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Heft 12 701-764 - Anwaltsblatt

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DeutscherAnwaltVerein<br />

Aus dem Inhalt<br />

G11041<br />

Aufsätze<br />

Reform des Jurastudiums (Hesse) <strong>701</strong><br />

EU-Harmonisierung – Globalisierung –<br />

Kommerzialisierung – Anwaltschaft quo<br />

vadis? (Hellwig) 705<br />

Zwischenbemerkung<br />

Das Plädoyer der Frau Kollegin (Fuchs) 731<br />

Gastkommentar<br />

Mediation als Chance der Anwaltschaft (Bohl) 737<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

DAVcontra Rechtsextremismus und Gewalt 739<br />

Gebührenrecht-Sommerintensivkurs 740<br />

Europa<br />

DACH – Europäische Anwaltsvereinigung 743<br />

Rechtsprechung<br />

EGMR: Mandantenstamm als Vermögensrecht 747<br />

BGH: Anwalt und Maklerprovision 753<br />

<strong>12</strong>/2000<br />

Dezember DeutscherAnwaltVerlag


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Aufsätze<br />

<strong>701</strong> Reform des Universitätsstudiums der Rechtswissenschaft –<br />

Ein Verfahrensvorschlag –<br />

Von Prof. Dr. Hans Albrecht Hesse, Hannover<br />

705 Internationaler Rechtsverkehr: EU-Harmonisierung –<br />

Globalisierung – Kommerzialisierung – Anwaltschaft quo vadis?<br />

Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />

Frankfurt a. M.<br />

710 Länderbericht Niederlande<br />

Von Peter von Schmidt auf Altenstadt, Advocaat,<br />

Präsident der Nederlandse Orde van Advocaaten<br />

7<strong>12</strong> Länderbericht Schweiz<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Niklaus Studer, Vizepräsident<br />

des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Solothurn/ Schweiz<br />

714 Länderbericht Frankreich<br />

Von Rechtsanwalt/Avocat à la Cour Karl Hepp de Sevelinges,<br />

Paris<br />

716 Länderbericht England<br />

Von Charles Leach, Solicitor, London<br />

718 Kommentar aus den USA<br />

Von Rex R. Perschbacher, Dean and Professor of Law,<br />

School of Law, University of California, Davis (US A)<br />

719 EU-Harmonisierung – Globalisierung – Kommerzialisierung –<br />

Anwaltschaft quo vadis? – Zusammenfassung –<br />

Von Rechtsanwalt Klaus Böhlhoff, Präsident der IBA, New<br />

York<br />

722 Die Gebührenstrukturvorschläge des DAV: Allgemeine Regeln<br />

und Gebühren für die außergerichtliche Anwaltstätigkeit<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Hannover<br />

724 Die Gebührenstrukturvorschläge des DAV:<br />

Gebühren in Strafsachen und in Bußgeldsachen<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dietrich Herrmann, Berlin<br />

Zwischenbemerkung<br />

731 Das Plädoyer der Frau Kollegin<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Erwin Fuchs, Jülich<br />

Gastkommentar<br />

737 Die Mediation – eine Chance für die Anwaltschaft<br />

Von Dr. Elke Dorothea Bohl, FAZ<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Schriftleitung:<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Berlin, Littenstraße 11<br />

Jahrgang 50<br />

Dezember 2000<br />

738 Justizreform – Zivilprozess: DAV aktiv gegen wesentliche Teile<br />

dieser Justizreform<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

739 Deutscher Anwaltverein contra Rechtsextremismus und Gewalt<br />

740 Deutsche Anwaltakademie:<br />

Gebührenrecht-Sommerintensivkurs 2000<br />

Von Rechtsanwältin Sabine Henkel, Magdeburg<br />

b <strong>12</strong>/2000<br />

l<br />

741 AnwaltsKunstblatt<br />

742 AG Steuerrecht im DAV:<br />

Steueranwalt 2000 – zwischen Sonnenschein und Horror<br />

Von Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz/ Zürich<br />

AG Verkehrsrecht im DAV:<br />

Journalistenseminar 2000<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

Europa<br />

743 DACH Europäische Anwaltsvereinigung:<br />

Kurzdarstellung und Wahl des neuen Vorstands<br />

Von Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Berlin<br />

Mitteilungen<br />

744 Ausland: Zwölf Jahre Vereinigung für deutsch-russisches<br />

Wirtschaftsrecht<br />

745 Haftpflichtfragen: Obliegenheiten im<br />

Haftpflichtversicherungsfall<br />

Von Rechtsanwalt Michael Dobmaier<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Rechtsprechung<br />

(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />

747 Berufsrecht<br />

759 Gebührenrecht<br />

Rechtsprechung Nachschlag<br />

761 Rechtsprechung-Leitsätze zum Berufsrecht,<br />

zur Prozesskostenhilfe, zum Prozessrecht<br />

763 Impressum<br />

Schlussbemerkung<br />

<strong>764</strong> „Der gute Engel“<br />

Von Philipp Heinisch, Zeichner und Karikaturist, Berlin<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Informationen Seite VI, X<br />

Internet-Aktuell Seite XXVI<br />

DAV-Service Seite XXVIII


II<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

EGMR, Vierte Kammer, Entscheidung v. 2.11.1999, Döhring<br />

gegen Deutschland (Nr. 37595/97)<br />

Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, Art. 14 EMRK<br />

1. Der durch die Eröffnung und den Aufbau einer Anwaltskanzlei<br />

geschaffene Mandantenstamm stellt ein Vermögensrecht<br />

und damit Eigentum i. S. d. Art. 1 des 1. ZP dar.<br />

2. Die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung ist ein Eingriff<br />

in das Eigentumsrecht.<br />

3. Der Eingriff beruht auf § 1 Abs. 2 RNPG, dessen Auslegung<br />

durch die nationalen Gerichte nicht als willkürlich zu<br />

beurteilen ist. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig, da der<br />

staatliche Ermessenspielraum nicht überschritten und ein gerechter<br />

Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen<br />

des Bf und dem Allgemeininteresse vorgenommen wurde,<br />

insbesondere angesichts des besonderen politischen Kontextes<br />

der Wiedervereinigung, in den sowohl die Zulassung des<br />

Bf zur Rechtsanwaltschaft als auch die Rücknahme seiner<br />

Zulassung fiel. (LS der Bearbeiterin) – S. 747<br />

OLG München, Urt. v. 5.5.2000 – 23 U 6086/99<br />

BGB §§ 8<strong>12</strong> ff.; § 134; StGB § 203<br />

1. War der Erwerber vor der Übertragung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />

in der übertragenen Kanzlei nicht in irgendeiner<br />

Form beschäftigt, verstößt der Kanzleiübertragungsvertrag<br />

auch dann gegen § 134 BGB i. V. m. § 203 I Nr. 3 StGB,<br />

wenn der Veräußerer nach der Übergabe der Kanzlei als freier<br />

Mitarbeiter des Erwerbers tätig ist; die Begründung einer<br />

„Außensozietät“ ändert an dieser Rechtsfolge nichts.<br />

2. Ist die Rückabwicklung eines gesetzwidrigen Vertrages<br />

nicht über § 817 S 2 BGB ausgeschlossen, haften beide Vertragspartner<br />

für die Rückabwicklung gem. § 819 II BGB analog.<br />

– S. 748<br />

BGH, Urt. v. 6.7.2000 – IX ZR 134/99<br />

BGB § 202 Abs. 1, §§ 205, 675; BRAO § 51a. F.<br />

Wird ein Anspruch des Mandanten gegen einen Dritten wegen<br />

Verjährung abgewiesen, enthält die Mitteilung des Rechtsanwalts<br />

an den Mandanten, er werde das Urteil schon deshalb<br />

mit der Berufung anfechten, weil sich daraus ein Schadensersatzanspruch<br />

gegen ihn ergeben könnte, für sich allein kein<br />

Angebot auf Abschluss eines die Verjährung des Regressanspruchs<br />

hemmenden Stillhalteabkommens. – S. 752<br />

BGH, Urt. v. 8.6.2000 – III ZR 186/99<br />

BGB § 654<br />

Zur Frage der Verwirkung des Anspruchs einer Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts auf Vermittlungsmaklerprovision, wenn<br />

einer der Gesellschafter zugleich als Rechtsanwalt für die<br />

Gegenseite tätig geworden und dies nicht offengelegt worden<br />

ist. – S. 753<br />

BGH, Urt. v. 30.5.2000 – IX ZR <strong>12</strong>1/99<br />

BGB §§ 826, 652, 675, 249; BGB §§ 138, 195, 196, 8<strong>12</strong>,<br />

BRAGO § 3; BGB §§ 667, 675<br />

1. Bringt ein Rechtsanwalt seinen Mandanten in Kontakt zu<br />

einem Makler und veranlasst er diesen, für die Vermittlung<br />

eines Geschäfts eine sittenwidrig überhöhte Provision zu nehmen<br />

und davon einen wesentlichen Teil an den Anwalt abzu-<br />

führen, kann ein Anspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt<br />

aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet<br />

sein, wenn dieser ihn nicht rechtzeitig auf die Provisionsbeteiligung<br />

hingewiesen hat.<br />

2. Ein Schaden des Mandanten infolge einer überhöhten<br />

Maklerprovision ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil er<br />

trotz des unangemessenen Maklerhonorars einen höheren<br />

Kaufpreis erlangt hat, als er ihn ohne die Einschaltung dieses<br />

Maklers erzielt hätte. Vielmehr kommt es allein darauf an,<br />

wie der Mandant wirtschaftlich stände, wenn der Makler korrekt<br />

gehandelt hätte.<br />

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung<br />

eines anwaltlichen Pauschalhonorars wegen Sittenwidrigkeit<br />

nichtig ist.<br />

4. Der Anspruch des Mandanten auf Rückgewähr des zur Erfüllung<br />

einer sittenwidrigen Gebührenvereinbarung gezahlten<br />

Anwaltshonorars verjährt nicht in der kurzen Frist des § 196<br />

BGB, sondern erst nach 30 Jahren.<br />

5. Erteilt der Anwalt dem Mandanten den Rat, ein ihm gehörendes<br />

Grundstück nicht an den zunächst vorgesehenen Erwerber<br />

zu veräußern, und vermittelt er in engem Zusammenhang<br />

damit den Kontakt zu einem Makler, der einen neuen<br />

Käufer suchen soll, hat der Anwalt eine ihm vom Makler<br />

ohne Kenntnis des Auftraggebers gewährte Provision an diesen<br />

herauszugeben. – S. 754<br />

OVG NRW, Urt. v. 28.1.2000 – 4 A 3311/97<br />

WPO § 47 S. 2<br />

Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Leitung<br />

von Zweigniederlassungen eines vereidigten Buchprüfers<br />

hängt vor allem vom Geschäftsumfang ab. – S. 758<br />

Gebührenrecht<br />

LG Wuppertal, Kostenfestsetzungsbeschl. vom 25.5.2000 –<br />

2 O 32/00<br />

BRAGO § 27<br />

Für fotokopierte Anlagen zu den Schriftsätzen stehen dem<br />

Rechtsanwalt grundsätzlich besondere Schreibgebühren zu<br />

und diese Leistungen sind nicht durch die allgemeine Prozessgebühr<br />

abgegolten. (LS der Redaktion) – S. 759<br />

OLG München, Beschl. v. 3.4.2000 – 11 W 1076/00<br />

ZPO §§ 485, 494a II, BRAGO § 32 I, § 48<br />

Hat sich für den Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren<br />

ein Rechtsanwalt beteiligt, ohne einen Gegenantrag zu<br />

stellen oder einen Termin wahrzunehmen, entsteht für den<br />

Anwalt, wenn er in sonstiger Weise tätig geworden ist, die<br />

halbe Prozessgebühr des § 32 Abs. 1 BRAGO.<br />

Werden danach auch noch Anträge auf Fristsetzung nach<br />

§ 494a Abs. 1 bzw. auf Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2<br />

S. 1 ZPO gestellt, entsteht eine zusätzliche 10/10-Prozessgebühr<br />

aus dem Kosteninteresse des erstattungsberechtigten<br />

Antragsgegners. – S. 759<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 18.11.99 – 1 Ws 717/99<br />

BRAGO §§ 97, 99<br />

Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben,<br />

sondern an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97<br />

BRAGO mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung<br />

in vollem Umfang anzurechnen ist. (LS der<br />

Redaktion) – S. 760


X<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

9 Veranstaltung beim 52. Anwaltstag<br />

im Mai 2001 in Bremen<br />

(Zweistündige Veranstaltung im Zeitraum<br />

24.–26. Mai 2001)<br />

Thema voraussichtlich:<br />

Die Mietrechtsreform<br />

9 Herbsttagung der<br />

ARGE Mietrecht & WEG<br />

in Vorbereitung zum<br />

28./29. September 2001 in Dresden<br />

Die Mitglieder der ARGE Mietrecht &<br />

WEG erhalten das ausführliche Programm<br />

mit Anmeldeunterlagen nach<br />

Abschluss der endgültigen Programmplanung<br />

unaufgefordert zugesandt.<br />

Information: Deutscher Anwaltverein,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin, Telefon:<br />

030/726152-0, Fax: 030/726152-190<br />

AG Insolvenzrecht und<br />

Sanierung im DAV<br />

Veranstaltungskalender 2001<br />

9 Frühjahrstagung 2001<br />

29.-31. März 2001, Karlsruhe, Rennaissance<br />

Hotel, mit Vorträgen von<br />

Richtern des BGH und der Professoren<br />

Marotzke und Karsten Schmid<br />

9 Herbsttagung 2001 und<br />

Mitgliederversammlung<br />

13.-15. September 2001, Hannover<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Insolvenzrecht und Sanierung<br />

erhalten das ausführliche Programm<br />

mit Anmeldeunterlagen nach Abschluss<br />

der endgültigen Programmplanung unaufgefordert<br />

zugesandt.<br />

Information: Deutsche Anwaltakademie,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />

Frau Hoffmann, Telefon: 030/<br />

726153-183 Fax: 030/726153-188<br />

9 Internationales<br />

Insolvenzrechtssymposium in Wien<br />

26. und 27. Januar 2001 mit Teilnahme<br />

am Ärzteball in der Wiener Hofburg<br />

am 27. Januar 2001<br />

Veranstalter und Anmeldung:<br />

CLC Center of Legal Competence<br />

Verein zur Förderung der rechtlichen<br />

Ostkompetenz Österreichs<br />

Wohllebengasse 6, A-1040 Wien,<br />

Telefon: +43-1-503 73 35, Fax: +43-1-<br />

503 73 36, E-Mail: Office@clc.or.at<br />

Buchhinweis<br />

Schneider, Jochen (Hrsg.), Bauhardt,<br />

Susanne, Deutsch, Gerhard, Praktische<br />

Internet-Nutzung für Juristen, 2. aktualisierte<br />

und erweiterte Auflage 2000<br />

KOGNOS Verlag GmbH, Augsburg, 533<br />

Seiten, ISBN 3-931314-19-7, 149 DM<br />

Mit dem vorliegenden Handbuch wird das<br />

Ziel verfolgt, interessierten Nutzerkreisen<br />

einen gezielten Zugriff auf die wichtigsten<br />

Internet-Adressen aller Rechtsgebiete – in<br />

den Bereichen Gesetze, Rechtsprechung,<br />

Fachbeiträge und Arbeitshilfen – zu erleichtern<br />

und auf die Weise die Möglichkeit<br />

eines ökonomischen Umgangs mit der<br />

immer vielfältiger werdenden Informationslandschaft<br />

des Mediums Internet zu<br />

eröffnen. Zu diesem Zweck wurden unter<br />

Leitung des Herausgebers, Rechtsanwalt<br />

Prof. Dr. Schneider, München, die für die<br />

juristische Praxis relevanten Adressen aus<br />

dem Internet gefiltert und in dem Buch<br />

übersichtlich zusammengestellt. Damit liegen<br />

mehr als 1800 Fundstellen vor, die<br />

nach Rechtsgebieten geordnet und qualitativ<br />

bewertet sind. Dies trägt den Bedürfnissen<br />

vor allem von Rechtsanwälten<br />

Rechnung, die es mehr und mehr als Anbieter<br />

ins Internet zieht. Insbesondere große<br />

Kanzleien bedienen sich bereits des Internets<br />

zur Präsentation, bieten zugleich<br />

auch juristische Informationen und Bewertungen;<br />

die Kanzleibroschüre wird überdies<br />

durch den Internet-Auftritt ergänzt<br />

und aktualisiert. Die Präsentation mit dem<br />

Kanzleiprofil im Internet gewinnt somit<br />

mehr und mehr neben der bereits stattfindenden<br />

weltweiten und sekundenschnellen<br />

Kommunikation mit Geschäftspartnern<br />

und Mandanten per E-Mail an Bedeutung.<br />

Zudem ist festzustellen, dass es etwa auch<br />

im Bereich der Domain-Namens zu neuen<br />

rechtsschöpfenden Leistungen kommt;<br />

allein die Kollision mit Marke und Firma<br />

hat schon jetzt zu einer Fülle von Entscheidungen<br />

geführt.<br />

Der Aufbau des Handbuches in 6 Kapitel<br />

(Übersicht, Normen – national und international,<br />

auch Gesetzentwürfe –, Rechtsprechung –<br />

national und international –, Fachbeiträge, –<br />

allgemein und zu einzelnen Rechtsgebieten –,<br />

Arbeitshilfen – allgemein und zu einzelnen<br />

Rechtsgebieten –, wichtige Adressen, inkl.<br />

nationalen und internationalen Linksammlungen)<br />

überzeugt mit seiner übersichtlichen<br />

Gliederungsstruktur. Dieser positive<br />

Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass<br />

jedem Kapitel ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis<br />

vorangestellt ist; das Werk<br />

schließt überdies mit einem äußerst umfangreichen<br />

Stichwortregister und gibt dem<br />

Leser außerdem noch ein Glossar mit<br />

etlichen Fachtermini rund um das Internet<br />

an die Hand. Die Autoren verstehen es,<br />

sowohl für Laien als auch professionelle<br />

Anwender des Internets wertvolle Hilfen<br />

zu geben. So werden neben wichtigen<br />

Suchtipps für die gezielte Informationsbeschaffung<br />

vor allem auch die bekanntesten<br />

sog. Suchmaschinen (= robotergenerierte<br />

Indices) vorgestellt: http://www.lycos.de,<br />

http://www.fireball.de, http://www.excite.de,<br />

http://www.eule.de, http://www.altavista.de;<br />

spezielle Suchmaschinen für juristische<br />

Fundstellen werden überdies im Kapitel<br />

6.13 vorgestellt, darunter – von den Autoren<br />

als „sehr gut verwertbar“ mit 3 @-Zeichen<br />

am Textrand gekennzeichnet – http://<br />

www.vrp.de / suche / fahnder / anmelden.htm,<br />

http://gsulaw.gsu.edu/metaiindex, http://meta.rrzn.uni-hannover.de<br />

und schließlich http://<br />

www.jura.uni-duesseldorf.de/call/. Vorstellt<br />

werden nicht zuletzt aber auch die bekanntesten<br />

Internet-Verzeichnisse (= manuell<br />

erstellte Kataloge), dies sind http://www.yahoo.de,<br />

http://www.allesklar.de, http://<br />

www.dino-online.de und http://www.web.de.<br />

Als besonders beachtlich ist aber auch<br />

die Verfügbarkeit der Entscheidungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts seit 1998 im<br />

Volltext herauszustellen, welche nunmehr eigenständig<br />

im Internet präsent sind (http://<br />

www.bundesverfassungsgericht.de). Gegenüber<br />

der Erstauflage ist nicht nur die Zahl<br />

der jetzt nachgewiesenen Adressen erheblich,<br />

nämlich um mehr als ein Drittel auf<br />

über 2100, angestiegen. Gewachsen ist vor<br />

allem auch der Bereich der Rechtsprechung<br />

(Kapitel 3) und die Zahl der Internet-Adressen<br />

zu in der juristischen Praxis wichtigen<br />

Arbeitshilfen, wie Musterverträgen und Berechnungsprogrammen<br />

(Kapitel 5). Eine gewisse<br />

Vorreiterrolle kommt in Deutschland<br />

nicht zuletzt den Ministerien und anderen<br />

Anbietern zu, die es besonders seit dem vergangenen<br />

Jahr verstehen, neue Gesetze oder<br />

Gesetzentwürfe auf ihren Internet-Seiten<br />

erheblich schneller verfügbar zu machen als<br />

diese in gedruckter Form vorliegen. Neue<br />

Gesetze können mittlerweile online direkt<br />

im Bundesgesetzblatt eingesehen werden,<br />

lange bevor die Ergänzungslieferungen der<br />

Gesetzessammlungen erscheinen.<br />

In seiner Funktion als Ratgeber für juristische<br />

Fachinformationen erlaubt das vorliegende<br />

Handbuch seinen Nutzern einen<br />

schnellen und sicheren Rückgriff auf Gesetze,<br />

Verordnungen und Richtlinien, Rechtsprechungsdatenbanken,<br />

Aufsätze und Kommentierungen,<br />

Berechnungsprogramme, Musterverträge<br />

u. v. m., Gerichtsadressen, Anwaltsund<br />

Sachverständigenverzeichnisse, juristische<br />

Fachverlage, Zeitschriften und Veranstaltungstermine.<br />

Im Internet- und Multimedia-Zeitalter<br />

bietet es damit eine wertvolle<br />

Hilfe für alle juristischen Berufe, neben<br />

Gerichten vor allem für Rechtsanwälte und<br />

Notare sowie selbstverständlich für die Law-<br />

Firms, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund,<br />

dass auch in Deutschland eine Art<br />

„Fusionswelle“ mit ausländischen Sozietäten<br />

in jüngerer Zeit verstärkt festzustellen ist.<br />

Das Handbuch trägt in gelungener Weise<br />

dem Umstand Rechnung, dass über kurz<br />

oder lang die Recherche über das Internet<br />

genauso notwendig werden wird wie die<br />

über Print-Medien, wie vor allem Fachzeitschriften.<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas P. Stähler,<br />

Frankfurt am Main


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Reform des<br />

Universitätsstudiums der<br />

Rechtswissenschaft<br />

– Ein Verfahrensvorschlag –<br />

Schriftleitung:<br />

Prof. Dr. Hans Albrecht Hesse, Hannover<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 50<br />

Dezember 2000 AQl<br />

1. Ausgangslage<br />

Seitdem der Juristenausbildung die eigene Geschichte<br />

als Gewissheit und Verbindlichkeit stiftende Basis wenn<br />

nicht abhanden gekommen, so doch jedenfalls problematisch<br />

geworden ist, seitdem Juristenausbildung, wie man<br />

etwas ungenau auch sagt, selbstreflexiv geworden ist, also<br />

seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, stolpern die<br />

dafür Verantwortlichen von „Reform“ zu „Reform“. In<br />

regelmäßigen Abständen schwillt die Debatte über Krisen-<br />

Symptome an und ab, wobei sich die weithin als Krisen-<br />

Symptome konsentierten Phänomene: Abbruch- und Misserfolgsquoten<br />

sowie Repetitorbesuch, als mehr oder weniger<br />

reformresistent erweisen. Beharrlich wiederholen sich zudem<br />

Klagen über mangelnde Praxisrelevanz der Ausbildung,<br />

während der Politik-, Gesellschafts- und Ökonomie-<br />

Bezug der Ausbildung nur dann zum Thema wird, wenn<br />

generell eine Tendenz zur Politisierung praktischer Fragen<br />

beobachtbar ist. Da davon derzeit keine Rede sein kann,<br />

ist der Politik-Bezug der Juristenausbildung derzeit kein<br />

Thema.<br />

Die Suche nach neuen Gewissheiten für die Juristenausbildung<br />

wird weithin und so auch jetzt wieder auf zwei bis<br />

drei Gewissheit verheißende Ressourcen konzentriert. Obwohl<br />

in der Vergangenheit die auf diese Ressourcen gegründeten<br />

Erwartungen weithin enttäuscht worden sind, was<br />

sich an der Konstanz der Krisen-Symptome zeigt, werden<br />

die Ressourcen auch in der aktuellen Phase der Reformdauerdebatte<br />

wieder bevorzugt in Anspruch genommen.<br />

Eine Ressource ist erstaunlicherweise die Tradition.Das<br />

sieht nach einem Widerspruch zu den einleitenden Bemerkungen<br />

aus und ist vielleicht auch einer; Praxis steht aber<br />

auch nicht unter dem Postulat der Widerspruchsfreiheit. Der<br />

Widerspruch liegt darin, dass einerseits die Juristenaus-<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen Anwaltvereins e. V.<br />

bildung aktuell erneut ins Gerede gekommen ist und dass<br />

dabei diejenigen, die auf dem Bestand des Bestehenden<br />

beharren und die seine Geschichte zur Rechtfertigung für<br />

den Fortbestand anführen, deutlich in der Minderzahl sind.<br />

Für die meisten Beiträge zur Reformdebatte liefert die Geschichte<br />

der Juristenausbildung, so weit sie sich überhaupt<br />

darauf beziehen, Argumente für die Kritik des Bestehenden<br />

und für die Forderung nach seiner Reform. Das gilt etwa im<br />

Hinblick auf die Justizlastigkeit der Ausbildung, die Praxisferne<br />

des Studiums, den Abschluss des Universitätsstudiums<br />

mit einem von der Justiz-Bürokratie dominierten<br />

Staatsexamen, hier und da auch im Hinblick auf die Anpassungsfunktion<br />

der Ausbildung, etwa am Beispiel der<br />

problemlosen Vereinnahmung der Juristen durch Staat und<br />

Partei des Dritten Reichs. Andererseits bleibt bei den Vorschlägen<br />

zur Reform der derart problematisierten Ausbildung<br />

dann doch fast alles beim Alten. Wenn aber Reformvorhaben<br />

ausnahmsweise etwas radikaler ansetzen und die<br />

überkommenen Bestände etwas radikaler in Frage stellen,<br />

wie dies im Zusammenhang der Einphasen-Modelle in den<br />

70er Jahren beobachtbar war, dann werden für den Erfolg<br />

der „frei“ gesetzten Innovationen ausgerechnet die Abschlüsse<br />

der traditionellen Ausbildung bzw. Qualifikation<br />

und Kompetenz ihrer Absolventen zum Maßstab gemacht.<br />

Zusätzlich werden die Entfaltungschancen solcher „radikaleren“<br />

Innovationsversuche auch noch vom politischen Wohlwollen<br />

abhängig gemacht, und das favorisiert in seiner<br />

grundsätzlich beharrenden Tendenz hier wie in allen politischen<br />

Fragen in Deutschland den Bestand des Bestehenden.<br />

So ist, das ist der Widerspruch, die Geschichte der Juristenausbildung<br />

einerseits Beleg für ihre Reformbedürftigkeit,<br />

andererseits Garant für ihren Fortbestand.<br />

Neben der Tradition, die in dieser Weise herhalten muss<br />

zur Kritik am Bestehenden wie zu seiner Perpetuierung,<br />

dient Autorität als Gewissheits-Ressource in den Ausbildungsreformdebatten<br />

bzw. in den Reformplänen, in denen<br />

sie in der Regel kulminieren. Das ist derzeit gut beobachtbar<br />

bei den Reformbeiträgen, die unter dem Kennzeichen<br />

„Ladenburger Manifest“ bekannt geworden sind; wo immer<br />

sie in Fachzeitschriften 1 oder in Tageszeitungen 2 vorgestellt<br />

1 Bachof u. a., NJW 1997, S. 801 ff.; Böckenförde, JZ 1997, S. 317 ff.<br />

2 FAZ vom 24.10.1997.


702<br />

l<br />

werden, fehlt nicht der Hinweis auf Zahl und Namen sog.<br />

Spitzen-Juristen, von denen die Pläne ausgehen bzw. die<br />

sich dahinter gestellt haben. Mit dem Gewicht ihrer Positionen<br />

und ihrer Namen legitimieren sie Kritik und Reformplanung.<br />

Als dritte Ressource ist Verfahren beobachtbar, freilich<br />

von vornherein in einer der Tradition eng verhafteten speziellen<br />

Ausprägung. Dass Verfahren als Gewissheits-Ressource<br />

eingesetzt wird, äußert sich darin, dass Kommissionen<br />

eingesetzt werden, dass über einen längeren Zeitraum<br />

Beratungen stattfinden, Gutachten eingeholt werden, Experten<br />

zu Wort kommen, Beschlüsse ergehen usw. Es handelt<br />

sich um die bei der Gesetzesentstehung allgemein üblich<br />

gewordene Vorgehensweise, womit zugleich die spezielle<br />

Ausprägung bezeichnet ist, die Verfahren derzeit als Gewissheits-Ressource<br />

bei der Juristenausbildungsreform<br />

kennzeichnet. Kennzeichnend für diese Verfahren ist, dass<br />

sie staatlich gelenkte Verfahren sind, was konkret bedeutet,<br />

dass Experten aus der Bürokratie, vor allem der Justiz-Bürokratie,<br />

und aus den Parteien hier den Ton angeben, sei es<br />

vor, sei es hinter den Kulissen. Gut beobachtbar ist dies derzeit<br />

an den Reformplanungen der Justizministerkonferenz 3 .<br />

Geht man davon aus – und ich tue dies angesichts der<br />

beharrlichen Reform-Resistenz der Krisen-Symptome –,<br />

dass ein radikaler Zugriff auf die Juristenausbildung Not<br />

tut, dann reichen Tradition und Autorität als Basis für die<br />

Neu-Planung nicht aus. Tradition jedenfalls insoweit nicht,<br />

als sie das repräsentiert, was kritisiert wird und verändert<br />

werden soll. Autorität jedenfalls insoweit nicht, als sie an<br />

Spitzen-Positionen gebunden ist; denn die Vorstellung von<br />

Spitzen-Positionen verweist auf die Vorstellung einer die<br />

gesamte Juristenschaft erfassenden Hierarchisierung und<br />

damit auf die Vorstellung der Einheit der Profession, die<br />

schon lange fiktiv ist 4 , auch wenn die Ausbildung mit der<br />

Orientierung am Einheitsjuristen daran immer noch festhält.<br />

Tatsächlich hat sich die Juristenschaft längst in eine Mehrzahl<br />

von juristischen Berufen aufgespalten, und selbst die<br />

einzelnen juristischen Berufe sind mit Einheitsvorstellungen<br />

nicht mehr angemessen zu erfassen. Insofern gibt es keine<br />

Spitzen-Juristen, die die Juristenschaft insgesamt repräsentierten,<br />

und also könnte es, wenn es um Autorität geht, nur<br />

um an einzelne Personen gebundene Autorität gehen, wie<br />

das in den 70er Jahren beobachtbar war, als von Personen,<br />

die sich durch langjährigen Einsatz einen Namen als Reformer<br />

gemacht hatten (Rudolf Wassermann etwa und Rudolf<br />

Wiethölter), erheblicher Einfluss auf die Reformdebatte und<br />

auch die Neu-Planungen ausging. Solche Reformer treten<br />

derzeit nicht auf.<br />

Es bleibt also Verfahren als Gewissheits-Ressource, und<br />

das ist ja auch durchaus angemessen, wenn Krisenhaftigkeit<br />

und Ungewissheit die aktuelle Lage bestimmen, wenn normative<br />

Vorgaben entwickelt werden sollen, die die Lage<br />

spürbar verändern sollen, und wenn – das ist fürs Gelingen<br />

außerordentlich wichtig, wird aber immer noch viel zu wenig<br />

bedacht – die Gewissheit, zu der die Planer schließlich<br />

hinfinden, vermittelt werden soll an diejenigen, die die<br />

Pläne umsetzen und praktisch machen sollen. Deshalb muss<br />

ein Plan für ein reformiertes Universitätsstudium der<br />

Rechtswissenschaft zuerst und vor allem ein Verfahrensplan<br />

sein. Wenn freilich ein radikaler Zugriff auf die Juristenausbildung<br />

erfolgen soll, dann ist eine radikale Abkehr von den<br />

Üblichkeiten einer durch die Bürokratie und die Parteien beherrschten<br />

Planungspraxis erforderlich. Ich stelle einige<br />

Überlegungen dazu im Folgenden in Thesenform zur Diskussion,<br />

wobei ich mich zur Defizit-Analyse und zugleich<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

zur Illustration meiner Theorie- und Erfahrungsbasis auf<br />

meinen kürzlich im <strong>Anwaltsblatt</strong> veröffentlichten Beitrag<br />

beziehe 5 .<br />

2. Thesen zum Reform-Verfahren<br />

2.1. Träger der Reform-Planung sollten die einzelnen Fakultäten/Fachbereiche<br />

sein. So wird man am besten sehen,<br />

wieweit die Einsicht in die Krisenhaftigkeit der Juristenausbildung<br />

und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reform bei<br />

den Hochschullehrern tatsächlich reichen. So wird man, so<br />

weit es denn zu Reformplänen kommt, auch am ehesten damit<br />

rechnen können, dass aus der „Reform auf dem Papier“<br />

Reformpraxis wird. Für sich allein sind die Fakultäten/Fachbereiche<br />

freilich nicht reformfähig.<br />

2.2. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />

sollten sich deshalb der Hilfe derer versichern, die<br />

durch ein spezielles Fach- und Erfahrungswissen ausgezeichnet<br />

sind, das für eine rationale Defizit-Analyse und für<br />

inhaltliche und methodische Neu-Planungen erforderlich ist.<br />

Dafür kommen einerseits vor allem entsprechend ausgewiesene<br />

Vertreter der juristischen Berufsverbände in Frage,<br />

Vertreter der Anwaltschaft insbesondere sowie der Richterschaften,<br />

andererseits diejenigen, die sich durch Untersuchungen<br />

auf planungsrelevanten Feldern einen Namen<br />

gemacht haben, also vor allem durch Untersuchungen über<br />

typische Profile, Leistungsvermögen, Erwartungen der Studentenschaft<br />

und speziell der Jura-Studenten sowie über<br />

Karrierewege und Praxiserfahrungen der Absolventen.<br />

Schließlich sollte von vornherein die Zusammenarbeit mit<br />

Vertretern juristischer Fachhochschulen gesucht werden.<br />

Die bisher übliche Abschottung hat viel mit Status-, Erwerbs-<br />

und Prestigefragen zu tun und wenig mit rationaler<br />

Curriculumplanung und Didaktik.<br />

2.3. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />

sollten sich auf Veränderungen konzentrieren, für die<br />

politisch/bürokratische Reformbereitschaft keine Voraussetzung<br />

ist. Wer das eine vom anderen abhängig macht, gerät<br />

in Abhängigkeiten von in ihrer Dynamik nicht kontrollierbaren<br />

und kalkulierbaren Faktoren und öffnet sich zugleich<br />

notwendig Einflüssen, die ebenfalls schwer kontrollierbar<br />

und kalkulierbar sind. Andererseits ist der den Fakultäten/<br />

Fachbereichen durch geltendes Recht gesicherte Freiraum<br />

für Ausbildungsveränderungen groß. Er wird vor allem<br />

dann eröffnet, wenn man Studiengänge als Ergänzung, als<br />

Zusatz, als Vertiefung dem durch geltendes Juristenausbildungsrecht<br />

festgeschriebenen Studium hinzufügt. Er betrifft<br />

aber auch viele Detailfragen im Rahmen des durch das geltende<br />

Juristenausbildungsrecht festgelegten Curriculum.<br />

Wie man diese Freiräume ausschöpfen kann, demonstrieren<br />

derzeit die Planer der Bucerius Law School in Hamburg<br />

und der Hanse Law School in Bremen, Oldenburg, Groningen<br />

und London.<br />

2.4. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />

sollten einerseits darauf zielen, der/m jeweiligen Fakultät/Fachbereich<br />

ein spezifisches Profil zu geben, mit dem<br />

programmatisch zum Ausdruck gebracht wird, worin der/die<br />

Fachbereich/Fakultät die Veränderungsbedürftigkeit der Ausbildung<br />

vor allem begründet sieht und wie er/sie darauf zu<br />

3 Dazu jüngst Goll, ZRP 2000, S. 38 ff.; Birkmann, ZRP 2000, S. 234 ff.; Röper,<br />

ZRP 2000, S. 239 ff.<br />

4 Niklas Luhmann: Die Profession der Juristen. In: Ders.: Ausdifferenzierung<br />

des Rechts. Frankfurt/M. 1981, S. 173 ff.<br />

5 Hesse, AnwBl 6/2000, S. 325 ff.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 703<br />

Aufsätze l<br />

reagieren beabsichtigt. Hier tut sich ein weites Feld auf, das<br />

von den Dauerthemen der Reformdebatten (s. o.) bis zu<br />

aktuellen Themen reicht wie etwa der Globalisierung, der<br />

Europäisierung von Wirtschaft und Recht oder der zweiten<br />

industriellen Revolution, d. h. der Revolution der Informationstechnologie.<br />

Das Feld ist weit genug für unterschiedliche<br />

Akzentsetzungen und Profilierungen – und damit auch dafür,<br />

dass man die Reform zugleich als Mittel im Kampf um<br />

Stellen und Sachmittel nutzt, was wiederum die für die Reformplanungen<br />

erforderliche Arbeitsbereitschaft der Professoren<br />

stimulieren könnte.<br />

2.5. Die Reformbemühungen der Fachbereiche/Fakultäten<br />

sollten andererseits darauf zielen, in Studienplänen<br />

ihren jeweils spezifischen und charakteristischen Ausdruck<br />

zu finden. Das betrifft die Frage der Inhalte, der Sequenzen,<br />

der Prüfungen und der Abschlüsse, und zwar einerseits und<br />

vor allem im Hinblick auf das im Wege der Reform anzuim<br />

geltenden Juristenausbildungsrecht verankerte Studium,<br />

nennen wir es das „Staatsexamen-Studium“. Schließlich betreffen<br />

die derzeit diskutierten Defizite eben dieses Studium,<br />

und wenn man der Kritik auch primär auf dem Wege<br />

von Zusatzstudiengängen abzuhelfen sucht, sollte man doch<br />

zugleich die Möglichkeiten nutzen, den in die Kritik geratenen<br />

Studiengang selbst aufzubessern, was u. U. auch heißen<br />

kann, ihn teilweise als – evtl. gemeinsame – Aufgabe den<br />

Fachhochschulen zuzuweisen. So nahe es an sich liegt,<br />

überhaupt nur beim Staatsexamen-Studium anzusetzen, so<br />

sehr werden solche Bemühungen zugleich von Faktoren beschränkt,<br />

auf die Fakultäten/Fachbereiche keinen Einfluss<br />

haben6 . So bleibt nur der Weg, eine wirkliche Reform parallel<br />

zum Bestehenden zu betreiben, sei es als Zusatz-Studium,<br />

das von Anfang an parallel zu dem Staatsexamen-<br />

Studium, also „grundständig“, wie man sagt, angelegt wird,<br />

sei es als Ergänzung oder Vertiefung am Schluss des Staatsexamen-Studiums<br />

platziert. Diese Zusatz-Studiengänge sind<br />

einer von vornherein beschränkten Zahl von Studierenden zu<br />

öffnen, die bereit sind, die Zusatzanstrengungen auf sich zu<br />

nehmen, die damit verbunden sind.<br />

2.6. Es geht schließlich und nicht zuletzt um strukturelle<br />

Vorgaben, die die Fachbereiche/Fakultäten sich für die Reformplanung<br />

selbst geben müssen. Dazu gehören etwa die<br />

Zahl der aufzunehmenden Studierenden und ihr vorauszusetzendes<br />

Eingangsniveau sowie der Standard, der für<br />

laufende Erfolgskontrollen gelten soll. Dazu gehören Vorentscheidungen<br />

über Veranstaltungsformen, über Teilnehmerzahlen,<br />

über das Verhältnis von rezeptivem Lernen und<br />

forschendem Lernen. Dazu gehören Ziel-Orientierungen,<br />

sei es im Hinblick auf Berufsfeld-Spezialisierungen, sei es<br />

berufsfeldübergreifend im Hinblick auf die Anteile, die der<br />

Ausbildung der künftigen Juristen zu Fachmenschen einerseits<br />

und zu Kulturmenschen andererseits gewidmet sind7 ,<br />

solchen Anteilen also einerseits, die im Idealfall das<br />

Höchstmaß an juristischem Verfügungswissen und an<br />

Handlungstechnik repräsentieren, und solchen andererseits,<br />

die im Idealfall das Höchstmaß des für Juristen relevanten<br />

Orientierungswissens und des Abwägungsvermögens repräsentieren.<br />

Schließlich mag es auch Fachbereiche/Fakultäten<br />

geben, die bei der Studienplanung gewisse Anteile reservieren,<br />

die den Menschen selbst im werdenden Juristen betreffen,<br />

die also dem gelten, was in alten Zeiten Bildung genannt<br />

und der Universität als Aufgabe zugeschrieben<br />

wurde8 .<br />

2.7. Bei alledem werden die Fachbereiche/Fakultäten Sorge<br />

tragen müssen, dass die erforderlichen Ressourcen zur<br />

Verfügung stehen, die für Planung und Umsetzung ge-<br />

braucht werden, wenn irgend an Erfolg auf Dauer gedacht<br />

ist. Erfolg auf Dauer anzuziehen, kann nur bedeuten, das<br />

Planungsverfahren auf Dauer zu stellen, einen Kreislauf zu<br />

organisieren aus Planung, Implementation, Evaluation und<br />

Planrevision. Denn ein Planungsverfahren, wenn es überhaupt<br />

glücklich zu Ende gebracht wird, führt immer nur zu<br />

vorläufigen Gewissheiten. Dass es dabei ohne ein eigenständiges<br />

Sekretariat und ohne entsprechende Sachmittel<br />

nicht abgeht, sollte von vornherein in Rechnung gesetzt<br />

werden. Dass der Dekan neben seinen laufenden Geschäften<br />

dieses Reformgeschäft nicht auch noch betreiben kann,<br />

sollte ebenfalls von vornherein in Rechnung gesetzt werden.<br />

Ein Dekan für studentische Angelegenheiten oder für Reform-Angelegenheiten<br />

wäre zusätzlich erforderlich.<br />

2.8. Schließlich ist Zeit eine wichtige Ressource, und es<br />

sieht derzeit ganz danach aus, als werde sie durch mancherlei<br />

Umstände so sehr verknappt, dass jeder ernsthafte Reformversuch<br />

von vornherein illusorisch wird. Wenn derzeit<br />

mit mehr oder weniger aufgeregtem Gestus mehr oder weniger<br />

radikale Vorschläge zur Reform der Hochschule und<br />

der Studiengänge öffentlich präsentiert und diskutiert werden<br />

und wenn dabei der Eindruck erweckt wird, als genügten<br />

einige kurzfristig herbeigeführte Entscheidungen, um<br />

die gewünschten Änderungen auf den Weg zu bringen,<br />

wenn schließlich auch noch die Androhung von Stellenstreichungen<br />

und Mittelkürzungen eingesetzt wird, um den Änderungswünschen<br />

zusätzlichen Nachdruck zu verleihen,<br />

dann sollten die Fachbereiche/Fakultäten sich eher auf den<br />

Bestand des Bestehenden konzentrieren statt solchem Druck<br />

nachzugeben. Denn so problematisch es ist, das Studium in<br />

der tradierten Weise fortzuführen, weil das die Perpetuierung<br />

auch seiner Mängel und Defizite bedeutet, so wird jedenfalls<br />

eine Änderung, die sich äußerem Druck verdankt<br />

und der es an der erforderlichen Vorbereitung gefehlt hat,<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit bestenfalls dazu führen, dass<br />

die Reformanstrengungen sich in symbolischen Akten erschöpfen<br />

und dass den Reformverheißungen in Programmen<br />

und Studienplänen die bekannten Implementationsdefizite<br />

auf dem Fuße folgen werden.<br />

2.9. Bei alledem wird es im Kern darum gehen müssen,<br />

den Wissenschaftsbezug des universitären Studiums der<br />

Rechtswissenschaft wiederherzustellen, der in der durchschnittlichen<br />

und typischen Praxis von Lehre und Studium<br />

heute weitgehend verloren gegangen ist 9 . Praktisch kann das<br />

im Kontext von Lehre und Studium nur bedeuten, dass den<br />

Studierenden die Chance zu eigenem wissenschaftlichen<br />

Arbeiten eröffnet wird, einerseits dadurch, dass sie als Hilfskräfte<br />

an Forschungsprojekten teilnehmen, die an dem/der jeweiligen<br />

Fachbereich/Fakultät gerade etabliert sind, andererseits<br />

dadurch, dass sie an kleineren Aufgaben allein oder in Gruppen<br />

lernen, wissenschaftlich zu arbeiten. Der Idealfall wäre<br />

die Kombination beider Möglichkeiten. Die Realisierung<br />

hängt einerseits davon ab, dass es gelingt, größere Forschungsprojekte<br />

an der/dem Fakultät/Fachbereich zu installieren:<br />

eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen<br />

Fakultäten/Fachbereiche, was wiederum eine Frage ihres Profils,<br />

ihres Programms, des Ansehens einzelner Hochschulleh-<br />

6 Im Einzelnen dazu mein in Anm. 5 notierter Beitrag.<br />

7 Kategorienbildung in Anlehnung an Max Weber; dazu näher: Hans Albrecht<br />

Hesse: Experte, Laie, Dilettant. Opladen/Wiesbaden 1998, S. 135 ff.<br />

8 Dazu jüngst sehr schön Grigat, Forschung und Lehre 7/2000, S. 362 ff.<br />

9 Im Einzelnen dazu mein in Anm. 5 notierter Beitrag.


704<br />

l<br />

rer und nicht zuletzt der Breite ihres fachlichen Spektrums<br />

und seiner Praxis-Relevanz ist. Die Realisierung hängt andererseits<br />

davon ab, dass Vorstellungen darüber bestehen, was die<br />

Wissenschaftlichkeit des rechtswissenschaftlichen Studiums<br />

eigentlich ausmacht und wie sich das in lehr- und prüfbaren<br />

Fähigkeiten operationalisieren lässt. Hier ist vieles offen<br />

und kontrovers, und mehr als vorläufige Setzungen werden<br />

nicht erreichbar sein. Tentative Versuche zur Konkretisierung<br />

der Wissenschaftlichkeit des Studiums der Rechtswissenschaft<br />

sind aber unverzichtbar, so lange am Anspruch eines<br />

auf Wissenschaft bezogenen Studiums festgehalten wird –<br />

und daran wird festgehalten, so lange das Studium als ein universitäres<br />

angeboten wird! Ich will dazu abschließend wenigstens<br />

einen Versuch machen.<br />

Wenn man die Wissenschaftlichkeit des Studiums in<br />

Fähigkeiten und Haltungen operationalisiert, dann geht es einerseits<br />

vor allem um Recherchier- und Analysefähigkeiten<br />

und dies im Blick sowohl auf Sachverhalte als auf Normen;<br />

denn es geht bei alledem letztlich um den Praxisbezug des<br />

Studiums, und die Praxis des Juristen ist typisch eine Kombination<br />

aus Sachverhalts- und Normarbeit. Recherchier- und<br />

Analysefähigkeiten können gelehrt und gelernt werden; sie<br />

sind unverzichtbar angesichts der Datenmasse, zu der der<br />

Rechtsstoff angewachsen ist, und des Tempos, mit dem er<br />

weiter wächst. Das alles ist schon längst nicht mehr im Gedächtnis<br />

des Einzelnen speicherbar; es wird andererseits in<br />

Bibliotheken und Datenbanken hervorragend aufbereitet und<br />

ist mit Hilfe von Computern und Internetanschlüssen gut verfügbar.<br />

Man muss freilich lernen, damit umzugehen, also<br />

nach relevanten Texten zu recherchieren und diese sodann<br />

analytisch aufzubereiten. Lernen muss man auch, mit Sachverhalten<br />

umzugehen. Von Hachenburg kennen wir die Beschreibung<br />

des Landgerichtsdirektors Ulrich, den Hachenburg<br />

am LG Mannheim kennen lernte. Er kennzeichnet ihn u. a.<br />

mit den Worten: „Er kannte das Leben und seine Mannheimer10<br />

.“ Das war in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, vor<br />

der Tempoverschärfung, die mit der Reichsgründung und der<br />

forcierten Industrialisierung, dem sprunghaften Anwachsen<br />

der Bevölkerung und der forcierten Verstädterung einsetzte.<br />

Inzwischen reichen individuelle Berufs- und Lebenserfahrung<br />

zum Verstehen des Lebens nicht mehr aus. Wir sind einander<br />

zunehmend Fremde geworden, ja, viele sind sich selbst fremd<br />

und rätselhaft. Vor allem aber hat sich „das Leben“ immer<br />

weiter ausdifferenziert in Eigenwelten, die von eigener Sprache,<br />

eigenen Regeln, eigener Fach- und Wissenschaftlichkeit<br />

bestimmt sind: wenn es gut geht, ist der Einzelne in einer dieser<br />

vielen Eigenwelten halbwegs zu Hause, kennt er sich halbwegs<br />

darin aus, während er zu all den anderen lediglich laienhaft,<br />

bestenfalls dilettantenhaft sich verhalten kann11 . Man<br />

muss also lernen, von fremder Fachlichkeit angemessen Gebrauch<br />

zu machen, wenn man „das Leben“ bzw. die Sachverhalte,<br />

die es von Fall zu Fall präsentiert, verstehen will. Auch<br />

dazu sind Recherche und Analyse erforderlich; auch das lässt<br />

sich – in Grenzen! – lehren und lernen.<br />

So – oder ähnlich – lässt sich Wissenschaftlichkeit des<br />

Studiums in Fähigkeiten ausdrücken; wenn es aber darum<br />

geht, die Wissenschaftlichkeit des Studiums in Haltungen<br />

zu beschreiben, dann bieten sich für mich vor allem die bereits<br />

andernorts zitierten Wendungen an, die Max Weber<br />

gebrauchte, als er den „inneren Beruf(!) zur Wissenschaft“<br />

beschrieb. Das läuft hinaus auf eine eigentümliche Kombination<br />

aus Arbeitswilligkeit, Fantasie und Leidenschaft mit<br />

methodischer Disziplinierung<strong>12</strong> .<br />

Wissenschaftlichkeit des Studiums kann in dieser oder<br />

ähnlicher Weise als lehr- und lernbare Praxis entwickelt und<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

im expliziten Curriculum verankert werden. Mindestens so<br />

wichtig für seine Vermittlung ist das verborgene Curriculum,<br />

ist die funktionale Vermittlung. Die spezifische Haltung,<br />

mit der alles steht und fällt, wird vor allem vorgelebt<br />

und nachgelebt. In dieser Beziehung liegt in der aktuellen<br />

Universitätspraxis – nicht nur der juristischen Fakultäten –<br />

nahezu alles im Argen. Maarten’t Hart beschreibt das am<br />

Beispiel des Pharmaziestudiums so: „Es war, als sollten wir<br />

bei diesem Praktikum nur eines kennen lernen: Wie betrügen<br />

wir uns selbst und die Praktikumsassistenten? Oder<br />

auch: Wie lernen wir, korrupt zu sein? Wenn ich jemals<br />

Achtung und Ehrfurcht vor den Wissenschaften gehabt<br />

habe, dann ist an jenen Nachmittagen ziemlich wenig davon<br />

übrig geblieben 13 .“ Auch der Jura-Student wird heute funktional<br />

angeleitet, sich selbst und diejenigen, die seine Leistungen<br />

kontrollieren, zu betrügen: er übt sich darin, sich<br />

mit Hilfe von Darstellungstechniken an vermutete Erwartungen<br />

anzupassen, statt seine Erkenntnissuche mit ihren<br />

Schwierigkeiten und Grenzen offen zu legen; vielfach verzichtet<br />

er von vornherein auf eigene Erkenntnissuche und<br />

übt sich darin, fremde Erkenntnisse als eigene auszugeben.<br />

Wenn hier nicht radikale Änderungen eintreten, ist alles Bemühen,<br />

das Studium der Rechtswissenschaft als ein universitäres<br />

zu erhalten, vergeblich.<br />

10 Max Hachenburg: Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der<br />

Emigration. Stuttgart u. a. 1978, S. 89; dazu auch Hesse, JZ 1982, S. 272 ff.<br />

11 Hans Albrecht Hesse: Experte, Laie, Dilettant. Op. cit.<br />

<strong>12</strong> Max Weber: Wissenschaft als Beruf. 5. Aufl. Berlin 1967, S. 11; dazu auch<br />

Hesse, AnwBl 2000, S. 325 ff./326.<br />

13 Maarten’t Hart: Das Wüten der ganzen Welt. München 1999. S. 363 f.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 705<br />

Aufsätze l<br />

Internationaler Rechtsverkehr<br />

Nachfolgende Referate wurden auf der Seminarveranstaltung<br />

der Arbeitsgemeinschaft Internationaler Rechtsverkehr<br />

in Kooperation mit der International Bar Association am<br />

2. Juni 2000 auf dem 51. Deutschen Anwaltstag in Berlin<br />

gehalten. Die Darstellung orientiert sich im wesentlichen an<br />

dem Wortlaut der vorgetragenen Referate und soll Anstoß<br />

geben, über die anlässlich der Veranstaltung besprochenen<br />

Themen eine breitere Diskussion innerhalb der gesamten<br />

deutschen Anwaltschaft zu führen. Bis auf das Referat von<br />

Prof. Perschbacher von der University of California, Davis,<br />

sind sämtliche Referate in deutscher Sprache abgefasst und<br />

gehalten worden.<br />

Rechtsanwalt Andreas Klein , LL.M., Bonn<br />

EU-Harmonisierung –<br />

Globalisierung – Kommerzialisierung<br />

Anwaltschaft quo vadis?<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Frankfurt a. M.*<br />

Auf der Skala des Ansehens der einzelnen Berufe rangieren<br />

die Rechtsanwälte den Umfrageergebnissen zufolge<br />

ganz weit oben. Dies allein sollte schon Anlaß für die Frage<br />

sein „Anwaltschaft quo vadis?“. Das Bild des Anwalts im<br />

Bewußtsein der Öffentlichkeit ist nämlich in der historischen<br />

Dimension überaus schwankend. Die Anwaltskarrikaturen<br />

von Honoré Daumier sind nicht unbedingt ein Kompliment<br />

für unseren Berufsstand, wobei man wissen muß,<br />

daß Daumier als Laufbursche einer Anwaltskanzlei und<br />

weil er immer wieder von seinen Gläubigern bedrängt wurde,<br />

seine eigenen Erfahrungen mit Anwälten gemacht hatte.<br />

Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm ordnete an, die Anwälte<br />

müßten schwarz tragen, damit man die Halunken<br />

schon von weitem erkennen kann. Und noch drastischer<br />

heißt es in dem Königsdrama Heinrich IV von Shakespeare:<br />

„The first thing we do: Let’s kill all the lawyers!“. Auch<br />

hier gibt es einen biographischen Hintergrund: Shakespeare<br />

hatte in seiner Jugend als Angestellter bei einem Anwalt<br />

gearbeitet und hatte miterlebt, wie manche Anwälte mehr<br />

an den persönlichen Erfolg als an den Erfolg ihres Mandanten<br />

dachten.<br />

Doch es ist nicht nur die historische Erfahrung vom Auf<br />

und Ab im Bild der Geschichte, die uns zu dem heutigen<br />

Thema veranlaßt hat. Vielmehr wird dieses Thema derzeit<br />

im internationalen Bereich intensiv diskutiert. Die Stichworte<br />

EU-Harmonisierung – Globalisierung – Kommerzialisierung<br />

kennzeichnen einige wesentliche Hintergrundaspekte,<br />

ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die genannten<br />

drei Aspekte sind zur Verdeutlichung bewußt begrifflich<br />

nebeneinander gestellt worden, obwohl sie im wirklichen<br />

Leben miteinander verwoben sind.<br />

Es wäre zu eng, wenn wir das Thema nur aus dem deutschen<br />

Blickwinkel angehen würden. Nach meinem Einfüh-<br />

rungsreferat folgen einige Länderberichte. Deutschland hat<br />

einen einheitlichen anwaltlichen Berufsstand, und dieser<br />

hat in der Vertretung vor Gericht ein vollständiges und in<br />

der Beratung ein weitgehendes Monopol. In anderen Ländern<br />

stellen sich diese Grundgegebenheiten durchaus unterschiedlich<br />

dar. Die anschließenden Länderberichte, sind bewußt<br />

auch mit der Absicht ausgesucht worden, die unterschiedlichen<br />

berufsrechtlichen Ausgangspositionen deutlich<br />

zu machen.<br />

Dies vorausgeschickt begrüße ich Herrn Charles Leach<br />

von der Londoner Kanzlei Ashurst Morris Crisp, der den<br />

englischen Länderbericht geben wird. Bekanntlich hat England<br />

einen geteilten Berufsstand. Die Barristers haben ein<br />

Vertretungsmonopol vor Gericht, während die Solicitors<br />

kein Beratungsmonopol haben.<br />

Ich begrüße ferner Herrn Nikolas Studer, Vizepräsident<br />

des schweizerischen Anwaltverbandes. Die Schweiz kennt<br />

einen einheitlichen Berufsstand, dieser hat jedoch kein Beratungsmonopol<br />

und ein von Kanton zu Kanton unterschiedliches<br />

Prozeßmonopol.<br />

Mein Gruß gilt weiter Herrn Karl Hepp de Sevelinge<br />

von der französischen Kanzlei Gide Loyrette Nouel. Seit<br />

dem Jahre 1990, als die Conseillers Juridique zu Avocats<br />

befördert wurden, kennt Frankreich einen einheitlichen Berufsstand<br />

mit Monopol für Prozeßvertretung und Beratung.<br />

Ich begrüße ferner Herrn Peter von Schmidt auf Altenstadt,<br />

Präsident des Nederlandse Orde van Avocaten. Die<br />

Niederlande haben einen einheitlichen Berufsstand mit eingeschränktem<br />

Monopol zur Vertretung vor Gericht und<br />

ohne jegliches Beratungsmonopol.<br />

Ich begrüße Herrn Prof. Rex Perschbacher, Dean der<br />

University of California. Herr Perschbacher ist ein ausgewiesener<br />

Kenner des anwaltlichen Berufsrechts, das in den<br />

USA in die Zuständigkeit der Einzelstaaten fällt. Der Berufsstand<br />

dort ist einheitlich und hat ein umfassendes Monopol.<br />

Und schließlich begrüße ich Klaus Böhlhoff, President<br />

der International Bar Association, der weltumspannenden<br />

internationalen Anwaltsvereinigung, im Hauptberuf einer<br />

meiner Partner in unserer Sozietät Hengeler Mueller Weitzel<br />

Wirtz.<br />

Wir haben bei der Auswahl der Länderreferate bewußt<br />

den Schwerpunkt auf Europa gelegt. Mit Sicherheit wird<br />

die Harmonisierung des anwaltlichen Berufsrechts in Europa<br />

voranschreiten, und mit Sicherheit wird es im Zuge dieser<br />

Harmonisierung zu Kompromissen zwischen den Ausgangspositionen<br />

der einzelnen Mitgliedstaaten der EU<br />

kommen. Das anwaltliche Berufsrecht wird irgendwo in der<br />

Mitte zwischen den derzeitigen nationalen Berufsrechten zu<br />

liegen kommen.<br />

Es geht mir im folgenden nicht darum, fertige Antworten<br />

zu geben. Ich will vielmehr die grundsätzliche Fragestellung<br />

in Unterfragen aufbrechen und künftige Entwicklungslinien<br />

skizzieren. Dasselbe gilt sicher auch für die Länderberichte.<br />

Es geht vor allem darum, das Problembewußtsein zu<br />

wecken und die Diskussion anzustoßen.<br />

Der eine oder andere wird meinen, vieles von dem, was<br />

hier gesagt wird, betreffe nur die Groß- und Größtkanzleien,<br />

nicht aber den Einzelanwalt oder die kleinen und mittelgro-<br />

* Referat von Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Vizepräsident des Deutschen<br />

Anwaltvereins, auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin am 2. Juni 2000.


