Recht“, das war der<br />
Titel, war das Thema dieser Ausstellung,<br />
die aufgrund der Initiative und<br />
durch das Engagement des Kollegen<br />
Schenkel schon ein halbes Jahr später<br />
hier im Landgericht Bochum an dieser<br />
Stelle im April 2001 durch Frau Präsidentin<br />
Anne José Paulsen eröffnet<br />
werden konnte. Die Ausstellung war<br />
in der Zeit vom 27. April bis 30. Mai<br />
letzten Jahres hier im Landgericht zu<br />
sehen.<br />
Schon in die ersten Planungen,<br />
noch lange bevor die Ausstellungs-Dokumente<br />
nach Bochum kamen, konnte<br />
Herr Dr. Hubert Schneider – Historiker<br />
an der Ruhr-Universität Bochum und<br />
gleichzeitig Vorsitzender des Vereins<br />
„Erinnern für die Zukunft e. V.“ – gewonnen<br />
werden, dem Schicksal der<br />
jüdischen Kollegenschaft aus Bochum<br />
nachzuspüren. Herrn Dr. Schneider gelang<br />
es, die Schicksale einer großen<br />
Anzahl von Kollegen, die jüdischen<br />
Glaubens waren, – aus jener Zeit, hier<br />
in Bochum –, zu ergründen, festzustellen,<br />
und zu dokumentieren. Seine Forschungsergebnisse<br />
konnten in brillanter<br />
Weise mit in die Ausstellung eingearbeitet<br />
werden. Sie konnten in gleicher<br />
Weise präsentiert werden, wie die<br />
vorhandenen Ausstellungsstücke.<br />
Diese viel beachtete und mit Interesse<br />
verfolgte Ausstellung fand in der<br />
Öffentlichkeit ein großes Echo. Auch<br />
die Präsenz u. a. von Justizminister Jochen<br />
Dieckmann und vieler anderer
40<br />
MN<br />
Persönlichkeiten am Eröffnungstage<br />
verdeutlicht dieses.<br />
Was viele von uns anlässlich der<br />
Eröffnung bewegt hat, war die Anwesenheit<br />
und Teilnahme von Angehörigen<br />
und insbesondere Kindern derer,<br />
welche mit ihrem Schicksal in der Dokumentation<br />
beschrieben wurden. Als<br />
Beispiel darf ich hier hervorheben,<br />
dass Frau Broude aus Oakland/Kalifornien<br />
aus den USA zur Eröffnungsveranstaltung<br />
mit ihrem Mann angereist<br />
war. Frau Broude ist die Tochter<br />
des Bochumer Rechtsanwaltes Max<br />
Ferse.<br />
Kollege Rechtsanwalt Ferse, – im<br />
ersten Weltkrieg verwundet und hochdekoriert<br />
–, war nach eigenem Verständnis<br />
in allererster Linie Deutscher,<br />
Jurist und dann erst Jude. Ihm wurde<br />
1933 das Notariat – und damit ein<br />
wichtiger Teil seiner wirtschaftlichen<br />
Existenz – entzogen. Er rettete sich<br />
vier Jahre später mit seiner Familie<br />
nach Palästina, um dort in einer Blechbaracke<br />
mit der Aufzucht von Hühnern<br />
seinen Lebensunterhalt zu verdienen.<br />
Dieses ist nur ein Schicksalsbeispiel<br />
von vielen. Es ist aber ein Beispiel<br />
dafür, dass solche, mit dem Rassenwahn<br />
begründete Gesetze, die Grundlage<br />
für Diskriminierung und Verfolgung<br />
lieferten, aber die betroffenen<br />
Anwälte „ohne Recht“ dastehen ließen.<br />
Die Ausstellung selbst war allerdings<br />
mehr als nur eine einfache Darstellung<br />
und Aneinanderreihung von<br />
Tafeln und Dokumenten. Sie wurde<br />
unterstützt und vertieft von einer Anzahl<br />
von begleitenden Vorträgen. Insgesamt<br />
fünf Begleitveranstaltungen<br />
zur Ausstellung wurden hier in den<br />
Räumen des Landgerichts durchgeführt.<br />
Einen Teil dieser Vorträge<br />
bzw. Schriften der Vortragenden finden<br />
sich im Buch wieder.<br />
Das alles hat uns ermutigt und eigentlich<br />
– so will ich sagen – geradezu<br />
verpflichtet, diese Ergebnisse nicht in<br />
Vergessenheit geraten zu lassen, sondern<br />
sie zu bewahren. Wir haben es<br />
als Herausforderung angesehen, unsere<br />
Ausstellung in Buchform darzustellen.<br />
Wir halten – trotz aller neuen Medien<br />
– das Buch für das Nachhaltigste, das<br />
Mächtigste, um zu berichten, um zu<br />
dokumentieren und um zu bewahren.<br />
„Zeit ohne Recht“, das ist der Titel<br />
unseres Buches, welches wir Ihnen<br />
heute präsentieren möchten.<br />
Ich habe Ihnen gegenüber eines im<br />
Voraus: Ich hatte Zeit und Gelegenheit<br />
in das Buch hinein zu schauen, darin<br />
zu lesen. Dieses Buch beschreibt<br />
Schicksale Juristen jüdischen Glaubens<br />
in Deutschland während des NS-<br />
Regimes in einer Zeit „ohne Recht“<br />
für diese Menschen.<br />
Warum war die Anwaltschaft als<br />
ein juristischer Beruf in diesem Zusammenhang<br />
besonders betroffen? Der<br />
Anteil der Anwälte, die Juden oder<br />
jüdischer Herkunft waren, war schon<br />
Anfang des 20. Jahrhundert relativ<br />
hoch. Dies wird zurückgeführt auf eine<br />
Jahrhunderte lange juristische Sonderstellung<br />
von Juden in Deutschland. Sie<br />
waren praktisch immer in ihrer Berufsausübung<br />
eingeschränkt. Auch nach einer<br />
scheinbar vollständigen rechtlichen<br />
Gleichstellung in Deutschland nach<br />
1871 hatten sie zunächst keinen ungehinderten<br />
Zugang zu Funktionen im<br />
Staatsdienst. Nahezu zeitgleich mit der<br />
Reichsgründung hatte sich die freie Advokatur<br />
entwickelt. Die Auseinandersetzung<br />
mit dem Recht stellt im übrigen<br />
eine der zentralen Säulen der<br />
jüdischen Kultur dar, so dass solche<br />
Berufe traditionell sehr nahe lagen.<br />
Viele Juden machten von der Möglichkeit<br />
Gebrauch, freiberuflich im juristischen<br />
Sektor als Anwälte zu arbeiten.<br />
Die Ausstellung einerseits und das<br />
Buch andererseits beschreiben die Lebens-<br />
und Leidensgeschichte dieser<br />
Menschen, einer Vielzahl von ihnen.<br />
Ich erinnere an die Fahne, die zur<br />
Zeit der Ausstellung vom obersten Teil<br />
dieses Gebäudes herabhing. Auf dieser<br />
waren die Namen derjenigen aufgeführt,<br />
die in jener Zeit verfolgt wurden<br />
und umkamen. Die Höhe dieses<br />
Gebäudes reichte indes nicht einmal<br />
für die Länge der Fahne aus. Was<br />
mich beim Lesen erschrocken und betroffen<br />
gemacht hat, ist nicht nur das<br />
Schicksal so vieler Berufskollegen. Es<br />
ist vielmehr das Wissen und die Erfahrung<br />
darum, dass es hier geschehen ist.<br />
Hier an diesem Ort, hier in Bochum,<br />
wo ich heute wohne, lebe und arbeite.<br />
Es sind Berufskollegen gewesen, wie<br />
ich ihnen auch jetzt und gegenwärtig<br />
im Prinzip jeden Tag begegne. Der Ort<br />
ist der gleiche, nur die Zeit ist verschieden,<br />
eine „Zeit ohne Recht“.<br />
Ich bin deshalb der Auffassung,<br />
dass dieses Projekt „Buch“ nicht nur<br />
wichtig, sondern auch richtig war. Wir<br />
haben uns daher ohne zu Zögern daran<br />
gemacht, dieses Projekt zu beginnen<br />
und durchzuführen.<br />
Herr Vizepräsident Hartwig Kemner<br />
übernahm die Koordination mit<br />
den Autoren, dem Verlag, dem Ministerium<br />
und anderen beteiligten Stellen.<br />
In unermüdlicher Klein- und Fleiß-<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
arbeit mussten die Unterlagen gesichtet<br />
werden, zusammengestellt werden,<br />
die Beschreibungen und Bilder in den<br />
Text mit eingebaut werden und die<br />
Texte gelesen und überarbeitet werden.<br />
Während wir noch an der Verwirklichung<br />
und Gestaltung des Buches<br />
arbeiteten, wurde Frau Präsidentin<br />
Paulsen an das Oberlandesgericht Düsseldorf<br />
als dortige Chefpräsidentin berufen.<br />
Die ihr nachfolgende Präsidentin<br />
des Landgerichts Bochum, Frau Marie<br />
Luise Graf-Schlicker, setzte sich sofort<br />
mit Engagement an dieser Stelle ein.<br />
Nunmehr ist es uns gelungen, das<br />
fertige „Produkt“ vorzustellen: das<br />
Buch „Zeit ohne Recht“. Der Erfolg<br />
hat viele Väter, – so sagt das Sprichwort<br />
– und wenn ich ergänzen darf:<br />
das Ergebnis, unser Buch, hat viele<br />
Väter und Mütter. Einige Namen derer,<br />
die sich an diesem Buch verdient gemacht<br />
haben, habe ich bereits erwähnt.<br />
Viele weitere, die sich an der Ausstellung<br />
seinerzeit, wie auch jetzt an der<br />
Umsetzung zur Verwirklichung unseres<br />
Buches mit verdient gemacht haben<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
des Land- und Amtsgerichts Bochum,<br />
der Geschäftsstelle des Bochumer Anwalt-<br />
& Notarvereins -, habe ich nicht<br />
namentlich erwähnt, was gleichwohl<br />
ihren Verdienst nicht schmälern soll.<br />
Andere, insbesondere auch Kollegen<br />
aus der Bochumer Anwaltschaft<br />
und Anwaltsverbände haben durch<br />
Spenden dazu beigetragen, dass unsere<br />
Vorstellungen auch umgesetzt werden<br />
konnten und nicht aus materiellen<br />
Gründen Einschränkungen hätten erleiden<br />
müssen.<br />
Ihnen allen, und allen denen, die<br />
mitgewirkt haben oder dieses Projekt<br />
unterstützt haben, gilt mein besonderer<br />
Dank. Der Bochumer Anwalt- & Notarverein<br />
ist stolz darauf, Herausgeber<br />
dieses Buches zu sein.<br />
Sie können dieses Buch kaufen,<br />
worum wir Sie natürlich herzlich bitten<br />
möchten, – und, soviel Eigenwerbung<br />
sei mir erlaubt – hier und heute<br />
an unserem Verkaufsstand, oder auch<br />
im örtlichen Buchhandel. namentlich<br />
erwähnen darf ich die Buchhandlungen:<br />
Bahnhofsbuchhandlung, Janssen,<br />
Mayersche und Schaten. Der Preis beträgt<br />
10,15 E.<br />
Abschließen möchte ich mit dem<br />
Zitat aus dem Vorwort:<br />
„Die Ausstellung und dieses Buch<br />
soll nicht nur Erinnerung sein, sondern<br />
auch Mahnung für uns, Mahnung<br />
Acht zu geben auf ähnliche Gefahren<br />
in heutiger Zeit, wo diskriminiert wird
AnwBl 1/2003 41<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
aus vielerlei Gründen – aber eben<br />
ohne Recht“.<br />
Jürgen Widder, Vorsitzender des<br />
Bochumer Anwalt- und Notarvereins<br />
e. V.<br />
ARGE Baurecht<br />
10 Jahre ARGE Baurecht –<br />
Jubiläumstagung in Stuttgart<br />
Die ARGE Baurecht im Deutschen<br />
Anwaltverein entstand im August 1992<br />
in Seefeld/Tirol auf einem Sommerintensivkurs<br />
Privates Baurecht der<br />
Deutschen Anwaltakademie mit acht<br />
Gründungsmitgliedern. Inzwischen verzeichnet<br />
die ARGE Baurecht knapp<br />
2.500 Baurechtsanwälte und -anwältinnen<br />
als Mitglieder in ihren Reihen.<br />
Aus Anlass des 10-jährigen Bestehens<br />
der ARGE Baurecht wurde der<br />
Ablauf der 20. Baurechtstagung am<br />
15. und 16. November 2002 im Stuttgarter<br />
Maritim Hotel im fachlichen<br />
und im außerfachlichen Teil als Festprogramm<br />
konzipiert.<br />
Höhepunkt war ein Gala-Abend am<br />
Freitag mit 240 Teilnehmern, der renommierten<br />
Münchner Unterhaltungsband<br />
„Ambros Seelos“ (mit neun Musikern<br />
und einer exotischen Sängerin)<br />
sowie einer Einlage des über die Region<br />
hinaus bekannten „Stuttgarter Juristenkabaretts“.<br />
Die Fachtagung konnte 370 Teilnehmer<br />
verzeichnen. Sieben Referenten<br />
trugen am Freitagnachmittag und<br />
am Samstagvormittag folgende Themen<br />
vor:<br />
– Sicherheiten am Bau, Stand der<br />
Rechtsprechung (Dr. Johann Kuffer,<br />
Richter am BGH)<br />
– Mängelhaftung und Verjährung bei<br />
Architekten- und Ingenieurverträgen<br />
nach neuem Recht (Dr. Wolfgang<br />
Koeble, Rechtsanwalt)<br />
– Vergaberechtliche Kontrolle von<br />
(Bau)Vertragsbedingungen (Monika<br />
Steinforth, Rechtsanwältin)<br />
– Aktuelles zum deutschen Baurecht<br />
(Prof. Dr. Axel Wirth, TU Darmstadt)<br />
– Der Mangelbegriff – Gestern und<br />
Heute (Georg Volk, Rechtsanwalt)<br />
– Der lange Arm des Architekten?<br />
Gedanken zum Urheberrecht (Prof.<br />
Dr. Ulrich Werner, Rechtsanwalt)<br />
– Kündigung des Werkvertrages nach<br />
neuem Recht (Antje Boldt, Rechtsanwältin)<br />
Für die Begleitpersonen wurde am<br />
Freitagnachmittag eine Besichtigung<br />
der „Galerie der Stadt Stuttgart“ im<br />
Kunstgebäude organisiert.<br />
Als Abschlussveranstaltung nahmen<br />
etwa 90 Tagungsteilnehmer und ihre<br />
Begleitung an einem Ausflug in die<br />
„Weißenhofsiedlung“ in Stuttgart teil.<br />
Auf der Mitgliederversammlung,<br />
die unmittelbar nach der Tagung<br />
Samstagmittag stattfand, wurde der<br />
gesamte bisherige Geschäftsführende<br />
Ausschuss der ARGE Baurecht (acht<br />
gewählte Mitglieder plus je ein Mitglied<br />
aus der DAV-Geschäftsführung<br />
und vom DAV-Vorstand entsandt) für<br />
zwei weitere Jahre im Amt bestätigt:<br />
– Rechtsanwalt Dr. Peter Bergmann,<br />
Villingen-Schwenningen<br />
– Rechtsanwältin Dr. Anke Leineweber-Jung,<br />
Köln<br />
– Rechtsanwalt JR Dr. Karl Gessner,<br />
Saarbrücken<br />
– Rechtsanwalt Peter Michael Oppler,<br />
München<br />
– Rechtsanwältin Heike Rath, Frankfurt<br />
– Rechtsanwalt Hans-Benno Ulbrich,<br />
Würzburg<br />
– Rechtsanwalt Herwart Virneburg,<br />
Wiesbaden<br />
– Rechtsanwalt und Notar Franz Werner<br />
Wiesel, Essen.<br />
Außerdem legte die Mitgliederversammlung<br />
den Jahresmitgliedsbeitrag<br />
mit Wirkung zum 01.01.2002 auf 50 E<br />
pro Mitglied und Jahr fest und änderte<br />
insofern auch die Geschäftsordnung<br />
der ARGE Baurecht.<br />
Die Resonanz der Teilnehmer auf<br />
die Veranstaltung war rundum positiv.<br />
Die nächsten Veranstaltungen der<br />
ARGE Baurecht finden statt:<br />
9 am 21./22. März 2003 in Köln (21.<br />
Baurechtstagung, Maritim Hotel am<br />
Heumarkt)<br />
9 am 16./17. Mai 2003 in Bonn („Bauropa<br />
– Baurecht und Europa“, Dorint<br />
Hotel auf dem Venusberg)<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Geschäftsbericht der ARGE<br />
Baurecht für 2001<br />
9 Mitgliederentwicklung<br />
Der Mitgliederbestand betrug 2.111<br />
am 2.1.2001 und 2.337 am 3.1.2002.<br />
Der Zuwachs von 226 (Vorjahr: 285)<br />
beläuft sich prozentual auf 10,7 %<br />
(Vorjahr: 15,6 %) im 9. Jahr nach der<br />
Gründung. Derzeit (Mitte November<br />
2002) gehören rund 2.450 Mitglieder<br />
der Arbeitsgemeinschaft an.<br />
Der jährliche Mitgliederzuwachs in<br />
den ersten 9 Jahren seit der Gründung<br />
war immer sehr beachtlich z. B. +<br />
75,3 % im Jahr 1994, + 21 % in 1995,<br />
+ 18 % in 1996, + 18,1 %, in 1997<br />
und + 14,5 % im Jahr 1998.<br />
9 Veranstaltungen<br />
1. Siebzehnte Baurechtstagung in Berlin<br />
Am 16./17. März 2001 fand mit 310<br />
Teilnehmern im Hotel InterConti Berlin<br />
die Frühjahrstagung 2001 zum Thema<br />
„Die Bauzeit“ mit Referaten von Diplom-Ingenieur<br />
Manuel Biermann, Litzendorf<br />
zum Thema „Baubetriebliche<br />
Grundsätze der Planung und Kontrolle<br />
von Terminabläufen“, von Rechtsanwältin<br />
Dr. Anke Leineweber, Köln zum<br />
Thema „Mehrkostenansprüche des Auftragnehmers<br />
bei gestörtem Bauablauf“,<br />
sowie von Prof. Dr.-Ing. Andreas Lang,<br />
Heppenheim zum Thema „Die baubetriebliche<br />
Ermittlung von störungsbedingten<br />
Mehrforderungen“ sowie abschließender<br />
Themendiskussion statt.<br />
2. Achtzehnte Baurechtstagung in<br />
Nürnberg<br />
Die 18. Baurechtstagung fand am<br />
23./24. November 2001 im Maritim-<br />
Hotel in Nürnberg zum Leitthema<br />
„Die Beweiserhebung im Bauprozess“<br />
vor etwa 350 Teilnehmern statt.<br />
Vorträge hielten Rechtsanwalt Justizrat<br />
Dr. Karl Gessner, Saarbrücken und<br />
Rechtsanwalt Peter Oppler, München<br />
zum Thema „Abgrenzung der rechtlichen<br />
und technischen Beweisfragen,<br />
Thesen und Antithesen“, Rechtsanwältin<br />
Heike Rath, Frankfurt a. M. zum<br />
Thema „Probleme des Sachverständigenbeweises<br />
im Architektenhonorarprozess“,<br />
Axel Wendler, Richter am<br />
OLG Stuttgart zum Thema „Wahrheitsfindung<br />
in der Beweisaufnahme<br />
beim Bauprozess“ sowie Rechtsanwalt<br />
Uwe Lutz, Würzburg zum Thema<br />
„Kosten im Beweisverfahren“.<br />
Als Experiment wurden erstmals<br />
mit Hilfe eines Kamera-Teams die Vorgänge<br />
auf dem Rednerpult und dem<br />
Podium auf eine große Leinwand projeziert<br />
und damit auch für die ungünstigen<br />
Plätze besser sichtbar gemacht.<br />
Die Tagungsteilnehmer begrüßten<br />
diese Neuerung durchweg. Bei den anschließenden<br />
großen Baurechtstagungen<br />
in Dresden und in Stuttgart wurde<br />
das Verfahren beibehalten und noch<br />
verbessert.
42<br />
MN<br />
3. Mitgliederversammlung in Berlin<br />
Die 9. ordentliche Mitgliederversammlung<br />
der ARGE Baurecht (72<br />
Teilnehmer) fand statt am 17. März<br />
2001 in Berlin im Anschluss an die<br />
17. Baurechtstagung. Die Mitgliederversammlung<br />
bestätigte nach Diskussion<br />
einhellig den Meinungsstand,<br />
weiterhin die Einführung des „Fachanwalts<br />
für privates Baurecht“ zu fordern.<br />
Die Satzungsversammlung hatte<br />
bekanntlich im Februar 2001 die Einführung<br />
neuer Fachanwaltschaften insgesamt<br />
abgelehnt. Inzwischen hat in<br />
neuester Plenumssitzung die Satzungsversammlung<br />
im November 2002 beschlossen,<br />
einen „Fachanwalt für Versicherungsrecht“<br />
neu einzuführen. Die<br />
Fachanwalts-Diskussion ist also weiterhin<br />
in Bewegung.<br />
Außerdem ergab ein Meinungsbild<br />
der Mitgliederversammlung einstimmige<br />
Zustimmung für den Vorschlag,<br />
den Mitgliedsbeitrag wegen der Euro-<br />
Umstellung ab 1.1.2002 von 100 DM<br />
auf 50 E umzustellen. Diese wird seit<br />
Jahresanfang auch bereits praktiziert –<br />
im Vorgriff auf die heute anstehende<br />
formelle Beschlussfassung zur Änderung<br />
der Geschäftsordnung bzgl. Beitragshöhe.<br />
Der vom Ausschuss-Vorsitzenden<br />
vorgetragene Geschäftsbericht für<br />
2000 wurde im <strong>Anwaltsblatt</strong> Heft<br />
5/2001, 284 sowie im Mitteilungsblatt<br />
Heft 2/2001, 32 veröffentlicht.<br />
4. Europa-Seminar in Obernai/Elsaß<br />
Am 4./5. Mai 2001 wurde zum<br />
sechsten Mal in Obernai/Elsaß ein Seminar<br />
– zum vierten Mal über zwei<br />
Tage – veranstaltet zum Thema<br />
„Euro’2001 – Baurecht und Europa“<br />
mit den Referenten Rechtsanwalt Dr.<br />
Rainer Noch, Berlin zum Thema „Aktuelle<br />
Fragen des Vergaberechts“,<br />
Prof. Dr. Reinhold Thode, Richter am<br />
BGH, Karlsruhe zum Thema „Die<br />
Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen<br />
Rechtsverkehr“ und Prof.<br />
Friedrich Quack, Richter am BGH<br />
a. D., Berlin über „Grenzüberschreitende<br />
Verträge“. Die Veranstaltung besuchten<br />
54 Teilnehmer.<br />
5. Schlichterseminare SOBau:<br />
Bereits seit Anfang des Jahres<br />
2000 veranstaltet die ARGE Baurecht<br />
in eigener Verantwortung ein fünftägiges<br />
Seminar „Schlichtung nach der<br />
SOBau“ an verschiedenen Veranstaltungsorten.<br />
Die Teilnehmerzahl ist auf<br />
25 begrenzt. Der Besuch des Schlichter-Seminars<br />
ist Voraussetzung für die<br />
Aufnahme in die Schlichterliste. Das<br />
Seminar wurde im Jahr 2001 vier Mal<br />
in Bad Soden, Berlin, Nürnberg und<br />
Hannover geboten. Es nahmen insgesamt<br />
60 Kolleginnen und Kollegen<br />
teil (im Vorjahr bei vier Veranstaltungen:<br />
104 Teilnehmer). Zusätzlich wurden<br />
in Bad Soden und Nürnberg zwei<br />
Vertiefungsseminare mit insgesamt 23<br />
Teilnehmern (im Vorjahr: 30 Teilnehmer)<br />
durchgeführt.<br />
9 Mitteilungsblätter<br />
Wie in den Vorjahren erschien das<br />
Mitteilungsblatt der ARGE Baurecht<br />
auch im Jahr 2001 mit insgesamt 4<br />
Ausgaben. Die Druckauflage betrug<br />
im Durchschnitt 2.800 Hefte (Gesamtdruckauflage<br />
2001: 11.200 Hefte; Vorjahr:<br />
11.000 Hefte). Redaktion und<br />
Abwicklung der Herstellung und des<br />
Versandes wurden ehrenamtlich von<br />
Frau Kollegin Heike Rath geleistet.<br />
9 Pressearbeit und Publikationen<br />
Im <strong>Anwaltsblatt</strong> 2001 wurden die<br />
Aktivitäten der ARGE Baurecht dargestellt<br />
auf den Seiten 101, 163, 284,<br />
334 und 418. Hinzuweisen ist außerdem<br />
auf die Kooperation seit 1992 mit<br />
der anerkannten Baufachzeitschrift<br />
„Baurecht“.<br />
9 Homepage/Internet-Aktivitäten<br />
Bei der 16. Baurechtstagung im<br />
November 2000 in Hamburg wurde<br />
das ganz neu aufgelegte Informationsportal<br />
„www.arge-baurecht.com“ den<br />
Mitgliedern und den Tagungsteilnehmern<br />
vorgestellt. Anschließend und im<br />
Laufe des Jahres 2001 wurde das Angebot<br />
verfeinert, regelmäßig aktualisiert<br />
und ergänzt z. B. um die neue Rubrik<br />
„Bauropa – Baurecht in<br />
Europa“.<br />
Im Mai, Juni und Juli 2002 erschienen<br />
die ersten drei Ausgaben des<br />
neuen monatlichen Informationsdienstes<br />
„Bauropa“, den die ARGE Baurecht<br />
im DAV in Zusammenarbeit mit<br />
dem DAV-Büro in Brüssel für die Mitglieder<br />
der Arbeitsgemeinschaft exklusiv<br />
zusammenstellt. Die „Bauropa“-Informationen<br />
werden nur über die<br />
Homepage der ARGE Baurecht verbreitet.<br />
Die Informationen sind nur<br />
nach Eingabe eines allen Mitgliedern<br />
der ARGE Baurecht bekannten Passwortes<br />
zugänglich. Der Informationsdienst<br />
wurde zunächst monatlich,<br />
derzeit im Zwei-Monats-Rhythmus zusammengestellt.<br />
Die Informationen<br />
werden im Auftrag der ARGE Baurecht<br />
von einem deutschen Kollegen<br />
(Herr Röpke/Bochum) recherchiert<br />
und verfasst.<br />
Seit September 2001 wurde ein<br />
Markenschutzverfahren für die Be-<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
zeichnung „Bauropa“ betrieben. Seit<br />
Oktober 2002 ist die Marke „Bauropa“<br />
rechtsbeständig beim Deutschen Patent-<br />
und Markenamt eingetragen.<br />
9 SOBau<br />
Auch die Bezeichnung „SOBau“<br />
wurde im Jahr 2001 zum Markenschutz<br />
beim Deutschen Patent- und<br />
Markenamt in München angemeldet.<br />
Seit Oktober 2002 ist das Wort-Bild-<br />
Zeichen „SOBau“ dort als Marke<br />
geschützt.<br />
Weniger erfreulich war im Laufe des<br />
Jahres 2001 eine Auseinandersetzung<br />
der ARGE Baurecht mit Kollegen aus<br />
Franken, die das System der SOBau gegenüber<br />
dem Publikum als eigenes Produkt<br />
und unter eigenen Bezeichnungen<br />
verwendeten. Inzwischen wurden entsprechendeUnterlassungsvereinbarungen<br />
außergerichtlich getroffen.<br />
Natürlich ist die Verwendung des „SO-<br />
Bau“-Systems und auch der Schlichtungs-<br />
und Schiedsordnung durch die<br />
Mitglieder geradezu erwünscht – aber<br />
bitte in der autentischen Form und unter<br />
Hinweis auf die Urheberschaft durch<br />
die ARGE Baurecht, nicht als „Plagiat“<br />
in einer irreführenden Darstellung eigener<br />
Urheberschaft.<br />
Auf der Schlichter-/Schiedsrichterliste<br />
der ARGE Baurecht werden mittlerweile<br />
164 Kolleginnen und Kollegen<br />
nach Prüfung durch den Bestellungsund<br />
Benennungsausschuss geführt.<br />
9 Geschäftsführender Ausschuss<br />
Die Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses kamen im Jahr<br />
2001 zu fünf Ausschuss-Sitzungen<br />
zusammen (Frankfurt a. M., Berlin,<br />
Obernai, Nürnberg 2 x).<br />
Die wichtigsten Themen der Ausschuss-Sitzung<br />
waren die Vorbereitung<br />
der kommenden großen Baurechtstagungen<br />
sowie der beiden Obernai-Veranstaltungen<br />
„Euro’2001“ und<br />
„Euro’2002“. Ein weiteres Kardinalthema<br />
war die bereits erwähnte<br />
„Schlichtungs- und Schiedsverfahrensordnung<br />
für Baustreitigkeiten“ in verschiedenen<br />
Facetten (Werbung, Verbreitung,<br />
Aktionsplan, Bestellung und<br />
Benennung von Schlichtern/Schiedsrichtern,<br />
Schlichter-Seminare usw). Außerdem<br />
wurden die Mitgliederversammlungen<br />
2001 in Berlin und 2002 in<br />
Stuttgart sowie das Thema „Fachanwalt<br />
für Baurecht“ eingehend erörtert.<br />
9 Veranstaltungsorganisation<br />
Die Veranstaltungen der ARGE Baurecht<br />
werden bereits seit 1996 von der<br />
Organisationsabteilung der Deutschen<br />
Anwaltakademie im Auftrag der ARGE<br />
Baurecht organisiert, zunächst von
AnwBl 1/2003 43<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Bonn und seit November 2000 von Berlin<br />
aus. Die Zusammenarbeit ist gekennzeichnet<br />
von einem guten Klima zu den<br />
Mitarbeitern der Anwaltakademie und<br />
dies bei einem hohem organisatorischen<br />
Anspruch. Seit der Herbsttagung 2000<br />
in Hamburg ist Herr Frank Ritter aus<br />
Berlin für die Veranstaltungsorganisation<br />
verantwortlich.<br />
9 Rückblick und Ausblick für 2002<br />
und 2003<br />
Für die Geschäftsjahre 2002 und<br />
2003 ist zu den Aktivitäten der ARGE<br />
Baurecht zu berichten:<br />
1. Baurechtstagungen im Jahr 2002:<br />
Die 19. Baurechtstagung am<br />
15./16. März 2002 im Kempinski Taschenbergpalais<br />
in Dresden mit dem<br />
Thema „Auswirkungen der Schuldrechtsreform<br />
und der ZPO-Reform<br />
im Baurecht“ hatte einen Besuch von<br />
rund 430 Teilnehmern.<br />
Die 20. Baurechtstagung – unmittelbar<br />
im Vorfeld dieser Mitgliederversammlung<br />
– hier in der „Alten Reithalle“<br />
in Stuttgart, Maritim Hotel<br />
(Oberthema: „Aktuelle Probleme des<br />
privaten Baurechts“) mit Ball am<br />
Freitagabend aus Anlass des 10-jährigen<br />
Bestehens der ARGE Baurecht ist<br />
gerade beendet. Sie verbucht etwa 360<br />
Teilnehmer.<br />
2. Baurechtstagungen im Jahr 2003:<br />
Die 21. Baurechtstagung ist geplant<br />
für Freitag/Samstag, den 21./22. März<br />
2003 in Köln, Maritim Hotel zum<br />
Leitthema „AGB am Bau“. Die Themen<br />
der einzelnen Vorträge und die<br />
Referenten werden in Kürze im Mitteilungsblatt<br />
und im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
veröffentlicht.<br />
Die 22. Baurechtstagung soll am<br />
21./22. November 2003 in Hannover,<br />
Maritim-Airport-Hotel stattfinden. Die<br />
Themen stehen noch nicht fest.<br />
3. Europa-Seminare:<br />
Am 31.5./1.6.2002 fand zum siebten<br />
Mal in Obernai/Elsaß – diesmal<br />
mit 35 Teilnehmern – die Veranstaltung<br />
„Euro’2002 – Baurecht in Europa“<br />
statt mit Vorträgen von Rechtsanwalt<br />
Dr. Rainer Noch, Berlin zum<br />
Thema „Die Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf,<br />
§ 651 BGB, Die Unwägbarkeiten<br />
im neuen Werkvertragsrecht“,<br />
mit Dr.-Ing. Horst Grüneis,<br />
COBRA Projekt- und Objektmanagement<br />
GmbH, Frankfurt a. M. zum<br />
Thema „Operative Risiken in der Realisierung<br />
von Großprojekten, Konsequenzen<br />
aus Basel II“, mit Rechtsanwalt<br />
Thorsten Röller, Frankfurt a. M.<br />
zum Thema „Geltung der Gründungsoder<br />
der Sitztheorie im Europäischen<br />
Kontext und Auswirkungen auf die<br />
Bauwirtschaft“ sowie mit Rechtsanwältin<br />
Dr. Anke Leineweber, Köln<br />
zum Thema „Die Auswirkungen der<br />
Europäischen DIN-EN-Normen auf<br />
deutsche Bauverträge anhand des Beispiels<br />
Stahlbau“.<br />
Für den 16./17. Mai 2003 ist zum<br />
achten Mal eine bau-europarechtliche<br />
Veranstaltung „Bauropa 2003 – Baurecht<br />
in Europa“ geplant – aber erstmals<br />
nicht in Obernai sondern in<br />
Bonn, Dorint-Hotel Venusberg – unter<br />
anderem mit Vorträgen ausländischer<br />
Kolleginnen und Kollegen aus<br />
den Niederlanden, aus Polen und aus<br />
Spanien zu den Grundzügen des Baurechts<br />
ihrer Herkunftsländer. Alle Vorträge<br />
sollen auf Deutsch gehalten werden.<br />
Der Teilnehmerkreis ist auf 80<br />
Teilnehmer begrenzt.<br />
4. Schlichterseminare SOBau:<br />
Im Jahre 2002 wurde der zunächst<br />
geplante und beworbene Grundlagenkurs<br />
(in Nürnberg) für die Ausbildung<br />
zum Schlichter nach der SOBau wg.<br />
zu geringer Anmeldezahl storniert.<br />
Allerdings konnte ein Vertiefungsseminar<br />
II unter der Leitung von Frau<br />
Dipl.-Psych. Wölke am 19./20.4.2002<br />
in Nürnberg durchgeführt werden (15<br />
Teilnehmer).<br />
Im Jahr 2003 ist derzeit nur ein<br />
sehr reduziertes Angebot an Schlichterseminaren<br />
geplant, da die Nachfrage<br />
deutlich zurückgegangen ist. Geplant<br />
ist im 1. Halbjahr nur ein<br />
Grundlagenseminar im Januar in Berlin.<br />
Plätze sind noch frei.<br />
5. Homepage/Internet:<br />
Angedacht ist eine Aufwertung der<br />
Homepage www.arge-baurecht.com<br />
durch ein – wie auch immer gestaltetes<br />
– Datenbankangebot für die Mitglieder.<br />
Gewünscht ist ein kostengünstiger<br />
Zugang zu den wesentlichen<br />
baurechtlichen Entscheidungen und<br />
Informationen. Die Daten sollen<br />
brandaktuell sein. Die Gespräche und<br />
Verhandlungen laufen noch.<br />
6. Mitgliederliste:<br />
Die aktuelle Mitgliederliste 2002<br />
wird dem nächsten Mitteilungsblatt<br />
Ausgabe 4/2002 – erscheint Mitte Dezember<br />
– beiliegen.<br />
Hinweis: Informationen über die<br />
Aktivitäten, Veranstaltungen, Zielsetzungen<br />
und Planungen oder Beitrittsunterlagen<br />
erhalten interessierte Anwälte<br />
auf der Homepage unter<br />
www.arge-baurecht.com oder beim<br />
Sekretariat der ARGE Baurecht in der<br />
DAV-Geschäftsstelle unter der<br />
Adresse: 10179 Berlin, Littenstraße<br />
11, Fax: 0 30 – 72 61 52-136 oder<br />
über E-Mail: henke@anwaltverein.de.<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
AG Steuerrecht<br />
Veranstaltungsbericht Steueranwaltstag<br />
2002 in Berlin<br />
Die Veranstaltung – unter „neuer<br />
Leitung“<br />
Der von der Ag Steuerrecht veranstaltete,<br />
einmal jährlich stattfindende<br />
„Steueranwaltstag“ ist zu einer<br />
festen Größe im Programm des DAV<br />
geworden und lockt von Jahr zu Jahr<br />
mehr am Steuerrecht Interessierte<br />
nach Berlin. So zog die Veranstaltung<br />
am 15.–16. November, die unter der<br />
souveränen Leitung des Kollegen<br />
Friedhelm Jacob, Hengeler Mueller,<br />
Frankfurt, stand, in diesem Jahr mehr<br />
als doppelt so viele Teilnehmer wie im<br />
Jahr 2001, nämlich mehr als 220 in<br />
das Hilton Hotel am Gendarmenmarkt.<br />
Die Referate am Freitag<br />
Der Freitagvormittag gehörte den<br />
Referenten Dr. Randolf Mohr, Fachanwalt<br />
für Steuerrecht, Wirtz & Kraneis,<br />
Köln und Dr. Rolf Schwedhelm,<br />
Fachanwalt für Steuerrecht, Streck<br />
Mack Schwedhelm, Köln. „Die GmbH<br />
& Co. KG – Rechtsform mit neuer Attraktivität“<br />
war ihr Thema. Neben den<br />
zivilrechtlichen Grundlagen, der Darstellung<br />
der Gründungsprobleme, der<br />
Gesellschafterhaftung und der Anteilsübertragung,<br />
wandten sich die Referenten<br />
eingehend den steuerlichen<br />
Vor- und Nachteilen der GmbH & Co.<br />
KG bei laufender Besteuerung, der Unternehmensnachfolge<br />
und dem Unternehmenskauf<br />
zu. Auch die Darstellung<br />
der Umwandlung fehlte nicht. Den Teilnehmern<br />
konnte ein hervorragendes,<br />
146 Seiten (einschließlich Mustersatzung)<br />
umfassendes Skript zur Verfügung<br />
gestellt werden, das qualifizierte<br />
Nachbereitung ermöglicht. Danke.<br />
Den Nachmittag begann Dr. Peter<br />
Bilsdorfer, Richter am Finanzgericht<br />
Saarland, mit einer Darstellung der<br />
„Informationsquellen und -wege der<br />
Finanzverwaltung“. Die politische Motivation,<br />
wie sie im Koalitionsvertrag<br />
vom 16.10.2002 festgehalten wurde,<br />
nämlich sicherzustellen, daß das geltende<br />
Steuerrecht insbesondere für pri-
44<br />
MN<br />
vate Veräußerungsgeschäfte Kapitalsowie<br />
Mieterträge effektiver erfasse,<br />
stellte er voran. Eine Analyse der bisherigen<br />
Rechtsprechung zu Ermittlungen<br />
ins Blaue, Rasterfahndungen und<br />
Ausforschungsdurchsuchungen folgte.<br />
Bereits hier bot sich Gelegenheit, bestehende<br />
strukturelle Mängel des Steuererhebungsverfahrens<br />
kurz zu diskutieren.<br />
Nicht ohne richterlichen<br />
Witz und Scharfsinn kommentierte<br />
Bilsdorfer den Informationsaustausch<br />
innerhalb der Finanzverwaltung. Kritisch<br />
äußerte er sich insbesondere zum<br />
Informationsfluß zwischen den Veranlagungsstellen<br />
zur Einkommensteuer<br />
und den Erbschaftsteuerstellen der Finanzämter.<br />
Nicht nur für Steuerstrafrechtler darf<br />
als Höhepunkt des Nachmittags sicher<br />
das Referat von Prof. Dr. Erich Samson,<br />
Buccerius Law School, Hamburg, bezeichnet<br />
werden. Professor Samson<br />
machte die Zuhörer mit dem „Syndrom<br />
der Verwöhnungsverwahrlosung“ vertraut,<br />
eine Erscheinung, die üblicherweise<br />
im Bereich der Jugendkriminologie<br />
diskutiert wird. Nach wenigen<br />
einleitenden Worten erschloß sich jedem<br />
Zuhörer blitzschnell, daß hier das<br />
Verhalten des Gesetzgebers einer scharfen<br />
Analyse mit eindeutig vernichtendem<br />
Ergebnis unterzogen wurde.<br />
„Geldwäsche-Risiken für Beratung und<br />
Berater“ war ein Thema, was dem Referenten<br />
zur Kritik jede erdenkliche Gelegenheit<br />
bot. Mit Hilfe der These der<br />
„Kontaminierten Volkswirtschaft“ und<br />
unter Hinweis auf die verfehlte Diagnose,<br />
daß der Gesetzgeber lernfähig sei,<br />
sezierte Professor Samson den Gesetzestext<br />
des Geldwäschetatbestandes:<br />
„Das Verbergen der Herkunft ersparter<br />
Aufwendungen“ sei eine Tatbestandsalternative,<br />
deren Wortlaut schon nicht<br />
nachvollziehbar sei. Keiner der über<br />
220 Tagungsteilnehmer widersprach<br />
folglich, als Samson dem Geldwäschetatbestand<br />
höchste verfassungsrechtliche<br />
Fragwürdigkeit bescheinigte.<br />
So vorbereitetes Terrain fand dann<br />
Dr. Ingo Flore, Rechtsanwalt und<br />
Steuerberater, Echtermeyer & Koll.,<br />
Dortmund, der sich im Anschluß dem<br />
Tatbestand der gewerbs- oder bandenmäßigen<br />
Steuerhinterziehung (§ 370 a<br />
AO), widmete. Es bedarf kaum der Erwähnung,<br />
daß auch diese Glanzleistung<br />
des Gesetzgebers – fachlich fundiert<br />
– vom blanken Dortmunder<br />
zerlegt wurde. Das Fazit: Bei ergebnisoffener<br />
Beratung kommt die Selbstanzeige<br />
nicht mehr in Betracht. Konfliktoffene<br />
Steuerstrafverteidigung ist<br />
die Konsequenz.<br />
Das aufgeputschte Auditorium ließ<br />
sich zum Abschluß des ersten Tages mit<br />
Dr. Rainer Spatscheck, Fachanwalt für<br />
Steuerrecht, Streck Mack Schwedhelm,<br />
München, nochmals intensiv auf „Strafbarkeit<br />
und Haftung nach dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz“<br />
– die<br />
weiteren Neuregelungen ohne § 370 a<br />
AO und § 261 StGB – ein. Umsatzsteuernachschau,<br />
Sicherheitsleistung bei<br />
Vorsteuerüberhängen, Haftung für<br />
fremde Umsatzsteuerschulden und die<br />
Frage nach dem Fortbestand der Selbstanzeigemöglichkeit<br />
trotz Nachschau<br />
gaben jeden Anlaß für eine aufgeschlossene<br />
Diskussion. Auch in diesem<br />
Punkt wurde die Qualität der Tagungsbeiträge<br />
deutlich, denn welcher<br />
Teilnehmer könnte nach so einem Programm<br />
noch fachlich diskutieren, ohne<br />
„abzusacken“, wäre er nicht immer<br />
wieder herausgefordert worden?<br />
Das Rahmenprogramm<br />
Die DATEV sponserte, die Teilnehmer<br />
blieben gern: Mit einem kleinen<br />
Empfang klang die Freitagsveranstaltung<br />
aus. Offensichtlich waren viele<br />
zu „k.o.“ um jetzt noch Berlin zu genießen<br />
... Oder doch nicht?<br />
Die Mitgliederversammlung<br />
Die Mitgliederversammlung begann<br />
pünktlich am Freitagabend im<br />
unmittelbaren Anschluß an den letzten<br />
Tagungsbeitrag des Tages. Der Vorsitzende<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses,<br />
Dr. Rolf Schwedhelm, Köln,<br />
eröffnete mit dem Geschäftsbericht für<br />
das zurückliegende Jahr. Veranstaltungen,<br />
Internetauftritt und steueranwaltsmagazin<br />
haben sich etabliert. In der<br />
anstehenden Neuwahl des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses wurden die<br />
weitgehend wieder kandidierenden<br />
Mitglieder bestätigt. Rechtsanwältin<br />
Anja Möwisch, Hannover, kandidierte<br />
nicht erneut. Statt ihrer rückte Andreas<br />
Jahn, Rechtsanwalt und Steuerberater,<br />
Meyer-Köring von Danwitz<br />
Privat, Bonn, nach. Aufmerksamen<br />
Lesern des steueranwaltsmagazins ist<br />
er bereits bekannt. Neben regelmäßigen<br />
Beiträgen hat er dort die Rubrik<br />
„Tax LawLinks“ übernommen.<br />
Vorsitzender des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses ist Dr. Rolf Schwedhelm,<br />
Köln, sein Stellvertreter Dr.<br />
Ingo Flore, Dortmund. Die weiteren<br />
Mitglieder sind Kirsten Bäumel-Ianniello,<br />
Aachen, Andreas Jahn, Bonn,<br />
Sebastian Korts, Köln, Dr. Jochen<br />
Krieger, Stade, Dr. Marcel Sauren,<br />
Aachen, Jürgen Wagner, Konstanz.<br />
Vom DAV „abgeordnet“ wird nach wie<br />
vor Friedhelm Jacob, Frankfurt, dem<br />
an dieser Stelle ausdrücklich für die<br />
Leitung der Tagung und der Mitgliederversammlung<br />
zu danken ist.<br />
Die Referate des Steueranwaltstages<br />
werden, wie gewohnt, in der<br />
Broschüre „Steueranwalt 2002“ zusammengefaßt<br />
und den Mitgliedern im<br />
kommenden Frühjahr zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Der nächste Tag<br />
AnwBl 1/2003<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Brennend aktuell ging es am nächsten<br />
Morgen mit Dr. Reinhard Geck,<br />
Rechtsanwalt, Notar und Steuerberater,<br />
Hannover, weiter. Auch hier waren es<br />
Gesetzesänderungen und der Vorlagebeschluß<br />
des BFH vom 22.0.2002<br />
(II R 61/99, BStBl. II, 2002, 598), die<br />
das Referat über „Aktuelle Entwicklungen<br />
bei vorweggenommener Erbfolge<br />
und Erwerb von Todes wegen“ unverzichtbar<br />
und den Saal voll machten.<br />
Nicht ohne gewissen Sarkasmus – „Sterben<br />
für die Bildung“ – kommentierte<br />
auch dieser Referent die verzweifelten<br />
Versuche des Gesetzgebers „Druck aus<br />
dem Kessel“ zu lassen. Sein Ziel, „zwar<br />
kein harmonisches, jedoch ein einigermaßen<br />
vollständiges Bild“ der Entwicklungen<br />
im Bereich vorweggenommener<br />
Erbfolge sowie Erwerbes von Todes wegen<br />
zu geben, hat der Referent erfüllt.<br />
Die gründliche Auseinandersetzung mit<br />
der Rechtsprechung wurde auch hier in<br />
einem auffallend guten Skript (37 Seiten)<br />
dokumentiert und bleibt zur Nachbereitung<br />
empfohlen.<br />
Dem in nichts nachstehend folgte<br />
Karsten Sessinghaus, Richter am Finanzgericht<br />
Köln, mit einem Referat<br />
über die praktische Relevanz der einzelnen<br />
neuen Bestimmungen in der FGO-<br />
Novelle. Auch hier blieb die Diskussion<br />
nicht aus, zeigte der Autor doch die<br />
praktischen Konsequenzen der Neuregelungen<br />
auf, die nicht immer die Zustimmung<br />
des Auditoriums fanden, an<br />
denen der prozessierende Steueranwalt<br />
jedoch kaum vorbeikommt.<br />
Was in „Kapitalvermögen und privaten<br />
Veräußerungsgewinnen“ steckt,<br />
erschloß sich durch den Vortrag von<br />
Dr. Jörg-Andreas Lohr, Wirtschaftsprüfer<br />
und Steuerberater, Düsseldorf.<br />
Auch hier fand sich die qualifizierte<br />
Aufarbeitung des Beraterthemas. Gesetzliche<br />
Neuregelungen und die neueste<br />
Entwicklung in der Rechtsprechung<br />
brachten die Teilnehmer auf den<br />
neuesten Stand.<br />
Rechtsanwalt Kirsten Bäumel-Ianniello,<br />
Aachen
AnwBl 1/2003 45<br />
6<br />
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung<br />
und Zukunft“<br />
Am 2.8.2000 wurde nach großer Zustimmung aller<br />
Fraktionen des Deutschen Bundestages das Gesetz zur Errichtung<br />
einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und<br />
Zukunft“ verkündet (BGBl. I 2000, S. 1263).<br />
Es ist am 03.08.2000 in Kraft getreten. Die Bundesrepublik<br />
und viele Unternehmen der deutschen Wirtschaft<br />
haben für die Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen<br />
und Zwangsarbeitern einen Fonds in Höhe von<br />
10.000.000.000 DM zur Verfügung gestellt, der seit dem Inkrafttreten<br />
des Gesetzes von Vorstand und Kuratorium der<br />
Stiftung verwaltet und ausgekehrt wird.<br />
Am Zustandekommen des Gesetzes haben auch deutsche<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte durch gerichtliche<br />
und außergerichtliche Tätigkeit mitgewirkt. In Anerkennung<br />
dieser Tatsache ist in § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes eine<br />
Erstattung vorgesehen für Aufwendungen von Rechtsanwälten<br />
und Rechtsbeiständen, die durch ihr Tätigwerden zu<br />
Gunsten der nach § 11 des Gesetzes leistungsberechtigten<br />
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zur Errichtung der<br />
Stiftung beigetragen oder auf andere Weise ihr Zustandekommen<br />
gefördert haben, insbesondere, indem sie an den<br />
multilateralen Verhandlungen teilgenommen oder indem sie<br />
zwischen dem 14. November 1990 und dem 17. Dezember<br />
1999 für die Leistungsberechtigten Klage erhoben haben.<br />
Ein Rechtsanspruch auf diese Entschädigung besteht nach<br />
dem Gesetzeswortlaut nicht. Nach dieser grundsätzlichen gesetzlichen<br />
Bestimmung hat das Kuratorium der Stiftung am<br />
25.1.2001 Richtlinien für die Entscheidungen über Honorarforderungen<br />
von deutschen Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen<br />
im Sinne dieser Gesetzesbestimmung erlassen, einen<br />
Höchstbetrag von 4.000.000 DM für die Erstattung solcher<br />
Aufwendungen festgelegt und nach der gesetzlichen Regelung<br />
bestimmt, dass für die Verteilung dieses Betrages als<br />
Schiedsperson Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig Koch, Köln,<br />
berufen wird. Unter Wiederholung des Gesetzestextes wird<br />
festgelegt, dass seine Entscheidungen endgültig sind.<br />
Nach seiner Berufung hat Koch die Tätigkeit als<br />
Schiedsperson im Sinne von § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes<br />
aufgenommen.<br />
Nach umfangreichen Recherchen hat er unter dem<br />
15.7.2002 dem Vorstand der Stiftung z. H. des Vorstandsmitglieds<br />
Dr. Hans Otto Bräutigam einen Abschlussbericht<br />
vorgelegt, der folgenden Wortlaut hat:<br />
Abschlussbericht der Schiedsperson zum<br />
Aufwendungsersatz für deutsche Rechtsanwälte<br />
und Rechtsbeistände gem. § 9 Abs. 12 EVZ StiftG;<br />
Beschluss des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung,Verantwortung<br />
und Zukunft“ vom 25.1.2001<br />
I.<br />