706<br />

l<br />

ßen Sozietäten, und er wird darauf verweisen, dass die<br />

durchschnittliche Kanzleigröße in Deutschland 1,8 Anwälte<br />

beträgt. So einfach ist es nicht. Die Entwicklungen bei den<br />

Groß- und Größtkanzleien sind natürlich besonders visibel.<br />

Aus meiner Tätigkeit in der Satzungsversammlung jedoch<br />

weiß ich, daß viele der angesprochenen oder ähnlichen Probleme<br />

noch in kleineren anwaltlichen Einheiten anzutreffen<br />

sind. Und schließlich: Die schlechten Sitten der „Großen“<br />

können die guten Sitten der „Kleinen“ verderben. Doch<br />

vielleicht ergibt unsere Diskussion ja, daß die Dinge genau<br />

umgekehrt liegen.<br />

Das Umfeld der anwaltlichen Tätigkeit in Deutschland<br />

und im Ausland hat sich gegenüber dem Stand vor 20 Jahren<br />

drastisch verändert. Das heutige Umfeld läßt sich ohne<br />

Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt skizzieren:<br />

1. Internationalisierung und Globalisierung der Rechtsnormen,<br />

der geschäftlichen Aktivitäten der Mandanten und<br />

der eigenen anwaltlichen Tätigkeit, im Sinne von Mandaten<br />

mit grenzüberschreitenden Fragestellungen und im Sinne<br />

von grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit ausländischen<br />

Kanzleien. Dies alles im Größtmaßstab wie Daimler<br />

Chrysler und im kleineren wie die Kooperation von zwei<br />

Handwerksbetrieben in Kehl und Straßburg, oder die Fusion<br />

von deutschen und englischen Großkanzleien oder die Zusammenarbeit<br />

von kleineren Kanzleien in Nijmwegen und<br />

Oberhausen.<br />

2. Eine zunehmende Komplexität der Rechtsnormen und<br />

daraus resultierend die immer stärker werdende Notwendigkeit<br />

zur Spezialisierung.<br />

3. Die zunehmende Technisierung. EDV, Telefax, E-Mail<br />

und Internet eröffnen auch für die Anwaltschaft ungeahnte<br />

Möglichkeiten, aber auch Belastungen.<br />

4. Der Wettbewerb um anwaltliche Beratungsmandate<br />

nimmt ständig zu. Die Entwicklung in Deutschland ist zum<br />

Teil auf die steigenden Anwaltszahlen zurückzuführen<br />

(1960: 18.000, 1985: 48.000, 1999: 59.000, Ende 1999:<br />

100.000, und Ende 2006: ca. 150.000, geht man von den ca.<br />

130.000 Juristen aus, die derzeit in der Ausbildung sind).<br />

Hinzu kommt der Wettbewerb durch ausländische Anwälte<br />

und durch Angehörige anderer Berufe, insbesondere Wirtschaftsprüfer,<br />

Steuerberater, aber auch Inkassounternehmen,<br />

Banken, Rechtschutzversicherer, Verbraucherverbände,<br />

Schuldnerberatungseinrichtungen, Haus- und Grundbesitzervereine,<br />

und Unternehmensberater.<br />

5. Schließlich und vor allem: Die Mandanten werden anspruchsvoller<br />

nicht nur in puncto Qualität, sondern auch in<br />

puncto Service. Diesem Wettbewerbsdruck standzuhalten,<br />

ist für die Anwaltschaft auch deshalb schwierig, weil viele<br />

Wettbewerber einen berufsrechtlichen Vorteil haben – sie<br />

unterliegen keinerlei berufsrechtlichen Bindungen oder ihr<br />

Berufsrecht ist in entscheidenden Punkten großzügiger als<br />

das anwaltliche Berufsrecht.<br />

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen<br />

zum Wettbewerb ausländischer Anwälte machen. Auf gemeinschaftsrechtlicher<br />

Ebene sind hier zu nennen die Richtlinie<br />

zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs<br />

der Rechtsanwälte von 1977, die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie<br />

von 1988 und die Niederlassungsrichtlinie<br />

von 1998. Die Niederlassungsrichtlinie ist im Gesetz über<br />

den Europäischen Rechtsanwalt vom März 2000 umgesetzt<br />

worden. Ich verweise auf den kürzlichen Aufsatz von Frau<br />

Lach (NJW 2000, 1609ff). Dieses Gesetz inkorporiert auch<br />

die beiden anderen, schon früher umgesetzten Richtlinien.<br />

Während diese in der Praxis keine besondere Bedeutung<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

hatten, wird die Niederlassungsrichtlinie die Anwaltslandschaft<br />

in Europa zumindest in den Großstädten und im<br />

grenznahen Bereich verändern.<br />

Nach der Niederlassungsrichtlinie hat jeder Rechtsanwalt<br />

aus einem Mitgliedstaat der EU das Recht, sich unter<br />

seiner heimatlichen Berufsbezeichnung in jedem anderen<br />

Mitgliedstaat niederzulassen und dort dieselben beruflichen<br />

Tätigkeiten auszuüben wie ein örtlicher Rechtsanwalt, einschließlich<br />

der Rechtsberatung im Recht des Aufnahmestaaten<br />

und einschließlich der Vertretung vor dem Gerichten<br />

des Aufnahmestaates. Nach drei Jahren effektiver und regelmäßiger<br />

Tätigkeit im Aufnahmestaat und im Recht des Aufnahmestaates<br />

kann dieser ausländische Anwalt des anwaltlichen<br />

Berufstitel des Aufnahmestaates erwerben. Ein<br />

Beispiel: Ein englischer Solicitor oder ein französischer<br />

Avocat kann sich in Frankfurt niederlassen und im deutschen<br />

Recht beraten sowie vor deutschen Gerichten Prozesse<br />

führen, zunächst unter seinem Heimattitel, nach drei<br />

Jahren effektiver und regelmäßiger Tätigkeit auch unter der<br />

deutschen Bezeichnung Rechtsanwalt.<br />

Diese Richtlinie ist jedoch keine Einbahnstraße. In derselben<br />

Weise kann ein deutscher Rechtsanwalt in London<br />

oder Paris das englische oder französische Recht praktizieren,<br />

auch vor Gericht, und nach drei Jahren den Titel Solicitor<br />

bzw. Avocat führen. Die Richtlinie wird also eine doppelte<br />

Wirkung haben. Sie wird auf der einen Seite den<br />

Wettbewerbsdruck im Inland erhöhen, sie wird aber auf der<br />

anderen Seite deutschen Anwälten Möglichkeiten zum<br />

Wettbewerb in anderen Ländern der Gemeinschaft eröffnen,<br />

die ihnen bisher verschlossen waren. Ich erwarte, daß per<br />

saldo Deutschland auf diese Weise sozusagen mehr Anwälte<br />

exportieren als importieren wird. Und ich erwarte,<br />

daß die Niederlassungsrichtlinie nicht das Ende der Harmonisierung<br />

des Berufsrechtes bedeutet, sondern zu weiterer<br />

Harmonisierung führen wird.<br />

Vor allem erwarte ich von der Niederlassungsrichtlinie<br />

einen verschärften Druck in Richtung Reform der deutschen<br />

Juristenausbildung, die im Vergleich mit anderen europäischen<br />

Ländern trotz der inzwischen gemachten Fortschritte<br />

bei der universitären Ausbildungsdauer immer noch<br />

zu lang und vor allem zu wenig anwaltsbezogen ist. Ich<br />

weiß von einer ganzen Anzahl befähigter deutscher Studenten,<br />

die im Vorgriff auf die Niederlassungsrichtlinie ihre juristische<br />

Ausbildung in England machen, um anschließend<br />

in Deutschland zu arbeiten, und die dann drei oder vier Jahre<br />

jünger als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen sind.<br />

Im internationalen Kontext des anwaltlichen Wettbewerbs<br />

ist auch das General Agreement on Trade in Services<br />

von 1994 zu nennen. Dieses Abkommen hat das Prinzip der<br />

Liberalisierung des Handels mit Waren – Stichwort GATT –<br />

auf den Bereich der Dienstleistungen ausgedehnt. Das<br />

GATS hat für den Bereich der Rechtsberatung zunächst nur<br />

zu einer bescheidenen Liberalisierung geführt. Deutschland<br />

ist überdurchschnittlich liberal. Nach § 206 Abs.2 BRAO<br />

n. F. dürfen Anwälte aus Mitgliedstaaten des GATS, die<br />

laut rechtverordnungsmäßiger Feststellung des Bundesministeriums<br />

der Justiz in Ausbildung und beruflichen Befugnissen<br />

einem deutschen Rechtsanwalt entsprechen, sich in<br />

Deutschland niederlassen und hier im Recht ihres Heimatstaates<br />

und im Völkerrecht beraten. Die Befugnisse deutscher<br />

Rechtsanwälte in anderen GATS-Mitgliedstaaten sind<br />

ähnlich bescheiden oder noch bescheidener. Hieran wird<br />

sich im Zuge der bevorstehenden Neuverhandlungen –<br />

Stichwort GATS 2000 – kaum etwas ändern. Viel wichtiger<br />

als die bisher bescheidene Liberalisierung ist etwas ganz


AnwBl <strong>12</strong>/2000 707<br />

Aufsätze l<br />

anderes, nämlich der Wandel des Bewußtseins, der durch<br />

GATS eingeleitet worden ist. „Trade in Legal Services“, der<br />

Handel mit anwaltlichen Dienstleistungen – dieser Ausgangspunkt<br />

von GATS zwingt alle diejenigen Länder zumindest<br />

zu einem gewissen Umdenken, die, wie wir, im<br />

Rechtsanwalt „ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“<br />

sehen (§ 1 BRAO), und dies nicht nur hinsichtlich der<br />

Tätigkeit vor Gericht, sondern auch hinsichtlich der Beratungstätigkeit.<br />

Ich denke hier vor allem auch an Frankreich<br />

und die südeuropäischen Länder.<br />

Dieses Verständnis vom Handel mit anwaltlichen<br />

Dienstleistungen findet sich auch in der jüngst verabschiedeten<br />

EU-Richtlinie zum „E-Commerce“, die auch für uns<br />

Anwälte gilt. Die Arbeit an dieser Richtlinie hat gezeigt,<br />

welche Auswirkungen sich aus den Entwicklungen der<br />

Technik für unseren Beruf ergeben, sowohl im Hinblick auf<br />

Betätigungsmöglichkeiten als auch im Hinblick auf das Berufsrecht.<br />

Im Verlauf dieser Arbeiten war es hoch umstritten,<br />

ob für die berufsrechtliche Beurteilung anwaltlicher<br />

Werbeaussagen und Beratungsleistungen im Internet die<br />

Aufsichtsbehörden im Staat des Adressaten bzw. Mandanten<br />

zuständig sind, oder die Aufsichtsbehörden am Kanzleiort,<br />

von dem aus der Anwalt im Internet tätig wird. Das<br />

Prinzip der herkunftsstaatlichen Aufsicht hat sich durchgesetzt,<br />

denn der im Internet tätige Anwalt hat gar nicht die<br />

technische Möglichkeit festzustellen, in welchem Sitz der<br />

Verbraucher sitzt, der ihn anklickt, und genaus wenig haben<br />

die dortigen Aufsichtsbehörden die technische Möglichkeit,<br />

diesen Internetverkehr zu überwachen. Ein Anwalt, der sich<br />

nach der EU-Niederlassungsrichtlinie in einem anderen<br />

Mitgliedstaat niederläßt, muss also bei seiner dortigen Tätigkeit<br />

das örtliche Berufsrecht beachten. Der Anwalt, der<br />

über das Internet überall in der Gemeinschaft ein virtuelle<br />

Niederlassung unterhält – so die Formulierung mancher Beobachter<br />

–, unterliegt ausschließlich seinem heimatlichen<br />

Berufsrecht. Und ist dieser Anwalt gar kein Anwalt, darf<br />

aber rechtsberatend tätig sein, weil es in seinem Sitzland<br />

kein anwaltliches Beratungsmonopol gibt, dann unterliegt<br />

dieser Rechtsberater gar keinem Berufsrecht. Je mehr von<br />

den Möglichkeiten der E-Commerce-Richtlinie auch im<br />

Rechtsberatungsbereich Gebrauch gemacht wird, um so größer<br />

wird die Notwendigkeit werden, die anwaltlichen Berufsrechte<br />

in Europa zu harmonisieren, nicht nur in den Einzelheiten,<br />

sondern auch in der Grundfrage des anwaltlichen<br />

Beratungsmonopols.<br />

Die International Bar Association hat sich intensiv mit<br />

den verschiedenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der<br />

grenzüberschreitenden Tätigkeit ausländischer Anwälte<br />

befaßt. Das höchste Organ der IBA, der Council (Verwaltungsrat)<br />

hat im Juni 1998 in Wien die Grundprinzipien<br />

benannt, die für die anwaltliche Tätigkeit weltweit kennzeichnend<br />

sind, nämlich<br />

9 die Pflicht und das Recht zur Unabhängigkeit<br />

9 die Pflicht und das Recht zur Verschwiegenheit<br />

9 das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen,<br />

und<br />

9 die Pflicht zur Einhaltung berufsethischer Grundsätze.<br />

Diese Grundprinzipien sind, historisch gesehen, im Zusammenhang<br />

mit der anwaltlichen Vertretung vor Gericht<br />

und Behörden entwickelt worden, sie gelten aber auch für<br />

die Beratungstätigkeit. Sie erscheinen angesichts jüngster<br />

Entwicklungen in Europa als nicht mehr unangefochten. So<br />

hat im letzten Jahr die EU-Kommission mit der Drohung,<br />

notfalls die Angelegenheit durch Verordnung zu regeln, die<br />

europäischen Verbände der Notare, Anwälte, Wirtschaftsprüfer<br />

und Steuerberater veranlaßt, eine Charta für die freien<br />

Berufe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu<br />

vereinbaren. Nach dem ursprünglichen Entwurf der Kommission<br />

hätte ein Anwalt, der von der Absicht seines Mandanten<br />

zu strafbarem Verhalten wußte oder wissen mußte,<br />

„den Griffel fallen lassen“ müssen, d. h. das Mandat niederlegen<br />

müssen. Nur mit großer Mühe ist es gelungen, der<br />

Kommission klarzumachen, daß dieses Verständnis gegen<br />

verfassungsrechtlich abgesicherte anwaltliche Tätigkeitsbefugnisse<br />

im Sinne eines Klientenrechts auf anwaltlichen<br />

Beistand gerade in Zweifelsfällen verstieß. Vereinbart wurde<br />

schließlich eine Formulierung, wonach der Anwalt in dem<br />

geschilderten Fall zur Prüfung verpflichtet ist, ob er das<br />

Mandat niederlegen sollte.<br />

Noch gravierendere Fragen stellen sich bei der derzeit<br />

anhängigen Änderung der Geldwäscherichtlinie, mit der die<br />

Kommission u. a. die Anwälte den Anzeigepflichten nach<br />

der bestehenden Richtlinie unterwerfen will. Die Kommission<br />

war kaum zu nennenswerten Zugeständnissen bereit.<br />

Bei den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments<br />

sind wir auf mehr Verständnis für die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

gestoßen, ohne daß bisher eine<br />

Lösung gefunden worden wäre, die neben dem staatlichen<br />

Aufdeckungsinteresse auch die rechtsstaatlich gebotene Verschwiegenheit<br />

des Anwalts berücksichtigt. Vielleicht<br />

gelingt der portugiesischen Ratspräsidentschaft – die<br />

anwaltliche Verschwiegenheit ist in der portugiesischen Verfassung<br />

geschützt – die Lösung des Problems, etwa durch<br />

klare Begrenzung der Anzeigepflicht auf anwaltliche Hilfsund<br />

Begleittätigkeiten. Andernfalls fällt das Thema in der<br />

zweiten Hälfte dieses Jahres in die französische Ratspräsidentschaft<br />

– leider, denn die französische Justizministerin<br />

scheint, wie man hört, einer Anzeigepflicht auch für<br />

Rechtsanwälte zu zuzuneigen. Nach dem jetzigen Entwurfsstand<br />

würde die Anzeige an die anwaltliche Standesaufsicht<br />

gehen; was diese mit der eingegangenen Anzeige zu<br />

machen hat, wird nicht geregelt. Die Kommission hat aber<br />

bereits eine genaue Beobachtung in dieser Hinsicht angekündigt.<br />

Zu erwähnen ist insoweit auch eine geplante Entschließung<br />

des Europarats zur freien Ausübung des Rechtsanwaltsberufs.<br />

Der Entwurf sieht vor, dass im Zusammenhang<br />

mit strafrechtlichen Ermittlungen die anwaltliche<br />

Verschwiegenheit, soweit erforderlich, nach näherer Maßgabe<br />

des nationalen Rechts eingeschränkt werden kann.<br />

Alle Einwendungen des CCBE (Rat der Europäischen Anwaltschaften)<br />

waren bisher erfolglos.<br />

All diese Aufweichentscheidungen wären noch vor zehn<br />

Jahren kaum vorstellbar gewesen. In meinen Augen ist diese<br />

Entwicklung gedanklich auch eine Konsequenz der Tatsache,<br />

daß anwaltliche Tätigkeit irrigerweise ausschließlich<br />

als Handelsobjekt begriffen wird – weshalb sollte diese<br />

Tätigkeit in puncto Tätigkeitsverbot und Anzeigepflicht anders<br />

behandelt werden als andere Dienstleistungen?<br />

Bei den Arbeiten an den genannten Vorhaben in Brüssel<br />

und Straßburg hat sich gezeigt, daß die anwaltliche Verschwiegenheit<br />

in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft<br />

sehr unterschiedlich geregelt ist. Im englischen Recht ergibt<br />

sich die Pflicht zur Verschwiegenheit allein aus dem<br />

Mandatsvertrag, in Frankreich und den südeuropäischen<br />

Ländern besteht die Verschwiegenheitspflicht ebenso wie in<br />

Deutschland daneben und in erster Linie als Berufspflicht,<br />

mit der Folge, daß die Verletzung der Pflicht nicht nur vertragliche,<br />

sondern auch berufsrechtliche und, von Land zu


708<br />

l<br />

Land unterschiedlich, auch strafrechtliche Konsequenzen<br />

nach sich zieht.<br />

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, daß nach der<br />

nunmehr ständigen Rechtsprechung des schweizerischen<br />

Bundesgerichts sich Recht und Pflicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit<br />

nur auf die spezifische anwaltliche Tätigkeit<br />

bezieht, also auf die Prozeßvertretung und die rechtliche<br />

Beratung, nicht aber auf Hilfstätigkeiten (z. B. die Verwaltung<br />

von Mandantengeldern) und benachbarte Tätigkeiten<br />

(z. B. Verwaltungsratmandate).<br />

Auch hinsichtlich der Vertretung widerstreitender Interessen<br />

droht eine Aufweichung, hier jedoch weniger in<br />

normativer als in faktischer Hinsicht. Ein Beispiel: Heute<br />

werden nicht nur große Unternehmen, sondern auch mittelgroße<br />

Unternehmen nicht in bilateralen Verhandlungen,<br />

sondern im sog. Bieterverfahren veräußert, d. h. einem privaten<br />

Versteigerungsverfahren nach selbstgesetzten Regeln.<br />

Derartige Bieterverfahren sind auch in anderen Bereichen<br />

anzutreffen. Als Beispiel nenne ich die angekündigte Versteigerung<br />

der UMTS-Lizenzen für die nächste Handy-<br />

Generation und das Bieterverfahren für den Ausbau des<br />

Flughafens Berlin-Schönefeld, über das in der Presse intensiv<br />

berichtet worden ist. Es mehren sich die Fälle, in denen<br />

sich in einem solchen Verfahren mehrere Bieter von derselben<br />

Anwaltssozietät beraten lassen, wenn auch von unterschiedlichen<br />

Büros. Ein Verstoß gegen das Verbot der<br />

Wahrnehmung widerstreitender Interessen wird mit der Begründung<br />

verneint, man arbeite mit sog. Chinese Walls zwischen<br />

den einzelnen Anwaltsteams, und im übrigen seien<br />

die Mandanten informiert und einverstanden. Nach deutschem<br />

Recht beseitigt das Einverständnis der Mandanten<br />

den berufsrechtlichen und strafrechtlichen Verstoß nicht,<br />

wohl aber offenbar nach englischem Recht. So wird von<br />

den deutschen Kollegen denn auch darauf verwiesen, sie<br />

stehen im Wettbewerb mit ausländischen Kanzleien, denen<br />

eine derartige Parallelvertretung bei Einverständnis der<br />

Mandanten erlaubt sei, und im übrigen auch im Wettbewerb<br />

mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, für die<br />

dasselbe gelte, ganz zu schweigen von den Investmentbanken.<br />

In der letzten Zeit scheint jedoch nach einigen<br />

spektakulären Konfliktfällen im Bereich Investmentbanking<br />

bei allen Beteiligten – Banken und Kunden – das Bewußtsein<br />

um den Wert einer interessenkollisionsfreien Beratung<br />

gewachsen zu sein. Ob sich dies auf die anwaltliche Tätigkeit<br />

auswirken wird, bleibt abzuwarten. Ich bin ein wenig<br />

skeptisch angesichts der ständig steigenden Zahl von Kanzleifusionen,<br />

die das Konfliktpotential ständig vergrößern.<br />

Mit Sicherheit sind die Dinge im Fluß beim anwaltlichen<br />

Gebührenrecht. In einigen EU-Staaten ist inzwischen das<br />

Erfolgshonorar zugelassen, vorausgesetzt, es ist nicht die<br />

einzige Vergütung für die anwaltliche Tätigkeit; Erforderlich<br />

ist also eine erfolgsunabhängige Grundvergütung, zu<br />

der das Erfolgshonorar im Erfolgsfall hinzutritt. Auch in<br />

Deutschland wird nicht selten so verfahren, indem die Erfolgskomponente<br />

nicht vorhinein vereinbart, aber im nachhinein<br />

in den Honorarvorschlag eingebaut wird. (Siehe<br />

Zuck, NJW 1998, 355: „Es geht alles: Drunter und Drüber“).<br />

Genauso wie beim Zeithonorar wird sich vermutlich<br />

auch hier die normative Regelung (§ 49b Abs. 2 BRAO)<br />

der faktischen Lage anpassen.<br />

Davon abgesehen stellen sich hier bereits heute Fragen<br />

des Gemeinschaftsrechts. Nachdem der EuGH im Modelo-<br />

Urteil bereits vor einiger Zeit die portugiesische Notargebührenordnung<br />

(wegen Verstoßes gegen die Gesellschaftssteuerrichtlinie)<br />

für gemeinschaftsrechtswidrig er-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

klärt hat, wird er demnächst auf Vorlage des Amtsrichters<br />

aus Pinerolo zu entscheiden haben, ob die italienische<br />

Anwaltsgebührenordnung gegen die Wettbewerbsartikel des<br />

EG-Vertrages (Art. 81f) verstößt. Auch wenn im Gegensatz<br />

zur italienischen die deutsche Gebührenordnung auf<br />

Gesetz – der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung –<br />

beruht, sind Auswirkungen dieser Entscheidung auf unser<br />

Gebührenrecht gegebenenfalls nicht auszuschließen.<br />

Die Befugnis von Anwaltskammern zum Erlaß von berufsregelnden<br />

Satzungsbestimmungen steht übrigens noch<br />

in einem anderen Verfahren auf dem Prüfstand des EuGH,<br />

nämlich in zwei Verfahren gegen die Bestimmungen des<br />

Nederlandse Orde van Avocaten über die Zusammenarbeit<br />

von Anwälten und Wirtschaftsprüfern.<br />

Damit nicht genug. Die EU-Kommission ist offensichtlich<br />

willens, Berufsrecht und Berufspraxis der Anwaltschaft<br />

und anderer freier Berufe in Europa umfassend am Wettbewerbsrecht<br />

der Gemeinschaft zu messen. Die Kommission<br />

hat kürzlich eine Ausschreibung veröffentlicht, damit<br />

zunächst die erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen getroffen<br />

werden.<br />

Zurück zum Anwaltshonorar. Ausgelöst durch Entwicklungen<br />

in den USA und England wird inzwischen in<br />

Deutschland diskutiert, ob Anwaltskanzleien sich ihre Beratung<br />

beim Börsengang des Mandanten – insbesondere am<br />

sog. Neuen Markt – in Aktien bezahlen lassen dürfen. Eine<br />

Vereinbarung, wonach ein Honorar nur bei erfolgreichem<br />

Börsengang und dann nur in Form von Aktien geschuldet<br />

wird, wäre in mehrfacher Hinsicht problematisch. Eine derartige<br />

Vereinbarung wäre gleich aus doppeltem Grunde<br />

unwirksam, zum einen als verbotenes Erfolgshonorar, zum<br />

anderen als verdeckte Sacheinlage auf die neuen Aktien,<br />

mit der Folge, daß der Anwalt nicht nur keinen Honoraranspruch<br />

hat, sondern den auf die Aktien geschuldeten Einlagebetrag<br />

im Konkursfall bar erbringen muß. Und schließlich<br />

stellt sich die Frage der Gewerbesteuerpflicht im<br />

Raum.<br />

Davon abgesehen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob<br />

grundsätzlich bzw. ab welcher Beteiligungshöhe § 43a<br />

Abs. 1 BRAO tangiert ist, wonach der Rechtsanwalt keine<br />

Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Unabhängigkeit<br />

gefährden. Nach den Vorschriften der amerikanischen<br />

Wertpapieraufsichtsbehörde SEC zur Wahrung der wirtschaftsprüferlichen<br />

Unabhängigkeit darf ein Wirtschaftsprüfer<br />

keine Beteiligung an einem Unternehmen halten, das<br />

von ihm selbst oder seinen Kollegen in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

geprüft wird. Wie ernst die SEC diese<br />

Vorschriften nimmt, zeigen Presseberichte von Anfang dieses<br />

Jahres. Danach hat die SEC nicht nur disziplinarische<br />

Maßnahmen ergriffen, sondern in einzelnen Fällen sogar<br />

die geprüften Unternehmen veranlaßt, die Prüfungsgesellschaft<br />

zu wechseln. Wo liegt bei uns Anwälten die kritische<br />

Schwelle, ab der die Beteiligung am Mandantenunternehmen<br />

die anwaltliche Unabhängigkeit tangiert?<br />

Der Aspekt „Aktien als Honorar“ gehört zum Stichwort<br />

„Kommerzialisierung“. Damit ist – dies sei ausdrücklich<br />

angemerkt – nicht gemeint, daß der Anwalt seine Kanzlei<br />

nicht ökonomisch führen und dem Mandanten keinen möglichst<br />

raschen und guten Service bieten soll. Angesprochen<br />

sind vielmehr diejenigen Fälle, in denen die kommerzielle<br />

Absicht im Vordergrund des Handelns steht und das Recht –<br />

abgelöst von dem Ideal der Gerechtigkeit und der Funktion<br />

Organ der Rechtspflege- als bloßes Mittel zum Zweck eingesetzt<br />

wird. Die Grenzen sind sicherlich fließend. Das Thema


AnwBl <strong>12</strong>/2000 709<br />

Aufsätze l<br />

Anwaltswerbung in dem nach § 41b BRAO zugelassenen<br />

Umfang gehört nicht hierhin, genauso wenig wie die Tatsache,<br />

daß inzwischen nicht nur große, sondern auch mittelgroße<br />

anwaltliche Beratungsmandate auf der Grundlage<br />

sog. Schönheitswettbewerben oder gar echten Ausschreibungen<br />

vergeben werden und nach den Vergabevorschriften<br />

des öffentlichen Rechts in bestimmten Fällen sogar vergeben<br />

werden müssen. Kritisch sind hingegen die sog. Ranking<br />

Listen, in denen wie in den Torschützenlisten der Bundesliga<br />

aufgeführt wird, welche Kanzleien und speziell<br />

welche Partner im letzten Berichtszeitraum welche Transaktionen<br />

mit welchem Transaktionswert beraten und wieviel<br />

sie dabei verdient haben. Diese aus dem angelsächsischen<br />

Rechtskulturkreis stammenden Listen – bis hin zu den Listen<br />

mit den jährlichen Umsatz- und Gewinnzahlen der einzelnen<br />

Kanzleien – wären uns besser erspart geblieben. Es<br />

wird sich weisen, welche Konsequenzen sich daraus für die<br />

Beziehung Rechtsanwalt/Mandant und auf das Verhältnis<br />

zwischen den Kanzleien ergeben. Ich sage dies als jemand,<br />

dessen Sozietät und der selbst bei diesen Listen nicht gerade<br />

das Schlußlicht bildet.<br />

Wie schroff bei den Stichworten Globalisierung und<br />

Kommerzialisierung die unterschiedlichen Positionen aufeinander<br />

prallen können, hat sich bei einer Veranstaltung<br />

der International Bar Association im September 1998 in<br />

Vancouver gezeigt. Auf einer Sitzung eines Ausschusses<br />

der IBA diskutierten die Podiumsteilnehmer grenzüberschreitende<br />

Fusionen, Allianzen und Kooperationen von<br />

Anwaltskanzleien. Die allgemeine Auffassung war: Wir<br />

stehen im Wettbewerb, insbesondere mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

und deshalb müssen wir<br />

international operieren können, frei und ungebunden in jeglicher,<br />

auch in berufsrechtlicher Hinsicht. Nach den Statements<br />

der Podiumsteilnehmer – durchweg aus angelsächsischen<br />

und europäischen Ländern stand ein älterer Anwalt<br />

aus Jamaika auf, schlank, großgewachsen, tiefschwarz die<br />

Haut, schlohweiß das Haar, eine beeindruckende Erscheinung<br />

und Persönlichkeit, und sagte zum Podium: „Shame<br />

on you! Sie verraten das Recht. Sie sind nicht Rechtsanwälte,<br />

sie sind Rechtshändler, Händler die ihre Rechtskenntnisse<br />

verkaufen wie eine beliebige Ware.“ Betroffenes<br />

Schweigen war die Reaktion. Dann kam der Kommentar<br />

des Vorsitzenden: „Vielen Dank für diese Stimme aus der<br />

Wildnis.“ Dieser Zwischenfall zeigt, wie sehr im weltweiten<br />

Maßstab die Dinge auseinander treiben. Er sollte uns<br />

darüber nachdenken lassen, ob und wieweit wir in Europa<br />

und in Deutschland in nicht einer Entwicklung stehen, die<br />

zu ähnlichen Divergenzen – wenn auch im Einzelnen nicht<br />

so weit gehend – führen kann. Der Leitartikel der Zeitschrift<br />

JUVE vom November 1999 sollte uns zu denken geben:<br />

„Wozu noch Berufsrecht?“<br />

Das anwaltliche Beratungsmonopol wird auch in Zukunft<br />

mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Wie die Master Pat-<br />

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (v. 29.10.97,<br />

NJW 1998, 348 ff) zeigt, können Tätigkeiten, die ursprüngliche<br />

von diesem Monopol erfaßt waren, durch die Entwicklung<br />

von Technik und Wettbewerb aus dem Monopol herausfallen.<br />

Bei der vor einiger Zeit verabschiedeten Inkassorichtlinie<br />

wollte die EU-Kommission den Inkassounternehmen die<br />

Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung der Forderungen<br />

einräumen; dies konnte nur mit erheblichen Anstrengungen<br />

verhindert werden. Wie das Beispiel der Wirtschaftsprüfer<br />

und Steuerberater zeigt, drängen andere Berufe zunächst faktisch<br />

und dann durch die Rechtsprechung und schließlich<br />

das Gesetz abgesichert in den Rechtsberatungsmarkt ein.<br />

Daß in Zukunft neue Tätigkeiten in das anwaltliche Beratungsmonopol<br />

aufgenommen werden, dürfte ausgeschlossen<br />

sein.<br />

Ob dieses Monopol de lege lata überhaupt noch wirksam<br />

ist, wird das BVerfG aufgrund einer kürzlichen Verfassungsbeschwerde<br />

zu entscheiden haben. Die einschlägigen Probleme<br />

sind in dem Jüngsten Aufsatz von Kleine-Cosack dargestellt<br />

worden (NJW 2000, 1593 ff).<br />

Wir sollten deshalb nicht in Resignation verfallen. Wir<br />

sollten vielmehr den Fehdehandschuh des Wettbewerbs, den<br />

uns andere Berufe hingeworfen haben, aufnehmen und uns<br />

dem Wettbewerb stellen. Unsere Aussichten sind gut, denn<br />

qualitativ können wir mithalten. Vor allem sollten wir mit<br />

dem Pfund wuchern, der Grundprinzipien unseres Berufsrechts<br />

wuchern, Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit<br />

von Interessenkollisionen und hohes Berufsethos. Wir sollten<br />

diese Grundprinzipien nicht nur als Schranken unserer<br />

Freiheit, sondern auch als einen wesentlichen Vorteil im<br />

Wettbewerb mit anderen Berufen verstehen.<br />

Im Grünbuch von 1996 zum Wirtschaftsprüferberuf hat<br />

die EU-Kommission den Vorschlag gemacht, die Prüfungstätigkeit<br />

und die sonstige Tätigkeit von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,<br />

insbesondere auf den verschiedenen Beratungsfeldern,<br />

zu trennen, um die Unabhängigkeit der<br />

Prüfung zu sichern. Die amerikanische SEC drängt immer<br />

stärker auf Inkompatibilität von Prüfung und Beratung, mit<br />

der Folge, daß die Big Five mehr und mehr ihre Beratungsaktivitäten<br />

ausgliedern oder gar verkaufen. Diese Trennung<br />

von reiner Prüfungstätigkeit einerseits und Beratungstätigkeit<br />

andererseits wird den Wettbewerb im Beratungsmarkt<br />

verstärken, auch im anwaltlichen Beratungsmarkt. Auch<br />

dies dürfte auf die Harmonisierung der anwaltlichen Berufsrechte,<br />

die m. E. nur eine Frage der Zeit ist, nicht ohne Auswirkungen<br />

bleiben.<br />

Wie ich eingangs gesagt habe, wird diese Harmonisierung<br />

wohl zu einem Ergebnis führen, das irgendwie „in der<br />

Mitte“ liegt. Fast alle EU-Staaten (außer Finnland und<br />

Schweden) kennen ein anwaltliches Vertretungsmonopol<br />

vor Gericht. Daran dürfte sich in Zukunft nichts ändern. Ein<br />

anwaltliches Beratungsmonopol kennen Deutschland, Frankreich,<br />

Griechenland, Luxemburg, Österreich, Portugal und<br />

Spanien, nicht hingegen Belgien, Dänemark, Großbritannien,<br />

Italien, Niederlande und Schweden; in Deutschland ist<br />

das anwaltliche Rechtsberatungsmonopol im Laufe der Zeit<br />

immer weiter eingeschränkt worden, und daran wird sich<br />

nichts ändern. Wird vor diesem Hintergrund die Harmonisierung<br />

der Berufsrechte so aussehen, daß am Ende nebeneinander<br />

bestehen<br />

9 Rechtsanwälte, die vor Gericht tätig sind, vergleichbar<br />

den englischen Barristers,<br />

9 Wirtschaftsprüfer, deren Tätigkeit auf die reine Abschlußprüfung<br />

beschränkt ist, und<br />

9 sonstige Beratungsberufe auf den Tätigkeitsfeldern<br />

Recht, Buchführung, Steuern, Management etc., die<br />

ohne Beratungsmonopol miteinander konkurrieren? Mit<br />

der Maßgabe, daß die auf diesen Beratungsfeldern tätigen<br />

Personen und Gesellschaften besonderen berufsrechtlichen<br />

Pflichten nur dann unterworfen sind und die<br />

entsprechenden Rechte nur dann in Anspruch nehmen<br />

können, wenn sie einem entsprechenden Berufsstand angehören.<br />

Konkret würde dies bedeuten: Rechtsberatend<br />

darf jeder tätig sein; nur dann, wenn er zugelassener Anwalt<br />

ist, gelten für ihn die berufsrechtlichen Pflichten<br />

und Rechte eines Rechtsanwalts. Wem diese Bindungen


710<br />

l<br />

nicht passen, kann seine Anwaltszulassung zurückgeben<br />

und weiterhin rechtsberatend tätig sein, müßte allerdings<br />

auf die sog. Anwaltsprivilegien verzichten.<br />

Dieses Modell ist keine bloße Theorie. Es könnte in<br />

England schon heute verwirklicht werden, indem die Barristers<br />

wie bisher unter der Geltung ihres anwaltlichen<br />

Berufsrechts einschließlich des entsprechenden Monopols<br />

die Mandanten vor Gericht vertreten, während die Solicitors,<br />

weil sie mit der Law Society of England and Wales<br />

unzufrieden sind, dort austreten, d. h. ihre Zulassung als Solicitor<br />

zurückgeben, und in Zukunft unter der Bezeichnung<br />

„Legal Consultant“ o. ä. Rechtsberatung betreiben.<br />

Ich möchte keinesfalls mißverstanden werden: Das Modell,<br />

das ich soeben vorgetragen habe, halte ich mitnichten<br />

für erstrebenswert, im Gegenteil. Wir sollten aber sehen,<br />

daß dieses Modell durchaus ein mögliches Ergebnis sein<br />

kann, je nachdem, wie die Entwicklung der kommenden<br />

Jahre sich darstellt.<br />

Eines sollte uns allerdings klar sein: Wir, die Anwaltschaft,<br />

an die sich die quo vadis – Frage richtet, wir werden<br />

die künftige Entwicklung nur mitgestalten können, wenn<br />

wir uns bewußt sind, wo wir stehen und was wir wollen.<br />

Dabei geht es vor allem um die anwaltliche Beratungstätigkeit.<br />

Wir müssen definieren, was neben der Prozeßtätigkeit<br />

zum Kernbereich anwaltlicher Beratungstätigkeit gehört.<br />

Wir müssen uns schlüssig werden, ob wir für diese Beratungstätigkeit<br />

an die mehrfach genannten Grundprinzipien<br />

der anwaltlichen Tätigkeit gebunden sein sollen, nämlich<br />

9 Pflicht und Recht zur Unabhängigkeit,<br />

9 Pflicht und Recht zur Verschwiegenheit,<br />

9 Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, und<br />

9 Verpflichtung zur Einhaltung hoher berufsethischer<br />

Grundsätze.<br />

In Abwandlung eines Gedanken, den der frühere CCBE-<br />

Präsident Nils Fisch-Thompson einmal geäußert hat, müssen<br />

wir uns schlüssig werden, ob wir die Kinder von Pallas<br />

Athene, der Göttin der Gerechtigkeit, oder von Hermes,<br />

dem Gott des Handels, sein wollen.<br />

Länderbericht Niederlande*<br />

Peter von Schmidt auf Altenstadt, Advocaat,<br />

Präsident der Nederlandse Orde van Advocaaten<br />

1. Von Westen her weht ein kräftiger Wind. Im Laufe des<br />

vorigen Jahres haben zwei Londoner City-Kanzleien aus dem<br />

„Magic Circle“ eine Kanzlei in Amsterdam eröffnet. Das hat<br />

eine Aufspaltung einer unserer größten und sehr international<br />

orientierten Kanzleien verursacht. Das hat auch einige Spitzenanwälte<br />

dazu verführt, ihrer Kanzlei nicht länger treu zu<br />

bleiben. Eine weitere Kanzlei aus der Londoner City ist<br />

schon lange, aber unauffällig in den Niederlanden anwesend.<br />

Sie möchte nun ohne jede Zurückhaltung wachsen und liebäugelt<br />

mit den besten Anwälten in den holländischen Kanzleien.<br />

Und das mit Erfolg. Und eine City-Kanzlei, die vor<br />

noch nicht so langer Zeit beschlossen hatte, mit Kanzleien<br />

auf dem Festland ein solides Bündnis einzugehen, möchte<br />

von einem – jedenfalls für die Niederlande – schrittweisen<br />

Szenario auf eine beschleunigte vollständige Fusion umsteigen.<br />

Diese „Einbrecher“ auf dem niederländischen Grund-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

stück sind recht wählerisch. Sie konzentrieren sich auf den<br />

hochwertigen Teil des Dienstleistungszweigs „Wirtschaftsrecht“.<br />

Vor allem auf Transaktionen, – Fusionen und Übernahmen<br />

– aber danach auch auf Prozesse, die mit dem Wirtschaftsrecht<br />

verbunden sind, wie zum Beispiel IP und<br />

Arbitrage. Sie stellen sich vor allem auf die großen internationalen<br />

Kunden ein, auf die sogenannten „key clients“. Und<br />

sie organisieren sich nach straffen Managementkonzepten,<br />

konzentrieren sich auf Effektivität und Effizienz im Dienstleistungssektor,<br />

wobei sie sich durch teure ICT-Lösungen unterstützen<br />

lassen. Die Rentabilität ist dementsprechend hoch<br />

und versetzt sie wiederum in die Lage, die besten Anwälte<br />

aus den lokalen Kanzleien anzuwerben. Dieser Prozeß verstärkt<br />

sich laufend von selbst, gewiß in einem Zyklus des<br />

Wirtschaftswachstums. Und führt langfristig zur absoluten<br />

Dominanz einer beschränkten Zahl von „Global Firms“ auf<br />

den in wirtschaftlicher Hinsicht wichtigen Märkten. Und<br />

weil die Gruppe der Londoner Kanzleien, die unter dem<br />

„Magic Circle“ hängt, befürchtet, sie könnte den Anschluß<br />

verpassen, ist ihre Strategie darauf ausgerichtet, auch in Kontinentaleuropa<br />

festen Fuß zu fassen, zwar nicht in erster Linie,<br />

aber ganz gewiß auch in den Niederlanden. Und im Kielwasser<br />

der Engländer werden auch die Amerikaner folgen, sicherlich<br />

wenn ihre Klienten sich zu umfassenden Investitionsprogrammen<br />

in unserem Land entscheiden. Das alles<br />

verursacht sehr viel Unruhe, und es wird noch Jahre dauern,<br />

ehe sich der Markt beruhigt hat.<br />

2. Der Gedanke, den wir bis vor kurzem hatten – der niederländische<br />

Markt sei nicht interessant oder die niederländischen<br />

Kanzleien seien so stark und wettbewerbsfähig – erweist<br />

sich als falsch. Die niederländische Wirtschaft wächst<br />

kräftig und wird in zunehmendem Maße internationaler. Zum<br />

Beispiel im Finanzsektor. Diesbezüglich sind die Niederlande<br />

stark angelsächsisch orientiert. Das macht unser Land für<br />

die Engländer interessant, bestimmt wenn ihr Inlandsmarkt<br />

inzwischen aufgeteilt ist und der Wettbewerb dort sehr heftig<br />

ist. Unbestreitbar hat sich die niederländische Anwaltschaft gerade<br />

wegen jener angelsächsischen Orientierung in erhöhtem<br />

Tempo modernisiert. Spezialisierung und klientenorientierte<br />

Dienstleistungen lauten die Schlüsselwörter. In drei<br />

Fusionswellen hat man Verstärkung gesucht, und zwar jeweils<br />

am Ende der sechziger, der siebziger und der achtziger<br />

Jahre. Das hat zu größeren und vor allem rechtsbereichdekkenden<br />

Kanzleien geführt, die schon lange zu den größten<br />

auf dem Festland gehörten. Die Anwaltschaft hat an Umfang<br />

rasant zugenommen, nämlich von 2.500 vor 25 Jahren auf<br />

derzeit gut 10.000 Anwälte. Und hiervon sind circa 45 Prozent<br />

weiblich. Jedes Jahr verringert sich das Durchschnittsalter<br />

der Anwaltschaft mit ca. 10 Prozent Anwärtern. Der<br />

Zutritt zur Anwaltschaft ist denn auch leicht; eine Abschlußprüfung<br />

an der Fakultät Jura reicht aus. Und auch Juristen,<br />

die bei Nicht-Anwälten tätig sind, können seit 1997 Anwalt<br />

werden. In den Niederlanden gibt es kein Rechtsberatungs-<br />

Monopol. Anwaltszwang gilt nur für das Arrondissementgericht,<br />

für den Gerichtshof und für den Obersten Gerichtshof<br />

der Niederlande. Und in Arbeits- und Mietsachen sowie in<br />

Streitfällen mit einem Streitwert unter zehntausend Gulden<br />

können die Parteien persönlich vor dem Richter des Kantongerichts<br />

prozessieren. In Streitfällen im Bereich Verwaltungsrecht<br />

braucht der Rechtsuchende überhaupt keinen Anwalt.<br />

Das läßt die Konkurrenz auf dem Markt juristischer Dienstleistungen<br />

heftig aufleben. Der Gesamtumsatz, der von juri-<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 711<br />

Aufsätze l<br />

stischen Dienstleistungen erzielt wird, belief sich im Jahre<br />

1996 auf ungefähr sechs Komma drei Milliarden (Gulden)<br />

mit 33% Marktanteil für die Anwaltschaft. Auch die Büros<br />

für Wirtschaftsberatung, vor allem die „Big Five“, haben<br />

sich in den letzten Jahren ganz entschlossen auf diesen juristischen<br />

Markt begeben. Entweder durch Einstellung von<br />

Juristen oder mit Hilfe eine sogenannten „captive lawfirm“.<br />

Mit zwei Kanzleien wird auf höchster Ebene – vor dem Gerichtshof<br />

der Europäischen Gemeinschaften – über die Frage<br />

gestritten, ob die Anwaltskammer Regeln aufstellen darf,<br />

welche die Zusammenarbeit mit unter anderem Wirtschaftsprüfern<br />

verbietet. Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, ob<br />

die Anwaltskammer ein Unternehmerverband ist. Die Antwort<br />

auf diese und einige verwandte Fragen zum europäischen<br />

Wettbewerbsrecht hat – auch für die Anwaltschaften<br />

in anderen Teilen Europas – wesentliche Bedeutung. Da ich<br />

schon beim Thema Wettbewerb bin: In den Niederlanden<br />

sind die Tarife völlig frei. Alle Belohnungsstrukturen sind<br />

gestattet: Ein Honorar auf Stundenbasis, ein vorher verbindlich<br />

vereinbartes Honorar oder ein ergebnisabhängiges Honorar.<br />

Das einzige, was nicht gestattet ist, ist die (quota-pars-litis-<br />

)Belohnung in Abhängigkeit vom Anteil des Streiterfolges,<br />

von der das „no cure no pay“ eine Variante ist. Zu diesem<br />

Punkt gibt es eine heftige Diskussion mit der NMA, der niederländischen<br />

Wettbewerbsbehörde. Diese hat Anfang vorigen<br />

Jahres in einem vorläufigen Beschluß zu erkennen gegeben,<br />

daß unser Verbot des Prinzips „no cure no pay“ ungültig<br />

ist. Sowohl das Justizministerium als auch die<br />

Anwaltskammer hat unumwunden zu erkennen gegeben,<br />

diese Ansicht nicht zu teilen. Das Ministerium befürchtet<br />

eine amerikanische Claim-Kultur, und die Anwaltskammer<br />

sieht die Unabhängigkeit des Anwalts gefährdet.<br />

3. Vorherzusagen, wie der Markt in fünf oder zehn Jahren<br />

aussehen wird, ist nicht ganz einfach. Es zeichnen sich<br />

jedoch wohl einige Tendenzen ab. Das undifferenzierte Einschätzen<br />

des Marktes wird andauern. Der Markt für die Anwaltschaft<br />

wird sich fortwährend weiterentwickeln, sogar in<br />

beschleunigtem Tempo, und zwar vom Beruf zum Unternehmen.<br />

Die knallharten wirtschaftlichen Anreize, die übrigens<br />

in allen Sektoren der Gesellschaft spürbar sind, werden<br />

dominieren – auch in unserer Berufssparte. Auferlegt<br />

von anderen und von Berufsgenossen übernommen wird die<br />

Kommerzialisierung – wenn wir nicht reagieren – überhand<br />

nehmen, und zwar mit einer scheinheiligen Verweisung auf<br />

einen vorausgesetzten Willen eines nicht näher definierten<br />

Marktes. In jener Welt eines Peter Stuyvesants bleibt vom<br />

Anwalt wenig übrig. Das Bild wird so diffus, daß er sich<br />

nicht mehr von anderen geschäftlichen Dienstleistungsunternehmern<br />

unterscheiden kann. Ein Kaufmann mit<br />

einem „lebhaften Handel mit juristischen Produkten“. Das<br />

Recht entartet zu einer commodity, einem Gebrauchsartikel,<br />

einer Ware. Und der Beruf bekommt immer mehr die Züge<br />

eines normalen Handelsberufes, in dem das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

nur noch einen begrüßenswerten Wettbewerbsvorteil<br />

in Hinsicht auf andere Erbringer juristischer Dienstleistungen<br />

liefert. Es wird übrigens ein Gedränge in der<br />

lukrativen, oft internationalen Transaktionspraxis. Die britischen<br />

Niederlassungen haben dabei einen natürlichen Vorsprung,<br />

weil in finanziellen Transaktionen englisches und<br />

amerikanisches Recht dominiert. Mit enormen Gewinnbeteiligungen<br />

werben sie den holländischen Kanzleien die<br />

Spitzentalente ab, und mit hohen Gehältern ködern sie die<br />

anstürmenden jungen Talente. Das soll verhüten, daß die<br />

echten Geschäfte in London getätigt werden und die Partner<br />

hier Subunternehmer werden. Der Druck auf den Markt<br />

wird sich rücksichtslos erhöhen. Die nicht-angelsächsischen<br />

Kanzleien werden auf diese Art und Weise größtenteils aus<br />

dem kommerziell interessanten Teil jenes Marktes gedrängt.<br />

Um für Professionals innerhalb und außerhalb der Organisation<br />

attraktiven zu bleiben, werden sie sich neu auf<br />

Praxisbereiche und Mandantengruppen orientieren, die so<br />

gerade unter dem Spitzensegment liegen. Das zwingt wiederum<br />

die Kanzleienkategorie, die in jener Ebene tätig war,<br />

zu versuchen zu entkommen. Die Konkurrenz drängt in der<br />

Sparte die weniger lukrative, aber in gesellschaftlicher Hinsicht<br />

genauso erforderliche Rechtsberatung nach unten<br />

weg. Eiskalte Reorganisationen, weitere Entpersönlichung,<br />

kollektive Spezialisierung schlagen wie eine Welle durch<br />

die Anwaltschaft: von großen zu kleinen Kanzleien, von<br />

oben nach unten. Der Markt wird künftig maßgebend sein.<br />

Und die Verhältnisse werden sich verhärten, die Anwaltschaft<br />

wird weniger „angenehm“ werden. Das hat alles mit<br />

der Disziplin des Marktes zu tun. Wir werden lernen müssen,<br />

mit dieser Klimaveränderung zu leben. Das heißt bis<br />

zu einem gewissen Grad. Denn das Opfer werden die Privatpersonen<br />

sein, und dann vor allem die Einkommensschwachen<br />

unter ihnen. Für sie gibt es dann keine finanziell<br />

zu bewältigende Rechtsberatung mehr, und noch schlimmer<br />

– es wird kaum noch Anwälte geben, die ihre Dienstleistungen<br />

auf finanziell relativ uninteressanten Gebieten anbieten,<br />

wie Sozialversicherungsrecht, Ausländer- und Asylrecht,<br />

psychiatrisches Patientenrecht, Strafrecht,<br />

Familienrecht. Diese Bereiche stellen – weil es nichts Besseres<br />

gab und man sich nicht berufen fühlte – ein negatives<br />

Sich-Entscheiden dar. Denn in der Wirtschaft kann man<br />

sich sein Brot besser verdienen.<br />

4. Haben wir es mit einem bösen Märchen zu tun? Das<br />

hängt davon ab, ob wir uns weiterhin von den Verführungen<br />

des Marktes blenden lassen. Die Anwaltschaft befindet<br />

sich derzeit und in nächster Zukunft in dem Entwicklungsstadium,<br />

in dem das Unternehmen (die Spekulation?) und<br />

die Rentabilität maßgeblich sind. Jenes Stadium haben einige<br />

große Kanzleien überstanden. Man hat sie unsanft auf<br />

einen Mangel an gesellschaftlicher Betroffenheit hingewiesen.<br />

Als Beispiel nenne ich Brent Spar. In ihrer Unternehmenspolitik<br />

haben diese Betriebe zur Zeit eine in gesellschaftlicher<br />

Hinsicht vertretbare Unternehmensführung hervor.<br />

Diesen Reifungsprozeß muß auch die Anwaltschaft<br />

durchmachen, nämlich in dem Bewußtsein, daß das Recht<br />

kein normales Gut auf einem normalen Markt ist, sondern<br />

eine Bedingung für Marktwirkung. Für die Gesellschaft gilt<br />

sicher, daß das Recht dem Markt auch Grenzen aufzeigen<br />

muß.<br />

„the market is a good servant, but a bad master“<br />

Dieses Bewußtsein gesellschaftlicher Verantwortung verkünden<br />

die Anwälte noch am besten, indem sie ihre Berufswerte<br />

ernst nehmen.<br />

Und dann meine ich grundlegende Dinge wie Freiheit<br />

und Unabhängigkeit, Loyalität gegenüber dem Klienten,<br />

Vertrauensstellung, Verteidigung gefährdeter Interessen<br />

auch der Schwächeren in der Gesellschaft. Zugeständnisse<br />

in diesen Bereichen sind verwerflich. Nuancierungen unter<br />

Verweisung auf den Bedarf des Marktes, in dem das eigene<br />

Interesse überhand nimmt, schadet der Glaubwürdigkeit<br />

des Anwalts und damit seiner Identität.<br />

Verlieren einige Anwälte schon den Glauben an die eigene<br />

Identität? Wenn sie sich für regelrechten Kommerz entscheiden,<br />

für „no cure no pay“, dann verkaufen sie ihre Seele<br />

an den Markt. Damit sollen sie nicht nur ihren Schatten, son-


7<strong>12</strong><br />

l<br />

dern auch ihre Robe verlieren. Die Leugnung dessen, was<br />

dem Beruf eigen ist, führt ja zur Verwirrung, dessen Opfer<br />

der Rechtsuchende wird. Die Transparenz desselben Marktes<br />

will, daß die Spieler auf diesem gut erkennbar operieren.<br />

Das gilt auch für einen Anwalt. Wenn es soweit kommt, daß<br />

seine Identität ihn hindert, dann muß er sich für eine Annäherung<br />

an den Markt in einer anderen Eigenschaft entscheiden.<br />

Wenn die Prinzessin aus dem Märchen den Prinzen<br />

küßt, erwartet sie nicht, daß er sich in einen Frosch verwandelt.<br />

Aber ein Frosch kann immer ein Prinz werden und somit<br />

das Versprechen einlösen, daß letzten Endes das Gute im<br />

Menschen und in der Gesellschaft siegt.<br />

Länderbericht Schweiz *<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Niklaus Studer, Vizepräsident<br />

des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Solothurn/Schweiz<br />

1. Einleitung<br />

Die Schweiz hat die Türe zur Europäischen Union einen<br />

Spalt weit geöffnet. Die schweizerische Bevölkerung hat erfreulicherweise<br />

mit überwältigendem Mehr die bilateralen<br />

Verträge mit der EU angenommen. Trotzdem gilt die<br />

Schweiz im Ausland- und wird wohl auch weiterhin gelten –<br />

als eher konservativ, in sich abgeschlossen, in alten Traditionen<br />

verhaftet. Trifft dieses Bild nun auch auf die schweizerische<br />

Anwaltschaft zu? Hat trotz Globalisierung die<br />

Kommerzialisierung des Anwaltsberufes vor der Schweizergrenze<br />

Halt gemacht? Keineswegs! Die Entwicklung des<br />

Anwaltsberufes in der Schweiz geht in die gleiche Richtung<br />

wie im übrigen Europa, unbesehen ihres Inseldaseins.<br />

Ein Beispiel:<br />

In der bekannten schweizerischen Handelszeitung hat<br />

sich unlängst ein bekannter Rechtsanwalt mit Kanzleien in<br />

Bern und Zürich, 40 Anwälten, Inhaber von zahlreichen Verwaltungsratsmandaten,<br />

unter anderem von schweizerischen<br />

Fünfstern-Luxushotels, mit Bild porträtieren lassen. Wohl<br />

ging es im Artikel primär um Schweizer Fünfstern-Hotels,<br />

der Rechtsanwalt nahm dies jedoch zum Anlass, sich und<br />

sein Büro so darzustellen, dass seine Kanzlei für die Lösung<br />

bedeutender und schwieriger Rechtsprobleme die grösste<br />

und auch die beste Kanzlei in Bern sei. Über Kleinkanzleien<br />

äusserte er sich in despektierlicher Art und nennt sie „Einmannbüro<br />

in Schwiegermutters Küche“. Bei ihm seien<br />

Durchschnittsbürger mit ihren Alltagsproblemen an der falschen<br />

Adresse. Für grosse (selbstverständlich lukrative) Fälle<br />

seien er und seine Kanzlei die Richtigen! Im Weiteren wird<br />

in diesem Artikel sehr umfassend dargelegt, wieviel der<br />

Wirtschaftsanwalt arbeite, welche Leidenschaften er für<br />

Kunst hege, wie einfach er aufgewachsen sei usw., usw.<br />

Die Berner Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte<br />

nahm diesen Artikel zum Anlass, sich zur Frage der zulässigen<br />

Werbung zu äussern. Sie warf dem Rechtsnwalt vor,<br />

durch aufdringliche Anpreisungen der eigenen Person und<br />

seiner Kanzlei das standesrechtlich zulässige Mass an Werbung<br />

in quantitativer und qualitativer Hinsicht überschritten<br />

zu haben und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500,–.<br />

Was mag den bekannten und fachlich kompetenten Kollegen<br />

dazu bewogen haben, sich in derartiger Weise dem<br />

Publikum öffentlich anzupreisen? Ist es der Konkurrenz-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

druck? (die Anwaltschaft hat in der Schweiz seit 1990 markant<br />

um 50% zugenommen); ist es der ureigene Drang<br />

nach Selbstdarstellung?<br />

Es ist verständlich, dass sich der Rechtsanwalt mit diesem<br />

Verdikt nicht abgefunden hat und an das Schweizerische<br />

Bundesgericht mit einer staatsrechtlichen Beschwerde<br />

rekurrierte. Auf den Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichtes<br />

wird später zurückgekommen.<br />

Bevor auf die diversen anwaltsrechtlichen Aspekte eingetreten<br />

werden kann, welche sich aus dem in Frage stehendem<br />

Urteil ergeben, ist es unumgänglich, kurz die Besonderheiten<br />

der Schweiz bezüglich der Organisation der<br />

Anwaltschaft darzulegen.<br />

2. Organisation der Anwaltschaft<br />

Das Anwaltsrecht ist in der Schweiz kantonal geregelt.<br />

Die gesetzliche Ordnung findet sich in 26 zum Teil sehr unterschiedlichen<br />

Anwaltsgesetzen. Diese kantonalen Gesetze<br />

regeln die Ausbildung, die Prüfungsvoraussetzungen, die<br />

Anwaltsprüfungen, die Berufsausübung, etc.<br />

Bezüglich der Berufsausübung ist darauf hinzuweisen,<br />

dass in der Schweiz kein absolutes Anwaltsmonopol<br />

herrscht. Die Rechtsberatung war seit jeher und ist heute<br />

nach wie vor vollständig frei. Die Schweiz hat sich im Rahmen<br />

des Gatts verpflichtet, den status quo betr. Rechtsberatung<br />

beizubehalten, was zur Folge hat, dass die Rechtsberatung<br />

in der gesamten Schweiz bewilligungsfrei ausgeübt<br />

werden kann. Nur die forensische Tätigkeit untersteht dem<br />

Anwaltsmonopol, wobei diesbezüglich sehr grosse kantonale<br />

Unterschiede bestehen.<br />

Selbstverständlich bestehen in der Schweiz allgemein<br />

geltende Grundregeln für die Berufsausübung, welche mit<br />

jenen der EU-Staaten weitgehend identisch sind:<br />

Unabhängigkeit, Wahrung der Standeswürde, eigene<br />

Verantwortlichkeit, Vermeidung von Interessenkonflikten,<br />

Wahrung des Berufsgeheimnisses. Letzteres ist durch das<br />

Strafgesetz geschützt.<br />

Die Rechtsprechung zum Anwaltsrecht ist uneinheitlich.<br />

Viele kantonale Entscheide werden nicht publiziert. Gewisse<br />

Grundsätze ergeben sich aus der Rechtsprechung des<br />

Schweizerischen Bundesgerichtes, welches in einem gewissen<br />

Umfang die jeweiligen kantonalen Entscheide überprüfen<br />

kann.<br />

Es besteht eine Gesetzesvorlage zur Vereinheitlichung<br />

der Grundvoraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufes<br />

in der Schweiz. Ein Anwaltsgesetz ist vom Parlament<br />

verabschiedet und tritt voraussichtlich am 1.1.2001 in Kraft.<br />

In diesem Gesetz werden die Berufsregeln vereinheitlicht;<br />

es wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen sich ein<br />

schweizerischer Anwalt in ein Anwaltsregister eintragen lassen<br />

kann, um in der gesamten Schweiz vorbehaltlos vor<br />

Gericht auftreten zu können. In diesem Gesetz wird auch als<br />

Folge der bilateralen Verträge mit der EU geregelt, unter<br />

welchen Voraussetzungen Anwälte aus Mitgliedstaaten der<br />

EU in kantonale Register eingetragen werden bzw. die forensische<br />

Tätigkeit ohne Registereintrag ausüben können.<br />

Die Berufsausübung soll aber auch in anderen Bereichen<br />

erleichtert werden. Es bestehen Gesetzesprojekte bezüglich<br />

der Vereinheitlichung der Zivil- und Strafprozessordnungen<br />

(diese Prozessordnungen sind heute kantonal geregelt, es be-<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 713<br />

Aufsätze l<br />

stehen 26 verschiedene Zivil- und Strafprozessordnungen).<br />

Die Tätigkeit des kleinen Provinzanwaltes wird somit nicht<br />

länger auf sein angestammtes Kantonsgebiet beschränkt<br />

sein; nebst der schweizerischen Konkurrenz werden die<br />

Kanzleien in den grossen Agglomerationen und Grenzregionen<br />

wie Zürich, Basel, Bern, Tessin, Genf mit ausländischer<br />

Konkurrenz rechnen müssen. Um langfristig auf dem Markt<br />

bestehen zu können, schliessen sich immer mehr Kanzleien<br />

zusammen. Nicht nur die international Tätigen grossen law<br />

firms (gross heisst in der Schweiz 30 und mehr Anwälte) fusionieren<br />

nicht nur mit anderen Schweizer Grosskanzleien.<br />

Der Trend geht zusätzlich in Richtung Fusion mit ausländischen<br />

Kanzleien. Zur Zeit sind rund 15% der Verbandsmitglieder<br />

in Kanzleien von 10 und mehr Anwälten organisiert.<br />

Die Tendenz zu grösseren Kanzleien ist offensichtlich.<br />

Auch die Frage der Zulässigkeit multidisziplinärer Partnerschaften<br />

ist zur Zeit ungelöst; gewisse Kantone lassen<br />

diese zu, einige Kantone (insbesondere in der Romandie)<br />

verbieten sie kategorisch.<br />

Schliesslich befasst sich die schweizerische Anwaltschaft<br />

auch mit der Frage der Rechtsform der Anwaltskanzlei; ob<br />

Anwaltsgesellschaften in Form juristischer Personen zulässig<br />

sind, ist umstritten. Eine Gesetzesvorlage ist in Prüfung.<br />

3. Kommerzialisierung und seine Folgen<br />

Anhand des eingangs dargelegten Disziplinarfalles sei<br />

nun auf einige anwaltsrechtliche Probleme hingewiesen,<br />

welche sich zur Zeit in der Schweiz stellen:<br />

Vorerst zum Problem des Verbots aufdringlicher Werbung.<br />

Dieses Verbot gilt praktisch in allen Kantonen. Im<br />

zukünftigen schweizerischen Anwaltsgesetz ist die Werbung<br />

insofern und solange gestattet, als sie objektiv bleibt<br />

und dem öffentlichen Bedürfnis entspricht.<br />

Hat nun der Rechtsanwalt aus Bern gegen dieses Verbot<br />

verstossen? Das Bundesgericht bejaht dies in seinem Entscheid<br />

vom 2. November 1999, publiziert in BGE Band<br />

<strong>12</strong>5 I S. 417 ff. vollständig und vorbehaltlos. Interessant<br />

ist, dass sich das Bundesgericht sehr umfassend mit allen<br />

Aspekten der Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit<br />

der Rechtsanwälte, der Einschränkung der Handelsund<br />

Gewerbefreiheit, der Vereinbarkeit des Werbeverbotes<br />

und der Disziplinaraufsicht über Anwälte mit der EMRK<br />

und insbesondere mit dem Interesse der Öffentlichkeit an<br />

der Aufrechterhaltung des Verbotes aufdringlicher Werbung<br />

auseinandersetzt. Es würde zu weit führen, all diese<br />

Aspekte in extenso darzulegen. Die Begründung bezüglich<br />

aufdringlicher Werbung sei an dieser Stelle wie folgt zitiert:<br />

„Das Publikum soll darauf vertrauen können, dass<br />

Rechtsanwälte, wenn gleich Gewerbetreibende, sich in ihrer<br />

Berufsausübung nicht vor allem von Gewinnstreben beherrschen<br />

lassen, sondern in erster Linie ihrer Verantwortung<br />

im Rahmen der Rechtspflege wahrnehmen. In dieser Funktion<br />

sollen sie die Rechtssuchenden bei der Verfolgung ihrer<br />

subjektiven Rechtschutzinteressen beraten und unterstützen,<br />

sie gegebenenfalls aber auch davon abhalten, aussichtslose<br />

Prozesse zu führen. Der Wettbewerb zwischen den Berufskollegen<br />

soll auf fachlicher Ebene und nicht über die Werbung<br />

geführt werden. Ein Verbot aufdringlicher Werbung<br />

liegt daher im Interesse des Schutzes von Treu und Glauben<br />

im Geschäftsverkehr und dient der Erhaltung von Vertrauenswürdigkeit<br />

und Unabhängigkeit des Anwaltstandes.“<br />

Zwar hat das Bundesgericht ein striktes Werbeverbot für<br />

Rechtsanwälte stets abgelehnt, es andererseits aber als zulässig<br />

erachtet, deren Werbetätigkeit besonderen Schranken<br />

zu unterwerfen, insbesondere aufdringliche und irreführende<br />

Werbung zu untersagen. Eine entsprechende Beschränkung<br />

der Werbefreiheit sei sowohl geeignet als auch erforderlich<br />

um die dargelegten öffentlichen Interessen zu<br />

schützen: „Die Werbung darf keine unrichtigen Erwartungen<br />

wecken, hat auf Sensationelles und reklamehaftes sich<br />

herausstellen gegenüber Berufskollegen zu verzichten und<br />

muss von hohem Informationsgehalt sein.“ (Zitat)<br />

Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Grundsätze durchsetzen<br />

und die klare Rechtsprechung nicht nur beibehalten<br />

wird, sondern möglichst auch im internationalen Bereich<br />

Signalwirkung hat.<br />

Der eingangs dargestellte Fall des Berner Rechtsanwaltes<br />

wirft aber auch eine andere anwaltsrechtliche Frage auf,<br />

die seitens des schweizerischen Anwaltsverbandes zur Zeit<br />

sehr heftig und mit viel Engagement geführt wird: die Frage<br />

des Berufsgeheimnisses.<br />

Ob die Aussagen des Berner Rechtsanwaltes auch das<br />

Berufsgeheimnis berühren, musste weder die Aufsichtsbehörde<br />

des Kantons Bern noch das Bundesgericht beurteilen.<br />

Dieses Beispiel diene als Anlass, die Tendenzen in der<br />

Schweiz bezüglich der Einschränkung des Berufsgeheimnisses<br />

des Rechtsanwaltes darzulegen:<br />

Das Schweizerische Bundesgericht hat bereits verschiedentlich<br />

und zwar im Rahmen der Beurteilung des Geheimhaltungsrechtes<br />

des Anwaltes interessante und wegweisende<br />

Entscheide getroffen:<br />

Das Berufsgeheimnis ist dem Grundsatz nach unbestrittenermassen<br />

anerkannt und geschützt. Es besteht ein strafrechtlicher<br />

Schutz. Der Schutz ist in den kantonalen<br />

Anwaltsrechte statuiert; auch der Vorentwurf des eidgenössischen<br />

Anwaltsgesetzes garantiert das Berufsgeheimnis in<br />

vollem Umfange.<br />

Es besteht Einigkeit, dass das Berufsgeheimnis sowohl<br />

im Interesse der Klientschaft liegt, welche sich ganz auf<br />

die Diskretion der Anwaltschaft verlassen können muss, als<br />

auch im Interesse der Anwälte und nicht zuletzt im Interesse<br />

der Justiz selbst. Unbestritten ist auch, dass dem Anwaltsgeheimnis<br />

der gerichtliche Schutz nur versagt werden<br />

darf, wenn höhere gewichtigere Interessen vorliegen. Der<br />

Anwalt muss zur richtigen Ausübung seines Berufes und<br />

zur Erfüllung der Aufgaben, die ihm das Prozessrecht im<br />

Rechtsstaat zuerkennt, auf das unbedingte Vertrauen seines<br />

Klienten zählen können; dies setzt voraus, dass der Klient<br />

seinerseits voll auf die Verschwiegenheit des Anwaltes vertrauen<br />

darf.<br />

Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes darf<br />

sich ein Anwalt jedoch nur auf das Anwaltsgeheimnis berufen,<br />

wenn er eine sogenannt spezifische Anwaltstätigkeit<br />

ausübt. Als spezifische Anwaltstätigkeit wird insbesondere<br />

die forensische Tätigkeit betrachtet. Nicht zu dieser Tätigkeit<br />

gehört und somit nicht unter das Berufsgeheimnis fällt<br />

gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Tätigkeit<br />

des Anwaltes als Mitglied des Verwaltungsrates einer<br />

Aktiengesellschaft, die Vermögensverwaltung, das Inkassomandat,<br />

die Liegenschaftsverwaltung. Nach Auffassung des<br />

Bundesgerichtes muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob<br />

die Tätigkeit eines Anwaltes als berufsspezifisch gilt oder<br />

ob sie eher zu den Tätigkeiten eines Treuhandbüros, einer<br />

Bank oder einer Vermögensverwaltung gehört. Das Schweizerische<br />

Bundesgericht legt in BGE 1<strong>12</strong>, I B 606 ff dar,<br />

dass sich eine derartige Unterscheidung namentlich in Fällen<br />

aufdränge, „in welchen der Anwalt ein Verwaltungsratsmandat<br />

bekleidet. überwiegt in diesen Fällen das kaufmän-


714<br />

l<br />

nische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwaltes<br />

nicht mehr als eine anwaltliche betrachtet werden kann,<br />

kann sich das Berufsgeheimnis auf diese Tätigkeit jedenfalls<br />

nicht in einem umfassenden Sinn erstrecken. Die Entscheidung<br />

darüber, welche Tatsachen vom Berufsgeheimnis<br />

erfasst werden, dürfen nicht schematisch, sondern nur unter<br />

Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls<br />

getroffen werden.“ Nach Auffassung des Bundesgerichts<br />

sind dabei zu den nicht berufspezifischen Tätigkeiten<br />

namentlich auch Vermögensverwaltungen oder die Anlage<br />

von Geldern zu zählen, jedenfalls dann, wenn sie nicht mit<br />

einem zur normalen Anwaltstätigkeit gehörenden Mandat<br />

so z. B. mit einer Güterausscheidung oder einer Erbteilung<br />

verbunden sind. Von diesen Ausnahmen abgesehen, stellen<br />

die erwähnten Tätigkeiten Aktivitäten dar, die normalerweise<br />

von Vermögensverwaltern, Treuhandbüros oder Banken<br />

wahrgenommen werden und nicht unter den Schutz des<br />

Anwaltsgeheimnisses fallen.<br />

Interessant ist die Stellung des Berufsgeheimnisses des<br />

Rechtsanwaltes im seit dem 1. April 2000 in Kraft stehenden<br />

Geldwäschereigesetz. Gemäss diesem Gesetz hat ein<br />

Finanzintermediär (also jene Person, die berufsmässig Vermögen<br />

verwaltet), der weiss oder den begründeten Verdacht<br />

hat, dass die in die Geschäftsbeziehung involvierten Vermögenswerte<br />

im Zusammenhang mit einer strafrechtlich<br />

relevanten Handlung stehen, der eidgenössischen Meldestelle<br />

für Geldwäscherei Meldung zu erstatten. Von dieser<br />

Meldepflicht ausgenommen sind grundsätzlich Anwältinnen<br />

und Anwälte, soweit ihre Tätigkeit dem Berufsgeheimnis<br />

untersteht. Auf das Berufsgeheimnis kann sich der Anwalt<br />

oder die Anwältin somit auch in diesem Zusammenhang<br />

nicht berufen, wenn er von einem nach Geldwäschereigesetz<br />

massgebenden Sachverhalt im Rahmen seiner nicht anwaltspezifischen<br />

Tätigkeit Kenntnis erhält. In diesen Fällen<br />

ist die Berufung auf das Berufsgeheimnis ausgeschlossen.<br />

Diese Rechtsprechung zeigt klar und deutlich, in welche<br />

Richtung sich die Berufsausübung der schweizerischen<br />

Anwältinnen und Anwälte in der Schweiz entwickelt. Die<br />

Anwaltstätigkeit steht nur dann noch unter dem Schutz des<br />

Berufsgeheimnisses, wenn es sich um eine traditionelle Berufsausübung,<br />

insbesondere um eine forensische Tätigkeit<br />

handelt. Der rein beratende, vermögensverwaltende, als<br />

Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft tätige Rechtsanwalt<br />

läuft somit Gefahr, nicht mehr als eigentlicher Anwalt<br />

zu gelten und seine Privilegien zu verlieren, sondern in einen<br />

Topf mit Treuhändern, Vermögensverwaltern, Bankiers<br />

geworfen zu werden.<br />

Diese Entwicklung ist einerseits bedauerlich, andererseits<br />

aber verständlich. Sie ist darauf zurückzuführen, dass<br />

als Folge der Kommerzialisierung immer mehr Berufskolleginnen<br />

und Kollegen sich von den ethischen Grundsätzen<br />

abwenden und sich für Geschäfte einspannen lassen, die<br />

mit dem angestammten Beruf nichts oder nicht viel zu tun<br />

haben. Durch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes darf<br />

dem Rechtsmissbrauch nicht Tür und Tor geöffnet werden<br />

(Zitat Bundesgericht).<br />

Es wäre an sich ein leichtes, derartige Argumente zu<br />

entkräften: Dies bedürfte jedoch der Einsicht aller, den Beruf<br />

vor den Kommerz zu stellen.<br />

Schlussbemerkungen<br />

Diese Ausführungen zeigen, dass die Schweiz keine<br />

Insel ist. Die Anwaltschaft kämpft mit den gleichen Problemen,<br />

die sich in der EU stellen.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

Länderbericht Frankreich *<br />

Rechtsanwalt/Avocat à la Cour Karl Hepp de Sevelinges,<br />

Gide Loyrette Nouel, Paris<br />

„Avocat-roi“: Titel eines 1922 in Paris erschienen Buches<br />

von Max Buteau. Das Königtum der Rechtsanwälte war für<br />

ihn eine unbestreitbare Tatsache. In seinem Werk legte er<br />

dar, dass seit mehr als 100 Jahren, nämlich bereits unter Napoleon<br />

dem I, die Rechtsanwälte in der französischen Gesellschaft<br />

eine bedeutende Stellung eingenommen haben.<br />

Unter der III. Republik stellten sie eine Vielzahl von Parlamentariern,<br />

Ministern und die meisten Präsidenten der Republik.<br />

Sie hatten auch innerhalb der Justiz eine herausragende<br />

Stellung und das Volk widmete diesem Stand seine besondere<br />

Aufmerksamkeit, in der Presse, in begeisterten Zuneigung<br />

des Volkes – Starallüren waren nicht selten. De Berrier war<br />

ein ganz grosser unter ihnen, vor dem die grossen Damen<br />

des Faubourg-Saint-Germain sich von ihren Plätzen erhoben,<br />

wenn er den Saal betrat. Kein Essen, bei dem die Dame des<br />

Hauses nicht einen Rechtsanwalt zwischen einen Akademiker<br />

und einen Arzt plazierte, keine Jagd, bei der nicht auch<br />

Flinten von Rechtsanwälten dabeiwaren, keine Premiere<br />

ohne ein halbes Dutzend Rechsanwälte.<br />

Hat sich seitdem viel verändert? Äusserlich nicht allzu<br />

viel. Die französischen Rechtsanwälte tragen noch den gleichen<br />

Talar wie auf den bekannten Skizzen von Honoré<br />

Daumier. Mit Mitterand war vor wenigen Jahren noch ein<br />

Rechtsanwalt an der Spitze des französischen Staates. Das<br />

französische Staatsprotokoll weist dem Präsidenten der Pariser<br />

Rechtsanwaltskammer die Nr. 55 im Protokoll zu.<br />

Ein König ist der französische Rechtsanwalt doch seit längerer<br />

Zeit nicht mehr. Auf dem Weg ins neue Jahrtausend entwickelt<br />

sich der Anwaltsberuf in Frankreich zu einer reinen<br />

Dienstleistung. König ist heute der Mandant. Die Mandantenbindung<br />

ist heute bei weitem nicht mehr so eng wie früher.<br />

Gar häufig müssen sich Kanzleien einem „beauty contest“<br />

stellen. Die Mandanten wechseln häufig die Kanzlei.<br />

Der französische Anwaltsmarkt hat sich am Ende des<br />

letzten Jahrtausends auch stark verändert. Die angloamerikanischen<br />

Kanzleien sind in Frankreich mit einer sehr<br />

aggressiven Politik aufgetreten und haben ganze Teams aus<br />

alteingesessenen Kanzleien abgeworben. Freshfields, Clifford<br />

Chance, Allen & Overy, Shearman & Stearling, Cleary<br />

Gottlieb Steen and Hamilton, sie alle haben eine bedeutende<br />

Grösse in Frankreich erlangt.<br />

I. Modernisierungsbestrebung im Auftrag der<br />

französischen Regierung<br />

Vor dem Hintergrund des starken Wachstums der angloamerikanischen<br />

Kanzleien auf dem französischen Rechtsberatungsmarkt<br />

und der Netzwerke der sogenannten „big<br />

five“, hat die französische Regierung eine Untersuchung<br />

vom Abgeordneten Henri Nallet erstellen lassen. An der<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 715<br />

Aufsätze l<br />

Schwelle zum neuen Jahrtausend ging es darum, Alternativen<br />

zum „individualisme à la française“ zu finden. Wettbewerbsnachteile<br />

im Verhältnis zu den angloamerikanischen<br />

Kanzleien sollten aufgedeckt werden:<br />

Nallet hat in seiner Studie, die er im letzten Jahr dem<br />

Premierminister Jospin übergeben hat folgende Schwerpunkte<br />

herausgearbeitet:<br />

1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben modernisieren,<br />

um interprofessionelle Netzwerke zu ermöglichen.<br />

Um mit der internationalen Konkurrenz wettbewerbsfähig<br />

zu sein, brauchen auch die Rechtsanwälte Rahmenbedingungen,<br />

die globale Strukturen ermöglichen. Die in<br />

der Wirtschaft gängigen Holdingstrukturen sind nach wie<br />

vor für französische Kanzleien unzulässig. Dabei ist die<br />

Holding doch ein geeignetes Instrument, das den Zusammenschluss<br />

von territorial und strukturell unterschiedlichen<br />

Kanzleien ermöglicht, ohne einen komplizierten Fusionsprozess<br />

durchzuführen.<br />

Unter nachfolgenden Voraussetzungen befürwortet eine<br />

grosse Mehrheit der Rechtsanwaltschaft die Holding:<br />

– die Mehrheit der Anteilshaber der Holding sind selbst<br />

Rechtsanwälte<br />

– die Holding selbst unterwirft sich dem rechtsanwältlichen<br />

Standesrecht<br />

2. Steuererleichterung<br />

Die Steuerbegünstigungen, die juristische Personen bei<br />

der Durchführung einer Fusion haben (Reduzierung der<br />

Registrierungssteuer, keine Besteuerung des Mehrwerts),<br />

sollten auch Rechtsanwaltsgesellschaften erhalten, die<br />

keine eigene Rechtspersönlichkeit haben.<br />

3. Die „patrimonialisation“ der Anwaltskanzleien begrenzen<br />

– die Anwaltskanzlei als Mittel der Vermögensbildung.<br />

Französische Anwälte, die vor 20, 30 oder 40 Jahren<br />

Gründer der grossen Wirtschaftskanzleien waren, dachten,<br />

dass sie am Ende ihrer beruflichen Karriere ihre Anteile an<br />

der Kanzlei auf der Grundlage des heutigen und zukünftigen<br />

Umsatzes der Kanzlei an neue Partner veräussern können.<br />

Dabei lassen sie ausser Acht, dass die neuen Partner<br />

bereits erheblich an der Wertbildung der Kanzlei mitgearbeitet<br />

haben. Die Aufnahme neuer Partner wird dadurch<br />

erheblich erschwert.<br />

4. Öffnung des Rechtsanwaltsberufs für Unternehmensjuristen<br />

Frankreich kennt im Gegensatz zu Deutschland und<br />

England nicht den „Syndicusanwalt“.<br />

Vertretungen der Anwaltschaft und der Unternehmensjuristen<br />

haben bereits in einer Resolution vom 7. Juni 1999<br />

den Willen bekundet, beide Berufszweige einander anzunähern.<br />

Ferner umfasst die Richtlinie 98/15 vom 16. Februar<br />

1998 nicht ausschliesslich den Beruf des Rechtsanwalt als<br />

Freiberufler, sondern zielt explizit auch auf den Rechtsanwalt,<br />

der als Arbeitnehmer in einem Unternehmen tätig<br />

ist. Hier bestehen Bestrebungen zu einer Harmonisierung.<br />

5. Gemeinsame Kanzleien von Wirtschaftsprüfern und<br />

Rechtsanwälten<br />

(1) Die aktuelle Situation<br />

Im Unterschied zu Deutschland, wo man auch kleinere<br />

Kanzleiverbindungen zwischen Steuerberatern und Rechtsanwälten<br />

antrifft, ist diese Art der Verbindung in Frankreich<br />

v. a. unter den grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

verbreitet (Ernst & Young, PriceWaterhousCoopers, Deloitte<br />

& Touche, Mazard et Associés).<br />

Die Juristen dieser Kanzleien sind im Steuerrecht sehr<br />

stark und dringen verstärkt auf den M&A Markt. Die internationalen<br />

Vernetzungen kommen ihnen dabei besonders<br />

zugute.<br />

Rechtsanwälte dürfen in Frankreich nicht gleichzeitig<br />

Wirtschaftsprüfer sein.<br />

(2) Die rechtlichen Vorgaben<br />

Die standesrechtlichen Regelungen gehen implizit von<br />

der Zulässigkeit von Netzwerken zwischen Rechtsanwälten<br />

und Wirtschaftsprüfern aus.<br />

(3) Die offizielle Position des Conseil National du Barreaux<br />

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung sah<br />

sich der Conseil National des Barreaux genötigt Position<br />

zu beziehen und hat 14. März 1998 folgendes festgelegt:<br />

9 Name: Rechtsanwälte und Wirtschaftprüfer, die zu einem<br />

gemeinsamen Netzwerk gehören, müssen einen eigenständigen<br />

Namen führen und gleichzeitige auf ihre<br />

Zugehörigkeit zu dem Netzwerk hinweisen.<br />

9 Einschränkung: zugelassen werden nur Zusammenschlüsse<br />

mit „reglementierten Berufsgruppen“ (Wirtschaftsprüfer).<br />

Unzulässig ist nach wie vor der Zusammenschluss<br />

mit Unternehmensberatern, Informatikberatern<br />

etc.<br />

9 Standesrecht: Anwälte dürfen nicht Mitglied von Netzwerken<br />

werden, in denen nicht gewährleistet wird, dass<br />

bei demselben Mandanten keine Kontrollaufgaben<br />

(Wirtschaftsprüfung) und Beratung (Rechtsberatung)<br />

durchgeführt wird.<br />

Massnahmen zur Regelung von Interessenkonflikten<br />

sind zu ergreifen.<br />

Verbot, Honorare mit Personen zu teilen, die nicht Anwälte<br />

sind.<br />

9 Transparenz: Alle Mitglieder des Netzwerks müssen bei<br />

dem Conseil National des Barreaux ausführliche Auskünfte<br />

über Organisation, Mitglieder, Funktionsweise,<br />

finanzielle Organisation etc hinterlegen.<br />

II. Der Zugang für EU-Anwälte auf dem<br />

französischen Markt<br />

(1) Die bisherige Regelung<br />

Die Stellung von ausländischen Rechtsanwälten in<br />

Frankreich<br />

9 Seit 1972:<br />

Ausländische Rechsanwälte können sich als sogenannte<br />

„conseils juridiques étrangers“ niederlassen und dürfen im<br />

Recht ihres Herkunftslandes und im internationalen Recht<br />

beraten.<br />

Diese liberale Gesetzgebung hat dazu geführt, dass sich<br />

eine relativ grosse Zahl ausländischer Rechtsanwälte in Paris<br />

niedergelassen haben und Paris nicht von ungefähr den<br />

Ruf eines internationalen Rechtsforums geniesst.<br />

9 1990: Der Beruf des „conseil juridique“ wurde mit dem<br />

Beruf des „avocat“ fusioniert. Es gibt heute nur noch<br />

den „avocat“. Ausländische Rechtsanwälte, die den Status<br />

eines „conseil jurdique étranger“ hatten, konnten auf<br />

einfachen Antrag als „avocat“ zugelassen werden.<br />

Rechtsanwälte aus dem europäischen Ausland können<br />

im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ohne weiteres und<br />

ohne zusätzliche Prüfung vor französischen Gerichten auftreten.


716<br />

l<br />

Ausländische Rechtsanwälte, die sich in Frankreich niederlassen<br />

wollen, müssen heute eine „Eignungsprüfung“<br />

ablegen. Dabei werden je nach Kenntnisstand des Kandidaten<br />

im französischen Recht materielles Recht und Standesrecht<br />

abgefragt. Die Prüfung ist gegenüber Kandidaten aus<br />

Deutschland besonders streng und wird darauf zurückgeführt,<br />

dass Franzosen ebenfalls grösste Schwierigkeiten<br />

bei der Eignungsprüfung in Deutschland haben.<br />

(2) Die EG Niederlassungsrichtlinie vom 16. Februar 1998<br />

Die EG Niederlassungsrichtlinie vom 16. Februar 1998<br />

wurde bislang in Frankreich noch nicht umgesetzt. Frist zu<br />

ihrer Umsetzung ist der 14.3.2000 gewesen. Insbesondere<br />

wurde noch keine Lösung vorgesehen, um Artikel 10 Abs. 1<br />

der Richtlinie umzusetzen. Nach dieser Vorschrift sollen<br />

Anwälte mit den Rechtsanwälten des Aufnahmestaats<br />

gleichgestellt werden, sofern sie eine dreijährige effektive<br />

und regelmässige Tätigkeit im Aufnahmestaat nachweisen<br />

können.<br />

Die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie:<br />

Der Conseil de l’Ordre von Paris (RAKammer Paris)<br />

hat hierzu im März einen Beschluss erlassen:<br />

„Aufgrund des Gemeinschaftsvertrages und der europäischen<br />

Rechtsprechung sind hinreichend klare unbedingt<br />

und genaue Verpflichtungen unmittelbar anwendbar.<br />

Einige Bestimmungen der Richtlinie bedürfen aber eines<br />

Transpositionsgesetzes, das vom französischen Parlament<br />

erlassen wird.<br />

Alle europäischen Anwälte können aber ihre Eintragung<br />

in der Anwaltsliste unter ihrer Herkunftsbezeichnung beantragen.<br />

Anträge auf Niederlassung unter der Bezeichnung „Avocat<br />

à la Cour“ werden bis zum Erlass eines Transpositionsgesetzes<br />

nicht bearbeitet.<br />

Frankreich hat es überhaupt nicht eilig, die Richtlinie<br />

umzusetzen.<br />

III. Die Kommerzialisierung des<br />

französischen Anwaltsberufs<br />

1. Werbung<br />

Artikel 161 der Verordnung vom 27.11.1991 sieht eine<br />

Kompromisslösung zwischen Tradition und der Notwendigkeit<br />

der Rentabilität einer Anwaltssozietät vor. Dem<br />

Rechtsanwalt ist zurückhaltende Werbung erlaubt, soweit<br />

diese zur notwendigen Information der Öffentlichkeit erforderlich<br />

ist. Sie verbietet damit die kundenfangartige Werbung<br />

und gestattet nur Werbung, die die Würde des Berufsstandes<br />

achtet.<br />

Werbung muss daher bescheiden sein und darf in keinem<br />

Fall selbstlobend, täuschend, marktschreierisch, herabwürdigend,<br />

vergleichend oder provozierend sein.<br />

Jede Werbemassnahme muss aus präventiven Gründen<br />

der Rechtsanwaltskammer zur vorherigen Genehmigung<br />

vorgelegt werden.<br />

Insgesamt sind Werbungsmassnahmen somit wesentlich<br />

in Frankreich sehr viel zurückhaltender als in Deutschland.<br />

Hauptwerbeträger sind Briefpapier, Namensschilder,<br />

hauptsächlich jedoch die Informationsbroschüren über die<br />

eigene Kanzlei. Schliesslich gehören hierzu auch Karten,<br />

mittels denen die Öffentlichkeit erlaubterweise über einen<br />

Adresswechsel, den Eintritt eines neuen Sozius, einer Gesellschaftsgründung<br />

etc. in Kenntnis gesetzt wird.<br />

Verboten sind als Werbeträger Werbeplakate in der<br />

Öffentlichkeit oder in Zeitungen, die Ausstrahlung von<br />

Werbespots in Fernsehen und Radio, die eigene Abbildung,<br />

das Verteilen von Werbeprospekten sowie zahlenmässige<br />

Angaben des Kundenstamms.<br />

Im Zuge der Medienflut findet jedoch immer mehr indirekte<br />

Werbung ihren Weg, insbesondere durch das Medium<br />

Fernsehen, in welchem Stellungnahmen und Berichterstattungen<br />

von Anwälten anlässlich spektakulärer Fälle immer öfter<br />

abgegeben werden. Es bietet insoweit einen idealen Schauplatz<br />

für die professionelle Selbstdarstellung des Anwalts.<br />

2. Honorar<br />

Abschliessend möchte ich auf einen Punkt eingehen, der<br />

dem Anwalt bereits vor 100 Jahren sehr wichtig war: das<br />

Honorar.<br />

In Frankreich existiert keine der deutschen BRAGO<br />

vergleichbare gesetzliche Honorarregelung. Die Honorarvereinbarung<br />

zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten<br />

unterliegt primär der Vertragsfreiheit. Falls aber keine<br />

Honorarvereinbarung abgeschlossen wurde, muss der Rechtsanwalt<br />

gem. Artikel 10 des Anwaltsgesetzes vom 31.<strong>12</strong>.1990<br />

das Honorar nach den „hergebrachten Grundsätzen“ festlegen.<br />

Das Gesetz erläutert, was unter den hergebrachten<br />

Grundsätzen zu verstehen ist, nämlich die wirtschaftliche<br />

Situation des Mandanten, der Schwierigkeitsgrad der Angelegenheit,<br />

Kosten, der Bekanntheitsgrad des Rechsanwalts<br />

und der Aufwand, den er für die Angelegenheit betreibt.<br />

Ferner verbietet derselbe Artikel 10 die Vereinbarung<br />

eines Erfolgshonorars (Pacte quota litis). Dieses grundsätzliche<br />

Verbot wird aber mit einem Nachsatz wesentlich<br />

eingeschränkt. Zulässig sind nämlich Honorarvereinbarungen,<br />

die ein Grundhonorar vorsehen, das den Arbeitsaufwand<br />

berücksichtigt und darüber hinuas für den Fall des<br />

Obsiegens eine „Erfolgsprämie“ (Palmarium).<br />

Länderbericht England *<br />

Charles Leach, Solicitor,<br />

Ashurrst, Morris, Crisp-Solicitors, London<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

Das Thema ist in der Tat global, und Entwicklungen<br />

sind in England unterwegs die ich heute kurz erklären<br />

möchte.<br />

1. Ich habe zwei Themen ausgewählt, die eine Einsicht<br />

in diesen Entwicklungen geben soll.<br />

2. Zuerst spreche ich über etwas was allgemein gesagt<br />

wird, nämlich dass die Einheit des Berufsstandes auf dem<br />

Spiel steht. Wie wird dies in England betrachtet?<br />

9 Es hat schon immer eine Zweiteilung der Anwälte gegeben<br />

– auf der einen Seite stehen die solicitors, deren<br />

Hauptaufgabe beratender Natur ist und die ihren Beruf<br />

gewöhnlich in Form von Partnerschaften ausüben; auf<br />

der anderen Seite stehen die barristers, deren Hauptaufgabe<br />

die Arbeit vor Gericht ist und die sich nicht zu<br />

Partnerschaften zusammenschließen dürfen, sondern in<br />

„Chambers“ zusammenarbeiten.<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 717<br />

Aufsätze l<br />

9 Diese traditionelle Unterscheidung ist in Gefahr der<br />

freie Zugang zu dem juristischen Rat, und die Einführung<br />

von Wettbewerb sind erklärte Ziele des Staates.<br />

9 Die Anwaltschaft wird unter Druck gesetzt, um auf<br />

Wettbewerb zu reagieren und am wirtschaftlichen Risiko<br />

teilzuhaben – den Anwälten als Freiberuflern behagt<br />

diese Vorstellung nicht unbedingt.<br />

3. Es geht weiter – neben barristers und solicitors haben<br />

wir noch Bürovorsteher (legal executives), Anwälte im<br />

privaten und öffentlichen Sektor, nunmehr auch zugelassene<br />

ausländische Anwälte sowie Rechtsberater und seit<br />

kurzem auch Websites, über die rechtliche Beratung direkt<br />

aus dem Internet abgerufen werden kann und die auch von<br />

unqualifizierten Rechtsberater entworfen sind.<br />

4. Ich werde mich auf einen Bereich konzentrieren, in<br />

dem diese Entwicklung in England beobachtet werden<br />

kann: den Bereich der juristischen Ausbildung. Ich zitiere<br />

aus der Law Society Gazette vom 17.2.2000, wo es in der<br />

Überschrift heißt:<br />

„Top-Kanzleien der City enthüllen Pläne zur Einführung<br />

einer ,verstärkten Ausbildung’.<br />

Acht Kanzleien aus der City, darunter alle der Kanzleien<br />

aus dem Magic Circle, unterstützen drei Rechtsakademien<br />

in Nottingham, Oxford und London dabei, einen so genannten<br />

,City LPC’ einzuführen.“<br />

5. Zusammenfassend ist zum Legal Practice Course<br />

(LPC) – der Name unseres Hauptausbildungskurses – zu<br />

sagen, dass er eingeführt wurde, um ein allgemein als veraltet<br />

angesehenes Prüfungssystem zu ersetzen.<br />

9 Wie aus dem Namen ersichtlich, ist es das Ziel, solicitors<br />

eine mehr praxisbezogene Ausbildung anzubieten.<br />

9 Ferner haben sich auch die Zeiten geändert, und was<br />

noch vor ein paar Jahren geeignet schien, bedarf nunmehr<br />

einer Modernisierung.<br />

9 Der LPC umfasst eine Reihe von Kernfächern (Wirtschaftsrecht,<br />

Immobilienrecht und Prozessführung) sowie<br />

mehrere Wahlfächer.<br />

9 Der Kurs wird von einer Reihe von Akademien und<br />

Hochschulen angeboten, die von der Law Society zugelassen<br />

wurden.<br />

9 Vielleicht unvermeidlicherweise ist das Pendel jedoch<br />

zu weit geschwungen, und juristische Fertigkeiten wurden<br />

zu Gunsten einer umfangreicheren praktischen Ausbildung<br />

geopfert. Die City Kanzleien fühlten, dass dieser<br />

Kurs für Ihren Bedürfnissen ungenügend war.<br />

9 Der neue City LPC hat die Zulassung für 2001 erhalten.<br />

9 Die Reaktionen der Presse legen nahe, dass dies eine erste<br />

Anerkennung der Tatsache ist, dass sich der Berufsstand<br />

aufspaltet.<br />

6. Ich habe mit einem Professor an einer der Rechtsakademien<br />

gesprochen, die den „City LPC“ anbieten, und<br />

ferner mit einem leitenden Direktor des College of Law,<br />

dem traditionellen Anbieter von Kursen, der verpflichtet<br />

ist, einen Kurs für den gesamten Berufsstand anzubieten.<br />

Beide erkennen, dass Änderungen gebraucht sind.<br />

9 Die neu-angebotenen Kurse konzentrieren sich auf das<br />

Wesentliche, d. h. auf die Steigerung der Kernfähigkeiten<br />

eines kommerziellen Juristen und die Vermittlung<br />

des geschriebenen Rechts.<br />

9 Die drei Anbieter in der City garantieren den acht Kanzleien<br />

der City, die sie unterstützen, Plätze in ihren Kursen,<br />

und andere Kanzleien haben ein großes Interesse<br />

daran, dass ihre Studenten sich auch für diese Kurse einschreiben<br />

können.<br />

9 Das College of Law schlägt zurück. Es hat selbst einen<br />

gesellschaftsrechtlich ausgerichteten LPC entwickelt, der<br />

ebenfalls im Jahre 2001 eingeführt wird. Das College<br />

hat bemerkt, dass sich die Erfordernisse an den Berufsstand<br />

als Ganzes gewandelt haben und dass die Vermittlung<br />

von Handels- und Gesellschaftsrecht mittlerweile<br />

unverzichtbarer Bestandteil der juristischen Ausbildung<br />

ist. Interessanterweise werden viele Trainees, die keine<br />

Festanstellung bei den großen Kanzleien finden, von den<br />

kleineren Firmen eingestellt, da diese wesentlich zur<br />

Kosteneinsparung beitragen können, und die in größeren<br />

Kanzleien erworbenen Fertigkeiten mittlerweile für kleinere<br />

Kanzleien von genauso großer Wichtigkeit sind.<br />

9 Es ist meine Meinung (und ich spreche als Mitglied<br />

einer City Kanzlei [nicht einer der Acht] und in keiner<br />

anderen Rolle), dass was geschehen könnte, ist das es<br />

zu einer Unterteilung in der Qualität der Ausbildung<br />

kommt, sodass ein gewisses Elitedenken in der Ausbildung<br />

entstehen könnte – die besten Studenten müssen<br />

sich in dem City LPC einschreiben, wenn sie in die besten<br />

Kanzleien angestellt werden wollen.<br />

9 Dies alles läuft jedoch darauf hinaus, dass klar wird,<br />

dass Änderungen vorgenommen werden müssen, um auf<br />

die Welt „da draußen“ zu reagieren, und unser Berufsstand<br />

ist gerade dabei, dies zu erkennen und umzusetzen.<br />

7. Wie steht unsere Standesvertretung, die Law Society,<br />

dazu?<br />

9 Nachdem sie sich bislang noch zurückgehalten hat, hat<br />

sie jetzt Vertreter aller beteiligten Parteien zu einer Konferenz<br />

eingeladen, die Ende dieses Monats stattfinden<br />

wird.<br />

9 Nach Ansicht einiger Beobachter war die Law Society<br />

zuerst noch unschlüssig, scheint der Entwicklung jedoch<br />

mittlerweile recht aufgeschlossen gegenüberzustehen.<br />

8. Und jetzt kurz etwas über das zweite Thema. Ich<br />

habe schon gesagt, dass unser Berufstand in England unter<br />

Druck ist, vom staatlichen Wunsch auf freien Zugang zum<br />

juristischen Rat und für mehr Konkurrenz.<br />

9 Als Beispiel, hat das OFT eine Untersuchung in dem<br />

Wettbewerb in allen Berufsständen bekannt gegeben.<br />

Diese Untersuchung sollte sich über die Regeln aller Berufständen<br />

handeln.<br />

9 Aber erst in dieser Wochen hat das OFT erklärt, dass<br />

es wird auf die Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfern<br />

(Accountants) konzentrieren – der Direktor-General des<br />

OFTs sagt, laut einen Artikel in die Financial Times am<br />

27. Mai, dass es heißt keine Untersuchung in den Gebieten<br />

„value for money“ und dem Niveau von Honoraren.<br />

Es handelt sich mehr um Gewohnheiten die existieren,<br />

die eine ungünstige Wirkung auf diesen Gebieten haben<br />

werden – ein Beispiel von dem was wir „Spin-Doctoring“<br />

nennen.<br />

9 Wohin diese Untersuchung führt ist natürlich unklar.<br />

Aber meiner Meinung nach, ist eins sicher – die Schraube<br />

wird immer fester gedreht auf die Anwaltschaft!<br />

9. Zum Schluss, und als etwas leichteres, möchte ich<br />

noch einmal zitieren, als Beispiel, dass die Welt ändert sich<br />

so sehr.<br />

Man sagt, dass in unser Welt des dritten Millenniums,<br />

die traditionelle Integrität und „good manners“ des Berufs-


718<br />

l<br />

standes verschwunden sind. Hier ist ein Zitat aus der Überschrift<br />

eines Nachrufs auf Martin Lampard, ehemaliger<br />

Senior Partner in Ashurst Morris Crisp, der unlängst gestorben<br />

ist:<br />

„Ein unkonventioneller Anwalt aus der City von höchster<br />

Integrität, der sich durch die Qualität der ,vulgar abuse’<br />

auszeichnete, die er im Auftrag seines Mandanten seinem<br />

Gegner entgegenbrachte.“<br />

Vielleicht gibt es wirklich nichts neues auf der Welt.<br />

Kommentar aus den USA*<br />

Rex R. Perschbacher, Dean and Professor of Law, School<br />

of Law, University of California, Davis (US A)<br />

Thank you all for most graciously including me on your<br />

distinguished panel this afternoon to offer my U.S. perspective<br />

on „EU Harmonization-Globalization-Commercialism<br />

Legal Profession quo vadis?“<br />

Before offering you my own views on where the legal<br />

profession is going from my own U.S.-California perspective,<br />

it may be important to see where we are. I must agree<br />

with most all that President Schmidt auf Altenstadt had to<br />

say in presenting his perspective on the state of the bar and<br />

economics in the Netherlands. As represented here at the<br />

meeting of the D.A.V. – German Bar Association – legal<br />

professionals working with multinational business corporations,<br />

and those representing clients engaged in international<br />

commercial transactions, in practice all already engage<br />

in very similar professional activities, despite differing<br />

national affiliations and despite differing professional organizations<br />

and professional structures in our home countries.<br />

As has happened repeatedly in the modern era, economics<br />

dictates substance whatever the form seems to require. And<br />

this, more than anything else, constitutes my theme this<br />

afternoon – that economic behavior by clients will determine<br />

how legal professionals act in practice, however the<br />

profession is described by theory, ideology, or even national<br />

law.<br />

1. The U.S. Legal Profession Today<br />

Two characteristics of U.S. legal practice perhaps best<br />

known by practitioners from other countries are that the<br />

practice is a united one without distinctions such as barrister/solicitor<br />

or court/office, and that the profession has a<br />

monopoly on the provision of legal services. However, in<br />

reality, both of these characterizations are at best misleading,<br />

and the situation is much more complex.<br />

The problems with the U.S. profession stretch back to a<br />

19th century ideology1 together with an 18th century structure2<br />

– neither of which seems responsive to current needs,<br />

which are driven by clients, and particularly interstate and<br />

transnational business clients.<br />

The rule of economic substance over ideological, or<br />

even regulatory, form is a notable feature of the U.S. legalprofessional<br />

landscape. The formal description of the U.S.<br />

bar and its official ethical posture is striking for its rhetorical<br />

embrace of the largely outdated professional paradigm.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

There is no national U.S. legal profession; each of our<br />

fifty states and assorted minor sovereigns is not just primarily,<br />

but virtually exclusively, responsible for setting educational<br />

standards, licensing, and regulating its own bar. The<br />

U.S. states-through their bar associations-are fiercely protective<br />

of their regulatory monopoly and professional identity.<br />

They cling to a vision rooted in practice going back<br />

over 100 years: lawyers as solo practitioners, in small communities,<br />

engaged in a generalized practice of law-family,<br />

real estate, trusts and wills, some business, some criminal.<br />

Law practiced on such a personal level lends itself to<br />

personal policing of the profession and independence as a<br />

central theme. Regulation grew up as peer group regulation,<br />

highly influenced by Southern U.S. regional „gentlemanly“<br />

understandings. The U.S. bar further benefitted<br />

from a close link to the judiciary which is itself composed<br />

of lawyers, the U.S. never having developed a separate educational<br />

and professional path to the bench. In virtually all<br />

U.S. states, lawyers are admitted and regulated, and the bar<br />

often formally led, by the judiciary. Drawing on the U.S.’s<br />

strongly embedded separation of powers principles, this has<br />

also contributed to the profession’s claims that it cannot be<br />

regulated other than by the courts – a claim that is simply<br />

untrue as a matter of law or fact. For example, the bar dues<br />

of California lawyers are set by the California legislature,<br />

and the State Bar Act governing California lawyers is a statute.<br />

Yet the California bar claims regulatory autonomy as a<br />

part of the judicial branch.<br />

In fact, the growth of the U.S. legal profession has been<br />

closely tied to business, particularly the rise of Wall Street,<br />

banking and finance and the growth of national (now multinational)<br />

corporations engaged in distinctly non-local businesses.<br />

In practice, the bar has moved far from its local, rural,<br />

solo and general practitioner roots. Although still not formally<br />

or officially recognized, criminal law lawyers, both<br />

government prosecutors and quasi-governmental defenders,<br />

practice a very different version of law from virtually all<br />

civil practices, even those involving litigation. In-house<br />

corporate counsel, government lawyers on<br />

all levels, corporate and business litigation lawyers have<br />

become so specialized that considerable post-law school<br />

training is required and abrupt career changes are difficult.<br />

However, the old professional rhetoric persists and, under<br />

attack, is held even tighter by the bar’s „official“ leaders.<br />

The California courts refused to allow a New York state-based<br />

law firm to collect fees for representing its client in an<br />

arbitration in California – a representation sought by the<br />

client – on the ground that the New York lawyers, who were<br />

not admitted to practice before the California courts, were<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.<br />

1 The profession’s 19th century ideology is based on the notion of the independent<br />

rural, „gentleman“ lawyer who practices law as a generalist. This ideology<br />

encourages:<br />

9 nostalgia/blindness<br />

9 resistence to legitimate regulation<br />

9 lack of reform; response to changed conditions<br />

9 refusal to accept law as business<br />

2 The profession’s 18th century structure is based on U.S. states. There is no<br />

national or federal bar. Even the national voluntary trade association, the American<br />

Bar Association, is dominated by U.S. state and municipal bar associations.<br />

This state-by-state regulation creates significant problems for the delivery of services<br />

to major interstate and multinational clients. These problems include:<br />

9 unauthorized practice and limited admission to practice among the states<br />

9 confusing and conflicting regulation of professional conduct and discipline<br />

(e.g., advertising, multiple offices in several states)<br />

9 the glacial pace of legal professional reform in a context dominated by local<br />

and parochial interests which is not responsive to business clients seeking range<br />

of services-e.g., law and accounting, business services, tax, lobbying.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 719<br />

Aufsätze l<br />

engaged in the „unauthorized practice of law,“ which is a<br />

misdemeanor. 3 At the same time, under a longstanding<br />

„agreement“ among title companies and real estate brokers,<br />

most California residential real property sales – even those<br />

of $1 million and up – are negotiated and transacted under<br />

contractual agreements without any lawyers involved at all.<br />

So there is an uneven fit between the legal profession’s<br />

expressed ethos, its ideology, and its reality. This awkward<br />

fit is becoming an even greater problem for those parts of<br />

the profession involved in the international or transnational<br />

practice of law and the international business community.<br />

The U.S. legal profession is currently in a state of denial.<br />

We are ready to embrace opportunities to practice in Europe<br />

and Asia but unable to figure out how to let New York<br />

lawyers practice in California. Our state bar associations,<br />

such as California, proudly proclaim their absolute independence<br />

– and claim it essential to their role as protectors of<br />

justice – while begging the state legislature for authority to<br />

collect dues to provide for a discipline system that they further<br />

claim they alone must control.<br />

Our reality is very different: the U.S. has a horizonallydivided<br />

bar in a vertically constituted environment. There<br />

are actually several U.S. „bars.“ There<br />

is one for businesses (especially big multinational corporations)<br />

and wealthy individuals; there is another for the<br />

poor, which is state supported or subsidized. There is one<br />

for middle-class general legal problems, such as divorce,<br />

wills, consumer issues, and personal injuries. There is one<br />

for government lawyers at all levels. There are employeelawyers<br />

in the fields of business, and insurance. And there<br />

is yet another bar for criminal practice.<br />

What are the prospects for the U.S. legal profession?<br />

For the moment, the ideological power of the 19 th century<br />

nostalgic view, coupled with balkanized state-local control,<br />

will prevent any formal reform. 4 But economics, certainly<br />

at the multinational and interstate business level, will create<br />

demands for legal and non-legal services that follow client<br />

businesses. It is one of the great ironies of the current debate<br />

that the bar demands its independence to protect<br />

clients, and then uses that independence to deprive clients<br />

of services they need and demand.<br />

2. The Future of the U.S. Legal Profession<br />

The reluctance to permit genuine reform has several<br />

consequences. One consequence is de facto reform. There<br />

has been some merging of law and accounting professionals<br />

and the provision of „ancillary business“ services from<br />

related entities. De facto reform is also evident in interstate<br />

law firms and interstate practice on behalf of businesses<br />

and the wealthy.<br />

Another consequence is some creeping nationalization<br />

of the bar through the federal courts and through federal<br />

regulation by various agencies, such as the Securities and<br />

Exchange Commission and the U.S. Attorney General’s<br />

Office. Perhaps in the long-run, a horizontal split will result<br />

between legal services for businesses and wealthy individuals<br />

and all other forms of legal practice. However, probably<br />

Europe must lead here. Europe’s pull, where business<br />

connections are strongest, like New York state, may result<br />

in further de facto reform. The organized bar simply will<br />

not move.<br />

If these developments should come to pass, are they bad<br />

for the legal profession? Do they signal the end of the bar?<br />

No. The bar could accept even a business-like model<br />

(versus a „professional“ model) linked by „core values“<br />

that distinguish legal services and lawyers-the protection of<br />

client confidentiality and loyalty and the practice of independent<br />

judgment. Special ethical obligations are not a disadvantage,<br />

as Professor Dr. Hellwig eloquently pointed out.<br />

What might these developments include?<br />

It is possible, even likely, that such developments would<br />

encourage<br />

advanced specialized training and education. The retention<br />

of the profession’s core values, including client loyalty,<br />

proscriptions on conflict of interest, and the protection of<br />

client confidences likely would remain. However, independent<br />

judgment might become based on legal training and<br />

skill, linked to the public interest. Although this would impact<br />

on the current professional ethics rules, there likely<br />

should be differing rules for differing types of practice, although<br />

this would not require separate bars.<br />

It is also possible that the U.S. might create a more<br />

limited training undergraduate degree-one like the continental<br />

system, but based practically on problem solving.<br />

For the future, I share Dr. Hellwig’s „confidence“: Our future<br />

will be secure because of core professional values, however<br />

organized into the working world.<br />

3 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 17 Cal. 4 th<br />

119, 949 P.2d 1, 70 Cal. Rptr. 2d 304.<br />

4 As an earlier speaker asked rhetorically, „Why do we need professional law at<br />

all?“ „In the 1830’s in the U.S., the answer was, we didn’t.“ Maybe that will<br />

become the answer again in the 21 st century.<br />

EU-Harmonisierung –<br />

Globalisierung – Kommerzialisierung<br />

Anwaltschaft quo vadis?<br />

– Zusammenfassung –*<br />

Rechtsanwalt Klaus Böhlhoff, Präsident der IBA, New York<br />

Im Rahmen dieser erfolgreichen und sehr gut besuchten<br />

Veranstaltung in Berlin habe ich die Aufgabe übernommen,<br />

das Substrat der Länderberichte – ergänzt mit eigenen Bemerkungen<br />

– so weit wie möglich zu kommentieren und<br />

zusammenzufassen:<br />

1. Es herrscht Übereinstimmung darüber, dass die Wiener<br />

Beschlüsse der International Bar Association vom Juni<br />

1998 auch in Zukunft als Richtschnur anwaltlichen Handelns<br />

gelten sollten und kein Grund ersichtlich ist, warum<br />

sowohl kleine und mittlere als auch große Sozietäten sich<br />

nicht daran halten können. Auswüchse der zunehmenden<br />

Kommerzialisierung der Anwaltschaft sind im Interesse der<br />

Klienten, der Anwälte und der Öffentlichkeit in Grenzen<br />

zu halten.<br />

Die Kernbestimmung der Wiener Beschlüsse lautet wie<br />

folgt:<br />

* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.


720<br />

l<br />

„The legal profession has a vital role in guaranteeing<br />

access to justice, in upholding the rule of law, in keeping<br />

dient matters confidential, in avoiding conflicts of interest<br />

and in upholding specific ethical and Professional standards.“<br />

2. Ein entscheidendes Kriterium im Wettbewerb der Anwaltschaft<br />

mit Wirtschaftsprüfern und anderen Dienstleistern<br />

ist die Qualität. Gut ausgebildete und sorgfältig arbeitende<br />

Anwälte werden auch in Zukunft ihren Platz in der<br />

Gesellschaft und im Wirtschaftsleben finden.<br />

Die Grundsätze anwaltlichen Standesrechts – Verschwiegenheitspflicht,<br />

Vermeidung von Interessenkonflikten<br />

und die Einhaltung strikter Standesregeln – sollten nicht<br />

als Hindernis im Wettbewerb mit anderen Dienstleistern<br />

gesehen werden, sondern als besonderes Qualitätsmerkmal.<br />

Die Anwaltschaft sollte aktiv damit werben, dass Anwälte<br />

auf Grund ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit und<br />

zur Vermeidung von Interessenkonflikten besonders qualifizierte<br />

und vertrauenswürdige Berater und Vertreter der Interessen<br />

ihrer Klienten sind (z. B. „Der Anwalt – aus dem<br />

Leben nicht wegzudenken – was Sie ihm sagen, bleibt vertraulich,<br />

er vertritt nur Ihre Interessen“).<br />

3. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die dramatischen<br />

Veränderungen unseres Berufsstandes nur die großen<br />

Anwaltsbüros treffen. Der Wettbewerb – z. B. mit den<br />

Wirtschaftsprüfern – wird sich auf allen Ebenen verstärken.<br />

Der Zug zur größeren Sozietät ist unaufhaltsam. Ein bezeichnendes<br />

Beispiel sind die Niederlande. Dort sind bereits<br />

50% aller Anwälte in großen Sozietäten organisiert.<br />

4. Ein immer wiederkehrendes Thema in der Diskussion<br />

war die Verbesserung der anwaltlichen Ausbildung. Die vor<br />

uns liegenden Aufgaben erfordern eine neue Qualität von<br />

Beratern:<br />

Hervorragende Ausbildung im weiten Sinne mit vertieftem<br />

Verständnis für Geschichte und Politik; außer der Muttersprache<br />

arbeitsfähige Kenntnisse nicht nur im Englischen,<br />

sondern in mindestens einer anderen Sprache, und zwar<br />

nicht nach der Art des polyglotten Globetrotters, sondern mit<br />

der Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge und Konzepte in<br />

einer Fremdsprache zu verstehen oder auszudrücken. Hinzu<br />

kommt das vertiefte Verständnis nicht nur eines Rechtssystems<br />

und (erheblich) mehr als rudimentäre Kenntnisse des<br />

internationalen Privat- und Verwaltungsrechts.<br />

Entscheidend für die Handelnden in diesem Beratungsumfeld<br />

ist daher Gespür und Respekt für ausländische<br />

Rechtssysteme und Offenheit für unterschiedliche kulturelle<br />

und historische Entwicklungen. Sir Francis Bacon, der<br />

berühmte englische Wissenschaftler und Philosoph des frühen<br />

17. Jahrhunderts, hat einmal die Bildung und Entwicklung<br />

des Rechts mit den Quellen des Wassers in der Natur<br />

verglichen. So wie Quellwasser seine Färbung und seinen<br />

Geschmack den durchdrungenen Bodenschichten verdankt,<br />

so entwickelt sich das Recht unter dem Einfluss des vorgegebenen<br />

kulturellen und historischen Umfelds.<br />

Wenn man diese Grundsätze beherzigt, ist es letztlich<br />

gleichgültig, in welchem Recht ein Anwalt seine juristische<br />

Grundausbildung erfährt. Aus Tradition und – gelegentlicher<br />

– besserer Erkenntnis neigen wir auf dem Kontinent<br />

insoweit zur Bevorzugung eines auf römischem Recht beruhenden<br />

Rechtssystems. Aber ungeachtet aller Voreingenommenheit<br />

ist römisches Recht ein Leitbild für die Aufgabe,<br />

Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, genauso wie die<br />

zwar ungeliebte, richtig angewandt jedoch als Denkschule<br />

unverzichtbare Relationstechnik.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

Naturgemäß findet man diese Fähigkeiten eines guten<br />

Juristen in allen Rechtsordnungen. Ideal wäre ein Background<br />

im römischen Recht verbunden mit der aus intensivem<br />

Fallstudium entwickelten Fähigkeit angloamerikanischer<br />

Anwälte, die Fakten und Umstände einer Transaktion<br />

konkret und verständlich und frei von generellen Abstraktionen<br />

zu formulieren.<br />

Ist das noch der französische „avocat roi“ der 60er und<br />

70er-Jahre, der sein Berufsbild pflegte, ohne zu merken,<br />

dass die auf Grund liberaler französischer Gesetzgebung<br />

hereinströmenden ausländischen Kollegen auf dem besten<br />

Wege waren, die grenzüberschreitende wirtschaftsrechtliche<br />

Beratung an sich zu reißen? Wohl nicht, aber der glänzend<br />

ausgebildete junge europäische Anwalt ist eine überzeugende<br />

Weiterentwicklung auf dem Wege der freien<br />

Anwaltschaft in das neue Jahrhundert.<br />

5. Wenn man über eine politische Karte von Europa mit<br />

ihrem Fleckenteppich relativ kleiner Länder eine Wetterkarte<br />

schiebt, zeigt dies deutlich, wie wenig sich das Wetter<br />

um politische Grenzen kümmert. Das Gleiche gilt für die<br />

globalisierte Wirtschaft, die sich ohne besonderen Respekt<br />

für politische Grenzen in der Welt ausdehnt.<br />

Noch deutlicher wäre das Bild, wenn man statt der politischen<br />

Karte eine Karte sämtlicher für Anwälte bestehenden<br />

territorialen Restriktionen verwenden würde. Ist die<br />

Anwaltschaft in der Tat so eingeengt, dass sie die Europäische<br />

Niederlassungsrichtlinie als großen Befreiungsschlag<br />

empfinden muss?<br />

Die Realität sieht anders aus. Wenn man nach London,<br />

Paris oder New York reist, ist man nicht im Geringsten erstaunt,<br />

dort zahlreiche ausländische Anwälte zu sehen, die<br />

ihrer internationalen Beratungspraxis nachgehen. Die allseits<br />

bekannten Kollegen treffen sich mit anderen Kollegen<br />

z. B. in London, um eine Projektfinanzierung in Portugal<br />

zu erörtern oder – wenn es auf relevante Fragen des jeweiligen<br />

Ortsrechts ankommt – um die Angelegenheit gemeinsam<br />

mit dem „local counsel“ zu besprechen.<br />

In der Praxis wird diese so genannte „high end“ internationale<br />

Beratung durch die vielfältigen Beschränkungen der<br />

grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit überhaupt<br />

nicht berührt. Es handelt sich also vor allem um den Einzelanwalt<br />

in Aachen, der gerne in Lüttich beraten oder den<br />

Strassburger Anwalt, der ein Büro in Kehl eröffnen möchte.<br />

Hier sind die bestehenden Restriktionen in der Tat erdrückend.<br />

Sie sind sofort aus der Welt, wenn der Aachener<br />

Anwalt einen belgischen Anwalt in Lüttich und der Straßburger<br />

Anwalt einen deutschen Anwalt in Kehl hinzuzieht.<br />

Von einer viel tiefgreifenderen Bedeutung für die Anwaltschaft<br />

sind die Bemühungen der WTO, die Anwaltschaft der<br />

Welt zu deregulieren und zu liberalisieren. So sehr dies im einzelnen<br />

für Klienten und die Anwaltschaft wünschenswert sein<br />

kann, eine zu starke Liberalisierung und damit das Verschwinden<br />

der oben erwähnten „core values“ der Anwaltschaft<br />

könnte weit reichende Konsequenzen haben. Im übrigen ist<br />

aber die globale Tätigkeit von Anwälten mehr ein praktisches<br />

und wirtschaftliches als ein regulatorisches Problem.<br />

6. Beflügelt durch NAFTA, GATT und GATS denken<br />

und handeln unsere Klienten zunehmend global. Die einfache<br />

Schlussfolgerung für die beratenden Berufe, nunmehr<br />

auch nur noch global zu denken und zu beraten, erweist<br />

sich schnell als Fehlschluss.<br />

Es gibt kein identisches geschäftliches und rechtliches<br />

Konzept für West- und Osteuropa, ganz zu schweigen von<br />

Lateinamerika, Ostasien und dem Phänomen der pazifi-


AnwBl <strong>12</strong>/2000 721<br />

Aufsätze l<br />

schen Randstaaten. Globale Anwaltsfirmen und Wirtschaftsprüfüngsgesellschaften<br />

sind zwar weltweit präsent.<br />

Sie haben jedoch lernen müssen, dass man den Herausforderungen<br />

nicht durch stromlinienförmige Strukturen und<br />

Versatzstücke aus Standardverträgen begegnen kann. Natürlich<br />

gehören zur Beratungsleistung internationale oder globale<br />

Konzepte; entscheidend sind jedoch ein hohes Maß<br />

an Verständnis und Gespür für lokale Entwicklungen und<br />

Respekt vor örtlichen Besonderheiten. Demgemäß brauchen<br />

diese global players entweder (international erfahrene) örtliche<br />

Anwaltsbüros, oder sie müssen unter großen Schwierigkeiten<br />

und erheblichem Aufwand eigene überzeugende<br />

örtliche Beratungskapazität schaffen, wobei durchgehende<br />

Qualität das eigentliche, kaum zu bewältigende Problem ist.<br />

Um diese Lektion zu lernen, hätte es keiner teuren Fehlschläge<br />

bedurft, sondern man hätte auch einmal von den<br />

Klienten lernen können. Think globally, act locallyoder the<br />

art of being local worldwide ist das Schlagwort multinationaler<br />

Unternehmen, deren Leitbild Nestle das Einheitsprodukt<br />

„Nescafe Classic“ weltweit in etwa 50 unterschiedlichen<br />

Geschmacksrichtungen produziert.<br />

Mit dieser Maßgabe spielen allerdings globale Anwaltsfirmen<br />

durchaus ihre Rolle. Sie erfüllen für viele Unternehmen<br />

nach dem Prinzip one stop one bill auch eine wesentliche<br />

Funktion. Daneben haben jedoch eher national<br />

strukturierte Anwaltsbüros auf Grund ihrer größeren Nähe<br />

zum Markt und zu den Klienten und ihrer dichteren Erfahrung<br />

einen erheblichen, von den globalen Anwaltsbüros<br />

kaum einzuholenden Vorsprung. Dies setzt allerdings auf<br />

nationaler Seite die Offenheit für internationale Entwicklungen<br />

und die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, internationale<br />

Sachverhalte für ihre Klienten zu bearbeiten und zu<br />

orchestrieren, d. h. im umfassenden Sinn project management<br />

und legal risk management zu betreiben. Hierzu gehören<br />

selbstverständlich der Einsatz, die Kontrolle und Koordinierung<br />

ausländischer Anwaltsbüros.<br />

7. Eine Diskussion notwendiger oder möglicher Strategien<br />

für Anwaltsbüros bei der Bewältigung der sich aus der Globalisierung<br />

ergebenden Herausforderung könnte ein eigenes<br />

Werk füllen. Diesem offenbar reizvollen Thema widmen sich<br />

nicht nur anwaltsbezogene, in- und ausländische Publikationen,<br />

sondern mittlerweile auch die Tageszeitungen und die<br />

Wirtschaftspresse, die in Gesamtzahlen von Partnern oder fee<br />

earners sowie angeblichen Durchschnittsumsätzen und<br />

Durchschnittsgewinnen großer Anwaltssozietäten schwelgen.<br />

Wenn man hier die Perspektive zurechtrückt, ist die richtige<br />

Strategie für die großen Sozietäten allerdings von entscheidender<br />

Bedeutung. Die letzten zehn Jahre waren geprägt<br />

von nationalen Zusammenschlüssen, insbesondere in überörtlichen<br />

Sozietäten, die sich ihrerseits zum Teil in weltweiten<br />

Allianzen zusammengeschlossen haben. Andere haben<br />

sich auf die best friends-oder very best friends-Strategie<br />

beschränkt. Daneben stehen vor allem die angloamerikanischen<br />

global firms und die internationalen WP-Gesellschaften,<br />

die energisch in den Rechtsberatungsmarkt drängen.<br />

Für nationale und internationale Anwaltsbüros gibt es<br />

keine Ideallösung. Die global firms wollen alles alleine<br />

machen und haben Probleme, vor Ort eine überzeugende<br />

Mannschaft national ausgebildeter Anwälte aufzubauen. Die<br />

Anfang der 90er-Jahre aus dem Boden geschossenen<br />

internationalen Allianzen sind häufig an der mangelnden<br />

Masse gegenseitiger Empfehlungen (referrals) gescheitert.<br />

Sowohl die global firms als auch die Allianzen geben zwar<br />

einerseits dem Klienten den Vorteil des one stop one bill, an-<br />

dererseits laufen die Klienten Gefahr, statt der freien Auswahl<br />

des am besten geeigneten Anwaltsbüros auf den Allianzpartner<br />

oder das örtliche Büro der global firm beschränkt zu sein.<br />

Demgegenüber haben die allein oder nach dem best friends-<br />

Prinzip agierenden nationalen Sozietäten im Vergleich zu<br />

Allianzen und global firms den Nachteil nicht immer reibungslos<br />

funktionierender und nicht ausreichend eingespielter<br />

Zusammenarbeit mit unabhängigen ausländischen Büros.<br />

Es gibt keinen Königsweg. Insbesondere lassen sich<br />

viele große und multinationale Unternehmen von derartigen<br />

Strukturen wenig beeindrucken. Unabhängig von bestehenden<br />

Verbindungen wählen diese Klienten vor Ort den für<br />

die betreffende Transaktion geeignetsten Anwalt selbst aus.<br />

Da demgegenüber andere Klienten eher auf den einheitlichen<br />

und weltweiten Service Wert legen, wird es auch auf<br />

Dauer ganz unterschiedliche Erscheinungsformen nationaler<br />

Büros und internationaler Anwaltsverbindungen geben.<br />

Entscheidend wird auch in Zukunft die Leistung des<br />

Einzelanwalts und des Teams sein, in das seine Tätigkeit integriert<br />

ist. Hier wird für große und internationale Transaktionen<br />

immer eine kritische Masse an Bearbeitern und Spezialisten<br />

zur Verfügung stehen müssen, was zwangsläufig<br />

zur Bildung größerer Einheiten führt. Die absolute Größe<br />

einer Sozietät und die Vielzahl und Dichte internationaler<br />

Allianzen oder eigener Zweigstellen ist jedoch nicht entscheidend.<br />

So hat die hoch angesehene und nach einschlägigen<br />

Veröffentlichungen ertragsstärkste amerikanische Anwaltssozietät<br />

Wachtell Lipton nur 64 Partner und 72<br />

associates. Es gibt also kein generelles too big oder too<br />

small, sondern allenfalls die der angestrebten Aufgabenstellung<br />

nicht angepasste Größe. Eine falsche Struktur und insbesondere<br />

nicht hinreichende Qualifikation lassen sich<br />

auch durch Zusammenschlüsse nicht verbessern.<br />

Die Welt des Anwalts befindet sich in einem gelegentlich<br />

verwirrenden, insgesamt jedoch auch erfrischenden<br />

Wandlungsprozess. Wer sich der persönlichen Herausforderung<br />

der intensiven Ausbildung und der unternehmerischen<br />

Herausforderung der Organisation und des mehr als oberflächlichen<br />

Umgangs mit der Technik und der Qualitätskontrolle<br />

stellt, braucht nicht nur nichts zu befürchten, sondern<br />

steht vor einer Chance, wie sie der traditionellen Anwaltschaft<br />

noch nicht vergönnt war.<br />

8. Die Anwaltschaft ist – mit Recht – um ihre Existenz und<br />

ihre zukünftige Rolle besorgt. Über dieser notwendigen nationalenundinternationalenDiskussionsindwirschnellgeneigt,<br />

nicht nur die standesrechtlichen Grundsätze beiseite zu schieben,<br />

sondern die darüber hinausgehenden Verpflichtungen der<br />

Anwaltschaft für die Allgemeinheit zu verdrängen. Hier in<br />

Berlin denkt man an Friedrich den Großen, einen der bekanntesten<br />

Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Er und sein<br />

geistiger „Sparringspartner“ Voltaire gehören gemeinsam mit<br />

Montesquieu, Grotius und anderen zu den Wegbereitem der<br />

rule of law und des Schutzes der Menschenrechte.<br />

Leider lebt auch heute noch ein Großteil der Weltbevölkerung<br />

unter Regimen, die weit entfernt von dem Stand<br />

der Rechtssicherheit des Individiums sind, der bereits unter<br />

Friedrich dem Großen erreicht war. Auf Grund unserer Ausbildung<br />

und unserer Tätigkeit sind wir Anwälte prädistiniert,<br />

uns nach Kräften für die Durchsetzung des rechtsstaatlichen<br />

Gedankens und des Schutzes der Menschenrechte<br />

einzusetzen, gelegentlich auch vor der eigenen Haustür.<br />

Wer insoweit international einen eigenen Beitrag leisten<br />

möchte, kann dies im Rahmen der Arbeit des Human<br />

Rights Instituts der International Bar Association tun.


722<br />

l<br />

Die Gebührenstrukturvorschläge<br />

des DAV<br />

Allgemeine Regeln und Gebühren für die<br />

außergerichtliche Anwaltstätigkeit *<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Hannover<br />

Die Anwaltschaft muss es seit langer Zeit hinnehmen, dass<br />

sie bei Gebührenanpassungen der allgemeinen Entwicklung der<br />

Einkommen hinterherläuft. Nur im Abstand von vielen Jahren<br />

erfolgte in der Vergangenheit eine lineare Anpassung. Seitdem<br />

die Gegenstandswerte mit Rücksicht auf die allgemeine wirtschaftliche<br />

Entwicklung jährlich inflationsbedingt kaum noch<br />

steigen, gibt es auch keine indirekte Gebührenanpassung mehr,<br />

zumal durch die relativ weit gefassten Gebührenstufen dieser<br />

Effekt ohnehin gering ist. Die Öffentlichkeit ist dennoch immer<br />

noch der Auffassung, dass Anwälte (zu) viel verdienen. Die<br />

letzte nennenswerte Gebührenerhöhung in der <strong>12</strong>. Legislaturperiode,<br />

die zum 1.7.1994 wirksam wurde, musste deshalb erheblichen<br />

politischen Widerstand überwinden. Inzwischen sind<br />

sechs Jahre vergangen, im politischen Raum gibt es nicht einmal<br />

leiseste Anfänge einer neuen Diskussion darüber, wann wieder<br />

eine Gebührenanpassung stattfindet. Andererseits sind die Kosten<br />

und auch die allgemeinen Einkommen in diesen sechs Jahren<br />

weiter gestiegen. Die Anwaltschaft ist von der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung weitgehend abgekoppelt.<br />

Diese politische Situation war einer der Gründe dafür, dass<br />

der Vorstand der DAV Ende des Jahres 1994 einen Ausschuss<br />

„Reform des Gebührenrechts“ gründete, die sich grundlegende<br />

Gedanken über eine strukturelle Reform des Gebührenrechts<br />

machen sollte. Dieser Ausschuss kam am 4.2.1995 zu seiner<br />

konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen. Er hat seit dem<br />

viele Sitzungen absolviert. Die Strukturvorschläge sind als Beilage<br />

zum <strong>Anwaltsblatt</strong> 5/98 der gesamten Anwaltschaft vorgestellt<br />

worden. Sie sind von der Konferenz der Gebührenreferenten<br />

der Deutschen Rechtsanwaltskammern erörtert worden und<br />

schließlich im Juni 1998 der JUMIKO zugeleitet worden, die<br />

eine Arbeitsgruppe mit der weiteren Behandlung beauftragt hat.<br />

Seitdem ist im politischen Raum erkennbar nichts geschehen.<br />

Erste Versuche der Repräsentanten der Anwaltschaft, eine<br />

Diskussion über eine inzwischen überfällige lineare Gebührenanpassung<br />

in Gang zu bringen, wurden mit dem Hinweis auf die<br />

Beratungen über die Strukturreform abgewehrt. Der DAV ist<br />

sich der Tatsache bewusst, dass diese Gefahr jetzt besteht. Bei<br />

Beginn der Tätigkeit des Ausschusses sowie dem Abschluss<br />

dieser Arbeit lagen die Arbeitsergebnisse im zeitlichen Rhythmus<br />

der bisherigen Gebührenanpassungen. Es hätte also längst,<br />

wie immer wieder gefordert, eine Fachdiskussion einsetzen<br />

können und müssen. Andere Vorhaben wie die geplante Justizreform,<br />

die gleichfalls gebührenrechtliche Aspekte haben, stehen<br />

leider derzeit im Vordergrund. Die Anwaltschaft muss sich<br />

deswegen, weil Strukturveränderungen derzeit nicht in Sicht<br />

sind, auf zwischenzeitliche Gebührenanpassungen konzentrieren<br />

und diese fordern. Das geschieht.<br />

II.<br />

Dennoch halten es der Vorstand des DAV und auch der<br />

Gebührenstrukturausschuss für richtig, die Diskussion über<br />

die Strukturreform weiter voranzutreiben.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

Ich möchte ihnen die Kernpunkte der angestrebten<br />

Strukturreform, soweit sie die Abschnitte 1 und 2 (allgemeine<br />

und gemeinsame Vorschriften), 3 (Gebühren in<br />

bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten) und <strong>12</strong> (Gebühren in<br />

sonstigen Angelegenheiten) betreffend vorstellen:<br />

Da der Ausschuss den Auftrag hatte, sozusagen bei Null<br />

anzufangen, also keine Vorgaben hinzunehmen, stellte sich<br />

zunächst die Frage, ob die BRAGO in ihrer bisherigen<br />

Form einer Kombination aus Festgebühren im prozessualen<br />

Bereich und Rahmengebühren im außergerichtlichen Bereich,<br />

beides nach dem Gesetz Mindestgebührensätze, beibehalten<br />

werden sollte. Der Ausschuss hat nach ausführlicher<br />

Diskussion und Anhörung von Kollegen aus verschiedenen<br />

Bereichen und Praxisstrukturen gemeint, dass<br />

das bisherige System sich bewährt hat und beibehalten werden<br />

soll. Insbesondere hält der Ausschuss die Umstellung<br />

unseres Gebührensystems auf in jedem Einzelfall vereinbarte<br />

Gebühren, insbesondere Zeitgebühren für kontraproduktiv.<br />

Die Erfahrungen anderer Länder mit diesem System<br />

zeigen, dass der Vorteil des deutschen Systems darin liegt,<br />

dass die entstehenden Gebühren überschaubar und voraussehbar<br />

sind, dass außerdem lange Diskussionen über die<br />

Höhe der Gebühren sich erübrigen, weil diese Gebühren<br />

weitgehend fest liegen. Darüber hinaus ist das deutsche<br />

Kostenerstattungssystem zu beachten.<br />

Vorstand des DAV und Ausschuss meinen weiter, dass<br />

die BRAGO europarechtsfest ist. Sie sind also nicht der<br />

Auffassung, dass der allgemeine Trend zur Deregulierung<br />

rechtlichen Einfluss auf die BRAGO haben wird. Wenn also<br />

die deutschen Anwälte und der deutsche Gesetzgeber an der<br />

BRAGO festhalten wollen, ist das rechtlich unbedenklich.<br />

2. Die bisherige Gebührenstruktur der BRAGO beruht<br />

auf der Prämisse, dass Anwälte in erster Linie als Prozessanwälte<br />

tätig sind. Die Regelungen der §§ 31 ff. BRAGO<br />

stehen daher im Zentrum. Die Gebühren des § 118 BRAGO<br />

rangieren am Schluss unter der Überschrift „Gebühren in<br />

sonstigen Angelegenheiten“, als handle es sich dabei um<br />

die Honorierung untergeordneter Tätigkeit. Die Vorschriften<br />

über außergerichtliche reine Beratungstätigkeit ohne<br />

Rechtsverfolgung nach außen entsprechen nicht mehr der<br />

Bedeutung, die diese Tätigkeit inzwischen erlangt hat.<br />

a) Die Wirklichkeit spiegelt sich in der Struktur unserer<br />

Gebührenordnung also nicht mehr wider. Das Bild des Anwalts<br />

und die Qualität seiner Tätigkeit haben sich in den<br />

vergangen Jahren erheblich gewandelt. Nach zuverlässigen<br />

Untersuchungen werden heute mehr als 70% aller Fälle, die<br />

an Anwälte herangetragen werden, von diesen außergerichtlich<br />

geregelt. Der sogenannten vorsorgenden Rechtspflege<br />

– beispielsweise der Vertragsgestaltung – kommt immer mehr<br />

Bedeutung zu. Deswegen gehören die heutigen Bestimmungen<br />

der §§ 118 BRAGO in das Zentrum der Gebührenordnung<br />

unter die Rubrik der gemeinsamen Vorschriften. Sie<br />

bedürfen darüber hinaus einer grundsätzlichen Umgestaltung.<br />

Die bisherige Aufteilung in drei verschiedene Gebühren<br />

mit nur einem sehr begrenzten Rahmen von je 5/10 bis<br />

10/10 der vollen Gebühren ist zu eng. Die Aufteilung be-<br />

* Vortrag auf dem 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin am<br />

3.6.2000, in der Veranstaltung des DAV-Ausschusses Gebührenrecht<br />

/ Gebührenstruktur.<br />

Der Vortragende ist Mitglied im Ausschuss Gebührenrecht /<br />

Gebührenstruktur des DAV und auch in der Arbeitsgruppe<br />

Gebührenrecht der BRAK sowie Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />

Celle und zugleich Vizepräsident der BRAK.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 723<br />

Aufsätze l<br />

rücksichtigt nicht, dass in aller Regel das Schwergewicht<br />

auf der bisher in § 118 Abs. 1 Ziff. 1 geregelten Tätigkeit<br />

liegt und die 2. und 3. Gebühr, was Umfang und Schwierigkeit<br />

anwaltlicher Tätigkeit anbetrifft, weit geringer zu<br />

Buche schlagen. Dennoch enthalten alle drei Gebührenvorschriften<br />

den gleichen Rahmen. Dass bei der Geschäftsgebühr<br />

der Unterschied zwischen einer einfachen und höchst<br />

schwierigen Sache lediglich durch eine Verdopplung der<br />

Gebühr honoriert wird, ist nicht hinnehmbar. Demgemäss<br />

gibt der Strukturvorschlag des DAV die bisherige Dreiteilung<br />

der Gebühren in § 118 auf. Es entsteht künftig nur<br />

noch eine einzige als Geschäftsgebühr bezeichnete Gebühr,<br />

die allerdings einen Rahmen von 5/10 bis 25/10 der vollen<br />

Gebühr umfasst. Die völlige Aufgabe eines Gebührenrahmens<br />

im Anwendungsbereich dieser Vorschrift verbot sich<br />

deswegen, weil bei rechtsbesorgender Tätigkeit Gebührenerstattung<br />

in Betracht kommen kann. Dieses Prinzip soll,<br />

soweit wie möglich, aus sozialen Gründen erhalten bleiben.<br />

Der sehr weite Rahmen ermöglicht nicht nur eine sehr<br />

flexible Gestaltung der Gebühr, wobei die gesetzliche Gebühr<br />

auch bei lediglich schriftlicher Tätigkeit jetzt bis zu<br />

25/10 geht. Sie erhält auch die bisherige Mittelgebühr für<br />

zwei Gebühren bei 15/10. Bedenkt man, dass bisher zwei<br />

Gebühren eher selten anfallen, ist das eine längst überfällige<br />

Anpassung an eine angemessene Honorierung.<br />

Das es jetzt nicht mehr darauf ankommen soll, ob eine<br />

Besprechung stattgefunden hat, werden telefonische Erörterungen<br />

erleichtert. Die bisherige Gebührenbarriere entfällt.<br />

b) Die Bestimmung der Gebühr richtet sich nach den<br />

bisherigen in § <strong>12</strong> enthaltenen Kriterien. Der Ausschuss<br />

schlägt insoweit aber gleichfalls eine Strukturveränderung<br />

vor. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit<br />

sowie die Bedeutung der Angelegenheit sollen im Vordergrund<br />

stehen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse,<br />

die bisher gleichgewichtig zu bewerten waren, sollen<br />

jetzt nur noch in besonderen Fällen bei der Bemessung hinzugezogen<br />

werden. Hinzu gekommen ist als neues Bemessungsmerkmal<br />

das Haftungsrisiko des Anwalts. Das erscheint<br />

sachgerecht.<br />

c) Bei rechtsverfolgender Tätigkeit im Sinne der bisherigen<br />

Regelungen in § 118 BRAGO schlägt der Ausschuss<br />

zwar eine erhebliche Liberalisierung durch Erweiterung<br />

des Gebührenrahmens vor, hält aber, wie gesagt, am bisherigen<br />

Prinzip fest. Anders soll es nach den Vorschlägen des<br />

Ausschusses bei rein beratender Tätigkeit in Zukunft zugehen.<br />

Hier schlägt der Ausschuss vor, die Regelungen der<br />

§§ 20, 21 und 21a mit einem neu gefassten § 20 zu vereinen.<br />

Nach § 1 dieser Bestimmung erhält der Rechtsanwalt<br />

für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft<br />

eine „von ihm zu bestimmende angemessene Gebühr“.<br />

§ <strong>12</strong> soll sinngemäß anwendbar sein. Die Erstberatungsgebühr<br />

mit einer Kappungsgrenze von 350 DM bleibt<br />

erhalten.<br />

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung soll der Rechtsanwalt<br />

für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens gleichfalls<br />

eine von ihm zu bestimmende angemessene Gebühr erhalten.<br />

Die Absätze 3 und 4 regeln die bisherigen Vorschriften<br />

im Zusammenhang mit der Beratung bei<br />

Einlegung einer Berufung. Sie bleiben im wesentlichen erhalten,<br />

wobei die volle Gebühr auch entsteht, wenn der<br />

Rechtsanwalt abrät.<br />

Die Begründung für diese neue Gebührenstruktur, die<br />

mit dem bisherigen Rahmengebührensystem radikal bricht,<br />

ergibt sich aus folgendem:<br />

Im reinen beratenden Bereich ist die Konkurrenz anderer<br />

Gruppen, wie etwa der Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern,<br />

Berufsverbänden und Verbraucherberatungen, in Zukunft<br />

auch Anwälten aus dem EU-Ausland besonders groß. Diese<br />

Beratergruppen rechnen ihre Tätigkeit in der Regel nach<br />

Zeitaufwand oder auf der Grundlage von Pauschalvereinbarungen<br />

ab. Im anwaltlichen Bereich hat sich demgemäss<br />

gezeigt, dass feste wertorientierte Gebühren den Mandanten<br />

kaum noch plausibel begründet werden können. Sie führen<br />

in vielen Fällen im übrigen dazu, dass Rechtsanwälte im<br />

Wettstreit mit anderen Berufen nicht konkurrenzfähig sind.<br />

Schon heute rechnen deswegen viele Rechtsanwälte bei<br />

Tätigkeiten im Rahmen des § 20 pauschal oder nach Zeit<br />

ab, was seit dem 2.9.1994 durch die Neuregelung des § 3<br />

Abs. 5 BRAGO zulässig ist. Es ist deshalb folgerichtig, die<br />

Gebühren im reinen Beratungsbereich ohne Anknüpfung<br />

an einen Wert oder einen Rahmen freizugeben. Die Gebühr<br />

muss jedoch wie bisher angemessen sein, wobei § <strong>12</strong><br />

BRAGO sinngemäß gilt. Die BRAGO wird auf diese Weise<br />

für außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit der Wirklichkeit<br />

und den Erwartungen der Mandanten angepasst. Die Erstberatungsgebühr<br />

soll ausdrücklich beibehalten werden.<br />

Sie hat sich als Marketinginstrument u. E. bewährt. Da die<br />

vereinbarte angemessene Gebühr jetzt die gesetzliche Gebühr<br />

ist, bedarf sie nicht mehr der Form des § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

BRAGO, und zwar auch dann nicht, wenn die bisher geltende<br />

gesetzliche Gebühr, die ja bei der Bemessung immer noch ein<br />

gewisser Anhaltspunkt sein kann, überschritten wird. Sie ist<br />

also auch dann wirksam, wenn sie mündlich vereinbart wird.<br />

Die Freigabe im reinen Beratungsbereich ist dogmatisch<br />

deswegen unproblematisch, weil das Erstattungsproblem in<br />

diesem Bereich keine Rolle spielt. Gebührenschuldner ist<br />

der Mandant, so dass es allein auf die Vereinbarung mit<br />

dem Mandanten ankommt.<br />

d) Auch die 3. Gebühr betreffend die Gebühren in bürgerlichen<br />

Rechtsstreitigkeiten und Angelegenheiten der<br />

freiwilligen Gerichtsbarkeit solle eine entscheidende Strukturveränderung<br />

erfahren. Es soll in Zukunft im Prozess nur<br />

noch zwei Gebühren geben, nämlich eine Verfahrensgebühr<br />

einerseits und eine Terminsgebühr andererseits.<br />

Die Verfahrensgebühr soll 15/10 der vollen Gebühr umfassen.<br />

Diese gegenüber der bisherigen Gebühr erhöhte<br />

Gebührenbemessung beruht auf der Überlegung, dass die<br />

Verfahrensgebühr die gesamte Prozessvorbereitung umfasst.<br />

Sie soll die Erörterung mit dem Mandanten, die Beschaffung<br />

von Unterlagen und Informationen, unter Umständen auch<br />

die Einholung des persönlichen Augenscheins und die Befragung<br />

Dritter umfassen. Bedenkt man, dass auch die jetzt in<br />

der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Strukturveränderung<br />

des Zivilprozesses in die Richtung gehen, dass auf den<br />

Anwalt erster Instanz viel Arbeit und damit verbundene Verantwortung<br />

bei der Prozessvorbereitung zukommt, erscheint<br />

es nicht mehr sachgerecht, dass alle im Prozess entstehenden<br />

Gebühren gleich hoch sind. Es ist vielmehr sachgemäß, die<br />

Prozessgebühr um 5/10 zu erhöhen.<br />

Daneben soll es nur noch eine 10/10 Terminsgebühr geben,<br />

die in jedem Fall der Wahrnehmung eines Termins<br />

aber auch bei Mitwirkung an auf die Erledigung des Verfahrens<br />

gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des<br />

Gerichts entstehen soll.<br />

Sie soll also auch im Vorfeld des Termins zwischen den<br />

Parteivertretern geführte Besprechungen honorieren.<br />

Die Beweisgebühr soll ganz entfallen. Sie geht in der<br />

Terminsgebühr auf.