Das Stiftungsgesetz mit § 9 Abs. 12 ist am 3.8.2000 in<br />
Kraft getreten. Am 25.1.2001 hat das Kuratorium der Stiftung,<br />
dem gesetzlichen Auftrag entsprechend, den oben umrissenen<br />
Beschluss gefasst und in Ziffer 9 dieses Beschlusses<br />
mich zur Verteilung des Betrages gem. § 8 des<br />
Beschlusses, nämlich 4 Mio. DM für die Erstattung von<br />
l<br />
Aufwendungen der Rechtsanwälten und Rechtsbeistände,<br />
berufen.<br />
Hierüber wurde ich durch Schreiben des Vorstands der<br />
Stiftung vom 2.2.2001 unterrichtet und habe danach die Zusammenarbeit<br />
mit dem Vorstand, zuständig Dr. Hans Otto<br />
Bräutigam, aufgenommen. Meine erste Tätigkeit war die<br />
Formulierung und die Veranlassung, den Beschluss des Kuratoriums<br />
vom 25.01.2001 zu veröffentlichen, um die Antragsfrist<br />
des § 9 Abs. 12 EVZ StiftG in Gang zu setzen.<br />
Veröffentlicht wurde der Richtlinienbeschluss in den Mitteilungen<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer, dem <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
des Deutschen Anwaltvereins, der Neuen Juristischen<br />
Wochenschrift und im Bundesanzeiger. Die letzte Veröffentlichung<br />
war die im Bundesanzeiger vom 13.6.2001 mit<br />
der Konsequenz, dass die Antragsfrist des Gesetzes für<br />
Aufwendungsersatzanträge deutscher Rechtsanwälte und<br />
Rechtsbeistände am 13.2.2002 ablief.<br />
II.<br />
Nach Veröffentlichung der Richtlinien gingen sukzessive,<br />
zuletzt am 12. und 13.2.2002, insgesamt 34 Anträge<br />
von Antragstellerinnen und Antragstellern ein.<br />
Anhand der eingereichten Anträge und Unterlagen<br />
wurde umfangreiche Aktenprüfung notwendig. Das Gesetz<br />
und der Richtlinienbeschluss schreiben vor, dass die geltend<br />
gemachten Aufwendungen zu belegen sind, so dass die<br />
Schiedsperson eine Belegprüfung vornehmen musste. Angesichts<br />
der Vielzahl der von Antragstellerinnen und Antragstellern<br />
beratenen und vertretenen Fälle ergab sich ein<br />
so umfangreiches Aktenmaterial, dass in mehreren Fällen<br />
die Belegprüfung vor Ort in der Kanzlei der antragstellenden<br />
Rechtsanwälte durch meinen Kollegen Börsch und<br />
mich vorgenommen werden musste.<br />
III.<br />
Weil die Prüfung Ende 2001 ergab, dass der vom Kuratorium<br />
zur Verfügung gestellte Höchstbetrag von<br />
4 Mio. DM oder 2.045.167,50 E keineswegs ausreichte,<br />
habe ich die Antragstellerinnen und Antragsteller zu einem<br />
Gespräch, um dies zu erläutern, nach Berlin in das Haus<br />
des Deutschen Anwaltvereins eingeladen, der einen Sitzungsraum<br />
dankenswerterweise zur Verfügung stellte, so<br />
dass Mietaufwendungen erspart wurden. Im Gespräch mit<br />
16 Antragstellerinnen und Antragstellern, die umfangreich<br />
beraten und vertreten hatten, habe ich meinen Vorsatz erläutert,<br />
aus dem zur Verfügung stehenden Höchstbetrag nach<br />
Möglichkeit die nachgewiesenen, aus dem eigenen Vermögen<br />
der Antragstellerinnen und Antragsteller tatsächlich<br />
ausgegebenen Kosten, Reisekosten, Fotokopierkosten, Hotelkosten,<br />
spezielle Aufrüstung von EDV, Übersetzungskosten,<br />
personelle Aufwendungen für zum Zwecke der Bearbeitung<br />
der Angelegenheiten von Zwangsarbeiterinnen und<br />
Zwangsarbeitern zusätzlich eingestelltem Büropersonal, zu<br />
ersetzen. Den dann noch nicht verbrauchten Teil des<br />
Höchstbetrages von 2.045.167,50 E, so meine den Antragstellerinnen<br />
und Antragstellern mitgeteilte Entscheidung,<br />
würde ich dann im Verhältnis des Vertretungsaufwandes<br />
nach einem geltend gemachten und von mir auf Schlüssigkeit<br />
geprüften anwaltlichen Zeithonorar vergüten, wobei ein<br />
Stundensatz von 62 E allenfalls zugrunde gelegt werden<br />
könnte.<br />
Da dies ein Stundenhonorar ist, das deutlich unter dem<br />
von deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten übli-
46<br />
l<br />
cherweise abgerechneten Stundenhonorar bleibt, wurde das<br />
im Endergebnis in der Diskussion des 23.01.2002 mit den<br />
erschienenen Antragstellerinnen und Antragstellern im<br />
Blick auf die Honorierung der US-amerikanischen Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte und eines deutschen<br />
Rechtsanwalts enttäuscht registriert, aber akzeptiert.<br />
IV.<br />
Die Diskussion erbrachte die übereinstimmende Bitte aller<br />
am 23.1.2002 in Berlin erschienenen Antragstellerinnen<br />
und Antragsteller, durch die Schiedsperson die Anregung<br />
an den Vorstand und über den Vorstand an das Kuratorium<br />
der Stiftung heranzutragen, den Höchstbetrag der Ziffer 8<br />
des Richtlinienbeschlusses – 2.045.167,50 E – zu erhöhen.<br />
Entsprechend habe ich bei dem Vorstand beantragt, der<br />
dies befürwortend an den Vorsitzenden des Kuratoriums<br />
weitergab. So kam es zur Anhörung der Schiedsperson in<br />
der Sitzung des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung<br />
und Zukunft“ am 21. Februar 2002 in Berlin.<br />
Ich habe entsprechend vorgetragen, es wurde diskutiert,<br />
mehrheitlich konnte sich das Kuratorium der Stiftung aber<br />
nicht dazu entschließen, den Höchstbetrag zu erhöhen.<br />
V.<br />
Also war am 21.2.2002 endgültig klar, dass der zur<br />
Verfügung stehende Höchstbetrag zu verteilen war. Es ergab<br />
sich bei der danach einsetzenden Prüfung in vielen Einzelfällen<br />
die Notwendigkeit, in Kommunikation mit den<br />
Antragstellern zu treten, in einigen Fällen ergab sich schon<br />
aus der Antragstellung und den eigenen Hinweisen von<br />
Antragstellern die Unbegründetheit von Anträgen.<br />
Die Abschlussprüfung der Schiedsperson setzte Mitte<br />
März 2002 ein und war mit letzten Diktaten am 13. Juli<br />
2002 abgeschlossen.<br />
Zu bescheiden waren insgesamt 34 Anträge. Von diesen<br />
34 Anträgen waren 12 unbegründet, zum Teil unzulässig.<br />
Nach entsprechenden Hinweisen wurden die Anträge entweder<br />
von Antragstellern zurückgenommen oder von der<br />
Schiedsperson abschlägig beschieden.<br />
Nach § 13 Abs. 12 EVZ StiftG und Ziffer 9 des Richtlinienbeschlusses<br />
des Kuratoriums besteht auf Aufwendungsersatz<br />
von berechtigten Antragstellerinnen und Antragstellern<br />
kein Rechtsanspruch, die Entscheidungen der<br />
Schiedsperson sind endgültig und nicht rechtsbehelfsfähig.<br />
22 Anträge waren zulässig und begründet. Zu verteilen<br />
war der vom Kuratorium der Stiftung zur Verfügung gestellte<br />
Höchstbetrag an deutsche Rechtsanwälte und Rechtsbeistände.<br />
Der Begriff des Rechtsbeistands im Sinne der<br />
gesetzlichen und der Richtlinienbestimmung war nicht<br />
rechtstechnisch im Sinne eines nach den Bestimmungen<br />
des Rechtsberatungsgesetzes ausdrücklich zugelassenen<br />
Rechtsbeistands zu verstehen, wie die Gesetzesmaterialien<br />
belegen. Von den 22 zulässigen und begründeten Anträgen<br />
gab es 2 Anträge von zugelassenen Rechtsbeiständen, einer<br />
von einem nicht zugelassenen Rechtsbeistand, der sich jahrzehntelang<br />
in besonderem Umfang für die Entschädigung<br />
von NS-Geschädigten, in Sonderheit auch Zwangsarbeiterinnen<br />
und Zwangsarbeitern, auch in der Zusammenarbeit<br />
mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie anderen<br />
Personen und Organisationen eingesetzt hatte, die daran<br />
mitgewirkt haben, dass das Stiftungsgesetz in Deutschland<br />
verabschiedet wurde.<br />
VI.<br />
Der Umfang der Tätigkeit der 22 Rechtsanwälte und<br />
Rechtsbeistände im Sinne von § 9 Abs. 12 EVZ StiftG war<br />
AnwBl 1/2003<br />
Mitteilungen<br />
unterschiedlich. Ein Rechtsanwalt hat in Zusammenarbeit<br />
mit einem amerikanischen und osteuropäischen Anwalt<br />
eine osteuropäische Stiftung, nicht einzelne nach § 11 des<br />
EVZ StiftG Leistungsberechtigte außergerichtlich, politisch<br />
vertreten und so am Zustandekommen des Gesetzes auch in<br />
Zusammenarbeit mit einem amerikanischen und osteuropäischen<br />
Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit mitgewirkt. Hier<br />
konnte nur ein Bruchteil des geltend gemachten Kostenund<br />
Zeitaufwandes honoriert werden, weil eben nach § 9<br />
Abs. 12 EVZ StiftG und dem Richtlinienbeschluss amerikanische<br />
und osteuropäische Rechtsanwälte nicht antragsberechtigt<br />
sind.<br />
Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die von<br />
nichtdeutschen Stiftungen beauftragt waren, für individuelle<br />
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Zahlungsansprüche<br />
gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend<br />
zu machen, haben vor Verkündung und Inkrafttreten des<br />
Gesetzes insgesamt 44.250 Fälle bei Gericht anhängig gemacht,<br />
sei es, dass PKH-Anträge gestellt wurden, sei es,<br />
dass Klagen bei Zivilgerichten, Arbeitsgerichten und Sozialgerichten<br />
eingereicht wurden. In einigen Fällen wurden<br />
solche Rechtsstreite durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht<br />
geführt. Umfangreichste anwaltliche Tätigkeit<br />
dieser deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
war erforderlich und ist, wovon ich mich durch<br />
Besuche in den einzelnen Rechtsanwaltskanzleien überzeugt<br />
habe, belegt. Nicht alle Aufträge, die deutschen<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur gerichtlichen<br />
Geltendmachung erteilt wurden, wurden durchgeführt. Ergab<br />
die rechtliche Vorprüfung, dass keine Aussicht auf Erfolg<br />
war, wurde der bearbeitete Fall nicht in die gerichtliche<br />
Sphäre erhoben. Aus den angemeldeten, von Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälten vertretenen Fällen ergab die<br />
Gesamtaddition die Vertretung von 54.696 Zwangsarbeiterinnen<br />
und Zwangsarbeitern. In einem Fall, in dem nicht in<br />
die gerichtliche Sphäre übergeleitet wurde, sondern eine<br />
osteuropäische Stiftung im politischen Raum vertreten<br />
wurde, ging es um das Interesse von hinter dieser Stiftung<br />
stehenden 300.000 osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen<br />
und Zwangsarbeitern.<br />
VII.<br />
Mein persönliches Fazit der Tätigkeit als Schiedsperson<br />
im Sinne von § 9 Abs. 12 EVZ StiftG in der Zeit von März<br />
2001 bis Juli 2002 ist wie folgt zu umreissen:<br />
Eine, nur in Deutschland mögliche, vom anwaltlichen<br />
Alltag sich deutlich unterscheidende und abhebende Tätigkeit<br />
war zu erledigen.<br />
Die Aufgabe war ehrenvoll. Das mir von Vorstand und<br />
Kuratorium der Stiftung auf Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins<br />
entgegengebrachte Vertrauen ist dankbar zu registrieren.<br />
Ich verbeuge mich respektvoll vor Kolleginnen und Kollegen,<br />
Volljuristen und Nichtjuristen, die sich für eine Entschädigung<br />
für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter,<br />
eben im Sinne von § 11 des EVZ StiftG Leistungsberechtigten<br />
in einem Umfang eingesetzt haben, der, was das Entgelt<br />
betrifft, soeben Kostendeckung, häufig Unterschuß,<br />
fast nie Gewinn gebracht hat. Ich bezeichne dies als eine<br />
starke berufliche und menschliche Leistung.<br />
Es ist festzuhalten, dass dieser, von mir zu prüfende Einsatz<br />
von Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen im Interesse<br />
von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern hinsichtlich<br />
der Honorierung in groteskem Missverhältnis steht zu den<br />
Honoraren, die US-amerikanische Rechtsanwältinnen und
AnwBl 1/2003 47<br />
Mitteilungen l<br />
Rechtsanwälte und ein deutscher Rechtsanwalt aus Stiftungsmitteln<br />
erhalten haben.<br />
So habe ich die Bitte und die Hoffnung, dass dieser Abschlussbericht<br />
der Schiedsperson dem Kuratorium der Stiftung<br />
vorgelegt wird mit meiner Anregung, doch nochmals<br />
zu beraten und zu beschließen, ob der Höchstbetrag aus<br />
Ziffer 9 des Beschlusses zu den Richtlinien für die Entscheidungen<br />
über Honorarforderungen von deutschen<br />
Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen nach § 9 Abs. 12 des<br />
Stiftungsgesetzes nachträglich erhöht werden kann.<br />
In der IV. Sitzung des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung,<br />
Verantwortung und Zukunft“ am 24./25. Januar 2001<br />
in Berlin ist zu Tagesordnungspunkt 14, Richtlinien für Anwaltshonorare,<br />
vom Vorstand der Stiftung vorgetragen worden:<br />
Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland sind<br />
zahlreiche Klagen eingereicht worden, die in der Regel unter<br />
Hinweis auf die in dem Stiftungsgesetz vorgesehenen Leistungen<br />
an ehemalige Zwangsarbeiter abgewiesen worden<br />
sind. Insgesamt besteht der Eindruck, dass die deutschen<br />
Anwälte – von Ausnahmen abgesehen – in den Verfahren vor<br />
deutschen Gerichten nicht eine den amerikanischen Anwälten<br />
vergleichbare anwaltliche Arbeit geleistet haben. Dafür<br />
haben sie sehr viel mehr gleichgelagerte Fälle auf den Weg<br />
gebracht. Einige deutsche Anwaltskanzleien scheinen Tausende<br />
von Klägern aus verschiedenen Ländern vertreten zu<br />
haben. Ein Honoraranspruch der Anwälte gegen die deutsche<br />
Stiftung besteht nicht. Es gibt nur grobe Schätzungen<br />
über die Zahl der beteiligten Anwälte und die von ihnen erhobenen<br />
Klagen. Deshalb sollte der Schiedsperson für die<br />
Festsetzung einer angemessenen Entschädigung der deutschen<br />
Anwälte auf der Grundlage des Stiftungsgesetzes ein<br />
größeres Ermessen eingeräumt werden. Ein Höchstbetrag<br />
für die Entschädigung der deutschen Anwälte sollte aus unserer<br />
Sicht ausreichend sein. Sie kann allerdings nicht völlig<br />
ausschließen, dass der vorgeschlagene Gesamtbetrag noch<br />
einmal geringfügig erhöht werden muss.<br />
Das, was heute aus den bis 13.2.2002 gestellten Anträgen<br />
bekannt ist, war damals nicht bekannt, nämlich weder<br />
die Zahl der eingereichten Klagen noch die Intensität der<br />
tatsächlichen und rechtlichen Bearbeitung durch die Instanzen<br />
bis zum Bundesverfassungsgericht.<br />
Bestätigt hat sich die damalige Annahme des Vorstands<br />
der Stiftung, dass die Zahl der US-amerikanischen Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, die geklagt haben, höher<br />
war als die der deutschen. Die Prüfung von nach § 9<br />
Abs. 12 EVZ StiftG gestellten Anträgen hat aber ergeben,<br />
dass die Zahl der Fälle, die deutsche Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte bearbeitet, anhängig gemacht und durch<br />
die Instanzen geführt haben, denen der US-amerikanischen<br />
Rechtsanwälte sehr deutlich überlegen ist.<br />
Am 24./25.1.2001 konnte in den Sitzungen von Vorstand<br />
und Kuratorium der Stiftung nicht völlig ausgeschlossen<br />
werden, dass der vorgeschlagene Gesamtbetrag noch einmal<br />
geringfügig erhöht werden muss. Aus den zwischenzeitlich<br />
gewonnenen Erkenntnissen ist die Anregung begründet,<br />
hierüber jetzt nochmals zu prüfen und zu<br />
entscheiden. Angeregt wird eine Erhöhung des bisher zur<br />
Verfügung gestellten Höchstbetrages um rd. 25 %, also<br />
500.000,00 E.<br />
Köln, im Juli 2002<br />
Die Schiedsperson<br />
Dr. Ludwig Koch<br />
Erfreulicherweise hat der Anregung von Dr. Ludwig<br />
Koch, den Höchstbetrag um 500.000 E zu erhöhen, auf Vorschlag<br />
des Vorstands der Stiftung das Kuratorium in seiner<br />
SitzungvonSeptember2002einenweiterenBetragvon500.000 E<br />
als Aufwendungsersatz für die nach § 9 Abs. 12 des Stiftungsgesetzes<br />
aufwendungsersatzberechtigten Rechtsanwälte<br />
und Rechtsbeistände bewilligt.<br />
Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen zur Auskehrung<br />
dieses Betrages durch die Schiedsperson wurden Anfang<br />
November 2002 geschaffen. Auch dieser Betrag ist<br />
auf Vorschlag der Schiedsperson inzwischen an die antragsberechtigten<br />
Rechtsanwälte und Rechtsbeistände ausgekehrt.<br />
Arbeitsrechtsfragen<br />
Arbeitsrechtliche Haftungsfalle:<br />
Urlaubsverfall im Kündigungsschutzprozess<br />
1. Allgemeines arbeitsrechtliches Haftungsrisiko des<br />
Rechtsanwaltes<br />
Dass Anwälte gefährlich leben, dass ihre Arbeit durch<br />
Haftungsrisiken belastet wird, wissen jedenfalls die Anwälte<br />
nur zu gut und aus teilweiser schmerzhafter eigener<br />
Erfahrung 1 . Das Arbeitsrecht ist auf Grund seiner vielfältigen<br />
Fristen 2 besonders „gefahrgeeignet.“ Glücklicherweise<br />
wird diese Risikosituation dadurch gemindert, dass eine<br />
Großzahl der Kündigungsschutzprozesse durch Vergleiche<br />
enden, die dann auch meistens, wenn auch keineswegs immer<br />
3 , eine endgültige Befriedigung zwischen Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer bringen und Haftungsrisiken für die Anwälte<br />
ausschließen.<br />
2. Kündigungsschutzklage und Urlaubsverfall<br />
Führt die Tätigkeit des Arbeitnehmeranwaltes zu einem<br />
Obsiegen im Kündigungsschutzprozess seines Mandanten<br />
und somit zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses,<br />
wird nicht zuletzt durch ein neues Urteil des BAG 4 die Siegesfreude<br />
des Anwaltes nicht selten geschmälert dadurch,<br />
dass er plötzlich feststellen muss, dass mit der Erhebung<br />
der Kündigungsschutzklage und ihrer Durchführung keineswegs<br />
alle Ansprüche des Arbeitnehmers abgesichert waren.<br />
Bekanntlich unterbricht die Kündigungsschutzklage weder<br />
die Verjährung 5 , noch führt sie dazu, dass zweistufige Ausschlussfristen<br />
gehalten werden 6 . In seiner Entscheidung vom<br />
21.9.1999 hatte das BAG 7 entschieden, dass Urlaubsansprüche,<br />
die nach Auslaufen des gekündigten Arbeitsverhältnisses<br />
entstanden sind im Kalenderjahr bzw. „im Übertragungszeitraum“,<br />
also bis zum 31.3. des Folgejahres,<br />
regelmäßig geltend gemacht werden müssen. Das BAG hat<br />
die Haftungsanforderungen nun noch eine Schraube weiter<br />
1 Vgl. dazu allgemein: Zirnbauer, FA 1998, 40 ff; ders., FA 1997, 2 ff.; Sartorius,<br />
ZAP, Fach 17, 459 ff.; Fischer, FA 2000, 83 unter Hinweis auf die Entscheidung<br />
des BGH vom 18.11.1999, NJW 2000, 216 ff.<br />
2 Ausschluss-, Verfall-, Anfechtungs-, Klage- und Rechtsmittelfristen.<br />
3 BGH vom 14.11.1986 in BGHR BGB § 675, Anwaltsvertrag 1; OLG Frankfurt<br />
vom 5.10.2000, OLGR Frankfurt, 2001, 124; OLG Karlsruhe vom 31.10.2000,<br />
OLGR Karlsruhe 2001, 445 f.<br />
4 Vom 18.9.2001 EZA-Sd, 2001, Nr. 25, 5 bis 8.<br />
5 BAG vom 5.11.1992, AP Nr. 6 zu § 209 BGB.<br />
6 BAG vom 9.8.1990, AP Nr. 46 zu § 615 BGB.<br />
7 In AP Nr. 77 zu § 7 BUrlG, Abgeltung.
48<br />
l<br />
gedreht. Mit Urteil vom 18.11.2001 hat der 9. Senat des<br />
BAG entschieden, dass die Urlaubsansprüche eines<br />
gekündigten Arbeitnehmers, der vom Arbeitgeber nicht<br />
weiter beschäftigt wird, mit Ablauf des Kalenderjahres enden.<br />
Werden sie nicht rechtzeitig geltend gemacht, d. h. jedenfalls<br />
so rechtzeitig, dass eine zeitliche Realisierung<br />
noch innerhalb des Kalenderjahres möglich ist, verfallen<br />
sie unwiederbringlich, und zwar auf Grund der gesetzlichen<br />
Regelung in § 7 BUrlG.<br />
Im Rahmen dieser Ausführungen ist es müßig, die Argumente<br />
des BAG einer Einzelkritik zu unterziehen, wesentlicher<br />
ist die Feststellung, dass der zuständige 9. Senat des<br />
BAG, auch unter seinem neuen Vorsitzenden, seine bisherige<br />
Linie zur Urlaubsrechtsprechung konsequent beibehält. Wohl<br />
oder übel wird sich darauf die Anwaltschaft einzustellen haben,<br />
um der strikten Auffassung des BAG zum Beschreiten<br />
des „sichersten Weges“ gerecht zu werden 8 Da nach der<br />
Rechtsprechung des BGH 9 der Anwalt verpflichtet ist, alle<br />
im Zusammenhang mit einer Kündigung stehenden relevanten<br />
Ansprüche zu prüfen und ggf. geltend zu machen, wird<br />
dem Arbeitnehmeranwalt nichts anderes übrig bleiben, als<br />
konsequent die restlichen Urlaubsansprüche gekündigter Arbeitnehmer<br />
rechtzeitig geltend zu machen. Dies führt naturgemäß<br />
zu einer erhöhten Risikolage, andererseits aber auch<br />
dazu, dass Rechtsschutzversicherungen diesem Tätigwerden<br />
des Anwaltes nicht mit dem Argument entgegen treten<br />
können, zunächst möge einmal der Ausgang des Kündigungsschutzprozesses<br />
abgewartet werden 10 .Zunächstistausreichend<br />
für die Geltendmachung des Urlaubes die entsprechende<br />
Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber. Sehen die<br />
tarifvertraglichen Bestimmungen Ausschlussfristen vor,<br />
müssen die Formvorschriften und Fristen dieser Ausschlussfristen,<br />
ggf. zweistufigen Ausschlussfristen, eingehalten werden.<br />
Das bedingt dann auch die Erhebung der Urlaubsklage<br />
während des laufenden Kündigungsschutzprozesses. Die<br />
Rechtsschutzversicherung wird hier zwingend Rechtsschutz<br />
gewähren müssen, da ansonsten Rechtsverlust zu Lasten des<br />
Arbeitnehmers droht.<br />
3. Praktische Folgerung für den Anwalt<br />
Der Arbeitnehmeranwalt im Kündigungsschutzprozess<br />
hat somit nicht nur an die Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag,<br />
die nach der Rechtsprechung des BAG auch extrem<br />
kurz sein können 11 , an die tarifvertraglichen Ausschlussfristen<br />
12 , bei länger dauerndem Kündigungsschutzprozess an<br />
die gesetzlichen Verjährungsfristen, sondern auch daran zu<br />
denken, dass restliche Urlaubsansprüche bzw. auflaufende<br />
Urlaubsansprüche rechtzeitig, d. h. im Kalenderjahr, also<br />
bis zum 31.12., nicht erst im Übertragungszeitraum, geltend<br />
gemacht werden.<br />
In der Praxis dürfte es sich deshalb empfehlen, gleich<br />
bei Mandatsbeginn den restlichen Urlaubsanspruch zu errechnen<br />
und dem Arbeitgeber gegenüber schriftlich geltend<br />
zu machen. Zieht sich ein Kündigungsschutzprozess über<br />
Jahre hinweg, muss jedes Urlaubsjahr gesondert geltend gemacht<br />
werden.<br />
Rechtsanwalt Ulrich Fischer, Frankfurt<br />
8 Vgl. dazu BGH vom 11.2.1999, AnwBl 1999, 350 f.<br />
9 Urteil vom 29.3.1983, 1665 ff.<br />
10 Zu den Problemen im Zusammenhang mit der Rechtsschutzgewährung bei<br />
Kündigungsschutzverfahren und Folgeprozessen, vgl. Fischer, FA 1999, 178 ff.<br />
11 Urteil vom 13.12.2000, AP Nr. 2 zu § 241 BGB.<br />
12 Insofern bringt die neue Regelung des § 195 BGB eine Entlastung.<br />
Kommunikation<br />
AnwBl 1/2003<br />
Mitteilungen<br />
Venus und Mars – interessengerechte<br />
Konfliktlösungen zwischen Mann und Frau<br />
– Bericht einer Teilnehmerin – *<br />
„Was soll ich heute Abend anziehen Schatz? Soll ich<br />
das neue schwarze Kleid anlassen? Oder doch besser das<br />
kurze Rote? – „Mir egal Liebes. Ganz wie du willst.“ –<br />
„Aber eines muss dir doch besser gefallen!“ – „Dann lass<br />
das Schwarze an und alles ist in bester Ordnung.“ – „Gefällt<br />
dir das Rote etwa nicht? Das war doch schon immer<br />
dein Lieblingskleid an mir. Nie bist du ehrlich zu mir! Das<br />
ist so gemein.“ – „Das stimmt doch alles gar nicht. Reg<br />
dich doch nicht über solche Banalitäten auf“ ... (Fortsetzung<br />
den meisten Personen bekannt!)<br />
So und nicht anders sehen viele Alttagssituationen aus,<br />
in denen aus einer kleinen Mücke ein wahrhaft riesiger Elefant<br />
werden kann und eine Fülle von Missverständnissen<br />
entsteht, wenn es um die Kommunikation zwischen Männern<br />
und Frauen geht.<br />
Diesem Phänomen sind auf dem 53. Deutschen Anwaltstag<br />
in München Dagmar Ponschab-Steinhausen (Managementtrainerin/Betriebspädagogin,<br />
München) und ihr Mann<br />
Dr. Reiner Ponschab (Rechtsanwalt/Mediator, München) auf<br />
den Grund gegangen. Zusammen mit ca. 30 Teilnehmern<br />
und Teilnehmerinnen wollte man die typisch weiblichen und<br />
männlichen Strukturen der Kommunikation erarbeiten.<br />
Allem voran ging die Frage, was Frauen an Männern<br />
und umgekehrt besonders schätzen. So war es primär die<br />
Ruhe und Überlegtheit der Männer, die den Frauen imponieren.<br />
Im Gegensatz dazu stand bei den Männern die<br />
Gefühlsbetonung und das Einfühlungsvermögen der Frauen<br />
an erster Stelle. In Gruppenarbeiten konnten im Anschluss<br />
alle Teilnehmer ihrer Kreativität und Fantasie freien Lauf<br />
lassen als es um die Merkmale typisch weiblicher bzw.<br />
männlicher Kommunikation und um die Ursachen für bestimmte<br />
Konfliktsituationen unter den Geschlechtern ging.<br />
Schnell waren aus einer Vielzahl von Magazinen Bilder,<br />
ganze Teile eines Artikels oder einfach nur Überschriften<br />
ausgeschnitten und in Kollagen zusammengestellt. Im Ergebnis<br />
schnitten dabei allerdings die Männer schlechter als<br />
die Frauen ab. Wesentlich für männliche Kommunikation<br />
sei der Drang zum „Macho“, der nicht mehr sich selbst verkörpert,<br />
sondern vor allem im Begehren um Frauen dem<br />
utopischen Bild des perfekten Mannes aus der Modewelt<br />
oder den starken Schauspielhelden der Hollywoodliga<br />
nacheifert. Die Kommunikation solcher Männer sei von<br />
Übertreibung und Unglaubwürdigkeit geprägt.<br />
Auf Seiten der Frauen ... Um diese verschiedenen Verhaltensmuster<br />
der Kommunikation zu belegen, unternahm<br />
Dr. Reiner Ponschab daraufhin einen kleinen biologischen<br />
Exkurs in die Welt der Gehirnanatomie und zeigte die Unterschiede<br />
zwischen weiblichen und männlichen Gehirnstrukturen.<br />
So seien die Gefühlswahrnehmungen bei Männern<br />
nicht so ausgeprägt wie bei Frauen, da nur ein kleiner<br />
Gehirnteil dafür zuständig ist. Im Gegensatz dazu bietet das<br />
weibliche Gehirn dafür aber um so mehr Platz. Nach allgemeiner<br />
Belustigung der Frauen konnten die Männer aller-<br />
* Veranstaltung des DAV-Ausschusses Außergerichtliche Konfliktbeilegung –<br />
Tagesseminar im Rahmen des 53. Deutschen Anwalttages in München.