724<br />

l<br />

Das ist sicherlich ein Nachteil, wenn ein Prozess mit<br />

einer erheblichen Beweisaufnahme belastet ist. Statistisch<br />

verdient die Anwaltschaft derzeit an allen Prozessen im<br />

Schnitt aber nur 2,5/10 der vollen Gebühr. In Zukunft würde<br />

sie in allen Fällen 25/10 der vollen Gebühr verdienen,<br />

also auch in den vielen Fällen, in denen es nicht zu einer<br />

Beweisaufnahme kommt.<br />

Das rechtfertigt die vorgesehene Strukturveränderung<br />

wirtschaftlich. Sie ist für die Anwaltschaft insgesamt gesehen<br />

günstig.<br />

Die neuen Gebühren sollen auch in sämtlichen Verfahren<br />

der freiwilligen Gerichtsbarkeit o. ä. Verfahren, die im 3.<br />

Abschnitt geregelt sind, gelten. Schon jetzt war in keiner<br />

Weise plausibel, dass eine Reihe von Familiensachen im Verbund<br />

nach § 31 ff. BRAGO, andere dagegen nach § 118<br />

BRAGO honoriert wurden. Trotz in der Regel gleicher Arbeitsbelastung<br />

fallen bisher unterschiedliche Gebühren an.<br />

3. Die vorgeschlagenen Neuregelungen vollziehen zum<br />

Teil eine Entwicklung nach, die sich tatsächlich bereits<br />

durchgesetzt hat. Das gilt insbesondere für den außergerichtlichen<br />

reinen Beratungsbereich. Im Zivilprozessverfahren<br />

soll die Neuregelung durch die unterschiedliche<br />

Gewichtung der Gebühren zu mehr Gebührengerechtigkeit<br />

führen. Im rechtsverfolgenden Bereich nach den bisherigen<br />

Vorschriften der §§ 118 soll der Rahmen zwar beibehalten<br />

jedoch sehr viel weiter und flexibler gestaltet sein. Die<br />

Gebührenordnung soll unter Beibehaltung der bisherigen<br />

Prinzipien insgesamt anpassungsfähiger sein und dem<br />

Anwalt mehr Gestaltungsmöglichkeiten als bisher geben.<br />

Sie soll zudem die bisherige teilweise Zersplitterung beseitigen,<br />

also vereinfachen und damit streitvermeidend wirken.<br />

Bisher hat sich an den Vorschlägen kaum Kritik entzündet.<br />

Von Bedeutung sind allerdings die Bedenken der<br />

Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern, die die<br />

Freigabe der Gebührenbemessung bei der Ratsgebühr für<br />

bislang nicht akzeptabel halten. Sie befürchten, dass dies<br />

zur Rechtsunsicherheit und zu sehr viel Streit um die angemessene<br />

Gebühr führen wird. Der Ausschuss teilt diese<br />

Bedenken nicht. Ohnehin sind Anwälte heute mehr als früher<br />

gehalten, rechtzeitig für Gebührenklarheit zu sorgen.<br />

Die Strukturvorschläge unterstützen dies.<br />

Alle übrigen Bestimmungen sind bisher, soweit ersichtlich,<br />

nicht auf substantielle Kritik gestoßen. Der Vorstand des DAV<br />

wird deswegen auf der Grundlage der Strukturvorschläge<br />

weiter argumentieren und im Gespräch mit dem Bundesjustizministerium<br />

versuchen, die Vorschläge umzusetzen.<br />

Die Gebührenstruktur -<br />

vorschläge des DAV<br />

Gebühren in Strafsachen und in<br />

Bußgeldsachen<br />

Rechtsanwalt und Notar Dietrich Herrmann, Berlin<br />

Der Gebührensstrukturausschuss des Deutschen Anwaltvereins<br />

hat auch die Gebühren des 6. Abschnitts der BRAGO beraten und<br />

ist dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen:<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

1.<br />

Die bisherige Regelung der Gebühren in Strafsachen enthält<br />

viele Lücken und inzwischen überholte Regelungen. Deshalb ist<br />

hier die Struktur weitgehend verändert.<br />

2.<br />

Schon die bisherige Regelung der Wahlverteidigergebühr in der<br />

1. Instanz ist in sich nicht stimmig. In § 83 BRAGO sind die Gebühren<br />

für die Vertretung vor Gericht in erster Instanz enthalten, während die<br />

Gebühren für das davor liegende vorbereitende Verfahren erst in § 84<br />

BRAGO auftauchen. Dies soll durch den Entwurf geändert werden.<br />

3.<br />

In § 83 BRAGO-E taucht ein neuer Begriff auf, für Wahlverteidiger<br />

soll es eine Grundgebühr geben. Diese soll unabhängig davon<br />

entstehen, wann der Wahlverteidiger beauftragt worden ist. Die<br />

Grundgebühr soll in jedem Verfahren nur einmal entstehen, unabhängig<br />

von der Anzahl der Instanzen. Die Gebühr beträgt 60 bis<br />

650 DM. Die Grundgebühr soll den Arbeitsaufwand entgelten, der<br />

mit der Übernahme des Mandats anfällt, z. B. für das erste<br />

Gespräch und die Informationserteilung, die Meldung bei der Ermittlungsbehörde<br />

oder dem Gericht, die Mandatsbestätigung und<br />

gegebenenfalls die Information des Rechtsschutzversicherers und<br />

die Beantragung des Rechtsschutzes. Diese Tätigkeit war bisher<br />

durch die Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO im Ermittlungsverfahren<br />

nicht ausreichend abgegolten.<br />

4.<br />

In § 84 Abs. 1 BRAGO-E soll das vorbereitende Verfahren<br />

geregelt werden. Gemeint ist das Verfahren bis zum Eingang der<br />

Anklageschrift oder des Antrages auf Erlass des Strafbefehls bei<br />

Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der<br />

Anklage in der Hauptverhandlung, wenn diese nur mündlich erhoben<br />

wurde. Der Gebührenrahmen beträgt 50 bis 650 DM.<br />

5.<br />

Mit dieser Regelung sollen zwei Streitfragen entschieden werden,<br />

nämlich die bisher oft streitige Frage, wann das vorbereitende<br />

Verfahren endet (Erhebung der Anklage und Eingang des Strafbefehlsantrages<br />

bei Gericht) und die Tätigkeit im beschleunigten<br />

Verfahren vor der Verlesung der Anklageschrift. Letztere Tätigkeit<br />

war bisher im Gesetz überhaupt nicht aufgeführt.<br />

6.<br />

In § 84 Abs. 2 BRAGO-E ist zusätzlich neu geregelt, dass die<br />

Teilnahme an polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen<br />

Vernehmungen sowie an Haftbefehlsverkündungen und an<br />

Haftprüfungsterminen jeweils gesondert vergütet wird. Die Gebühr<br />

des Abs. 1 soll für jede Teilnahme an einem Vernehmungstag und<br />

für jeden Hafttermin entstehen.<br />

Bisher war diese Tätigkeit in § 84 BRAGO enthalten, unabhängig<br />

von der Anzahl der Vernehmungen und Hafttermine.<br />

Die Bedeutung der Verteidigertätigkeit im Ermittlungsverfahren<br />

nimmt ständig zu. Dem soll die erweiterte Vergütung Rechnung tragen.<br />

7.<br />

Es entfällt für das vorbereitende Verfahren die bisherige Verweisung<br />

auf § 83 BRAGO mit seinen drei Alternativen in § 84<br />

Abs. 1 BRAGO. Die Grundgebühr aus § 83 BRAGO-E und die<br />

einheitliche Gebühr aus § 84 BRAGO-E, die zusätzlich entsteht,<br />

gleicht die unterschiedliche alte Regelung aus. Jetzt können aus<br />

beiden Vorschriften 100 bis 1.300 DM entstehen gegenüber früher<br />

50 DM (als Mindestgebühr beim Amtsgericht) bis 1.270 DM (als<br />

Höchstgebühr in einer Schwurgerichtssache).<br />

8.<br />

Die Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO-E soll erneut in den Verfahren<br />

entstehen, in denen der Verteidiger im gerichtlichen Verfahren nur<br />

außerhalb der Hauptverhandlung tätig ist und in einem Verfahren, in<br />

dem keine Hauptverhandlung stattfindet (§ 84 Abs. 3 BRAGO-E).<br />

* Vortrag auf dem 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin am 3.6.2000, in der<br />

Veranstaltung des DAV-Ausschusses Gebührenrecht/Gebührenstruktur.<br />

Der Autor ist Mitglied im Ausschuss Gebührenrecht/Gebührenstruktur des DAV.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 725<br />

Aufsätze l<br />

9.<br />

In § 84 Abs. 4 BRAO-E wird die Tätigkeit des Wahlverteidigers<br />

oder des Nebenklägervertreters in Verfahren über den Täter-<br />

Opfer-Ausgleich geregelt. Auch hier soll die Gebühr des Abs. 1<br />

neu entstehen.<br />

Die Tätigkeit des Verteidigers und des Nebenklägervertreters<br />

spielt sich häufig im vorbereitenden Verfahren, aber nicht nur in<br />

diesem ab. Besonders häufig findet dieses Verfahren im Jugendrecht<br />

Anwendung. Es handelt sich dabei besonders oft um eine<br />

zeitaufwendige Tätigkeit, z. B. im Rahmen von Stellungsauflagen<br />

nach § 153a StPO. Bisher wurde diese Tätigkeit ebenfalls mit der<br />

Gebühr nach § 84 BRAGO völlig unzureichend vergütet.<br />

10.<br />

In § 85 Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren des Wahlverteidigers<br />

für die Tätigkeit vor Gericht enthalten. Im Abs.1 sind in drei<br />

Ziffern drei verschiedene Gerichtszuständigkeiten wie bisher aufgeführt,<br />

die geringer als bisher erscheinen, nämlich 90 bis 1.270<br />

DM in Verfahren vor dem Oberlandesgericht, dem Schwurgericht<br />

und bei Spezialzuständigkeiten der Strafkammern nach § 74a<br />

GVG, sowie bei der Jugendkammer mit Schwurgerichtszuständigkeit,<br />

ferner mit 60 bis 760 DM in Verfahren vor der Strafkammer<br />

des Landgerichts und vor der Jugendkammer, soweit nicht die Zuständigkeit<br />

nach Ziffer 1 vorliegt und mit 50 bis 650 DM schließlich<br />

in Verfahren vor dem Amtsgericht.<br />

Zusammen mit der Grundgebühr von 50 bis 650 DM können<br />

jetzt Gebühren von 140 bis 1.920 DM bei Verfahren nach Ziffer 1,<br />

110 bis 1.400 DM bei Verfahren nach Ziffer 2 und von 100 bis<br />

1.300 DM bei Verfahren nach Ziffer 3 entstehen.<br />

Bisher betrugen die Gebühren nach Ziffer 1 170 bis 2.540 DM,<br />

nach Ziffer 2 <strong>12</strong>0 bis 1.520 DM und bei Verfahren nach Ziffer 3<br />

100 bis 1.300 DM.<br />

Bedenkt man, dass nach der neuen Regelung höhere Gebühren<br />

im vorbereitenden Verfahren über § 84 BRAGO-E entstehen können<br />

und dass die Gebühren für die Vertretung im amtsgerichtlichen<br />

Verfahren unverändert sind, dürfte insgesamt keine Verminderung<br />

der Gebühren eintreten.<br />

11.<br />

In § 85 Abs. 1 Nr. l BRAGO-E sind nicht nur die Gebühren für<br />

die Vertretung vor dem Oberlandesgericht, dem Schwurgericht, der<br />

Staatsschutzkammer und der Jugendstrafkammer mit Schwurgerichtszuständigkeit,<br />

sondern auch die Verfahren nach § 74c<br />

GVG, d. h. in Wirtschaftsstrafsachen aufgenommen. Verfahren vor<br />

der Wirtschaftsstrafkammer sind grundsätzlich besonders schwierig,<br />

häufig auch besonders umfangreich, weshalb das GVG auch<br />

eine spezielle Zuständigkeitsreglung enthält. Deshalb muss dies<br />

auch zu höheren Gebühren für Wahlverteidiger führen.<br />

<strong>12</strong>.<br />

Bisher nicht im Gesetz geregelt, aber dringend erforderlich, ist<br />

eine Gebührenvorschrift für die Wahrnehmung kommissarischer<br />

Vernehmungen. Derartige Vernehmungen finden gerade nicht in<br />

der Hauptverhandlung statt, deshalb war bisher § 83 BRAGO nicht<br />

anwendbar. Die erhebliche Mehrarbeit ist deshalb zur Zeit nur über<br />

eine Honorarvereinbarung möglich, die aber bei Pflichtverteidigungen<br />

und bei der Erstattung notwendiger Auslagen aus der Landeskasse<br />

nicht möglich sind.<br />

Deshalb soll § 85 Abs. 32 BRAGO-E jetzt für die Teilnahme an<br />

kommissarischen Vernehmungen die Gebühr nach Abs. 1 entstehen<br />

lassen, bei Ortsabwesenheit jeweils für jeden Tag der Ortsabwesenheit.<br />

13.<br />

§ 85 Abs. 3 BRAGO-E regelt eine lange vernachlässigte<br />

Gebührenfrage. Die Zahl der Verfahren, in denen nicht nur ein<br />

Hauptverhandlungstermin stattfindet, nimmt zu. Die Gebühren für<br />

die Fortsetzungstage sind bisher geringer als für den 1. Hauptverhandlungstag,<br />

obwohl Fortsetzungstermine viel Arbeit machen, oft<br />

auch ein erhöhter Arbeitsanfall entsteht durch die Vorbereitung von<br />

Beweisanträgen oder durch Gespräche mit Mandanten oder anderen<br />

Verfahrensbeteiligten.<br />

Deshalb sollen die Gebühren jetzt in den Fällen der Ziffer 1<br />

180 bis 1.780 DM statt wie bisher 170 bis 1.270 DM, in den Fällen<br />

der Ziffer 2 <strong>12</strong>0 bis 1.070 DM statt wie bisher <strong>12</strong>0 bis 760 DM<br />

und In den Fällen der Ziffer 3 100 bis 910 statt wie bisher 100 bis<br />

760 DM betragen.<br />

14.<br />

In § 85 Abs. 2 BRAGO-E ist ein weiterer Streitpunkt aus der<br />

Welt geschafft und damit der Anlass für eine umfangreiche Rechtsprechung<br />

beseitigt. Es kommt nicht mehr wie bisher auf eine<br />

Sachverhandlung an, in der der Wahlverteidiger tätig werden muss,<br />

vielmehr genügt die Teilnahme oder sogar das Erscheinen zu einem<br />

Hauptverhandlungstermin, der nicht stattfindet. Gemeint sind die<br />

Fälle der sofortigen Vertagung bei nicht erschienenem Angeklagten<br />

oder Zeugen, aber auch in den bisher überhaupt nicht geregelten<br />

Fällen, in denen die Gerichtsbesetzung nicht komplett ist, weil z. B.<br />

ein Schöffe nicht erscheint. In allen Fällen ist der Verteidiger vorbereitet.<br />

Es ist nicht einzusehen, dass dies kostenlos geschehen<br />

soll. Die Rechtsprechung, die für den folgenden Verhandlungstag<br />

eine erhöhte Gebühr zubilligt, entfällt. Sie konnte die Fälle der<br />

Kündigung des Mandats oder des Todes des Mandanten ohnehin<br />

nicht treffen.<br />

15.<br />

In § 86 Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren für die Wahlverteidigung<br />

in der Berufungsinstanz mit 80 bis 920 DM geregelt.<br />

Diese betrugen bisher <strong>12</strong>0 bis 1.520 DM.<br />

16.<br />

Nach § 86 Abs. 2 BRAGO-E erhält der Wahlverteidiger in der<br />

Berufungsinstanz für jeden Kalendertag, an dem er an der Hauptverhandlung<br />

teilnimmt, oder zu einem anberaumten Hauptverhandlungstermin,<br />

der nicht stattfindet, erscheint, sowie in den Fäll en<br />

des § 84 Abs. 2 BRAGO-E neben der Gebühr des Abs. 1 240 bis<br />

2.140 DM.<br />

17.<br />

§ 86 Abs. 3 BRAGO-E regelt die Gebühren für die Vertretung<br />

in der Berufungsinstanz durch den Wahlverteidiger außerhalb der<br />

Hauptverhandlung wie bisher in Höhe der Hälfte der Gebühren des<br />

Abs. 1.<br />

18.<br />

In § 87Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren des Wahlverteidigers<br />

in der Revisionsinstanz mit 160 bis 1.980 DM geregelt.<br />

Diese betrugen bisher 170 bis 2.540 DM beim Bundesgerichtshof,<br />

520 DM beim Oberlandesgericht. Diese Unterscheidung soll in<br />

Zukunft entfallen, da Revisionen beim Oberlandesgericht nicht einfacher<br />

sind als beim Bundesgerichtshof.<br />

19.<br />

Für die Fortsetzungslage in der Revisionsinstanz bestimmt § 87<br />

Abs. 2 BRAGO-E die Gebühren in der Höhe von 240 bis 2.140<br />

DM. Auch hier entsteht die Gebühr für jeden Kalendertag, an dem<br />

der Rechtsanwalt an der Hauptverhandlung teilnimmt, oder zu<br />

einem Termin, der nicht stattfindet, erscheint, analog §§ 85 Abs. 2<br />

und 86 Abs. 2 BRAGO-E.<br />

20.<br />

In § 87 Abs. 3 BRAGO-E Ist die Gebühr für die Vertretung<br />

außerhalb der Hauptverhandlung in der Revisionsinstanz durch den<br />

Wahlverteidiger in Höhe der Hälfte der Gebühr des Abs. 1 geregelt.<br />

Dies entspricht dem bisherigen Gesetz.<br />

21.<br />

In § 87a Abs. 1 BRAGO-E ist die bisherige Regelung des § 84<br />

Abs. 2 BRAGO für alle Instanzen einheitlich übernommen. Die<br />

Mindest- und die Höchstgebühr verdoppeln sich in den Fällen der<br />

§§ 84 Abs. 1, 86 Abs. 3 und 87 Abs. 3 BRAGO-E, wenn,<br />

1. das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, oder<br />

2. das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen,<br />

oder


726<br />

l<br />

3. das Verfahren durch einen Strafbefehl beendet wird, oder<br />

4. sich das gerichtliche Verfahren durch die Rücknahme des<br />

Einspruchs gegen den Strafbefehl, der Berufung oder der Revision<br />

des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten erledigt;<br />

ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, erhält der<br />

Rechtsanwalt die Gebühr nach Satz 1 nur, wenn die Rücknahme<br />

des Einspruchs, der Berufung oder der Revision früher als zwei<br />

Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung<br />

vorgesehen war, bei Gericht eingegangen ist.<br />

22.<br />

In § 87a BRAGO-E ist jetzt für alle Fälle, in denen sich die<br />

Gebühr verdoppelt, geregelt, dass Abs. 1 Satz 1 nicht gilt, Verfahrens<br />

nicht gilt, wenn ein Beitrag des Rechtsanwalts zur Förderung<br />

des Verfahren nicht ersichtlich ist.<br />

23.<br />

In § 87b BRAGO-E findet sich die bisherige Regelung der<br />

§§ 83 Abs. 3; 84 Abs. 1, 2. Halbsatz; 85 Abs. 4 und 86 Abs. 4<br />

BRAGO. Es erhöhen sich die jeweiligen Höchstbeträge um 25 vom<br />

Hundert, wenn der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß ist. Die bisherige<br />

Kann Vorschrift wird zur gesetzlichen Regel.<br />

24.<br />

§ 87b BRAGO-E regelt, dass die Dauer des Freiheitsentzuges<br />

bei der Bestimmung der Gebühr nach § <strong>12</strong> Abs. 1 BRAGO zu berücksichtigen<br />

ist.<br />

25.<br />

§ 88 BRAGO-E enthält die Gebühr für eine Tätigkeit bei der<br />

Einziehung und verwandten Maßnahmen. Der Rechtsanwalt erhält<br />

für die Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung,<br />

den Verfall, die Vernichtung, die Unbrauchbarmachung, die<br />

Abführung des Mehrerlöses oder auf eine zu diesen Zwecken dienende<br />

Beschlagnahme bezieht, für das Verfahren erster Instanz einschließlich<br />

des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren<br />

Rechtszug zusätzlich eine nach dem Gegenstandswert zu bemessende<br />

volle Gebühr aus § 11 BRAGO.<br />

Bisher war nach § 88 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nur der<br />

Gegenstandswert bei den Umständen des § <strong>12</strong> BRAGO angemessen<br />

zu berücksichtigen, wobei dies für das ganze Verfahren, nicht<br />

für jeweils einzelne Instanzen galt. Reichte der Rahmen nicht aus,<br />

um die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts angemessen zu entgelten,<br />

so konnte der Gebührenrahmen bis zu einer vollen Gebühr<br />

überschritten werden; in der Rechtsmittelinstanz zwar keine weitere<br />

Erhöhung z. B. um drei Zehntel vorgesehen.<br />

26.<br />

Nach § 88 Abs. 2 BRAGO-E erhöht sich der Gebührenrahmen<br />

um fünfundzwanzig vom Hundert, wenn der Rechtsanwalt eine<br />

Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt, die sich auf ein Fahrverbot<br />

oder die Entziehung der Fahrerlaubnis erstreckt in den Fällen der<br />

§ 84 Abs. 1; 85 Abs. 1: 86 Abs. 1 und 87 Abs. 1 BRAGO-E.<br />

§ 88 Satz 3 BRAGO enthielt bisher nur die Möglichkeit der Erhöhung<br />

um fünfundzwanzig vom Hundert Auch hier soll die Kann-<br />

Vorschrift zu gesetzlichen Regel werden.<br />

Dies ist wegen der steigenden Bedeutung von Verfahren, in denen<br />

es um den Führerschein des Beschuldigten geht, gerechtfertigt.<br />

27.<br />

Die Vertretung des Verletzten oder seines Erben im Strafverfahren,<br />

der einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen<br />

Anspruch geltend macht, regelt § 89 BRAGO-E. Neben den Gebühren<br />

eines Verteidigers erhält der Rechtsanwalt an Stelle der in<br />

§ 31 BRAGO bestimmten Gebühren im ersten Rechtszug zwanzig<br />

Zehntel der vollen Gebühr, im Berufungs- und Revisionsverfahren<br />

fünfundzwanzig Zehntel der vollen Gebühr aus § 11. Wird der Anspruch<br />

in der Berufungsinstanz erstmals geltend gemacht, so erhöht<br />

sich die Gebühr nicht.<br />

Dies deckt sich mit der bisherigen Regelung in § 89 BRAGO.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

28.<br />

Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf die Geltendmachung<br />

oder Abwehr eines aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen<br />

Anspruchs im Strafverfahren, so erhält er nur<br />

die in Abs. 1 bestimmte Gebühr (§ 89 Abs. 2 BRAGO-E).<br />

Dies entspricht der bisherigen Regelung in § 89 Abs. 3 BRAGO.<br />

29.<br />

Wird der Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter wegen desselben<br />

Anspruchs im bürgerlichen Rechtsstreit tätig, werden nach<br />

§ 89 Abs. 3 BRAGO-E die Gebühren für die erste Instanz des<br />

Strafverfahrens nach Abs. 1 oder 2 zur Hälfte auf die im bürgerlichen<br />

Rechtsstreit anfallenden Gebühren der ersten Instanz angerechnet.<br />

Die Anrechnung unterbleibt, soweit der Rechtsanwalt<br />

durch die Anrechnung weniger als die Hälfte der ihm im bürgerlichen<br />

Rechtsstreit zustehenden Gebühren erhalten würde.<br />

Bisher regelte § 89 Abs. 2 BRAGO die Anrechnung in Höhe<br />

von zwei Dritteln.<br />

30.<br />

Daneben regelt § 89 Abs. 4 BRAGO-E, dass die Gebühr für die<br />

Mitwirkung beim Abschluss eines Verfahrens nach § 23 BRAGO<br />

unberührt bleibt.<br />

Dies ist bisher in § 89 Abs. 4 BRAGO ebenso geregelt.<br />

31.<br />

§ 90 BRAGO-E regelt die Pauschgebühren. Durch die Gebühren<br />

der §§ 83 bis 89 BRAGO-E wird die gesamte Tätigkeit des<br />

Rechtsanwalts als Verteidiger abgegolten. Hierzu gehört auch die<br />

Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges.<br />

Die Verteidigung nach Einlegung dieses Rechtsmittels und<br />

die Begründung gehören zum nächsten Rechtszug. Die Einlegung<br />

eines Rechtsmittels durch einen Verteidiger gehört zum nächsten<br />

Rechtszug.<br />

Die bisherige Regelung in § 87 BRAGO wird hierdurch neu<br />

und besser gefasst.<br />

32.<br />

In § 91 Abs.1 BRAGO-E sind unter vier einzelnen Ziffern die<br />

Gebühren für die Tätigkeit in einzelnen Phasen des Wiederaufnahmeverfahrens<br />

aufgenommen.<br />

Der Rechtsanwalt erhält als Verteidiger<br />

1. für die Vorbereitung eines Antrages aus Wiederaufnahme<br />

des Verfahrens,<br />

2. für das Verfahren betreffend die Zulässigkeit des Antrages,<br />

3. für das Verfahren betreffend die Prüfung der Begründetheit<br />

des Antrages sowie<br />

4. für das Beschwerdeverfahren jeweils Gebühren in Anwendung<br />

des § 85. Rät der Rechtsanwalt von der Stellung eines Antrages<br />

auf Wiederaufnahme ab, erhält er die Gebühren in entsprechender<br />

Anwendung des § 85 Abs. 1.<br />

Bisher entsteht im Wiederaufnahmeverfahren nur eine Gebühr<br />

nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der auf § 83 Abs. 1 verweist.<br />

Die Vermehrung der Gebührentatbestände ist längst gerechtfertigt.<br />

Wiederaufnahmeverfahren machen ganz besonders viel Arbeit,<br />

für die es bisher nur eine sehr geringe Gebühr gab. Die Gebühr<br />

in Ziffer 1 entspricht der Grundgebühr in § 83 BRAGO-E.<br />

33.<br />

Die Abrategebühr entsteht nach § 91 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E<br />

in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 1.<br />

Dies gilt auch schon bisher nach § 90 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.<br />

34.<br />

In § 91 Abs. 2 RRAGO-E erfolgt der Hinweis auf die Anwendung<br />

der Vorschrift des § 87a BRAGO-E bei inhaftierten Mandanten,<br />

bei denen sich der Gebührenrahmen um fünfundzwanzig vom<br />

Hundert erhöht.<br />

Bisher war § 83 Abs. 3 BRAGO als Kannvorschrift entsprechend<br />

anzuwenden.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 727<br />

Aufsätze l<br />

35.<br />

Unverändert zur geltenden gesetzlichen Regelung in § 90 Abs. 2<br />

BRAGO schreibt § 91 Abs. 2 BRAGO-E jetzt vor, dass sich der<br />

Gebührenrahmen nach der Ordnung des Gerichts bestimmt, das im<br />

ersten Rechtszug entscheiden hat.<br />

36.<br />

Das Rehabilitierungsverfahren nach Abschnitt 2 des strafrechtlichen<br />

Rehabilitierungsgesetzes regelt zunächst in § 92 Abs. 1 Satz<br />

1 BRAGO-E die Grundgebühr aus § 83 BRAGO-E.<br />

37.<br />

Im ersten Rechtszug entsteht über § 92 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-<br />

E die Gebühr des § 85 Abs. Satz 2 BRAGO-E. Im übrigen gilt<br />

§ 85 entsprechend.<br />

Das gilt entsprechend schon bisher in § 96b BRAGO.<br />

38.<br />

Findet eine mündliche Verhandlung nicht statt, gilt § 84 Abs. 5<br />

in Verbindung mit § 92 Abs. 1 BRAGO-E.<br />

Bisher war § 84 Abs. 1 BRAGO entsprechend anwendbar.<br />

39.<br />

Im Beschwerdeverfahren (§ 13 des strafrechtlichen<br />

Rehabilitierungsgesetzes) erhält der Rechtsanwalt die Gebühr des<br />

§ 86 Abs. 1; im übrigen gilt § 8 entsprechend (§ 92 Abs. 1 Satz 3<br />

BRAGO). Auch dies ist bisher schon in § 96b Abs. 2 BRAGO geregelt.<br />

40.<br />

Neu geregelt ist in § 92 Abs. 2 BRAGO-E, dass der Rechtsanwalt<br />

in Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

oder über die Beschwerde gegen eine den Rechtszug beendende<br />

Entscheidung (§ 25 Abs. 1 Satz 3 bis 5; § 13 des strafrechtlichen<br />

Rehabilitierungsgesetzes) an Stelle der in § 31 bestimmten Gebühren<br />

fünfzehn Zehntel einer vollen Gebühr (§ 11) enthält.<br />

41.<br />

In § 93 Abs. 4 BRAGO-E ist die Gebühr für die Tätigkeit des<br />

Beistandes oder Vertreters in einem Sühneversuch nach § 380 der<br />

Strafprozessordnung wie bisher in § 94 Abs. 5 BRAGO mit 30 bis<br />

250 DM geregelt. Kommt es unter Mitwirkung der genannten Person<br />

zu einer Einigung der Beteiligten, so entsteht eine weitere Gebühr<br />

in dieser Höhe.<br />

Auch hier soll wie bei der Umstellung im vorbereitendem Verfahren<br />

und der Hauptverhandlung erster Instanz, die Umstellung<br />

der Gebührenvorschriften in der Reihenfolge des Verfahrens nach<br />

der Strafprozessordnung stattfinden.<br />

42.<br />

Für die Tätigkeit des Beistandes oder Vertreters eines Privatklägers<br />

gelten nach Abs. 1 BRAGO-E die §§ 83 bis 91 entsprechend.<br />

Die Vorbereitung der Privatklage steht der Tätigkeit im vorbereitenden<br />

Verfahren gleich.<br />

Diese Regelung entspricht dem geltenden Recht in 94 BRAGO,<br />

wobei der Hinweis auf das vorbereitende Verfahren lediglich zur<br />

Klarstellung neu aufgenommen worden ist.<br />

43.<br />

Unverändert regelt § 92 Abs. 2 BRAGO-E1, dann durch die<br />

Widerklage keine Gebührenerhöhung eintritt, ebenso wie in § 94<br />

Abs. 2 BRAGO.<br />

44.<br />

Auch die Gebühr von 30 bis 250 DM für den Abschluss eines<br />

Vergleichs, die neben der Gebühr nach § 23 entsteht, ist in § 93<br />

Abs. 3 BRAGO-E ebenso geregelt wie in § 94 Abs. 4 BRAGO.<br />

45.<br />

Früher entstand eine Gebühr nach § 94 Abs. 4 BRAGO, in<br />

Höhe von 50 bis 640 DM, falls die Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />

sich auf die Anfertigung oder Unterzeichnung der Privatklage beschränkt.<br />

Wurde dem Rechtsanwalt die Vertretung des Privatklägers<br />

übertragen, so wurde die Gebühr aus Satz 1 auf die Gebühren<br />

angerechnet, die ihm als Vertreter des Privatklägers zustehen.<br />

Diese Regelung war überflüssig. Bezog sich die Tätigkeit des<br />

Rechtsanwalts nur auf die Unterzeichnung oder Anfertigung der<br />

Privatklage so kann dies über § 91 BRAGO abgerechnet werden.<br />

Jetzt ist dies als Einzeltätigkeit in § 95 Abs.1 Nr. 2 BRAGO-E geregelt<br />

in gleicher Höhe wie bisher.<br />

46.<br />

§ 94 BRAGO-E enthält die Gebühren für die Tätigkeit als Beistand<br />

oder Vertreter eines Nebenklägers, eines Einziehungs- oder<br />

Nebenbeteiligten sowie eines Verletzten. Hier wird jetzt auf die<br />

Vorschriften der §§ 83 his 91 hingewiesen, ebenso wie in § 95<br />

Satz 1 BRAGO auf 83 bis 93.<br />

47.<br />

Die frühere Regelung in § 95 Satz 2 BRAGO, die für den Vertreter<br />

oder den Beistand des Verletzten die Hälfte der Gebühren<br />

des Satzes 1 vorsah, soll wegfallen. Ein Grund für die verminderte<br />

Gebühr in diesem Fall ist nicht ersichtlich.<br />

48.<br />

Für die Einzeltätigkeit des Rechtsanwalts, dem die Verteidigung<br />

oder Vertretung nicht übertragen worden ist, sind in § 95 Abs. 1<br />

BRAGO-E drei Alternativen genannt.<br />

49.<br />

In Nr.1 ist die Einlegung eines Rechtsmittels, die Anfertigung<br />

oder Unterzeichnung anderer Anträge, Gesuche oder Erklärungen<br />

oder eine andere nicht in den Nummern 2 oder 3 erwähnte Beistandsleistung<br />

enthalten. Hierfür ist eine Gebühr von 50 bis 340<br />

DM vorgesehen gegenüber der jetzigen Regelung ist die Mindestgebühr<br />

um 20 DM angehoben.<br />

50.<br />

In Nr. 2 ist die Anfertigung oder Unterzeichnung einer Privatklage,<br />

einer Schrift zur Rechtfertigung der Berufung oder zur Beantwortung<br />

der von der Staatsanwaltschaft, dem Privat- oder Nebenkläger<br />

eingelegten Berufung oder die Führung des Verkehrs mit dem Verteidiger,<br />

die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer staatsanwaltschaftlichen<br />

oder richterlichen Vernehmung oder einer mündlichen<br />

Verhandlung oder einer Augenscheinseinnahme außerhalb der<br />

Hauptverhandlung oder bei einer Beistandsleistung im Verfahren zur<br />

gerichtlichen Erzwingung der Anklage (§§ 172 Abs. 2 bis 4, 173<br />

der Strafprozessordnung) aufgeführt. Hier Ist eine Gebühr von 80<br />

bis 640 DM vorgesehen, gegenüber der jetzigen Regelung ist die<br />

Mindestgebühr um 30 DM angehoben. Neu aufgenommen ist in die<br />

Gebühr nach § 95 Nr. 2 für die Anfertigung oder Unterzeichnung<br />

einer Privatklage, die aus der geltenden Vorschrift des § 94 Abs. 4<br />

BRAGO aus systematischen Gründen zu den Vorschriften über eine<br />

Einzeltätigkeit gerechnet wird. Ansonsten soll sich nichts ändern.<br />

51.<br />

In § 95 Nr. 3 ist die Gebühr für die Unterzeichnung einer<br />

Schrift zur Begründung der Revision oder zur Erklärung auf die<br />

von der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger oder der Nebenklage<br />

eingelegte Revision sowie in den Verfahren nach § 57a StGB und<br />

§ 67a StGB genannt. Hier beträgt die Gebühr 160 bis 1.010 DM.<br />

Die Mindestgebühr ist um 90 DM erhöht. Neu aufgenommen<br />

ist die Tätigkeit in § 57a StGB (Aussetzung des Strafrestes zur<br />

Bewährung bei lebenslangen Freiheitsstrafen) und § 67a StGB<br />

(Überprüfungen der weiteren Vollstreckung im Unterbringungsverfahren).<br />

52.<br />

In § 95 Abs. 2 BRAGO-E ist die frühere Regelung aus § 92<br />

Abs. 1 BRAGO wortgleich übernommen. Mit der Gebühr für die<br />

Rechtfertigung der Berufung oder der Begründung der Revision ist<br />

die Gebühr für die Einlegung des Rechtsmittels entgolten.<br />

Hier handelt es sich eigentlich um eine überflüssige Regelung.<br />

Ein Rechtsanwalt, dem die Verteidigung in der Berufung oder Revi-


728<br />

l<br />

sionsinstanz übertragen worden ist, erhält keine Gebühr aus § 95<br />

BRAGO-E, sondern die Gebühr aus §§ 86 oder 87 BRAGO-E. Die<br />

Einlegung des Rechtsmittels und die anschließende Begründung, die<br />

im Berufungsverfahren gar nicht üblich, im Revisionsverfahren aber<br />

gesetzlich vorgeschrieben ist, ist eigentlich als Einzeltätigkeit nach<br />

§ 95 BRAGO-E zu vergüten, nur gibt es diese Tätigkeit tatsächlich<br />

nicht, zumindest nicht in der Revisionsinstanz. Wer die Revision begründet,<br />

vertritt in aller Regel im weiteren Verfahren, insbesondere<br />

in einer mündlichen Revisionshauptverhandlung zu den Gebühren<br />

des § 87 BRAGO-E. Die Gebühr nach § 95 BRAGO-E fällt gar<br />

nicht an.<br />

53.<br />

In § 95 Abs. 3 BRAGO-E ist eine Ergänzung des Wortlauts das<br />

§ 92 BRAGO übernommen. Der Rechtsanwalt erhält mit der<br />

Beschränkung des § 13 für jede der in § 95 Abs. 1 BRAGO-E<br />

bezeichneten Tätigkeiten eine gesonderte Gebühr. Wird die Verteidigung<br />

oder die Vertretung für das Verfahren übertragen, so werden<br />

die Gebühren auf die dem Rechtsanwalt als Verteidiger oder<br />

Vertreter zustehenden Gebühren angerechnet.<br />

Ergänzend aufgenommen wurde als Satz 2 des Abs. 3 der Hinweis,<br />

dass das Beschwerdeverfahren als besondere Angelegenheit<br />

gilt. Dies entspricht der bisherigen Kommentierung und dient der<br />

Vereinfachung.<br />

54.<br />

Neu im Gesetz soll geregelt werden die Vergütung für Strafsachen<br />

besonderen Umfangs. Eine derartige Regelung gilt bisher<br />

nur für Pflichtverteidiger In § 99 BRAGO. Jetzt heißt es für Wahlverteidiger<br />

in § 96 BRAGO-E, dass sich in Strafsachen, die insgesamt<br />

oder in Teilen besonders umfangreich oder schwierig sind,<br />

die Höchstbeträge der §§ 83 bis 87b, 93 und 95 für das ganze Verfahren<br />

oder für einzelne Teile bis auf das Doppelte erhöhen. Die<br />

Gebühren für die Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten,<br />

Wiederaufnahme- und Rehabilitationsverfahren sind von<br />

der Erhöhung ausgenommnen. Diese Regelung soll in Umfangsverfahren<br />

u. a. die Erstattungsmöglichkeiten aus der Staatskasse verbessern,<br />

die bisher keine vereinbarten Honorare oberhalb der<br />

gesetzlichen Gebühren erstattet. Eine Ausnahmeregelung für Wahlverteidigergebühren<br />

analog der Vorschrift des § 99 BRAGO ist bisher<br />

nicht möglich.<br />

55.<br />

In § 97 BRAGO E ist die Gebühr für die Vertretung in einer<br />

Gnadenangelegenheit geregelt. Hier erhält der Rechtsanwalt wie<br />

bisher nach § 93 BRAGO 40 bis 500 DM auch dann, wenn ihm die<br />

Verteidigung übertragen war.<br />

56.<br />

In § 98 BRAGO-E wird neu geregelt, dass der Rechtsanwalt<br />

für die Kostenerstattungsanträge Gebühren in Höhe einer Gebühr<br />

nach § 32 BRAGO erhalten soll. Die Anfertigung der Kosterstattungsanträge,<br />

sei es bei Freisprüchen oder gegen Nebenkläger<br />

macht viel Arbeit, die der Verteidiger nicht kostenlos erbringen<br />

sollte. Offen ist bisher die Frage, ob diese Gebühr auch zu erstatten<br />

ist, was befürwortet wird.<br />

57.<br />

§ 98 Abs. (1) 2 BRAGO-E gibt dem Rechtsanwalt besondere<br />

Gebühren für:<br />

1. das Verfahren über die Erinnerung gegen einen<br />

Kostenfestsetzungsbeschluß (§ 64b der Strafprozessordnung) oder<br />

den Kostenansatz und im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung<br />

über diese Erinnerung.<br />

2. In der Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen, die über<br />

einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch<br />

oder die Erstattung von Kosten ergangen sind. (§§ 406b,<br />

464b der Strafprozessordnung), für die Mitwirkung bei der Ausübung<br />

der Veröffentlichungsbefugnis und im Beschwerdeverfahren<br />

gegen eine dieser Entscheidungen.<br />

Nach § 98 Abs. 2 BRAGO-E richten sich diese Gebühren nach<br />

den Vorschritten des Dritten Abschnitts.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

Alle Regelungen in § 98 BRAGO-E entsprechen den Vorschriften<br />

in § 96 BRAGO.<br />

58.<br />

In § 99 BRAGO-E ist die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs<br />

identisch wie bisher in § 96a BRAGO geregelt. Wenn der<br />

Beschuldigte den Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten als<br />

notwendige Auslagen gegen die Staatskasse an den Rechtsanwalt<br />

abtritt, so ist eine von der Staatskasse gegenüber dem Beschuldigten<br />

erklärte Aufrechnung unabhängig vom Zeitpunkt der Abtretung<br />

insoweit unwirksam, als sie den Anspruch des Rechtsanwalts vereiteln<br />

oder beeinträchtigen würde.<br />

Neu ist die Ergänzung, wonach die Abtretung in der Vollmachtsurkunde<br />

erfolgen kann (§ 99 Satz 2 BRAGO-E). Dies dient<br />

der Klarstellung, da bisher eine Abtretung in der Vollmachtsurkunde<br />

nicht ausreichte.<br />

59.<br />

In § 100 BRAGO-E sind die Gebühren des bestellten Verteidigers<br />

geregelt. Hier geht es nicht um Rahmengebühren wie sonst<br />

im 6. Abschnitt, sondern um Festgebühren in Höhe des Vierfachen<br />

der Mindestgebühren wie bisher in § 97 BRAGO. Diese Mindestgebühren<br />

entstehen in den Fällen der §§ 83 bis 87a (Grundgebühr,<br />

Vorbereitendes Verfahren, Erster Rechtszug, Berufungsverfahren,<br />

Revisionsverfahren, Vermeidung der Hauptverhandlung, Privat- und<br />

Nebenklageverfahren sowie Einzeltätigkeiten) wie bisher in § 97<br />

Abs. 1 Satz 1 BRAGO; gegenüber der bisherigen Regelung entfällt<br />

in Zukunft die Kappungsgrenze auf die Hälfte der Höchstgebühr.<br />

Dies führte bisher insbesondere für die Fortsetzungstage zu erheblichen,<br />

nicht gerechtfertigten Gebührenkürzungen. In Zukunft werden<br />

alle Hauptverhandlungstage gebührenmäßig gleich behandelt.<br />

60.<br />

Unverändert sind in § 100 Abs. 1, Satz 2 BRAGO-E die<br />

Gebühren für das Wideraufnahmeverfahren und wie in § 97 Abs. 1<br />

Satz 2 BRAGO auch die Abrategebühr nach § 91 Satz 2 BRAGO-<br />

E enthalten.<br />

61.<br />

Nach § 100 Abs. 1 Satz 3 BRAGO-E erhält der Rechtsanwalt<br />

das Fünffache der Mindestgebühren anstelle des Vierfachen gemäß<br />

§ 87b BRAGO-E, d. h. bei allen Gebührentatbeständen, die inhaftierte<br />

Mandanten betreffen, also generell auch für alle Fortsetzungstage.<br />

62.<br />

In § 100 Abs. 1 Satz 4 BRAGO-E ist geregelt, dass in Verfahren<br />

mit vermögensrechtlichem Bezug nach §§ 23, 88 Abs. 1, 92<br />

Abs. 2 § <strong>12</strong>3 BAGO anzuwenden ist, d. h. dass in diesen Fällen die<br />

Vorschriften über die Prozesskostenhilfe gelten.<br />

63.<br />

In § 100 Abs. 3 Satz 1 BRAGO-E ist wie bisher in § 97 Abs. 3<br />

BRAGO geregelt, dass der Rechtsanwalt, der im ersten Rechtszug<br />

bestellt wird, die Vergütung und die notwendigen Auslagen auch<br />

für seine Tätigkeit als Verteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung<br />

einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen<br />

Klage erhält.<br />

Zusätzlich ist jetzt zur Klarstellung auch von notwendigen Auslagen<br />

die Rede. Damit ist ein bisher vorhandener Streit in der Judikatur<br />

ausgeräumt.<br />

64.<br />

In § 100 Abs. 3 Satz 2 BRAGO-E ist zusätzlich zur Klarstellung<br />

aufgeführt, dass die Beiordnung in einem späteren Rechtszug<br />

auch für die vor der Beiordnung liegende Tätigkeit in diesem<br />

Rechtszug gilt.<br />

65.<br />

Unverändert sind in § 100 Abs. 3 BRACO-E die Auslagen geregelt,<br />

die aus der Staatskasse zu ersetzen sind. § <strong>12</strong>5 Abs. 1 Satz 1<br />

und Abs. 2 BRAGO gelten wie bisher entsprechend. Die Feststellung<br />

nach § <strong>12</strong>6 Abs. 2 kann auch für andere Auslagen als Reise-


AnwBl <strong>12</strong>/2000 729<br />

Aufsätze l<br />

kosten getroffen werden. Schließlich sind in § 100 Abs.3 Satz 3<br />

BRAGO-E ebenso wie bisher in § 97 Abs. 2 Satz 3 BRAGO die<br />

Auslagen geregelt, die durch die Nachforschungen zur Vorbereitung<br />

eines Wiederaufnahmeverfahrens entstehen; sie werden nach<br />

Maßgabe der Sätze 1 und 2 vergütet, wenn der Verteidiger nach<br />

§ 364b Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung bestellt worden<br />

ist oder wenn das Gericht die Feststellung nach § 364b Abs.1 Satz<br />

2 der Strafprozessordnung getroffen hat<br />

66.<br />

Identisch sind § 97 Abs. 4 BRAGO und § 100 Abs. 4 BRAGO<br />

E mit der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der §§ <strong>12</strong>7<br />

Abs. 1, 103 BRAGO-E auf Vorschüsse.<br />

67.<br />

In § 101 Abs. 1 BRAGO-E ist die Gebühr für den als Kontaktperson<br />

nach § 34a des Gerichtsverfassungsgesetzes beigeordneten<br />

Rechtsanwalt aufgenommen, die das Doppelte der Höchstgebühren<br />

der §§ 83 und 85 Abs. 1 Satz 1 BRAGO-E aus der Staatskasse enthält,<br />

ferner der Ersatz seiner Auslagen.<br />

Hier ist die neue Grundgebühr nach § 83 BRAGO-E zusätzlich<br />

aufgenommen, die es nach altem Recht nicht gab, ansonsten ist<br />

gegenüber § 97a Abs. 1 BRAGO keine Änderung eingetreten.<br />

68.<br />

Die bisher in § 97a Abs. 2 BRAGO vorgesehene Zuständigkeitsregelung<br />

für die Festsetzung dieser Vergütung ist nunmehr in<br />

§ 103 Abs. 1 BRAGO-E aufgenommen, in dem die Festsetzungen<br />

aller Pflichtverteidigervergütungen geregelt ist.<br />

69.<br />

§ 101 Abs. BRAGO-E übernimmt wörtlich die Vorschrift des<br />

§ 96a Abs. 3 BRAGO, wonach im übrigen die Bestimmungen dieses<br />

Gesetzes entsprechend anzuwenden sind.<br />

70.<br />

In § 102 Abs. 1 Satz 1 BRAGO-E ist die Regelung des § 99<br />

Abs. 1 BRAGO übernommen, wonach dem bestellten Verteidiger<br />

auf Antrag für das ganze Verfahren oder einzelne Teile des Verfahrens<br />

eine Pauschgebühr zu bewilligen ist, die über die Gebühren<br />

des § 100 BRAGO-E hinausgeht.<br />

71.<br />

Neu ist in § 102 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E aufgenommen, dass<br />

die Pauschgebühr das Doppelte der Höchstgebühr des gewählten<br />

Verteidigers überschreiten kann. Damit ist eine in der Rechtsprechung<br />

aufgetretene Streitfrage erledigt.<br />

72.<br />

Da die einzelnen Oberlandsgerichte sehr unterschiedliche Maßstäbe<br />

für die Bewilligung der Pauschgebühren anlegen, sind jetzt<br />

erstmals konkret in § 102 Abs. 2 BRAGO-E Maßstäbe für die Höhe<br />

der Pauschgebühren in das Gesetz aufgenommen worden. Dauert<br />

die Verhandlung an einem Kalendertag einschließlich der Unterbrechungen<br />

mehr als fünf Stunden, so erhält der Rechtsanwalt hierfür<br />

das Doppelte, bei einer Verhandlungsdauer von mindestens acht<br />

Stunden Dauer einschließlich der Unterbrechungen das Dreifache<br />

der in § 100 BRAGO-E bestimmten Pflichtverteidigergebühren.<br />

Eine solche Regelung ist deshalb erforderlich weil die unterschiedlichen<br />

Entscheidungen der Kostensenate nicht anfechtbar<br />

sind.<br />

73.<br />

In § 102 Abs. 2 BRAGO-E ist bestimmt, dass die Vergütung<br />

einer Kontaktperson nach § 101 BRAGO-E ebenso erhöht werden,<br />

also über die Gebühr des § 101 Abs. 1 BRAGO-E hinausgehen<br />

kann.<br />

74.<br />

Neu ist in § 102 Abs. 4 die Bestimmung, dass auf die Pauschgebühr<br />

ein Vorschuss gezahlt werden kann. Auch diese Klarstellung<br />

ist angesichts der unterschiedlichen Judikatur erforderlich.<br />

75.<br />

Die Zuständigkeitsregelung findet sich unverändert in § 102<br />

Abs. 5 BRAGO-E, statt wie bisher in § 99 Abs. 2 BRAGO. Danach<br />

ist das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das Gericht gehört<br />

oder der Bundesgerichtshof, soweit er den Rechtsanwalt bestellt<br />

hat, für die Festsetzung der Vergütung zuständig. Zusätzlich ist<br />

hier der Verweis auf die Kontaktperson aufgenommen, die in § 102<br />

BRAGO-E systematisch besser geregelt ist als bisher in § 97a<br />

Abs. 2 BRAGO.<br />

76.<br />

Unverändert zu § 99 Abs. 2 Satz 3 BRAGO ist nach § 102<br />

Abs. 5 Satz 3 BRAGO-E in dem Verfahren die Staatskasse zu<br />

hören.<br />

77.<br />

Die Festsetzung der Vergütung, die aus der Staatskasse zu<br />

gewähren ist, wird auf Antrag des Rechtsanwalts von dem<br />

Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten<br />

Rechtszuges vorgenommen. Diese Regelung in § 103 Abs. 1 Satz<br />

1 BRAGO-E entspricht wörtlich der Regelung in § 98 Abs. 1 Satz<br />

1 BRAGO. Ebenfalls identisch mit § 98 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist<br />

§ 103 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E mit dem Hinweis auf die entsprechende<br />

Anwendung das § 104 Abs. 2PO. Auch hier ist aus systematischen<br />

Gründen die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der<br />

Geschäftstelle des Landgerichts, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt<br />

liegt, für die Gebühren der Kontaktperson neu in § 103<br />

Abs. 1, 2. Halbsatz BRAGO-E geregelt.<br />

78.<br />

Unverändert zu § 98 Abs. 2 BRAGO ist in § 103 Abs. 2 BRA-<br />

GO-E die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Erinnerung<br />

des Rechtsanwalts oder der Staatskasse gegen die Festsetzung<br />

durch den Vorsitzenden des Gerichts der ersten Instanz bestimmt.<br />

Neu ist auch hier die Zuständigkeit des Vorsitzenden der Strafkammer,<br />

in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in den Fällen<br />

des § 101 BRAGO geregelt.<br />

79.<br />

Die Beschwerde gegen den Beschluss nach den Vorschriften der<br />

§§ 304 bis 310, 311a der Strafprozessordnung findet ihre Regelung<br />

in § 103 Abs. 3 BRAGO-E, identisch mit § 98 Abs. 3 BRAGO.<br />

80.<br />

Das Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde ist<br />

nach § 103 Abs. 4 BRAGO-E gebührenfrei; Kosten werden nicht<br />

erstattet. Gegenüber § 98 Abs. 4 BRAGO tritt keine Änderung ein.<br />

81.<br />

§ 104 Abs. 1 BRAGO-E behandelt den gerichtlich bestellten<br />

Rechtsanwalt, der von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren<br />

eines gewählten Verteidigers, aber keinen Vorschuss verlangen<br />

kann. Soweit die Staatskasse nach den §§ 100 und 102 BRAGO-E<br />

Gebühren gezahlt hat, entfällt der Anspruch gegen den Beschuldigten.<br />

Dies ist unverändert zu § 100 Abs. 1 BRAGO.<br />

82.<br />

Der Anspruch gegen den Beschuldigten kann nur insoweit geltend<br />

gemacht werden, als dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch<br />

gegen die Staatskasse zusteht oder das Gericht des ersten<br />

Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts nach Anhörung des<br />

Beschuldigten feststellt, dass dieser ohne Beeinträchtigung des für<br />

ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung in der<br />

Lage ist. Die Regelung in § 104 Abs. 2 Satz 2 BRAGO-E ist identisch<br />

mit dem bisherigen Gesetz in § 100 Abs. 2 BRAGO.<br />

83.<br />

Ist das Verfahren nicht gerichtlich anhängig geworden, so entscheidet<br />

das Gericht, das den Verteidiger bestellt hat. Gegen den<br />

Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der<br />

§§ 304 bis 311a der Strafprozessordnung zulässig. Auch diese<br />

Regelung in § 104 Ah5. 2 Satz 2 und 3 BRAGO-E ist identisch mit<br />

der bisherigen Vorschrift in § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAGO.


730<br />

l<br />

84.<br />

Neu geregelt sind in § 104 Abs. 3 BRAGO-E die Voraussetzungen,<br />

unter denen die Leistungsfähigkeit des Beschuldigten festgestellt<br />

werden kann. Diese werden unter Anlehnung an die Regeln<br />

zur Prozesskostenhilfe präzisiert und vereinfacht.<br />

Auf den Antrag des Rechtsanwalts setzt das Gericht dem<br />

Beschuldigten eine Frist, innerhalb derer der Beschuldigte unter<br />

Bezugnahme auf eine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen<br />

darzulegen hat, ob er leistungsfähig ist; gibt der Beschuldigte<br />

innerhalb der Frist keine Erklärung ab, gilt er als leistungsfähig.<br />

Hätte der Beschuldigte in entsprechender Anwendung des<br />

§ 115 ZPO Raten zu zahlen, so stellt das Gericht fest, dass er nach<br />

Maßgabe der Ratenzahlungen leistungsfähig ist.<br />

85.<br />

§ 104 Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAGO-E regeln Verjährungsfragen<br />

ebenso wie bisher § 100 Abs. 3 BRAGO. Der für den Beginn der<br />

Verjährung maßgebende Zeitpunkt tritt mit der Rechtskraft der das<br />

Verfahren abschließenden gerichtlichen Entscheidung, im übrigen,<br />

in Ermangelung einer solchen mit der Beendigung des Verfahrens<br />

ein. Von der in Abs. 2 Satz 1 vorgesehenen Feststellung des Gerichts<br />

ist der Lauf der Verjährungsfrist nicht abhängig.<br />

86.<br />

Neu geregelt ist in § 104 Abs. 4 Satz 3 und 4 BRAGO-E, dass<br />

der Antrag des Verteidigers den Lauf der Verjährungsfrist bis zur<br />

Entscheidung des Gerichts über den Antrag hemmt. Stellt das<br />

Gericht fest, dass der Beschuldigte nach Maßgabe der Ratenzahlung<br />

leistungsfähig ist, (Abs. 3 Satz 3), wird der Lauf der Verjährungsfrist<br />

für die Dauer der Raten gehemmt.<br />

Hier werden die von der Judikatur entwickelten Regeln zur Verjährung<br />

zur Entlastung der Justiz und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten<br />

normiert.<br />

87.<br />

§ 105 RRAGO-E enthält die Anrechnung und Rückzahlung<br />

von Vorschüssen.<br />

In Abs. 1 Satz 1 ist mit einer Ausnahme der Text des § 101 Abs. 1<br />

BRAGO übernommen. Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt<br />

vor oder nach der gerichtlichen Bestellung für seine Tätigkeit<br />

in der Strafsache von dem Beschuldigten oder einem Dritten nach<br />

diesem Gesetz oder auf Grund einer Vereinbarung erhalten hat, sind<br />

auf die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren anzurechnen.<br />

Neu ist die Regelung, dass dabei von den einzelnen Verfahrensabschnitten<br />

ausgegangen wird, für die Vorschüsse bezahlt wurden.<br />

Diese Vorschüsse sind auf die für die einzelnen Verfahrensabschnitte<br />

aus der Staatskasse gezahlten Gebühren anzurechnen.<br />

Das bedeutet, dass anders als bisher ein Vorschuss für das vorbereitende<br />

Verfahren nur auf die Gebühren für diesen Verfahrensabschnitt<br />

anzurechnen ist, nicht aber auf die Gebühr für die Hauptverhandlung.<br />

88.<br />

Unverändert enthält § 105 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E die Regelung<br />

aus § 101 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wonach der Rechtsanwalt<br />

zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet ist, wenn er von<br />

dem Beschuldigten oder einem Dritten Zahlungen empfangen hat,<br />

nachdem er Gebühren aus der Staatskasse erhalten hat, die anzurechnen<br />

sind.<br />

89.<br />

§ 105 Abs. 2 BRAGO-E regelt, wie bisher § 101 Abs. 2 BRAGO,<br />

dass die Anrechnung oder Rückzahlung unterbleibt, soweit der<br />

Rechtsanwalt durch diese insgesamt weniger als den doppelten Betrag<br />

der ihm nach §§ 100 BRAGO-E zustehenden Gebühren erhalten<br />

würde.<br />

Zusätzlich ist auch § 102 BRAGO-E genannt, sodass auch Vorschüsse,<br />

die das Doppelte der bewilligten Pauschvergütung unterschreiten,<br />

nicht zurückzuzahlen sind.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aufsätze<br />

90.<br />

Nach § 105 Abs. 3 BRAGO-E hat der Rechtsanwalt Vorschüsse<br />

und Zahlungen, die für die Anrechnung oder die Pflicht zur Rückzahlung<br />

nach den Absätzen 1 und 2 von Bedeutung sind, der<br />

Staatskasse anzuzeigen.<br />

91.<br />

§ 106 BRAGQ-E bestimmt, dass für die Gebühren des Rechtsanwalts,<br />

der dem Privatkläger, dem Nebenkläger oder dem Antragsteller<br />

im Klageerzwingungsverfahren oder sonst beigeordnet<br />

worden ist, die Vorschriften der §§ 102 bis 105 BRAGO-E entsprechend<br />

gelten. Dies entspricht dem bisherigen Gesetz in § 102<br />

Abs. 1 BRAGO.<br />

92.<br />

Für den bestellen Beistand des Nebenklägers oder des nebenklageberechtigten<br />

Verletzten gelten ebenfalls die Vorschriften der<br />

§§ 100, 102 bis 105 BRAGO-E sinngemäß. Der Rechtsanwalt<br />

kann von dem verurteilten Angeklagten die Gebühren eines gewählten<br />

Beistandes verlangen; der Anspruch entfällt insoweit, als<br />

die Staatskasse nach den §§ 100 und 102 BRAGO-E Gebühren gezahlt<br />

hat. Dies ist identisch mit § 102 Abs. 2 BRAGO.<br />

93.<br />

§ 108 Abs. 1 BRAGO-E enthält wie bisher in § 103 BRAGO<br />

die Definition von Bundeskasse und Landeskasse. Staatskasse im<br />

Sinne dieser Vorschrift ist die Bundeskasse, wenn ein Gericht des<br />

Bundes, die Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes den<br />

Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat.<br />

94.<br />

§§ 108 Abs. 2 Satz 1 BRAGO-E bestimmt wie bisher § 103<br />

Abs. 2 BRAGO bei Bestellung oder Beiordnung zunächst durch<br />

ein Gericht des Bundes und sodann durch ein Gericht des Landes,<br />

dass die Bundeskasse die Vergütung des Rechtsanwalts während<br />

der Dauer der Bestellung oder Beiordnung durch das Gericht des<br />

Bundes verdient hat, zu zahlen hat, die Landeskasse die darüber<br />

hinaus gehende Vergütung.<br />

Dies gilt nach § 108 Abs. 2 BRAGO-E sinngemäß, wenn zuerst<br />

ein Gericht das Landes und dann ein Gericht des Bundes den<br />

Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat.<br />

95.<br />

Für das Bußgeldverfahren bestimmt in einem siebten Abschnitt<br />

§ 109 Abs. 1 BRAGO-E wie bisher § 105 Abs. 1 BRAGO, dass die<br />

Vorschriften des sechsten Abschnitts mit Ausnahme des § 83 BRA-<br />

GO-E entsprechend anzuwenden sind. In Bußgeldverfahren soll es<br />

keine Grundgebühr geben.<br />

96.<br />

§ 109 Abs. 2, 2. Halbsatz BRAGO-E bestimmt die Höhe der<br />

Gebühr im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und den<br />

sich anschließenden Verfahren bis zum Eingang der Akten bei<br />

Gericht mit 50 bis 650 DM; dies ist eine Klarstellung gegenüber<br />

§ 105 Abs. 2 BRAGO, der den Gebührenrahmen nach § 83 Abs. 1<br />

Nr. 3 BRAGO vorsieht.<br />

97.<br />

In § 109 Abs. 2, 2. Halbsatz BRAGO-E ist zur Klarstellung<br />

geregelt, dass § 84 Abs. 2 (Teilnahme an polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen<br />

oder gerichtlichen Vernehmungen), § 87a (Vermeidung<br />

der Hauptverhandlung) und § 87b (Erhöhung des Gebührenrahmens<br />

bei inhaftiertem Mandanten) entsprechend im Bußgeldverfahren<br />

gelten.<br />

98.<br />

Ebenso wie in § 105 Abs. 2 Satz 2 BRAGO gilt diese Vorschrift<br />

auch in Verfahren nach § 72 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 731<br />

q e<br />

Das Plädoyer<br />

der Frau Kollegin<br />

Rechtsanwalt Dr. Erwin Fuchs, Jülich<br />

1. Der Prozess<br />

Das Plädoyer, das über 2000 Jahre nachwirkte, hielt nicht Cicero<br />

(106 – 43 v. Chr.), der größte aller Advocaten; dieses Plädoyer<br />

hat eine Frau gehalten, eine Zeitgenossin Ciceros, eine Römerin,<br />

die Carfania hieß gelegentlich auch Afrania oder Calphurnia genannt.<br />

Den Prozess überliefert der Geschichts- oder Geschichtenschreiber<br />

Valerius Maximus, der in der ersten Hälfte des ersten<br />

Jahrhunderts n. Chr. lebte. Valerius Maximus schreibt: „Die Gattin<br />

des Senators Licinius Bucco war schnell bereit, Prozesse an sich<br />

zu ziehen, jederzeit vor Gericht das Wort zu ergreifen, nicht weil<br />

es an Advokaten mangelte, allein weil sie die Schamlosigkeit in<br />

Hülle und Fülle besaß. Ein Gebell wie von Hunden erfüllte fortwährend<br />

die Gerichtshallen und verursachte das notorische Beispiel<br />

weiblicher Ehrverletzung und das in einem Maße, dass man<br />

das Delikt weiblicher Falschheit mit dem Namen der Carfania verband<br />

1 .“ Valerius überliefert das Datum: das „monstrum“ Carfania<br />

stand zum letzten Mal vor Gericht, als C. Caesar und P. Servilius<br />

Konsuln waren, also 48 v. Chr..<br />

Sabinus (l. Hälfte des 1. Jahrhundert n. Chr.) hat die causa Carfaniae<br />

in seinem Kommentar zum edictum praetoris urbani überliefert,<br />

den Ulpian in seinem sechsten Buch zum Edikt erwähnt.<br />

Justinian übernahm diese Stelle in sein Corpus iuris (Dig. 3, 1, 5).<br />

Sie lautet: „Der Prätor sagt: Wenn jemand keinen Anwalt hat, dem<br />

werde ich einen bestellen“ ... Alsdann richtet das Edikt sich gegen<br />

die Personen, die vor Gericht nicht auftreten sollen, die wegen<br />

schändlichen Lebenswandels berüchtigt sind, und hier ausnahmslos<br />

gegen die Frauen. Der Zweck des Verbotes liege darin, dass es gegen<br />

den Anstand und gegen die Sitten verstoße, wenn Frauen sich<br />

in die Rechtshändel anderer einmischten. Als Urheberin habe Carfania<br />

das Verbot veranlasst, ein bitterböses Weib, ohne Anstand<br />

und Ehrgefühl; sie hätte den Richter aufgeregt und somit den<br />

Rechtsgrund für das Edikt gesetzt 2 .<br />

Das Problem:<br />

Valerius und Ulpian haben mehr Werturteile als Tatsachen mitgeteilt.<br />

Carfania ist im Laufe der Geschichte oft getadelt worden.<br />

Selten hat man sie gelobt: Carfania hatte eine ungemeine Wissenschaft<br />

in Rechtssachen, dass sie ordentlich Prozesse führte, und<br />

den Richtern öftermal beschwerlich genug war 3 .<br />

Der Praetor überzog, als er die lex Carfania erließ. Auch heute<br />

noch sind Richter empfindlich, wenn sie meinen, der Anwalt hätte<br />

sie gekränkt und deshalb die Würde des Gerichts verletzt 4 .<br />

Der Richter Carfanias muss ein eigenwilliger Mann gewesen<br />

sein. Er verstieß gegen die Tugenden, die einen Richter auszeichnen<br />

sollen. In einem Richterspiegel „Von der Großmüttigkeit des<br />

Richters“ heißt es: „Weiter stehet einem Richter wohl an die Großmüttigkeit,<br />

dass er sich weder Eisen noch Feuer weder Schmach<br />

oder böses Nachreden des Volckes von seinem Ambt abschrecken<br />

lasse“. Der Richter solle frei sein von Affekten des Zorns, der<br />

Furcht, des Hasses, der Habgier, der Schmeichelei und ähnlichen<br />

Eigenschaften.<br />

Wenn plädierende oder schreibende Advokaten den Richter beleidigen,<br />

mag die Methode empfohlen werden, die der bedeutende<br />

Jurist Augustin Leyser (1683 – 1752) aufgezeichnet hat: Der Richter<br />

soll einen von dem zugelassenen Anwalt gefertigten und zur<br />

Verkleinerung des Gerichts gereichenden Schriftsatz dem Büttel<br />

(Gerichtsdiener) übergeben, der dieses Schriftstück am Pranger<br />

öffentlich verbrannte. Über ein solches Feuerchen würden sich auch<br />

heute manche Richter freuen.<br />

Oder war es ein Vorwand, der den Prätor veranlasste, Carfania<br />

und alle Frauen von der Vertretung vor Gericht auszuschließen?<br />

Hat ein so berühmter und kritischer Jurist wie Ulpian mehr gewusst<br />

als er überlieferte? Die Juristen wie die Historiker können<br />

seltener als sie glauben von der Wahrheit ausgehen, müssen öfters<br />

Hypothesen, mehrere Möglichkeiten unterstellen. Deshalb gilt für<br />

sie, was Mommsen 5 gesagt hat: Die Geschichte ist mehr eine<br />

Kunst als eine Wissenschaft. Die Rechtswissenschaft als Kunst –<br />

so definiert es im ersten Buch, im ersten Kapitel und im ersten<br />

Satz das Corpus iuris: ius est ars: Das Recht ist eine Kunst, die<br />

Kunst, was richtig und gerecht ist (boni et aequi).<br />

Im Kampf um das Wahre oder Falsche, um das Gute oder<br />

Böse, das Rechte oder Unrechte leidet die Würde oft große Not.<br />

Im männlichen Geschlecht liegt die größere Würde – maior dignitas<br />

– (Dig. 1, 9, 1 pr). Wenn dem so wäre, müsste die Verletzung<br />

weiblicher Würde halb so schlimm sein.<br />

Frauen sind von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen (Dig. 50,<br />