AnwBl 1/2003 49<br />
Mitteilungen l<br />
dings den „Vorteil“ ausgleichen. Denn die Sprachfunktion<br />
liegt, dank dem dafür zuständigen großen Gehirnbereich, in<br />
den Händen der Männer.<br />
Wer sich seiner persönlichen Gehirnprogrammierung unsicher<br />
war, nämlich ob vorwiegend männlich oder weiblich<br />
oder einer Mischung von beidem, konnte dies anhand eines<br />
Tests herausfinden. Fragen wie beispielsweise „Was tun<br />
Sie, wenn Sie eine Straßenkarte lesen müssen?“ oder „Wie<br />
gehen Sie vor, wenn Sie einkaufen?“ ergaben bei der Auswertung<br />
der Fragen Punkte. Eine niedrige Punktzahl stand<br />
für einen hohen Testosterongehalt im Körper und bedeutet,<br />
dass dieser Mensch über streng logische, analytische und<br />
verbale Fähigkeiten verfügt und zu diszipliniertem und gut<br />
organisiertem Verhalten neigt. Je höher die Punktzahl, desto<br />
weiblicher war die Orientierung des Gehirns und umso<br />
größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffende<br />
Person über herausragende kreative, artistische oder musikalische<br />
Talente verfügt.<br />
Nach einer sonnigen Mittagspause ging es nun darum,<br />
wie man die am Vormittag zusammengetragenen Schwachstellen<br />
weiblicher und männlicher Kommunikation „ausbügeln“<br />
könnte. Äußerst wichtig für konfliktfreie Kommunikation<br />
sei die Fähigkeit aufeinander zugehen zu<br />
können und bestimmte „Kommunikationsklippen“ zu überwinden.<br />
So wurde mit Hilfe von Gruppenspielen Strategie<br />
und Absprache geübt.<br />
„Gesagt ist nicht gehört – Gehört ist nicht verstanden –<br />
Verstanden ist nicht einverstanden (C. K. Lorenz)“. Diese<br />
These nahm Dagmar Ponschab-Steinhausen im Anschluss<br />
daran auf, um über die Therapie der Kommunikation zu referieren.<br />
Bestünde zwischen einem Paar ein sog. „leeres Beziehungskonto“,<br />
so gäbe es in dieser Beziehung keine Balance<br />
mehr untereinander. „Die Ampel ist grün.“ Diese an<br />
sich neutrale Information könne im Fall eines leeren Beziehungskontos<br />
für den anderen Partner möglicherweise nach<br />
Kritik klingen, gegen die er sich wehrt: „Glaubst du, ich<br />
hab’ Tomaten auf den Augen?“ Durch fehlende Balance<br />
der Beziehung kommen dann bei leeren Beziehungskonten<br />
Antworten wie diese: „Typisch, dass du das wieder so verstehst.<br />
Du bist wie deine Mutter!“ oder „Immer dasselbe<br />
mit dir! Fahr doch endlich los“. In diesen Fällen fehle bei<br />
den Partnern quasi die Fähigkeit von ihrem Beziehungskonto<br />
auch einmal etwas „abbuchen“ zu können, d. h. Verständnis,<br />
Ruhe und Toleranz dem Partner entgegenzubringen.<br />
Von diesen Eigenschaften sei nichts mehr vorhanden,<br />
so dass auch dem Gegenüber davon nichts zukommen<br />
könne. Die mangelnde Belastbarkeit der Beziehung verursache<br />
dann den Konflikt.<br />
Vereinfacht in den sog. „Vier Seiten einer Botschaft“<br />
(nach Schulz von Thun) führe also die nicht richtig verstandene<br />
neutrale Information zu einem Appell, der die Beziehung<br />
zum anderen stört. Daraus resultiere dann eine Selbstoffenbarung<br />
in Form einer negativen Selbstdarstellung, die<br />
das wahre Ich zum Vorschein bringe. Ein volles Beziehungskonto<br />
zeige allerdings die andere Seite der Medaille.<br />
Hier handele es sich um eine belastbare Beziehung, in der<br />
sich keiner der Partner von etwaigen negativ gefärbten Aussagen<br />
des anderen beeinflussen lässt. Dass dieses Konto<br />
„abbuchbar“ sei, zeige sich in Antworten wie: „Danke.<br />
Gut, dass du es mir sagst.“ Eine solche Beziehung habe<br />
die Fähigkeit, die Nachricht richtig zu decodieren und damit<br />
die Basis für eine konfliktfreie Kommunikation zu schaffen.<br />
Bis dahin noch nicht gelöst war allerdings die Frage,<br />
was man tun könnte, um die Kommunikation zwischen<br />
Frauen und Männern zu verbessern bzw. was man tunlichst<br />
vermeiden sollte. Dazu war wieder die aktive Mithilfe aller<br />
Teilnehmer gefragt. Entscheidende Kommunikationssünden<br />
waren danach: Hysterie, Unsachlichkeit, Schweigen, nicht<br />
zuhören und nicht ausreden lassen und besonders die fehlende<br />
Kompromisslosigkeit. Zu den wichtigsten Kommunikationsfördermitteln<br />
gehörten: Lob, Sachlichkeit, ausreden<br />
lassen und das Zuhören sowie Nachgiebigkeit und die<br />
Liebe bzw. Zuwendung zu dem Partner.<br />
Ein allgemeines Feed-back über den Tag beendete<br />
schließlich das Seminar. Dabei ernteten Dagmar und Reiner<br />
Ponschab viele Lobeshymnen und Anerkennung für die<br />
Auswahl eines solchen von aktiver Beteiligung und Kreativität<br />
bestimmten Themen. Mit dem festen Vorsatz künftig<br />
auf ein volles Beziehungskonto zu achten und der sicheren<br />
Erkenntnis: Männer sind anders. Frauen auch. (John Gray),<br />
verabschiedete man sich voneinander.<br />
Haftpflichtfragen<br />
Rechtsanwältin Michaele Simon-Widmann,<br />
Allianz Versicherungs-AG München<br />
Sonja Meyer, München<br />
Haftungsgefahren in Zusammenhang<br />
mit Entlassungsentschädigungen<br />
Wer heute die Zeitung aufschlägt, findet fast täglich<br />
neue Ankündigungen über einen geplanten Stellenabbau.<br />
Die Diskussion über die neuesten Arbeitslosenzahlen<br />
scheint nicht enden zu wollen. Die Zahl der Arbeitsverhältnisse,<br />
die durch Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung<br />
beendet werden, steigt. Der Ärger und die Enttäuschung<br />
über den Verlust des Arbeitsplatzes wird noch<br />
größer, wenn dann der Fiskus die Hand aufhält und die<br />
Steuerbegünstigung für die Abfindungszahlung versagt.<br />
Nicht selten sucht der Mandant die Schuld hierfür bei seinem<br />
Anwalt. Wie sich im Haftungsfall häufig herausstellt,<br />
ist die Ursache für die Inanspruchnahme des Beraters die<br />
falsche Erwartung des Mandanten, die Abfindungszahlung<br />
sei immer und in jedem Falle steuerfrei. Solche Mißverständnisse<br />
lassen sich vermeiden, wenn der Mandant von<br />
vornherein über die steuerlichen Risiken und Folgen aufgeklärt<br />
wird. Gegebenenfalls sollte dem Mandanten empfohlen<br />
werden, vor Abschluß eines Aufhebungsvertrages<br />
oder eines arbeitsgerichtlichen Vergleiches die steuerliche<br />
Seite durch einen Steuerberater nochmals prüfen zu lassen.<br />
Im letzten Jahr wurden eine Reihe von Urteilen der Finanzgerichte<br />
und des BFH veröffentlicht, die sich mit der<br />
Steuerbarkeit von Entschädigungszahlungen befassen. Anhand<br />
dieser Rechtsprechung sollen einige Problempunkte<br />
angesprochen werden, auf die der Anwalt seinen Mandanten<br />
aufmerksam machen sollte, um das eigene Haftungsrisiko<br />
zu vermindern.<br />
Ein Mißverständnis kann sich bereits daraus ergeben,<br />
daß zwar im Abfindungsvergleich die Zahlung als Entschä-
50<br />
l<br />
digung für den Verlust des Arbeitsplatzes bezeichnet wird,<br />
das Finanzamt die Steuervergünstigung dennoch versagt.<br />
Die Mandanten haben oft die Vorstellung, daß diese Formulierung<br />
ausreichen müßte, um die Steuervergünstigung zu<br />
erhalten. Allein die Bezeichnung in einem Abfindungsvergleich<br />
ist für die steuerliche Bewertung nicht maßgeblich.<br />
Es muß sich vielmehr um eine Entschädigungszahlung anläßlich<br />
der Auflösung des Dienstverhältnisses handeln, die<br />
auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruht<br />
und die dem Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum<br />
zusammengeballt zugeflossen ist.<br />
Begriff der Entschädigung i. S.von § 24 Nr. 1 a EStG<br />
Der Begriff der Entschädigung ist im Gesetz nicht umschrieben,<br />
setzt nach der Rechtsprechung aber voraus, dass<br />
die Leistung als Ersatz für entgangene oder entgehende<br />
Einnahmen geleistet wird oder an deren Stelle tritt (BFH,<br />
BFH-NV 1987, 574; BFH-NV 1994, 23; BFH-NV 2001,<br />
26). Zahlungen, die nicht für weggefallene oder wegfallende<br />
Einnahmen erbracht werden, sondern bürgerlichrechtliche<br />
Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses<br />
sind, die sich der Arbeitnehmer also bereits verdient hat,<br />
zählen nicht zu den Entschädigungen. Die Entschädigungsleistung<br />
muss auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage<br />
beruhen.<br />
Neue Rechts- und Billigkeitsgrundlage<br />
Allein der Umstand, daß ein Betrag ausgehandelt und<br />
das Gesamtergebnis als eine neue vertragliche Vereinbarung<br />
formuliert wird, macht diese Vereinbarung noch<br />
nicht zu einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage. Entscheidend<br />
ist, aufgrund welcher Erwägungen die Abfindung<br />
von den Verhandlungspartnern bestimmt wurde und ob eine<br />
neue Rechtsgrundlage etwa in Form einer Vertragsveränderung<br />
geschaffen wurde (BFH, BFH-NV 2001, 26<br />
m. w. N.; BFH-NV 1994, 23). Ansprüche aus früheren Vertragsverhältnissen<br />
werden nicht allein durch die Zusammenfassung<br />
mit Ersatzleistungen zu steuerbegünstigten<br />
Entschädigungszahlungen.<br />
Eine bereits im Anstellungsvertrag oder in einer Nachtragsvereinbarung<br />
für den Fall der Kündigung geregelte<br />
Abfindungsvereinbarung schließt die Steuerbegünstigung<br />
nicht notwendig aus (Finanzgericht Köln, DStRE 2002,<br />
1245). Ein zeitliches Moment wohnt dem Entschädigungsberiff<br />
nicht inne (BFH, Urteil vom 6.2.1987, VI R 229/83).<br />
Entscheidend ist nur, dass der Entschädigungsanspruch erst<br />
als Folge einer vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses<br />
entsteht (BNF-Schreiben vom 18.12.1998, BStBl I<br />
1998, 1512).<br />
Eine tarifbegünstigt zu versteuernde Entschädigungsleistung<br />
liegt nicht vor, wenn vertragliche Ansprüche bestehen<br />
bleiben und sich nur die Auszahlungsmodalitäten ändern<br />
(BFH BFHE 172, 338, BStBl II 1994, 167; BFHE 172, 349;<br />
BFH-NV 2000, 712). Zu denken ist hier besonders an die<br />
Fälle der Pensionszusagen. Soweit Pensions- oder Versorgungsansprüche,<br />
die auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
weiterbestanden hätten, durch Zahlung eines Abfindungsbetrages<br />
abgegolten werden, liegt lediglich eine<br />
Änderung der Zahlungsmodalitäten vor, eine neue Rechtsgrundlage<br />
für den Versorgungsanspruch wird dadurch nicht<br />
geschaffen (BFH, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703;<br />
BFH-NV 2002, 1080).<br />
AnwBl 1/2003<br />
Mitteilungen<br />
Auflösung des Dienstverhältnisses<br />
Die Beurteilung des einem Arbeitnehmer geleisteten Ersatzes<br />
für entgangene oder entgehende Einnahmen als Entschädigung<br />
i. S. der §§ 24 Nr. 1 a, 34 Abs. 1 und 2 EStG<br />
setzt voraus, dass das zugrundeliegende Arbeitsverhältnis<br />
beendet wird (BFH HFR 2002, 302). Man sollte annehmen,<br />
daß dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.<br />
Streitfragen können sich jedoch in Zusammenhang mit einer<br />
Betriebsveräußerung oder einem befristeten Arbeitsverhältnis<br />
ergeben.<br />
In dem oben zitierten Fall war der Betrieb der D-GmbH<br />
auf die neu gegründete P-GmbH übergegangen. Die Mitarbeiter<br />
hatten die Wahl zwischen dem Widerspruch gegen<br />
den Betriebsübergang und der nachfolgenden Kündigung<br />
oder der Zustimmung und Übernahme durch die neu<br />
gegründete P-GmbH. Für die Mitarbeiter, die nicht widersprachen,<br />
stellte die D-GmbH der P-GmbH einen Betrag<br />
von 10.000 DM zur Verfügung. Der BFH hat eine steuerbegünstigte<br />
Entschädigungszahlung verneint, da der Betriebsübergang<br />
nach § 613 a BGB nicht zur endgültigen Beendigung<br />
des bestehenden Arbeitsverhältnisses führt.<br />
Das hessische Finanzgericht (DStRE 2002, 729, Revision<br />
eingelegt BFH XI R 50/01) hat die Steuerfreiheit von<br />
Abfindungen an Vorruheständler bei formalem Fortbestehen<br />
des Dienstverhältnisses abgelehnt. Eine vollständige und<br />
bedingungslose Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde<br />
verneint, weil bei der vorzeitigen Beurlaubung zwar die Bestimmungen<br />
des einschlägigen Tarifvertrages zu vorgezogenen<br />
freiwilligen Pensionierungen zugrundegelegt wurden,<br />
aber, um Nachteile im Hinblick auf die Zusatzversorgungskasse<br />
zu vermeiden, vereinbart wurde, dass das Arbeitsverhältnis<br />
nicht beendet ist. Es nützte auch nichts, dass der<br />
vereinbarte Fortbestand des Dienstverhältnisses mit einem<br />
Ausschluß der Arbeitswiederaufnahme verbunden war.<br />
Wenn ein befristeter Arbeitsvertrag nach der darin bestimmten<br />
Zeit abläuft und nicht verlängert wird, ist die Voraussetzung<br />
der Auflösung des Dienstverhältnisses nicht<br />
erfüllt. Bei bloßem Zeitablauf handelt es sich nicht um eine<br />
vom Arbeitgeber veranlaßte Beendigung des Dienstverhältnisses<br />
(BFH DStR 1991, 1585; DStR 1980, 510).<br />
In einem vom Finanzgericht Hamburg (DStRE 2002,<br />
1001, Revision eingelegt BFH XI R 9/02) entschiedenen<br />
Fall war strittig, ob der befristete Arbeitsvertrag durch<br />
mündliche Vereinbarung bereits vor Ablauf der Befristung<br />
verlängert worden war. Nach Überzeugung des Gerichts<br />
konnte dieser Nachweis durch die Beweisaufnahme nicht<br />
erbracht werden. Auch in diesem Fall genügte es nicht,<br />
dass die Zahlung als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes<br />
bezeichnet wurde.<br />
Sofern der Arbeitnehmer selbst bei dem zum Einnahmeausfall<br />
führenden Ereignis mitgewirkt hat, z. B. durch einen<br />
Aufhebungsvertrag, wird von der Rechtsprechung verlangt,<br />
dass er unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen<br />
oder tatsächlichen Druck gehandelt hat. Das ist<br />
anzunehmen, wenn der Aufhebungsvertrag geschlossen<br />
wurde, um einer sonst mit Sicherheit zu erwartenden Kündigung<br />
zuvorzukommen und die Vereinbarung daher nur formale<br />
Bedeutung hat oder wenn dem Arbeitnehmer nicht<br />
mehr zumutbar ist, bei der gegebenen Situation das Arbeitsverhältnis<br />
fortzusetzen. An der erforderlichen Zwangslage<br />
fehlt es jedoch, wenn der Steuerpflichtige freiwillig eine Ursachenkette<br />
in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum<br />
mehr beläßt. Die Entwicklung der Ursachenkette<br />
muss sich allerdings in einem überschaubaren
AnwBl 1/2003 51<br />
Mitteilungen l<br />
Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige<br />
nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung<br />
lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang<br />
und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 a EStG<br />
relevante Zwangslage herbeiführen.<br />
Die Finanzgerichte und der BFH haben sich mehrfach<br />
mit diesem Problem in Zusammenhang mit der Abfindung<br />
von Pensionsansprüchen eines Allein- oder Mehrheitsgesellschaftergeschäftsführers<br />
einer Kapitalgesellschaft beschäftigt.<br />
Wegen der wirtschaftlichen Identität von Gesellschaft<br />
und Gesellschafter sind die Gerichte äußerst<br />
zurückhaltend mit der Annahme einer notwendigen<br />
Zwangslage. In den Fällen des Anteilsverkaufs (Finanzgericht<br />
Düsseldorf, DStRE 2000, 1143, Revision eingelegt<br />
BFH XI R 38/00; Finanzgericht Köln, EFG 2002, 682, Revision<br />
eingelegt XI R 4/02) und auch der Liquidation der<br />
Gesellschaft (Finanzgericht München, EFG 2002, 196, Revision<br />
eingelegt BFH XI R 53/01) wurde das Vorliegen einer<br />
notwendigen Zwangslage verneint, da die Veräußerung<br />
der Gesellschaftsanteile in der freien Entscheidung des Gesellschafter-Geschäftsführers<br />
lag und die Gesellschaft mit<br />
ruhendem Geschäftsbetrieb zur Abwicklung der zugesagten<br />
Versorgungsansprüche hätte weiterbetrieben werden können,<br />
so dass keine zwingende Notwendigkeit für eine Liquidation<br />
bestand. Der BFH hat festgestellt, dass bei einem<br />
Verkauf aus Altersgründen der Gesellschafter-Geschäftsführer<br />
nicht damit zu rechnen braucht, dass ein solcher nur bei<br />
gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen<br />
Abfindungsleistung möglich ist. Eine Zwangslage kann daher<br />
vorliegen, wenn im Rahmen von Verkaufsverhandlungen über<br />
die GmbH-Anteile von dritter Seite der Verzicht auf die Pensionsansprüche<br />
erzwungen wird (BFH, DStRE 2002, 497).<br />
Eine Entschädigungszahlung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses<br />
wegen Übernahme eines Regierungsbeamten<br />
hat der BFH (BFH-NV 2002, 1080) als tarifbegünstigt<br />
angesehen. Die Kandidatur für ein politisches Amt ist<br />
nach Auffassung des BFH nicht das schadenstiftende Ereignis,<br />
sondern lediglich das Motiv des Arbeitgebers für<br />
die Auflösung des Vertragsverhältnisses. Das schadenstiftende<br />
Ereignis hat nach Ansicht des Gerichts der Aufsrichtsratvorsitzende<br />
verursacht, da dieser eine Fortsetzung<br />
des Dienstverhältnisses für nicht vertretbar hielt, während<br />
jedoch theoretisch die Möglichkeit bestanden hätte, das<br />
Dienstverhältnis ruhen zu lassen.<br />
Zusammenballung von Einkünften<br />
Die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen bedingt oft,<br />
dass die Abfindungszahlung nicht auf einmal ausgezahlt<br />
werden kann. Bei derartigen Vereinbarungen ist absolute<br />
Vorsicht geboten, da die Rechtsprechung nur in eng begrenzten<br />
Ausnahmefällen bei einer Verteilung der Entschädigungszahlung<br />
auf verschiedene Veranlagungszeiträume<br />
die Steuervergünstigung zulässt.<br />
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind außerordentliche<br />
Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nur<br />
dann gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem<br />
Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die<br />
Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen<br />
entstehen. Die ermäßigte Besteuerung bezweckt,<br />
Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung<br />
ergeben. Dementsprechend sind Einkünfte i. S.<br />
von § 24 Nr. 1 a EStG nur dann außerordentliche Einkünfte,<br />
wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende<br />
Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf über mehrere<br />
Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag bezahlt<br />
werden (BFH, BFH-NV 1992, 102; DStR 1993, 795; BFH-<br />
NV 2001, 431; BFH-NV 1991, 88; DStR 1996, 1004;<br />
DStR 1998, 929). Bei einer Entschädigungszahlung, die<br />
sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, ist<br />
eine Zusammenballung von Einkünften nicht gegeben, weshalb<br />
eine Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht in<br />
Betracht kommt.<br />
Eine Ausnahme ist nach der Rechtsprechung dann gegeben,<br />
wenn die Zahlung der Entschädigung urspünglich in<br />
einer Summe vorgesehen war, und nur wegen der ungewöhnlichen<br />
Höhe und der besonderen Verhältnisse des<br />
Zahlungsverpflichteten auf zwei Jahre verteilt wird ( RFH<br />
RStBl 1941,442) oder wenn der Entschädigungsempfänger<br />
über keinerlei Geldmittel verfügt und zur Sicherung seiner<br />
Existenz auf eine Vorauszahlung angewiesen ist (BFH<br />
BFHE 64,271, BStBl III 19, 104).Unschädlich sind Teilzahlungen<br />
in einem Veranlagungszeitraum. Eine Ausnahme besteht<br />
auch dann, wenn die Abfindungszahlung die Freibeträge<br />
nach § 3 Nr. 9 EStG nicht überschreitet.<br />
Um die Höhe der Abfindungszahlung zu vermindern, erklären<br />
sich viele Arbeitgeber bereit, zusätzliche Leistungen,<br />
die nicht sofort fällig sind, zu erbringen. In letzter Zeit<br />
haben sich die Finanzgerichte und der BFH häufiger mit<br />
der Frage befaßt, inwieweit Zusatzleistungen, die zu einem<br />
späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden, eine Steuerschädlichkeit<br />
der Entlassungsentschädigung zur Folge haben.<br />
Der BFH (DStR 2002, 257) lässt eine Ausnahme von dem<br />
Grundsatz, daß die Entlassungsentschädigung in einem Veranlagungszeitraum<br />
zufließen muss, in den Fällen zu, in denen<br />
aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse<br />
Übergangszeit Entschädigungsleistungen gewährt werden.<br />
Das sind beispielsweise solche Leistungen, die der frühere<br />
Arbeitgeber dem Steuerpflichtigen zur Erleichterung des<br />
Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an<br />
eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt.<br />
Wie der BFH (Urteil vom 3.7.2002, XI R 80/00)<br />
weiter klargestellt hat, setzen diese Zusatzleistungen keine<br />
Bedürftigkeit des Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge<br />
ist allgemein i. S. der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen<br />
früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber<br />
zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich.<br />
Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der<br />
einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die<br />
Beurteilung der Hauptleistung als eine zusammengeballte<br />
Entschädigung. Die einheitliche Entschädigung ist nur einmal<br />
ermäßigt zu besteuern.<br />
Die Unbeachtlichkeit von ergänzenden Zusatzleistungen<br />
beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34<br />
EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit<br />
(BVerfG, BVerfGE 67, 157; BVerfGE 80,103;<br />
BFH, BStBl II 2000, 229). Dieser Grundsatz enthält neben<br />
den Elementen der Eignung und der Erforderlichkeit auch<br />
das Element der Angemessenheit. § 34 EStG bezweckt, die<br />
sich aus dem zusammengeballten Zufluß von Einnahmen<br />
durch den progressiv gestalteten Steuertarif ergebenden<br />
Härten zu mildern; dabei sind grundsätzlich alle Zahlungen<br />
zu berücksichtigen. Es ist nach Auffassung des BFH unangemessen,<br />
ergänzende Zusatzleistungen, die in anderen Veranlagungszeiträumen<br />
erbracht werden, als schädlich zu beurteilen,<br />
wenn sie der sozialen Fürsorge entspringen; die<br />
Zusammenballung der Hauptleistung wird durch diese Art<br />
von ergänzenden Zusatzleistungen nicht in Frage gestellt.<br />
Es verstößt gegen das Übermaßverbot, wenn allein aufgrund<br />
einer ergänzenden Zusatzleistung, die aus dem Ge-
52<br />
l<br />
danken der sozialen Fürsorge erbracht wird und die in manchen<br />
Fällen nicht einmal die Höhe des Steuervorteils erreicht,<br />
die Steuerbegünstigung der Hauptleistung verhindert<br />
wird. Weder ist die Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers<br />
noch die nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers<br />
im arbeitsrechtlichen Sinne Voraussetzung für<br />
die Beurteilung der Zusatzleistung als steuerunschädlich<br />
(BFH, Urteil vom 3.7.2002, XI R 80/00).<br />
In dem vom BFH (DStR 2002, 257) entschiedenen Fall<br />
war der Arbeitgeber bereit, eine Outplacement-Beratung<br />
bis zu einem Wert von 50.000 DM incl. Mehrwertsteuer zu<br />
übernehmen. Das Gericht ist der Auffassung, dass es für<br />
die Frage der Begünstigung darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer<br />
tatsächlich die Outplacement-Beratung in Anspruch<br />
genommen hat oder ob der hierfür vorgesehene Betrag<br />
ausgezahlt wurde. Die Übernahme der Kosten ist eine<br />
sozial motivierte Zusatzleistung und damit unschädlich.<br />
Wurde dagegen der Betrag ausgezahlt und für nicht sozial<br />
motivierte Zwecke verwendet, so ist die Entschädigungszahlung<br />
auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt worden.<br />
Eine Zusammenballung der Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum<br />
liegt dann nicht vor.<br />
Die Tarifbegünstigung hat der BFH (BFH-NV 2002,<br />
717) auch in dem Fall angenommen, in dem der Arbeitgeber<br />
neben einer einmaligen Abfindung eine Jubiläumsgabe<br />
und zur Überbrückung der Arbeitslosigkeit eine monatliche<br />
Ausgleichszahlung leistete, obwohl diese<br />
Zahlungen in einem späteren Veranlagungszeitraum erfolgten.<br />
Auch hier wäre es unangemessen, die aus Fürsorgegesichtspunkten<br />
für eine Übergangszeit erbrachten Zusatzleistungen<br />
als schädlich zu beurteilen. Die Unangemessenheit<br />
wird besonders deutlich, wenn die in einem späteren Veranlagungszeitraum<br />
zugeflossenen Leistungen niedriger sind<br />
als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung.<br />
Zur Höhe der steuerunschädlichen Zusatzleistung hat<br />
sich der BFH ebenfalls geäußert (BFH-NV 2002, 715 =<br />
HFR 2002, 500). Danach muß die Zusatzleistung betragsmäßig<br />
lediglich einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung<br />
bilden, darf diese also bei weitem nicht erreichen. In<br />
dem entschiedenen Fall erhielt der Arbeitnehmer eine Versorgungsgarantie<br />
in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes<br />
des letzten Bruttogehaltes sowie Zahlungen für die Lebensversicherung;<br />
betragsmäßig erreichten die Zusatzleistungen<br />
die gleiche Größenordnung wie die Abfindung selbst.<br />
Erfreulich ist auch die Entscheidung des BFH (Urteil<br />
vom 3.7.2002, XI R 80/00) zur Überlassung des Dienstwagens<br />
für eine bestimmte Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />
In diesem Fall war dem Arbeitnehmer<br />
der Firmenwagen noch für 15 Monate überlassen worden.<br />
Der Arbeitgeber hatte sich verpflichtet, die Leasingraten<br />
sowie die Steuer und Versicherung des Pkw zu tragen. Der<br />
sich daraus ergebende geldwerte Vorteil bildet nach Auffassung<br />
des Gerichts zusammen mit der Abfindungszahlung<br />
eine als einheitlich zu beurteilende Entschädigung. Bei der<br />
zeitlich befristeten kostenlosen Überlassung des bereits<br />
während des Anstellungsverhältnisses privat genutzten<br />
Pkw’s handelt es sich um eine nicht unübliche Entschädigungszusatzleistung,<br />
mit der für eine Übergangsfrist dem<br />
Arbeitnehmer die Vorteile bleiben sollen, die mit der bisherigen<br />
Tätigkeit verbunden waren. Auch wenn hierfür keine<br />
Verpflichtung des Arbeitgebers aus nachvertraglicher<br />
Fürsorgepflicht im arbeitsrechtlichen Sinne besteht, so dient<br />
die Leistung doch dem Zweck, die Härten des Arbeitsplatzverlustes<br />
abzumildern; sie beruht damit auf sozialen Gründen<br />
im weiteren Sinne und dient der Erleichterung der mit<br />
dem Arbeitsplatzverlust typischerweise verbundenen Anpassungsschwierigkeiten.<br />
Steuerliche Behandlung<br />
Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, so ist<br />
nach § 3 Nr. 9 EStG derzeit ein Betrag von 8.181 EUR steuerfrei.<br />
Dieser Betrag erhöht sich auf 10.226 EUR, wenn der<br />
Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet hat und die<br />
Dienstzeit mindestens 15 Jahre betrug. Nach Vollendung des<br />
55. Lebensjahres und einer Dienstzeit von mindestens 20<br />
Jahren beträgt der Freibetrag 12.271 EUR. Bis zum Erreichen<br />
des Höchstbetrages sind die Abfindungszahlungen,<br />
auch wenn sie in Teilbeträgen ausgezahlt werden, steuerfrei.<br />
Der darüber hinausgehende steuerpflichtige Teil der Abfindung<br />
unterliegt der begünstigten Besteuerung nach § 24<br />
Nr. 1 a EStG in Verbindung mit § 34 Abs. 1 und 2 EStG.<br />
Nach § 34 Abs. 1 EStG ist auf unwiderruflichen Antrag die<br />
auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen<br />
Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen<br />
2 bis 4 zu berechnen. Die Berechnung der Steuer erfolgt<br />
nach der sog. 1/5-Regelung in drei Schritten.<br />
Zunächst wird die Einkommensteuer für das Einkommen<br />
ohne die außerordentlichen Einkünfte nach der Grund- oder<br />
Splittingtabelle ermittelt. Sodann wird die Einkommensteuer<br />
ohne die außerordentlichen Einkünfte zuzüglich 1/5<br />
der außerordentlichen Einkünfte ermittelt. Schließlich werden<br />
beide Einkommensteuerbeträge einander gegenübergestellt<br />
und die Differenz mit dem Faktor 5 multipliziert. Der<br />
so ermittelte Betrag wird der Einkommensteuer für das verbleibende<br />
Einkommen hinzugerechnet.<br />
Durch diese Regelung tendiert bei höheren Einkünften,<br />
wegen der dort geringen oder nicht mehr vorhandenen Progression,<br />
die Steuervergünstigung gegen null.<br />
Buchhinweis<br />
AnwBl 1/2003<br />
Mitteilungen<br />
Römermann/van der Moolen, Rabatte und Zugaben in der anwaltlichen<br />
Beratung; Deutscher Anwaltsverlag Bonn, 1. Aufl.<br />
2002, 295 S., brosch. 40 E; ISBN 3-8240-0501-8<br />
Neue Werbemöglichkeiten für den Handel. Was gilt beim Einsatz<br />
von Kopplungsgeschäften, Preisnachlässen, Gratis- und Probegaben?<br />
Welchen Spielraum gibt es in der Preisgestaltung? Was muss<br />
man beim Aufbau eines Kundenbindungssystems beachten? Nach<br />
dem Wegfall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung herrscht im<br />
Handel Orientierungslosigkeit. Welche Gesetze sind in Zukunft zu<br />
beachten? Wie können Unternehmen die neuen Freiräume für sich<br />
nutzen? Seien Sie auf diesen Beratungsbedarf vorbereitet! Die Autoren<br />
geben einen Ausblick auf die neue Rechtslage und einen<br />
Überblick über die relevanten Normen des Wettbewerbsrechts. Sie<br />
stellen einzelne, für die Werbung besonders relevante Problemfelder<br />
heraus, z. B. Bonusmeilen, Kundenkarten, Gewinnspiele,<br />
Mobiltelefone, Rückgaberechte. Die Autoren greifen aktuelle Tendenzen<br />
in der Rechtsprechung auf und geben Hinweise für die konkrete<br />
Werbegestaltung.<br />
Aus dem Inhalt: Erläuterung relevanter Vorschriften des UWG, der<br />
Preisangabenverordnung, des deutschen und europäischen Kartellrechts<br />
Darstellung zulässiger Werbemaßnahmen Möglichkeiten des<br />
e-Commerce Internetwerbung: Powershopping, Internetauktionen<br />
oder Werbung per E-Mail Werbung im europäischen Ausland und<br />
europarechtliche Einflüsse Vorgehen gegen Urteile, Beschlüsse und<br />
Unterwerfungsverträge, die noch auf der alten Rechtslage beruhen<br />
prozessuale Besonderheiten des Verfügungsverfahrens.
AnwBl 1/2003 53<br />
7<br />
Berufsrecht<br />
GG Art. 12; BRAO § 171<br />
§ 171 BRAO, der für die Rechtsanwälte eine ausschließliche Zulassung<br />
bei dem Bundesgerichtshof vorsieht, ist mit dem Grundgesetz<br />
vereinbar. (LS der Redaktion)<br />
BVerfG, Erster Senat, Beschl. v. 31.10.2002 – 1 BvR 819/02<br />
Aus den Gründen: A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die<br />
Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof sowie<br />
das Wahlverfahren zum Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof.<br />
I. Der Beschwerdeführer ist als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht<br />
Hamm zugelassen und übt zudem den Beruf des Notars<br />
aus. Beim Bundesministerium der Justiz beantragte er, ihn – unter<br />
Beibehaltung seiner bisherigen Zulassung – als Rechtsanwalt bei<br />
dem Bundesgerichtshof in Zivilsachen zuzulassen. Der Antrag<br />
wurde abgelehnt. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer Antrag<br />
auf gerichtliche Entscheidung, der durch Beschluss des Bundesgerichtshofs<br />
zurückgewiesen wurde (BGH, NJW 2002, S. 1725):<br />
Es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber<br />
den bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälten eine<br />
weitere Zulassung bei anderen Gerichten verwehre (Singularzulassung);<br />
auf die Einzelheiten des Auswahlverfahrens für eine Singularzulassung<br />
komme es nicht an, weil der Beschwerdeführer diese<br />
nicht erstrebe.<br />
II. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer<br />
die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1<br />
GG durch die genannten Entscheidungen.<br />
Die Vorschriften über die Singularzulassung als Rechtsanwalt<br />
bei dem Bundesgerichtshof in §§ 171, 172 der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
(im Folgenden: BRAO) und die vorgelagerte Wahl<br />
sowie die hierfür geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 164 bis<br />
169 BRAO stellten eine einheitliche Regelung dar, die in dem angegriffenen<br />
Beschluss des Bundesgerichtshofs bei der Prüfung der<br />
Verfassungsmäßigkeit der Singularzulassung unzulässig aufgespalten<br />
worden sei. Mit der Verweigerung der Zulassung werde in seine<br />
Freiheit der Berufswahl eingegriffen, da die Tätigkeit als Rechtsanwalt<br />
bei dem Bundesgerichtshof ein eigenständiger Beruf sei. Die<br />
Singularzulassung könne nicht mit Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt<br />
werden; sie sei willkürlich. Bei keinem anderen obersten<br />
Bundesgericht bestehe eine spezialisierte Anwaltschaft. Auch<br />
mit der historischen Entwicklung lasse sie sich nicht erklären. Der<br />
historische Gesetzgeber habe sich bei einem damals wesentlich geringeren<br />
Verfahrensanfall entschlossen, für die Revision in Zivilsachen<br />
die Postulationsfähigkeit zu beschränken. Dann überzeuge<br />
aber die nunmehr vorgebrachte Begründung nicht, dass wegen der<br />
geringeren Fallzahlen bei den anderen obersten Bundesgerichten<br />
eine solche Anwaltschaft wirtschaftlich nicht tragfähig sei.<br />
Im Hinblick auf die modernen Telekommunikationsmittel und<br />
elektronischen Medien sowie angesichts der gestiegenen Mobilität<br />
treffe auch die Überlegung der vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />
zwischen Gericht und örtlich niedergelassenen Rechtsanwalt nicht<br />
mehr zu. Das „Vier-Augen-Prinzip“ als Mittel zur Verbesserung<br />
der Rechtspflege könne die Singularzulassung ebenfalls nicht<br />
rechtfertigen. Es sei statistisch nicht belegt, dass der Anwaltschaft<br />
beim Bundesgerichtshof wegen ihrer besonderen Qualifikation eine<br />
„Filterfunktion“ zukomme. Schließlich verliere das zur Rechtfertigung<br />
der Singularzulassung bemühte Argument der besonderen<br />
Schwierigkeit des Revisionsrechts in Zivilsachen zunehmend an<br />
Bedeutung, weil durch die Reform der Zivilprozessordnung das<br />
Revisionsrecht den Verfahrensordnungen in den anderen Gerichtszweigen<br />
angepasst worden sei.<br />
Bei der Verabschiedung der Bundesrechtsanwaltsordnung 1959<br />
sei der Gesetzgeber vom Berufsbild des nicht spezialisierten Einzelanwalts<br />
ausgegangen, während heute Sozietäten und Fachanwälte<br />
das Bild der Anwaltschaft prägten; die Spezialisierung<br />
finde mittlerweile außerhalb der Singularzulassung statt. Zudem sei<br />
als milderes Mittel zwischenzeitlich der Bearbeiterwechsel in § 27<br />
l<br />
Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte<br />
in Deutschland (EuRAG) eingeführt worden.<br />
Die in den §§ 164 ff. BRAO getroffenen Regelungen über das<br />
Wahlverfahren verstießen ebenfalls gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie<br />
seien nicht geeignet, eine qualifizierte Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof<br />
zu gewährleisten und verfehlten damit den beabsichtigten<br />
Zweck.<br />
B. Die Voraussetzungen, von denen nach § 93 a Abs. 2<br />
BVerfGG die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung<br />
abhängt, liegen nicht vor.<br />
I.1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche<br />
Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).<br />
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt,<br />
dass die anwaltliche Berufsausübung durch den Grundsatz<br />
der freien Advokatur gekennzeichnet ist, der einer staatlichen Kontrolle<br />
und Bevormundung grundsätzlich entgegensteht (vgl.<br />
BVerfGE 50, 16 [29]; 76, 171 [183]). Ferner ist entschieden, unter<br />
welchen Voraussetzungen gesetzliche Regelungen der Berufsausübung<br />
zulässig sind (vgl. BVerfGE 93, 362 [369]; 103, 1 [10]).<br />
2. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten<br />
des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe<br />
b BVerfGG). Der Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers<br />
verletzt ihn nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12<br />
Abs. 1 GG.<br />
a) Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist berührt. Durch<br />
die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegende<br />
gesetzliche Regelung in § 171 BRAO wird die Freiheit der Berufsausübung<br />
des Beschwerdeführers beschränkt, da es ihm nicht<br />
ermöglicht wird, neben seiner bisherigen Berufstätigkeit nach einer<br />
Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof seine Mandanten<br />
in Zivilverfahren auch in der Revisionsinstanz zu vertreten.<br />
Ob von der angegriffenen Regelung ein Eingriff in die Freiheit der<br />
Berufswahl ausgehen kann (vgl. hierzu BVerfGE 33, 125 [161]),<br />
weil sich ein Rechtsanwalt entscheiden muss, ob er sich darauf beschränken<br />
will, bei dem Bundesgerichtshof und den sonstigen in<br />
§ 172 Abs. 1 BRAO Genannten Gerichten aufzutreten, oder ob er<br />
bei allen Gerichten mit Ausnahme des Bundesgerichtshofs postulationsfähig<br />
sein will, kann hier dahinstehen. Unter dem Blickwinkel<br />
des gestellten Antrages greifen die Entscheidungen und die zugrunde<br />
liegenden Normen allerdings nur in die Berufsausübungsfreiheit<br />
ein; sie betreffen einen dem Beschwerdeführer verschlossenen<br />
Teil seiner beruflichen Betätigung als Rechtsanwalt. Ihm<br />
wird eine Erweiterung seines bisherigen Tätigkeitsfeldes verwehrt<br />
(vgl. BVerfGE 103, 1 [9 f.]).<br />
b) Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung<br />
sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch<br />
hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Die aus<br />
Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des<br />
Grundrechts stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl.<br />
BVerfGE 19, 330 [336 f.]; 54, 301 [313]). Eingriffe in die Berufsfreiheit<br />
dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden<br />
Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 101, 331<br />
[347]). Eine sowohl den Freiheitsanspruch des Berufstätigen wie<br />
die öffentlichen Belange berücksichtigende Lösung kann nur in<br />
Abwägung der Bedeutung der einander gegenüberstehenden und<br />
möglicherweise einander widerstreitenden Interessen gefunden<br />
werden (vgl. BVerfGE 7, 377 [404f.]). Diese verfassungsgerichtlich<br />
entwickelten Maßstäbe hat der Bundesgerichtshof bei Auslegung<br />
und Anwendung des Gesetzes beachtet.<br />
c) Sein Ergebnis, dass § 171 BRAO mit dem Grundgesetz vereinbar<br />
ist, lässt derzeit keine Fehler erkennen, die auf einer grundsätzlich<br />
unrichtigen Anschauung vom Umfang des Schutzbereichs<br />
von Art. 12 Abs. 1 GG beruhen (vgl. BVerfGE 85, 248 [257 f.]).<br />
Nach der Argumentation des Bundesgerichtshofs wird die Singularzulassung<br />
durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt;<br />
die gewählten Mittel sind zur Erreichung des verfolgten<br />
Zwecks geeignet und erforderlich und stellen sich bei einer Gesamtabwägung<br />
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht<br />
der ihn rechtfertigenden Gründe insgesamt noch als ange-
54<br />
l<br />
messen dar. Angesichts der inzwischen eingetretenen Änderungen<br />
der Zivilprozessordnung, die nach dem derzeitigen Erkenntnisstand<br />
noch keine Prognose über die zukünftige Entwicklung des Revisionsverfahrens<br />
zulassen, hat sich der Bundesgerichtshof insoweit zu<br />
Recht auf die bisherigen Erkenntnisse gestützt, insbesondere diejenigen<br />
der vom Bundesministerium der Justiz eingesetzten Kommission,<br />
die 1998 ihre Vorschläge zur Neuregelung des Rechts der<br />
Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat (aa).<br />
Dem steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom<br />
13. Dezember 2000 zu § 25 BRAO (BVerfGE 103, 1) nicht entgegen<br />
(bb).<br />
aa) § 171 BRAO dient nach der Absicht des Gesetzgebers überkommenen<br />
legitimen Gemeinwohlinteressen (vgl. BTDrucks 3/120,<br />
S. 111). Er bezweckt eine Stärkung der Rechtspflege durch eine leistungsfähige<br />
und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft.<br />
Nach den verfügbaren statistischen Unterlagen, die im Bericht<br />
der Kommission 1998 ausgewertet worden sind, sowie den<br />
vom Bundesgerichtshof herangezogenen Veröffentlichungen sind<br />
mit der Singularzulassung Vorteile für die Rechtsuchenden und das<br />
Revisionsgericht verbunden. Die Rechtsuchenden werden kompetent<br />
beraten und können im Vorfeld von aussichtslosen Rechtsmitteln<br />
Abstand nehmen, was ihnen Kosten erspart. Zugleich wird der Bundesgerichtshof<br />
von unzulässigen Rechtsmitteln entlastet.<br />
Obwohl bei den anderen obersten Bundesgerichten gleich<br />
starke Gemeinwohlinteressen ins Feld geführt werden könnten, hat<br />
der Gesetzgeber bei diesen von einer singular zugelassenen Anwaltschaft<br />
mit nachvollziehbarer Begründung abgesehen. Das stellt<br />
indessen die Gemeinwohlbelange nicht in Frage, Nach den gegenwärtigen<br />
Fallzahlen wäre nach der Einschätzung der Kommission,<br />
die sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht hat, eine Spezialisierung<br />
bei andeen obersten Bundesgerichten – auch für solche<br />
Rechtsanwälte, die im jeweiligen Bereich als Fachanwälte tätig<br />
sind – wirtschaftlich nicht tragbar. Diese Annahme wird entgegen<br />
der Auffassung des Beschwerdeführers weder mit dem Zahlenwerk<br />
wiederlegt, das zu Zeiten des Reichsgerichts das Maß der bei den<br />
Anwälten anfallenden Arbeit (und damit das Einkommen) bestimmte,<br />
noch mit dem Arbeitsanfall, der nach der am 1. Januar<br />
2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreform (Gesetz vom 27. Juli<br />
2001 ) zu erwarten ist.<br />
Auch die vom Beschwerdeführer genannten Zahlen entkräften<br />
das vom Bundesgerichtshof verwertete statistische Material nicht.<br />
Wenn der Beschwerdeführer den 4.265 Revisionen, die im Jahre<br />
2001 beim Bundesgerichtshof eingegangen sind, beispielsweise einen<br />
Verfahrenseingang beim Bundesgerichtshof im selben Jahr von<br />
2.288 Sachen gegenüberstellt, differenziert er nicht ausreichend.<br />
Beim Bundessozialgericht sind in dem genannten Jahr lediglich<br />
575 Revisionen eingegangen; die restlichen Eingänge entfielen auf<br />
Nichtzulassungsbeschwerden. Die vom Bundesgerichtshof herausgestellten<br />
Unterschiede beruhen deshalb nach wie vor auf tatsächlichen<br />
Gegebenheiten und rechtfertigen die unterschiedlichen Regelungen,<br />
solange der Gesetzgeber davon ausgehen kann, dass in den<br />
anderen Gerichtszweigen eine wirtschaftliche Grundlage für eine<br />
auf das Revisionsrecht spezialisierte Anwaltschaft fehlt.<br />
Es kann auch dahinstehen, ob die in dem angegriffenen Beschluss<br />
erwähnte „Filterfunktion“ durch die beim Bundesgerichtshof<br />
zugelassenen Rechtsanwälte zahlenmäßig genau belegbar ist.<br />
Jedenfalls wird etwa ein Viertel der eingelegten Revisionen wieder<br />
zurückgenommen, und es liegt auf der Hand, dass bei offensichtlich<br />
aussichtslosen Revisionen das Mandat erst gar nicht übernommen<br />
oder vor der Begründung der Revisionen niedergelegt wird,<br />
sofern nicht schon die Einlegung des Rechtsmittels unterbleibt,<br />
was statistisch nicht erfasst werden kann.<br />
Nachvollziehbar hat der Bundesgerichtshof auch hervorgehoben,<br />
dass die europarechtlichen Vorschriften kein milderes Mittel<br />
aufzeigen, das dem Antrag des Beschwerdeführers gerecht werden<br />
könnte. Zwar kann auch ein vorgeschriebener Bearbeiterwechsel<br />
der Rechtspflege förderlich sein und in einem Teilbereich den Zielen<br />
dienen, die mit der angegriffenen Norm des § 171 BRAO umfassender<br />
verfolgt werden. Auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips<br />
durch Bearbeiterwechsel vor Eintritt in die Revisionsinstanz<br />
richtet sich der Antrag des Beschwerdeführers indessen nicht. Er<br />
strebt mit der Simutanzulassung im Gegenteil die durchhgängige<br />
Vertretung eines Mandanten in allen Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit<br />
an.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Rechtsprechung<br />
Angesichts dieses vom Beschwerdeführer vorgegebenen Verfahrensziels<br />
lässt sich die Wertung des Bundesgerichtshofs, die<br />
Einschränkung durch das Verbot der Simultanzulassung bei dem<br />
Bundesgerichtshof sei für einen beim Landgericht und Oberlandesgericht<br />
zugelassenen Rechtsanwalt nur von geringer wirtschaftlicher<br />
Bedeutung, ebenfalls gut nachvollziehen. Wären alle Rechtsanwälte<br />
mit einiger Berufserfahrung berechtigt, ihre Mandanten<br />
vor dem Bundesgerichtshof zu vertreten, würden sich die dort anhängigen<br />
Verfahren auf viele Anwälte verteilen. Der Zuwachs an<br />
Mandaten bliebe gering. Das gilt insbesondere, weil nach bisherigem<br />
Recht die Möglichkeiten der Revision in Zivilsachen eingeschränkt<br />
waren (vgl. § 546 ZPO a. F.), Die Auswirkungen der Zivilprozessreform<br />
auf das Revisionsverfahren, insbesondere der<br />
Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO<br />
n. F., sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Erst<br />
wenn dazu tatsächliche Erfahrungswerte vorliegen, wird sich beurteilen<br />
lassen, ob das Verbot der Simultanzulassung bei dem Bundesgerichtshof<br />
weiterhin mit dem Verfassungsrecht, insbesondere<br />
mit Art. 12 Abs. 1 GG, vereinbar ist.<br />
bb) Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember<br />
2000 (BVerfGE 103, 1) angeführten Argumente zur fehlenden<br />
Eignung und Erforderlichkeit der in § 25 BRAO Getroffenen<br />
Regelung über die Singularzulassung der bei einem Oberlandesgericht<br />
zugelassenen Rechtsanwälte lassen sich nicht ohne weiteres<br />
auf die tatsächlich und rechtlich abweichende Lage der Rechtsanwaltschaft<br />
bei dem Bundesgerichtshof übertragen. Der Bundesgerichtshof<br />
hat sich in seinem hier angegriffenen Beschluss unter<br />
B. II. 2. c der Entscheidungsgründe (BGH, NJW 2002, S. 1725<br />
[1727 f.]) mit dieser Argumentation eingehend und mit zutreffendem<br />
Ergebnis auseinander gesetzt. Vorliegend gibt es keine regionalen<br />
Verschiedenheiten im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit, auf<br />
die das Bundesverfassungsgericht maßgeblich abgestellt hatte<br />
(BVerfGE 103, 1 [17 f.]). Die Unterschiede zwischen den einzelnen<br />
Gerichtszweigen sind in der verfassungsgerichtlichen Argumentation<br />
nicht gegen § 25 BRAO verwendet worden. Auch die Schwächung<br />
des Prinzips der Singularzulassung durch Mischsozietäten<br />
trifft auf die Anwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof nicht zu (vgl.<br />
§ 59 a BRAO einerseits und § 172 a BRAO andererseits). Soweit die<br />
Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zusätzlich darauf abgestellt<br />
hat, das Singularprinzip sei durch die Auflösung der Verknüpfung<br />
von Postulationsfähigkeit und berufsrechtlicher Lokalisation<br />
in § 78 ZPO geschwächt worden, trifft diese Erwägung auf die<br />
Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof ebenfalls nicht zu.<br />
Berufsrechtliche Lokalisation, Postulationsfähigkeit (§ 172 BRAO)<br />
sowie Kanzleisitz (§ 27 BRAO) bilden weiterhin eine Einheit.<br />
Weder aus der Systematik des Gesetzes noch aus der historischen<br />
Entwicklung oder der Umsetzung der Normen in der forensischen<br />
Praxis ergeben sich derzeit Anhaltspunkte dafür, dass die<br />
Singularzulassung nicht mehr als geeignetes und erforderliches<br />
Mittel zugunsten einer qualitativen Verbesserung der Rechtspflege<br />
angesehen werden kann. Ob allerdings die Sicherung der Arbeitsfähigkeit<br />
des Bundesgerichtshofs, die in der angegriffenen Entscheidung<br />
zum Beleg für die Erforderlichkeit der Regelung herangezogen<br />
wird, tragfähig bleibt, wird anhand des neuen<br />
Prozessrechts mit seiner Veränderung von Berufungs- und Revisionsverfahren<br />
im Zivilprozess sowie der Annäherung der Revisionszulassung<br />
vor dem Bundesgerichtshof an die finanz-, sozialund<br />
verwartungsgerichtlichen Verfahren zu beurteilen sein. Die Beschränkungen<br />
der anwaltlichen Tätigkeit sind jedenfalls nicht<br />
schon deswegen erforderlich, weil sie dort, wo sie gelten, von den<br />
Richtern als sachdienlich empfunden werden (vgl. BVerfGE 103, 1<br />
[18]**).<br />
d) Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Auswahlverfahren<br />
gemäß §§ 166 ff. BRAO sind verfassungsrechtlich ebenfalls<br />
nicht zu beanstanden. Die Normen regeln das Verfahren der Singularzulassung,<br />
die der Beschwerdeführer nicht angestrebt hat. Da<br />
der Bundesgerichtshof von seinem Standpunkt aus folgerichtig<br />
diese Normen seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat, sind<br />
sie nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.<br />
Die hiergegen gerichteten Angriffe in der Verfassungsbeschwerde<br />
gehen deshalb ins Leere. Sie richten sich unmittelbar<br />
gegen Normen, ohne dass diese Gegenstand gerichtlicher Entscheidung<br />
gewesen wären. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die<br />
Dauer des Wahlverfahrens und die deshalb zu erwartende unzumutbare<br />
Belastung, sofern er sich hierauf einließe, mag darauf hindeu-
AnwBl 1/2003 55<br />
Rechtsprechung l<br />
ten, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen von § 90<br />
Abs. 2 Satz 2 BVerfGG für gegeben erachtet. Diese entbinden allerdings<br />
nicht von dem Erfordernis, dass ein Beschwerdeführer von<br />
den angegriffenen Vorschriften selbst betroffen sein muss. Erstrebt<br />
ein Rechtsanwalt nicht den Status, dessen verfahrensrechtliche Voraussetzungen<br />
er für verfassungswidrig hält, betrifft ihn das Verfahrensrecht<br />
nicht; die Behauptung, selbst in einem Grundrecht verletzt<br />
zu sein, die § 90 Abs. 1 BVerfGG als allgemeine<br />
Voraussetzung der Verfassungsbeschwerde nennt, kann nicht mit<br />
der Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung begründet werden.<br />
II. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1<br />
Satz 3 BVerfGG abgesehen.<br />
§ 356 Abs. 1 StGB<br />
Der Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute auf Grund deren<br />
gemeinsamen Auftrages ausschließlich über die Voraussetzungen<br />
und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten übereinstimmend<br />
gewollten einverständlichen Scheidung ihrer Ehe<br />
sowie den Unterhaltsanspruch beraten und den Unterhaltsanspruch<br />
berechnet hat, handelt nicht pflichtwidrig i. S. d. § 356<br />
Abs. 1 StGB, wenn er später einen der Ehepartner vertritt und<br />
den Unterhaltsanspruch geltend macht.<br />
OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.9.2002 – 3 Ss 143/01<br />
Aus den Gründen: II. ... Die auf die Sachrüge gestützte Revision<br />
des Angeklagten hat Erfolg und führt zu seinem Freispruch.<br />
Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten<br />
wegen Parteiverrats nicht. Die dem Angeklagten zur Last<br />
gelegte Tat vom 22.1.1999 kann aus rechtlichen Gründen nicht<br />
festgestellt werden.<br />
Tatvorwurf laut Anklageschrift und Gegenstand der Aburteilung<br />
ist ausschließlich das Verhalten des Angeklagten bei der am<br />
2.12.1998 in seiner Kanzlei im Hinblick auf die von den Eheleuten<br />
S und J G gewünschte einverständliche Scheidung ihrer Ehe durchgeführten<br />
gemeinsamen Besprechung bzw. Beratung der beiden Eheleute<br />
einerseits und die Fertigung und Absendung des namens S G<br />
an J G gerichteten Anwaltsschriftsatzes des Angeklagten vom<br />
22.1.1999 andererseits. Dass der Angeklagte in der Folgezeit in der<br />
Scheidungsangelegenheit weiter außergerichtlich und gerichtlich für<br />
die Ehefrau, S G, tätig war, bis er auf Aufforderung der Rechtsanwaltskammer<br />
Karlsruhe im Mai 1999 das Mandat niederlegte, ist<br />
weder in der Anklageschrift in einer der Abgrenzungs- und Informationsfunktion<br />
genügenden Weise, noch im Urteil konkretisiert (vgl.<br />
hierzu Senat Die Justiz 1994, 449; BGH NJW 1994, 2966).<br />
Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt<br />
zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte mit der Beratung der beiden<br />
Eheleute am 2.12.1998 einerseits und mit dem namens S G an J G<br />
gerichteten Schriftsatz vom 22.1.1999 andererseits nicht pflichtwidrig<br />
beiden Parteien, d. h. beiden Eheleuten, diente. Denn der<br />
Angeklagte hatte in der gemeinsamen Besprechung mit den beiden<br />
Eheleuten am 2.12.1998 den Ehemann, J G, nicht im entgegengesetzten<br />
Interesse beraten oder vertreten, folglich auch mit dem<br />
inkriminierten Schriftsatz vom 22.1.1999 die Ehefrau, S G, nicht<br />
im entgegengesetzten Interesse vertreten.<br />
Freilich hatte der Angeklagte bei der gemeinsamen Besprechung<br />
am 2.12.1998 beiden Eheleuten als Anwalt bei der ihm von<br />
diesen in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheit in einer<br />
Rechtssache durch Rat gedient. Gegenstand der aufgrund des gemeinsamen<br />
Auftrages beider Eheleute am 2.12.1998 durchgeführten<br />
Besprechung/Beratung waren die Voraussetzungen und die Herbeiführung<br />
einer von beiden Eheleuten übereinstimmend gewollten<br />
einverständlichen Scheidung sowie die Errechnung der Unterhaltsansprüche<br />
der Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes. Zweifellos<br />
ist der Angeklagte hierbei – auch bei Berücksichtigung seiner privaten<br />
Beziehungen zu den Eheleuten – nicht außerberuflich in privater<br />
Eigenschaft, sondern in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt<br />
tätig geworden (vgl. hierzu RGSt, 62, 289, 292 f.; BGHSt 20, 41;<br />
BGHR StGB § 356 Rechtsanwalt 1) und zwar in einer Rechtssache.<br />
Als Rechtssache i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB sind alle Angelegenheiten<br />
zu verstehen, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem<br />
Interesse einander gegenüberstehen können (BGHSt 18, 192;<br />
vgl. zum Interessengegensatz näher die nachfolgenden Ausführungen<br />
zum Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit). Dass der Angeklagte<br />
am 2.12.1998 beide Eheleute gleichzeitig in deren übereinstimmendem<br />
Interesse beriet, steht der Annahme des Merkmals<br />