17, 2). Die Verteidigung ist Pflicht und Aufgabe des Mannes, jenseits<br />

des weiblichen Geschlechts (virile officium ultra sexum<br />

mulierem Cod. 2, <strong>12</strong>, 18). Körperliche Berufe sollen Frauen nicht<br />

ausüben (Dig. 50, 4, 3, 3). Die vornehmste Pflicht der Frau ist zu<br />

empfangen, das werdende Kind zu schützen, Fehlgeburten zu vermeiden<br />

(Dig. 21, 1, 14, 1).<br />

Antifeministische Tendenzen sind nicht auszuschließen, aber<br />

auch nicht zu beweisen. „Aber die patriarchalische Ordnung in<br />

Rom war stets stark genug, um jeden bedrohlichen Machtzuwachs<br />

der Frauen, der das Patriarchat hätte ernstlich erschüttern können,<br />

rechtzeitig zu hemmen“ 6 .<br />

Jhering (1818 – 1892), der wie kein anderer den Geist des römischen<br />

Rechtes erforscht und die Stellung der römischen Frau im<br />

Hause und in der Gesellschaft dargestellt hat, sagt: „Ist der Mann<br />

jener Tyrann gewesen, wofür man ihn hält, so wird diese Stellung<br />

nicht die einer Hausfrau, sondern wie im Orient die einer Sklavin<br />

oder wie in Griechenland einer Haushälterin oder Beischläferin gewesen<br />

sein. In Wirklichkeit war die Frau die Genossin des Mannes<br />

im vollsten Umfang des Wortes. Kein Volk der alten Welt, die<br />

Griechen nicht ausgenommen, hat dem weiblichen Geschlecht<br />

einen so würdigen Platz in der Gesellschaft angewiesen als die<br />

Römer, ja ich bezweifle, ob die Frau sich bei den civilisiertesten<br />

Völkern der Gegenwart einer höheren Achtung und Verehrung<br />

erfreut, als in jenem alten Rom, wo sie unter der Manus des Mannes<br />

und der Vormundschaft der Verwandten stand. Das weibliche<br />

Geschlecht war nach Ansicht der Römer dem männlichen nicht<br />

bloß völlig ebenbürtig und daher in socialer Beziehung um nichts<br />

zurückgesetzt, wie dies bei allen vorrömischen Völkern der Fall<br />

war, sondern es war ein Gegenstand höherer Achtung, es stand<br />

eine Stufe über dem männlichen“ 7 .<br />

Schon bei den Griechen beherrschte Phyllis ihren Aristoteles,<br />

Xanthippe regierte den Sokrates. In Athen ist es eine Frau gewesen,<br />

die dem redegewaltigen Perikles Unterricht in der Kunst der Verteidigung<br />

und in der Kunst des Plädoyers erteilt hat – mit Erfolg. Als<br />

Aspasia wegen Gottlosigkeit und Kuppelei angeklagt wurde, hat<br />

Perikles, ihr Liebhaber und Ehemann, sie erfolgreich verteidigt.<br />

1 Facta et dicta memorabilia (Wissenwerte Tatsachen und Sprüche) ... quod inpudentia<br />

abundabat, itaque latratibus adsidue tribunalia exercendo muliebris<br />

calumniae notissimum exemplum evasit ... (Buch 8, Kap. 3).<br />

2 ... et ratio quidem prohibendi, ne contra pudicitiam sexui congruentem alienis<br />

causis se immisceant, ne virilibus a Carfania improbissima femina, quae inverecunde<br />

postulans et magistratum inquietans ...<br />

3 Ebert JC, Eröffnetes Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers. 1706.<br />

4 Vergl. BVerfG NJW 2000/199; BVerfG NJW 1999/207; Zuck NJW 1999/187,<br />

Ohrfeigen für Rechtsanwälte.<br />

5 Rektoratsrede 1874.<br />

6 Vera Lowitsch, V Die Frau als Richter, 1933 S. 14.<br />

7 Geist des römischen Rechts, Bd. 11, 1 S. 203 f.


732<br />

Selbst ein so kritischer und bissiger Mann wie Cato, der Censor,<br />

hat die Überlegenheit der römischen Frau anerkannt. „Alle<br />

Menschen regieren ihre Weiber, wir regieren alle Menschen, und<br />

uns regieren die Weiber“ 8<br />

3. Die römische Praxis<br />

Bis zur lex Carfania durften Frauen wie Männer gleichberechtigt<br />

den Anwaltsberuf ausüben 9 . Die Umgangssprache kannte nur<br />

eine, dieselbe Definition: Patronus est qui aliquem defendit; patrona<br />

est quae aliquem defendit 10; . Anwalt – Anwältin – ist, wer einen<br />

anderen verteidigt.<br />

Das Verbot, Frauen als Advokatinnen zuzulassen, hat Justinian<br />

in sein Gesetzbuch aufgenommen, das einflussreichste der Rechtsgeschichte.<br />

Aber richtete sich die Praxis nach diesem Gesetz, nach<br />

der lex Carfania? „Gesetze gibt’s, doch wer ist, der sie handhabt?“<br />

(Dante). Nachdem das Hundegebell Carfanias im Forum verhallt<br />

war, Lärm und Aufregung sich auf und vor den Richterbänken gelegt<br />

hatten, lag es nahe, sich auf Grund und Folge zu besinnen,<br />

vielleicht Carfania als Verteidigerin auszuschließen, oder ihr eine<br />

Missbrauchsgebühr aufzuerlegen oder eine Beleidigungsklage anzuhängen,<br />

aber nicht gleich eine Geschlechterhaft zu statuieren,<br />

die auf ewig und alle Zeit die eine Hälfte der Menschheit von der<br />

Rechtsvertretung ausschloss.<br />

Ob und wie die Römer die lex Carfania handhabten, ist schlecht<br />

überliefert. Cicero zählt in seiner Geschichte der Advokatenberedsamkeit<br />

auch Frauen zu den berühmten Advokaten 11 . Der weiblichen<br />

Redekunst erteilt Cicero eine besondere Note. Er spricht<br />

von Laelia, der Tochter des Gaius Grachus, die er mehrfach plädieren<br />

hörte. Ihren Stil zu reden hätte die Mutter geprägt. Von ihr hätten<br />

die Töchter und die Enkelinnen die Kunst der Plädoyers erlernt.<br />

Es sei sehr wichtig, wenn das Kind im Elternhaus die Sprache und<br />

deren Stil von Vater und Mutter erlebe.<br />

Diesem Urteil schließt sich Quintilian an. Quintilian verweist<br />

auf Hortensia, die vor den Triumvirn die Steuersache der Matronen<br />

geschickt und erfolgreich vertreten hatte. Das Plädoyer Hortensias,<br />

der Tochter des berühmten Anwalts Hortensius, eines Zeitgenossen<br />

Ciceros, habe man immer wieder gelesen, nicht allein zur Ehre des<br />

weiblichen Geschlechts, sondern auch weil das Plädoyer ein ganz<br />

großes Erbe weiblicher Verteidigungskunst im Stile eines Hortensius<br />

darstelle <strong>12</strong> .<br />

Damals wurden Frauen in der Regel nicht besteuert. Hortensia<br />

setzte in einer glänzenden Rede den Triumvirn die Einwände gegen<br />

die vorgesehene Besteuerung auseinander. Auf die Idee, Frauen<br />

älteren Datums zu besteuern, ist danach niemand mehr gekommen.<br />

Bis heute ist das keinem eingefallen, obwohl die Kunst, Steuern zu<br />

erfinden, stark verbessert worden ist. Manchmal fehlt uns eine Hortensia.<br />

In der Politik ist der Einfluss der Frauen nicht zu übersehen.<br />

Die überragende Persönlichkeit des Prinzipats war nicht der Kaiser<br />

Augustus sondern seine Frau Livia. Sie verstand es, ihren Ehemann<br />

zu beeinflussen. Sie hat ihren Mann, die Politik und das Privatleben<br />

beherrscht; sie sorgte auch für die weibliche Unterhaltung, den<br />

Zeitvertreib und die Gespielinnen des Ehemannes. Den großen<br />

Kaiser und Gesetzgeber Justinian hat die Geschichte charakterisiert<br />

als „uxorius“, was man übersetzen kann: „den Damen wohlgesonnen“,<br />

aber auch „Pantoffelheld“. Bei dem Einfluss Theodoras<br />

und ihrer Überlegenheit in der Ehe und in der Politik dürfte das<br />

Beiwort „Pantoffelheld“ die richtige Übersetzung sein. Sie beeinflusste<br />

den Kaiser Justinian und sein Gesetzbuch; sie war Mitregentin<br />

(consors imperii), besetzte zivile und militärische Ämter,<br />

schlug Aufstände nieder und rettete ihrem Mann die Herrschaft.<br />

Für die Gleichberechtigung der römischen Frau, wie sie Jhering<br />

dargestellt hat, sprechen die Berufe, die in der klassischen Zeit den<br />

Frauen offenstanden, von ihnen auch ausgeübt wurden; diese Eroberung<br />

der Berufswelt ist ein markantes Zeichen der Emanzipation 13 .<br />

Es gab selbständige Friseusen, Kosmetikerinnen, Schneiderinnen,<br />

Erzieherinnen, Geschäftsfrauen, Inhaberinnen von Verkaufsläden<br />

mit Waren verschiedenster Art, auch Besitzerinnen von<br />

Höfen und Häusern, sogar von Schiffswerften; Handwerkerinnen<br />

waren neben den Männern Mitgliedern von Innungen; viele Schauspielerinnen,<br />

nicht nur die weniger angesehenen mimae, auch renommierte<br />

Schauspielerinnen gab es. Gerade diese umfassende Berufstätigkeit<br />

der Frau könnte dafür sprechen, dass die lex Carfania<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Zwischenbemerkung<br />

nicht praktiziert wurde, wenn überhaupt, dann nicht überall und<br />

nicht zu jeder Zeit der römischen Geschichte.<br />

Die Kunst zu reden und zu plädieren haben die Römer auch an<br />

ihren Frauen geschätzt. Die Vorzüge der Anwältinnen haben sie<br />

auf Grabsteine gemeißelt. „Hier ist das Grab, nicht ein schönes,<br />

aber das einer schönen Frau. Geschliffen war sie in ihrer Rede, anmutig<br />

in ihrem Gang“ 14 . Nach einem anderen Grabdenkmal war<br />

die Verstorbene ein Musterbeispiel an Zucht und Sitte, also von<br />

den Mängeln ihres Geschlechtes, die angeblich Carfania gezeigt<br />

hatte, weit entfernt: „Beglückend ihre Rede, heiter ihr Gespräch,<br />

unübertroffen in der beratenden Tätigkeit, unbestritten schön in<br />

Aussehen und Figur“ 15 . Beneidenswert die Anwälte, die mit solchen<br />

Kolleginnen zu tun hatten.<br />

Zu allen Zeiten zierten sich die Advokaten nicht, wenn es um<br />

die eigene Würde ging. Die Advokaten nannten sich hochglänzende<br />

Leuchten der Advokatur, an anderer Stelle: wortgewandte Männer<br />

der Advokatur 16 . Der Codex spricht von der römischen<br />

Anwaltskunst, der Ausbildung gleicherweise in der Kunst des Vortrages<br />

wie der der Wissenschaft vom Recht 17 . Besold (1577 –<br />

1638) publiziert in seinem Thesaurus: Es ist nützlicher, einen guten<br />

Anwalt zu haben als einen guten Richter (Utilius est bonum habere<br />

advocatum, quam bonum iudicem). Wir zweifeln ein wenig. Wenn<br />

einer von beiden, der Advokat oder der Richter lahmt, dann läuft<br />

die Justiz nicht.<br />

Allerdings wurden gelegentlich schon im alten Rom Advokaten<br />

kritisch und selbstkritisch beurteilt. Ein Spaßmacher und Imitator<br />

am kaiserlichen Hof verfiel als erster auf den Gedanken, die Advokaten<br />

zu persiflieren 18 . Ein Patron und Verwaltungsjurist hat sich<br />

und seiner heißgeliebten Gattin (coniugi karissima) ein Grabdenkmal<br />

gesetzt und in der Grabschrift seinen beruflichen Werdegang<br />

hervorgehoben: „Als ich in meiner politischen und juristischen<br />

Laufbahn Sprünge zu machen mich bemühte, fiel ich hier in dieses<br />

kümmerliche Privatäckerchen“ 19 .<br />

Wir und vor allem unsere Klienten unterscheiden zwischen<br />

dem Durchschnittsadvokaten und dem Staranwalt. So war es schon<br />

in Rom: Die Umgangssprache unterschied zwischen advocatus und<br />

advocatulus, dem Advokaten und Advokätchen. Im römisch-kanonischen<br />

Recht nannten sich die Kollegen advocati simplices, die<br />

höheren Grade hießen advocati titulares 20 . Simplex ist einfach, aufrecht,<br />

also der aufrechte Advokat. Simplex kann auch bedeuten:<br />

einfältig. Advocatulus simplex ist das einfältige Advokätchen.<br />

4. Germanen und Glossatoren<br />

Als germanische Völker im 3. Jahrhundert begannen, nach Süden<br />

zu wandern und die Gebiete des Imperiums zu erobern, besiegten<br />

sie das römische Militär. Aber es besiegten lateinische<br />

Kultur und römisches Recht die Barbaren. Nur teilweise übernahmen<br />

die germanischen Volksrechte römisches Recht, aber die lex<br />

Carfania muss die Westgoten so fasziniert haben, dass sie – aus<br />

Überzeugung oder aus Ehrfurcht vor Ulpian – dieses Gesetz rezipierten:<br />

eine Frau darf in einer Rechtssache ein Mandat nicht annehmen<br />

21 .<br />

Die Glossatoren, Accursius (1183 – <strong>12</strong>63) und Bartolus (1313<br />

– 1357) haben zu Dig. 3, 1 das Vertretungsverbot für Frauen kommentiert,<br />

die lex Carfania zitiert, auf Carfania hingewiesen sowie<br />

auf die von Valerius überlieferte Prozessgeschichte. Die Glosse hat<br />

8 Plutarch, Große Griechen und Römer: Aristeides und Cato.<br />

9 Rein, W. Das Privatrecht und der Zivilprozeß der Römer (1858) S. 155.<br />

10 Forcellini, A. Lexicon totius Latinitatis „patrona“.<br />

11 Brutus 210 f., de claris oratoribus.<br />

<strong>12</strong> Quintilian, Institutiones oratiae libri 1, 1, 4, 6.<br />

13 Thraede, LAC 8, 197 ff. (223).<br />

14 Geist-Phohl, Römische Grabinschriften 1969 Nr. 28.<br />

15 Wie Fn. 14 Nr. 40.<br />

16 Clarrissimis eloquentiae luminibus (C 2, 7, 25 pr). Virorum dissertissimorum<br />

advocatorum (C 2, 7, 13 pr).<br />

17 Similiter eloquentiae et legitimae scientiae artibus (C 11, 19, 1-2).<br />

18 Dessau, H. Inscriptiones Latinae 5225.<br />

19 Wie Fn. 18, 235.<br />

20 Hinschius, P. Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten 1869, I, 493<br />

f.<br />

21 Lex Ripuaria Art. VI Antiqua; Femina per mandatum causam non suscipiat.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 733<br />

Zwischenbemerkung<br />

den Gesetzeszweck hervorgehoben: Verteidigung ist Pflicht und<br />

Aufgabe des Mannes. Dieser Beruf eines Mannes ist Frauen ganz<br />

selbstverständlich aus Gründen der Schamhaftigkeit verboten 22 .<br />

Das war für die weitere Rechtsgeschichte ein Umstand von größter<br />

Tragweite: Was die Glosse erkennt, erkennt auch das Gericht; was<br />

sie nicht erkennt, erkennt auch das Gericht nicht. Niemand ist ein<br />

guter Jurist, wenn er nicht ein Bartolus ist 23 .<br />

5. Das Mittelalter<br />

Das Mittelalter übernahm die lex Carfania. Wilhelm Durantis<br />

(Durandus) hat in seinem Speculum iudiciale (Rechts- und Richterspiegel)<br />

um <strong>12</strong>90 das römische und kanonische Prozessrecht dargestellt.<br />

Ohne Umschweife und Ausblicke wiederholt Durantis das Verbot<br />

in dem Kapitel „de advocatis“ seines Gerichtsspiegels unter dem<br />

Titel der Personen, die weder verhandeln noch vertreten dürfen. Wie<br />

selbstverständlich wird unter die ausgeschlossenen Personen die<br />

Frau eingereiht: Taube, Stumme, Blinde, dauernd Verrückte, Sklaven,<br />

Minderjährige unter 17 Jahren, Frauen, auch gewisse, sexuell<br />

Abartige, Kapitalverbrecher, Personen, die die bürgerlichen Ehrenrechte<br />

verloren haben und Gladiatoren, die in der Arena mit Tieren<br />

kämpfen. Die Frau befindet sich hier in einer sehr gemischten Gesellschaft.<br />

Das Speculum judiciale (<strong>12</strong>89 – <strong>12</strong>91) hat bis Ende des 17. Jahrhunderts<br />

gegolten und ist in über 50 Auflagen erschienen. Neben<br />

und nach dem Sachsenspiegel war es das meist gelesene Buch.<br />

Das Speculum Durantis hat zwei Rechtsbücher beeinflusst, Anweisungen<br />

für die des Lateinischen unkundigen Richter und Beisitzer:<br />

Clagspiegel und Layenspiegel.<br />

Der Richterlich Clagspiegel um 1425 24 bestimmt: ... um der<br />

Scham willen wird den Frauen verboten, dass sie nicht verklagen<br />

sollen.<br />

Dieselbe Regelung enthält der Layenspiegel Ulrich Tennglers<br />

von 1536 mit einer Vorrede Sebastian Brants. Der Layenspiegel bezieht<br />

sich auf die Digesten und vor allem auf das einschlägige Kapitel<br />

„de advocato“ im Rechtsspiegel des Humanisten Durantis 25 .<br />

In der Tat: Dieses Kapitel über die Anwälte ist auch heute noch<br />

lesenswert. So hat er in sein Werk übernommen: Wer seinen Klienten<br />

(clientulus) nicht nach Kräften verteidige, sündige weit mehr<br />

als ein Straßenräuber 26 . Clientulus, das ist nicht der Starklient, der<br />

reiche Unternehmer (cliens), clientulus ist der kleine Mann.<br />

Ebenso lehrt Durantis: Den unverschämten Advokaten, der<br />

schimpft und schmäht, der ohne Sinn und Verstand vertritt, ihn dürfe<br />

man nicht zulassen. Es hätte nichts näher gelegen, Carfania wie<br />

jeden anderen Anwalt von der Verhandlung auszuschließen. Durantis<br />

missbilligte bei jedem Verfahrensbeteiligten das Schimpfen<br />

und Schwätzen: Geschwätzigkeit besudelt den Ankläger, es wird<br />

ignoriert, was den Zuhörern zu Nutz und Vorteil dienen solle 27 .<br />

Manchmal unerträglich ist der Anwalt, der neben dem Staatsanwalt<br />

anklagt 28 . Daher rät Durantis: Der Anwalt klagt nicht an, er<br />

verteidigt 28 , und wenn er dennoch anklagt, wo und was er sonst<br />

verteidigt, dann – ein zeitloser Wunsch – mit Takt. Nicht alles ist<br />

immer ehrenhaft, was erlaubt ist 29 . Es soll noch heute einige Anwälte<br />

geben, vielleicht mehr als mancher denkt, die solches ihren<br />

Klienten gelegentlich vorhalten.<br />

Wie nahe Durantis dem Kern des Problems kam, zeigt die Analogie:<br />

geschwätzige Advokaten dürfen nicht auftreten und sollen<br />

nicht angehört werden. Carfania war nach der römischen Überlieferung<br />

ein laut brüllender, keifender Hund, auf den die Begriffe passen,<br />

die Durant für solche Advokaten wählt, die es offenbar zu<br />

allen Zeiten gegeben hat: verbosus (weitläufig), loquax (schwatzhaft),<br />

coinquinans (boshaft). Aber selbst ein Durantis eliminierte<br />

nicht die lex Carfania. Das Recht als Kunst, ius ars – nicht jeder<br />

und nicht alle Zeiten genügten dem klassischen Anspruch.<br />

6. Sachsen- und Schwabenspiegel<br />

Bedeutende Rechtsbücher des Mittelalters sind der Sachsenspiegel<br />

(ca. <strong>12</strong>24/25) und der mit ihm verwandte Schwabenspiegel<br />

(etwa <strong>12</strong>75/76). Es sind deutschsprachige Rechtsbücher, jedoch mit<br />

römisch-rechtlichen Einflüssen. Die lex Carfania schien den Verfassern<br />

beider Rechtsbücher wichtig; beide Spiegel haben sie aufgenommen,<br />

der Sachsenspiegel in seinem Landrecht Buch II, 63,<br />

§ 1, 2 und der Schwabenspiegel in seinem Landrecht c. 245. Von<br />

beiden Rechtsbüchern gibt es jeweils mehrere hundert Ausgaben,<br />

teils abweichende, dazu Glossen, Distriktionen und auch Bilderhandschriften;<br />

die Bilderhandschriften sollten den Ungelehrten,<br />

auch allen, die nicht lesen und schreiben konnten, die Rechtssätze<br />

veranschaulichen.<br />

In Art. 63 des Sachsenspiegels heißt es: „Keine Frau kann Vorsprecher<br />

sein noch ohne Vormund klagen. Das verwirkte ihnen<br />

allen Calefurnia, die sich vor dem Königsgericht aus Zorn ungehörig<br />

betrug, wo ihr Wille als Vorsprecher nicht durchgehen konnte 30 .<br />

Das römische Recht hatte die deutschen Rechtsbücher nur wenig<br />

beeinflusst. Aber für eine Perle der Rechtskultur muss der Verfasser<br />

des Sachsenspiegels, Eike von Repgow, der erste deutsche<br />

Rechtsdenker, die lex Carfania gehalten haben.<br />

Der Eisenacher Stadtschreiber Johannes Purgoldt ergänzt in<br />

seinem Rechtsbuch, entstanden um 1490: „Carfania, die vor dem<br />

Gericht und Richter und Schöffen Missgebärden von ihrem Zorn<br />

mit unhübschen Worten und Gebärden zeigt, weil man ihrem Willen<br />

noch ihren Worten nicht nachgeben mochte.“ Der Schwabenspiegel<br />

(Landrecht 245) wird deutlicher: ... den Richter beschimpft<br />

und ihm die hintere Scham (ihr Gesäß) gezeigt 31 . Noch deutlicher<br />

ein Rechtsbuch nach Distinktionen (IV 13): Sie habe den Kaiser<br />

(Richter) mit großen üblen Worten gescholten; als sie sich mit ihrem<br />

Plädoyer nicht durchsetzen konnte, da hob sie die Kleider auf<br />

und ließ einen großen Misslaut springen 32 .<br />

Diese Drastik untermalt die Heidelberger Bilderhandschrift des<br />

Sachsenspiegels (Blatt 10 V). Sie stellt die Carfania in einem gelben<br />

Kleid gestikulierend vor dem sitzenden Richter, und auf ihrem<br />

Kleid, wo der Rücken endet, ist ein Haarpinsel abgebildet als Symbol<br />

und Hinweiszeichen, als Gedankenstütze dafür, dass die Senatorsgattin<br />

die Kleider gehoben hatte und was sie danach tat.<br />

7. Rezeption<br />

Die Übernahme des römisch-kanonischen Rechts ist ein vielgestaltiger<br />

Vorgang über einen langen Zeitraum. Fast in allen Lehrbüchern<br />

und Monographien der Rezeptionszeit, wenn das ius postulandi<br />

erörtert wird, findet man den Hinweis auf die lex<br />

Carfania, oft auch den Wortlaut der Digestenstelle, auch wird der<br />

Historiker Valerius zitiert. Zasius (1461 – 1535), der die Rezeption<br />

des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland einleitete, zitiert<br />

Carfania wie Valerius und Ulpian sie geschildert haben.<br />

Alciatus (1492 – 1550), Anwalt und Rechtslehrer, Begründer<br />

der humanistischen Rechtswissenschaft, meint ebenso, eine Frau<br />

dürfe nicht als Advokatin auftreten.<br />

Carpzow (1595 – 1666), der über Jahrhunderte wie ein Gesetzgeber<br />

das Recht beeinflusste, hat die lex Carfania mit einem Hinweis<br />

auf das römische Recht gerechtfertigt, aber auch aus sachlichen<br />

Gründen: „Die Frau ist ein wechselhaftes und immer<br />

schwankendes Wesen“ 33 .<br />

Die römische Kirche, stark vom römischen Recht und römischer<br />

Kultur geprägt, hat die lex Carfania ebenfalls übernommen. Zu den<br />

22 his rationibus scilicet propter pudiciam.<br />

23 Quidquid non agnoscat glossa, non agnoscat curia. Nemo bona iurista, nisi<br />

bartolista.<br />

24 Meine Ausgabe von 1516, herausgegeben von Sebastian Brant.<br />

25 Bl. VI R.<br />

26 Ultra latrocinium peccat qui clientulum pro viribus non defendit.<br />

27 quia loquaquiter actorem suum conprimit, quae sevire auditoribus ad usumprofectus.<br />

28 Advocatus non accusat, sed defendit.<br />

29 Licitum non semper est honestum.<br />

30 Ez en mag kein wip vorspreche sin, noch ane vormunden klagen. Daz verloz<br />

in allen Carfurnia, de vor deme riche missebarte vor zorne, do ire wille ane<br />

vorsprechen nicht moste vortgan (missebare = ungehöriges Betragen, Heulen,<br />

Schreien).<br />

31 ... in so grossen zorn kan daz si den könig beschalt. do ir wille nut fur sich<br />

gie. Und den könig die hinder schamme lie sehen.<br />

32 zitiert nach Vargha, Verteidigung in Strafsachen, S. 152 „Da hub sie die Kleider<br />

auff und lies einen grossen misslaut springen. Und man saget, das dieselbe<br />

Calefurnia eine Edele Römerinne sey gewest. Darumb so benahm jhn der<br />

Keyser die gewalt abe mit der Fürsten Wille und Rathe und nach weiser Meister<br />

lere und satzten, das kein Weib mehr Vorspreche sein solte.“<br />

33 Varium et mutabile semper est animal; Electoral Resp <strong>12</strong>. S. 488.


734<br />

Quellen des römisch-kanonischen Prozesses gehört die Summa<br />

Aurea des Wilhelmus de Drukeda (<strong>12</strong>39), eine Advokatenschrift,<br />

verfasst um die Besten zu tüchtigen Advokaten auszubilden. Zu<br />

der Frage, wer nicht vor Gericht auftreten darf, äußert er sich<br />

knapp und klar: Exkommunizierte, Ketzer, Frauen, Sklaven ... 34<br />

Tiraquellus (Tiraqueau, 1488 – 1558), ein erfahrener Richter<br />

und Verwaltungsjurist, humanistisch wie juristisch gebildet, gründete<br />

seine römisch-kanonischen Werke auf seine Erfahrungen als<br />

Praktiker. „Dieser forensische Schwerpunkt bewirkte eine breite<br />

Aufnahme seines Werkes vor allem im protestantischen Deutschland“<br />

(Stolleis). Er verweist ausführlich auf die gebildeten und<br />

redetüchtigen Frauen, angefangen mit Diotima, von der Platon im<br />

Symposium bekennt, er habe viel von ihr gelernt, Aspasia sei des<br />

Perikles Lehrmeisterin gewesen, des größten Gerichtsredners und<br />

Staatsmannes. Am Ende der langen Liste der Frauen, die sich in<br />

den Gerichten und in der Politik auszeichneten, hebt Tiraquell hervor:<br />

Es gibt noch eine weitere, fast unbegrenzte Zahl solcher Frauen,<br />

die niemand kennt. Diese Erkenntnisse hinderten ihn nicht, die<br />

lex Carfania zu rezipieren.<br />

8. Qualität der Rede<br />

Einige Gelehrte und Schriftsteller haben die Existenz der Carfania<br />

und ihres Prozesses bezweifelt. In seinen Betrachtungen zum<br />

römischen Recht (Meditationes ad Pandectas, 11 Bände, 1717 –<br />

1748) kritisiert A. Leyser das Märchen (fabula), dass die Römer<br />

und der Sachsenspiegel über den Prozess Carfania verbreiteten:<br />

lächerlich (ridicule). Aber er wendet sich nur gegen Ulpians<br />

Fabel 35 . Das Gesetz, Frauen nicht zur Advokatur zuzulassen, führt<br />

Leyser auf den sagenumwogenen, zweiten König Roms, auf Numa<br />

zurück. Das hat wenig, im Ergebnis gar nichts an der lex Carfania<br />

geändert. Vielfach haben die Juristen die lex Carfania ergänzt; sie<br />

haben die Charaktermängel angeführt, die den Ausschluss der<br />

Frauen von der Advokatur rechtfertigen sollten – gleichgültig ob<br />

eine Carfania jemals vor Gericht gestanden hat oder nicht.<br />

So verfuhr auch Rautenberg. Er schrieb 1745 Meditationes de<br />

qualitatibus advocatorum. Er lässt den Ausschluss der Frauen von<br />

den öffentlichen Ämtern und der Advokatur bestehen, verweist auf<br />

die verschiedenen Weltübel (varias defectus mundi), denen man oft<br />

begegnet: Dem Greis ohne Religion, dem Jüngling ohne Gehorsam,<br />

dem Reichen ohne Almosen, der Frau ohne Sitte; dem Hausvater<br />

ohne Anstand und anderen Missstände; Hinzuzufügen wäre,<br />

so meint Rautenberg, der unwissende und verrückte Advokat 36 .<br />

Den Frauen werden zahlreiche Mängel vorgeworfen, die es<br />

auch ohne den Fall Carfania rechtfertigen, ihnen die Vertretung<br />

anderer vor Gericht zu untersagen. Das weibliche Geschlecht sei<br />

invalidum, fragile, infirmum (schwach, gebrechlich, schlaff) und<br />

dies in mehrfacher Hinsicht: körperlich, geistig und moralisch. Die<br />

Schwatzsucht einer Carfania wird allen Frauen angelastet: sie reden<br />

viel, laut und unbeherrscht.<br />

Der große Humanist und Jurist Andre Tiraquell (1488 – 1558),<br />

hat das Vertretungsverbot entscheidend auf die Charaktermängel der<br />

Frau gestützt. Wie sehr die Frauen diesen Untugenden verhaftet seien,<br />

sehe jeder, der auch nur ein Stündchen (horulam) mit ihnen und<br />

ihrer Neugier verbringe 37 . Die Fülle weiblicher Beredsamkeit stellt<br />

Tiraquell umfassend dar. Er zählt sie auf – schwer zu übersetzen –:<br />

loquaculae (Schwatzmäulchen), argutulae (Waschweiber), verbosae<br />

(Quasseltanten), dicaculae (Schandmäuler), linguaces (Zungenkünstlerinnen),<br />

garulae (Plappermäuler), locutuleiae (Schwatzmaschinchen),<br />

largiloquae (Plaudertaschen), lingulatae (Klatschbasen).<br />

Unter den Qualitäten in der Person des Anwalts, ob Mann oder<br />

Frau, zählt sehr viel die Kultur des Vortrages 38 . Die Kunst und der<br />

Stil machen des Advokaten Glück, ein dezenter Vortrag, um das<br />

Wohlwollen des Richters bemüht, klar, deutlich, mit Anstand und<br />

Maß, aufrichtig geordnet und gegliedert, in der Form gefällig. Der<br />

Vortrag muss überzeugen. Er soll nicht des Richters Galle reizen 39 .<br />

Die Rabulisten, je weniger sie wissen, umso mehr wollen sie<br />

reden 40 . Das Ideal – oft hervorgehoben –: der in Wort und Schrift<br />

gebildete, der rechtskundige Anwalt 41 und wir dürfen hinzufügen:<br />

gleichgültig welchen Geschlechts.<br />

9. Der kluge Kopf, Perverses und Privilegien<br />

1774 schrieb der Rechtsprofessor J. Ch. Hedler über das Thema:<br />

Ob die Frauen wegen ihrer Perversität die Rechtswohltaten, die sie<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Zwischenbemerkung<br />

haben, nicht verdienen. „Num feminae ob perversitatem iuris favorem<br />

quem habent, non mereantur“. Er geht von den Gemeinplätzen<br />

aus: Alle Frauen sind durchtrieben (callidae) und hinterlistig (astutes),<br />

auch geschwätzig, (multum loquaces). Das legt er dar an der<br />

Geschichte einer Frau , die er als uxor Viri Sapientis bezeichnet, als<br />

die Ehefrau eines klugen Mannes, obwohl die Frau wesentlich intelligenter<br />

war als der kluge Kopf, das Haupt der Familie. Dieser kluge<br />

Kopf verfügte über einen gefräßigen Magen. Um seinen Appetit zu<br />

stillen, täuschte die Frau den Denker, ihren Ehemann. Sie kaufte ein<br />

Huhn, schnitt ihm die Füße ab und befestigte die Füße eines Rebhuhns<br />

am Körper des Hofhuhnes. Sie überlistete, wie Hedler überliefert,<br />

unzählige Male ihren Ehemann, der ständig die Hofhühner als<br />

Rebhühnchen verspeiste. Nach dem selben Rezept setzte sie ihrem<br />

Ehemann Ziegenbockfleisch als Wildbret vor –. Charakterlos? wie<br />

Carfania?. Es könnte einen Mann mehr beglücken, wenn eine solche<br />

Frau statt zum Kochen zum Plädieren geht.<br />

Über Privilegien der Frauen ließ der Rechtsprofessor J. Ch. Falkner<br />

promovieren „de mulieribus earumque iuribus ac privilegiis“<br />

(1669). Er unterscheidet zwischen den von der Natur gegebenen und<br />

den vom Gesetz gewährten Privilegien, solchen die vor der Ehe, in<br />

der Ehe und nach der Ehe entstanden sind. Allerdings weder vor, in<br />

oder nach der Ehe dürfen Frauen Richter oder Anwalt sein.<br />

Erstaunliche Frauenprivilegien gab es. Falkner erhebt die<br />

Rechtswohltat der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hervor:<br />

Leicht muss man die Verträge der Frauen aufheben dürfen, weil<br />

die Frauen leichter als die Männer hintergangen werden. Im Recht<br />

allgemein, nicht nur im Strafrecht soll ihre Unkenntnis der Gesetze<br />

oft die Strafe mildern oder gar ausschließen. Falkner zitiert: „Das<br />

Urteil soll den selben etwas milder sein zu denen wir das Vertrauen<br />

haben, dass sie wegen Blödigkeit des Geschlechts nichts fürnehmen<br />

oder unterstehen werden“ 42 .<br />

Ein weiteres Privileg der Frauen: sie dürfen eher heiraten als<br />

die Männer; sie reifen früher. Accursius, der große Glossator,<br />

offenbar ein humorvoller Mann, habe diesen Umstand überzeugend<br />

begründet: Unkraut wachse schneller als Kraut 43 .<br />

Aber die Frauen zu privilegieren, ist nicht ungefährlich. Ein gefährliches<br />

Ding ist, wie Hedler ausführt, eine heiratsfähige Jungfrau;<br />

sie gehöre zu Recht zu den Dingen, die man nicht durch Verwahren<br />

aufbewahren könne 44 .<br />

Das privilegium iuris kann auch zu Glück und Seligkeit führen.<br />

Damals bestand die schöne Sitte, den Doktoranden in mehr oder<br />

minder geschliffenem Latein zur Promotion zu gratulieren, auch<br />

wenn er nach dem Reglement nicht mehr getan hatte, als die Arbeit<br />

und die Thesen seines Doktorvaters zu verteidigen. Den Respondenten<br />

mit dem Namen Schmidt beglückwünschte ein Kommilitone zu<br />

den Privilegien, auch zu der Glosse, dass die Frauen wie Unkraut<br />

wachsen. „Die Frau ist es, deren Privilegien Du insgesamt und gelehrt<br />

verteidigt hast vor dem Thron der Gerechtigkeit. Die Frau ist<br />

es, deren bezaubernde Belohnungen Du erhältst, wenn Du im Brautbett<br />

die gerechtfertigten Vergnügungen empfängst“ (Est mulier, cujus<br />

nunc Privilegia cuncta/ Docte propugnas in Themidos cathedra/.<br />

Est mulier, cujus quondam Tu praemia grata/ Accipiens thalami gaudia<br />

iusta, feres) –. Man darf annehmen, dass Schmidtchen und die<br />

mulier in der Hochzeitsnacht die Privilegien harmonisierten, den<br />

Satz vom Kraut und Unkraut zu Makulatur werden ließen.<br />

10. Schönheit und Verführung<br />

Unlängst mahnten Londoner Richter die beim High Court<br />

(Obergericht) zugelassenen Rechtsanwältinnen: „Nicht zu weiblich,<br />

34 Bethmann-Hollweg Band 6, <strong>12</strong>6; Wahrmund II 37 f.<br />

35 Carfania contra calumniam Ulpiani defenditur.<br />

36 Advocatus insibiens et idiota.<br />

37 De legibus connubialibus. In IX legem Connubialium, 33.<br />

38 Ut sit facundia et eloquentia praeditus.<br />

39 Ne iudici bilem moveat.<br />

40 Rabulae forenses, qui quo minus sciunt, eo tamen plus loqui volunt.<br />

41 Orator litteris eruditus ac iurisperitus (Rautenberg).<br />

42 Beneficium restitutionis in integrum: faciles sint infringendis mulierum contractibus,<br />

quia facilius quam viri decipiantur.<br />

43 Mala herba citius crescere solet quam bona.<br />

44 Periculosa res est virgo nubilis, meritoque inter eas res, quae servando servari<br />

non possunt, refertur.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 735<br />

Zwischenbemerkung<br />

meine Damen“. Kunstvolle Frisuren, zu gewagte Kleidung, zu<br />

enge Blusen, zu kurze Röcke, entsprachen nicht den Vorstellungen<br />

der Richter, die zumindestens knielange Kostüme aus dunklem<br />

Stoff forderten, geschlossene Kleider und ein sparsames oder gar<br />

kein Make up. Die Richter in ihren Talaren und Perücken sahen<br />

ihre Würde und die Rechtsprechung in Gefahr 45 .<br />

Der amerikanische Strafverteidiger Francis Lee Bailey lehnte<br />

grundsätzlich Frauen als Geschworene ab, „weil sie zu leicht zu<br />

beeinflussen sind“ 46 . Nebenbei bemerkt: In unseren Tagen ist einer<br />

Pastorin nahegelegt worden, nicht mehr die Kanzel zu besteigen,<br />

„weil sie zu schön sei“.<br />

Die meisten Menschen streben nach Schönheit; ganze Industrien<br />

leben davon. Eine sehr schöne, amerikanische Schauspielerin<br />

machte B. Shaw den Vorschlag, gemeinsam ein Kind in die Welt<br />

zu setzen, ein Kind, so schön wie sie und so intelligent wie er.<br />

Shaw telegrafierte zurück: „Vorschlag großartig, aber zu riskant:<br />

Kind könnte Ihre Intelligenz und die Schönheit von mir erben“.<br />

Nicht erst die Richter in London misstrauten der weiblichen<br />

Schönheit, der verführerischen: „Schönheit ist ein offener Empfehlungsbrief,<br />

der die Herzen im voraus für uns gewinnt“ (Schopenhauer).<br />

Ein lateinisches Sprichwort lehrt: amantes amentes. Nicht<br />

erst die Liebe, schon die Empfehlung, die Zuneigung, ein Sympathie<br />

lassen selbst einen klugen Menschen die Sachen anders sehen<br />

als sie sind.<br />

Der Richter-Spiegel, geschrieben von einem Johann Jacob von<br />

und zu Weingarten (1682) warnt vor Zuneigung und Gunst: Die<br />

Zuneigungen verrucken den Verstand und vermischen das Rechte<br />

mit dem Unrechten.<br />

Das Erotische in der Kunst zu verführen – oder zu überzeugen<br />

– haben nicht erst die Männer in London bemerkt. Schon Ovid hat<br />

das Erotische in der Kunst gelehrt, den lieben Nächsten oder die<br />

nächste Liebe zu beschwatzen. „Wie den hohen Richter so bezwingt<br />

und besiegt die Kunst der Rede auch das Mädchen“ 48 . Ein<br />

modernes Sprichwort sagt: „Eine Frau kann einen Mönch aus der<br />

Kutte schwatzen.“<br />

Recht und Schönheit behandelt eine juristische Dissertation<br />

(Quod iustum est circa pulchritudinem), vertreten von dem Rechtsprofessor<br />

J. F. Ludovicus (1717). Erörtert wird die lex Carfania<br />

nach der Digestenstelle. Der Zweck der lex sei: Die Frau soll vor<br />

dem Richter nicht verhandeln und plädieren, weil sie die Richter<br />

durch weibliche List und Verschlagenheit, insbesondere durch ihre<br />

Schönheit beeinflusse und die Urteile verunglimpfe 49 . Ludovicus<br />

verweist auf die biblische Geschichte, auf Susanna im Bade, die<br />

zwei nichtsnutzige ältere Herren, seniores nequissimi, um den Verstand<br />

brachte. Wir dürfen einwenden: Die Kolleginnen in London<br />

mögen ihre Attraktivität etwas provoziert haben, aber sie sind nicht<br />

in den Sitzungssaal gestürmt wie Susanna ins Bad.<br />

Auch der Jurist J. Nevizanus, Iuris consultus clarissimus, hat<br />

versucht, dieses Problem zu lösen. Er schrieb (1592) in der Sylva<br />

nuptiales über die unterschiedlichen Qualitäten der verschiedenen<br />

Frauen und äußert sich auch zum Fall Carfania. Er rechnet Carfania<br />

zu den intelligenten Frauen. Die Schönen seien hochmütig und<br />

lüstern, die intelligenten seien herrschsüchtig. Nevizanus folgt der<br />

goldenen klassischen Regel: Nil nimis: Alles mit Maß, nie zu viel.<br />

Schönheit und Intelligenz stellt er auf eine Stufe. Die Frau soll<br />

mittelmäßig schön oder hässlich sein, auch mittelmäßig dumm<br />

oder klug 50 . War Carfania zu schön oder zu intelligent oder zu<br />

weiblich? War sie nicht genug Mittelmaß?<br />

Wenn die Richter in London das Dekollete der Anwältinnen gerügt<br />

haben, standen sie in der Tradition des Kaisers aller Gelehrten,<br />

des Augustinus Niphus. Er war ein Frauenkenner und Liebhaber<br />

vieler Frauen, Verfasser zahlreicher Bücher. Ihn suchte sogar ein<br />

Kaiser Karl V auf. Niphus präsentierte Carolo V keinen Stuhl, obwohl<br />

er selbst saß; er sagte: wenn Carolus V Kaiser über die Soldaten<br />

wäre, so wäre er Kaiser über die Gelehrten (Jöcher). Er<br />

schrieb 1535 ein Buch über die Schönheit (liber de pulchro). Die<br />

Brüste der Frauen sind es, die Männer verführen 51 . Martial bevorzugte<br />

schlanke Frauen 52 . Halten wir es mit dem gelehrten Professor<br />

Ludovicus: „Jedem das, was er für schön hält“ 53 .<br />

Ludovicus hat das Problem gelöst, die ratio der lex Carfania erkannt.<br />

Wenn man wegen der Gefahr für Richter und Recht schöne<br />

Frauen nicht zulassen darf, dann hässliche (deformes) 54 . Was wäre<br />

erreicht, wenn nur die collegae deformes, die deformierten, besser<br />

übersetzt: die unschönen, plädieren dürften? Keine Frau würde ihre<br />

Zulassung als Anwältin beantragen!<br />

Wir hoffen, dass die Londoner Kolleginnen die Probleme und<br />

Komplexe der ehrwürdigen Oberrichter in London gelöst haben.<br />

Wir bewundern eine schöne Frau, eine der intelligentesten der<br />

Weltliteratur, jene Scheherezade, ein Musterbeispiel an Klugheit<br />

und Redekunst, die 1001 Nacht einen Psychopathen, einen arabischen<br />

König, mit ihren Erzählungen bezauberte. Der König wollte<br />

sich wegen der Untreue seiner Frau an allen Frauen rächen; er heiratete<br />

jeden Abend eine Frau, die er am nächsten Morgen töten<br />

ließ. Wie der römische Prätor die Schamlosigkeit der Carfania an<br />

allen Frauen bestrafen wollte, wollte der arabische König die Untreue<br />

einer an allen rächen. Wir bewundern diese gescheite Frau,<br />

auch wenn wir nicht unbedingt die Kolleginnen schätzen, die im<br />

Gerichtssaal ihren Charme mit 1000 und mehr Märchen verknüpfen.<br />

11. Gleichberechtigung<br />

Schwer tun sich die Juristen mit der Gleichberechtigung. Sie<br />

ist – heute noch – ein Problem. Oder ein Scheinproblem? Oder ein<br />

Widerspruch insich? Die Pariser medizinische Fakultät hat 1743 erklärt<br />

(Quaestio medica): „Homini nihil est similius, quam homo,<br />

nihilque dissimilius. Amant Minervam alii, alii Martem. Opes<br />

sequuntur plerique, non nulli fugiunt. „Nichts ist gleicher als der<br />

Mensch und nichts ist ungleicher. Die einen lieben die Kunst (Minerva),<br />

die anderen den Krieg (Mars). Nach Reichtümern streben<br />

die meisten, etliche verschmähen Gut und Geld“.<br />

Die Frage, ob Frauen mit der Waffe dienen sollen oder dürfen<br />

ist aktuell und umstritten. Der Kollege Magerus, auf den ich noch<br />

zu sprechen komme, hat die Auffassung vertreten, das höchste<br />

göttliche Recht, ebenso das Naturrecht, verwehre es den Frauen<br />

nicht, zu den Waffen zu greifen; sie seien für die Waffen nicht zu<br />

dumm oder für die Militärwissenschaft nicht verständig genug. Fügen<br />

wir Ulpians Rechtsweisheit hinzu: Wer einwilligt, dem geschieht<br />

kein Unrecht (volenti non fit inuria, Dig. 47, 10, 1, 5).<br />

Mittlerweile ist die Gleichberechtigung erreicht: Frauen bekleiden<br />

im Staat, in der Justiz und in der Wirtschaft höchste Ämter.<br />

Manche bestimmen allerdings die Gleichberechtigung der Geschlechter<br />

nach Quoten. Die Probleme, Gleiches gleich und Ungleiches<br />

ungleich zu behandeln, bleiben den Juristen erhalten. Von<br />

dem elementaren Grundsatz, der jedem Menschen das Recht gewährleistet,<br />

sein Leben zu fristen und zu erhalten, sind wir noch<br />

weit entfernt.<br />

Den Menschenrechtspreis erhielt nicht ein Mann, sondern eine<br />

Anwältin. Hillary Clinton, eine vorzügliche Anwältin mit ausgezeichneter<br />

juristischer Ausbildung ist sich ihrer Überlegenheit<br />

durchaus bewusst. Berichtet wird von ihr: Als sie und ihr Mann an<br />

einer Werkstatt und Tankstelle vorbeifuhren machte Hillary ihren<br />

Mann auf einen Fahrzeugschlosser aufmerksam und erklärte, das<br />

sei ihr Jugendfreund, der sie hätte heiraten wollen. Darauf meint<br />

ihr Mann: „Dann wärst du heute mit einem Autoschlosser verheiratet“.<br />

Sie: „Durchaus nicht, dann wäre heute ein Autoschlosser Präsident<br />

der Vereinigten Staaten“.<br />

Viele glauben, mehr Gleichberechtigung bringe auch mehr<br />

Glück. In den meisten Fällen ist die Gleichberechtigung kein<br />

Rechtsproblem. Das Juristische haben bereits die alten Römer gelöst.<br />

Zwar bestand schon im alten Rom die Rechtsmeinung, nach<br />

der lex divina universalis solle der Mann befehlen, die Frau müsse<br />

gehorchen. Aber im römischen wie im gemeinen Recht war die<br />

Herrschaft des Mannes aufgehoben, wenn er geistig hierzu nicht in<br />

45 Aachener Nachrichten (ap) vom 23.<strong>12</strong>.1967.<br />

46 Die Welt 9.2.1966.<br />

47 Iudices ob mulierum pulchritudinem amore capta corrumpi possunt.<br />

48 Ars amatoria 1, 461 f.<br />

49 Ipsos iudices muliebribus astubris, vel forma corrumperet.<br />

50 Nec sit pulchra nimis docta nec illa nimis.<br />

51 Mammis mulieres commendantur pro viris; Niphus de pulchro liber.<br />

52 Mammosus metuo, 14, 149.<br />

53 Suum cuique pulchrum est.<br />

54 Ratio genunia esset, foeminae pulchrae solum postulare prohiberentur, non<br />

vero deformes.


736<br />

der Lage war 55 . Problematisch ist nur, wer zu entscheiden hat, der<br />

Mann oder die Frau, ob der Mann zu stupide ist, ob nur ein leichter<br />

oder ein mittlerer und schwerer Schwachsinn vorliegt. Aber auch<br />

dieses Problem lösen die Frauen.<br />

Notfalls hilft auch die Gardinenpredigt. Unter Gardinenpredigt<br />

sind die Vorhaltungen zu verstehen, die im Bett – hinter der Gardine<br />

– die Frau dem unbotmäßigen Ehemann hält. Wenn der Mann<br />

den weiteren Ablauf des Abends nach seinen Vorstellungen nicht<br />

vereiteln will, lässt er solche Predigten über sich ergehen.<br />

Außergewöhnliche Fälle von Gleichheit oder Ungleichheit<br />

ereignen sich. Ein hochangesehener Sammelband des kanonischmoralischen<br />

Rechts überliefert: Eine Frau hatte nacheinander<br />

20 Ehemänner. Dann heiratete sie einen Mann, der 20 Ehefrauen<br />

begraben hatte 56 . Also ein geradezu idealer Fall von Chancengleichheit<br />

unter Eheleuten. Die Mitmenschen – heute würden wir<br />

sagen die Medien – warteten gespannt, wer das Eheroulette gewönne.<br />

Es siegte der Mann, wie es in dem kanonisch-moralischen<br />

Buch des Ferraris berichtet wird. Das römische Volk zwang den<br />

Sieger geschmückt mit einem Lorbeerkranz, einem Palmenzweig<br />

in der Hand die Leiche zum Friedhof zu begleiten.<br />

L. Heister (1683 – 1758), Professor der Medizin, der Begründer<br />

der wissenschaftlichen Chirurgie in Deutschland, verschickte eine<br />

freundliche Einladung und eine Abhandlung zu öffentlichen Sezierungen<br />

des menschlichen Körpers, entweder eines männlichen oder<br />

eines weiblichen 57 , beides als Gottesbeweis, dass notwendig ein<br />

Gott existieren müsse, der eine so kunstvolle Maschinerie hervorgebracht<br />

habe 58 .<br />

Die öffentlichen Sezierungen müssen nicht nur theologischen<br />

Absichten gedient haben, auch weltlichen Zwecken: Heister verlangte<br />

Eintrittsgeld, und das nach wohlüberlegter Taxe: Für das<br />

Zerlegen eines weiblichen Körpers (sectio cadaveris feminae) verlangte<br />

er mehr als für die sectio cadaveris masculini. Schließlich<br />

konnte der Anatom bei weiblichen Kadavern wesentlich mehr zeigen,<br />

vielleicht auch, was die Kunstfertigkeit der Maschinerie<br />

anlangte. So betonte er es in seiner Einladung: Zur Besichtigung<br />

der schönen Bauweise des weiblichen Körpers lade ich ein.<br />

<strong>12</strong>. Die Jahrtausendwende<br />

Am verhängnisvollsten hat der Ausschluss der Frau von der Advokatur<br />

in den beiden letzten Jahrhunderten gewirkt. Die Anstöße<br />

zur Beseitigung der lex Carfania kamen nicht von der Advokatur.<br />

Das Gesetz vom 11.7.1922 verkündete die Zulassung der Frauen<br />

zur Advokatur und zu den Ämtern der Rechtspflege. Sehr viele<br />

Juristen hatten das Gesetz abgelehnt 59 . Der Vorsitzende des Deutschen<br />

Richterbundes erklärte und schrieb noch 1921: „Bei der allgemeinen<br />

Verwendung von Frauen im Schöffen- und Geschworenendienst<br />

richten Frauen über Männer. Die Beurteilung solchen<br />

Zustandes hängt von der Geistes- und Gemütsverfassung des Urteilenden<br />

ab. Solange der deutsche Mann wehrhaft war, erschien ihm<br />

die Aburteilung des Mannes durch die Frau als Narretei. Wenn die<br />

Männer dies als naturwidrig nicht mehr empfinden, verdienen sie,<br />

was ihnen geschieht ... Ich vertraue darauf, dass der Tag der Auferstehung<br />

des Mannes kommt.“ – kein Ruhmesblatt.<br />

Im Jahre 1920 trug ein Kölner Staatsanwalt vor: Wenn die Frau<br />

(als Richterin) zugezogen werde, weil ihre politischen Rechte mit<br />

denen des Mannes gleich seien, so dürften Unterschiede in dem<br />

Maß ihrer Beteiligung nicht gemacht werden. Beim Richter handele<br />

es sich aber nicht um die Betätigung eines politischen Rechts,<br />

sondern um die Ausübung eines öffentlichen Amts. Dafür dürfe<br />

nur die Eignung der Person maßgebend sein. Die Masse der Frauen<br />

urteile wesentlich nach dem Gefühl, Richten aber sei nicht Herzenssache<br />

60 .<br />

Der einflussreiche Historiker Heinrich Treischtke hatte wiederholt,<br />

was über Jahrhunderte Gemeingut gewesen ist: „Von allen<br />

menschlichen Begabungen liegt keine dem Weibe so fern wie der<br />

Rechtssinn“. Schopenhauer schreibt 1851 seine Parerga und darin:<br />

„Wegen der Schwäche ihrer Vernunft sind die Weiber weniger fähig<br />

als die Männer, allgemeine Grundsätze zu verstehen, daher stehen<br />

sie diesen in der Tugend der Gerechtigkeit, der Gewissenhaftigkeit<br />

in der Regel nach; hingegen übertreffen sie die Männer in der<br />

Tugend der Menschenliebe.“ Wenn dem so wäre, wegen der Tugend<br />

dem Klienten zu helfen, wäre gerade die Anwältin berufen. Der<br />

Einsatz für den Mitmenschen, die Bereitschaft zu helfen ist ele-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Zwischenbemerkung<br />

mentare Aufgabe des Anwaltsberufes. Darüber müssen wir nicht<br />

reden. Das Berufsethische, das Moralische versteht sich von selbst.<br />

13. Advocatio armata<br />

Der Anwalt Martinus Magerus a Schönberg rettete die Ehre<br />

der Jurisprudenz und die seines Standes. Er schrieb 1625 De advocatia<br />

armata. Man kann übersetzen: Die Advokatur und der Kampf.<br />

Magerus befolgt in seinem Folianten eine dialektisch-scholastische<br />

Methode. Wegen dieser Methode, aber auch wegen der Fülle seiner<br />

Gedanken zu zeitlosen Problemen ist das Werk lesenswert; es ist<br />

jedoch nahezu unbekannt. Im 7. Kapitel behandelt Magerus die<br />

Grundthese, die Quaestio (Frage), ob Frauen sich als Anwältinnen<br />

niederlassen dürfen (advocatae constitui possint). Magerus bevorzugt<br />

ein Problemdenken, Frage und Antwort, Argument und<br />

Gegenargument. Er schreibt in einer Kette von Argumenten, was<br />

gegen die Zulassung der Frauen spricht, die Negativa, und er untersucht<br />

in einer weiteren Gedankenkette was für die Zulassung<br />

spricht. Acht Gründe gegen die Zulassung stellt er zusammen (dubitandi<br />

rationes pro Negativa sententiae). Dann folgt die Kette der<br />

Gegengründe für die Zulassung (Affirmativa decisio), schließlich<br />

die Widerlegung der gegensätzlichen Argumente (Refutatio contrariorum<br />

argumentorum). Er bringt Beispiele für die Tugenden von<br />

Frauen, ihre Gerechtigkeit und Klugheit; unter anderem verweist<br />

er auf Theodora, die Gattin Justinians, auf die vorzügliche Klugheit<br />

dieser Frau, ihren Einfluss auf die Staatsführung und die Rechtsprechung.<br />

Magerus argumentiert: Wenn Frauen sich unehrenhaft und<br />

schädlich verhalten, mag man sie ausschließen. Aber die durchaus<br />

ehrenhaften Frauen, mit guten Eigenschaften versehen, die der Last<br />

des Amtes und der Würde gewachsen sind, darf man nicht ausschließen.<br />

Dem steht weder das göttliche Recht (lex divina) entgegen,<br />

noch das Naturrecht (lex naturae) noch das geschriebene<br />

Recht (lex scripta). Magerus bezieht sich auf den Rechtsgrundsatz:<br />

Wenn der Zweck eines Verbotes entfällt, muss auch das Verbot<br />

selbst entfallen 61 .<br />

Das Plädoyer der Frau Kollegin, die Geschichte der lex Carfania,<br />

ist eine Mahnung, es mit der Freiheit der Advokatur und der<br />

Toleranz im Advokatenstand noch genauer zu nehmen.<br />

55 Lex divina quae uxores maritorum imperio subjicit universalis est ... casum,<br />

quo maritus adeo est stupidus, ut imperium suum est dominium sine pernicie rei<br />

familiaris exercere nequeat. Leyser, A. Meditationes ad Pandectas (1713 ff.),<br />

S. 159: de iuribus coniugum.<br />

56 Femina quaedam viginti duos successive habuit maritos, et deinde nupsit viro,<br />

qui viginti sepelierat uxores: qui postmodum vincens superstes remansit; Ferraris,<br />

F.L., Prompta Bibliotheca Canonica, iuridica, moralis thelogica 1861.<br />

57 Ad incisionem cadaveris masculini eius demonstrationem publicam (1719);<br />

ebenso (1717): ad dissectionem cadaveris foeminini ...<br />

58 Necessum esse deum existere, qui tam artificiosam machinam produxit.<br />

59 Vgl. Ostler, AnwBl 92/409: Frau Rechtsanwältin gibt es – erst – seit 70 Jahren.<br />

60 Löwenstein, JW 20/259.<br />

61 Ratione namque prohibitionis cessante ipsa quoque prohibitio legis cessare<br />

debet.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 737<br />

u<br />

Die Mediation –<br />

eine Chance für die<br />

Anwaltschaft<br />

Dr. Elke Dorothea Bohl,<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

Die Zahl der Anwälte in<br />

Deutschland wächst unaufhörlich.<br />

Bald schon dürfte die Marke von<br />

110000 überschritten werden, und<br />

ein Ende des Anstiegs ist nicht in<br />

Sicht. Noch immer schreiben sich<br />

Jahr für Jahr etwa 19 000 Studenten<br />

an juristischen Fakultäten ein.<br />

Der Großteil derer, die ihre Ausbildung<br />

erfolgreich meistern, wird<br />

schließlich Anwalt. Aber den<br />

Berufsanfängern winken keine<br />

Reichtümer – auf dem deutschen<br />

Markt ist es eng geworden. Vorbei<br />

die Zeiten, als das Kanzleischild<br />

an der Haustür ausreichte, um ein<br />

sicheres Auskommen zu garantieren.<br />

Doch nicht genug mit der heimischen<br />

Konkurrenz. Vor allem<br />

die Wirtschaftsanwälte bekommen<br />

den harten Wind des Wettbewerbs<br />

aus Großbritannien und den Vereinigten<br />

Staaten zu spüren. Schon<br />

längst haben sich große angloamerikanische<br />

Law Firms hierzulande<br />

etabliert und sich sogar mit<br />

renommierten deutschen Büros<br />

verbündet. Kein Wunder, daß mitt-<br />

lerweile auch in den hiesigen<br />

Sozietäten über Unternehmensstrategien,<br />

Controlling und Marketing<br />

nachgedacht wird. Und kein Wunder,<br />

daß mit Eifer nach neuen<br />

Geschäftsfeldern gefahndet wird:<br />

Wenn immer mehr Anwälte ihr<br />

Stück vom Kuchen haben wollen,<br />

dann muß der Kuchen eben größer<br />

werden, damit der eigene Anteil<br />

nicht allzu klein ausfällt.<br />

Besonders hoch gehandelt wird<br />

dabei zur Zeit die Mediation. Es<br />

gibt kaum noch einen Anwaltskongreß,<br />

auf dem das Thema nicht zur<br />

Sprache käme. Spezielle Zeitschriften<br />

widmen sich dieser Form der<br />

Streitbeilegung, Bücher sind dazu<br />

erschienen, und juristische Fachpublikationen<br />

bringen Sonderhefte<br />

heraus. Auch der Gesetzgeber hat<br />

sich darauf besonnen, daß man<br />

nicht richten muß, wo sich schlichten<br />

läßt, und das Gesetz<br />

zur Förderung der außergerichtlichen<br />

Streitbeilegung verabschiedet.<br />

Seit dem 1. Januar 2000 können<br />

die Länder nun vorsehen, daß<br />

die Prozeßparteien in Verfahren mit<br />

geringem Streitwert einen Einigungsversuch<br />

vor einer Gütestelle<br />

unternehmen müssen, bevor sie vor<br />

die Zivilgerichte ziehen können.<br />

Etliche Länder haben von dieser<br />

Option bereits Gebrauch gemacht<br />

oder streben es an.<br />

Die Mediation soll freilich mehr<br />

bieten als eine Einigung in einem<br />

Güteverfahren. Von ihren Verfechtern<br />

wird sie in den höchsten Tönen<br />

gelobt. Effizient soll sie schein,<br />

schneller als eine gerichtliche<br />

Auseinandersetzung und billiger<br />

natürlich auch. Statt ihre Kräfte in<br />

Scharmützeln und zermürbenden<br />

Stellungskämpfen vor Gericht zu<br />

vergeuden, sollen die Streitenden<br />

gemeinsam nach Lösungen suchen.<br />

Der Mediator wirkt dabei wie ein<br />

Katalysator. Er entscheidet nicht<br />

wie ein Richter, sondern hilft den<br />

Zerstrittenen lediglich, selbst einen<br />

Ausweg zu finden. Dabei soll nicht<br />

um Positionen gerungen werden,<br />

wie sie vor Gericht in den Klage-<br />

anträgen zum Ausdruck kommen.<br />

Ziel ist es, die Interessen aufzudekken,<br />

die hinter diesen Positionen<br />

stecken. Dann nämlich, so lautet<br />

die Überlegung, lasse sich womöglich<br />

eine Lösung finden, die beiden<br />

Parteien Vorteile bringe. Im Idealfall<br />

gibt es am Ende also nicht<br />

Gewinner und Verlierer, sondern<br />

zwei Sieger.<br />

Es gibt wohl kaum jemanden,<br />

der sich von dieser Idee nicht faszinieren<br />

ließe. Sie scheint für Familienkonflikte<br />

ebenso geeignet wie<br />

für arbeitsrechtliche Streitigkeiten<br />

oder Auseinandersetzungen zwischen<br />

Geschäftspartnern. Und weil<br />

in allen diesen Dingen rechtliche<br />

Fragen eine große Rolle spielen,<br />

drängt es sich geradezu auf, daß<br />

Anwälte die Rolle der Mediatoren<br />

übernehmen könnten. Doch tut sich<br />

da wirklich ein lukratives neues<br />

Gebiet auf? Seit etlichen Jahren ist<br />

nun schon in Deutschland zu hören,<br />

das Zeitalter der Wirtschaftsmediation<br />

sei – nach den Vereinigten<br />

Staaten – jetzt auch hier angebrochen.<br />

Bislang allerdings scheinen<br />

an der frohen Botschaft vor allem<br />

die zu verdienen, die sie verkünden:<br />

Seminare über die Kunst der<br />

Mediation werden allenthalben angeboten.<br />

Lohnt es sich nun, als Anwalt<br />

auf diesen Zug aufzuspringen?<br />

Wer sich eine Geschäftschance –<br />

so ungewiß sie momentan auch<br />

ist – auf keinen Fall entgehen lassen<br />

will, der sollte sich wohl in<br />

der Tat mit der Mediation befassen.<br />

Allzu große Hoffnungen allerdings<br />

sollte man derzeit nicht<br />

darein setzen. Es mag schon sein,<br />

daß sich Mandanten allmählich<br />

dafür gewinnen lassen, statt vor<br />

Gericht beim Anwalt-Mediator ihr<br />

Glück zu versuchen und statt auf<br />

die Entscheidung eines Richters<br />

lieber auf eigene Lösungen zu setzen.<br />

Einstweilen jedoch scheint<br />

für die Mediation vor allem eines<br />

zuzutreffen: daß sie eine Menge<br />

Anwälte interessiert, aber deutlich<br />

weniger Klienten.


738<br />

MN<br />

5 %<br />

Justizreform – Zivilprozess<br />

DAVaktiv gegen wesentliche<br />

Teile dieser Justizreform<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat,<br />

nachdem er bereits den Referentenentwurf<br />

und den Entwurf der Regierungsfraktionen<br />

entschieden abgelehnt hat,<br />

sich nun auch „entsetzt“ über den im<br />

Vergleich zu dem Regierungsfraktionenentwurf<br />

nahezu unterveränderten Entwurf<br />

der Bundesregierung geäußert. Mit<br />

Hilfe einer Pressekonferenz auf dem<br />

63. Deutschen Juristentag in Leipzig<br />

und intensiver Arbeit der Mitglieder des<br />

DAV-Ausschusses Justizreform – Zivilprozess<br />

beim DJT hat er seinen Standpunkt<br />

und somit die Interessen der deutschen<br />

Anwaltschaft energisch vertreten.<br />

Regierungsentwurf<br />

Das Bundeskabinett hat am 6. September<br />

2000 den Regierungsentwurf<br />

zur Justizreform beschlossen. Dabei ähnelt<br />

dieser ganz wesentlich dem Regierungsfraktionenentwurf.<br />

Am selben Tag<br />

hat der DAV mit einer Presseerklärung<br />

reagiert und darin die Ansicht geäußert,<br />

dass durch diesen Regierungsentwurf<br />

hier wieder eine Chance vertan wurde,<br />

die wesentlichen Kritikpunkte der Praxis,<br />

insbesondere der Anwaltschaft, zu<br />

berücksichtigen. Der Hauptgeschäftsführer<br />

des Deutschen Anwaltvereins,<br />

Dr. Dierk Mattik, wirdinderMeldung<br />

der Nachrichtenagentur ddp vom<br />

6.9.2000 mit den Worten zitiert: „Wir<br />

müssen feststellen, dass permanent die<br />

Meinungen der Praktiker übergangen<br />

werden.“ Die Hauptkritikpunkte werden<br />

dann weiter ausgeführt. Auch die Nachrichtenagentur<br />

dpa berichtet, dass der<br />

Deutsche Anwaltverein die Reform als<br />

nicht bürgerfreundlich bezeichnet habe<br />

und sie zudem Rechtsmittel beschneide.<br />

In der Rheinischen Post vom 7.9.2000<br />

führt Dr. Mattik aus, dass diese Justizreform<br />

in der Summe eine Demontage<br />

eines effizienten Justizsystems darstellt.<br />

Im übrigen verweist er darauf, dass die<br />

Anwaltschaft mit der Kritik nicht allein<br />

steht, sondern es auch die Richter, die<br />

Justizverwaltung und Oberlandesgerichtspräsidenten<br />

genauso sehen. Über<br />

die ablehnende Haltung des DAV berichtete<br />

u. a. die Süddeutsche Zeitung,<br />

die Frankurter Rundschau und die Financial<br />

Times Deutschland am 7.9.00.<br />

Aber auch in einer Vielzahl regionaler<br />

Tageszeitungen wurde der Standpunkt<br />

des DAV wiedergegeben, beispielsweise<br />

in der Neuen Ruhr Zeitung und dem<br />

Kölner Morgen am 8.9.2000.<br />

63. Deutscher Juristentag<br />

Beim DJT in Leipzig hat der DAV<br />

den Druck auf die Bundesministerin<br />

der Justiz weiter erhöht und seine<br />

Kritik näher erläutert. Hierzu wurde bereits<br />

am 27.9.2000 eine Pressekonferenz<br />

durchgeführt. In einem beeindruckenden<br />

Referat erläuterte der Vorsitzende<br />

des DAV-Ausschusses Justizreform –<br />

Zivilprozess, Rechtsanwalt Felix Busse,<br />

Bonn, am 28.9.2000 im „Aktuellen<br />

Forum“ des DJT’s die Kritik des DAV.<br />

Bei der Pressekonferenz äußerte<br />

der DAV die Erwartung, dass beim<br />

DJT deutlich werden wird, dass die<br />

vorgeschlagene Reform in den vom<br />

DAV abgelehnten Punkten in Widerspruch<br />

zu den eigentlichen Zielen der<br />

Reform nach mehr Bürgernähe, Transparenz<br />

und Effizienz im Zivilprozess<br />

steht. Seine Ablehnung verbindet der<br />

DAV mit der Hoffnung, dass die Reform<br />

nicht gegen den großen Konsens<br />

der Praxis durchgesetzt wird. Gleichzeitig<br />

wurde die Bereitschaft betont,<br />

die vorliegenden Entwürfe mit den<br />

nun zuständigen Gremien und Mitgliedern<br />

des Deutschen Bundestages und<br />

des Bundesrates zu diskutieren und<br />

das know how des DAV anzubieten.<br />

Die Nachrichtenagentur ddp meldete<br />

bereits am 26.9.2000: „Der Deutsche<br />

Anwaltverein (DAV) lehnt die von Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-<br />

Gmelin (SPD) geplante Justizreform<br />

des Zivilprozesses als ungenügend und<br />

nicht notwendig ab. Sie sei ein „Einschnitt<br />

in das bewährte Justizsystem<br />

und ein Rückschneiden von Qualität“,<br />

sagte DAV-Hauptgeschäftsführer Dierk<br />

Mattik der Nachrichtenagentur ddp in<br />

Bonn. „Die Reform führt auch nicht zu<br />

mehr Bürgerfreundlichkeit, sondern zu<br />

mehr Bürgerfeindlichkeit“, betonte<br />

Mattik. Probleme würden nicht gelöst,<br />

sondern noch verschärft, fügte er hinzu.<br />

Die Justizreform ist eines der Themen<br />

des Deutschen Juristentages in Leipzig,<br />

der am Dienstag beginnt.„ Über die<br />

Pressekonferenz schreibt die Nachrichtenagentur<br />

am 27.9.2000: „In der Diskussion<br />

um die geplante Reform des<br />

Zivilprozesses wirft der Deutsche<br />

Anwaltverein der Politik eine Verweigerungshaltung<br />

vor. Die Politik höre<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

offenbar nicht auf die Praxis und weiche<br />

der Diskussion aus, sagte der Vorsitzende<br />

des DAV-Ausschusses Justizreform,<br />

Felix Busse, auf dem Deutschen<br />

Juristentag am Mittwoch in<br />

Leipzig.DabeisehesichderAnwaltverein<br />

nicht als „totaler Verneiner.“<br />

Der Präsident des DAV, Rechtsanwalt<br />

Dr. Michael Streck, wird mit seiner Befürchtung<br />

wiedergegeben, dass durch<br />

die Reform vor allem Nachteile für die<br />

Bevölkerung entstehen könnten. Die<br />

geplante Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />

für alle Berufungsverfahren<br />

führe vor allem in den Flächenländern<br />

zu deutlich längeren Wegen für alle<br />

Prozessbeteiligten. Die Zuständigkeit<br />

der Oberlandesgerichte könnte ferner<br />

zu einer völligen Verstopfung der Berufungsinstanz<br />

und damit zu einer Verlängerung<br />

der Verfahren führen.<br />

Die Süddeutsche Zeitung schreibt<br />

am 28.9.2000: „Im Vorfeld verschärfte<br />

der DAV noch einmal seine Kritik am<br />

Verhalten der Ministerin sowie an<br />

„Dollpunkten“ der Reform. Die Politikerin<br />

praktiziere eine „asymetrische<br />

Kommunikation“ und lasse keine<br />

richtigen Gespräche zustande kommen,<br />

warf ihr DAV-Präsident Michael<br />

Streck vor. Sein Kollege Felix Busse<br />

sprach von der „Vortäuschung einer<br />

Gesprächsbereitschaft“.“ Über diese<br />

Meinung berichteten neben dem Deutschenlandfunk<br />

auch die Rundfunkanstalten<br />

der ARD am 27. und<br />

28.9.2000. Auch der Tagesspiegel aus<br />

Berlin berichtete über die ablehnende<br />

Haltung des DAV.<br />

Die Kritik des DAV, dassu.a.bei<br />

offensichtlicher Aussichtslosigkeit ein<br />

Kollegialgericht eine Berufung ohne<br />

mündliche Verhandlung zurückweisen<br />

könnte, meldet dpa am 28.9.2000.<br />

Hierin äußert Rechtsanwalt Busse seine<br />

Zweifel am Effizienzgewinn durch dieses<br />

vereinfachte Verfahren. Außerdem<br />

sei nur eine mündliche Verhandlung ein<br />

Ausdruck von Bürgernähe.<br />

Die Nachrichtenagentur AP meldet<br />

am 28.9.2000, dass bei dem Aktuellen<br />

Forum Justizreform – Zivilprozess<br />

schnell klar wurde, wo die Mehrheit<br />

der im Saal versammelten Fachleute<br />

stand: „Auch wenn die Kritik wenig<br />

nutzt, wie Dr. Hans Lühn, Vorstandsmitglied<br />

des DAV, resümierte. Die<br />

Situation sei unverändert, die Anwalt-<br />

(Fortsetzung auf Seite 740)


740<br />

MN<br />

(Fortsetzung von Seite 738)<br />

schaft habe die Erfahrung, dass die Ministerin<br />

in der Sache wenig zugänglich<br />

sei und sich auf ihre bekannten Standpunkte<br />

zurückziehe.“ Dass der DAV<br />

abermals eine volle zweite Tatsacheninstanz<br />

auf dieser Veranstaltung forderte,<br />

berichtete die Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung am 29.9.2000. Sie schreibt u. a:<br />

„Ungehalten zeigte sich Felix Busse<br />

vom Deutschen Anwaltverein darüber,<br />

dass die SPD-Politikerin zuvor auf der<br />

selben Veranstaltung im Zuge der Justizreform<br />

eine Erhöhung der Anwaltshonorare<br />

angekündigt hatte. „Die Anwaltschaft<br />

wird sich für höhere Gebühren<br />

nicht einkaufen lassen“, sagte Busse<br />

unter Beifall. Er warf der Ministerin<br />

vor, sich bis heute auf keine Diskussion<br />

eingelassen zu haben. Wie zu hören ist,<br />

setzt die Anwaltschaft mittlerweile vor<br />

allem auf den Bundestagsrechtsausschuss<br />

als Gesprächspartner.“ Hierüber<br />

berichtete auch das Handelsblatt am<br />

29./30.9.2000 und abermals die Süddeutsche<br />

Zeitung am 30.9.2000 sowie<br />

eine Vielzahl regionaler Tageszeitungen<br />

wie beispielsweise die Bremer Nachrichten,<br />

derWeser Kurier u.v.m.<br />

Der DAV wird, wie in Leipzig angekündigt,<br />

nun intensiv das Gespräch mit<br />

den Bundestagsabgeordneten und den<br />

Vertretern des Bundesrates suchen, um<br />

seine Einflussmöglichkeiten geltend zu<br />

machen. Er wird weiterhin den Standpunkt<br />

der Anwaltschaft massiv vertreten.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Gebührenrecht –<br />