des Dienens nicht entgegen. Dienen i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB ist<br />
jede berufliche Tätigkeit eines Anwalts, durch die das Interesse<br />
des Auftraggebers durch Rat oder Beistand gefördert werden soll<br />
(BGHSt 5, 301, 305:7, 17, 19; NStZ 1985, 74).<br />
Es besteht auch kein Zweifel, dass der Angeklagte mit dem an<br />
J G gerichteten Schriftsatz vom 22.1.1999 als anwaltlicher Vertreter<br />
der S G nun dieser in derselben Rechtssache (vgl. BGHSt 18,<br />
192) durch Rat und Beistand diente, indem er gegenüber J G vorgerichtlich<br />
Unterhaltsansprüche geltend machte, wobei er zu deren<br />
Berechnung die Zahlen zugrundelegte, die ihm beide Eheleute bei<br />
der gemeinsamen Besprechung am 2.12.1998 mitgeteilt hatten.<br />
Hiermit handelte der Angeklagte indes nicht pflichtwidrig.<br />
Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten sieht die<br />
Strafkammer darin, dass der Angeklagte nach/trotz der gemeinsamen<br />
Beratung der Eheleute, bei der diese eine einverständliche<br />
Scheidung wollten, eine einseitige Tätigkeit zu Gunsten der Ehefrau<br />
S G aufnahm, sich quasi auf die Gegenseite geschlagen und<br />
J G dadurch „verraten“ habe (vgl. hierzu BGHSt 20, 41, 42). Dieser<br />
Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.<br />
Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Sinne des<br />
§ 356 Abs. 1 StGB setzt einen Interessengegensatz zwischen den<br />
Parteien voraus. Darin liegt eine wesentliche tatbestandsmäßige<br />
Einschränkung. Pflichtwidrig ist das Dienen des Anwalts dann,<br />
wenn er einer Partei Rat oder Beistand leistet, nachdem er einer<br />
anderen Partei in derselben Rechtsache, aber im entgegengesetzten<br />
Sinne, bereits Rat und Beistand geleistet hat (vgl. beispielhaft zum<br />
Scheidungsverfahren BGHR StGB § 356 Abs. 1 Rechtssache 1<br />
Ehescheidung = wistra 1991, 221). Der Interessengegensatz ist<br />
nicht abstrakt und von der objektiven Interessenlage der Partei her,<br />
sondern in der Weise zu bestimmen, welches Ziel die Partei – subjektiv<br />
– verfolgt haben will und welchen Inhalt der dem Rechtsanwalt<br />
erteilte Auftrag hat (OLG Karlsruhe Die Justiz 1997, 448 =<br />
NStZ-RR 1997, 236 = AnwBl 1998, 102; BGHSt 5, 301, 306 ff.;<br />
MDR 1981, 734; St 15, 332, 334, 339; 34, 190, 192). Ob der Interessengegensatz<br />
vorliegt, ergibt sich aus dem Auftrag, den der<br />
Rechtsanwalt erhalten hat; denn dieser Auftrag bestimmt den Umfang<br />
der Belange, mit deren Wahrnehmung der Auftraggeber den<br />
Rechtsanwalt betraut (vgl. auch BGH St 7, 17, 20). Anvertraubar<br />
ist auch ein nur begrenztes Interesse. Der strafrechtliche Schutz erstreckt<br />
sich nicht notwendig auf die Gesamtheit der persönlichen<br />
und wirtschaftlichen Belange des Auftraggebers, er wird vielmehr<br />
durch den Kreis der Rechtsinteressen begrenzt, die der Auftraggeber<br />
dem Rechtsanwalt anvertraut hat, sowie dadurch, wie weit<br />
sich nach dem Willen des Auftraggebers die anwaltliche Treuepflicht<br />
erstrecken sollte; es wäre sinnwidrig, den Strafschutz<br />
darüber hinaus auszudehnen (BGHSt 5, 301, 306 ff.; AnwBl 1955,<br />
59). Hiernach ist es rechtlich möglich, dass ein Anwalt in derselben<br />
Rechtssache mehreren Beteiligten dient, deren Interessen sich<br />
tatsächlich widerstreiten, soweit sich die Interessen der Parteien in<br />
derselben Rechtssache vom Standpunkt der Beteiligten aus miteinander<br />
vereinigen lassen und soweit sie dem Rechtsanwalt die<br />
Wahrnehmung ihres gemeinsamen (vermeintlichen) Interesses anvertraut<br />
haben; es handelt sich dann für den Anwalt nicht um Gegenparteien<br />
oder um entgegengesetzte Interessen und es kann von<br />
einem Missbrauch des Vertrauens im Dienste des Gegners nicht<br />
die Rede sein (BGHSt 5, 301, 307, 308). Sind die Ziele, deren Verfolgung<br />
mehrere Beteiligte einem Rechtsanwalt anvertraut haben,<br />
nicht gegeneinander gerichtet, so verstößt er demgemäß nicht gegen<br />
die Bestimmung des § 356 StGB (vgl. auch § 43 a Abs. 4<br />
BRAO), wenn er beiden Parteien, obwohl sie tatsächlich entgegengesetzte<br />
Interessen haben, im gemeinsamen beiderseitigen Interesse<br />
dient (BGHSt 5, 301, 307, 308). Ein Interessengegensatz<br />
schließt nicht aus, dass Parteien gleichgerichtete Interessen haben;<br />
in solchen Fällen hat der Rechtsanwalt einen größeren Spielraum<br />
als dort, wo seine Bemühungen um einen Vergleich einen Interessenkonflikt<br />
der Parteien betreffen (BGH NStZ 1982, 331; St 15,<br />
332, 336; Feuerich/Braun BRAO 5. Aufl. § 43 a Rdnr. 64).<br />
Bei den im vorliegenden Fall einer Scheidungssache disponiblen<br />
Rechtsgütern wird der Interessenbegriff vom Willen der Parteien<br />
gestaltet und richtet sich nach deren subjektiven Zielen. In<br />
Ehescheidungssachen steht es den Ehegatten frei, einverständlich
56<br />
l<br />
die Voraussetzungen einer Ehescheidung (§ 630 Abs. 1 ZPO) herbeizuführen<br />
(vgl. auch zur Verfügbarkeit über die Komponenten<br />
des durch § 356 StGB geschützten Rechtsguts, des Vertrauens der<br />
Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltsund<br />
Rechtsbeistandschaft einerseits und des Schutzes des Auftraggebers<br />
vor ungetreuer Benachteiligung andererseits: BGHSt 15,<br />
332, 336). Hieraus rechtfertigt sich vorliegend – etwa im Unterschied<br />
zum Strafprozess, in dem eine subjektive Disposition des<br />
Mandanten über die Interessen nicht möglich ist und nur eine objektive<br />
Bestimmung des Interessengegensatzes in Frage kommt,<br />
d. h. die objektive wirkliche Interessenlage entscheidet (vgl. BGHSt<br />
5, 284; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35 mit Anm. Dahs NStZ<br />
1995, 16; BayObLG NJW 1995, 606; SK-Rudolphi StGB Stand<br />
1997 § 356 Rdnr. 26) – das subjektive Verständnis des Interessengegensatzes.<br />
Ob ein solcher gegeben ist, wird durch einen Vergleich<br />
der beiderseitigen subjektiven Parteianliegen ermittelt (vgl. auch<br />
Schönke/Schröder – Cramer StGB 26. Aufl. § 356 Rdnr. 18).<br />
Im Falle einer einverständlichen Scheidung treten – bei subjektiver<br />
Betrachtung – keine entgegengesetzten Interessen auf. Die<br />
Eheleute sind sich – wie im vorliegenden Fall – einig, dass nach<br />
§ 630 ZPO i. V. m. §§ 1565, 1566 Abs. 1 BGB vorgegangen werden<br />
soll (vgl. hierzu differenzierend für das familiengerichtliche Verfahren:<br />
BayObLG NJW 1981, 832; Schönke/Schröder-Cramer aaO<br />
§ 356 Rdnr. 18; Lackner/Kühl 24. Aufl. § 356 Rdnr. 7; SK-Rudolphi<br />
aaO § 356 Rdnr. 28). Ob bei einer einverständlichen Scheidung<br />
nach § 630 Abs. 1 ZPO ein Interessengegensatz entfällt, hat der<br />
BGH allerdings bislang nicht grundsätzlich entschieden (BGH<br />
NStZ 1985, 74).<br />
Ausgehend von den Feststellungen der Strafkammer waren unter<br />
Berücksichtigung der dargelegten Rechtsgrundsätze die hier in<br />
Rede stehenden Interessen der beiden Parteien/Eheleute in der Besprechung<br />
am 2.12.1998 nicht konträr, sondern gleichgerichtet,<br />
nämlich auf eine einverständliche Ehescheidung hin. Im entgegengesetzten<br />
Interesse beraten, etwa durch einen empfehlenden Vorschlag<br />
des Angeklagten zu einem bestimmten Verhalten, wurde<br />
J G nicht, ebenso wenig S G. Dass J G dem Angeklagten sonst etwas<br />
anvertraut hätte, hinsichtlich dessen dieser ihm die Treue hätte<br />
brechen können, ist nicht festgestellt. Im Falle widerstreitender Interessen<br />
wollte der Angeklagte den J G nicht vertreten, sondern<br />
dessen Ehefrau S G. Anhand der von beiden Ehegatten im Beisein<br />
des anderen freiwillig gemachten Angaben zu den Einkünften und<br />
Verbindlichkeiten berechnete der Angeklagte noch bei dieser Besprechung<br />
die Unterhaltsansprüche der Ehefrau, S G, und des gemeinsamen<br />
Kindes. Zwischen den Eheleuten bestand hierbei Interessenübereinstimmung.<br />
Ziel war es, auch insoweit eine<br />
Parteivereinbarung herbeizuführen (auch dadurch unterscheidet<br />
sich vorliegender Sachverhalt von dem der Entscheidung des Bay-<br />
ObLG NJW 1981, 832 zugrundeliegenden). Die bloße Möglichkeit,<br />
es könne später zwischen den Eheleuten zu Streit über die<br />
Scheidung und/oder Scheidungsfolgen kommen, führt zu keiner anderen<br />
Beurteilung. Der Widerstreit der Interessen muss nämlich<br />
zum Zeitpunkt der fraglichen anwaltlichen Tätigkeit vorliegen; darauf,<br />
ob ein solcher Widerstreit vorauszusehen ist, kommt es nicht<br />
an (RGSt 71, 231, 236; BGHSt 34, 190,192, 193).<br />
Mit dem an J G gerichteten Aufforderungsschreiben vom<br />
22.1.1999 diente der Angeklagte zwar der Ehefrau S G, aber nicht<br />
im entgegengesetzten Sinne, weder mit Blick auf die Interessen<br />
des J G noch auf die der S G selbst, zumal die Unterhaltsansprüche<br />
weiterhin außer Streit waren. Ersichtlich wiederholte der Angeklagte<br />
in diesem Schriftsatz – ohne Verstoß gegen seine Treuepflicht<br />
und die Interessen des J G – die bei der Besprechung am<br />
2.12.1998 einvernehmlich vorgenommene Berechnung des Unterhaltes<br />
mit dem erneuten Appell, zu einer möglichst sinnvollen und<br />
gütlichen Einigung über die zu regelnden Punkte zu kommen, wie<br />
dies beide Eheleute nochmals am Vortag abgesprochen hatten. Ob<br />
der Unterhalt der Höhe nach rechtlich zutreffend berechnet war, ist<br />
insoweit ohne Belang; das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit<br />
i. S. d. § 356 Abs. 1 StGB stellt nicht auf die inhaltliche Richtigkeit<br />
des anwaltlichen Tuns ab.<br />
Hinzu kommt: Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen<br />
der Strafkammer bei der Besprechung am 2.12.1998 beiden Eheleuten<br />
ausdrücklich und ohne Widerspruch des J G, aber auch der<br />
S G erklärt, dass er im Falle einer streitigen Auseinandersetzung<br />
nicht dessen Interessen, sondern die der Ehefrau S G vertreten<br />
werde; er bekräftigte dies mit dem fraglichen Schriftsatz vom<br />
AnwBl 1/2003<br />
Rechtsprechung<br />
22.1.1999. Dem Angeklagten ist daher zugute zu halten, dass sich<br />
J G bei dieser Festlegung/Abgrenzung des Aufgabenkreises von<br />
vornherein darüber im Klaren sein musste, dass der Angeklagte<br />
die Interessen der S G mitberücksichtigen würde und diese nicht<br />
seinen, des J G, Interessen hintansetzen dürfe (vgl. hierzu RGSt 71,<br />
231, 237; BGHSt 5, 301, 308). Zwar wäre das Einverständnis einer<br />
Partei mit der späteren Vertretung der anderen Partei durch denselben<br />
Anwalt grundsätzlich unbeachtlich und könnte eine darin etwa<br />
liegende Pflichtwidrigkeit des Anwaltes nicht rechtfertigen<br />
(BGHSt 18, 192, 198; BGH NStZ 1985, 74); Rechtsgut des § 356<br />
StGB ist – wie bereits ausgeführt – nicht nur der Schutz des Auftraggebers,<br />
sondern auch das Ansehen der Anwaltschaft als wichtigem<br />
Organ der Rechtspflege (BGHSt 15, 332, 336; differenzierend<br />
BGHSt 5, 301, 306 f.; vgl. etwa auch Tröndle/Fischer StGB 50.<br />
Aufl. § 356 Rdnr. 1). Durch das Einverständnis, das in der Sache<br />
zwischen den Parteien besteht, kann aber die Gegensätzlichkeit ihrer<br />
Interessen aufgehoben sein (BGHSt 15, 332, 325 f.). Dies gilt<br />
auch für den Umstand, welchen Ehepartner der Anwalt im Scheidungsverfahren<br />
vertreten soll. So liegt der Fall hier.<br />
Da der Beratungsauftrag dem Angeklagten von beiden Eheleuten<br />
gemeinsam mit dem eingangs genannten Ziel erteilt worden<br />
war, war der Angeklagte in der Besprechung am 2.12.1998 mithin<br />
nicht Diener bzw. Vertreter einseitiger Parteiinteressen, sondern unparteiischer<br />
Mittler. Ihm war daher auch nicht untersagt, später die<br />
eine der beiden Parteien gegen die andere in derselben Angelegenheit<br />
zu vertreten. Auf die Frage, ob ein solches Verhalten nach<br />
standesrechtlichen Gesichtspunkten billigenswert ist, kommt es<br />
hier nicht an (BGH AnwBl 1955, 69; zustimmend Schönke/<br />
Schröder-Cramer aaO Rdnr. 15; vgl. auch RGSt 14, 364, 379; 66,<br />
103; BGHSt 5, 301, 309).<br />
Auch die in der Entscheidung BGHSt 5, 301, 305 bis 309, 312<br />
aufgestellten Grundsätze führen unter den besonderen Umständen<br />
des vorliegenden Einzelfalls dazu, dass der Angeklagte in Anbetracht<br />
der am 2.12.1998 mit beiden Eheleuten ausdrücklich besprochenen<br />
Interessen- und Auftragsabgrenzung (vgl. zur Auftragsund<br />
Aufgabenbegrenzung auch RGSt 66, 103, 104; 71, 231, 234 f.)<br />
mit Recht davon ausging, dass ein die Pflichtwidrigkeit begründender<br />
Gegensatz der ihm hierbei anvertrauten Interessen jedenfalls<br />
bei der Geltendmachung des Getrenntlebensunterhaltes und des<br />
Kindesunterhaltes mit Schriftsatz vom 22.1.1999, der bereits Gegenstand<br />
der Besprechung vom 2.12.1998 war, nicht gegeben war.<br />
Die Irrtumsproblematik (vgl. hierzu BGHSt 4, 80, 83; 5, 301, 311;<br />
7, 17; 15, 332, 338 f.; 18, 196, 200) stellt sich damit nicht.<br />
Dem gefundenen Ergebnis steht die Entscheidung BGHSt 18,<br />
192 (vgl. auch BGH wistra 1991, 221) nicht entgegen. Die Entscheidung<br />
hatte das Verhalten eines Rechtsanwalts zum Gegenstand,<br />
der in einem Ehescheidungsverfahren den einen Ehegatten<br />
vertrat, während er vorher schon in derselben Rechtssache dem anderen<br />
Ehegatten seinen Beistand geleistet hatte und somit ausschließlich<br />
jedem von beiden, und zwar im jeweils entgegengesetzten<br />
Interesse diente. Der BGH stellt klar, dass selbst bei dieser<br />
Konstellation das Verhalten des Rechtsanwalts nicht unter allen<br />
Umständen gegen die Belange dieses letzteren Ehegatten gerichtet<br />
und damit pflichtwidrig ist (BGH St 18, 192, 198 ff.; vgl. auch<br />
OLG Karlsruhe aaO). Vom vorliegenden Fall unterscheidet sich jener<br />
Sachverhalt aber schon vor allem dadurch, dass hier bei der Besprechung<br />
am 2.12.1998 dem Ehemann J G allein gerade kein individueller,<br />
vertraulicher, auf seine Person bezogener anwaltlicher<br />
Beistand/Rat in seinem Auftrag geleistet worden war (ebenso wenig<br />
der Ehefrau S G), sondern die Beratung auf einem gemeinsamen<br />
Auftrag beider Eheleute mit Blick auf das gemeinsame Interesse<br />
an einer einverständlichen Scheidung beruhte (vgl. zur<br />
sukzessiven Vertretung und zur Rechtslage vor der Reform des<br />
Ehe- und Familienrechts durch Gesetz vom 14.6.1976: BGHSt 4,<br />
80; 17, 305 bis 307 mit kritischer Anm. Gutmann AnwBl 1963, 90;<br />
18, 193, 199; ähnlich RGSt 62, 289, 292). Die von J G am<br />
2.12.1998 ausschließlich für den Fall einer einverständlichen Scheidung<br />
zur Stellung des Scheidungsantrages unterzeichnete Prozessvollmacht<br />
kam zu keinem Zeitpunkt zum Tragen. Die bloße Erteilung<br />
des Mandats seitens des J G, dessen Annahme seitens des<br />
Angeklagten sowie der Widerruf des Mandats mit Schriftsatz des<br />
Angeklagten vom 22.1.1999 waren schon kein Dienen i. S. d. § 356<br />
Abs. 1 StGB, weil dadurch nicht das Interesse des J G durch Rat<br />
oder Beistandleisten gefördert wurde (Schönke/Schröder-Cramer<br />
aaO § 356 Rdnr. 10). Das Gleiche gilt bzgl. des in der Besprechung
AnwBl 1/2003 57<br />
Rechtsprechung l<br />
am 2.12.1998 von dem Angeklagten mittels des Computerprogramms<br />
erstellten, aber nicht fertiggestellten Entwurfs eines Scheidungsantrages<br />
für eine einverständliche Scheidung.<br />
Dass bei der Besprechung am 2.12.1998 auch die Durchführung<br />
eines streitigen Scheidungsverfahrens – die bloße Möglichkeit<br />
oder Voraussehbarkeit eines solchen Verfahrens genügt, wie<br />
ausgeführt, nicht – Gegenstand jeweils interessenbezogener individueller,<br />
sachlicher Beratung eines oder beider Ehepartner gewesen<br />
wäre, ist ausweislich der allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht<br />
festgestellt. Die Besprechung kann mithin auch nicht als Vergleichsbemühung<br />
des Angeklagten zur Beilegung eines Streites<br />
zwischen den Eheleuten (vgl. hierzu etwa RGSt 62, 289, 292; 66,<br />
103, 105; BGHSt 4, 80, 82; 15, 332, 336, 337; NStZ 1982, 331,<br />
332; Schönke/Schröder-Cramer aaO § 356 Rdnr. 19, 8 a. E.) eingeordnet<br />
werden oder als Mediation zur Schlichtung und Vermittlung,<br />
deren Scheitern bzw. Beendigung der weiteren Beratung oder Vertretung<br />
einer der Parteien in derselben Angelegenheit entgegenstünde<br />
(vgl. OLG Karlsruhe NJW 2001, 3197; Feuerich/Braun aaO<br />
§ 43 a Rdnr. 65, Henssler AnwBl 1997, 129 f.).<br />
Das Urteil des LG vom 30.7.2001 ist nach alledem nebst dem<br />
Urteil des OAG vom 8.2.2001 aufzuheben. Nach dem Inhalt des<br />
angefochtenen Urteils erscheint es ausgeschlossen, dass in einer<br />
neuen Hauptverhandlung weitere, einen Schuldspruch nach § 356<br />
StGB tragende Feststellungen getroffen werden könnten. Der Senat<br />
spricht den Angeklagten deshalb frei (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />
Mitgeteilt von dem 3. Strafsenat des OLG Karlsruhe<br />
Gebührenrecht<br />
BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2;ARB §§ 1, 2, 14<br />
Gespräche des Rechtsanwalts, die der Informationsbeschaffung<br />
dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, sind von der Geschäftsgebühr<br />
umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten Dritten<br />
die Besprechungsgebühr auslösen, wobei allerdings nicht<br />
jede Besprechung des Anwalts mit einem Sachverständigen die<br />
Besprechungsgebühr auslöst, sondern nur dann, wenn dieser<br />
Sachverständige als „Dritter“ anzusehen ist und er nicht neben<br />
dem Auftraggeber als Informant oder Repräsentant im Lager<br />
„des Mandanten“ steht und mit ihm als „neutralem Dritten“ ein<br />
sachbezogenes Gespräch im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung<br />
(zwecks Förderung des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich<br />
oder gerichtlich) geführt wird. (Leitsatz der Redaktion)<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 23.5.2002 – 50 C 11933/01<br />
Aus den Gründen: Die Kl kann im Wege der Rechtsnachfolge<br />
den von der Bekl noch nicht ausgeglichenen Teil der in der Liquidation<br />
vom 9.7.2001 enthaltenen Besprechungsgebühr in Höhe von<br />
755,40 DM beanspruchen. Die von ihrem Prozessbevollmächtigten<br />
in Ansatz gebrachte 10/10 Besprechungsgebühr gemäß § 118<br />
Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO ist nicht zu beanstanden.<br />
Soweit die Bekl – nunmehr – in Abrede stellt, dass überhaupt<br />
eine Besprechungsgebühr angefallen ist, ist dies ohne Belang. Indem<br />
sie eine in dem von ihr anerkannten Betrag von 8.465,38 DM<br />
enthaltene 7,5/10 Besprechungsgebühr anerkannt und eine solche<br />
auch in der Folgezeit ausgeglichen hat, hat sie die Berechtigung einer<br />
Besprechungsgebühr dem Grunde nach anerkannt. Damit kann<br />
sie von vornherein keine Einwendungen mehr insoweit erheben.<br />
Ungeachtet dessen ist aber auch eine Besprechungsgebühr im Hinblick<br />
auf das zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Kl und<br />
Frau Dr. S als fachmedizinischer Gutachterin am 1.6.2001 geführte<br />
40-minütige Gespräch angefallen. Diese Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten<br />
der Kl ist nicht durch eine Geschäftsgebühr nach<br />
§ 118 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO abgegolten. Das Gericht schließt<br />
sich insoweit den Ausführungen des Amtsgericht Düsseldorf im<br />
Urt. v. 21.9.2001 in Sachen 232 C 6678/01 an, in dem es wie folgt<br />
heißt:<br />
„Die Abgrenzung dessen, was noch als allgemeines Betreiben<br />
des Geschäfts i. S. d § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO anzusehen ist und<br />
dessen, was die zusätzliche Gebühr nach Nr. 2 auslöst, hat vom<br />
Wortlaut dieser Gebührentatbestände und ihrem Systemzusammen-<br />
hang auszugehen. Danach werden Gespräche, die der Informationsbeschaffung<br />
dienen, z. B. Gespräche mit Zeugen, von der Geschäftsgebühr<br />
umfasst, während Besprechungen mit unbeteiligten<br />
Dritten die Besprechungsgebühr auslösen.<br />
Insoweit ist die Geschäftsgebühr mit der Prozessgebühr nach<br />
§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und die Besprechungsgebühr mit der<br />
Verhandlungsgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO vergleichbar.<br />
Nicht jede Besprechung des Anwalts mit einem Sachverständigen<br />
löst die Besprechungsgebühr des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO aus,<br />
sondern nur dann, wenn dieser Sachverständige als „Dritter“ anzusehen<br />
ist und nicht neben dem Auftraggeber als Informant oder Repräsentant.<br />
Voraussetzung hierfür ist auch nicht, dass der Dritte<br />
Gegner ist. Er darf nur nicht bereits im Lager „des Mandanten“<br />
sein, sondern ein „neutraler Dritter“, mit dem ein sachbezogenes<br />
Gespräch im Sinne einer geistigen Auseinandersetzung (zwecks<br />
Förderung des Rechtsstreits, sei es außergerichtlich oder gerichtlich)<br />
geführt wird. Jedenfalls ist als Dritter nicht nur ein Gegner<br />
des Auftraggebers zu sehen“.<br />
Vorliegend ist Frau Dr. S als Dritte im aufgezeigten Sinne anzusehen,<br />
da sie als neutrale Gutachterin nicht im Lager des – ehemaligen<br />
– Kl gestanden hat.<br />
Die von dem Prozessbevollmächtigten der Kl angesetzte Besprechungsgebühr<br />
ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.<br />
Die 10/10 Gebühr ist gerechtfertigt. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer<br />
Düsseldorf hat in seinem überzeugenden Gutachten<br />
vom 28.2.2002 nachvollziehbar dargelegt, dass und weshalb<br />
die von dem Prozessbevollmächtigten der Kl in Ansatz gebrachte<br />
10/10 Besprechungsgebühr im Sinne des § 118 Abs. 1 Ziffer 2<br />
BRAGO noch im Rahmen des dem Rechtsanwalt zuzubilligenden<br />
Ermessensspielraums liegt. Dahinstehen kann, ob und inwieweit<br />
die Einholung des Gebührengutachtens möglicherweise entbehrlich<br />
gewesen ist. Denn das Gericht schließt sich in jedem Fall den überzeugenden<br />
Rechtsausführungen in dem Gutachten an und macht<br />
sich diese zu eigen. Erhebliche Einwendungen gegen den Inhalt<br />
des Gutachtens hat die Bekl nicht vorgebracht. Soweit sie geltend<br />
macht, es sei nicht ersichtlich, auf welche Besprechung sich das<br />
Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer beziehe, geht<br />
dies fehl. Denn in dem Gutachten ist auf Seite 2 ausdrücklich Bezug<br />
genommen worden auf das 40-minütige Gespräch mit der<br />
fachmedizinischen Gutachterin Frau Dr. S. Schließlich kann die<br />
Bekl auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Prozessbevollmächtigte<br />
der Kl habe zu den Kriterien, anhand derer die Besprechungsgebühr<br />
gemäß § 118 Abs. 1 Ziffer 2 BRAGO bestimmt<br />
wird, nicht Stellung genommen.<br />
Eine ausführliche Stellungnahme dazu ist auf Seite 6 und 7 der<br />
Klageschrift erfolgt.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2; ZPO §§ 91, 93<br />
Dafür, dass vom Rechtsanwalt geführte Gespräche mit mehreren<br />
neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“ im<br />
Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO darstellen, spricht der Umstand,<br />
dass der Inhalt und Umfang der Gespräche ersichtlich<br />
über die reine Informationsverschaffung hinausging und die eingehende<br />
Erörterung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen<br />
der medizinischen Fehlbehandlung der Klägerin auf eine Abklärung<br />
des Streitverhältnisses im Vorfeld gerichtet war.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 4.9.2001 – 21 C 6712/01<br />
Aus den Gründen: Die Klage ist begründet.<br />
Die Kl war aufgrund des bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages<br />
ursprünglich berechtigt, die Bekl auch auf Erstattung<br />
von Anwaltsgebühren in Höhe von 2.213,40 DM in Anspruch<br />
zu nehmen. Nachdem die Bekl diese Klageforderung nach Rechtshängigkeit<br />
beglich, ist insoweit nunmehr festzustellen, dass der<br />
Rechtsstreit in der Hauptsache seine Erledigung gefunden hat.<br />
Die berechtigte Geltendmachung des Erstattungsanspruches hat<br />
die Bekl anerkannt. Durch die erfolgte Leistung vom 26.5.2001 hat<br />
sie ihre Zahlungsverpflichtung inzwischen auch erfüllt.
58<br />
l<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Als unterliegende<br />
Partei hat die Bekl die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.<br />
Eine für sie günstigere Kostenregelung kann die Bekl nicht mit<br />
Erfolg aus dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO herleiten. Nach dieser<br />
Bestimmung fallen für den Fall, dass der Bekl nicht durch sein<br />
Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat, die<br />
Prozesskosten dem Kl zur Last, wenn der Bekl den Anspruch sofort<br />
anerkennt. Zwar ist das im Rahmen der Klageerwiderungsschrift<br />
abgegebene Anerkenntnis der Bekl als „sofort“ i. S. d. Kostenvorschrift<br />
einzustufen. Entgegen ihrer Ansicht hat sie aber<br />
durch ihr vorgerichtliches Verhalten zur Klage Veranlassung geboten.<br />
Unstreitig bezog die erteilte Deckungsschutzzusage vom<br />
9.10.2000 nicht die von den Prozessbevollmächtigten der Kl in Ansatz<br />
gebrachte Besprechungsgebühr i. S. v § 118 Abs. 1 Nr. 2<br />
BRAGO mit ein, deren Ansatz die Bekl nunmehr akzeptiert. Sie<br />
beruft sich insoweit im Wesentlichen darauf, dass die mit der Gegenseite<br />
des beabsichtigten Rechtsstreites geführten Gespräche von<br />
der Klägerin erstmals in der Klageschrift mitgeteilt worden seien,<br />
die zuvor angegebenen Gespräche mit den medizinischen Sachverständigen<br />
hingegen keine Besprechungsgebühr rechtfertigten. Dieser<br />
Einwand vermag aber nicht zu überzeugen. Dabei kann für die<br />
vorliegende Entscheidung letztlich offen bleiben, ob die geführten<br />
Gespräche mit den neutralen medizinischen Sachverständigen „Besprechungen“<br />
i. S. v § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO darstellten.<br />
Hierfür spricht immerhin der Umstand, dass der von der Kl geschilderte<br />
Inhalt und Umfang der Gespräche mit mehreren Sachverständigen<br />
ersichtlich über die reine Informationsverschaffung<br />
hinaus ging und die eingehende Erörterung der tatsächlichen und<br />
rechtlichen Fragen der medizinischen Fehlbehandlung der Kl auf<br />
eine Abklärung des Streitverhältnisses im Vorfeld gerichtet war.<br />
Dass indes schon Gespräche mit der Gegenseite sehr wohl Inhalt<br />
der vorgerichtlichen Korrespondenz waren, indiziert das Schreiben<br />
der Bekl vom 10.4.2001. Darin teilte sie den klägerischen Prozessbevollmächtigten<br />
ihren Erfahrungswert mit, wonach derartige Gespräche<br />
„in Fällen der vorliegenden Art nichts bringen“, und riet<br />
von einer entsprechenden weiteren Kontaktaufnahme ab. Sollte dabei<br />
die Bekl im vorgerichtlichen Bereich tatsächlich über die Vornahme<br />
von Gesprächen mit der Seite des vorgesehenen Prozessgegners<br />
im Zweifel oder im Unklaren gewesen sein, hätte dies die<br />
Bekl zudem durch eine einfache Nachfrage bei den klägerischen<br />
Prozessbevollmächtigten klären können. Die vorliegende Prozessführung<br />
hätte sich danach sicher vermeiden lassen.“<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2, §§ 17, 17; ARB 1975 § 15 Abs. 1<br />
Ziff. d) cc), § 17Abs. 2<br />
1. Die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers beginnt,<br />
sobald der Versicherungsnehmer wegen des Vorschusses von seinem<br />
Anwalt in Anspruch genommen wird, also sobald der<br />
Rechtsanwalt den Vorschuss einfordert.<br />
2. Bei einer arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit, die in der<br />
Regel einer umfangreichen Überprüfung und Erörterung bedarf,<br />
erscheint ein geforderter Vorschuss von 10/10 auch angemessen<br />
i. S.v. BRAGO § 17.<br />
3. Nicht mit der Geschäftsgebühr abgegolten ist ein sachbezogenes<br />
Gespräch des Rechtsanwalts mit einem sachverständigen<br />
Arzt, der nicht Hausarzt des Mandanten ist, weil das Gespräch<br />
einer Interessenwahrnehmung nach außen, nicht der internen<br />
Prozessvorbereitung und Informationsaufnahme dient.<br />
(Leitsätze der Redaktion)<br />
AG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2002 – 48 C 467/02<br />
Aus den Gründen: Die Klage ist überwiegend begründet.<br />
Der Kl steht gegenüber der Bekl ein Anspruch auf Freistellung<br />
von dem Vorschussanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten in<br />
Höhe von 2.378,99 EUR zu.<br />
Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsverhältnis.<br />
Die Bekl ist grundsätzlich verpflichtet, für die arzthaftungsrechtliche<br />
Angelegenheit zwischen der Kl und dem E-Krankenhaus<br />
Köln Versicherungsschutz zu gewähren. Die Bekl hat dies dem<br />
Grunde nach auch mit Schreiben vom 24.10.2001 bestätigt.<br />
AnwBl 1/2003<br />
Rechtsprechung<br />
Der Höhe nach kann die Kl von der Bekl die Freistellung von<br />
der Vorschussforderung ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe<br />
von 2.378,99 EUR verlangen.<br />
Gem. § 2 Abs. 1 ARB 75 hat der Rechtsschutzversicherer dem<br />
Versicherungsnehmer die bei der Interessenwahrnehmung entstehenden<br />
Anwalts- und Gerichtskosten zu erstatten. Seine Pflicht zur<br />
Kostentragung kann der Rechtsschutzversicherer auf zweierlei<br />
Weise erfüllen. Hat der Versicherungsnehmer als Kostenschuldner<br />
den Kostengläubiger noch nicht befriedigt, zahlt der Rechtsschutzversicherer<br />
die Kosten unmittelbar an den Kostengläubiger und befreit<br />
dadurch den Versicherungsnehmer von seiner Kostenschuld<br />
(§ 267 BGB). Von diesem Freistellungsanspruch kann die Kl vorliegend<br />
gegenüber der Bekl Gebrauch machen, da sie die Vorschussliquidation<br />
ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2001<br />
bisher nicht beglichen hat.<br />
Das Gericht hat keine Bedenken dagegen, dass die Kl die Freistellung<br />
von einem Vorschuss gem. § 17 BRAGO verlangt. Nach<br />
der vorgenannten Vorschrift kann ein Rechtsanwalt von seinem<br />
Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden<br />
Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss<br />
verlangen. Verlangt der Anwalt von dem Versicherungsnehmer einen<br />
solchen Vorschuss, dann ist dies ein Teil seiner gesetzlichen<br />
Vergütung im Sinne des § 2 Abs. 1 a ARB 75 und daher von dem<br />
Rechtsschutzversicherer zu übernehmen. Die Leistungspflicht des<br />
Rechtsschutzversicherers beginnt, sobald der Versicherungsnehmer<br />
wegen des Vorschusses von seinem Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />
wird. Dies ist der Fall, sobald der Rechtsanwalt den Vorschuss<br />
einfordert. Hiervon ist im Entscheidungsfall auszugehen, da<br />
die Prozessbevollmächtigten der Kl dieser mit der Vorschussliquidation<br />
vom 24.11.2001 einen Vorschuss von 5.788,20 DM in Rechnung<br />
gestellt haben.<br />
Der Höhe nach hat die Bekl zunächst eine Geschäftsgebühr<br />
gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO von 1.185,00 DM bei einem<br />
Gegenstandswert von 32.000,00 DM zu erstatten. Für die Tätigkeit<br />
des Prozessbevollmächtigten der Kl in der arzthaftungsrechtlichen<br />
Angelegenheit gegenüber dem E-Krankenhaus Köln ist eine Geschäftsgebühr<br />
gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO angefallen.<br />
Der Höhe nach kann die Kl die Erstattung der von ihrem Prozessbevollmächtigten<br />
geltend gemachten 10/10-Gebühr verlangen.<br />
Nach § 17 BRAGO kann der Rechtsanwalt von dem Versicherungsnehmer<br />
einen „angemessenen“ Vorschuss verlangen. Angemessen<br />
ist der Gesamtbetrag der Gebühren und Auslagen, die voraussichtlich<br />
entstehen können. Da es sich vorliegend um eine arzthaftungsrechtliche<br />
Angelegenheit handelt, die in der Regel einer umfangreichen<br />
Überprüfung und Erörterung bedarf, erscheint der<br />
geforderte Vorschuss von 10/10 gerechtfertigt. Ob dieser Betrag<br />
bei der endgültigen Abrechnung tatsächlich auch anfällt, ist bei der<br />
Beurteilung der Frage, ob ein angemessener Vorschuss gefordert<br />
wird, unerheblich.<br />
Des Weiteren kann die Kl von der Bekl eine Besprechungsgebühr<br />
gem. § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO von 1.185,00 DM verlangen.<br />
Insofern geht das Gericht zunächst davon aus, dass zwischen<br />
der Rechtsanwältin B der Sachverständigen S zwei Telefonate stattgefunden<br />
haben, bei denen die Sach- und Rechtslage der arzthaftungsrechtlichen<br />
Angelegenheit in medizinischer Hinsicht erörtert<br />
worden ist. Die Zeugin B hat nachvollziehbar bekundet, dass sie<br />
am 13.12.2001 ein Gespräch mit der Zeugin Dr. S geführt hat. Die<br />
Zeugin vermochte im Einzelnen anzugeben, was genau mit der<br />
Sachverständigen Dr. S besprochen worden ist und wie die Reaktion<br />
der Zeugin Dr. S im Einzelnen war. Des Weiteren konnte die<br />
Zeugin B angeben, wie der weitere Verlauf der Erörterung war. So<br />
hat die Zeugin bekundet, dass um den 20.12.2001 herum ein weiteres<br />
Telefonat mit der Sachverständigen Dr. S geführt worden ist<br />
und hierbei Einzelheiten aufgrund der überreichten Behandlungsunterlagen<br />
besprochen worden sind. Anhaltspunkte, an der<br />
Glaubwürdigkeit der Zeugin zu zweifeln, waren für das Gericht<br />
nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Zeugin Sachbearbeiterin<br />
der arzthaftungsrechtlichen Angelegenheit war, ist nicht geeignet,<br />
an der ansonsten glaubhaften Aussage zu zweifeln.<br />
Durch diese Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Kl ist<br />
eine Gebühr nach § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO angefallen. Diese<br />
Tätigkeit ist nicht bereits mit der Geschäftsgebühr nach § 118<br />
Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO abgegolten. Dies ist nur dann der Fall, wenn
AnwBl 1/2003 59<br />
Rechtsprechung l<br />
das Gespräch des Rechtsanwalts nicht einer Interessenwahrnehmung<br />
nach außen dient, sondern der internen Prozessvorbereitung<br />
und Informationsaufnahme. Die eine Besprechungsgebühr nicht<br />
auslösende Informationsaufnahme ist auch nicht auf die Besprechung<br />
mit den eigenen Mandaten zu beschränken, sondern auf alle<br />
auszudehnen, die aufgrund ihrer Spezialkenntnisse weitere Auskunft<br />
für den Mandaten geben können. Dies kann z. B. der Hausarzt<br />
sein. Vorliegend aber ist mit der Sachverständigen Dr. S nicht<br />
der Hausarzt als Repräsentant der Kl, sondern ein sachverständiger<br />
Arzt befragt worden, der die Kl nicht kannte und daher auch gar<br />
nicht Auskunft für die Kl geben konnte. Vielmehr ist die Sachverständige<br />
Dr. S eine neutrale Dritte, mit der die Prozessbevollmächtigte<br />
der Kl ein sachbezogenes Gespräch im Sinne einer geistigen<br />
Auseinandersetzung geführt hat. Hierbei hat die Prozessbevollmächtigte<br />
der Kl erfahren, welche medizinischen Probleme vorlagen<br />
und dass von einer nicht lege artis geführten Behandlung<br />
auszugehen war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung<br />
des OLG Düsseldorf vom 6.7.2001 (MDR 2001,<br />
1319 ff.). Das OLG hat in der vorgenannten Entscheidung bei der<br />
Frage, ob im Falle einer Informationsbeschaffung bei Dritten eine<br />
Besprechungsgebühr anfällt, darauf abgestellt, ob es dem Willen<br />
des Mandanten entspricht, dass der Rechtsanwalt in einer Besprechung<br />
mit dem Dritten auch die Interessen des Auftraggebers gerade<br />
diesem Dritten gegenüber wahrnimmt. Dies ist dann der Fall,<br />
wenn der Rechtsanwalt bei der Besprechung von dem Dritten nicht<br />
ausschließlich Informationen für den Mandaten erhält, sondern ein<br />
auf die Sache bezogenes Gespräch führt und eine Erörterung vornimmt<br />
(Gerold/Schmidt, BRAGO, 12. Aufl., § 118, Rdnr. 8<br />
m. w. N.). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Die Zeugin B hat<br />
von der Sachverständigen Dr. S nicht lediglich Informationen erhalten,<br />
sondern mit dieser nach ihrer eigenen Zeugenaussage ein<br />
sachbezogenes Gespräch hinsichtlich der medizinischen Problematik<br />
des Falls.geführt. Damit aber ist auch unter Berücksichtigung<br />
der Entscheidung des OLG Düsseldorf eine Besprechungsgebühr<br />
angefallen.<br />
Ferner geht das Gericht davon aus, dass die Besprechung im<br />
Einverständnis der Kl im Sinne des § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO<br />
erfolgt ist.<br />
Voraussetzung für den Anfall der Besprechungsgebühr ist, dass<br />
die Besprechung im Einverständnis mit dem Auftraggeber geführt<br />
wird. Unter Einverständnis des Auftraggebers ist nicht der allgemeine<br />
Auftrag zu verstehen, die Interessen des Auftraggebers<br />
wahrzunehmen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Auftraggeber<br />
gerade mit der Besprechung einverstanden ist. Andererseits wird<br />
mit einem solchen Einverständnis weniger gefordert als mit einem<br />
besonderen Auftrag. Ein Auftrag muss erteilt werden, ein Einverständnis<br />
muss nur bestehen. Das Einverständnis kann erzielt werden<br />
durch ausdrückliche oder stillschweigende, vorherige oder<br />
nachträgliche Billigung des Auftraggebers. Es kann sich auch aus<br />
den Umständen ergeben. Der Auftrag des Auftraggebers geht in<br />
der Regel – ohne Beschränkungen – dahin, eine Angelegenheit<br />
sachgemäß im Interesse des Auftraggebers zu erledigen. Gehört zu<br />
der sachgemäßen Erledigung eine mündliche Verhandlung, ist der<br />
Rechtsanwalt ermächtigt, diese Verhandlung zu führen (stillschweigendes<br />
Einverständnis des Auftraggebers) (Gerold/Schmidt,<br />
BRAGO, 12. Aufl., § 118, Rdnr. 8 m. w. N.). Im Entscheidungsfall<br />
kann danach dahingestellt bleiben, ob die Kl ausdrücklich ihr Einverständnis<br />
mit der Erörterung zwischen der Rechtsanwältin B und<br />
der Sachverständigen S erteilt hat. Es ist jedenfalls von einem konkludenten<br />
Einverständnis der Kl auszugehen. Die Kl hat ihrem<br />
Prozessbevollmächtigten ein uneingeschränktes Mandat in der arzthaftungsrechtlichen<br />
Angelegenheit erteilt. Damit aber ist davon<br />
auszugehen, dass die Kl die Erörterung mit der Sachverständigen<br />
Dr. S gebilligt hat, da diese Erörterung der Vorbereitung einer<br />
Klage gegen das Krankenhaus diente.<br />
Der Höhe nach erscheint eine 10/10-Gebühr als Vorschuss gerechtfertigt.<br />
Insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.<br />
Des Weiteren kann die Kl eine Verhandlungsgebühr in Höhe<br />
von 1.185,00 DM gem. § 31 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO verlangen. Ein<br />
Vorschuss in dieser Höhe ist insofern angemessen, als die Kl beabsichtigt,<br />
Klage gegenüber dem E-Krankenhaus Köln zu erheben.<br />
Ferner scheint ein Vorschuss für Kopierkosten von 50,00 DM<br />
und Auslagen gem. § 26 BRAGO von 40,00 DM angemessen. Ins-<br />
gesamt errechnet sich eine Forderung von 3.645,00 DM. Zzgl. der<br />
16 %igen MwSt. von 583,20 DM errechnet sich eine Forderung<br />
von 4.228,20 DM.<br />
Des Weiteren kann die Kl Gerichtskosten von 1.560,00 DM<br />
von der Bekl erstattet verlangen. Im Hinblick auf die beabsichtigte<br />
Klage ist dieser Vorschuss ebenfalls gerechtfertigt.<br />
Insgesamt errechnet sich eine Vorschussleistung von<br />
5.788,20 DM (2.959,46 EUR). Abzgl. des für erledigt erklärten<br />
Teilbetrages von 580,52 EUR errechnet sich eine Forderung von<br />
2.378,99 EUR.<br />
Die Vorschussleistung ist auch fällig. Entgegen der Ansicht der<br />
Bekl ist die Mitteilung einer spezifizierten Berechnung gem. § 18<br />
BRAGO im Falle einer Vorschussanforderung gem. § 17 BRAGO<br />
nicht erforderlich.<br />
Der Einwand der Bekl, sie sei deshalb nicht leistungspflichtig,<br />
weil sie keine ausreichenden Unterlagen zur Verfügung gestellt<br />
bekommen habe, um die Erfolgschancen der beabsichtigten Klage<br />
zu überprüfen, ist unbeachtlich. Die Prozessbevollmächtigten der<br />
Kl haben der Bekl einen von der Kl ausgefüllten Fragebogen nebst<br />
Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kl an das St. E-Krankenhaus<br />
in Köln vom 24.10.2001 übersandt. Unstreitig ist zwischen<br />
den Parteien, dass zu diesem Zeitpunkt ein Klagentwurf<br />
noch nicht existiert hat und der Kl weitere Behandlungsunterlagen<br />
des Krankenhauses nicht zur Verfügung standen. Damit aber ist<br />
die Kl ihren vertraglichen Verpflichtungen in ausreichendem<br />
Maße nachgekommen. Da der Kl selbst keine weiteren Unterlagen<br />
zur Verfügung standen und aus den überlassenen Unterlagen ersichtlich<br />
war, um was für einen Sachverhalt es sich handelt, war<br />
die Bekl in der Lage, die Erfolgschancen der beabsichtigten Klage<br />
zu überprüfen.<br />
Der Erstattungspflicht der Bekl steht auch nicht die Vorschrift<br />
des § 15 d) cc) ARB 75 entgegen. Nach der vorgenannten Vorschrift<br />
hat der Versicherungsnehmer kostenauslösende Maßnahmen<br />
mit dem Versicherer abzustimmen und eine unnötige Erhöhung der<br />
Kosten zu vermeiden. Hauptbeispiele derartiger kostenauslösender<br />
Maßnahmen sind die Erhebung von Klagen und die Einlegung von<br />
Rechtsmitteln aller Art. Die Besprechung mit der Sachverständigen<br />
Dr. S stellt keine derartige kostenauslösende Maßnahme dar. Der<br />
Anfall der Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Ziff. 2 BRAGO<br />
ist vielmehr als übliche Kostenfolge einer vorgerichtlichen anwaltlichen<br />
Vertretung anzusehen mit der Folge, dass die Kl nicht verpflichtet<br />
war, vor Entstehung der Besprechungsgebühr diese Maßnahme<br />
mit der Bekl abzustimmen.<br />
Schließlich steht der Erstattungspflicht der Bekl nicht die Vorschrift<br />
des § 17 Abs. 2 ARB 75 entgegen, da die Bekl ihre Leistungspflicht<br />
bisher nicht gem. § 17 Abs. 1 ARB 75 mangels hinreichender<br />
Erfolgsaussichten abgelehnt hat.<br />
Ein Zinsanspruch steht der Kl nach den Vorschriften des<br />
§ 284 ff. BGB nicht zu. Die Kl verlangt von der Bekl die Freistellung<br />
von der Kostenliquidation. Hinsichtlich dieses Freistellungsanspruchs<br />
können Verzugszinsen nicht geltend gemacht<br />
werden.<br />
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 91 a ZPO.<br />
Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der<br />
Hauptsache in Höhe von 580,52 EUR für erledigt erklärt haben,<br />
war über die Kosten gem. § 91 a ZPO nach billigem Ermessen unter<br />
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.<br />
Dies führte insofern zur Auferlegung der Kosten auf die<br />
Bekl, da die Bekl nach den obigen Ausführungen insofern den<br />
Rechtsstreit verloren hätte.<br />
Wie bereits ausgeführt, stand der Kl gegenüber der Bekl ein<br />
Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der Vorschussliquidation in<br />
Höhe von insgesamt 2.959,51 EUR zu. Damit aber war die Bekl<br />
verpflichtet, auch den übereinstimmend für erledigt erklärten Teilbetrag<br />
von 580,52 EUR an die Prozessbevollmächtigten der Kl zu<br />
leisten.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf
60<br />
l<br />
BRAGO §§ 17, 118 Abs. 1 Nr. 2; ARB § 1 Abs. 2; ZPO §§ 21, 91;<br />
VVG § 48<br />
Die Kl hat, solange die Zahlung eines Vorschusses auf Anwaltshonorar<br />
nicht durch Überweisungsbeleg, Kontoauszug o. ä.<br />
nachgewiesen ist, gegen ihre Rechtsschutzversicherung einen –<br />
als Minus im Zahlungsanspruch enthaltenen – Freistellungsanspruch<br />
in Höhe der vom Anwalt als Vorschusszahlung geltend<br />
gemachten und zu erwartenden Anwaltsgebühren einschließlich<br />
einer Besprechungsgebühr.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
AG Köln, Urt. v. 25.7.2001 – 141 C 58/01<br />
Aus den Gründen: Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die<br />
örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gemäß § 21 ZPO<br />
im Hinblick auf die in Köln vorhandene Niederlassung der Bekl<br />
gegeben. Der Hinweis der Bekl auf § 48 VVG geht fehl, da diese<br />
Vorschrift keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründet. Der Kl<br />
steht es daher frei, die Klage im Gerichtsstand der Niederlassung<br />
zu erheben.<br />
Die Klage ist auch mit der Maßgabe begründet, dass die Kl<br />
von der Bekl nicht die Zahlung des Vorschusses, sondern lediglich<br />
die Freistellung von dem Vorschussanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten<br />
in der beantragten Höhe von 8.000 DM verlangen kann.<br />
Gemäß § 17 BRAGO kann der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber<br />
für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden<br />
Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss fordern.<br />
Dieser Vorschussanspruch richtet sich auch dann<br />
ausschließlich gegen den Mandanten, wenn zu dessen Gunsten<br />
eine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist. In diesem Fall hat<br />
aber der Mandant als Versicherungsnehmer gemäß § 1 Abs. 2 ARB<br />
einen Anspruch gegen den Versicherer auf Freistellung (vgl. Gerold/Schmidt/von<br />
Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für<br />
Rechtsanwälte, 14. Aufl. 1999, § 17 Rdnr. 15). Fordert der Rechtsanwalt<br />
von seinem Mandanten – wie im vorliegenden Fall – einen<br />
Vorschuss, so hat der Versicherer diesen gegenüber dem Mandanten<br />
zu erfüllen (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert aaO.).<br />
Die von der Bekl gegen diesen Anspruch geltend gemachten<br />
Einwendungen greifen nicht durch. Entgegen der Auffassung der<br />
Bekl ist der Versicherungsfall bereits durch die Erblindung der<br />
Tochter der Kl eingetreten (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl.<br />
1998, § 14 ARB 75, Rdnr. 1 m. w. N.). Ob den behandelnden Ärzten<br />
dabei ein Behandlungsfehler unterlaufen ist oder nicht, soll gerade<br />
das ins Auge gefasste Verfahren klären. Entgegen der Ansicht<br />
der Bekl bedarf es auch keines Ablehnungsschreibens der Universitätsklinik<br />
Charite. Nachdem die Kl gegenüber der Universitätsklinik<br />
Charite mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom<br />
9.4.2001 (S. 19 d. A.) ihre Ansprüche geltend gemacht und diese<br />
unter Fristsetzung bis zum 18.4.2001 aufgefordert hat, die Haftung<br />