Sommerintensivkurs 2000<br />

Referenten: Hans Joachim Bischoff,<br />

VizePräs OLG i. R. und Wolfgang<br />

Madert Rechtsanwalt in Moers<br />

In dem einwöchigen Gebührenrechtsintensivkurs<br />

vom 14.8. –<br />

19.8.2000 in Sils Maria/Schweiz wurde<br />

ein umfangreicher systematischer Überblick<br />

über das gesamte Rechtsanwaltsgebührenrecht,<br />

Honorarvereinbarungen<br />

in Zivil- und Strafsachen, Streitwerte<br />

und Gebühren in Ehe- und Familiensachen<br />

und die Sicherung des Honorars<br />

vermittelt (Bischof u. Madert).<br />

25 Teilnehmer waren anwesend.<br />

Zur Verfügung gestellt wurden ihnen<br />

übersichtliche und umfangreiche Arbeitsunterlagen,<br />

sowie Beispielfälle<br />

mit Lösungen.<br />

Zu den Referenten:<br />

Bischof gehörte seit 1972 dem (14.)<br />

Kostensenat des OLG Koblenz an, dessen<br />

Vorsitz er seit 1986 bis zu seiner<br />

Pensionierung im Sommer innehatte.<br />

Der Senat hat mit einer Reihe von<br />

grundlegenden Entscheidungen die<br />

vielfältigen Kostennovellen der letzten<br />

25 Jahre begleitet. Neben einer Vielzahl<br />

kostenrechtlich interessanter Entscheidungen<br />

publizierte er insbesondere<br />

zum Thema Streitverkündung (Jur.Büro<br />

1984, 969 ff., 1141 ff., 1309 ff., 1461 ff.)<br />

und Freistellungsanspruch (ZIP 1984,<br />

1444 ff.) und zur Problematik, wie sich<br />

eine Prozesspartei gegenüber überhöhten<br />

Sachverständigengebühren wehren<br />

kam (NJ 9/98 464 ff.).<br />

Madert ist Herausgeber der monatlichen<br />

Fachzeitschrift „Anwaltsgebühren<br />

spezial“ (AGS) und aufgrund weiterer<br />

zahlreicher Veröffentlichungen<br />

zum Gebührenrecht bekannt. Den meisten<br />

Kolleginnen und Kollegen werden<br />

seine Kommentierungen des BRAGO-<br />

Standardkommentars Gerold/Schmidt/<br />

v. Eicken/Madert (14. Aufl. 1999) oder<br />

sein Buch „Der Gegenstandswert in<br />

bürgerlichen Rechtsangelegenheiten“<br />

(4. Aufl. 1999) gegenwärtig sein.<br />

Inhalt des Sommerkurses<br />

Bischof behandelte Probleme der Erstattungsfähigkeit<br />

der gesetzlichen Gebühren,<br />

Verfahrens- und Gebührenstreitwerte,<br />

Angelegenheit und Gegenstand,<br />

die Grundgebühren des Zivilprozesses,<br />

des Vergleichs und die Vergleichsgebühr,<br />

das Beitreibungsrecht des PKH-<br />

Anwaltes, der Kosten der Streitverkündung<br />

und des selbständigen Beweisverfahrens.<br />

Hinzu kamen Ausführungen<br />

zur Problematik der Kosten von Hauptbevollmächtigten<br />

und Unterbevollmächtigten,<br />

insbesondere in Hinblick<br />

auf den Wegfall des Lokalisationsprinzips<br />

(§ 78 Abs. 1 ZPO).<br />

Er ging auf Schwerpunkte der<br />

Kostenfallen für den Anwalt ein: die<br />

Notwendigkeit ausdrücklicher Gebührenvereinbarung<br />

bei mehreren Angelegenheiten,<br />

die zeitlich richtige Erstellung<br />

des Kostenantrages bei Parteiwechsel,<br />

Mitwirkung beim Vergleich,<br />

wenn dieser durch Bürovorsteher, Assessor<br />

oder mitarbeitenden Referendar<br />

geschlossen wurde (§ 4 BRAGO), die<br />

richtige Handhabung des § 160 ZPO<br />

in Hinblick auf das Entstehen der<br />

Beweisgebühr. Nicht zu vergessen der<br />

§ 118 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wonach<br />

die hier entstandenen Gebühren eben<br />

nicht auf die Gebühren des § 31<br />

BRAGO anzurechnen sind.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Der Vortrag Bischofs war nicht nur<br />

kompetent und auf die Bedürfnisse der<br />

Anwaltschaft zugeschnitten, seine mitunter<br />

philosophischen Sentenzen ließen<br />

die an sich recht trockene Materie<br />

durchaus zu einem Erlebnis werden.<br />

Auch ließ die Lebhaftigkeit seines<br />

Vortrages Müdigkeit nicht aufkamen.<br />

Madert widmete sich, souverän in<br />

der Materie stehend, vor allen Dingen<br />

den Gebühren und Streitwerten in<br />

Ehe- und Familiensachen. Er plädierte<br />

wiederholt für den Einsatz von Honorarvereinbarungen,<br />

zumindest auch für<br />

den Abschluss von Zusatzvereinbarungen.<br />

Zum Thema Honorarvereinbarung<br />

stellte Madert umfangreiche Checklisten<br />

und eine Reihe von Mustervereinbarungen<br />

zur Verfügung.<br />

Beide Referenten waren für Zwischenfragen<br />

stets offen und wussten<br />

diese in ihren Vortrag so einzubinden,<br />

dass sie nicht das Verständnisproblem<br />

des Einzelnen, sondern Erkenntnis<br />

aller Seminarteilnehmer wurde.<br />

Umgebung des Seminarortes<br />

Der Kurs fand in der einzigartigen<br />

Umgebung von Sils Maria im Oberengadin<br />

statt. Das Hotel Waldhaus, ein<br />

Hotel der Belle Epoque, lädt seine Gäste<br />

nicht nur zum Nachdenken, sondern<br />

auch zum Träumen und Genießen ein.<br />

Weitab vom Getriebe eines Konferenzund<br />

Geschäftshotel, eingefangen von<br />

der Schönheit der Natur und der einzigartigen<br />

Gastfreundschaft dieses familiär<br />

geführten Schweizer Hauses haben wir<br />

in harmonischer Runde nicht nur unsere<br />

Kenntnisse des Gebührenrechts vertieft,<br />

sondern in der zur Verfügung stehenden<br />

Freizeit auch die erreichbaren Berggipfel<br />

erklommen und romantische Täler<br />

besucht. Madert überzeugte nicht nur<br />

als Experte des Gebührenrechtes, sondern<br />

auch als Goethe-Kenner. Noch disziplinierter<br />

als im Kurs selbst haben wir<br />

seinem Referat „Goethe und die (Flucht<br />

vor den) Frauen“ unsere Aufmerksamkeit<br />

geschenkt.<br />

Inhalt und Organisation dieses Seminares<br />

gebühren höchstes Lob. Es wurden<br />

nicht nur sehr viele Anregungen gegeben,<br />

die zur Amortisation der Kosten führen.<br />

Es wurden auch Freundschaften geknüpft<br />

und Gedanken und Erfahrungen ausgetauscht,<br />

die einen eigenen Beitrag zu<br />

effektiverer Arbeit leisten werden.<br />

Bleibt zu wünschen, dass das insgesamt<br />

hohe Niveau dieser Veranstaltung<br />

auch künftigen Teilnehmern geboten wird.<br />

Rechtsanwältin Sabine Henkel,<br />

Magdeburg


742<br />

MN<br />

AG Steuerrecht im DAV<br />

Steueranwalt 2000 – zwischen<br />

Sonnenschein und Horror<br />

Die Veranstaltung<br />

Gut 140 Teilnehmer folgten der<br />

Einladung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Steuerrecht am 29. und 30. September<br />

2000 nach Hannover, mehr als jemals<br />

zuvor. Das Konzept des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses, die EXPO 2000<br />

in Hannover zu nutzen und für die<br />

Teilnehmer ein attraktives Rahmenprogramm<br />

zu bieten, ging voll auf. Hotelpreise,<br />

die eher an Strassenräuber denken<br />

liessen und letztlich die immer<br />

wieder chaotische Fortschreibung der<br />

steuerlichen Gesetzgebung wurden<br />

durch die hervorragende Organisation<br />

und Betreuung durch Frau Ingela Marré<br />

von der AnwaltAkademie mehr als<br />

wettgemacht.<br />

Die Referate<br />

Prof. Dr. Dirk Krüger, RA/StB, Andersen<br />

Luther, Eschborn, beschäftigte<br />

sich mit der Richtigen Rechtsformwahl<br />

nach der Unternehmenssteuerreform.<br />

Er plädierte dabei überdeutlich für die<br />

Personengesellschaft, auch wenn nicht<br />

zu verkennen sei, daß der Gesetzgeber<br />

versuche, Geschäftstätigkeiten in die<br />

Kapitalgesellschaft zu treiben. Demgegenüber<br />

wurden im Referat von<br />

Frau Kirsten Bäumel-Ianniello, RAin/<br />

FAStR, SINA MAASSEN (Aachen)<br />

die Vorzüge der sog. Kleinen Aktiengesellschaft<br />

deutlich, die wohl zu<br />

Recht als alternative Unternehmensform<br />

bezeichnet werden kann.<br />

Prof. Dr. Georg Crzelius, Universität<br />

Bamberg, analysierte Aktuelle<br />

Fragen der Vermögens- und Unternehmensnachfolge,<br />

gerade in Bezug<br />

auf die Steuerreform 2001. Dabei wurden<br />

nicht nur handwerkliche Fehler,<br />

sondern Skurilitäten deutlich, die vom<br />

Gesetzgeber wohl kaum gewollt worden<br />

sind. Dr. Andreas Söffing, SJ<br />

Berwin Knopf Tulloch, ergänzte diese<br />

Darstellung durch die Darstellung<br />

Aktueller Aspekte zum Unternehmenskauf<br />

und -verkauf; Dr. Thomas Rödder,<br />

StB/WP, FLICK GOCKE<br />

SCHAUMBURG, Bonn, führte das<br />

Thema weiter mit der Übersicht über<br />

Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts.<br />

Unter dem Titel Steuerplanung gab<br />

Dr. Harald Treptow, Leiter der Steuerabteilung<br />

der Mannesmann AG, Düssel-<br />

dorf, einen tieferen Einblick in die Funktionsweise<br />

einer Konzern-Steuerabteilung.<br />

Frau Alexandra Mack, RAin/<br />

FAStR, STRECK MACK SCHWED-<br />

HELM, Köln referierte für den Präsidenten<br />

des DAV, Herrn Dr. Michael<br />

Streck, der leider nicht zur Veranstaltung<br />

kommen konnte, über Verschwiegenes<br />

Vermögen in der Nachfolgeplanung.<br />

„Steuerreform 2001“ – neue Geister,<br />

neuer Horror?<br />

Wie auch in den vergangenen Jahren<br />

rankten sich die Themen um „die“<br />

sog. Steuerreform. Nach dem Steuerentlastungsgesetz<br />

(das niemanden entlastete)<br />

nun das Steuersenkungsgesetz<br />

und danach das „Reparaturgesetz“, das<br />

Steuerentlastungs-Änderungsgesetz.<br />

Die Titel der einzelnen Gesetze sind<br />

letztlich unerheblich, entscheidend ist<br />

der Inhalt. Zum ersten Mal seit Jahren<br />

handelt es sich bei der Steuerreform<br />

um eine Reform, die den Namen verdient.<br />

Die Reform, die am 14. Juli<br />

spektakulär beschlossen wurde und die<br />

zu Beginn des Jahres 2001, teilweise<br />

aber auch erst 2002 in Kraft tritt, mag<br />

nicht jeden begeistern. Begrüsst wurde<br />

aber,von den meisten Referenten, daß<br />

damit ein „Schritt in die richtige Richtung“<br />

getan wurde. Letztlich ist aber<br />

bei allen Unwägbarkeiten eines für<br />

alle Steueranwälte sicher: Das Steuerrecht<br />

wird nicht einfacher.<br />

Mitgliederversammlung<br />

Zum Ende des Steueranwaltstages<br />

stand neben den Rechenschaftsberichten<br />

die Neuwahl des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses an. Trotz einiger<br />

weiterer Bewerbungen wurde der<br />

komplette Ausschuss in der früheren<br />

Besetzung wiedergewählt. Vorsitzender<br />

ist nach wie vor Dr. Rolf Schwedhelm<br />

(Köln), sein Stellvertreter Dr.<br />

Ingo Flore (Dortmund). Mitglieder<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

sind weiterhin Frau Kirsten Bäumel-<br />

Ianniello (Aachen), Frau Anja Möwisch<br />

(Hannover), Sebastian Korts<br />

(Köln), Dr. Marcel Sauren (Aachen),<br />

Dr. Jochen Krieger (Stade) und Jürgen<br />

Wagner (Konstanz/Zürich). Vom DAV<br />

„abgeordnet“ wird Herr RA/StB Friedhelm<br />

Jacob (Frankfurt).<br />

Die Referate des Steueranwaltstages<br />

werden in einer Broschüre „Steueranwalt<br />

2000“ zusammengefasst, die<br />

in den nächsten Monaten erscheinen<br />

wird.<br />

Rechtsanwalt Jürgen Wagner,<br />

Konstanz /Zürich<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

AG Verkehrsrecht im DAV<br />

Journalistenseminar 2000<br />

Auch in diesem Jahr hat die Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im<br />

Deutschen Anwaltverein zusammen<br />

mit dem PR-Referat ein Journalistenseminar<br />

durchgeführt. Nachdem im<br />

vergangenen Jahr das Journalistenseminar<br />

anlässlich des 20jährigen Bestehens<br />

der Arbeitsgemeinschaft in<br />

Würzburg stattgefunden hat, wurde<br />

dieses Jahr wieder ins Elsaß eingeladen.<br />

Auch in diesem Jahr folgten viele<br />

Pressevertreter aus den elektronischen<br />

und den Print-Medien der Einladung.<br />

Ein Themenschwerpunkt war die<br />

geplante Überarbeitung des Versicherungsvertragsgesetzes<br />

(VVG). Hier<br />

konnte als Gesprächspartner Herr<br />

Richter am BGH Prof. Wolfgang Römer<br />

vom IV. Senat gewonnen werden.<br />

Der Gesetzgeber plant, das nunmehr<br />

beinahe 80 Jahre alte Versicherungsvertragsgesetz<br />

gründlich zu entrümpeln.<br />

Hierfür hat er eine Kommission<br />

berufen, die Vorschläge der Überarbeitung<br />

machen soll. Herr Richter am<br />

BGH Prof. Wolfgang Römer ist Mitglied<br />

der Kommission und war somit<br />

kompetenter Ansprechpartner für die<br />

Presse. Aus Anwaltssicht ist die Berufung<br />

Prof. Römers besonders erfreulich,<br />

da er sich in der Vergangenheit<br />

schon einen Namen als Wahrer der<br />

Verbraucherrechte gemacht hatte.<br />

In seinen Ausführungen wies er<br />

beispielsweise auf den nach seiner Ansicht<br />

veralteten § 47 VVG hin. Danach<br />

muss eine Schadensmeldung für die<br />

Wirksamkeit schriftlich erfolgen und<br />

zugegangen sein. Dabei ist der Versicherungsvertreter<br />

nicht zur Entgegennahme<br />

bevollmächtigt. Diese Klausel<br />

hatte der BGH mit Urteil vom 22.9.99<br />

(Az: IV ZR 15/99; veröffentlicht in<br />

ZfS 67/00) für wirksam erklärt. Die<br />

Beschränkung der Empfangsvollmacht<br />

ist insoweit bedenklich, da oft der Versicherungsvertreter<br />

der direkte Ansprechpartner<br />

des Versicherungsnehmers<br />

ist. Nach Ansicht Prof. Römers<br />

muss es mehr Schutz der Verbraucher<br />

vor Versicherungsbedingungen geben.<br />

Nach seiner Ansicht ist auch änderungsbedürftig,<br />

dass der Versicherer<br />

einen Anspruch ablehnen kann, wenn<br />

nach sechs Monaten dieser nicht<br />

gerichtlich geltend gemacht worden<br />

ist. Es bestehe keinerlei Grund, warum<br />

Versicherer nicht mit der normalen<br />

Verjährungsfrist auskommen. Er sprach


AnwBl <strong>12</strong>/2000 743<br />

Europa<br />

sich zudem für eine Abkehr vom<br />

Alles-oder-Nichts-Prinzip und für eine<br />

Quotenregelung aus.<br />

Ein weiteres Thema waren die Drogen<br />

im Straßenverkehr aus der Sicht<br />

des Sachverständigen. Als Gesprächspartner<br />

stand hier Prof. Dr. Manfred<br />

Möller vom Rechtsmedizinischen Institut<br />

der Universität des Saarlandes,<br />

Homburg/Saar, zur Verfügung. Hier<br />

ging es um die Auswirkungen der Gesetzesänderung<br />

hinsichtlich des Führens<br />

eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss.<br />

Prof. Möller erläuterte die<br />

Problematik und stellte das im Wesentlichen<br />

von ihm mit entwickelte Schulungsprogramm<br />

für Polizeibeamte vor.<br />

Bei Drogen gelang die Beweisführung<br />

in der Vergangenheit eher selten, zeigten<br />

die Untersuchungen der Rechtsmedizin<br />

im Saarland. Seit zwei Jahren<br />

wird aber intensiv nach Drogen im<br />

Straßenverkehr gefahndet, und seitdem<br />

ist die Zahl entdeckter Drogenfahrten<br />

massiv angestiegen. Haschisch und<br />

Amphetamine stellen vor allem bei<br />

jüngeren Autofahrern den Löwenanteil<br />

der berauschenden Stoffe, aber Ecstasy<br />

und Valium sind stark vertreten. Be-<br />

EUROPA<br />

DACH Europäische Anwaltsvereinigung<br />

– Kurzdarstellung und Wahl des neuen Vorstands –<br />

Die DACH Europäische Anwaltsvereinigung ist im Mai<br />

1989 als DACH Deutsch-Österreichisch-Schweizerisch-<br />

Liechtensteinische Anwaltsvereinigung e.V. in München<br />

gegründet worden. Die seinerzeitigen 25 Gründungsmitglieder<br />

haben die Kurzbezeichnung „DACH“ aus den Länderkennzeichen<br />

„D“ für Deutschland, „A“ für Österreich<br />

und „CH“ für die Schweiz gebildet. „DACH“ hat für die<br />

derzeit etwa 850 Mitglieder einen Symbolwert erlangt. Unter<br />

„DACH“ wird heute, nach über elf Jahren viel mehr verstanden,<br />

nämlich ein gemeinsames „DACH“, unter dem<br />

viele der Mitglieder aktiv an den jährlich zweimal stattfindenden<br />

Tagungen teilnehmen und zu gelungenen gesellschaftlichen<br />

Ereignissen machen. Der Sitz des Vereins ist<br />

in 80538 München, Widenmayerstraße 43.<br />

Neben Anwälten aus den vier Kernländern sind zwischenzeitlich<br />

auch deutsch sprechende Kollegen aus 18 weiteren<br />

Staaten, nämlich Belgien, Frankreich, Italien, Spanien,<br />

Portugal, Griechenland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, der<br />

sonders beachtlich ist, dass rund 50%<br />

der Verkehrsauffälligen im Alter von<br />

18 bis 24 Jahren neben Alkohol auch<br />

Drogen genommen haben. Zu vernachlässigen<br />

sind harte Drogen wie Heroin.<br />

Der konkrete Verdacht eines Polizisten<br />

ist notwendig, um eine Blutprobe gegen<br />

Autofahrer anzuordnen. Durch die<br />

Schulungen konnte eine Trefferquote<br />

der Beamten im Saarland von 95% erreicht<br />

werden. Dabei ist ein wesentliches<br />

Indiz die Pupillenreaktion.<br />

Die Journalistinnen und Journalisten<br />

wurden zudem über die Auswirkungen<br />

der geplanten Justizreform –<br />

Zivilprozess für verkehrsrechtliche Verfahren<br />

unterrichtet. Vorgesehen sind<br />

einschneidende Maßnahmen, die zum<br />

großen Teil auf heftigen Widerstand<br />

sowohl in der Anwaltschaft als auch in<br />

der Richterschaft gestoßen sind. Auch<br />

für den verkehrsrechtlichen Zivilprozess<br />

hätte das Gesetzesvorhaben erhebliche<br />

Auswirkungen, weshalb sich<br />

ebenfalls der 39. Deutsche Verkehrsgerichtstag<br />

2001 in einem seiner Arbeitskreise<br />

damit befassen wird. Durch<br />

die Beschränkung des neuen Vorbringens<br />

von Angriffs- und Verteidigungs-<br />

mittel kann beispielsweise eine Vermeidbarkeitsrechnung<br />

auf Grundlage<br />

der gefahrenen Geschwindigkeit nicht<br />

nachgeholt werden, wenn sie in erster<br />

Instanz unvollständig war. Auch die<br />

Einholung eines Gegengutachtens würde<br />

damit ausgeschlossen.<br />

Darüber hinaus wurden die Journalisten<br />

über die neuen Entwicklungen<br />

in der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung<br />

informiert.<br />

Neben diesem hochkarätigen und<br />

umfangreichen Programm bot sich<br />

auch die Gelegenheit des Gedankenund<br />

Erfahrungsaustauschs zwischen<br />

den Anwälten und den Journalistinnen<br />

und Journalisten bei einer Wanderung.<br />

Zudem konnten die Vorzüge der elsässischen<br />

Küche genossen werden.<br />

Die Resonanz auf diese Veranstaltung<br />

zeigt, dass diese bei vielen Journalistinnen<br />

und Journalisten, die sich<br />

mit verkehrsrechtlichen Themen beschäftigen,<br />

ein fester Bestandteil geworden<br />

ist. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im DAV wird dadurch in<br />

außerordentlicher Weise durch die<br />

Presse wahrgenommen.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

tschechischen und slowakischen Republik Polen, Bulgarien,<br />

Russland, Norwegen, Luxemburg und den USA beigetreten.<br />

Die DACH Europäische Anwaltsvereinigung versteht<br />

sich als Vereinigung deutsch-sprachiger und in deutscher<br />

Sprache korrespondierender Anwälte. Satzungsmäßiger<br />

Zweck des Vereins ist die Pflege der Zusammenarbeit zwischen<br />

deutschsprachigen Anwälten, die Förderung des Erfahrungs-<br />

und Informationsaustausches und die Vermittlung<br />

von Kenntnissen der Rechtsordnung der vier Kernländer.<br />

Der Verein versteht sich insgesamt als Plattform für grenzüberschreitend<br />

innerhalb der vier Kernländer tätige Anwälte<br />

sowie solche Kollegen, die ausserhalb dieser deutschsprachigen<br />

Region in Mitteleuropa ihre Dienste auch in deutscher<br />

Sprache anbieten und vornehmlich mit bzw. für Kollegen<br />

und Mandanten im deutschsprachigen Raum arbeiten.<br />

Es finden seit Herbst 1989 jährlich regelmäßig zwei Tagungen<br />

zu unterschiedlichen Themenkreisen statt, wobei<br />

die Tagungsinhalte schwerpunktmäßig Referate von Kollegen<br />

aus den Kernländern mit entsprechenden EU-Bezügen<br />

bilden. So können nicht nur Kollegen aus den vier Kernländern<br />

selbst, sondern insbesondere auch in deutscher Sprache<br />

korrespondierende Kollegen aus Drittländern wertvolle In-


744<br />

l formationen aus den vier deutschsprachigen Staaten vertiefen,<br />

in denen sie ebenfalls für Klienten tätig sind. Aus vorgenannten<br />

Gründen wurde im Frühjahr einstimmig eine<br />

Satzungsänderung verabschiedet, wonach die Pflege der<br />

deutschen Sprache als Rechtssprache einen besonderen<br />

Stellenwert in der Satzung erhalten hat.<br />

Bis heute fanden insgesamt 23 Tagungen statt zu jeweils<br />

unterschiedlichen Themen aus dem Berufs- und Honorarrecht,<br />

der Haftung und Werbung von Rechtsanwälten, dem<br />

Recht der Zwangsvollstreckung, dem Wettbewerbsrecht,<br />

IPR und dem grenzüberschreitenden Handels- und Unternehmensverkehr,<br />

stets unter Berücksichtigung der besonderen<br />

Interessen der Kollegenschaft in den einzelnen Ländern.<br />

Die Tagungsreferate werden in einer eigenen DACH-<br />

Schriftenreihe veröffentlicht, wovon jedes Mitglied ein<br />

Exemplar kostenlos erhält. Jeder Band ist im Fachhandel erhältlich.<br />

Ferner erhalten alle Mitglieder jährlich ein aktualisiertes<br />

Mitgliederverzeichnis.<br />

Im Juni 1999 wurde das Vereinsleben durch den plötzlichen<br />

Tod des DACH – Präsidenten Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />

Walter Schuppich, Wien überschattet. Walter Schuppich<br />

stand der DACH seit der Gründung als Präsident vor. Er<br />

wird allen Mitgliedern als brillianter Kollege, weiser Vordenker<br />

und treuer und lieber Freund in Erinnerung bleiben.<br />

6<br />

Ausland<br />

Zwölf Jahre Vereinigung für<br />

deutsch-russisches Wirtschaftsrecht<br />

Die zunächst als Vereinigung für deutsch-sowjetisches<br />

Wirtschaftsrecht e.V. in Hamburg gegründete Vereinigung<br />

erhielt ihre jetzige Bezeichnung nach dem Untergang der<br />

Sowjetunion Ende 1991.<br />

Zu den Hauptzielen zählen die Vermittlung von Kenntnissen<br />

über sowie von Verständnis für das Recht Russlands<br />

und seiner Nachbarstaaten, die Veranstaltung von Seminaren<br />

und Symposien über aktuelle Rechtsprobleme in den bilateralen<br />

Wirtschaftsbeziehungen, die Förderung der Zusammenarbeit<br />

zwischen Juristen beider Länder sowie die<br />

Herausgabe eines Informationsbulletins.<br />

Seit 1988 führt die Vereinigung mindestens zweimal<br />

jährlich Seminare bzw. Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen<br />

durch Themen bildeten u. a. die „Praxis der Rechtsberatung<br />

in Russland und die geplante Neuregelung des Anwaltsrechts“,<br />

ferner eine Vorstellung der ersten Bücher des<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Mitteilungen<br />

Zuletzt fand die 23. DACH – Tagung in Basel zum Thema<br />

„e-commerce“ statt. Der technische Fortschritt zieht<br />

viele rechtliche Umwälzungen nach sich, was die jüngst zu<br />

diesem Thema ergangenen zahlreichen EU – Richtlinien<br />

unterstreichen.<br />

Schlusspunkt dieser interessanten Veranstaltung bildete<br />

die 14. Mitgliederversammlung, anlässlich derer der Vorstand<br />

wie folgt neu gewählt wurde:<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Wieland, München, Präsident<br />

(bisher Schriftführer seit 1989)<br />

Rechtsanwalt Dr. Max Oesch, Zürich, Vize – Präsident<br />

(wie bisher)<br />

Rechtsanwalt Dr. Norbert Seeger, Vaduz, Schatzmeister<br />

(wie bisher)<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Wrabetz, Wien, Schriftführer<br />

(Gründungsmitglied und neu gewählter Vorstand)<br />

Die 24. DACH – Tagung findet von 10. bis <strong>12</strong>. Mai<br />

2001 in Bad Ragaz statt mit den Thema „Geldwäsche“.<br />

Informationen zu dieser Tagung sowie allgemeine<br />

Informationen über die DACH sind erhältlich bei der Vereinsverwaltung<br />

in CH-8022 Zürich, Kappelergasse 14,<br />

Tel.: 0041<strong>12</strong>110777, Fax: 0041<strong>12</strong>110778<br />

Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Berlin<br />

neuen russischen Zivilgesetzbuchs durch prominente Mitglieder<br />

der russischen Kodifikationskommission.<br />

Weitere Themen bildeten Rechtsfragen der Rückführung<br />

von Kulturgütern nach dem Zweiten Weltkrieg, das russische<br />

Bankrecht, Forderungen im deutsch-russischen Wirtschaftsverkehr,<br />

das neue GmbH-Recht, die Beilegung und<br />

Entscheidung von Streitigkeiten in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen,<br />

die neueste Praxis des Internationalen<br />

Handelsschiedsgerichts in Moskau, Reformen für Russland-<br />

Leibniz und Peter I. und der Transformationsprozess in der<br />

Gegenwart u. a. m.<br />

Die zweimal jährlich erscheinenden Mitteilungen der<br />

Vereinigung „Recht und Praxis der deutsch-russischen<br />

Wirtschaftsbeziehungen“ liegen bereits im 10. Jahrgang<br />

vor. Sie enthalten praxisnahe Beiträge zu neuen Rechtsentwicklungen<br />

und im Materialienteil Textübersetzungen So<br />

finden sich in den Ausgaben 13 und 14 vom Februar und<br />

März 1998 u. a. eine deutsche Übersetzung des russischen<br />

GmbH-Gesetzes vom 8.2.1998 sowie eine Gegenüberstellung<br />

des russischen Originaltextes mit einer Entwurffassung.<br />

Die Ausgabe 15 enthält Muster von Gründungs- und<br />

anderen Dokumenten in deutscher Übersetzung und


AnwBl <strong>12</strong>/2000 745<br />

Mitteilungen l<br />

Schwerpunktthema der Ausgaben 16 und 17 ist das neue<br />

Gesetz über ausländische Investitionen in der Russischen<br />

Föderation.<br />

Die Vereinigung arbeitet eng mit einschlägigen Institutionen<br />

und Verbänden in Russland und im Inland zusammen.<br />

So wird am 26.6.2000 in Hamburg wieder eine<br />

gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Stiftung für internationale<br />

rechtliche Zusammenarbeit (Bonn) zu neuesten<br />

Entwicklungen im russischen Aktien- und GmbH-Recht<br />

mit prominenten russischen Gesellschaftsrechtlern stattfinden.<br />

Das Präsidium der Vereinigung besteht zur Zeit aus Dr.<br />

Jan Peter Waehler, Hamburg (Präsident), Frau Angelika<br />

Klein-Beber und Prof. Dr. Ehrenfried Stelzer, Berlin (Vizepräsidenten)<br />

sowie RA Dr. Hans Janus und RA Florian<br />

Roloff (jeweils Hamburg).<br />

Informationen c/o: Vereinigung für deutsch-russisches<br />

Wirtschaftsrecht, Beckwoldtstraße 3, 22587 Hamburg,<br />

Tel./Fax: (0 40) 86 26 76<br />

Haftpflichtfragen<br />

Rechtsanwalt Michael Dobmaier,<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

Obliegenheiten im Haftpflichtversicherungsfall<br />

Böse Zungen behaupten, Obliegenheiten dienen dem<br />

Versicherer (VR) dazu, sich seiner Eintrittspflicht zu entziehen.<br />

Auch wenn einige hierzu ergangenen Entscheidungen<br />

diesen Schluss nahe legen mögen, Sinn und Zweck versicherungsvertraglicher<br />

Obliegenheiten ist ein anderer. Sie<br />

sollen den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und<br />

ungerechtfertigten Ansprüchen schützen, vgl. Römer/Langheid,<br />

VVG, § 6, Rdnr. 38. Der vom Haftpflichtversicherer<br />

zu gewährende Versicherungsschutz umfasst den Ausgleich<br />

begründeter Ansprüche, mit denen der Versicherungsnehmer<br />

(VN) von dritter Seite konfrontiert wird. Hieraus folgt<br />

umgekehrt, dass er auch zur Abwehr von unbegründeten<br />

Ansprüchen verpflichtet und berechtigt ist, vgl. z. B. § 3 II<br />

AVB für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von<br />

Rechtsanwälten (AVB-R). Dazu ist erforderlich, dass der<br />

VN den VR vollumfänglich informiert und ihm die Entscheidung<br />

über die Schadenabwicklung überlässt. Der VR,<br />

der ja im Ernstfall zahlen muss, hat also ein berechtigtes<br />

Interesse an der Beachtung der Obliegenheiten, die im Versicherungsvertragsgesetz<br />

(VVG) und den jeweils einschlägigen<br />

Allgemeinen Versicherungsbedingungen niedergelegt<br />

und konkretisiert sind.<br />

Die für die Praxis wichtigsten Obliegenheiten, die ein<br />

VN nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachten hat,<br />

sind die Anzeige- und Auskunftspflicht sowie das Anerkenntnisverbot.<br />

Anzeigepflicht<br />

§ 153 VVG verpflichtet den VN, innerhalb einer Woche<br />

(nach§§33VVG,5IIAHB,5IIAVB-R unverzüglich, spätestens<br />

innerhalb einer Woche) die Tatsachen anzuzeigen,<br />

die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur<br />

Folge haben könnten.<br />

Der VR soll möglichst umgehend von einem potentiellen<br />

Schadensereignis informiert werden, damit er rechtzeitig<br />

etwaige Rettungs- oder Schadenminderungsmöglichkeiten<br />

prüfen und ggf. veranlassen kann. So wird ein<br />

Berufshaftpflichtversicherer einen Rechtsanwalt, der eine<br />

Rechtsmittelfrist versäumt hat, bei einem Wiedereinsetzungsantrag,<br />

der innerhalb von zwei Wochen zu stellen ist,<br />

unterstützen und damit helfen, einen Schaden von vornherein<br />

zu vermeiden.<br />

Hier stellt die Fristversäumung die Tatsache dar, die<br />

einen Schaden zur Folge haben könnte. Es muss also weder<br />

der Schadenseintritt, noch die Verantwortlichkeit des VN<br />

feststehen. Auch wenn der VN der festen Auffassung ist,<br />

Ansprüche gegen ihn scheiden aus, hat er seinen Versicherer<br />

einzuschalten, vgl. OLG Hamm r+s 1992, 118 oder<br />

OLG Düsseldorf VersR 1990, 411.<br />

Wohin die Schadensanzeige zu richten ist, kann den jeweiligen<br />

AGB entnommen werden, im Versicherungsfall<br />

eines Rechtsanwalts i. d. R. an die Hauptverwaltung des<br />

betroffenen VR. Einige Bedingungswerke sehen vor, dass<br />

Versicherungsvertreter nicht zur Entgegennahme berechtigt<br />

sind. Die Wirksamkeit solcher Regelungen dürfte seit BGH<br />

VersR 1999, 565 nicht mehr umstritten sein.<br />

Auskunftspflicht<br />

Nach § 34 VVG (vgl. auch §§ 5 III 2 AHB, 5 III 1<br />

AVB-R) kann der VR vom VN jede Auskunft verlangen,<br />

die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs<br />

der Leistungspflicht des VR erforderlich ist.<br />

Der VR soll in die Lage versetzt werden, sachgemäße<br />

Entscheidungen über die Behandlung eines Schadensersatzanspruchs<br />

zu treffen, vgl. Prölss/Martin, VVG,<br />

26. Aufl., § 34, Rdnr. 4. Das Kriterium der Erforderlichkeit<br />

ist weit auszulegen. Dem VR wird hier ein großer<br />

Spielraum zugebilligt, zumal sich oftmals erst bei der<br />

Beantwortung der gestellten Fragen deren Relevanz herausstellt.<br />

Es reicht aus, dass die erbetene Auskunft unmittelbar<br />

oder mittelbar bedeutsam für die Leistungsverpflichtung<br />

des VR sein könnte, vgl. Prölss, aaO, Rdnr. 5.<br />

Darüber hinaus ist der VN gehalten, vonsichaus–also<br />

ungefragt – alle Umstände mitzuteilen, die im Aufklärungsinteresse<br />

des VR liegen (vgl. z. B. OLG Köln r+ s<br />

1990, 284). Ggf. muss der VN nach BGH r+ s 1993, 221<br />

selbst Erkundigungen einholen, um seiner Aufklärungsobliegenheit<br />

zu genügen. Mit „Formularantworten“ braucht<br />

sich der VR nicht zu begnügen.<br />

Anerkenntnisverbot<br />

Der VR hat ein Interesse daran hat, dass der VN Schadensersatzansprüche<br />

nicht ohne Rücksprache mit ihm ganz<br />

oder teilweise (und sei es durch einen Vergleich) anerkennt.<br />

Das sog. Anerkenntnisverbot findet seinen Niederschlag in<br />

§§ 5 Ziff. 5 AHB, 5 III 2 AVB-R.<br />

Diese Regelungen stehen allerdings unter dem Vorbehalt<br />

des § 154 II VVG (zur rechtsdogmatischen Einordnung<br />

vgl. Römer in Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung,<br />

Rdnr. 1908f). Ein Verstoß gegen das Anerkenntnisverbot<br />

liegt ausnahmsweise dann nicht vor, wenn das Anerkenntnis<br />

„nicht ohne offenbare Unbilligkeit“ verweigert werden<br />

konnte. Das heißt nach OLG Nürnberg VersR 1989, 1079<br />

im Klartext:<br />

„wenn die von dem Dritten geltend gemachte Forderung<br />

offensichtlich begründet ist und besondere Umstände hin-


746<br />

l<br />

zukommen, nach denen die Verweigerung des Anerkenntnisses<br />

und der sofortigen Zahlung für jeden anständigen<br />

Menschen einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeuten<br />

würde.“<br />

Diese besonderen Umstände werden allerdings in den<br />

seltensten Fällen vorliegen. Lt. OLG Hamm r+ s 1999,<br />

452 rechtfertigen langjährige Geschäftsbeziehungen zwischen<br />

dem VN als Schädiger und dem Geschädigten ein<br />

Anerkenntnis ohne die Zustimmung des VR nicht. Damit<br />

begibt sich das OLG Hamm nicht in Widerspruch zu BGH<br />

VersR 1992, 1504, wonach bei einer Kollision der Interessen<br />

des VR mit denen des VN der VR seine Interessen<br />

zurückstellen muss. Dort ging es ausschließlich um die<br />

Frage, welche Stellung ein VR zu beziehen hat, wenn dem<br />

VN ein vorsätzliches Handeln zum Vorwurf gemacht<br />

wird, das ggf. die Leistungsfreiheit des VR zur Folge<br />

hätte. Es liegt auf der Hand, dass der VR auch dann seiner<br />

Verpflichtung zum Abwehrschutz nachzukommen hat. Ein<br />

allgemeiner Grundsatz lässt sich aus vorbenanntem Urteil<br />

nicht ableiten, so aber andeutungsweise Römer in Zugehör,<br />

aaO, Rdnr. 1906.<br />

Verstoßfolgen<br />

Bei Verletzung der Obliegenheiten bestimmen die jeweils<br />

einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />

(z. B. §§ 6 AHB, 6 AVB-R) unter den in § 6 VVG genannten<br />

Voraussetzungen die Leistungsfreiheit des VR.<br />

Bei mittlerer und leichter Fahrlässigkeit bleibt der VR<br />

eintrittspflichtig, bei grober Fahrlässigkeit nur dann, wenn<br />

die Verletzung keinen Einfluss auf die Feststellungen des<br />

Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht<br />

des VR hatte, bei Vorsatz ist er nach dem Wortlaut des § 6<br />

VVG generell leistungsfrei.<br />

Dabei greift beim Vorliegen einer objektiven Verletzung,<br />

die der VR nachzuweisen hat, die Vorsatzvermutung, d. h.<br />

der VN hat Umstände zu beweisen, die diese entkräftet,<br />

vgl. z. B. OLG Frankfurt VersR 1999, 955. Bei Verletzung<br />

der Anzeigepflicht geht die ständige Rechtsprechung jedoch<br />

davon aus, dass kein vernünftiger VN seinen Versicherungsschutz<br />

gefährden will, indem er bewusst von einer<br />

Anzeige absieht, vgl. z. B. OLG Hamm r +s 1997, 103 oder<br />

OLG Koblenz VersR 1996, 1356. Unvernünftig und damit<br />

jedenfalls bedingt vorsätzlich handelt allerdings ein VN,<br />

der seinen VR nicht über eine gegen ihn erhobene Klage<br />

informiert, weil er glaubt, den Prozess zu gewinnen, so<br />

OLG Düsseldorf VersR 1990, 411.<br />

Das in § 6 III VVG normierte Alles-oder-Nichts-Prinzip<br />

bei Vorsatz wird wegen seiner harten Konsequenz durch<br />

die vom BGH entwickelte und aus dem Grundsatz von<br />

Treu und Glauben abgeleitete Relevanzrechtsprechung abgemildert<br />

(vgl. z. B. BGH VersR 1977, 1021). Danach kann<br />

nicht jede vorsätzliche Verletzung die Leistungsfreiheit des<br />

VR rechtfertigen. Es muss hinzukommen, dass der Verstoß<br />

objektiv, d.h. generell, geeignet ist, die Interessen des VR<br />

ernsthaft zu gefährden, und den VN ein erhebliches Verschulden<br />

trifft.<br />

Eine generelle Gefährdung der Interessen des VR scheidet<br />

nicht bereits dann aus, wenn eine Obliegenheitsverletzung<br />

im konkreten Fall folgenlos geblieben ist, vgl. BGH<br />

VersR 1993, 830 (832) u. VersR 1984, 228. So hat das<br />

OLG Bamberg r +s 1993, 173 festgestellt, dass der Abschluss<br />

eines unwiderruflichen Vergleichs im Haftpflichtprozess<br />

ohne vorherige Zustimmung die Interessen des VR<br />

generell gefährdet, weil hierdurch seine Entscheidungsfrei-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Mitteilungen<br />

heit beschränkt wird. Nach der bereits zitierten Entscheidung<br />

des OLG Düsseldorf VersR 1990, 411 ist die unterlassene<br />

Anzeige eines Haftpflichtprozesses relevant, da dem<br />

VR dadurch die Möglichkeit genommen wird, zu einer anderen<br />

kostengünstigeren Lösung zu gelangen und er außerdem<br />

keinen Einfluss auf den Prozess nehmen kann. Einer<br />

ohne Zustimmung des VR abgegebenen Verjährungsverzichtserklärung<br />

fehlt hingegen nach einem weiteren Urteil<br />

des OLG Düsseldorf VersR 1999, 481 die Relevanz, wenn<br />

Verjährung der Ansprüche noch nicht eingetreten war und<br />

damit die Möglichkeit einer außergerichtlichen vergleichsweisen<br />

Lösung offengehalten wurde. Hierfür hat ein „einsichtiger“<br />

VR Verständnis aufzubringen, so das OLG, das<br />

deswegen auch ein nur geringfügiges Verschulden des VN<br />

annahm.<br />

Bei einer relevanten Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheitsverletzung,<br />

die im konkreten Fall folgenlos<br />

geblieben ist (vgl. OLG Köln r+s 1997, 140), setzt die<br />

Leistungsfreiheit des VR nach der Rechtsprechung weiterhin<br />

voraus, dass der VN zuvor unmissverständlich über<br />

den Verlust seines Leistungsanspruchs auch für den Fall,<br />

dass die Verletzung keinen Nachteil für den VR hatte, belehrt<br />

wurde (vgl. Römer/Langheid, aaO, § 6, Rdnr. 44<br />

m. w. N.). Die Belehrungspflicht kann ausnahmsweise<br />

entfallen, wenn der VN arglistig gehandelt hat, so OLG<br />

Hamm r+ s 1992, 41 und BGH VersR 1976, 383; 71,<br />

405.<br />

Hat der VR seine Eintrittspflicht abgelehnt, bestehen für<br />

den VN keine Obliegenheiten mehr, die er gegenüber dem<br />

VR zu beachten hätte, vgl. BGH VersR 1999, 1134. Dies<br />

gilt nach einem neueren Urteil des OLG Hamm r+s, 1999,<br />

452 dann nicht mehr, wenn sich der VN nach anfänglicher<br />

Weigerung bindend bereit erklärt, zumindest teilweise Versicherungsschutz<br />

zu gewähren.<br />

Konsequenzen für den Geschädigten<br />

Anders als in der Kfz-Haftpflichtversicherung steht dem<br />

Geschädigten kein Direktanspruch gegen den VR zu. Ist<br />

der VR im Verhältnis zum VN wegen einer Obliegenheitsverletzung<br />

leistungsfrei, bleibt er jedoch nach § 158c I<br />

VVG gegenüber dem Dritten zur Leistung verpflichtet,<br />

wenn es sich um eine Pflichtversicherung handelt. Dies ist<br />

bei der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte<br />

seit 1994 der Fall. Will der Geschädigte nicht leer ausgehen,<br />

muss er den Anspruch des VN pfänden und sich überweisen<br />

lassen (vgl. BGH NJW 1996, 48). Zuvor ist das Informationsrecht<br />

des VR nach § 158d VVG zu beachten, da<br />

andernfalls die Leistungspflicht nach § 158e I VVG beschränkt<br />

wird, vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 248.<br />

Hat der VR den Geschädigten ganz oder teilweise befriedigen<br />

müssen, wird er versuchen, sich nach § 158f<br />

VVG bei seinem VN schadlos zu halten.<br />

Schlussbemerkung<br />

Es empfiehlt sich, die Obliegenheiten im Versicherungsfall<br />

genau zu beachten, sei es man ist selbst betroffen, sei<br />

es man hat ein versicherungsrechtliches Mandat. Eine Auseinandersetzung<br />

wegen deren Nichteinhaltung ist so unerfreulich<br />

wie überflüssig. Ist man mit der Schadenabwicklung<br />

des VR nicht einverstanden, so bietet sich allemal ein<br />

klärendes Gespräch an, oft wird ein Telefonanruf genügen.<br />

Jeder „verständige“ VR wird bemüht sein, selbst bei widerstreitenden<br />

Interessen zu einer für beide Seiten tragfähigen<br />

Lösung beizutragen.


AnwBl <strong>12</strong>/2000 747<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, Art. 14 EMRK<br />

1. Der durch die Eröffnung und den Aufbau einer Anwaltskanzlei<br />

geschaffene Mandantenstamm stellt ein Vermögensrecht<br />

und damit Eigentum i. S. d. Art. 1 des 1.<br />

ZP dar.<br />

2. Die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung ist ein<br />

Eingriff in das Eigentumsrecht.<br />

3. Der Eingriff beruht auf § 1 Abs. 2 RNPG, dessen Auslegung<br />

durch die nationalen Gerichte nicht als willkürlich<br />

zu beurteilen ist. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig,<br />

da der staatliche Ermessenspielraum nicht überschritten<br />

und ein gerechter Ausgleich zwischen den<br />

wirtschaftlichen Interessen des Bf und dem Allgemeininteresse<br />

vorgenommen wurde, insbesondere angesichts<br />

des besonderen politischen Kontextes der Wiedervereinigung,<br />

in den sowohl die Zulassung des Bf zur Rechtsanwaltschaft<br />

als auch die Rücknahme seiner Zulassung<br />

fiel. (LS der Bearbeiterin)<br />

EGMR, Vierte Kammer, Entscheidung v. 2.11.1999, Döhring<br />

gegen Deutschland (Nr. 37595/97)<br />

Zum Sachverhalt: Der Bf war von 1972 bis 1990 Richter in der ehemaligen<br />

DDR; von 1986 bis 1989 war er Vorsitzender des Strafsenats des BezG<br />

in Magdeburg. Mit Bescheid vom 4.4.1990 ließ ihn das Justizministerium der<br />

früheren DDR ab 1.5.1990 als Rechtsanwalt zu. Am 20.7.1995 nahm das Justizministerium<br />

von Sachsen-Anhalt die Zulassung des Bf als Rechtsanwalt<br />

gem. § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen,<br />

Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter (RNPG) von<br />

1992 zurück, da er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit<br />

verstoßen habe. Insbesondere wurde darauf abgestellt, dass er<br />

in 15 Strafverfahren an der Verhängung von Freiheitsstrafen von ca. drei<br />

Jahren gegen Angeklagte beteiligt war, die lediglich gegenüber Institutionen<br />

der DDR und der Bundesrepublik ihren Ausreisewillen bekundet hatten (z.<br />

B. gegenüber dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, der Internationalen<br />

Gesellschaft für Menschenrechte/Frankfurt und dem ZDF); ferner<br />

warf ihm das Ministerium die Verhängung von Freiheitsstrafen von jeweils<br />

6 Jahren und 6 Monaten wegen „Grenzschleusung“ und von 2 Jahren und 10<br />

Monaten wegen „staatsfeindlicher Hetze“ vor. Am 9.5.1995 sprach das LG<br />

Magdeburg den Bf in einem Strafverfahren von dem Vorwurf der Rechtsbeugung<br />

frei. Der Senat des Anwaltsgerichtshofes von Sachsen-Anhalt bestätigte<br />

am 14.3.1996 die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung des Bf.<br />

Der Senat für Anwaltssachen des BGH wies die hiergegen gerichtete<br />

Klage des Bf am 4.2.1997 zurück; nach Auffassung des Senats lag ein beachtlicher<br />

Verstoß gegen § 1 Abs. 2 RNPG vor, wenn der Anwalt in seiner<br />

früheren Funktion als Richter die Bestimmungen des DDR-Strafgesetzbuches<br />

oder der DDR-Strafprozessordnung exzessiv ausgelegt oder eine menschenverachtende<br />

Verfolgung des Betroffenen betrieben hatte, auch wenn<br />

die Grenze der Rechtsbeugung hierbei nicht überschritten wurde. Im konkreten<br />

Fall war der Senat der Ansicht, dass der Bf über Jahre in seiner gehobenen<br />

Funktion als Kammerpräsident freiwillig an Entscheidungen mitgewirkt<br />

hat, die, jedenfalls in der Gesamtschau, Ausdruck von Menschenverachtung<br />

waren und gegen die Rechtstaatlichkeit verstießen. Insbesondere, so der Senat,<br />

wandte der Bf Gesetze an, die gegen den Rechtsstaat, die Verfassung<br />

der DDR und Internationale Abkommen, deren Mitgliedsstaat die DDR war,<br />

verstießen, in allen Fällen fanden die Verhandlungen unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit in einer Art Geheimverfahren statt und es wurden schwere<br />

Freiheitsstrafen gegenüber Bürgern verhängt, die lediglich die DDR hatten<br />

verlassen wollen. Ihre persönliche und gesellschaftliche Existenz wurde dadurch<br />

häufig zerstört. Der Senat beurteilt diese Vorwürfe auch heute als<br />

unverändert gültig, da der Bf die Menschenrechte in schwerwiegender Weise<br />

über Jahre im Rahmen einer politischen Strafjustiz verletzt und so den staatlichen<br />

Unterdrückungsapparat stark unterstützt habe. Ein Absehen von Sanktionen<br />

gegenüber dem Bf zöge Unverständnis nach sich, nicht nur seitens<br />

der Opfer, sondern auch seitens der Gesamtbevölkerung und könne das Vertrauen<br />

der Rechtssuchenden in die Integrität des Berufes Rechtsanwalt erschüttern,<br />

vor allem das Rechtssuchender aus der früheren DDR (für die die<br />

politische Strafjustiz noch eine schmerzhafte Erinnerung berge). Schließlich<br />

l<br />

sah der Senat auch die Zeitspanne von 6 Jahren, in der der Bf den Beruf als<br />

Rechtsanwalt beanstandungsfrei ausgeübt habe, als zu kurz an, um dem<br />

Interesse des Bf an der Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber<br />

dem öffentlichen Interesse an der Integrität des Anwaltstandes den Vorrang<br />

einzuräumen.<br />

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde des Bf am 28.5.1997<br />

nicht zur Entscheidung an. Es verwies auf seine Rspr., wonach der Widerruf<br />

der Anwaltszulassung von in der DDR als Rechtsanwälten tätig gewesenen<br />

Juristen gem. § 1 Abs. 2 RNPG verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn<br />

sie wegen einer Beteiligung an eklatanten Unrechtshandlungen des SED-Regimes<br />

nicht vertrauenswürdig und damit eine Belastung für eine rechtsstaatliche<br />

Rechtspflege sind. Ferner sah das BVerfG es von Verfassungs wegen<br />

als nicht zu beanstanden an, dass der BGH bei der Auslegung des hier einschlägigen<br />

§ 1 Abs. 2 RNPG die Befassung mit politischem Strafrecht für<br />

sich genommen als nicht ausreichend erachtete, sondern auf die konkrete<br />

Rechtsanwendung und dabei auf die exzessive Auslegung und Anwendung<br />

der damals geltenden Vorschriften zu Ungunsten der Angeklagten abgestellt<br />

hatte. Zu dem Vorbringen des Bf, die Gerichte hätten nicht ausreichend berücksichtigt,<br />

unter welchen Bedingungen der Justizapparat in der ehemaligen<br />

DDR funktioniert habe und es für ihn nicht möglich gewesen sei, sich damals<br />

anders zu verhalten, verwies das BVerfG darauf, dies sei vor den Fachgerichten<br />

nicht substantiiert dargelegt worden, insbesondere hätte dargelegt<br />

werden müssen, unter welchen konkreten Umständen es zu seiner Zuständigkeit<br />

für politische Strafverfahren gekommen sei, ob und unter welchen Bedingungen<br />

er sich ihr hätte entziehen können und welche Folgen es für ihn<br />

gehabt hätte, wenn er von der üblichen Strafpraxis zugunsten der Angeklagten<br />

abgewichen wäre.<br />

Am 13.8.1997 erhob der Bf Beschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskommission.<br />

Er rügte, die Rücknahme seiner Rechtsanwaltszulassung<br />

verletze sein Eigentumsrecht (Art. 1 des 1. ZP zur EMRK) und das<br />

Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK). Insbesondere sei der Eingriff angesichts<br />

der verstrichenen Zeit unverhältnismäßig und die Maßnahme, die<br />

dem Rachebedürfnis einer Minderheit entspräche und zur Vernichtung seiner<br />

Existenz führe, nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt. Die (mit 7<br />

Richtern besetzte) Vierte Kammer des EGMR verneinte in ihrer Entscheidung<br />

v. 2.11.1999 einstimmig eine Konventionsverletzung und erklärte die<br />

Beschwerde für unzulässig (Art. 35 Abs. 3 EMRK).<br />

Aus den Gründen: I. Verletzung von Art. 1 des 1. ZP<br />

Der Gerichtshof erinnert an seine bisherige Rspr., wonach<br />

Art. 1 des 1. ZP im wesentlichen das Recht auf Eigentum gewährleistet<br />

(...) und „drei unterscheidbare Vorschriften“ enthält: die im<br />

ersten Satz des ersten Absatzes niedergelegte Regel ist allgemeiner<br />

Natur und formuliert das Prinzip der Achtung des Eigentums; die<br />

zweite Regel, im zweiten Satz enthalten, erfasst Eigentumsentziehungen<br />

und macht diese von gewissen Bedingungen abhängig, die<br />

im zweiten Absatz niedergelegte dritte Regel befasst sich u. a. mit<br />

dem Recht der Mitgliedstaaten, die Eigentumsnutzung im Einklang<br />

mit dem Allgemeininteresse zu regeln und Gesetze, die sie zu diesem<br />

Zweck für erforderlich halten, zu erlassen (...). Es handelt sich<br />

danach nicht um unzusammenhängende Regelungen: die zweite<br />

und die dritte Regel behandeln einzelne Beispiele von Eingriffen<br />

in das Eigentumsrecht, daher sind sie im Lichte des allgemeinen<br />

Grundsatzes, der in der ersten Regel enthalten ist, auszulegen (...)<br />

(s. z. B. die Urt. Tre Traktörer AB g. Schweden v. 7.7.1989, Serie<br />

A n 159, S. 21 - 22, § 54 und Fredin g. Schweden v. 18.2.1991, Serie<br />

A n 192, § 51 und die Entscheidung Olbertz g. Deutschland v.<br />

25.5.1999, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).<br />

Im konkreten Fall bejaht der Gerichtshof die Anwendbarkeit<br />

von Art. 1 des 1. ZP: durch die Eröffnung und den Aufbau<br />

seiner Anwaltskanzlei hat sich der Bf einen Mandantenstamm<br />

geschaffen; dieser stellt einen Vermögenswert und damit Eigentum<br />

i. S. d. Art. 1 dar.<br />

Ferner nimmt der Gerichtshof einen Eingriff in das Eigentumsrecht<br />

an: die Rücknahme der Anwaltszulassung des Bf, der seine<br />

Kanzlei schließen musste, hat unweigerlich zu einem Verlust von<br />

Mandanten und Einkünften geführt; dieser Eingriff ist als Regelung<br />

der Eigentumsnutzung zu werten, die unter Abs. 2 des Art. 1 des<br />

1. ZP zu prüfen ist (s., mutatis mutandis, die bereits zitierten Urteile<br />

Tre Traktörer und Fredin, S. 22, § 55 und S. 15, § 47, sowie die<br />

oben zitierte Entscheidung Olbertz). Der Tatsache, dass der Bf<br />

durch ein Organ der DDR – auf die die Konvention nicht anwendbar<br />

ist – als Anwalt zugelassen wurde, misst der Gerichtshof in die-


748<br />

l<br />

sem Zusammenhang keine Bedeutung zu, da die Rücknahme auf<br />

Entscheidungen von Gerichten der Bundesrepublik zurückgeht, die<br />

der EMRK angehört. Gleichzeitig betont der Gerichtshof, dass die<br />

Gültigkeit von Zulassungen durch die frühere DDR durch den Einigungsvertrag<br />

(Art. 19) bestimmten Bedingungen unterworfen<br />

wurde, als deren konkrete Ausfüllung das RNPG anzusehen ist.<br />

Zur Rechtmäßigkeit des Eingriffs stellt der Gerichtshof zunächst<br />

darauf ab, dass sich die Rücknahme auf § 1 Abs. 2 des RNPG<br />

stützt. Die Auslegung dieser Vorschrift durch den Senat für Anwaltssachen<br />

beim BGH und durch das BVerfG sieht der Gerichtshof<br />

nicht als willkürlich an; er ruft insoweit in Erinnerung, dass er<br />

in Bezug auf nationales Recht nur über einen begrenzten Überprüfungsspielraum<br />

verfügt und es in erster Linie Aufgabe der nationalen<br />

Instanzen ist, die nationalen Gesetze auszulegen und anzuwenden<br />

(s. das genannte Urteil Tre Traktörer, S. 23, § 58). In Bezug<br />

auf die Zweckmäßigkeit des Eingriffs ist der Gerichtshof der Ansicht,<br />

dass mit dem Eingriff ein Allgemeininteresse verfolgt wurde.<br />

Insbesondere erschien es für die Bundesrepublik legitim, nach der<br />

Wiedervereinigung im nachhinein das Verhalten von Personen zu<br />

überprüfen, die den Beruf eines Rechtsanwalts, Notars oder ehrenamtlichen<br />

Richters ausüben durften und von denen, kraft der Art<br />

ihrer Aufgaben als Organe der Justiz und Garanten des Rechtsstaates,<br />

eine besonders hohe Integrität sowie Moral zu fordern war.<br />

Diese Überprüfungen zielten damit auch auf den Schutz der Öffentlichkeit<br />

ab, indem sie die Integrität und Moral gerade von Personen,<br />

die den Rechtsanwaltsberuf ausüben, sicherstellen sollten.<br />

Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs führt der Gerichtshof<br />

aus, diese liege nach seiner Rechtsprechung vor, wenn die<br />

Voraussetzung eines gerechten Ausgleichs zwischen den Erfordernissen<br />

des Allgemeininteresses der Gesellschaft und den Erfordernissen<br />

der Bewahrung der Grundrechte des Einzelnen erfüllt ist;<br />

eine Verhältnismäßigkeit muss hiernach zwischen den angewandten<br />

Mitteln und dem zu erreichenden Zweck bestehen. Im konkreten<br />

Fall erkennt der Gerichtshof zunächst an, dass der Eingriff für den<br />

Bf, der seine Kanzlei aufgeben musste, einen gewissen Schweregrad<br />

aufweist. Die Frage, ob der Bf den innerstaatlichen Rechtsweg<br />

i. S. d. Art. 35 EMRK erschöpft hat, wozu gehört, die entsprechenden<br />

Beschwerdepunkte bereits den national zuständigen Organen<br />

vorgelegt zu haben (s. Urt. Cardot g. Frankreich v. 19.3.1991, Serie<br />

A n 200, S. 18, § 33), lässt der Gerichtshof dahingestellt. Denn er<br />

kommt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall ein verhältnismäßiger<br />

Eingriff im Vergleich zum erstrebten Zweck vorliegt: noch<br />

einmal hält der Gerichtshof die gänzlich außergewöhnliche Zeitspanne<br />

des Umbruchs in der Geschichte Deutschlands fest, in deren<br />

Zusammenhang die Rücknahme der Zulassung steht. Die Bundesrepublik,<br />

so der Gerichtshof, wollte die Gültigkeit der Rechtsanwaltszulassungen,<br />

die die frühere DDR gewährt hatte, bestimmten<br />

Bedingungen unterwerfen, wie sie insbesondere in Art. 19 EV aufgestellt<br />

wurden, um so sicherzustellen, dass Rechtsanwälte in der<br />

früheren DDR dieselben Kriterien erfüllen wie sie an die Rechtsanwälte<br />

in der Bundesrepublik gestellt werden. Ziel des 1992 erlassenen<br />

RNPG war es daher, im nachhinein das Verhalten von Personen<br />

zu überprüfen, von denen aufgrund der Funktion, die sie in<br />

einem Rechtsstaat innehaben, eine besonders hohe Integrität und<br />

Moral zu fordern ist. Weiter hebt der Gerichtshof hervor, dass die<br />

nationalen Gerichte die dem Bf vorgeworfenen Tatsachen eingehend<br />

geprüft haben, bevor sie zu dem Schluss kamen, dass er sich<br />

durch sein Verhalten, das offensichtlich gegen die Gerechtigkeit<br />

verstieß, als für den Anwaltsberuf unwürdig erwiesen hat, auch<br />

wenn er sich keiner Rechtsbeugung schuldig gemacht hat. Insbesondere<br />

stellten die Gerichte darauf ab, dass der Bf als Vorsitzender<br />

einer Strafkammer jahrelang eine gehobene Funktion innehatte<br />

und in dieser Zeit gewichtige Freiheitsstrafen gegenüber Bürgern<br />

aussprach, die lediglich die frühere DDR verlassen wollten und<br />

Kontakt zu Organisationen in der Bundesrepublik hergestellt hatten;<br />

dies zudem quasi in Geheimverfahren, unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit. Schließlich wogen die Gerichte das Interesse des Bf,<br />

nach sechs Jahren der Zulassung seinen Beruf weiter auszuüben<br />

und die Notwendigkeit gegeneinander ab, das Vertrauen der Rechtssuchenden<br />

– insbesondere das derjenigen in der früheren DDR – in<br />

den Anwaltsstand zu bewahren, bevor sie ein überwiegendes<br />

öffentliches Interesse bejahten. Der Gerichtshof ist der Ansicht,<br />

dass die dem Bf auferlegte Belastung sich am Allgemeininteresse<br />

der Gesellschaft messen lassen muss, angesichts des besonderes<br />

Kontextes, in dem seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wie<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

auch die Rücknahme seiner Zulassung stattfand. Denn die Staaten<br />

genießen insoweit einen Ermessenspielraum (s. mutatis mutandis,<br />

Urteil Tre Traktörer, S. 24, § 62 und die Entscheidung Olbertz,<br />

s. o.). Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte und vor allem<br />

den besonderen Umständen aufgrund der Wiedervereinigung<br />

kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass der Bekl Staat seinen<br />

Ermessensspielraum nicht überschritten hat und er es mit Blick auf<br />

die verfolgten objektiven legitimen Ziele nicht versäumt hat, einen<br />

gerechten Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen des<br />

Bf und dem Allgemeininteresse der deutschen Gesellschaft vorzunehmen.<br />

Folglich ist dieser Beschwerdepunkt gemäß Art. 35 Abs. 3 der<br />

Konvention offensichtlich unbegründet.<br />

II. Verletzung von Art. 14 EMRK<br />

Zur vom Bf angeführten politischen Diskriminierung sieht der<br />

Gerichtshof unter Verweis auf seine Ausführungen zu Art 1 des 1.<br />

ZP keine eigenständige Frage gegeben, die unter dem Aspekt der<br />

Diskriminierung zu prüfen wäre. Auch insoweit wird die Beschwerde<br />

als offensichtlich unbegründet abgewiesen.<br />

Übersetzt und bearbeitet von Rechtsanwältin Dr. Michaela<br />

Wittinger z. Zt. Greffe de la Cour, EGME, Straßburg<br />

Anm.: Zum Verfahren vor dem EGMR und den Änderungen<br />

durch das 11. Reformprotokoll: Schlette, ZaöRV, 1996, 905-976; zu<br />

Art. 1 des 1. ZP in der Rspr. Straßburgs Fiedler, EuGRZ 1996,<br />

354-357; zum „unselbständigen“ Charakter des Art. 14: Frowein/<br />

Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 14, Rdnr. 2 f. u. 9;<br />

Wittinger, Familien und Frauen im regionalen Menschenrechtsschutz,<br />

Baden-Baden 1999, S. 159 - 162; zu den Bestrebungen, ein<br />

autonomes, allg. Diskriminierungsverbot in die EMRK aufzunehmen<br />

s. den Entwurf des Protokolls Nr. <strong>12</strong> zur EMRK.<br />

BGB §§ 8<strong>12</strong> ff.; § 134; StGB § 203<br />

1.War der Erwerber vor der Übertragung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />

in der übertragenen Kanzlei nicht in irgendeiner Form<br />

beschäftigt, verstößt der Kanzleiübertragungsvertrag auch dann<br />

gegen § 134 BGB i.V. m. § 203 I Nr. 3 StGB, wenn derVeräußerer<br />

nach der Übergabe der Kanzlei als freier Mitarbeiter<br />

des Erwerbers tätig ist; die Begründung einer „Außensozietät“<br />

ändert an dieser Rechtsfolge nichts.<br />

2. Ist die Rückabwicklung eines gesetzwidrigen Vertrages nicht<br />

über § 817 S 2 BGB ausgeschlossen, haften beide Vertragspartner<br />

für die Rückabwicklung gem. § 819 II BGB analog.<br />

OLG München, Urt. v. 5.5.2000 – 23 U 6086/99<br />

Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rechtsfolgen aus einem<br />

zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrag über eine Anwaltskanzlei.<br />

Der Kl, der expandieren wollte, kam Ende 1998 über einen Vermittler<br />

an den Bekl, der seit Jahren als Alleininhaber eine Anwaltskanzlei in M betrieb.<br />

Der Bekl beschäftigte als freie Mitarbeiter die ganztags arbeitenden<br />

Rechtsanwälte V und T sowie eine halbtags arbeitende Rechtsanwältin; eine<br />

weitere Rechtsanwältin war bei ihm geringfügig beschäftigt. Diesen freien<br />

Mitarbeitern wurde vom Bekl jeweils 1/3 der selbst in der Kanzlei erarbeiteten<br />

Umsätze ausbezahlt und zwar sowohl für eigene als auch für vom Bekl<br />

zugewiesene Mandate. Die Kanzleiräume waren von der F Grundbesitz<br />

GmbH & Co., M, angemietet; der Mietvertrag sah eine Laufzeit bis<br />

31.10.2000 vor. Zwischen dem <strong>12</strong>.11.1998 und dem 20.11.1998 kam es zu<br />

mehreren Telefonaten und Besprechungen der Parteien, deren Inhalt im einzelnen<br />

zwischen den Parteien umstritten ist. Bei den Gesprächen wurde dem<br />

Kl eine von der Firma O Treuhand Steuerberatungs GmbH M erstellte Gewinnermittlung<br />

für 1996 sowie von der Buchhaltung des Bekl erstellte vorläufige<br />

Einnahmen-Überschussrechnungen für 1996, 1997 sowie das erste<br />

Halbjahr 1998 vorgelegt. Aus diesen Überschussrechnungen ist im einzelnen<br />

ersichtlich, welche Umsätze durch die einzelnen Rechtsanwälte erwirtschaftet<br />

worden sind. Der Bekl erklärte dem Kl, er wolle die Kanzlei bis<br />

31.<strong>12</strong>.1998 veräußern, damit er vor der Gesetzesänderung zum 1.1.1999 den<br />

Veräußerungsgewinn noch zum halben Steuersatz versteuern könne. Weiter<br />

teilte er dem Kl mit, dass Rechtsanwalt V zum 31.<strong>12</strong>.1998 die Kanzlei verlasse,<br />

und zu einem späteren Zeitpunkt, aber noch vor Vertragsschluss, dass<br />

auch Rechtsanwalt T die Kanzlei zum 31.<strong>12</strong>.1998 verlassen werde.<br />

Am 23.11.1998 schlossen die Parteien dann einen „Kaufvertrag über<br />

eine Anwaltskanzlei“, in welchem u. a. folgende Vereinbarungen enthalten<br />

sind: § 1 Kaufgegenstand; b) Den mit der Kanzlei verbundenen sogenannten<br />

good will, insbesondere den Mandantenstamm, ... ; § 2; 1. Der Kaufpreis für<br />

die Kanzlei beträgt 1.05 Mio DM (später abgeändert auf 1,14 Mio DM), § 3


AnwBl <strong>12</strong>/2000 749<br />

Rechtsprechung l<br />

Außenverhältnis und Innenverhältnis: 1. Die Parteien sind sich darüber einig,<br />

dass ab 1.1.1999 bis 31.3.1999 im Außenverhältnis nur deswegen eine<br />

Außensozietät begründet wird, um den Mandantenstamm auf den Erwerber<br />

überzuleiten. Die Außensozietät führt auf Wunsch des Erwerbers bis auf<br />

dessen Widerruf ... den Namen Rechtsanwälte B, S, und Kollegen. 2. Im Innenverhältnis<br />

ist jedoch ab dem Stichtag der Übergabe der Erwerber Alleininhaber<br />

der Kanzlei mit allen sich hieraus ergebenden Rechten und Pflichten.<br />

3. Vom 1.1.1999 bis 31.3.1999 (später abgeändert auf 31.<strong>12</strong>.1999) wird<br />

der Veräußerer dem Erwerber weiterhin in uneingeschränktem Umfang als<br />

anwaltlicher freier Mitarbeiter zur Verfügung stehen, und zwar mit dem Ziel<br />

der Mandatsüberleitung auf den Erwerber. § 8 Mandantendaten; 2. Da die<br />

Parteien im Außenverhältnis vorübergehend eine Außensozietät begründen,<br />

gehen sie davon aus, dass eine Zustimmung der Mandanten zur Übertragung<br />

der Mandatsverhältnisse und zu dem Zugriff des Erwerbers auf die Mandantendaten<br />

und Mandatsakten nicht erforderlich ist. 3. Im Innenverhältnis wird<br />

der Erwerber jedoch mit dem Stichtag der Übergabe Eigentümer der Mandantendaten<br />

und Mandatsakten. 4. Soweit sich die Zustimmung der Mandanten<br />

zur Verwendung der Mandantendaten und Mandatsakten als erforderlich<br />

erweisen sollte, wird das Eigentum hieran vom Veräußerer lediglich aufschiebend<br />

bedingt an den Erwerber übertragen; <strong>12</strong> Schlussbestimmungen; 4.<br />