dem Grunde nach zu erkennen, brauchte nur der Ablauf dieser Frist<br />
abgewartet zu werden.<br />
Bedenken gegen die Höhe des geltend gemachten Vorschussanspruches<br />
bestehen ebenfalls nicht. Die Höhe des Vorschusses<br />
richtet sich nach der voraussichtlichen Höhe der Vergütung. Der<br />
Vorschuss kann dabei in der vollen der Vergütung gefordert werden,<br />
nicht nur in Höhe eines Teilbetrages (vgl. Gerold/Schmidt/von<br />
Eicken/Madert, aaO., § 17 Rdnr. 5). Der in der Kostennote vom<br />
4.4.2001 (Bl. 16 d. A.) zugrunde gelegte Streitwert von insgesamt<br />
650.000 DM erscheint durchaus angemessen, hat doch die Rechtsprechung<br />
bei der völligen Erblindung eines Kleinkindes Schmerzensgeldbeträge<br />
zwischen 350.000 DM und 500.000 DM zuzüglich<br />
einer monatlichen Rente von 500 DM bis 650 DM zugesprochen<br />
(vgl. OLG Köln NJW-RR 1996, 281; LG Hanau ZfS 1995, 211;<br />
siehe auch Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 20. Aufl.,<br />
Entscheidungen Nr. 2677, 2679 und 2686). Letztlich kann die Frage<br />
aber offen bleiben, da selbst bei einem Streitwert von 500.000 DM<br />
der hier geltend gemachte Vorschussanspruch von 8.000 DM (zuzüglich<br />
der bereits gezahlten 2.511,40 DM) gerechtfertigt wäre.<br />
Entgegen der Auffassung der Bekl ist es auch unerheblich, ob die<br />
Besprechungsgebühr bereits entstanden ist. Der Vorschussanspruch<br />
bezieht sich nämlich auch auf solche Gebühren, deren Entstehung<br />
erst zu erwarten ist (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO.,<br />
§ 17 Rdnr. 5). Sollte eine Besprechungsgebühr im vorliegenden<br />
AnwBl 1/2003<br />
Rechtsprechung<br />
Fall noch nicht entstanden sein, ist deren Entstehung aber ohne<br />
weiteres zu erwarten.<br />
Die Kl hat allerdings nicht – etwa durch die Vorlage eines<br />
Überweisungsbeleges, Kontoauszuges o. a. – nachgewiesen, dass<br />
sie bereits 8.000 DM an ihre Prozessbevollmächtigten gezahlt hat.<br />
Aus diesem Grunde ist ihr Vorschussanspruch gegen die Bekl –<br />
wie oben bereits erwähnt – lediglich auf Freistellung und nicht auf<br />
Zahlung gerichtet. Dieser Freistellungsanspruch ist als Minus im<br />
Zahlungsantrag enthalten.<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.<br />
Eine Kostenverteilung im Hinblick auf den Umstand, dass hier<br />
lediglich zur Freistellung und nicht zur Zahlung verurteilt worden<br />
ist, kommt nicht in Betracht, da es sich wirtschaftlich gesehen um<br />
da gleiche Ergebnis handelt.“<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dirk Christoph Ciper, Düsseldorf<br />
impressum<br />
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Berlin (Mitte), Tel. 030/ 726152-0, Fax 030/726152-191, e-<br />
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(v. i. S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des<br />
Herausgebers.Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft<br />
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vorliegen. Zuschriften: Für die Schriftleitung bestimmte Zuschriften<br />
sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare<br />
werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright:<br />
Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />
gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und<br />
Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken<br />
oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />
der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />
w
XIV<br />
4<br />
9 Eine Übersicht zu „Informationen zur<br />
Besteuerung des E-Commerce“ ist bei<br />
STB-Web erhältlich. Die auf Kanzleien<br />
und KMU spezialisierte Webeagentur<br />
mit Sitz in Marburg (Lahn) bietet seit<br />
1999 Lösungen für Fachrecherche, Marketing<br />
und Kommunikation im Internet<br />
an. Der zugrundeliegende Newsartikel<br />
verweist auf Beiträge des BMF, steuernewsletter.de<br />
sowie eine Arbeit von<br />
Axel Conrad über die Besteuerung von<br />
Geschäften im Internet in Deutschland,<br />
UK und den USA sowie dazugehörigen<br />
Links und News (mit Stand 9/ 2001).<br />
Das BMF beschreibt nach den wesentlichen<br />
Begriffserklärungen, was Mandanten<br />
unternehmen müssen, um ihre steuerlichen<br />
Verpflichtungen zu erfüllen:<br />
Verfahrensfragen, Umsatzsteuer, Einkommensteuer<br />
und Sonstige Steuern. Ein<br />
Glossar rundet das Informationsangebot<br />
ab.<br />
http://www.stb-web.de/news/article.php/<br />
id/86 (HIT)<br />
9 Nicht mehr brandaktuell aber eventuell<br />
noch weitgehend unbekannt: Aus einer<br />
weiteren Mitteilung von STB-Web ergibt<br />
sich, daß Nordrhein-Westfalen bereits seit<br />
dem 1. April 2002 als erstes Bundesland<br />
das Web nutzt, um die nach der Insolvenzordnung<br />
notwendigen Bekanntmachungen<br />
publik zu machen. Die Internet-<br />
Veröffentlichung ist durch eine Änderung<br />
der Insolvenzordnung ermöglicht worden,<br />
die auf einen Vorschlag von NRW-Justizminister<br />
Jochen Dieckmann zurückgeht.<br />
Unter http://www.insolvenzen.nrw.de<br />
können sich interessierte Bürger über das<br />
Insolvenzgeschehen in NRW informieren<br />
und abrufen, wer insolvent geworden ist<br />
und wer eine Chance zur Restschuldbefreiung<br />
hat. Eine uneingeschränkte Suche<br />
nach Bekanntmachungen ist jedoch nur<br />
innerhalb von zwei Wochen nach dem ersten<br />
Tag der Veröffentlichung zulässig, danach<br />
ist die Kenntnis von Verfahrensdaten<br />
notwendig.<br />
Unter http://www.zvg.nrw.de sind weiterhin<br />
Einblicke in die Zwangsversteige-<br />
Internet –Aktuell<br />
rungsdaten von Immobilien in Nordrhein-Westfalen<br />
zu erhalten (sogar mit<br />
Fotos und Gutachten zum Download).<br />
http://www.stb-web.de/news/article.php/<br />
id/15 (HIT)<br />
9 Die Jusline AG führt ein interessantes<br />
Gerichtsverzeichnis. Der kostenlose<br />
Dienst kann über den Button „Rechtsprechung“<br />
erreicht werden. Im dann rechts<br />
oben aktualisierten Auswahbereich führt<br />
„Gerichte“ weiter zur endgültigen Optionsliste.<br />
Unter „Auswahl des zuständigen<br />
deutschen Gerichtes“ ist die Ermittlung<br />
zum Beispiel durch Eingabe der<br />
Postleitzahl realisierbar. Die weiteren<br />
Links führen zu Adressammlungen einzelner<br />
Gerichtsarten. Von dort aus ist sogar<br />
die direkte Anwahl der jeweiligen<br />
Gerichtshomepage möglich, sofern vorhanden.<br />
Erwähnt sei auch die hilfreiche<br />
Zusammenstellung von Online-Bibliotheken<br />
und der Handelsregister-Auszugsdienst<br />
(Ergebnisse nach Angabe dort innerhalb<br />
von zwei Stunden per E-Mail).<br />
http://www.jusline.de/ (HIT)<br />
9 Schon seit einiger Zeit war es angekündigt;<br />
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes<br />
sollen online beim BGH<br />
abrufbar werden. Seit dem 15.11.2002<br />
ist es nun soweit. Wie der Deutsche Anwaltverein<br />
am gleichen Tag auf seiner<br />
Homepage meldete, sind als Service für<br />
den Bürger nun über 5.000 Entscheidungen<br />
des Bundesgerichtshofs ab dem Jahr<br />
2000 hinterlegt und können nach Aktenzeichen<br />
oder Datum abgefragt werden.<br />
Weiterhin kann mit Begriffen aus dem<br />
Entscheidungstext gesucht werden. Die<br />
Entscheidungen sind im sog. PDF-Format<br />
abgespeichert. und entsprechen 1:1<br />
den Originalentscheidungen des Bundesgerichtshofs.<br />
Einsehbar sind Entscheidungen,<br />
die in der Presse oder im Fernsehen<br />
zitiert werden oder über die eine<br />
Pressemitteilung des Gerichts berichtet.<br />
Sobald die schriftlichen Entscheidungsgründe<br />
vorliegen und den Parteien zugestellt<br />
sind, werden sie über das Internet<br />
unter http://www.bundesgerichtshof.de<br />
auch allgemein zugänglich sein, so die<br />
Meldung 117/2002.<br />
http://www.anwaltverein.de/bgh117-02.html<br />
(HIT)<br />
9 Trotz klarstellender Urteile zur Verantwortlichkeit<br />
der DENIC (landläufig als<br />
zentrale deutsche Domainvergabestelle<br />
bezeichnet), gibt es immer wieder Unsicherheiten.<br />
Ein Artikel im Handelsblatt<br />
vom 30. September 2002 sorgte offenbar<br />
für Verwirrung. DENIC ließ verlautbaren,<br />
daß es sich bei dem dort erwähnten<br />
Urteil des Landgerichts Frankfurt<br />
nicht um eine aktuelle Entscheidung handele,<br />
sondern um eine Entscheidung vom<br />
Mai 2000, die darüber hinaus gegenstandslos<br />
sei. Entgegen dem Eindruck,<br />
den der Artikel und der Kommentar erwecke,<br />
bestehe somit für DENIC keine<br />
Verpflichtung, Domains zu „sperren“.<br />
Diese Rechtsposition werde auch durch<br />
zwei weitere Urteile bestätigt, die die<br />
Domain „kurt-biedenkopf.de“ betreffen,<br />
und die im Gegensatz zum Urteil des<br />
Landgerichts Frankfurt Bestand haben.<br />
Sowohl das Landgericht Dresden als<br />
auch das Oberlandesgericht Dresden hätten<br />
in diesem Fall entschieden, daß eine<br />
„Sperrung“ von Domains von der DE-<br />
NIC nicht verlangt werden könne. Es sei<br />
in diesem Zusammenhang daher wenig<br />
hilfreich, Unternehmen explizit aufzufordern,<br />
mit „Sperrungs“-wünschen an die<br />
DENIC heranzutreten.<br />
http://www.denic.de/doc/DENIC/presse/<br />
handelsblatt.html (HIT)<br />
ergänzend<br />
http://www.denic.de/doc/recht/rspr/<br />
index.html (HIT)<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />
Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />
Augsburg (HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />
Henke, DAV, Berlin (HEN).
XVIII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite X)<br />
9 Aktuelles Unterhaltsrecht<br />
Helmut Borth, Präsident des AG, Stuttgart<br />
14. Februar 2003 in Braunschweig<br />
Seminar: R 11203-03<br />
9 Expertenseminar zum Unterhaltsrecht:<br />
Inhaltskontrolle von Eheverträgen<br />
– Bedarfsveränderungen –<br />
Wohnwert<br />
Helmut Borth, Präsident des AG, Stuttgart<br />
15. Februar 2003 in Braunschweig<br />
Seminar: R 21205-03<br />
Anmeldung und Info:<br />
DeutscheAnwaltAkademie,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />
Tel. (0 30) 72 61 53-0,<br />
Fax 72 61 53-111<br />
www.anwaltakademie.de<br />
Institut für Anwaltsrecht an<br />
der Universität München<br />
Ringvorlesung „anwaltliche<br />
Berufsfelder“<br />
Das Institut für Anwaltsrecht an der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München bietet im Wintersemester<br />
2002/2003 eine Veranstaltungsreihe<br />
„Anwaltliche Berufsfelder“ an, bei<br />
der Anwälte über ihren Beruf berichten.<br />
Die Veranstaltungen finden jeweils<br />
donnerstags, 18.15 Uhr im<br />
Hörsaal 109 der Universität (Ainmillerstr.<br />
11, 80801 München, Anmeldung<br />
nicht erforderlich; keine Teilnehmergebühr)<br />
statt. Folgende Themen<br />
sind vorgesehen:<br />
9 9.1.2003: RAin Weiler, Mediation<br />
in unterschiedlichen Bereichen<br />
des Zivilrechts<br />
9 23.1.2003: RA Prof. Dr. Ingerl, Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
9 30.1.2003: RA Dr. Kempter, Aus<br />
dem Alltag eines Fachanwalts für<br />
Arbeitsrecht<br />
9 6.2.2003: RA Schließ, Internetrecht<br />
in der anwaltlichen Praxis<br />
9 13.2.2003: RA Dr. Jofer, Strafverteidigung<br />
in der Praxis<br />
Weitere Veranstaltungen sind:<br />
9 25.1.2003, 10.00 bis 13.00 Uhr s. t.<br />
(im Institut): Prof. Dr. Schweizer,<br />
Typische Anwaltsfehler auf dem<br />
Gebiet des Wirtschaftsrechts<br />
(Teilnehmergebühr: Studenten, Referendare:<br />
keine; Rechtsanwälte: 25 E;<br />
Anmeldung erforderlich per E-Mail<br />
oder Anruf)<br />
9 3. bis 28.3.2003 an der Universität<br />
München: Der Anwalt in der Praxis,<br />
bayerischer Anwaltskurs für<br />
Rechtsreferendare<br />
(Teilnehmergebühr: keine; Anmeldung<br />
erforderlich beim OLG München)<br />
9 14.1.2003, 17.00 bis 19.00 Uhr s. t.<br />
(im CIP-Pool, Raum E 48, Juristisches<br />
Seminargebäude, Prof.-Huber-Platz<br />
2, München), Der Jurist<br />
und die EDV, Referent Thomas<br />
Riehm, wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl<br />
Prof. Canaris<br />
(Teilnehmergebühr: Studenten, Referendare:<br />
keine; Rechtsanwälte: 25 E,<br />
Anmeldung erforderlich per E-Mail<br />
oder Anruf;)<br />
Information und Anmeldung: Institut<br />
für Anwaltsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München, Ainmillerstr.<br />
11, 80801 München, Tel.:<br />
089/ 34 02 94 – 76; Fax: 089/34 02 94<br />
– 78, www.anwaltsrecht.de; info@anwaltsrecht.de<br />
Leipziger Insolvenzrechtstag e.V.<br />
Vierter Leipziger<br />
Insolvenzrechtstag 3. März 2003<br />
Der Leipziger Insolvenzrechtstag e.V.<br />
(ein Zusammenschluss von in Leipzig<br />
tätigen Insolvenzverwaltern, Insolvenzrichtern,<br />
Rechtspflegern, Mitarbeitern<br />
von Banken und Vertretern<br />
der Wissenschaft) unter wissenschaftlicher<br />
Mitarbeit des Institutes für Anwaltsrecht<br />
der Juristenfakultät der Universität<br />
Leipzig (Prof. Dr. Christian<br />
Berger; Prof. Dr. Ekkehard Becker-<br />
Eberhard) veranstaltet am 3. März<br />
2003 den Vierten Leipziger Insolvenzrechtstag.<br />
Im Mittelpunkt des ganztägigen<br />
Symposiums stehen folgende<br />
Vorträge und Workshops:<br />
(1) „Auswirkungen der Schuldrechtsreform<br />
auf das Insolvenzrecht“ (Arne<br />
Wittig, Deutsche Bank AG, Frankfurt;<br />
Prof. Dr. Achim Albrecht, Recklinghausen);<br />
(2) „Steuern in der Insolvenz“ (Vors-<br />
RiOLG Dr. Dietmar Onusseit, Dresden;<br />
RA Ulrich Kraft, Dresden; RA<br />
Dr. Klaus Olbing, Berlin);<br />
(3) „Immaterialgüterrechte in der Insolvenz“<br />
(RA Dr. Thomas Hoffmann,<br />
Berlin; RA Dr. Paul Abel, München;<br />
Dr. Andreas Fröhlich, perspektiv<br />
GmbH, München).<br />
Der Teilnehmerbeitrag beträgt 350 E,<br />
für max. seit zwei Jahren zugelassene<br />
Rechtsanwälte 250 E, für Angehörige<br />
des öffentlichen Dienstes 25 E. Im<br />
Teilnehmerbeitrag ist der Tagungsband<br />
enthalten. Die Teilnahme wird auf -<br />
Wunsch als Fortbildungsveranstaltung<br />
gem. § 15 Fachanwaltsordnung bescheinigt.<br />
Informationen bei: Leipziger Insolvenzrechtstag<br />
e. V., c/o Prof. Dr. Christian<br />
Berger, Institut für Anwaltsrecht, PSF<br />
100920, 04009 Leipzig; Tel.: 03 41/<br />
9 73 53 10, Fax: 03 41/9 73 53 19;<br />
http://www.insolvenzrechtstag.de.<br />
Buchhinweis<br />
„Schnittstellen zwischen Steuer-,<br />
Familien- und Erbrecht‘‘<br />
Herausgeber: Geschäftsführender<br />
Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />
Familien- und Erbrecht im Deutschen<br />
Anwaltverein, 384 S., Deutscher Anwaltverlag,<br />
Bonn 2002, 21,40 E<br />
Die Arbeitsgemeinschaft hat sich dem<br />
Thema bereits in der Vergangenheit<br />
mit verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen<br />
gewidmet. 2002 fand erstmals<br />
in Warth, Österreich, ein einwöchiges<br />
Seminar statt, das sich<br />
insbesondere mit Fragen der Einkommensermittlung<br />
und Einkommensmanipulation,<br />
mit der steuerlichen Veranlagung<br />
von Eheleuten und dem<br />
Steuerausgleich zwischen ihnen sowie<br />
mit den Bewertungen im Endvermögen<br />
und Nachlass und mit familienund<br />
erbrechtlichen Gestaltungen befasst<br />
hat.
Die Inhalte dieses Seminars werden in<br />
dem soeben erschienenen Buch dokumentiert.<br />
Sie können dieses Buch, das Ihnen die<br />
anwaltliche Beratung und Vertretung<br />
auf den genannten Gebieten erleichtern<br />
soll, bei CP bestellen, auch per E-<br />
Mail (info@cp-bonn.de):<br />
Das nächste Seminar findet vom 8. bis<br />
15. März 2003 in Warth statt. Das ausführliche<br />
Programm finden Sie ebenfalls<br />
im Internet.<br />
Veranstaltungsagentur der AG Familien-<br />
und Erbrecht, conventionpartners<br />
gmbh, Gerhard-Rohlfs-Str. 22,<br />
53173 Bonn Tel.: 02 28/3 50 04 40,<br />
Fax.:0228/3500450,www.cp-bonn.de,<br />
E-Mail baas@cp-bonn.de<br />
Internet<br />
Gefahren aus dem Internet<br />
Der tägliche Geschäftsbetrieb erfordert<br />
von jedem Unternehmen die Nutzung<br />
des Internets zum Beschaffen von Informationen<br />
und zum Datenaustausch!<br />
Eine gewisse Vorsicht ist dabei allerdings<br />
nicht ganz unberechtigt.<br />
Wer sein internes Netzwerk an das Internet<br />
anbindet, muss es damit zumindest<br />
teilweise für den Datenaustausch<br />
öffnen. Das bringt Risiken mit sich,<br />
die man erkennen und minimieren<br />
muss: Wer die eigene IT-Infrastruktur<br />
öffnet, geht die Gefahr von Spionage,<br />
Manipulation und Zerstörung ein. Potenziellen<br />
Angreifern stehen verschiedene<br />
Möglichkeiten zur Kompromittierung<br />
des eigenen Netzes zur Verfügung.<br />
Sie können beispielsweise<br />
Viren, Würmer oder Trojanische<br />
Pferde in das System einschleusen,<br />
sich unberechtigten Zugang zum System<br />
verschaffen oder dessen Verfügbarkeit<br />
beeinträchtigen.<br />
Der Schaden, den ein einzelner Virus<br />
verursacht, wird von den Teilnehmern<br />
der aktuellen KES/KPMG-Sicherheitsstudie<br />
2002 auf rd. 26.000 E im Unternehmen<br />
eingeschätzt.<br />
Einer Umfrage zur IT-Security von<br />
Pricewaterhouse-Coopers und Informationweek<br />
zufolge, waren im Jahr 2001<br />
57 % aller befragten Unternehmen in<br />
Deutschland Sicherheitsverletzungen<br />
in Form von Computerviren und Trojanischen<br />
Pferden ausgesetzt.<br />
Code Red (2002) 2,62 Mrd. USD<br />
SirCam (2002) 1,15 Mrd. USD<br />
Nimda (2002) 635 Mio. USD<br />
„I Love You“ (2000) 8,75 Mrd. USD<br />
Melissa (1999) 1,10 Mrd. USD<br />
Explorer (1999) 1,02 Mrd. USD<br />
Quelle: CSI/FBI Computer-Crime and Security<br />
Survey 2002<br />
Üblicherweise haben gerade mittelständische<br />
Unternehmen Maßnahmen gegen<br />
diese Gefahren getroffen. Auf den<br />
PCs der Mitarbeiter sind zumeist Virenscanner<br />
und Personal Firewalls installiert;<br />
der Zugang zum Internet wird<br />
durch einen vorkonfigurierten IDSNoder<br />
DSL-Router realisiert. Lobenswert<br />
daran ist, dass sich die Firmen Gedanken<br />
über die Sicherheit gemacht haben<br />
und ihre System-Lieferanten versuchen,<br />
diese mit auf dem Markt<br />
verfügbaren Standard-Lösungen zu<br />
gewährleisten. Diese Strategie ist aber<br />
nur dann weitgehend ausreichend:<br />
9 wenn alle PC-Anwender mit der<br />
Sicherheits-Software vertraut sind<br />
(z. B. durch Schulungen).<br />
9 wenn alle Mitarbeiter an den PCs<br />
keine Freemail-Anbieter benutzen.<br />
9 wenn alle Systeme ständig fachgerecht<br />
administriert und gewartet werden<br />
(Update der Virenscanner, Einspielen<br />
von Servicepacks und Patches).<br />
9 wenn jeder Download aller Mitarbeiter<br />
aus dem Internet auf Viren geprüft<br />
wird.<br />
Das heißt die Disziplin, die Loyalität<br />
und vor allem das technische Know-<br />
How der Mitarbeiter spielen in diesem<br />
Szenario eine sehr große Rolle. Diese<br />
Rolle darf aber nicht jedem einzelnen<br />
Mitarbeiter aufgebürdet werden, da er<br />
z. B. aufgrund seiner Ausbildung oder<br />
seiner Tätigkeit gar nicht in der Lage<br />
sein kann, sie zu erfüllen.<br />
Abgesehen vom immensen Administrations-Aufwand<br />
einer solchen (eigentlich<br />
dezentralen) Lösung sind einige<br />
wichtige Sicherheits-Ziele auch<br />
im Idealfall auf diese Weise prinzipiell<br />
nicht zu realisieren:<br />
9 Gewährleisten eines firmenweiten<br />
Sicherheits-Standards<br />
9 Zentrale Konfiguration und Kontrolle<br />
des Übergangspunktes zum Internet<br />
9 Schutz des internen Netzwerks<br />
trotz Kompromittierung des Zugangspunktes<br />
zum Internet<br />
9 Allgemeine oder arbeitsplatzbezogene<br />
Zugangsbeschränkungen für bestimmte<br />
Internet-Seiten und -Dienste<br />
XIX<br />
9 Zentrale Protokollierung des Datenverkehrs<br />
mit dem Internet<br />
9 Heterogene Umgebung, z. B. Windows-Arbeitsplatz-Rechner<br />
und Internet-Zugang<br />
über UNIX/Linux-Rechner<br />
(mehrere unterschiedlich realisierte Systeme<br />
sind schwieriger zu überwinden)<br />
9 Einsatz von „Open Source Software“<br />
für den Internet-Zugang (Sicherheit<br />
wird von vielen Experten<br />
überprüft)<br />
Die angeführten prinzipiellen Schwächen<br />
und Unwägbarkeiten in der<br />
Durchführung machen es zur Managementaufgabe,<br />
die Mitarbeiter zu entlasten<br />
und eine Strategie zu entwerfen,<br />
die den zusätzlichen Sicherheits-Zielen<br />
gerecht wird.<br />
9 Ein IT-Verantwortlicher für Sicherheit<br />
wird definiert (und ggf. ausgebildet),<br />
der als Schnittstelle zu einem<br />
9 externer Sicherheits-Dienstleister<br />
fungiert. Letzterer stellt das sicherheitstechnische<br />
Spezialwissen bereit<br />
und legt die<br />
9 Sicherheits-Anforderungen zusammen<br />
mit dem IT-Verantwortlichen fest.<br />
Gemeinsam<br />
9 definieren und realisieren sie das<br />
Sicherheits-Konzept. Der Sicherheits-<br />
Dienstleister<br />
9 wartet das Sicherheits-System ständig<br />
und passt es ggf. neuen Anforderungen<br />
an. Darüber hinaus sollten von<br />
ihm auch<br />
9 Mitarbeiter sicherheitstechnisch geschult<br />
werden.<br />
Die Kosten eines derartigen Systems<br />
lassen sich beziffern. Wieviel ein gutes<br />
Sicherheits-Konzept und dessen<br />
Realisierung wert sind bzw. an Schaden<br />
ersparen, wird man allerdings nie<br />
in Euro und Cent ausdrücken können.<br />
Denn im Gegensatz zu einer Versicherung<br />
greift es ja bereits, bevor ein<br />
Schaden entsteht. Jegliche Diskussion<br />
über die tatsächliche Höhe des Schadens<br />
(z. B. mit der Versicherungs-Gesellschaft)<br />
erübrigt sich dadurch.<br />
Überspitzt formuliert: Wer eine gute<br />
Unfallversicherung abgeschlossen hat,<br />
verzichtet beim Autokauf doch auch<br />
nicht auf die Airbags und verlässt sich<br />
nur auf den Sicherheitsgurt ...<br />
Thomas Birnthaler, Dipl.-Inf. Univ.,<br />
freier Trainer und IT-Berater,<br />
thomas.birnthaler@t-online.de<br />
Hermann Gottschalk,<br />
Dipl.-Phys. Univ., Geschäftsführer der<br />
up2date solutions GmbH,<br />
hg@up2date-solutions.de,<br />
www.up2date-solutions.de