Falls einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sind, so wird hierdurch<br />

die Wirksamkeit im übrigen nicht berührt. Dies gilt insbesondere auch<br />

für eine etwaige Unwirksamkeit von § 8. Die Vertragsteile werden die ungültigen<br />

Bestimmung durch eine Regelung ersetzen, die dem wirtschaftlichen<br />

und rechtlichen Zweck der ungültigen Regelung möglichst nahe<br />

komme.<br />

Aus den Gründen: Beide Berufungen sind zulässig (§§ 511 ff.<br />

ZPO). Die Berufung des Bekl ist nicht begründet, die Berufung des<br />

Kl nur zum Teil. Der Tenor des landgerichtlichen Urteils war insoweit<br />

neu zu fassen, dass er eine Zug-um-Zug-Vollstreckung ermöglicht<br />

und einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Die Berufung des<br />

Kl hatte insoweit Erfolg, als er die Feststellung des Annahmeverzuges<br />

des Bekl begehrt hat.<br />

I. Die Berufung des Bekl ist nicht begründet. Der Bekl ist gem.<br />

§ 8<strong>12</strong> Abs. 1 1. Alternative BGB dazu verpflichtet, den durch den<br />

Kl angezahlten Kaufpreisbetrag in Höhe von 787.500 DM an den<br />

Kl zurückzuzahlen.<br />

1. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom<br />

20.11.1998 verstößt gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB und ist damit<br />

gem. § 134 BGB nichtig, § 203 StGB ist ein Verbotsgesetz im Sinn<br />

von § 134 BGB (Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl. 2000, § 134<br />

Rdnr. 22a; BGHZ 116, 268, 271; BGH NJW 1995, 2025 ff. und<br />

NJW 1999, 1404 ff.). § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt die unbefugte<br />

Offenbarung eines fremden Geheimnisses unter Strafe, sei es, dass<br />

es sich um ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis<br />

handelt oder um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis.<br />

Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist die Sicherstellung<br />

des informationellen Selbstbestimmungsrechts derjenigen Personen,<br />

die sich dem in § 203 StGB aufgezählten Personenkreis anvertrauen.<br />

Auch wenn sich § 203 StGB nur an diesen Personenkreis<br />

wendet, also ein Sonderdelikt und damit nur ein einseitiges<br />

Verbotsgesetz im Sinn von § 134 BGB darstellt, führt dies dennoch<br />

zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages, weil sonst das gesetzgeberische<br />

Ziel – Vermeidung eines gesetzwidrigen Zustandes – nicht<br />

erreicht werden könnte.<br />

Seit der Entscheidung des BVerfG – NJW 1984, 419 – ist das<br />

sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Recht des Einzelnen auf informationelle<br />

Bestimmung nicht nur anerkannt, sondern auch insoweit<br />

umrissen worden, dass personenbezogene Daten besonders zu<br />

schützen sind. Das Grundrecht des Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG gewährleistet<br />

demnach die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich<br />

selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten<br />

zu bestimmen. Es ist daher Aufgabe des Rechtsanwalts, die Zustimmung<br />

seiner Mandanten zu einer Weitergabe derartiger Daten<br />

in eindeutiger und unmissverständlicher Weise einzuholen. Zwar<br />

enthalten die Mandatsakten eines Rechtsanwalts regelmäßig nicht<br />

in demjenigen Maße intime Einzelheiten wie z. B. Behandlungsunterlagen<br />

eines Arztes, doch sind sensible Daten – wie beispielsweise<br />

im Bereich von Scheidungsangelegenheiten oder sonstigen<br />

Familien- oder Erbrechtsstreitigkeiten, aber auch im Bereich von<br />

Geschäfts- und Dienstgeheimnissen – durchaus häufig. So hat der<br />

BGH in NJW 1995, 2026 ff. für Rechtsanwaltskanzleien und in<br />

NJW 1996, 2087 ff. für Steuerberaterkanzleien entschieden, dass<br />

sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft bei<br />

Kanzleiübertragungen unwirksam sind, wenn die Mandanten der<br />

Übergabe der sie betreffenden Mandatsakten nicht zugestimmt<br />

haben. Zwar erfüllt in diesen Fällen das Verpflichtungsgeschäft<br />

nicht den objektiven Tatbestand des § 203 StGB, weil im Kaufvertrag<br />

selbst kein Geheimnis offenbart wird, doch führt die Zielsetzung<br />

des Verbotsgesetzes gegen das Erfüllungsgeschäft dazu, dass<br />

grundsätzlich auch das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft<br />

gem. § 134 BGB nichtig ist – BGH NJW 1995, 2026, 2027. Da es<br />

sich bei § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB um eine dem Schutz eines<br />

höchstpersönlichen Rechtsgutes dienende Strafvorschrift handelt,<br />

bedarf es auch nicht eines bewussten Verstoßes beider Vertragsparteien<br />

gegen das Verbotsgesetz – BGHZ 116, 268, 277; BGH NJW<br />

1995, 2026, 2027.<br />

Eine ausdrückliche Einwilligung der Mandanten des Bekl in die<br />

Aktenübergabe an den Kl lag weder beim Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes<br />

am 20.11.1998 noch bei der faktischen Übergabe<br />

der Kanzlei am 4.1.1999 vor. Durch die Übertragung der Kanzlei<br />

auf den Kl, der bis zum Zeitpunkt der Übergabe der Kanzlei als<br />

Dritter gegenüberstand, sind die Geheimnisse, die die Mandanten<br />

dem Bekl anvertraut hatten, ohne ihr Zutun an den Kl, und damit<br />

an einen Dritten, weitergegeben worden. Es kann insoweit auch<br />

nicht von einer konkludenten Einwilligung der Mandanten ausgegangen<br />

werden. Zwar ist die frühere Rechtsprechung grundsätzlich<br />

von einer konkludenten Einwilligung der Mandanten ausgegangen,<br />

weil die Fortführung der Kanzlei oder einer Praxis in ihrem Interesse<br />

liegen sollte, doch widerspricht diese Rechtsprechung dem<br />

Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Mandanten, der<br />

selber bestimmen darf, wem er seine Daten anvertrauen möchte<br />

und wem nicht. Da dem Mandanten die Entscheidungsbefugnis zusteht,<br />

muss er vor der Weitergabe seiner Daten, und damit vor der<br />

Weitergabe der Mandatsakten, die Möglichkeit haben, die Vor- und<br />

Nachteile dieser Weitergabe zu überprüfen und zu durchdenken.<br />

2. Der Nichtigkeit des Kaufvertrages steht auch nicht die in<br />

Nr. 3.3 getroffene vertragliche Regelung entgegen, dass der Bekl<br />

als freier Mitarbeiter zum Zwecke der Mandatsüberleitung in der<br />

Kanzlei des Kl weiter mitarbeiten sollte.<br />

Der Bekl hat sich darauf berufen, dass durch diese Regelung<br />

eine sogenannte sanfte Kanzleiübernahme stattfinden sollte, die<br />

keinen Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB darstelle. Er ist der<br />

Auffassung, da er als freier Mitarbeiter in der Kanzlei geblieben<br />

sei, sei die von der Rechtsprechung geforderte Kontinuität und konkludente<br />

Einwilligung der Mandanten in die Übertragung der sie<br />

betreffenden Akten gewahrt. Der BGH hat es in NJW 1995, 2025,<br />

2026 für zulässig angesehen, dass angestellte rechtskundige Mitarbeiter<br />

die Angelegenheiten des Rechtsanwalts besorgen. In ZIP<br />

2000, 515, 516 ist letztmals durch den BGH bestätigt worden, dass<br />

ein Mandant, der eine aus mehreren Anwälten bestehende Sozietät<br />

mit einem Mandat beauftragt, konkludent durch diese Beauftragung<br />

seine Einwilligung dahin erteilt, dass alle an der Sozietät beteiligten<br />

Anwälte den Fall bearbeiten können; die Aufnahme neuer<br />

Sozien in eine Gesellschaft ist nach BGH NJW 1994, 257 kein Verstoß<br />

gegen § 203 StGB, weil sich das bereits angenommene Mandat<br />

regelmäßig auf sie erstreckt. Deshalb ist auch die Aufnahme<br />

neuer Sozien, eine Anwaltsfusion oder die Kanzleiveräußerung an<br />

einen bereits in der Kanzlei mitarbeitenden Rechtsanwalt kein Geheimnisverrat<br />

– LG Darmstadt, NJW 1994, 2962. Der Grund für<br />

diese Rechtsprechung liegt darin, dass ein Mandant, der eine Sozietät<br />

und damit mehrere Rechtsanwälte mit der Bearbeitung beauftragt,<br />

damit einverstanden ist, dass die anvertrauten Geheimnisse<br />

untereinander ausgetauscht werden. Bei der Beschäftigung freier<br />

Mitarbeiter ohne Vorliegen eines Sozietätsverhältnisses muss der<br />

Mandant ebenfalls damit rechnen und darin einwilligen, dass das<br />

Mandat arbeitsteilig und damit auch durch Mitarbeiter erledigt<br />

wird. Er weiß in allen diesen Fällen bei der Mandatserteilung, dass<br />

seine persönlichen Daten von mehreren Personen zur Kenntnis genommen<br />

werden.<br />

Bei der Aufnahme eines neuen Mitarbeiters, eines Sozius oder<br />

einer Kanzleifusion, bei der mehrere Rechtsanwälte ihre Kanzleien<br />

zusammenlegen, weiß der Mandant bei der Mandatserteilung allerdings<br />

nicht, dass seine persönlichen Daten außer den ihm bekannten<br />

Rechtsanwälten, sei es als Sozien, sei es als Mitarbeiter, weiteren<br />

neu hinzukommenden Rechtsanwälten bekannt werden. Es<br />

bleibt aber derjenige Rechtsanwalt, dem der Mandant seine persönlichen<br />

Daten anvertraut hat, weiter verantwortlich in der Kanzlei.<br />

Der Mandant kann daher auch in diesen Fällen darauf vertrauen,<br />

dass dieser Rechtsanwalt seine Daten nur dann und nur unter den<br />

Umständen weitergeben wird, die die Rechte des Mandanten schüt-


750<br />

l<br />

zen. Wenn aber der Rechtsanwalt, welchem der Mandant ursprünglich<br />

seine Geheimnisse anvertraut hat, als Verantwortlicher aus der<br />

Kanzlei ausscheidet, hat der Mandant diese Gewähr nicht mehr,<br />

weil derjenige Vertragspartner ausscheidet, der dafür vertraglich<br />

nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Pflicht übernommen hat.<br />

Auf dieser Linie hat der BGH in seiner Entscheidung NJW 1995,<br />

2026, 2027 eine Fallgestaltung, in welcher der Erwerber zwar zum<br />

amtlichen Vertreter des Veräußerers bestellt worden war, aber vorher<br />

nicht in der Kanzlei tätig war, als nicht ausreichend angesehen,<br />

weil die Befugnisse eines amtlichen bestellten Vertreters im Gegensatz<br />

zu einem Alleininhaber durch Dauer und Zweck der Aufgabe<br />

begrenzt sind. Aus diesem Grund kann auch eine vertragliche<br />

Bestimmung, nach welcher der Bekl als freier Mitarbeiter in der<br />

Kanzlei weiterarbeiten sollte, zu keinem anderen Ergebnis führen.<br />

Nach dem Wortlaut des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages<br />

sollte der Bekl als derjenige Rechtsanwalt, dem die Mandanten<br />

ihre Geheimnisse anvertraut hatten, die Kanzlei und die Akten<br />

vollständig an den Kl übergeben. Es war damit nicht mehr gewährleistet,<br />

dass der Bekl nach dem Vertragswortlaut die Befugnis haben<br />

würde, alleine über die Mandantenakten zu befinden. Vielmehr<br />

hatte die alleinige Verfügungsbefugnis nun der Kl, der ohne weiteres<br />

auf die Mandantenakten Zugriff nehmen konnte. Darin liegt<br />

auch der Unterschied zu den Kanzleifusionsverträgen oder den<br />

Sozius-Aufnahmeverträgen. In diesen Fällen ist nämlich die Entscheidungsbefugnis<br />

des ursprünglichen Rechtsanwalts immer noch<br />

erhalten, da er keine abhängige Stellung einnimmt, so dass der<br />

Mandantenschutz grundsätzlich gewährleistet ist. Ob nach außen<br />

eine Sozietät vorgetäuscht ist, die den inneren Verhältnissen nicht<br />

entspricht, kann demgegenüber keine Rolle spielen. Durch den<br />

Briefkopf wurde zwar bei den Mandanten der Eindruck erweckt,<br />

dass die aufgeführten Rechtsanwälte sich zu einer Sozietät – also<br />

zu einer BGB-Gesellschaft – zusammengeschlossen hatten, doch<br />

entsprach dieser Rechtsschein nicht der Wirklichkeit, da der Kl<br />

Alleininhaber werden sollte. Für die Frage, ob die Mandanteninteressen<br />

und der Schutz ihrer persönlichen Daten ausreichend gewahrt<br />

sind, kommt es aber auf die tatsächliche Verfügungsbefugnis<br />

und nicht auf eine vorgetäuschte Verfügungsbefugnis an, mag diese<br />

auch haftungsmäßig zu Konsequenzen führen. Darum kommt es<br />

auch nicht darauf an, ob der Übertragende den Erwerber eine<br />

Sekunde oder eine Minute vor Kanzleiübertragung als Mitarbeiter<br />

oder Sozius aufnehmen könnte, denn auch diese Fallgestaltung<br />

würde der Senat genauso wie die streitgegenständliche Vertragsgestaltung<br />

als Umgehungsgeschäft ansehen, weil bei allen diesen<br />

Varianten der Schutz des Mandanten nicht gewährleistet ist, sondern<br />

durch nicht in seinem Interesse liegende Vertragskonstruktionen<br />

umgangen wird.<br />

3. Die Klausel 3.3 ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass<br />

eine Übergabe der Mandantenakten nur insoweit an den Kl erfolgen<br />

sollte, wie der Bekl durch seine Mitarbeit eine Überleitung erzielt<br />

hatte. Bei einem derartigen Regelungsgehalt wäre das informationelle<br />

Selbstbestimmungsrecht der Mandanten nicht verletzt,<br />

weil dann sichergestellt ist, dass ohne Zustimmung der Mandanten<br />

zu einer Bearbeitung ihrer Fälle durch einen anderen Rechtsanwalt<br />

eine Weitergabe der sie betreffenden Akten und damit auch der sie<br />

betreffenden Daten nicht erfolgt, siehe BGH NJW 1999, 1404,<br />

1406. Der streitgegenständliche Kaufvertrag enthält eine solche<br />

ausdrückliche Klausel nicht. Eine Auslegung der Nr. 3.3 in diese<br />

Richtung ist ebenfalls nicht möglich, weil eine solche Auslegung<br />

dem restlichen Vertragsinhalt widersprechen würde. Denn Kaufgegenstand<br />

ist ausdrücklich der Mandantenstamm, § 1b, der Kaufpreis<br />

in Höhe von 900.000 DM – § 2.2 – betrifft diese immateriellen<br />

Vermögensgegenstände und gem. § 3.2 ist im Innenverhältnis<br />

der Kl ab Stichtag Alleininhaber der Kanzlei und damit auch<br />

alleine zugriffsberechtigt und weisungsbefugt bezüglich der<br />

Mandantenakten. Dies ist nochmals unter § 8.2 ausdrücklich mit<br />

der Formulierung „der Erwerber wird ab Stichtag ... Eigentümer<br />

der Mandantendaten und Mandatsakten“ klargestellt. Außerdem<br />

stellen die Parteien an dieser Stelle fest, dass eine Zustimmung der<br />

Mandanten zur Übertragung der Mandatsverhältnisse und für den<br />

Zugriff des Kl auf die Mandatsdaten und Mandatsakten nicht erforderlich<br />

ist, er also jederzeit Zugriff auf die Daten nehmen kann.<br />

Eine Auslegung der Worte in § 3.3 „mit dem Ziel der Mandatsüberleitung“<br />

in einen Regelungsgehalt, dass der Kl nur dann auf<br />

die Mandatsakten zugreifen darf, wenn die Mandanten zugestimmt<br />

haben, würde in diametralem Widerspruch zu allen anderen vertraglichen<br />

Regelungen stehen und damit dem Willen der Parteien<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

bei Vertragsschluss auch nicht entsprechen. Eine solche Auslegung<br />

konnte vor allem den Willen des Bekl nicht treffen, da er aus steuerlichen<br />

Gründen seine Kanzlei bis 31.<strong>12</strong>.1998 vollständig aufgeben<br />

musste. Eine Regelung, dass Mandantenakten nur unter bestimmten<br />

Umständen an den Kl übertragen werden konnten, kann<br />

damit nicht von ihm gewollt gewesen sein. Für den steuerlichen<br />

Vorteil war die völlige Übertragung der Kanzlei erforderlich. Der<br />

Bekl kann sich nicht gegenüber der Steuerforderung darauf berufen,<br />

dass er die Kanzlei völlig aufgegeben habe, und gegenüber<br />

den Zivilgerichten, dass er die Kanzlei nicht vollständig aufgegeben<br />

habe. Wenn der Bekl den Steuervorteil haben wollte, war dieses<br />

widersprüchliche Verhalten nicht möglich.<br />

Es kommt hinzu, dass auch der objektive Wortlaut wenig für<br />

eine derart weitreichende Auslegung hergibt. So ist zu berücksichtigen,<br />

dass bei einer derartig weiten Auslegung die Gefahr drohen<br />

würde, dass der Vertrag wegen überhöhten Kaufpreises gem. § 138<br />

Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit ebenfalls nichtig wäre. Denn<br />

dann hätte der Kl für einen Gesamtbetrag von 900.000 DM letztlich<br />

nur die Chance erworben, eine noch unbestimmte Anzahl von<br />

Mandatsakten zu erhalten. Auch die Klausel 8.4 führt aus den angegebenen<br />

Gründen nicht zur Wirksamkeit des Vertrages. Einerseits<br />

würde die aufschiebend bedingte Eigentumsübertragung der<br />

Intention des Bekl widersprechen, die Steuervorteile zu erlangen;<br />

andererseits ändert die aufschiebend bedingte Übereignung weder<br />

etwas an der faktischen Zugriffsmöglichkeit des Kl auf die Mandantenakten<br />

– die solange gegeben ist, wie das Zustimmungserfordernis<br />

der Mandanten von den Parteien nicht anerkannt worden<br />

ist – noch an der dann drohenden Rechtsfolge der Nichtigkeit wegen<br />

§ 138 I BGB, da wiederum eine weit überhöhte Zahlung stattgefunden<br />

hätte.<br />

4. Die Neuregelung des § 49b Abs. 4 S. 1 BRAO steht diesem<br />

Ergebnis nicht entgegen.<br />

Zwar regelt diese Vorschrift, dass im Gegensatz zu der früheren<br />

Rechtsprechung eine Abtretung von Honorarforderungen von einem<br />

Rechtsanwalt an einen anderen Rechtsanwalt ohne Zustimmung<br />

der Mandanten möglich und wirksam ist. § 49b BRAO regelt<br />

aber nur den Fall der Honorarabtretung. Im Gegensatz zum<br />

LG Baden-Baden, NJW-RR 1998, 202 ff. ist der Senat der Auffassung,<br />

dass diese Vorschrift nicht auf den Vorgang der Übergabe der<br />

gesamten Kanzlei und damit der Mandantenakten übertragen werden<br />

kann. Aus § 49b Abs. 4 BRAO kann zwar der Grundgedanke<br />

entnommen werden, dass die Übertragung auf einen Vertragspartner,<br />

der seinerseits der Schweigepflicht unterliegt, einer Forderungsabtretung<br />

nicht entgegengesetzt werden kann. Der Geltendmachung<br />

der Forderung durch den Abtretungsempfänger ist im<br />

Regelfall auch die Einsicht in die Mandatsakten immanent. Doch<br />

im Gegensatz zu der Übergabe der Mandantenakten setzt der Mandant,<br />

der seine Rechnung nicht bezahlt, selbst einen Verursachungsbeitrag<br />

zur Abtretung der ihm gegenüber bestehenden Forderung.<br />

Er ist damit weniger schutzwürdig als ein Mandant, der<br />

einen Rechtsanwalt zur Beratung aufsucht. Auch wird zur Geltendmachung<br />

der Forderung nicht ein derart tiefer Blick in die Mandatsakten<br />

erforderlich sein wie zur weiteren Beratung eines Mandanten,<br />

der einen Prozess führen oder bei einem Vertragsschluss<br />

beraten werden will. Auch wenn der Rechtsanwalt, dem die Kanzlei<br />

übertragen wird, gleichfalls der Verschwiegenheitspflicht unterliegt,<br />

ist es doch Sache des Mandanten, sich demjenigen Geheimnisträger<br />

anzuvertrauen, den er für geeignet hält. Es geht nicht nur<br />

darum, dass die Verschwiegenheit auf jeden Fall gewahrt ist, sondern<br />

darum, dass der betreffende Mandant darüber bestimmen<br />

kann, welchem Verschwiegenheitsverpflichteten er sich anvertrauen<br />

will und welchem nicht. Mögen auch alle Ärzte bzw. Rechtsanwälte<br />

zur Verschwiegenheit verpflichtet sein, so will man sich<br />

doch nicht jedem gleichermaßen anvertrauen.<br />

5. Die salvatorische Klausel des § <strong>12</strong>.4 des Vertrages führt hier<br />

nicht dazu, dass der restliche Vertrag wirksam ist. Die Einigung<br />

über die Übertragung der Mandantenakten betrifft den eigentlichen<br />

Vertragsgegenstand; dies zeigt schon die Höhe des darauf anzurechnenden<br />

Kaufpreises. Trotz des Wortlautes der Klausel kann daher<br />

nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Rest<br />

des Vertrages gewollt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass der<br />

Hauptinhalt des Vertrages – die Übertragung des Mandantenstammes<br />

– nichtig ist. Denn der Erwerb des Mobiliars etc. hatte nur<br />

dann einen Sinn, wenn in den Räumen und mit der Einrichtung<br />

auch die Anwaltskanzlei in dem bestehenden Mandatsumfang


AnwBl <strong>12</strong>/2000 751<br />

Rechtsprechung l<br />

betrieben werden konnte. Weder der Kl noch der Bekl hätten ein<br />

Interesse an diesem verbleibenden Rumpfvertrag: der Kl könnte<br />

ohne Mandantenakten die Kanzlei nicht betreiben und der Bekl<br />

könnte den von ihm angestrebten Steuervorteil nicht erreichen.<br />

6. Der Bekl kann der Rückabwicklung des Kaufvertrages auch<br />

nicht § 242 BGB entgegenhalten. Selbst wenn der Kl für einen<br />

Zeitraum von sechs Monaten und der Bekl bis heute von der Wirksamkeit<br />

des Vertrages ausgegangen sein sollten und der Kl – was<br />

allerdings bestritten ist – die vorformulierten Vertragsbestimmungen<br />

zur Verfügung gestellt haben sollte, ist eine Einwendung gem.<br />

§ 242 BGB für den Bekl nicht möglich. Zum einen würde damit<br />

ein Rechtsgeschäft als wirksam behandelt werden müssen, welches<br />

nicht zum Schutz der Parteien, sondern zum Schutz Dritter nichtig<br />

ist, und zum anderen trägt nicht der Kl alleine die Verantwortung<br />

für die Unwirksamkeit. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die<br />

Nichtigkeit des Vertrages von niemandem geltend gemacht worden<br />

wäre, wenn die Kanzlei so gelaufen wäre, wie sich der Kl dies vorgestellt<br />

hatte. Das liegt aber daran, dass über § 203 StGB Rechte<br />

Dritter und nicht Rechte der Vertragsparteien geschützt werden. In<br />

diesen Fällen kann eine Berufung auf § 242 BGB nur dann möglich<br />

sein, wenn trotz des leerlaufenden Schutzes Dritter aufgrund<br />

eines extrem treuwidrigen Verhaltens einer Partei ein Festhalten am<br />

Vertrag nicht akzeptabel wäre. Davon kann hier keine Rede sein.<br />

7. Der Bereicherungsanspruch des Kl ist auch nicht deshalb<br />

ausgeschlossen, weil die Kanzlei in dem Zustand, in welchem sie<br />

ihm am 4.1.1999 übergeben worden ist, nicht mehr existiert. Da<br />

der Vertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig<br />

ist, ist er über § 8<strong>12</strong> BGB rückabzuwickeln. Die Rückabwicklung<br />

ist nicht gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Zwar haben beide<br />

Parteien gegen das gesetzliche Verbot verstoßen, die Verweigerung<br />

der Rückabwicklung würde aber bedeuten, dass der gesetzwidrige<br />

Zustand, der nicht die Vertragsparteien, sondern Dritte schützen<br />

will, aufrechterhalten würde.<br />

Der Kl, dem derselbe Gesetzesverstoß vorzuwerfen ist wie dem<br />

Bekl und der sich ab Juli 1999 selbst auf die Unwirksamkeit des<br />

Vertrages berufen hat, haftet dem Bekl gegenüber für die Rückgabe<br />

der Kanzlei gem. §§ 818 Abs. 2, 819 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Zwar<br />

greift § 819 Abs. 2 BGB grundsätzlich nur dann ein, wenn der Gesetzesverstoß<br />

nur den Empfänger trifft. Bei beiderseitigem Verstoß,<br />

bei welchem § 817 S. 2 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist,<br />

wird § 819 Abs. 2 BGB entsprechend angewendet. Da die Sanktion<br />

des § 817 S. 2 BGB ausscheidet, kann die Sanktion bei beiderseitigem<br />

Gesetzesverstoß nur darin bestehen, dass möglichst derjenige<br />

Zustand wiederhergestellt wird, der vor dem gesetzeswidrigen Vertrag<br />

bestand. Das bedeutet, dass beide Parteien dem jeweiligen<br />

Vertragspartner verschärft gem. § 819 Abs. 2 BGB haften, siehe<br />

Münchener Kommentar – Wieb, 2. Aufl., § 819 Rdnr. <strong>12</strong>. Die verschärfte<br />

Haftung trifft damit auch den Kl. Ist der Kl daher nicht<br />

mehr dazu in der Lage, die Kanzlei und die damit verbundenen<br />

Gegenstände zurückzugeben, muss er über § 818 Abs. 2 BGB<br />

Wertersatz leisten. Wenn also beide Vertragspartner verschärft haften,<br />

um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, kann die<br />

Rückabwicklung nicht ausgeschlossen sein, weil keine der gesetzwidrig<br />

handelnden Vertragsparteien Gefahr läuft, ihre Ansprüche<br />

zu verlieren. Eine Verurteilung zur Rückabwicklung ist deshalb<br />

möglich, siehe BGH ZIP 2000, 460.<br />

8. Der Antrag des Bekl, die dem Kl zur Sicherung der Zwangsvollstreckung<br />

erlaubte Stellung einer Bankbürgschaft dahingehend<br />

abzuändern, dass statt der D entweder eine der drei Großbanken<br />

oder eine Bank, deren Bonität durch öffentliche Sicherheit gesichert<br />

ist, die Bürgschaft zu stellen habe, war zurückzuweisen.<br />

Sinn der Sicherheitsleistung ist es, einen möglichen Schadensersatzanspruch<br />

des Vollstreckungsschuldners gegen den Vollstrekkungsgläubiger<br />

bei einer Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen<br />

Entscheidung zu sichern, §§ 717 Abs. 2, 709, 108 ZPO.<br />

Deshalb sieht § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO in erster Linie als Sicherheit<br />

die Hinterlegung in Geld oder Wertpapieren vor. Eine Bürgschaftserklärung<br />

kann nur dann dieselbe Sicherheit bieten wie eine Hinterlegung,<br />

wenn die Bürgschaftserklärung von derselben Qualität<br />

ist, der Vollstreckungsschuldner also davon ausgehen kann, dass<br />

das Vermögen der Bank auf jeden Fall die Summe der Sicherheitsleistung<br />

abdeckt. Gem. § 239 Abs. 1 BGB ist ein Bürge dann tauglich,<br />

wenn er ein der Höhe der zu leistenden Sicherheit angemessenes<br />

Vermögen besitzt. Großbanken, Sparkassen und auch Volksban-<br />

ken sollten daher von vornherein zu dem Kreis geeigneter Bürgen<br />

zählen, siehe Palandt-Heinrichs, § 239 Rdnr. 1; Thomas-Putzo,<br />

ZPO, 22. Aufl. 2000, § 108 Rdnr. 10. Aus dem Gesetzeszweck ist<br />

aber eine Beschränkung in dieser Hinsicht nicht erforderlich. Ausreichend<br />

ist, dass eine ausreichende Vollstreckbarkeit in das Vermögen<br />

der Bank sichergestellt ist, siehe Baumbach-Lauterbach-<br />

Hartmann, 58. Aufl. 2000, § 108 Rdnr. 7; Zöller-Herget, ZPO,<br />

21. Aufl., § 108 Rdnr. 7. Anhaltspunkte dafür, dass das Vermögen<br />

von D die Vollstreckung wegen eines etwaigen Schadensersatzanspruches,<br />

der zwar hoch, aber nicht extrem hoch ist, nicht ermöglichen<br />

würde, liegen nicht vor und sind vom Bekl auch nicht<br />

vorgetragen worden.<br />

II. Berufung des Kl<br />

Die Berufung des Kl war insoweit zurückzuweisen, als er sich<br />

gegen die Zug-um-Zug-Verurteilung wendet und er eine unbedingte<br />

Verurteilung des Bekl erreichen will.<br />

1. Durch die Nichtigkeit des Vertrages ist der Kl nicht von seiner<br />

eigenen Pflicht zur Rückabwicklung des Vertrages befreit worden.<br />

Der Bekl ist grundsätzlich zur Ausübung seines Zurückbehaltungsrechtes<br />

bis zur Rückgabe der zur Kanzlei gehörenden<br />

Gegenstände berechtigt, weil der Kl insoweit, auch wenn die<br />

Gegenstände nicht mehr vorhanden sein sollten, gem. §§ 818<br />

Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet. Der Kl kann sich nicht<br />

gem. § 818 Abs. 3 auf eine Entreicherung berufen. Er selbst hat<br />

sich bereits im Juli 1999 auf die Unwirksamkeit des Kaufvertrages<br />

berufen, er ist also ab diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass<br />

er die Kanzlei an den Bekl zurückzugeben hatte. Diese Rückabwicklung<br />

kann entgegen der Ansicht des Kl nicht nach der Saldotheorie<br />

erfolgen. Die Anwendung der Saldotheorie würde dazu<br />

führen, dass im Endergebnis der gesetzwidrige Zustand beibehalten<br />

würde, nämlich der Kl die ihm ohne Zustimmung der Mandanten<br />

überlassenen Mandatsakten weiter behalten und nur der überschießende<br />

Betrag nach einer Gesamtverrechnung vom Bekl zurückfordern<br />

könnte. Dieses Ergebnis würde dem Gesetzeszweck, dem<br />

Schutz der Dritten, der nicht am Prozess beteiligten Mandanten,<br />

zuwiderlaufen. Es muss also insoweit eine Rückabwicklung in Natur,<br />

also nach der Zwei-Kondiktionen-Theorie erfolgen. Da sich der<br />

Bekl auch auf seine Rückgewähransprüche berufen hat und er insoweit<br />

sein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB geltend gemacht<br />

hat, konnte nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung ausgesprochen werden.<br />

2. Insoweit wurde der Tenor des landgerichtlichen Urteils allerdings<br />

in Ziffer II. neu gefasst, da er in der vorliegenden Form nicht<br />

vollstreckungsfähig war. Der Bekl hat als derjenige, der sich auf<br />

das Zurückbehaltungsrecht beruft, die Darlegungs- und Substantiierungslast<br />

zu tragen. Dieser Verpflichtung ist der Bekl in seinen Berufungsschriftsätzen<br />

nachgekommen. Dementsprechend steht ihm<br />

ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der in seinen Schriftsätzen<br />

aufgeführten Gegenstände zu. Ob und inwieweit der Kl im jetzigen<br />

Zeitpunkt noch eine Herausgabe dieser Gegenstände bewirken<br />

kann, ist unerheblich. Eine Verurteilung des Kl wäre gemäß der<br />

Rechtsprechung – siehe letztmals BGH ZIP 2000, 460 ebenfalls<br />

möglich, weil er verschärft haftet.<br />

Das Zurückbehaltungsrecht des Bekl ist auch nicht dadurch<br />

ausgeschlossen, dass der Kl den Vertrag zusätzlich wegen arglistiger<br />

Täuschung gem. § <strong>12</strong>3 BGB angefochten hat. Zum einen hat<br />

der Senat schon Zweifel an der arglistigen Täuschung. Denn unbestritten<br />

hat der Bekl das Ausscheiden beider Rechtsanwälte jedenfalls<br />

vor Vertragsunterzeichnung erklärt, alle Umsatzzahlen und<br />

Auswertungen lagen auf dem Tisch, aus denen sich nicht nur die<br />

monatlichen Betriebsergebnisse, sondern auch die Umsatzanteile<br />

der ausscheidenden Rechtsanwälte T und V ergaben. Der Kl wusste<br />

also mit Ausnahme der – bestrittenen – Tatsache, wie viele Mandate<br />

die Rechtsanwälte V und T bei ihrem Ausscheiden mitnehmen<br />

würden, über die Verhältnisse der Kanzlei Bescheid. Des weiteren<br />

widersprechen sich die Angaben des Kl zu den Mandaten, die die<br />

beiden ausscheidenden Rechtsanwälte mitgenommen haben sollen.<br />

Während im Anfechtungsschreiben vom Juli 1999 noch von 249<br />

Mandaten die Rede ist, ist diese Zahl im Laufe des Verfahrens auf<br />

2/3 der gesamten Aktenzahl angestiegen. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen,<br />

dass dem Kl bekannt sein musste, dass freie Mitarbeiter<br />

üblicherweise „ihre eigenen“ Mandanten mitnehmen können<br />

bzw. die Mandanten entsprechend angeschrieben werden.<br />

Aber selbst wenn eine arglistige Täuschung in diesem Punkt<br />

vorliegen sollte, würde der Kl nur dann von einer Rückgabe der


752<br />

l<br />

übertragenen Kanzlei befreit werden, wenn ihn kein Verschulden<br />

am Untergang der Kanzlei treffen würde. Dies ist schon deshalb<br />

zweifelhaft, weil der Bekl nach dem Vertragswortlaut schon nicht<br />

dazu verpflichtet war, seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der<br />

Kanzlei zu stellen, so dass der Kl jetzt nicht im Widerspruch zum<br />

Vertragswortlaut die alleinige Verantwortung auf den Bekl abschieben<br />

kann. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Vertrag bereits<br />

wegen Gesetzesverstoßes nichtig ist. Dass zusätzlich möglicherweise<br />

eine arglistige Täuschung vorliegt, kann nicht zur Befreiung<br />

von der Rückabwicklung führen, da am Gesetzesverstoß der Kl genauso<br />

wie der Bekl beteiligt war, sondern höchstens dazu, dass<br />

möglicherweise zusätzliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht<br />

werden können. Soweit der Kl hier Schadensforderungen<br />

vorgetragen hat, konnten diese wegen des völlig unzureichend substantiierten<br />

Vortrags nicht berücksichtigt werden.<br />

3. Die Zug-um-Zug-Verurteilung ist auch nicht dadurch ausgeschlossen,<br />

dass sich der Bekl hinsichtlich der Rücknahme der<br />

Kanzlei im Annahmeverzug befindet. Der Annahmeverzug führt<br />

nur zu einer Vollstreckungserleichterung gem. § 274 Abs. 2 BGB,<br />

nicht aber zur Aufhebung eines Zurückbehaltungsrechts, siehe<br />

BGHZ 90, 354, 358; 116, 244, 248.<br />

4. Auf Antrag des Kl war aber festzustellen, dass sich der Bekl<br />

mit seiner Verpflichtung, die Rechtsanwaltskanzlei zurückzunehmen,<br />

in Annahmeverzug befindet.<br />

Ein unzulässiger Berufungsangriff liegt in diesem Antrag des<br />

Kl nicht, weil die beantragte Feststellung, die eine Vollstreckung<br />

aus dem Urteil ohne weiteres Leistungsangebot ermöglichen soll,<br />

im Hauptberufungsantrag des Kl auf Beseitigung der Zug-um-Zug-<br />

Verpflichtung bereits als minus enthalten ist, § 264 Nr. 2 ZPO. Es<br />

liegt also keine Klageerweiterung, sondern ein eingeschränkter<br />

Klageantrag vor.<br />

Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag,<br />

weil die Feststellung des Annahmeverzuges im Urteilstenor die vorläufige<br />

Vollstreckung aus dem Urteil ohne nochmaliges Angebot<br />

der Leistung des Vollstreckungsgläubigers gem. § 756 Abs. 1 ZPO<br />

ermöglicht. Wegen der Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages<br />

waren beide Parteien zur Rückabwicklung verpflichtet; der Kl hatte<br />

dem Bekl den Besitz an den zur Kanzlei gehörenden Gegenständen<br />

und Akten wieder zu verschaffen. Solange der Kl dem Bekl diese<br />

Besitzeinräumung nicht angeboten hat, durfte der Bekl gem. § 273<br />

BGB die Rückzahlung der angezahlten Kaufpreisrate zurückhalten.<br />

Der Bekl befindet sich aber seit 17.<strong>12</strong>.1999 mit seiner Rücknahmepflicht<br />

in Annahmeverzug, § 293 BGB. Der Kl hat den Bekl<br />

mehrfach dazu aufgefordert, die Kanzlei zurückzunehmen. Da der<br />

Bekl wegen der Nichtigkeit sowohl des Verpflichtungs- als auch<br />

des Erfüllungsgeschäftes Eigentümer der Kanzleigegenstände und<br />

Mandatsakten geblieben war, genügte für die Besitzeinräumung<br />

gem. § 294 BGB ein Angebot in Form eines wörtlichen Angebotes<br />

gem. § 295 BGB, weil zum Wiederergreifen des Besitzes eine<br />

Handlung des Bekl erforderlich war. Allerdings musste ein solches<br />

Angebot der geschuldeten Leistung entsprechen und konkret sein.<br />

Durch das Schreiben vom 13.7.1999 der Prozessbevollmächtigten<br />

des Kl ist der Bekl noch nicht in Annahmeverzug geraten, da mit<br />

diesem Schreiben der Bekl zwar zur Rückzahlung von 787.500<br />

DM aufgefordert worden ist sowie zur Freistellung von allen<br />

monatlichen Kanzleikosten über 20.000 DM, ein Angebot zur Gesamtrückgabe<br />

der Kanzlei in diesem Schreiben aber gerade nicht<br />

erblickt werden kann, wie schon die eingeschränkte Freistellungsforderung<br />

zeigt. Erst im nächsten Schreiben vom 10.<strong>12</strong>.1999 ist<br />

eine konkrete Aufforderung zur Rücknahme der Rechtsanwaltskanzlei<br />

enthalten. Unter Zustellung der Prozessbürgschaft hat der<br />

Kl in diesem Schreiben dem Bekl die Rückgabe der Kanzlei angeboten<br />

und den Bekl zur Nennung eines Übergabetermins aufgefordert.<br />

Die Rückgabe der Kanzlei entsprechend diesem Schreiben<br />

hat der Bekl dadurch abgelehnt, dass er einerseits die Kanzlei am<br />

Wochenende 18.<strong>12</strong>./19.<strong>12</strong>.1999 verlassen und durch seinen Prozessbevollmächtigten<br />

mit Schreiben vom 20.<strong>12</strong>.1999 keinen Übergabetermin<br />

benannt hat, sondern den Kl zur Weiterbearbeitung der<br />

Mandate aufgefordert und die Mandanten durch Rundschreiben<br />

darüber informiert hat, dass er sich aus der Tagesarbeit der Kanzlei<br />

zurückziehen werde. Das weitere Angebot vom 20.1.2000 war damit<br />

nicht mehr erforderlich, weil der Bekl durch den Auszug aus<br />

der Kanzlei deutlich gemacht hatte, dass er zu einer Rücknahme<br />

der Kanzlei nicht willens war.<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

5. Der Annahmeverzug des Bekl ist auch nicht gem. § 297<br />

BGB deshalb ausgeschlossen, weil die Vermieterin der Kanzleiräume<br />

am 13.<strong>12</strong>.1999 wegen der offenen Mietforderungen ihr Vermieterpfandrecht<br />

gem. § 559 BGB ausgeübt hat. Gem. § 559 BGB<br />

besteht das Vermieterpfandrecht nur an den vom Mieter eingebrachten<br />

Sachen, die in seinem Eigentum stehen. Da wegen der<br />

Nichtigkeit auch des dinglichen Geschäfts aber der Bekl Eigentümer<br />

der Kanzleigegenstände geblieben war, konnte die Vermieterin<br />

kein Pfandrecht an den Gegenständen erwerben. An den Mitarbeiterverträgen<br />

und an dem good will der Kanzlei konnte schon<br />

deshalb kein Vermieterpfandrecht entstehen, weil es sich insoweit<br />

um keine Sachen im Sinn des § 90 BGB handelt.<br />

Die Vermieterin konnte auch nicht gutgläubig ein Vermieterpfandrecht<br />

erwerben. Das Vermieterpfandrecht ist ein besitzloses<br />

gesetzliches Pfandrecht, auf welches die Bestimmungen über<br />

rechtsgeschäftliche Pfandrechte, §§ <strong>12</strong>57 ff. BGB, anzuwenden<br />

sind mit Ausnahme derjenigen Bestimmungen, die den unmittelbaren<br />

Besitz des Pfandgläubigers voraussetzen. Daraus folgt, dass<br />

ein gutgläubiger Erwerb eines Vermieterpfandrechts an nicht dem<br />

Mieter gehörenden Sachen durch den Vermieter über §§ <strong>12</strong>57,<br />

<strong>12</strong>07 BGB nicht möglich ist, siehe Palandt-Putzo, § 559 Rdnr. 1.<br />

§ <strong>12</strong>07 BGB ist auch nicht analog anwendbar – Münchener Kommentar<br />

– Voelskow, 3. Aufl., § 559 Rdnr. 27. Es fehlt an dem durch<br />

den unmittelbaren Besitz des Pfandgläubigers entstehenden Tatbestand<br />

für einen gutgläubigen Erwerb.<br />

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156<br />

ZPO war nicht erforderlich. Zum einen ist der private Brief der<br />

nicht am Verfahren beteiligten Frau Dr. K für den Prozessverlauf<br />

völlig unerheblich, zum anderen enthielt der nicht nachgelassene<br />

Schriftsatz des Kl vom 29.3.2000 keine neuen Tatsachen, da zwischen<br />

den Parteien unstreitig war, dass aufgrund des mit der Vermieterin<br />

geschlossenen gerichtlichen Vergleichs die Kanzleiräume<br />

bis Ende März 2000 zu räumen waren.<br />

Mitgeteilt von Richterin am OLG Maria Vavra, München<br />

BGB § 202 Abs. 1, §§ 205, 675; BRAO § 51a. F.<br />

Wird ein Anspruch des Mandanten gegen einen Dritten wegen<br />

Verjährung abgewiesen, enthält die Mitteilung des Rechtsanwalts<br />

an den Mandanten, er werde das Urteil schon deshalb<br />

mit der Berufung anfechten, weil sich daraus ein Schadensersatzanspruch<br />

gegen ihn ergeben könnte, für sich allein kein<br />

Angebot auf Abschluss eines die Verjährung des Regressanspruchs<br />

hemmenden Stillhalteabkommens.<br />

BGH, Urt. v. 6.7.2000 – IX ZR 134/99<br />

Aus den Gründen: II. ... Die Annahme des Berufungsgerichts,<br />

der Erblasser und der Bekl hätten anlässlich des Telefonats vom<br />

9.1.1991 ein (weiteres) Stillhalteabkommen vereinbart, wird von<br />

der Revision unter Hinweis auf angeblich übergangenen Prozessstoff<br />

(§ 286 ZPO) gerügt. Die Berechtigung dieser Rüge kann dahinstehen.<br />

Denn durch das Stillhalteabkommen vom 9.1.1991 allein<br />

wäre die Verjährungsfrist nicht in ausreichendem Maße<br />

gehemmt worden. Ggf. hätte sich die Verjährungsfrist lediglich um<br />

den Zeitraum zwischen dem 9.1.1991 und dem 25.3.1992, mithin<br />

um 441 Tage, bis zum 15.11.1993 verlängert. Bei Klageeinreichung<br />

am 23.<strong>12</strong>.1993 war dieser Termin versäumt. Zur Unterbrechung<br />

der Verjährung wäre die Klage nur geeignet gewesen, wenn<br />

der Erblasser und der Bekl schon im Jahre 1990 ein erstes Stillhalteabkommen<br />

verabredet gehabt hätten, dessen Wirkungen sich mit<br />

denen des weiteren Stillhalteabkommens vom 9.1.1991 hätten „addieren“<br />

lassen.<br />

2. Für ein früheres – vom Berufungsgericht auf Juni/Juli 1990<br />

datiertes –Stillhalteabkommen fehlen die Voraussetzungen.<br />

a) Ein verjährungshemmendes (§§ 202 Abs. 1, 205 BGB) Stillhalteabkommen<br />

ist nur anzunehmen, wenn der Schuldner aufgrund<br />

einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung berechtigt sein soll, vorübergehend<br />

die Leistung zu verweigern, und der Gläubiger sich<br />

umgekehrt der Möglichkeit begeben hat, seine Ansprüche jederzeit<br />

weiterzuverfolgen (BGH, Urt. v. 14.11.1991 – IX ZR 31/91, NJW<br />

1992, 836; v. 5.11.1992 – IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320, 1323;<br />

v. 23.4.1998 – III ZR 7/97, NJW 1998, 2274, 2277; v. 16.<strong>12</strong>.1998 –<br />

VIII ZR 197/97, NJW 1999, 1022, 1023; v. 27.1.1999 – XII ZR 113/


AnwBl <strong>12</strong>/2000 753<br />

Rechtsprechung l<br />

97, NJW 1999,1101, 1103). Eine solche Vereinbarung kann z. B.<br />

vorliegen, wenn im Einvernehmen zwischen Gläubiger und<br />

Schuldner die Auseinandersetzung über den Schadensersatzanspruch<br />

zurückgestellt werden soll bis zur Beendigung eines Rechtsstreits<br />

(BGH, Urt. v. 5.11.1992 und 23.4.1998, jeweils aaO), bis<br />

zum Abschluss eines Versuchs zur Schadensbeseitigung (BGH,<br />

Urt. v. 31.3.1960 – III ZR 159/58, LM § 202 BGB Nr. 5; v.<br />

16.<strong>12</strong>.1998 aaO) oder bis zur Erreichung „eines aussagekräftigeren<br />

Stadiums der Schadensentwicklung“ (BGH, Urt. v. 7.1.1986 – VI<br />

ZR 203/84, NJW 1986, 1337, 1338).<br />

b) Zwar kann ein Stillhalteabkommen auch stillschweigend getroffen<br />

werden. Indes fehlt es im vorliegenden Fall, an einem äußeren<br />

Verhalten, das als Ausdruck einer solchen einvernehmlichen<br />

Entschließung gedeutet werden könnte.<br />

Das Berufungsgericht hat – insbesondere mit Rücksicht auf den<br />

Inhalt des Schreibens vom 29.6.1990 – die Auffassung vertreten,<br />

die Einlegung der Berufung beinhalte eine Vereinbarung dahin, die<br />

Auseinandersetzung über einen Ersatzanspruch bis zur Beendigung<br />

des Zugewinnausgleichsprozesses zurückzustellen, was auch im<br />

Interesse beider Parteien gelegen habe.<br />

Die Auslegung von Willenserklärungen – hier der Erklärung<br />

des Bekl, er werde für den Erblasser Berufung einlegen, und das<br />

stillschweigende Gewährenlassen durch den Erblasser – ist revisionsrechtlich<br />

daraufhin nachprüfbar, ob gesetzliche oder allgemein<br />

anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze<br />

verletzt sind und der Tatrichter den Prozessstoff ausgeschöpft hat<br />

(st. Rspr.).<br />

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den Erklärungen<br />

einen Sinn gegeben, der in deren Wortlaut keinen Niederschlag findet.<br />

Das Berufungsgericht hat keine konkreten Anhaltspunkte für<br />

einen weitergehenden, für den Gegner erkennbaren Erklärungswillen<br />

aufgezeigt. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Mitteilung<br />

des Bekl an den Erblasser, er halte das Urteil des AG Westerstede<br />

für falsch und werde es schon deshalb mit der Berufung angreifen,<br />

weil sich daraus für ihn eine Haftung ergeben könne, enthielt weder<br />

dem Wortlaut noch ihrem erkennbaren Sinne nach die an den<br />

Erblasser gerichtete Bitte oder Anregung, mit der Geltendmachung<br />

seiner Regressforderungen so lange zuzuwarten, bis zumindest<br />

über die Berufung entschieden sei. Dem Erblasser wurde vielmehr<br />

die Entscheidung, wie er mit dem ihm möglicherweise zustehenden<br />

Schadensersatzanspruch weiter verfuhr, offengelassen. Der vorliegende<br />

Fall unterscheidet sich von dem am 31.3.1960 (aaO) entschiedenen.<br />

Dort hatte der Schuldner durch die Inanspruchnahme<br />

eines Dritten versucht, den Schaden zu beseitigen, und den Gläubiger<br />

„um Verständnis für diese unverschuldet eingetretene Veränderung<br />

in der Sach- und Rechtslage“ sowie darum gebeten, bei der<br />

Beseitigung der Schwierigkeiten „in fairer Weise“ mitzuhelfen.<br />

Hier hat Rechtsanwalt B in dem Schreiben vom 29.6.1990 nicht<br />

einmal den Versuch unternommen darzutun, dass ein Zurückstellen<br />

der Auseinandersetzung über diese Ersatzansprüche den Interessen<br />

beider Seiten dienlich sei, oder in sonstiger Weise ein Entgegenkommen<br />

des Erblassers gewünscht. Dieser musste deswegen nicht<br />

auf den Gedanken kommen, er dürfe, wenn er sich mit der Einlegung<br />

der Berufung einverstanden erkläre, den Bekl vorläufig<br />

nicht in Anspruch nehmen.<br />

Anhaltspunkte für das Gegenteil lassen sich auch nicht dem<br />

nachfolgenden Schriftwechsel und dem vorgetragenen Inhalt der<br />

späteren Telefonate entnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.1997 – IX<br />

ZR 164/96, WM 1997, 2305, 2306).<br />

Die vom Berufungsgericht unterlassene Auslegung darf der<br />

Senat selbst vornehmen, weil weitere tatsächliche Feststellungen<br />

insoweit nicht in Betracht kommen.<br />

Fehlt es bereits an einem Angebot des Bekl zum Abschluss<br />

eines „pactum de non petendo“, kann der Umstand, dass der Erblasser<br />

die Einlegung und Durchführung der Berufung dem Bekl<br />

nicht untersagte, auch nicht als Annahme verstanden werden.<br />

III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen<br />

Gründen als richtig (§ 563 ZPO).<br />

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen,<br />

dass der Zugewinnausgleichsanspruch, dessen Geltendmachung dem<br />

Bekl aufgetragen war, am 1.9.1989 verjährte. Das wird von keiner<br />

der Parteien bezweifelt. Für den Schadenseintritt i. S. d. § 51<br />

BRAO a. F. möchte die Revisionserwiderung allerdings auf den<br />

Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung abstellen, mit welcher<br />

der Zugewinnausgleichsanspruch wegen Verjährung abgewiesen<br />

wurde; sie beruft sich dazu auf das Senatsurt. v. 9.6.1992 (IX ZR<br />

50/91, NJW 1992, 2828, 2829). Diese Argumentation geht fehl.<br />

Zum einen hat der Senat diese Rechtsprechung aufgegeben. Er<br />

geht nunmehr davon aus, dass der durch fehlerhaftes Prozessverhalten<br />

eines Rechtsanwalts verursachte Schaden in der Regel bereits<br />

mit der ersten nachteiligen Gerichtsentscheidung eintritt (Urt.<br />

v. <strong>12</strong>.2.1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787 f.). Zum anderen<br />

kommt es hier nicht auf Gerichtsentscheidungen an, weil kein fehlerhaftes<br />

Prozessverhalten in Rede steht. Lässt ein Rechtsanwalt,<br />

wie hier, einen (streitigen) Anspruch seines Auftraggebers gegen<br />

einen Dritten verjähren, so entsteht der Schaden bereits mit dem<br />

Ablauf der Verjährungsfrist, nicht erst mit der Erhebung der Verjährungseinrede<br />

durch die Gegenseite (BGH, Urt. v. 14. 6.1994 –<br />

IX ZR 204/93, NJW 1994, 2822, 2823 f.; Beschl. v. 14.3.1996 –<br />

IX ZR 196/95, BGHR BRAO § 51 a. F. – Verjährungsbeginn 3)<br />

und auch nicht mit auf der Verjährungseinrede beruhenden<br />

Gerichtsentscheidungen.<br />

2. Eine Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis<br />

(§ 208 BGB) hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend verneint.<br />

Insofern ist für eine Verjährungsunterbrechung ein tatsächliches<br />

Verhalten gegenüber dem Gläubiger erforderlich, aus dem sich das<br />

Bewusstsein des Schuldners von dem Bestehen des gegen ihn erhobenen<br />

Anspruchs – wenigstens dem Grunde nach – klar und unzweideutig<br />

ergibt und das deswegen das Vertrauen des Gläubigers<br />

begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist<br />

alsbald auf Verjährung berufen wird (BGHZ 58, 103,<br />

104; BGH,Urt.v.21.11.1996 – IX ZR 159/95, WM 1997, 330, 332).<br />

Die Revisionserwiderung nimmt die tatrichterlichen Feststellungen<br />

hin. Danach hat der Bekl sich nicht zum Ersatz eines Schadens bereit<br />

erklärt, sondern lediglich einen Fehler eingeräumt und angekündigt,<br />

er werde den Sachverhalt seiner Haftpflichtversicherung<br />

unterbreiten. Das reicht für ein Anerkenntnis nicht aus (vgl. OLG<br />

Hamm MDR 1990, 547).<br />

3. Eine Hemmung der Verjährung in entsprechender Anwendung<br />

des § 852 Abs. 2 BGB hat das Berufungsgericht mit Recht<br />

nicht in Betracht gezogen (vgl. BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR<br />

180/95, WM 1996, 1106, 1107).<br />

4. Der Berufung auf die Verjährung steht nicht der Einwand<br />

unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Selbst wenn der Bekl den<br />

Erblasser zunächst von der Einklagung der Regressforderung abgehalten<br />

hätte, wäre jenem der Arglisteinwand nicht erhalten geblieben.<br />

Denn nach Wegfall des Umstands, aus dem der Kl die unzulässige<br />

Rechtsausübung herleitet, verblieb noch genügend Zeit, den<br />

Anspruch gerichtlich geltend zu machen (vgl. dazu BGH, Urt. v.<br />

26.2.1985 – VI ZR 144/83, NJW 1985, 1151, 1152; v. 29.2.1996 –<br />

IX ZR 180/95, aaO S.1108). Nachdem der Bekl dem Erblasser mit<br />

Schreiben vom 25.3.1992 mitgeteilt hatte, dass für eine außergerichtliche<br />

Regulierung kein Raum sei, verblieben dem – bereits<br />

durch den Kl vertretenen – Erblasser, wenn die Verjährung bis dahin<br />

nicht gehemmt war, noch fünf Monate, um die Klage zu erheben.<br />

5. Da der Kl bereits vor Ablauf der Primärverjährung eingeschaltet<br />

war, ist dem Berufungsgericht auch darin zuzustimmen,<br />

dass die Verjährung nicht auf der Verletzung sekundärer Pflichten<br />

beruht.<br />

IV. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1<br />

ZPO). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat selbst entscheiden<br />

(§ 565 Abs. 3 Ziff. 1 ZPO) und die Berufung zurückweisen.<br />

BGB § 654<br />

Zur Frage der Verwirkung des Anspruchs einer Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts auf Vermittlungsmaklerprovision, wenn einer<br />

der Gesellschafter zugleich als Rechtsanwalt für die Gegenseite<br />

tätig geworden und dies nicht offengelegt worden ist.<br />

BGH, Urt. v. 8.6.2000 – III ZR 186/99<br />

Aus den Gründen: Die Revision ist nicht begründet.<br />

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der<br />

Maklervertrag zwischen der Immobiliengesellschaft bürgerlichen


754<br />

l<br />

Rechts R. & A. und dem Bekl nicht gegen das Verbot unerlaubter<br />

Rechtsberatung (Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG) verstoßen hat.<br />

a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Verstoß von<br />

vornherein bereits tatbestandsmäßig deswegen ausschied, weil einer<br />

der Gesellschafter, R, im fraglichen Zeitraum als Rechtsanwalt<br />

zugelassen war.<br />

b) Jedenfalls scheitert ein Verstoß daran, dass der Immobiliengesellschaft<br />

die Reprivatisierung des Grundstücks K.-straße 14 als<br />

möglicher Gegenstand der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten<br />

i. S. d. Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG nicht gegenüber dem Bekl obgelegen<br />

hat. In dem Maklervertrag war vielmehr eindeutig klargestellt,<br />

dass die Immobiliengesellschaft bei der Reprivatisierung<br />

im Auftrag der Verkäufer tätig wurde. Demnach haben beide Vorinstanzen<br />

zutreffend festgestellt, dass die Reprivatisierung keine<br />

Leistung war, die die Makler dem Bekl versprochen hatten, auch<br />

nicht als Inhalt der Vermittlung oder als Bedingung des Entstehens<br />

des Provisionsanspruchs. Auch die Revision nimmt ausdrücklich<br />

hin, dass die Immobiliengesellschaft in dem Vertrag gegenüber<br />

dem Bekl keine Verpflichtung eingegangen war, das Reprivatisierungsverfahren<br />

zu betreiben.<br />

c) Entgegen der Auffassung der Revision kann auch nicht davon<br />

ausgegangen werden, dass der Maklervertrag in einem<br />

„unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang“ mit der Rechtsbesorgung<br />

der Immobiliengesellschaft gegenüber den Verkäuferinnen<br />

gestanden habe. Das Gelingen der Reprivatisierung war zwar<br />

Voraussetzung für das Entstehen des Provisionsanspruchs. Ein<br />

rechtlicher Zusammenhang zwischen dem Zustandekommen des<br />

Maklervertrages und der Wirksamkeit der auf die Reprivatisierung<br />

gerichteten Vereinbarung zwischen den Maklern und der Verkäuferseite<br />

wurde dadurch indessen nicht geschaffen. Es bewendete vielmehr<br />

bei der jedem gewöhnlichen Maklervertrag zugrundeliegenden<br />

Konstellation, dass das Zustandekommen des Hauptvertrages<br />

Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf Maklerlohn<br />

ist, wobei hier lediglich als zusätzliche tatsächliche Voraussetzung<br />

die Reprivatisierung hinzukommen sollte.<br />

2. Der Maklervertrag ist auch nicht mit sonstigen Nichtigkeitsgründen<br />

behaftet. Der Umstand, dass der Gesellschafter R seinerzeit<br />

Rechtsanwalt gewesen war, hinderte das wirksame Zustandekommen<br />

des Vertrages nicht. Anders als für Notare gibt es keine<br />

gesetzliche Vorschrift, die eine makelnde Tätigkeit von Rechtsanwälten<br />

allgemein im Sinne von § 134 BGB verbietet (BGH, Urt.<br />

v. 31.10.1991 – IX ZR 303/90 = NJW 1992, 681, 682). Die ständige<br />

Ausübung des Berufs eines Maklers ist allerdings für einen<br />

Rechtsanwalt unzulässig (BGH aaO m. w. N.). Selbst wenn R indessen<br />

damals durch eine solche ständige Ausübung des Maklerberufs<br />

gegen anwaltliches Standesrecht verstoßen haben sollte, bewirkte<br />

dies nicht automatisch die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)<br />

aller von der Immobiliengesellschaft abgeschlossenen Maklerverträge.<br />

Denn nicht schon jeder Standesverstoß eines an eine Standesordnung<br />

gebundenen Vertragsteils macht das Rechtsgeschäft sittenwidrig;<br />

vielmehr kommt es stets auf alle Umstände des<br />

Einzelfalls an (Senatsurt. v. 18.3.1999 – III ZR 93/98 = NJW 1999,<br />

2360 = BGHR BGB § 138 Abs. 1 Architektenvertrag 2). Zwar hat<br />

der IX. Zivilsenat in seinem Urt. v. 31.10.1991 (aaO) die Sittenwidrigkeit<br />

des damals in Rede stehenden Maklervertrages mit der<br />

Erwägung verneint, der betroffene Rechtsanwalt sei lediglich in<br />

einem durch besondere Umstände geprägten Einzelfall als Makler<br />

tätig geworden. Daraus kann indessen nicht die Folgerung gezogen<br />

werden, dass sämtliche Maklerverträge einer auf diesem Gebiet gewerblich<br />

tätigen Personengesellschaft schon deswegen sittenwidrig<br />

sind, weil an dieser ein Rechtsanwalt als Mitglied beteiligt ist. Eine<br />

so weitreichende Sanktion stünde zu dem Ziel, die Wahrung des anwaltlichen<br />

Standesrechtes sicherzustellen, jedenfalls dann außer<br />

Verhältnis, wenn – wie hier – der Rechtsanwalt gegenüber dem<br />

Kunden (dem Bekl) allein in seiner Eigenschaft als Makler tätig<br />

wird (vgl. Staudinger/Sack, BGB 13. Bearb, 1996 § 138 Rdnr. 425);<br />

vielmehr stellt insoweit bereits die Bundesrechtsanwaltsordnung ein<br />

geeignetes und ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung (vgl.<br />

BGH, Beschl. v. 10.11.1975 – AnwZ (B) <strong>12</strong>/75 = LM BRAO § 7<br />

Ziffer 8 Nr. 31 m. w. N.). Der mögliche Standesverstoß wog daher<br />

nicht so schwer, als dass er die zivilrechtliche Gültigkeit des hier in<br />

Rede stehenden Maklergeschäfts hätte beeinträchtigen können.<br />

Ebenso wenig verstieß die Vereinbarung einer Maklerprovision<br />

gegen das für Rechtsanwälte geltende Verbot der Vereinbarung<br />

eines Erfolgshonorars, da der Gesellschafter R für den Bekl gerade<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

nicht als Anwalt, sondern ausschließlich als Makler tätig geworden<br />

war (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1991 aaO).<br />

3. Der Provisionsanspruch ist im vorliegenden Fall auch nicht<br />

nach § 654 BGB verwirkt.<br />

a) Es kann dahinstehen, ob die Immobiliengesellschaft wegen<br />

ihrer Beziehungen zur Verkäuferseite, insbesondere wegen der anwaltlichen<br />

Tätigkeit des Gesellschafters R für diese bei der Reprivatisierung<br />

der Grundstücke, dieser gegenüber die Stellung eines<br />

„Vertrauensmaklers“ gehabt hat. Selbst wenn man dies – abweichend<br />

von dem Berufungsgericht – bejahen würde, würde dieser<br />

Umstand für sich allein genommen noch keinen Fall verbotener<br />

Doppeltätigkeit i. S. d. § 654 BGB begründen. Denn nicht mit jeder<br />

vermittelnden Tätigkeit nach beiden Seiten verwirkt der Makler<br />

seinen Provisionsanspruch gewissermaßen „automatisch“. Entscheidend<br />

hierfür ist vielmehr, ob der Makler mit seiner Tätigkeit<br />

das Vertrauen und die Interessen seiner Auftraggeber verletzt. Dies<br />

ist etwa dann nicht der Fall, wenn er ihnen seine Tätigkeit für die<br />

jeweils andere Seite offen legt und sich darauf beschränkt, als „ehrlicher<br />

Makler“ zwischen ihren Interessen zu vermitteln (st. Rspr.;<br />

vgl. zuletzt Senatsurt. v. 11.11.1999 – III ZR160/98 = VersR2000,<br />

182, 183 m. zahlr. w. N.).<br />

b) In dem hier zu beurteilenden Fall hatte die Immobiliengesellschaft<br />

in dem schriftlichen Maklervertrag eindeutig und unmissverständlich<br />

klargestellt, dass sie im Auftrag der Verkäufer<br />

Immobilien reprivatisiere und von diesen beauftragt worden sei,<br />

diese Immobilien zum Verkauf zu bringen. Damit hatte die Immobiliengesellschaft<br />

dem Bekl insbesondere den wesentlichen Umstand<br />

offengelegt, dass sie beim Zustandekommen des Kaufs auch<br />

die Interessen der Verkäuferseite wahrnahm. Damit war sie ihrer<br />

Informationspflicht im vorbezeichneten Sinne hinreichend nachgekommen.<br />

Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, dass die<br />

Immobiliengesellschaft ihre Neutralitätspflicht als Doppelvermittlungsmaklerin<br />

nicht konkret verletzt habe, wird von der Revision<br />

ausdrücklich hingenommen.<br />

c) Auch eine sonstige schwere Treuepflichtverletzung, die eine<br />

Verwirkung des Provisionsanspruchs in analoger Anwendung des<br />

§ 654 BGB rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Revision<br />

erblickt eine solche insbesondere darin, dass die Immobiliengesellschaft<br />

– unstreitig – nicht offengelegt habe, dass eines ihrer Mitglieder<br />

Rechtsanwalt gewesen und als solcher für die Verkäuferseite<br />

tätig geworden sei. Der Senat hat bereits Zweifel, ob insoweit überhaupt<br />

eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Bekl bestanden hat.<br />

Dagegen spricht nämlich die Erwägung, dass die anwaltlichen Reprivatisierungsbemühungen<br />

des Gesellschafters R, eine sachgerechte<br />

Vermittlungstätigkeit der Immobiliengesellschaft für beide Seiten<br />

keineswegs von vornherein ausschlossen. Diese Frage braucht indessen<br />

nicht abschließend geklärt zu werden. Dem Berufungsgericht<br />

ist jedenfalls darin beizupflichten, dass ein Verstoß der Immobiliengesellschaft<br />

gegen eine etwaige Offenbarungspflicht nicht<br />

ein solches Gewicht hatte, dass er den Wegfall des Provisionsanspruchs<br />

(oder eine Anfechtbarkeit des Vertrages wegen arglistiger<br />

Täuschung) hätte begründen können. Zwar mag die Pflicht des<br />

Rechtsanwalts, die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen,<br />

gegenüber der Interessenwahrnehmungspflicht eines Maklers eine<br />

größere Intensität haben. Andererseits beschränkte sich die anwaltliche<br />

Tätigkeit des Gesellschafters R auf die Reprivatisierungsbemühungen<br />

und diente insoweit auch dem wohlverstandenen<br />

Interesse des Bekl, indem sie die Voraussetzungen für den Erwerb<br />

des Grundstücks schaffen sollte. Außerdem war der Umstand, dass<br />

und mit welcher Zielrichtung die Immobiliengesellschaft auch für<br />

die Verkäuferseite tätig wurde, in dem Vertrag offengelegt worden;<br />

das mögliche Informationsdefizit betraf dementsprechend nicht die<br />

Bindung als solche, sondern lediglich deren Intensität. Die Unvollständigkeit<br />

in diesem einen Punkt vermag vor dem Hintergrund der<br />

weiteren Feststellung, dass der Immobiliengesellschaft eine konkrete<br />

Verletzung der Neutralitätspflicht nicht vorgeworfen werden<br />

kann, den Bestand des Provisionsanspruchs nicht in Frage zu stellen.<br />

BGB §§ 826, 652, 675, 249; BGB §§ 138, 195, 196, 8<strong>12</strong>, BRAGO<br />

§3; BGB §§ 667, 675<br />

1. Bringt ein Rechtsanwalt seinen Mandanten in Kontakt zu<br />

einem Makler und veranlasst er diesen, für die Vermittlung


AnwBl <strong>12</strong>/2000 755<br />

Rechtsprechung l<br />

eines Geschäfts eine sittenwidrig überhöhte Provision zu nehmen<br />

und davon einen wesentlichen Teil an den Anwalt abzuführen,<br />

kann ein Anspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt<br />

aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet sein,<br />

wenn dieser ihn nicht rechtzeitig auf die Provisionsbeteiligung<br />

hingewiesen hat.<br />

2. Ein Schaden des Mandanten infolge einer überhöhten Maklerprovision<br />

ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil er trotz<br />

des unangemessenen Maklerhonorars einen höheren Kaufpreis<br />

erlangt hat, als er ihn ohne die Einschaltung dieses Maklers erzielt<br />

hätte. Vielmehr kommt es allein darauf an, wie der Mandant<br />

wirtschaftlich stände, wenn der Makler korrekt gehandelt<br />

hätte.<br />

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung eines<br />

anwaltlichen Pauschalhonorars wegen Sittenwidrigkeit nichtig<br />

ist.<br />

4. Der Anspruch des Mandanten auf Rückgewähr des zur Erfüllung<br />

einer sittenwidrigen Gebührenvereinbarung gezahlten Anwaltshonorars<br />

verjährt nicht in der kurzen Frist des § 196 BGB,<br />

sondern erst nach 30 Jahren.<br />

5. Erteilt der Anwalt dem Mandanten den Rat, ein ihm gehörendes<br />

Grundstück nicht an den zunächst vorgesehenen Erwerber<br />

zu veräußern, und vermittelt er in engem Zusammenhang damit<br />

den Kontakt zu einem Makler, der einen neuen Käufer suchen<br />

soll, hat der Anwalt eine ihm vom Makler ohne Kenntnis des<br />

Auftraggebers gewährte Provision an diesen herauszugeben.<br />

BGH, Urt. v. 30.5.2000 – IX ZR <strong>12</strong>1/99<br />

Zum Sachverhalt: Der Kl war Eigentümer eines 7.793 qm großen Baugrundstücks<br />

im Einzugsbereich des Flughafens München II. Über dieses<br />

Grundstück schloss er am 27.6.1988 mit einem Architekten einen Kaufvorvertrag<br />

zum Preise von 3,6 Mio DM. Der Kl hatte die beklagten Rechtsanwälte<br />

mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Auf ihren Rat hin<br />

erklärte der Kl im Jahre 1989 den Rücktritt vom Vertrag mit der Begründung,<br />

die vom Käufer zu leistenden Sicherheiten seien nicht hinreichend<br />

werthaltig.<br />

Nach dem Rücktritt vermittelten die Bekl dem Kl den Kontakt zur<br />

G.f.G. mbH (nachfolgend: GfG). Deren Geschäftsführer B benannte dem Kl<br />

die C Versicherungs AG als Interessentin. In die Vertragsbeziehungen zur C<br />

wurden die Bekl nicht eingeschaltet. Am 13.6.1989 der Kl das Grundstück<br />

an die Versicherungsgesellschaft für 7,5 Mio DM. In einer tags zuvor getroffenen<br />

Vereinbarung ermächtigte der Kl den Geschäftsführer der Maklerin,<br />

nach Auszahlung eines Kaufpreisteils von 5,1 Mio DM den Rest zur Abdekkung<br />

von Kosten, Gebühren und Vermittlungsansprüchen zu verwenden.<br />

800.000 DM von diesem Teil sollten zunächst festgelegt werden, um etwaige<br />

Abfindungsansprüche des früheren Käufers auszugleichen. Später erhielt der<br />

Kl von diesem Betrag weitere 575.000 DM; der Rest verblieb der Maklerin.<br />

Der Kl hat behauptet, die Bekl hätten ohne sein Wissen mit B für den Verkauf<br />

des Grundstücks eine Unterprovision in Höhe von 1.048.544,60 DM<br />

vereinbart und auch erhalten; sie hätten der GfG über diese Summe fingierte<br />

Rechnungen wegen angeblicher anwaltlicher Dienste erteilt. Der Kl hat die<br />

Auskehr dieser Provision wegen positiver Vertragsverletzung und aus unerlaubter<br />

Handlung verlangt.<br />

Die Bekl haben den Kl außerdem in einem Rechtsstreit als Korrespondenzanwälte<br />

vertreten, den die Ehefrau des ersten Kaufinteressenten aus<br />

abgetretenem Recht wegen des Rücktritts gegen den Kl geführt hat. Der Kl<br />

hat an die Bekl für diese Tätigkeit aufgrund mündlicher Vereinbarung<br />

228.000 DM entrichtet; die Bekl behaupten, mit diesem Betrag seien zugleich<br />

ihre Dienstleistungen in mehreren weiteren von dem Kl erteilten Aufträgen<br />

abgegolten. Der Kl ist der Auffassung, die Gebührenvereinbarung sei<br />

nach § 3 BRAO sowie wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, weil<br />

sie die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteige.<br />

Der Kl hat Zahlung von insgesamt 1.235.147,20 DM verlangt. Das LG<br />

hat ihm 820.544,60 DM hinsichtlich der Provision sowie 186.602,60 DM<br />

wegen Unwirksamkeit der Gebührenvereinbarung zugesprochen. Das Berufungsgericht<br />

hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision begehrt<br />

der Kl die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.<br />

Aus den Gründen: Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.<br />

I. Das Berufungsgericht hat vertragliche Schadensersatzansprüche<br />

wegen der Provisionszahlung zu Recht verneint. Die tatrichterliche<br />

Feststellung, dass die Bekl keinen Auftrag erhalten hatten, die<br />

Interessen des Kl bei Anbahnung des durch die GfG vermittelten<br />

Auftrags zu vertreten, nimmt die Revision hin. Ob aus dem Mandat,<br />

das die Rechtsbeziehung des Kl zum ersten Kaufinteressenten,<br />

betraf, nachwirkende Schutzpflichten bestanden, braucht nicht erör-<br />

tert zu werden; denn daraus herrührende Schadensersatzansprüche<br />

sind gem. § 51b BRAO verjährt. Der Schaden des Kl war spätestens<br />

eingetreten, als die Bekl am 7.11.1989 von der GfG den<br />

ersten Teil der Zahlung erhielten, die nach dem klägerischen Vorbringen<br />

zur Erfüllung der vereinbarten Provisionsbeteiligung geleistet<br />

wurde. Die Klage ist bei Gericht erst am 21.3.1996 eingegangen.<br />

Zu diesem Zeitpunkt war selbst eine eventuell in Gang<br />

gesetzte Sekundärverjährung abgelaufen.<br />

II. Das Berufungsgericht meint, dem Kl stehe wegen einer<br />

Provisionszahlung der Maklerin an die Bekl jedenfalls deshalb<br />

kein Anspruch aus unerlaubter Handlung zu, weil er nicht geschädigt<br />

sei. Der Vortrag mit der C Versicherung sei trotz der Provision<br />

und der an den ersten Käufer gezahlten Abfindung von 1,3 Mio<br />

DM für den Kl immer noch günstiger gewesen als das ursprünglich<br />

beabsichtigte Geschäft. Da die Bekl nicht verpflichtet gewesen seien,<br />

dem Kl ihre Provisionsabsprache mit der GfG zu offenbaren,<br />

fehle es auch an einem sittenwidrigen Handeln im Sinne von § 826<br />

BGB.<br />

Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision mit Erfolg.<br />

Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Vortrag des Kl richtig<br />

und die Aussage des Zeugen B glaubhaft ist. Auf dieser für die<br />

revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Grundlage ist der geltend<br />

gemachte Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 830, 840 Abs.<br />

1 BGB begründet.<br />

1. Die Provisionsvereinbarung des Kunden mit dem Makler ist<br />

sittenwidrig, wenn zwischen der Höhe der versprochenen Vergütung<br />

und der dafür zu erbringenden Leistung ein auffälliges<br />

Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, beispielsweise<br />

eine verwerfliche Gesinnung des Maklers oder eine<br />

Ausnutzung der schwierigen Lage des Geschäftspartners (BGHZ<br />

<strong>12</strong>5, 135, 137). Entsprechende Voraussetzungen sind im Streitfall<br />

gegeben.<br />

Kommt ein Kaufvertrag über ein Grundstück durch Vermittlung<br />

des Maklers zustande, steht ihm üblicherweise gegen die Partei, die<br />

ihn beauftragt hat, eine Provision zwischen 3 und 5% des Kaufpreises<br />

zu (vgl. BGHZ <strong>12</strong>5, 135, 139). Auf dieser Basis hätte sich im<br />

Streitfall bei einem Kaufpreis von 7,5 Mio DM ein Maklerhonorar<br />

von bis zu 375.000 DM ergeben. Der Kl hat jedoch an die GfG insgesamt<br />

1.825.000 DM abführen müssen; das sind rund 24% der<br />

Summe, die die Käuferin ihm schuldete, also etwa das Fünffache<br />

der im Regelfall üblichen Provision. Die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

hat bei gegenseitigen Verträgen ein auffälliges Missverhältnis<br />

in der Regel bejaht, wenn der Preis knapp doppelt so hoch<br />

ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. für Kaufverträge BGH<br />

Urt. v. 18.1.1991 – V ZR 171/89, BGHR BGB § 138 Abs. 1 Missverhältnis<br />

3; v. 8.11.1991 – V ZR 260/90, NJW 1992, 899, 900; v.<br />

9.10.1996 – VII ZR 233/95, WM 1997, 230, 232; v. 26.11.1997 –<br />

VIII ZR 322/96, WM 1998, 932, 934 f.) oder der geforderte Zins<br />

den marktüblichen Zins um etwa 100% übersteigt (vgl. BGHZ<br />

110, 336, 338 ff. m. w. N.). Ob es gerechtfertigt ist, die Vereinbarung<br />

von Maklerprovisionen ebenso zu beurteilen, wenn die übliche<br />

Vergütung um 100% oder mehr überschritten wird (vgl. dazu<br />

Staudinger/Reuter BGB 13. Bearbeitung §§ 652, 653 Rdnr. 49 mit<br />

Beispielen aus der Rechtsprechung), braucht der Senat nicht zu<br />

entscheiden. Jedenfalls das Maklerhonorar, das der Kl an die GfG<br />

zu entrichten hatte, war der, Höhe nach völlig unangemessen.<br />

Zwar wurden mit dieser Summe nicht nur die Provisionsansprüche<br />

der Maklerin, sondern auch über das gewöhnliche Maß erheblich<br />

hinausgehende Aufwendungen durch echte zusätzliche Leistungen,<br />

die sie im Zusammenhang mit dem Verkauf des<br />

Grundstücks zu erbringen hatte, abgedeckt. Die Maklerin hat nach<br />

Angabe des Zeugen B eine Planung erstellen lassen, für die sie<br />

etwa 200.000 DM zu zahlen hatte und ohne die die Käuferin das<br />

Objekt nicht zu dem vereinbarten Preis erworben hätte. Selbst<br />

wenn man jedoch dem Makler deshalb nicht nur einen gesonderten<br />

Anspruch auf Erstattung dieser Auslagen (§ 652 Abs. 2 BGB) zubilligt,<br />

sondern darüber hinaus eine erhöhte Provision für angemessen<br />

erachtet, steht die Höhe des vereinbarten Honorars in grobem<br />

Missverhältnis zu der Leistung, die der Makler zu erbringen hatte.<br />

2. Ein auffälliges Missverhältnis legt den Schluss auf eine verwerfliche<br />

Gesinnung desjenigen nahe, der sich die überhöhte Vergütung<br />

hat versprechen lassen (BGHZ <strong>12</strong>5, 135, 140; BGH, Urt. v.<br />

8.11.1991, aaO; v. 26.11.November 1997, aaO). Im Streitfall wird<br />

diese Vermutung zudem durch konkrete Tatsachen erhärtet. Wie


756<br />

l<br />

der Zeuge B eingeräumt hat, war ihm damals bekannt, dass der Kl<br />

auf den Abschluss des Vertrages mit der C unbedingt angewiesen<br />

war, weil ihm die Gemeinde H eine Forderung für Erschließungskosten<br />

in Höhe von 250.000 DM angekündigt hatte, die er aus seinem<br />

sonstigen Vermögen nicht hätte begleichen können. Die Höhe<br />

der von B gestellten Forderung beruhte zudem entscheidend darauf,<br />

dass er nach der Beweiswürdigung des LG, die das Berufungsgericht<br />

als richtig unterstellt hat, an die Bekl eine Provision in<br />

Höhe von mehr als 10% des Kaufpreises zu leisten hatte, weil sie<br />

ihm den Kl als Kunden zugeführt hatten. Diese Absprache war<br />

dem Kl verheimlicht worden, der – wie den Beteiligten bewusst<br />

war – sich ansonsten nicht mit einem Maklerhonorar in dieser Größenordnung<br />

einverstanden erklärt hätte. Der Kl hat sich die Aussage<br />

des Zeugen zu eigen gemacht und damit ein sittenwidriges<br />

Verhalten des B im Zusammenhang mit dem Verkauf des Grundstücks<br />

schlüssig dargelegt.<br />

3. Dem Kl ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ein<br />

Schaden entstanden.<br />

a) Das Berufungsgericht vergleicht die Folgen der Provisionszahlung<br />

mit der finanziellen Lage, die sich für den Kl bei Durchführung<br />

des zunächst geschlossenen Vorvertrages ergeben hätte.<br />

Dieser Anknüpfungspunkt ist jedoch für die Beurteilung, ob er<br />

durch das sittenwidrige Handeln der Maklerin geschädigt wurde,<br />

rechtlich unerheblich. Der Eintritt eines Schadens ist nach der sogenannten<br />

Differenzhypothese grundsätzlich durch Vergleich der<br />

infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage<br />

mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben,<br />

hätte, zu beurteilen (BGHZ 98, 2<strong>12</strong>, 217; 99, 182, 196; BGH, Urt.<br />

v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304). Der Umstand,<br />

dass der Kl zuvor von der Vereinbarung mit einem anderen Interessenten<br />

zurückgetreten war, hat auf die der Maklerin zustehenden<br />

Rechte und die ihr obliegenden Pflichten keinen Einfluss. Die Entstehung<br />

eines Schadens ist daher nicht anders zu beurteilen, als<br />

wenn der Kl sich durch Vermittlung der Bekl sogleich an die GfG<br />

gewandt, also nicht zuvor mit einem Dritten Kaufverhandlungen<br />

geführt hätte. Die finanzielle Lage des Kl ist allein mit dem wirtschaftlichen<br />

Ergebnis zu vergleichen, das sich für ihn ergeben<br />

hätte, wenn B korrekt gehandelt, also nicht ein sittenwidriges<br />

Maklerhonorar verlangt und erhalten hätte.<br />

b) Der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung<br />

richtet sich allerdings auch dann in der Regel nur auf das negative<br />

Interesse, wenn zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger<br />

vertragliche Beziehungen bestanden haben (vgl. BGH, Urt. v.<br />

25.11.1997 – VI ZR 402/96, NJW 1998, 983, 984). Der Kl kann<br />

nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stände, wenn das haftungsbegründende<br />

Verhalten entfiele. An dieser Einschränkung<br />

scheitert jedoch der erhobene Anspruch nicht. Die unerlaubte<br />

Handlung des Geschäftsführers der Maklerin bestand allein darin,<br />

anstelle eines üblichen ein unangemessen hohes Honorar gefordert<br />

zu haben. Auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens ist davon<br />

auszugehen, dass ohne diese Pflichtverletzung der Vertrag mit<br />

der C Versicherung bei gleichzeitiger Vereinbarung einer üblichen<br />

Maklerprovision zustande gekommen wäre. Dem steht nicht entgegen,<br />

dass der Makler, der einen Vermittlungsauftrag erhält,<br />

grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zugunsten des Kunden Bemühungen<br />

zu unternehmen, die zum Abschluss des beabsichtigten<br />

Geschäftes führen, also, sofern er keinen Alleinauftrag erhalten<br />

hat, nicht rechtswidrig handelt, wenn er untätig bleibt. Hier hatte B<br />

bereits einen geeigneten Erwerber gefunden, als er mit dem Kl die<br />

gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtige Provision aushandelte. Schon für<br />

den folgenden Tag war die notarielle Beurkundung des Kaufvertrages<br />

vorgesehen. Zwar hat der Zeuge B erklärt, ohne seine Mitwirkung<br />

wäre der Vertrag nicht zustande gekommen. Ob daraus zu<br />

entnehmen ist, der Zeuge hätte den Vertrag auch noch zu diesem<br />

Zeitpunkt verhindert, wenn der Kl sich geweigert hätte, die geforderte<br />

Provision zu zahlen, kann dahingestellt bleiben. Hätte B das<br />

Geschäft bei Ablehnung der geforderten Provision scheitern lassen,<br />

hätte er vorsätzlich seine vertraglichen Pflichten, die Interessen<br />

des Kunden zu wahren, verletzt und darüber hinaus im Hinblick<br />

auf die Motive, die der überhöhten Provisionsforderung zugrunde<br />

lagen, sowie die ihm bekannten finanziellen Verpflichtungen des<br />

Kl gegenüber der Gemeinde H ebenfalls sittenwidrig gehandelt.<br />

c) Der Kl ist ungeachtet dessen geschädigt, dass ihm zu diesem<br />

Zeitpunkt noch kein Kaufpreisanspruch gegen die Versicherungsgesellschaft<br />

zustand. Diese hatte ihre Bereitschaft erklärt, das<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

Grundstück für 7,5 Mio DM zu erwerben. Auch der Verlust einer<br />

hinreichend konkreten tatsächlichen Erwerbsaussicht ist dem<br />

Betroffenen als entgangener Gewinn zu ersetzen; denn eine solche<br />

Position gehört zum rechtlich geschützten Vermögensbereich, sofern<br />

sie nicht durch Verstoß gegen die guten Sitten oder Verletzung<br />

eines gesetzlichen Verbots, das einen solchen Gewinn verhindern<br />

soll, erlangt worden ist (vgl. BGHZ 67, 119, <strong>12</strong>2; 75, 366, 368; 79,<br />

223, 231).<br />

4. Dem Geschäftsführer der Maklerin war es bewusst, dass er<br />

dem Kl durch sein Verhalten einen Teil des Kaufpreises vorenthielt,<br />

der diesem von Rechts wegen gebührte. Der Kl konnte daher<br />

von B jedenfalls zunächst gem. § 826 BGB verlangen, den Teil des<br />

Kaufpreises zu erstatten, der ihm infolge der sittenwidrig überhöhten<br />

Provision entzogen wurde. Ob dieser Anspruch durch die später<br />

mit dem Geschäftsführer der Maklerin getroffene Vereinbarung<br />

erloschen ist, hat für das Rechtsverhältnis des Kl zu den Bekl keine<br />

Bedeutung; denn nach seiner Darstellung diente diese Abrede nicht<br />

dazu, Ansprüche gegen die Bekl einzuschränken (§ 423 BGB; vgl.<br />

Senatsurt. v. 21.3.2000 – IX ZR 39/99, WM 2000, 1003, 1004).<br />

5. Der Kl behauptet, B habe in Absprache mit den Bekl so gehandelt,<br />

weil er sich mit ihnen geeinigt habe, an sie die Hälfte der<br />

mit dem Kl vereinbarten Provision weiterzuleiten. Trifft dies zu,<br />

haben sich die Bekl vorsätzlich an der unerlaubten Handlung des<br />

Geschäftsführers der Maklerin beteiligt und haften dem Kl gem.<br />

§ 830, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner, unabhängig davon,<br />

ob sie als Mittäter oder lediglich als Anstifter bzw. Gehilfen anzusehen<br />

sind.<br />

6. Die Ansprüche des Kl sind nicht gem. § 852 Abs. 1 BGB<br />

verjährt. Da die an die Maklerin gezahlte Vergütung auch deren besondere<br />

Aufwendungen in dieser Sache abgelten sollte und der Kl<br />

sich über deren Inhalt und Ausmaß bei Abschluss der Provisionsvereinbarung<br />

nicht informiert hat, kannte er zunächst nicht die Tatsachen,<br />

die einen Anspruch aus unerlaubter Handlung begründeten.<br />

Das insoweit erforderliche Wissen sowie den Hinweis auf eine<br />

Beteiligung der Bekl erhielt der Kl erst durch ein mit B am<br />

6.11.1995geführtesGespräch.<br />

III. Das Berufungsgericht meint, der Kl könne die Leistung auf<br />

die überhöhte Honorarforderung nicht gem. § 8<strong>12</strong> Abs. 1 S. 1 BGB<br />

teilweise zurückfordern. Der Kl habe nicht schlüssig und nachvollziehbar<br />

vorgetragen, dass die Gebührenvereinbarung gem. § 138<br />

Abs. 1 BGB nichtig sei. Im übrigen seien etwaige Rückforderungsansprüche<br />

in entsprechender Anwendung von § 196 Abs. 1 Nr. 16<br />

BGB verjährt. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht haltbar.<br />

1. Für die revisionsrechtliche Prüfung ist vom Vorbringen des Kl<br />

auszugehen, wonach mit der Honorarvereinbarung über 228.000 DM<br />

allein die Tätigkeit der Bekl im erstinstanzlichen Rechtsstreit gegen<br />

die Ehefrau des ersten Interessenten abgegolten werden sollte.<br />

Trifft die Behauptung des Kl zu, ist die Gebührenvereinbarung wegen<br />

Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.<br />

a) § 3 BRAGO sieht vor, unter welchen Voraussetzungen der<br />

Anwalt eine die gesetzlichen Gebühren übersteigende Vergütung<br />

verlangen und der Mandant die auf eine solche Forderung erbrachten<br />

Leistungen zurückfordern kann. Die Vorschrift schränkt jedoch<br />

den für alle Verträge zu beachtenden Geltungsbereich des § 138<br />

Abs. 1 BGB nicht ein. Eine übermäßig hohe Vergütung kann sittenwidrig<br />

und nichtig sein, wenn weitere Umstände hinzukommen<br />

(Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO 14. Aufl. § 3<br />

Rdnr. 15; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO 8. Aufl. § 3 Rdnr. 1,<br />

33). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen der Leistung<br />

des Anwalts und der Vergütung ein auffälliges Missverhältnis<br />

besteht und der Anwalt die Unterlegenheit des Mandanten bewusst<br />

zu seinem Vorteil ausgenutzt hat(Senatsurt. v. 23.2.1995 –<br />

IX ZR 29/94, NJW 1995, 1425, 1429).<br />

b) Der Streitwert des erstinstanzlichen Prozesses gegen die Ehefrau<br />

des ursprünglichen Vertragspartners betrug 3,75 Mio DM. Die<br />

Bekl waren in dieser Sache lediglich als Korrespondenzanwälte<br />

tätig. Eine volle Gebühr nach § 11, 31 BRAGO betrug damals<br />

14.189 DM. Der Kl geht selbst davon aus, dass vier Gebühren angefallen<br />

sind, drei im Prozess sowie die Korrespondenzgebühr.<br />

Unter Einbeziehung der Auslagen sowie der Mehrwertsteuer gelangt<br />

er zu einem Gesamtanspruch des Prozessbevollmächtigten<br />

und des Korrespondenzanwalts von 65.933,04 DM, dessen Berechnungsgrundlage<br />

die Bekl nicht bestritten haben. Aufgrund einer<br />

Gebührenteilungsabrede hatte der Kl an den Prozessbevollmächtig-


AnwBl <strong>12</strong>/2000 757<br />

Rechtsprechung l<br />

ten lediglich 24.535,65 DM zu entrichten; dieser Betrag ist bezahlt.<br />

Auf dieser rechtlichen Grundlage konnten die Beklagten vom Kl<br />

somit 65.933,04 DM – 24.535,65 DM = 41.397,39 DM verlangen.<br />

Sie haben jedoch ein Honorar vereinbart, das mehr als das Fünffache<br />

dieses Betrages ausmacht.<br />

c) Für die Beurteilung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen<br />

der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht,<br />

sind außer den gesetzlichen Gebühren vor allem Umfang<br />

und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit maßgeblich. Daneben<br />

können auch die Bedeutung der Sache für den Auftraggeber sowie<br />

dessen Einkommens- und Vermögenslage bedeutsam sein (vgl. § <strong>12</strong><br />

Abs. 1 BRAGO). Da die gesetzlichen Gebühren sich nach dem<br />

Gegenstandswert der Angelegenheit richten, kann bei Sachen mit<br />

niedrigen oder mittleren Streitwerten auch ein Honorar, das die gesetzlichen<br />

Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, im Einzelfall<br />

in angemessenem Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen<br />

Tätigkeit sowie ihrer Bedeutung für den Auftraggeber<br />

stehen.<br />

In dem Rechtsstreit, in dem die Bekl den Kl vertreten haben,<br />

entstanden jedoch infolge des Streitwerts hohe gesetzliche Gebühren.<br />

Nichts spricht dafür, dass die Tätigkeit der Bekl durch diese<br />

Gebühren nicht angemessen abgegolten wurde, zumal sie aufgrund<br />

der Gebührenteilungsabrede ohnehin dafür gesorgt hatten, dass sie<br />

2,5 der insgesamt anfallenden 4 vollen Gebühren behalten durften.<br />

Trotz der Bedeutung der Angelegenheit für den Kl stand danach<br />

ein Honorar von 228.000 DM in offensichtlich krassem Missverhältnis<br />

zur Leistung der Bekl.<br />

d) Bei Anwaltsdienstverträgen ist in der Regel ebenfalls davon<br />

auszugehen, dass das auffällige Missverhältnis den Schluss auf<br />

eine verwerfliche Gesinnung desjenigen rechtfertigt, der sich die<br />

überhöhte Vergütung hat zusagen lassen (vgl. dazu oben II 2 mit<br />

den dortigen Nachweisen). Umstände, die hier eine andere Beurteilung<br />

rechtfertigen, sind in dem für die Revision maßgeblichen Tatsachenvortrag<br />

nicht zu erkennen. Danach spricht vielmehr alles<br />

dafür, dass die Bekl die Unerfahrenheit des Kl im anwaltlichen<br />

Gebührenrecht dazu ausgenutzt haben, sich ein anstößig hohes<br />

Honorar zusagen und auszahlen zu lassen.<br />

2. Der Kl kann daher auf der Grundlage seines Tatsachenvortrags<br />

die gezahlte Vergütung, soweit sie über die gesetzlich geschuldete<br />

hinausgeht, als rechtsgrundlose Leistung nach § 8<strong>12</strong><br />

Abs. 1 S. 1 BGB zurückfordern. Dieser Anspruch verjährt gem.<br />

§ 195 BGB erst nach Ablauf von 30 Jahren; die Vorschrift des<br />

§ 196 Abs. 1 Nr. 15 und 16 BGB ist auf ihn nicht anzuwenden.<br />

a) Die Regelung des § 196 Abs. 1 BGB erfasst nicht nur die Erfüllungsansprüche<br />

der dort genannten Personengruppen. Sie erstreckt<br />

sich auch auf deren Ansprüche aus Geschäftsführung ohne<br />

Auftrag sowie ungerechtfertigter Bereicherung, wenn diese wirtschaftlich<br />

an die Stelle des Erfüllungsanspruchs treten und trotz<br />

des unterschiedlichen Rechtsgrundes eine wirtschaftlich enge Verknüpfung<br />

damit besteht (BGHZ 32, 13, 15; 48, <strong>12</strong>5, <strong>12</strong>7; 72, 229,<br />

233f.; BGH, Urt. v. 3.11.1988 – IX ZR 203/87, BGHR BGB § 196<br />

Abs. 1 Nr. 8, 9 Schadensersatzanspruch 1). Der Vorteil der kurzen<br />

Verjährungsfrist soll jedoch nur denen zugute kommen, die von<br />

den dort genannten Personen eine Leistung erhalten haben. Auf die<br />

daraus entstandenen Forderungen beschränkt sich die Wirkung der<br />

kurzen Verjährung. Die Vorschrift erfasst nicht das, gesamte Vertragsverhältnis<br />

(vgl. BGHZ 79, 89, 95). Derjenige, der die Vergütung<br />

für die Leistung wegen Nichtigkeit des Vertrages ohne<br />

Rechtsgrund erhalten hat, ist in seinem Vertrauen, die Leistung<br />

endgültig behalten zu dürfen, nicht schutzwürdig. Für den Rückforderungsanspruch<br />

des anderen Teils muss es daher bei der regelmäßigen<br />

Verjährungsfrist des § 195 BGB verbleiben.<br />

b) Diese Gesetzesauslegung steht nicht in Widerspruch dazu,<br />

dass der Anspruch des Kreditnehmers auf Rückzahlung geleisteter<br />

Zinsen und sonstiger Kreditkosten wegen Nichtigkeit des Darlehensvertrages<br />

gem. § 197 BGB in vier Jahren verjährt (vgl.<br />

BGHZ 98, 174, 179 ff). Dies beruht auf dem besonderen Schutzzweck<br />

der Norm, welcher verhindern soll, dass regelmäßig wiederkehrende<br />

Einzelforderungen sich im Laufe der Zeit zu einer nur<br />

noch schwer nachzuvollziehenden Summe ansammeln, die den<br />

Schuldner besonders belastet (BGHZ 98, 174, 184). Dies gilt auch<br />

für den Bereicherungsanspruch des Kreditnehmers; denn dieser<br />

wird ebenfalls nicht in einer Summe fällig, sondern erhöht sich mit<br />

jeder einzelnen Ratenzahlung (BGHZ 98, 174, 181). In der besonderen<br />

Struktur der Ansprüche, die § 197 BGB erfasst, liegt der<br />

wesentliche Unterschied zu den von § 196 BGB geregelten Sachverhalten.<br />

Diese Norm stellt entscheidend auf die berufliche und<br />

soziale Rollenverteilung ab (Canaris ZIP 1986, 273, 280; BGHZ<br />

98, 174, 184). Daher dürfen die von der Vorschrift erfassten Personengruppen<br />

daraus, dass sie ihre Forderungen nach relativ kurzer<br />

Zeit nicht mehr gegen den Vertragspartner durchsetzen können,<br />

keine verjährungsrechtlichen Vorteile ziehen, wenn sie selbst eine<br />

empfangene Leistung wegen Unwirksamkeit des Geschäfts herausgeben<br />

müssen.<br />

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Ansprüche<br />

des Mandanten auf Rückzahlung der den Rechtsanwälten geleisteten<br />

Vorschüsse ebenfalls in zwei Jahren verjähren (§ 196 Abs. 1<br />

Nr. 16 BGB). Der Gesetzgeber hat diese Regelung auf gem. § 17<br />

BRAGO erbrachte Leistungen beschränkt. Eine darüber hinausgehende<br />

Wirkung hätte er dadurch erreichen können, dass er Rückzahlungsansprüche<br />

der Mandanten ganz allgemein in § 196 Abs. 1<br />

Nr. 15 BGB einbezogen hätte. Da er indes davon abgesehen und<br />

ausdrücklich nur die Vorschusszahlungen der kurzen Verjährungsfrist<br />

unterworfen hat, ist die Nr. 16 BGB entsprechend ihrem Wortlaut<br />

eng auszulegen.<br />

IV. Das angefochtene Urteil ist daher insgesamt aufzuheben.<br />

Die Sache bedarf weiterer tatrichterlicher Aufklärung.<br />

1. Soweit es um Ansprüche wegen einer Provisionszahlung an<br />

die Bekl geht, kann die Klage auch aus einem rechtlichen Gesichtspunkt<br />

begründet sein, der vom Tatrichter offenbar nicht erkannt<br />

worden ist.<br />

a) Auf den Anwaltsvertrag findet gem. § 675 BGB auch die<br />

Bestimmung des § 667 BGB Anwendung. Der Anwalt hat dem<br />

Mandanten daher alles, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt,<br />

herauszugeben (BGHZ 109, 260, 264). Aus der Geschäftsbesorgung<br />

erlangt ist jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines<br />

inneren Zusammenhangs mit dem geführten Geschäft erhalten hat<br />

(BGH, Urt. v. 17.10.1991 – III ZR 352/89, NJW-RR 1992, 560,<br />

561). Dass die Zuwendung eines Dritten nach dessen Willen nicht<br />

für den Auftraggeber bestimmt war, steht dem Herausgabeanspruch<br />

nicht entgegen. § 667 BGB erfasst auch solche Zahlungen, weil sie<br />

die Gefahr begründen, dass der Dienstverpflichtete dadurch zum<br />

Nachteil seines Auftraggebers beeinflusst wird (BGHZ 39, 1, 2 f.;<br />

BGH, Urt. v. 1.4.1987 – IVa ZR 211/85, WM 1987, 781, 782; v.<br />

18.<strong>12</strong>.1990 – XI ZR 176/89, NJW 1991, <strong>12</strong>24). Deshalb muss<br />

etwa ein Steuerberater, der es übernommen hat, seinem Mandanten<br />

auch Vermögensanlageempfehlungen zu erteilen, eine ohne Kenntnis<br />

des Auftraggebers empfangene Provision an diesen auskehren<br />

(BGH, Urt. v. 1.4.1987, aaO; v. 18.<strong>12</strong>.1990, aaO).<br />

b) Möglicherweise besteht ein entsprechender innerer Zusammenhang<br />

zwischen dem Beratungsauftrag, den der Kl den Bekl<br />

erteilt hat, und der ihnen zugeflossenen Provision. Ein solcher<br />

Zusammenhang ist nicht schon deshalb auszuschließen, weil der<br />

Kl die Bekl nicht beauftragt hat, ihn auch bei dem Vertrag mit der<br />

vom Makler gefundenen neuen Käuferin zu beraten. Die Anspruchsvoraussetzungen<br />

können sich hier aus dem Verhalten ergeben,<br />

das die Bekl im Rahmen der Beratung des Kl gegenüber dem<br />

Erstinteressenten entfaltet haben. Sowohl die Aussage des Zeugen<br />

B als auch das Schreiben des Bekl zu 2 an die Rechtsanwälte Dr.<br />

Z und Partner vom 30.4.1995 – auf beides hat sich der Kl bezogen<br />

– können so zu verstehen sein, dass die Bekl die Empfehlung, das<br />

Grundstück nicht an den ursprünglichen Interessenten zu verkaufen,<br />

sondern vom Vorvertrag zurückzutreten, mit dem Hinweis auf<br />

die GfG oder deren Geschäftsführer verbunden und bereits in diesem<br />

Zusammenhang den Kontakt zwischen dem Kl und der Maklerin<br />

hergestellt haben. Diente die Verweisung des Kl an das Maklerunternehmen<br />

auch dazu, ihn davon zu überzeugen, dass es<br />

sachgerecht war, dem Vorschlag der Bekl zu folgen und sich von<br />

dem damaligen Vertragspartner zu trennen, ist ein enger innerer<br />

Zusammenhang zwischen dem Anwaltsdienstvertrag und der dem<br />

rechtlichen Berater von dem Dritten gezahlten Provision gegeben,<br />

der den Kl berechtigt, diese Zahlung gem. § 675, 667 BGB von<br />

den Bekl herauszuverlangen.


758<br />

l<br />

c) Der Anspruch aus § 667 BGB gegen den Anwalt unterliegt<br />

nicht der kurzen Verjährung nach § 51b BRAO, sondern verjährt<br />

gem. § 195 BGB erst nach 30 Jahren (BGH, Beschl. v. 16.1.1997 –<br />

IX ZR 340/95, BGHR BRAO § 51 a. F. Geltungsbereich 2; v.<br />

13.4.2000 – IX ZR 171/98).<br />

2. Die Bekl haben Provisionsvereinbarungen mit B bzw. der<br />

von ihm beherrschten GmbH bestritten und geltend gemacht, mit<br />

den ihnen zugeflossenen Zahlungen seien lediglich Vergütungsansprüche<br />

aus erteilten Mandaten ausgeglichen worden. Die Beweislast<br />

obliegt insoweit dem Kl. Das gilt für einen Schadensersatzanspruch<br />

aus § 826 BGB in gleicher Weise wie für einen<br />

Herausgabeanspruch nach § 667 BGB. Da es sich jedoch um Tatsachen<br />

handelt, die allein den Wahrnehmungsbereich der Bekl<br />

betreffen, müssen diese Inhalt und Umfang der angeblich ihnen<br />

erteilten Aufträge und die insoweit erbrachten Leistungen im einzelnen<br />

darlegen. Das bisherige Vorbringen ist in dieser Hinsicht zu<br />

allgemein gehalten und daher nicht geeignet, solche Vergütungsansprüche<br />

darzutun.<br />

3. Die Bekl haben weiter eingewandt, die Honorarvereinbarung<br />

mit dem Kl habe Leistungen aus anderen ihnen erteilten Aufträgen<br />

mitabgegolten.<br />

a) Entgegen der Meinung der Revision ist dieser Einwand nicht<br />

infolge eines Geständnisses nach §§ 288, 290 ZPO prozessual<br />

unbeachtlich.<br />

Der Kl hat in der Klageschrift vorgetragen, die Honorarvereinbarung<br />

habe sich nur auf die Tätigkeit der Bekl in erster Instanz<br />

des Rechtsstreits gegen die Ehefrau des ursprünglichen Kaufinteressenten<br />

bezogen, dabei aber zugleich erwähnt, der Bekl zu 2 habe<br />

schon außergerichtlich geltend gemacht, das Honorar betreffe auch<br />

andere Mandate. Die Bekl sind zwar auf diesen Punkt erstinstanzlich<br />

nicht eingegangen, sondern haben sich lediglich damit verteidigt,<br />

der Kl habe die Kostennote freiwillig und ohne Vorbehalt bezahlt.<br />

Im Hinblick darauf war zunächst die Behauptung des Kl<br />

unstreitig gestellt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Ein Geständnis ist in diesem<br />

Verhalten der Bekl jedoch nicht zu sehen. Das bloße Nichtbestreiten<br />

einer Tatsache ist grundsätzlich nicht bindend. Ihm kann nur<br />

dann ausnahmsweise Geständniswirkung zuerkannt werden, wenn<br />

es in Verbindung mit anderen Äußerungen hinreichend deutlich erkennen<br />

lässt, dass die Partei eine Tatsache außer Streit stellen will<br />

(Senatsurt. v. 7.7.1994 – IX ZR 115/93, NJW 1994, 3109). Das<br />

schriftsätzliche Vorbringen, auf das sich die Revision in diesem Zusammenhang<br />

beruft, bringt weder aus sich heraus noch im Zusammenhang<br />

mit den aus den Niederschriften ersichtlichen Erklärungen<br />

einen solchen Willen genügend deutlich zum Ausdruck.<br />

b) Auch in diesem Punkt wird das Berufungsgericht zu beachten<br />

haben, dass der Kl die tatsächlichen Voraussetzungen für eine<br />

sittenwidrig überhöhte Honorarvereinbarung zu beweisen hat, der<br />

bisherige Vortrag der Bekl indes für eine schlüssige Darlegung<br />

weiterer auf diese Weise abgegoltener Honoraransprüche bei weitem<br />

nicht ausreicht.<br />

WPO § 47 S. 2<br />

Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Leitung von<br />

Zweigniederlassungen eines vereidigten Buchprüfers hängt vor<br />

allem vom Geschäftsumfang ab.<br />

OVG NRW, Urt. v. 28.1.2000 – 4 A 3311/97<br />

Aus den Gründen: Der ablehnende Bescheid der Bekl erweist<br />

sich als rechtswidrig und verletzt den Kl in seinen Rechten. Die<br />

Bekl ist zwar nicht verpflichtet, die vom Kl beantragte unbefristete<br />

Ausnahmegenehmigung zu erteilen, weil die Sache nicht spruchreif<br />

ist. Sie ist aber verpflichtet, den Kl unter Beachtung der Rechtsauffassung<br />

des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO).<br />

Maßgeblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist § 47<br />

WPO in der seit dem 1.1.1995 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 36<br />

und Art. 4 des Gesetzes vom 15.7.1994, BGBl. I S. 1569). Diese<br />

Vorschrift, die gem. § 130 Abs. 1 S. 1 WPO auf vereidigte Buchprüfer<br />

entsprechende Anwendung findet, hat folgenden Wortlaut:<br />

„Zweigniederlassungen müssen jeweils von wenigstens einem<br />

Wirtschaftsprüfer geleitet werden, der seine berufliche Niederlassung<br />

am Ort der Zweigniederlassung hat. Für Zweigniederlassun-<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

gen von in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern kann die Wirtschaftsprüferkammer<br />

Ausnahmen zulassen.“<br />

Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung<br />

i. S. d. Art. <strong>12</strong> Abs. 1 S. 2 GG in Form eines repressiven<br />

Gebots mit Befreiungsvorbehalt.<br />

Die Voraussetzungen des § 47 S. 2 WPO für eine Befreiung<br />

vom Leitererfordernis des § 47 S. 1 WPO liegen vor. Der Kl unterhält<br />

neben seiner Hauptniederlassung in B eine Zweigniederlassung<br />

in A. Weil hier auch Prüfaufgaben i. S. d. § <strong>12</strong>9 Abs. 1 WPO<br />

durchgeführt werden, ist dies zwischen den Beteiligten nicht streitig.<br />

Der Kl ist des Weiteren auch in eigener Praxis tätig (vgl. dazu<br />

§ 3 WPO, der auf vereidigte Buchprüfer ebenfalls entsprechend anwendbar<br />

ist).<br />

Die Zulassung einer Ausnahme steht deshalb gem. § 47 S. 2<br />

WPO im Ermessen der beklagten Wirtschaftsprüferkammer. Diese<br />

hat gem. § 40 VwVfG ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der<br />

Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens<br />

einzuhalten. Ob das geschehen ist, haben die Gerichte gem.<br />

§ 114 S. 1 VwGO nachzuprüfen. Diese Prüfung ergibt, dass die<br />

Bekl von ihrem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung<br />

entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.<br />

Der Zweck der in § 47 S. 2 WPO enthaltenen Ermächtigung<br />

geht dahin, Ausnahmen vor allem dann zuzulassen, wenn der Geschäftsumfang<br />

es erlaubt, dass ein Wirtschaftsprüfer neben seiner<br />

Niederlassung eine oder mehrere Zweigniederlassungen selbst leitet.<br />

Dies erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm,<br />

der Gesetzessystematik und der Zielrichtung des repressiven Gebots<br />

nach § 47 S. 1 WPO.<br />

Nach der bis zum 31.<strong>12</strong>.1994 geltenden Fassung des § 47 Abs. 1<br />

WPO (Bekanntmachung der Neufassung vom 5.11.1975, BGBl. I<br />

S. 2803 – WPO a. F.) durften Wirtschaftsprüfer neben ihrer Niederlassung<br />

nur eine weitere berufliche Niederlassung begründen (vgl.<br />

auch § 3 Abs. 2 WPO a. F.), wenn auch am Ort der weiteren Niederlassung<br />

ein dort ansässiger Wirtschaftsprüfer deren fachliche<br />

Leitung übernahm. Die Wirtschaftsprüferkammer konnte hiervon<br />

Ausnahmen zulassen. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften unterlagen<br />

bezüglich der Zahl ihrer Zweigniederlassungen keinen Beschränkungen.<br />

Ihre Zweigniederlassungen mussten nach § 47 Abs. 2<br />

WPO a. F. von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet werden.<br />

Dieser musste seinen Wohnsitz am Ort der Zweigniederlassung<br />

haben, wobei die Wirtschaftsprüferkammer ihm zur Vermeidung<br />

von Härten gestatten konnte, an einem anderen Ort zu<br />

wohnen. Im Interesse einer Deregulierung wurde mit der Neufassung<br />

des § 47 WPO die Begrenzung der Zahl der Zweigstellen bei<br />

Wirtschaftsprüfern aufgegeben. Sowohl bei Wirtschaftsprüfern als<br />

auch bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wird nur noch verlangt,<br />

dass der Leiter seine berufliche Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung<br />

hat. Ausnahmen vom Leitererfordernis sieht die<br />

Neufassung allerdings nur bei in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern,<br />

nicht aber bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

vor. Insgesamt verfolgt das Dritte Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung<br />

die Zielsetzung, die Leistungsfähigkeit der<br />

wirtschaftsprüfenden Berufe durch eine Auflockerung berufsrechtlicher<br />

Regelungen zu stärken, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />

vom 16.9.1993, BT-Drucks. <strong>12</strong>/5685 S. 1 (A).<br />

Dementsprechend heißt es in der Begründung der Bundesregierung<br />

zur Neufassung des § 47 WPO, Gesetzentwurf vom<br />

16.9.1993. aaO, S. 28: „Nicht verzichtet werden kann grundsätzlich<br />

darauf, daß jede Zweigniederlassung von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer<br />

geleitet werden muss, der seine berufliche Niederlassung<br />

am Ort der Zweigniederlassung hat. Wie bisher soll die Wirtschaftsprüferkammer<br />

aber für Zweigniederlassungen von in eigener<br />

Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern Ausnahmen zulassen können.<br />

Derartige Ausnahmen werden vor allem dann in Betracht kommen,<br />

wenn ein in Einzelpraxis tätiger Wirtschaftsprüfer oder eine aus<br />

wenigen Wirtschaftsprüfern bestehende Sozietät Zweigniederlassungen<br />

im Inland und ggf. auch im Ausland begründen will und<br />

der Geschäftsumfang es erlaubt, daß ein Wirtschaftsprüfer mehrere<br />

Zweigniederlassungen leitet. Diese Möglichkeit soll im Interesse<br />

der Wettbewerbsfähigkeit der Inhaber von Einzelpraxen und der<br />

Sozietäten erhalten bleiben.“<br />

Es steht außer Frage, dass nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

die Zulassung von Ausnahmen maßgeblich vom konkreten<br />

Geschäftsumfang abhängen soll. Dem Gesichtspunkt der Wett-


AnwBl <strong>12</strong>/2000 759<br />

Rechtsprechung l<br />

bewerbsfähigkeit kommt demgegenüber – entgegen der Auffassung<br />

des VG – keine Bedeutung zu. Die entsprechende Passage in der<br />

Gesetzesbegründung will lediglich erläutern, weshalb auf der Tatbestandsseite<br />

der Norm bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften generell<br />

auf eine einzelfallbezogene Prüfung des Geschäftsumfangs<br />

verzichtet wird; sie besagt aber nicht, dass im Rahmen der Ermessensbetätigung,<br />

also auf der Rechtsfolgenseite, bei Einzelpraxen<br />

eine individuelle Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgen soll.<br />

Bestätigt wird dies durch die Systematik des Gesetzes und die<br />

Zielrichtung des gesetzlichen Gebots. Das in § 47 S. 1 WPO enthaltene<br />

Gebot, eine Zweigniederlassung nur mit einem qualifizierten<br />

Leiter zu unterhalten, ist Ausfluss der in § 3 Abs. 3 WPO enthaltenen<br />

Regelung. Danach dürfen Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

– entsprechendes gilt gem. § 130<br />

Abs. 1 S. 1 WPO für vereidigte Buchprüfer – Zweigniederlassungen<br />

„nach den Vorschriften dieses Gesetzes begründen“. Damit ist<br />

nichts anderes gemeint, als dass die Ausübung des Berufs von einer<br />

Zweigniederlassung aus grundsätzlich den gleichen Regeln unterliegt<br />

wie die berufliche Betätigung im Rahmen der Hauptniederlassung.<br />

Hier wie dort haben Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigte Buchprüfer<br />

ihren Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen, eigenverantwortlich<br />

und unparteiisch auszuüben (§ 43 Abs. 1 WPO).<br />

Insofern dient das Gebot in § 47 S. 1 WPO dazu, eine gewissenhafte<br />

und eigenverantwortliche Tätigkeit auch bei Begründung<br />

einer Zweigniederlassung zu gewährleisten. Dieser Schutzzweck<br />

steht folgerichtig bei der Zulassung von Ausnahmen gem. § 47 S.<br />

2 WPO im Vordergrund. Ist im Einzelfall in der Zweigniederlassung<br />

wegen des geringen Geschäftsumfangs eine gewissenhafte<br />

und eigenverantwortliche Tätigkeit auch ohne einen dort beruflich<br />

niedergelassenen qualifizierten Leiter sichergestellt, so besteht kein<br />

Grund, die Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Die Ausnahmeregelung<br />

des § 47 S. 2 WPO soll mithin die schematisierende<br />

Strenge des Gesetzes mildern und Härten und Schwierigkeiten begegnen,<br />

die sich ergeben können, wenn auf Grund der besonderen<br />

Umstände des jeweiligen Einzelfalles der Anwendungsbereich des<br />

Gesetzes und seine materielle Zielsetzung nicht miteinander übereinstimmen<br />

(Zum Sinn von Ausnahmegenehmigungen vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 18.<strong>12</strong>.1987 – 7 C 57.85 –, BVerwGE 78, 357, 360,<br />

und C 14.7.1972 – 4 C 69.70 –, BVerwGE 40, 268, 271).<br />

Insoweit unterscheidet sich diese Regelung von § 34 Abs. 2<br />

Steuerberatungsgesetz, der eine Ausnahme vom Leitererfordernis<br />

nicht (mehr) vorsieht.<br />

Den so umrissenen Zweck der Ermächtigung hat die Bekl bei<br />

ihrer Ermessensbetätigung außer Acht gelassen. Sie ist von vornherein<br />

davon ausgegangen, dass der in § 47 S. 2 WPO geregelte<br />

Ausnahmefall nur vorübergehender Natur sein könne und eine Verlängerung<br />

der Ausnahmegenehmigung über den 31.<strong>12</strong>.1996 hinaus<br />

deshalb nicht in Betracht komme. Der Frage, ob der Geschäftsumfang<br />

es erlaubt, dass der Kl die Zweigniederlassung in A selbst leitet,<br />

hat sie keine Bedeutung beigemessen und ist deshalb insoweit<br />

auch nicht in eine einzelfallbezogene Prüfung eingetreten. Dafür<br />

wäre es erforderlich gewesen, die Zahl der Geschäftsvorfälle und<br />

den Aufwand, der mit ihrer Abwicklung für den Kl verbunden ist,<br />

zu ermitteln. Geschäftsvorfälle sind in diesem Zusammenhang alle<br />

Tätigkeiten, durch die der Kl in der Haupt- und Zweigniederlassung,<br />

sei es als Rechtsbeistand, Steuerberater oder vereidigter<br />

Buchprüfer beruflich in Anspruch genommen wird. Denn seine gesamte<br />

berufliche Inanspruchnahme ist entscheidend für die Beurteilung<br />

der Frage, ob er die Zweigniederlassung in A gewissenhaft<br />

und eigenverantwortlich leiten kann. Weil dies nicht geschehen ist,<br />

hat die Bekl den Anspruch des Kl auf eine fehlerfreie Ermessensausübung<br />

verletzt.<br />

Das Ermessen der Bekl ist jedoch nicht in der Weise reduziert,<br />

dass sie gehalten wäre, dem Kl die begehrte unbefristete Erlaubnis<br />

zu erteilen. Ob der Geschäftsumfang eine Leitung der Zweigstelle<br />

durch den Kl zulässt, hat die Bekl bisher nicht aufgeklärt. Außerdem<br />

bedarf es, wenn diese Klärung erfolgt ist, einer Prognose hinsichtlich<br />

des zukünftigen Geschäftsumfangs. Den damit verbundenen<br />

Unwägbarkeiten kann die Bekl ggf. durch eine befristete<br />

Ausnahmegenehmigung, die verlängert werden kann, Rechnung<br />

tragen. In Betracht kommt ggf. aber auch die Erteilung einer unbefristeten<br />

Genehmigung verbunden mit einer Auflage, durch die<br />

in zeitlichen Abständen eine Überprüfung des Geschäftsumfangs<br />

sichergestellt ist.<br />

Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission der Richter<br />

des OVG NRW<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO § 27<br />

Für fotokopierte Anlagen zu den Schriftsätzen stehen dem<br />

Rechtsanwalt grundsätzlich besondere Schreibgebühren zu und<br />

diese Leistungen sind nicht durch die allgemeine Prozessgebühr<br />

abgegolten. (LS der Redaktion)<br />

LG Wuppertal, Kostenfestsetzungsbeschl. vom 25.5.2000 – 2 O 32/00<br />

Aus den Gründen: Die Festsetzung basiert auf dem Antrag der<br />

Bekl vom 30.3.2000. Die darin aufgeführten Kosten sind in voller<br />

Höhe entstanden und erstattungsfähig. Dies gilt insbesondere auch<br />

für die von der Kl bestrittenen Fotokopiekosten. Der unter dem<br />

18.4.2000 geäußerten Meinung, die Anlagen zu den Schriftsätzen<br />

seien mit der Prozessgebühr abgegolten, schließt sich das Gericht<br />

nicht an. Es ist vielmehr der Auffassung, dass dem Rechtsanwalt,<br />

für die Ablichtungen, die als Anlagen der bei Gericht eingereichten<br />

Schriftsätze und der für den Gegner bestimmten Ausfertigungen<br />

beigefügt sind, grundsätzlich besondere Schreibgebühren zustehen<br />

und diese Leistungen nicht durch die allgemeine Prozessgebühr abgegolten<br />

werden (vgl. auch Beschl. des OLG München v.<br />

1.7.1982 – 11 W 1537/82). Laut Brandenburgischem OLG (Beschl.<br />

v. 3.8.95 – 8 W 63/95) ist ferner ein „kleinlicher Maßstab“ bei der<br />

Beurteilung der Notwendigkeit der Kopiekosten „fehl am Platz“.<br />

Durch den Schriftsatz der Bekl vom 26.4.2000 ergibt sich die nähere<br />

Erläuterung über Art und Umfang der gefertigten Kopien. Die<br />

Notwendigkeit ihrer Fertigung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung<br />

wird ebenfalls bejaht.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Siegfried Bratke, Düsseldorf<br />

ZPO §§ 485, 494a II, BRAGO § 32 I, § 48<br />

Hat sich für den Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren<br />

ein Rechtsanwalt beteiligt, ohne einen Gegenantrag zu stellen<br />

oder einen Termin wahrzunehmen, entsteht für den Anwalt,<br />

wenn er in sonstiger Weise tätig geworden ist, die halbe Prozessgebühr<br />

des § 32 Abs. 1 BRAGO.<br />

Werden danach auch noch Anträge auf Fristsetzung nach<br />

§ 494a Abs. 1 bzw. auf Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2 S. 1<br />

ZPO gestellt, entsteht eine zusätzliche 10/10-Prozessgebühr aus<br />

dem Kosteninteresse des erstattungsberechtigten Antragsgegners.<br />

OLG München, Beschl. v. 3.4.2000 – 11 W 1076/00<br />

Aus den Gründen: Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht<br />

eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu<br />

2) hat eingeschränkt Erfolg.<br />

1 Die anwaltlichen Vertreter der Antragsgegnerin zu 2) haben<br />

sich am 6.1.1997 bestellt und Akteneinsicht beantragt. Nachdem<br />

das Sachverständigengutachten vom 14.9.1998 eingegangen war,<br />

wurde es den Prozessbevollmächtigten zugestellt. Danach haben<br />

diese mit Schriftsatz vom 23.9.1998 nochmals Akteneinsicht beantragt.<br />

Weiterhin hat die Antragsgegnerin zu 2) unbestritten vorgetragen,<br />

dass das schriftliche Sachverständigengutachten von den<br />

Prozessbevollmächtigen überprüft und mit der Mandantin besprochen<br />

worden ist. Die für den Anfall der Prozessgebühr nach § 31<br />

Abs. 1 Nr. 1 BRAGO erforderliche auf den Streitfall gerichtete anwaltliche<br />

Tätigkeit kann nach Überzeugung des Senats damit nicht<br />

zweifelhaft sein. Allerdings gilt über § 48 BRAGO nicht nur § 31<br />

BRAGO, sondern auch § 32 BRAGO. Insofern hat das LG im<br />

Beschl. v. 24.9.1999 die Kommentarstelle (bei Geroldt/Schmidt –<br />

von Eicken, 14. Aufl., Rdnr. 5 zu § 48 BRAGO) missverstanden.<br />

Gemeint ist dort im Hinblick auf § 32 Abs. 1 BRAGO, dass die<br />

volle Prozessgebühr für den Anwalt des Gegners im selbständigen<br />

Beweisverfahren nur dann entsteht, wenn er einen Gegenantrag<br />

einreicht oder einen Termin im Beweisverfahren wahrgenommen<br />

hat. Endet der Auftrag des Antragsgegnervertreters, bevor er einen<br />

Antrag eingereicht oder einen Termin wahrgenommen hat, so<br />

entsteht für ihn die Prozessgebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO zur<br />

Hälfte (vgl. Geroldt/Schmidt aaO am Ende; siehe ferner<br />

Hansens, BRAGO, 8. Aufl., Rdnr. 2 und 7 zu § 48). Die Auffassung,<br />

dass unter den gegebenen Voraussetzungen auch die halbe


760<br />

l<br />

Prozessgebühr des § 32 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 1.062,50 DM<br />

nicht anfallen würde, hätte zur Folge, dass ein Antragsgegner, der<br />

sich im Beweisverfahren von einem Rechtsanwalt vertreten lässt,<br />

trotz einer ergangenen Kostengrundentscheidung entgegen § 91<br />

Abs. 2 S. 1 ZPO keine Kostenerstattung verlangen könnte.<br />

2. Entgegen der Ansicht des LG hat auch der Antrag der anwaltlichen<br />

Vertreter der Antragsgegnerin vom 16.4.1999 auf Fristsetzung<br />

zur Erhebung der Hauptsacheklage gebührenrechtliche Bedeutung.<br />

Zwar trifft es zu, dass das Beweisverfahren zu diesem<br />

Zeitpunkt längst abgeschlossen war. Darüber hinaus zielte der Antrag<br />

auf Fristsetzung ausweislich des Akteninhalts im Ergebnis nur<br />

auf die Ermöglichung und Erwirkung einer Kostenentscheidung<br />

nach § 494a Abs. 2 ZPO. Für diesen Fall hat der Senat entschieden<br />

(zur Veröffentlichung bestimmter Beschl. v. 28.3.2000 – 11 W<br />

1086/00 –), dass für die Stellung des Antrags allein keine erstattungsfähigen<br />

Gebühren anfallen, wenn im abgeschlossenen selbständigen<br />

Beweisverfahren noch keine Gebührenansprüche entstanden<br />

waren, so dass die anschließende anwaltliche Tätigkeit<br />

offensichtlich überflüssig war und einer Kostenfestsetzung damit<br />

der Rechtsgedanke von Treu und Glauben entgegensteht. Diese<br />

Überlegung gilt in der vorliegenden Sache nicht, weil hier – wie<br />

oben ausgeführt – bereits Gebührenansprüche durch die Tätigkeit<br />

im Beweisverfahren selbst ausgelöst worden waren. Durch die<br />

Anträge auf Fristsetzung und auf Erlass einer Kostenentscheidung<br />

erwuchsen den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 2)<br />

vielmehr soweit es sich um Sachanträge i. S. d. § 32 Abs. 1 ZPO<br />

handelte – jeweils eine volle (aufeinander zu verrechnende) 10/10<br />

Prozessgebühr (aus dem Kostenwert s. u.).<br />

Nach Meinung des Senats stellt der Antrag auf Fristsetzung zu<br />

Erhebung der Hauptsacheklage nach § 494a Abs. 1 ZPO genauso<br />

wie der entsprechende Antrag auf Fristsetzung nach § 926 Abs. 1,<br />

§ 942 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu Hansens aaO, Rdnr. 10 zu § 32) einen<br />

Sachantrag i. S. d. § 32 Abs. 1 BRAGO dar. Sachanträge im Sinne<br />

dieser Vorschrift sind Anträge, die sich auf Inhalt, Gegenstand und<br />

Wirkung der erbetenen Entscheidung beziehen (vgl. Senat, OLGR<br />

1994, <strong>12</strong>0 = JurBüro 1994, 603; Hansens aaO, Rdnr. 8 zu § 32).<br />

Der Antrag auf Fristsetzung ist allerdings nicht dazu tauglich,<br />

eine endgültige Klärung des Streitverhältnisses zwischen den Parteien<br />

zu erzwingen. Der Antragsteller wird durch die Fristsetzung<br />

nämlich – abgesehen davon, dass er ggf. eine Kostenentscheidung<br />

gem. § 494a Abs. 2 ZPO gegen sich hinnehmen muss – nicht zur<br />

Klageerhebung genötigt. Er kann diese auch nach Fristablauf jederzeit,<br />

ohne präkludiert zu sein, nachholen. Andererseits geht es<br />

nicht um den bloßen Verfahrensgang wie bei einem Aussetzungsantrag<br />

oder einer Bitte um Fristverlängerung, sondern darum, durch<br />

die Ermöglichung einer Kostenentscheidung gegen den Antragsteller<br />

den kostenmäßigen Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens<br />

zu erreichen (vgl. den erwähnten , Senatsbeschl. v. 28.3.2000).<br />

Damit bestimmt sich die durch die Antragstellung (Antrag auf<br />

Fristsetzung bzw. auf Kostenausspruch) erwachsene Prozessgebühr<br />

aus dem Kosteninteresse desjenigen Antragsgegners, dessen Kosten<br />

der Antragsteller nach § 494a Abs. 2 S. 1 ZPO zu tragen hat.<br />

Dies sind hier die 5/10 Prozessgebühr aus dem Gesamtwert des<br />

Verfahrens in Höhe von 1.062,50 DM, wie oben dargelegt, zuzüglich<br />

einer 10/10 Beweisgebühr von 2.<strong>12</strong>5 DM wegen der Entgegennahme<br />

und Überprüfung des Gutachtens. Auf diese von ihr ursprünglich<br />

beantragte und ihr abgesprochene Gebühr hat die<br />

Antragsgegnerin zu 2) ihre Beschwerde nicht gestützt. Da die Gebühr<br />

aber tatsächlich angefallen ist und zum Zeitpunkt des Entstehens<br />

der 10/10 Gebühr aus dem Kostenwert noch nicht abgesprochen<br />

war, muss sie bei der Ermittlung des Kostenwerts<br />

berücksichtigt werden, so dass die zusätzliche 10/10 Gebühr wegen<br />

der Antragstellung aus einem Wert von 3.187,50 DM zu entnehmen<br />

ist. Der Erstattungsanspruch der Antragsgegnerin zu 2) erhöht<br />

sich deswegen um 265 DM auf 1.327,50 DM.<br />

Mitgeteilt von RiOLG Dr. Rönnebeck, München<br />

BRAGO §§ 97, 99<br />

Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben, sondern<br />

an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97 BRAGO<br />

mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung in vollem<br />

Umfang anzurechnen ist. (LS der Redaktion)<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 18.11.99 – 1 Ws 717/99<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung<br />

Aus den Gründen: Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben, sondern<br />

an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97 BRAGO<br />

mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung (hier:<br />

850 DM) in vollem Umfang anzurechnen ist. Dies gilt auch dann,<br />

wenn – wie vorliegend – nur für einen Teil des Revisionsverfahrens<br />

eine Pauschvergütung bewilligt wird. Ein entsprechender Ausspruch<br />

im Bewilligungsbeschluss ist nicht notwendig. Er hätte lediglich<br />

deklaratorischen Charakter und diente der Vermeidung von<br />

Missverständnissen.<br />

Die im angefochtenen Beschluss vorgenommene Teilanrechnung<br />

käme nur in Betracht, wenn § 86 BRAGO zwei Gebühren,<br />

nämlich eine für das schriftliche Revisionsverfahren und eine weitere<br />

für die Revisionshauptverhandlung vorsähe. Dies ist jedoch<br />

nicht der Fall.<br />

Anknüpfungstatbestand für die Gebühr nach § 86 Abs. 1<br />

BRAGO ist die Teilnahme des Verteidigers an der Revisionshauptver<br />

handlung, die mit dem Vortrag des Berichterstatters beginnt<br />

(§ 351 StPO). Ist der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt in sei ner<br />

Eigenschaft als Verteidiger im Sitzungssaal anwesend, hat er die<br />

Gebühr verdient. Dass er selbst etwas tut, ist nicht notwendig. Für<br />

die Entstehung des Gebührenanspruches ist es auch unerheblich,<br />

ob der Rechtsanwalt in dem vorangegangenen schriftlichen Teil des<br />

Revisionsverfahrens tätig geworden ist. Eine solche Tätigkeit hat<br />

bei einem Wahlverteidiger nur Bedeutung für die Bestimmung der<br />

Rahmengebühr nach § <strong>12</strong> BRAGO, während sie bei einem bestellten<br />

Verteidiger wegen der Berechnungsmethode nach § 97 Abs. 1<br />

BRAGO völlig unberücksichtigt bleibt.<br />

War der Verteidiger nur außerhalb der Revisionshauptverhandlung<br />

tätig oder findet eine solche nicht statt, wird die Gebühr<br />

nach § 86 Abs. 1 BRAGO um die Hälfte ermäßigt (§ 86 Abs. 3<br />

BRAGO).<br />

Aus dem Vorstehenden folgt, dass der gewählte oder bestellte<br />

Verteidiger im Revisionsverfahren immer nur eine Gebühr erhält,<br />

deren Höhe davon abhängt, ob er an der Revisionshauptverhandlung<br />

teilgenommen hat oder nicht. An die Stelle dieser Gebühr tritt<br />

die bewilligte Pauschvergütung (die sich im Einzelfall wegen der<br />

Zuständigkeitsregelung des § 99 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BRAGO und<br />

deren Auslegung durch den BGH [siehe BGHSt 23, 324] aus zwei<br />

Beträgen zusammensetzen kann). Demzufolge kann der Beschwerdegegner<br />

nur, wie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzt,<br />

die Differenz zwischen der Gebühr nach den §§ 86 Abs. 1,<br />

97 BRAGO und der bewilligten Pauschvergütung beanspruchen.<br />

Dieses nach Auffassung des Beschwerdegegners unbillige<br />

Ergebnis ist in der Struktur der §§ 86 Abs. 1, 97 Abs. 1 BRAGO<br />

begründet. Art und Umfang der Tätigkeit außerhalb der Revisionshauptverhandlung<br />

haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die<br />

Höhe der Vergütung des nach § 350 Abs. 3 StPo bestellten Verteidigers.<br />

Nur wenn das OLG im Rahmen seiner Zuständigkeit die<br />

Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 BRAGO zu prüfen hat, kann dieser<br />

Tätigkeit Bedeutung zukommen.<br />

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht<br />

erstattet (§ 98 Abs. 4 BRAGO).<br />

Mitgeteilt von VRiLG a. D. Rudolf Hilt, Mainz


AnwBl <strong>12</strong>/2000 761<br />

7 NACHSCHLAG<br />

In dieser, in lockerer Folge erscheinenden Spalte (zuletzt: AnwBl 1999, 239) veröffentlichen wir die Leitsätze<br />

einiger Entscheidungen, die zur Veröffentlichung in den beiden Vorjahren vorgesehen waren, zu deren Abdruck es<br />

jedoch vornehmlich aus Platzgründen nicht gekommen ist. Es handelt sich auch hier um beachtliches und<br />

hilfreiches Material. Die Leitsätze sind systematisch nach den Gruppen der Rechtsprechungsspalten im AnwBl<br />

sortiert. Der Volltext der Druckfahne kann unter der angegebenen Nummer des Leitsatzes mit dem Hinweis<br />

„Rechtsprechung Nachschlag“ bei der Redaktion gegen Zahlung von 10,– DM je Entscheidung angefordert werden.<br />

Die Redaktionsanschrift lautet:<br />

Deutscher Anwaltverein<br />

Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

Fax 030 – 726152-190<br />

Berufsrecht<br />

BGB § 675<br />

Zur haftungsausfüllenden Kausalität, wenn ein Rechtsanwalt, der<br />

einen Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess vertritt,<br />

seinen Mandanten nicht über den Kleinbetriebseinwand i. S. d.<br />

§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG belehrt.<br />

BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97<br />

R 943<br />

BRAO § 51b; BGB § 675<br />

1. Zum Beginn der Verjährung i. S. d. § 51b BRAO bei Versäumung<br />

der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

gem. § 72a ArbGG.<br />

2. Der Rechtsanwalt, der seinen Auftraggeber pflichtwidrig nicht<br />

auf einen möglichen Regressanspruch und dessen Verjährung<br />

hingewiesen hat, muss beweisen, dass der Mandant nicht belehrungsbedürftig<br />

war.<br />

3. Zur haftungsausfüllenden Kausalität für einen Regressanspruch<br />

gegen einen Rechtsanwalt, der die Frist zur Begründung<br />

der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72a ArbGG versäumt<br />

hat.<br />

BGH, Urt. v. 9.<strong>12</strong>.1999 – IX ZR <strong>12</strong>9/99<br />

R 895<br />

BGB § 675, §§ 280, 286 analog<br />

1. Der Rechtsanwalt hat den Mandanten im Gebrauchsmusterverletzungsprozeß<br />

und im Löschungsverfahren darüber aufzuklären,<br />

ob es tunlich ist, eine umfassende Neuheitsrecherche durchzuführen.<br />

2. Der Bezifferung des Schadensersatzanspruchs wegen unnötig<br />

entstandener Kosten steht nicht entgegen, daß Anspruch und<br />

Aufrechnungsanspruch aufgrund einer noch im Streit befindlichen<br />

Streitwertfestsetzung festgestellt sind. (LS der Red.)<br />

LG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.1998 – 4 O 15/98<br />

R 707<br />

RAVG Baden-Württemberg<br />

Ein in der Schweiz ansässiger und berufstätiger Buchprüfer, der<br />

in Baden-Württemberg als Rechtsanwalt zugelassen ist, hat nicht<br />

deshalb einen Anspruch auf Befreiung von der Mitgliedschaft im<br />

Versorgungswerk für Rechtsanwälte, weil er in der Schweiz<br />

pflichtversichert ist.<br />

VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.11.1999 – 9 S 2176/98<br />

R 935<br />

Prozeßkostenhilfe<br />

l<br />

GG Art. 3 Abs. 1; GKG § 58 Abs. 2 S. 2; ZPO §§ 114 ff.<br />

1. Die vom Gesetzgeber eingeräumte Prozeßkostenfreiheit muß<br />

der unbemittelten Partei, ungeachtet ihrer prozessualen Stellung<br />

als Kl oder Bekl zugute kommen. § 58 Abs. 2 S. 2 GKG ist entsprechend<br />

verfassungskonform auszulegen.<br />

2. Diese verfassungskonforme Auslegung bedingt eine Rückerstattungspflicht<br />

der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter<br />

Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem durch gerichtliche<br />

Entscheidung obsiegenden Kl, dessen Prozeßgegner PKH bewilligt<br />

worden ist. (LS der Red.)<br />

BVerfG, Erster Senat, 3. Kammer, Beschl. v. 23.6.99 – 1 BvR 984/89<br />

R 824<br />

ZPO §§ 114, 115, 119<br />

Wird eine ursprünglich zulässige und erfolgversprechende Klage<br />

nach Erfüllung zurückgenommen, so ist dies für die beantragte<br />

Prozesskostenhilfe unschädlich. Sie ist nachträglich jedenfalls<br />

dann zu bewilligen, wenn die Bewilligungsreife vor der Klagerücknahme<br />

gegeben war (im Anschluss an LAG Düsseldorf vom<br />

31.8.1989 JurBüro 1990, 98).<br />

LAG Köln, Beschl. v. 13.<strong>12</strong>.1999 – 6 Ta 304/99<br />

R 893<br />

BGB § 1922, § 1967 Abs. 1; ZPO § <strong>12</strong>2 Abs. 1 Nr. 1 a); GKG<br />

§54Nr.3<br />

War dem Erblasser ratenfreie Prozeßkostenhilfe bewilligt worden,<br />

und nehmen nach seinem Tod die Erben den Rechtsstreit<br />

nicht auf, so können sie – unabhängig von ihrer Vermögenssituation<br />

– nicht von der Landeskasse wegen der durch die Prozeßführung<br />

des Erblassers verursachten Kosten in Anspruch genommen<br />

werden.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1999 – 10 WF 1/99<br />

R 858<br />

BGB § 398; ZPO § 114; BRAGO § 6 Abs. 1, § <strong>12</strong>3, § <strong>12</strong>8<br />

Abs. 3, Abs. 4<br />

1. Ein Sozietätskollege des im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordneten<br />

Rechtsanwaltes ist im Festsetzungsverfahren des § <strong>12</strong>8<br />

BRAGO erinnerungs- und beschwerdebefugt, wenn dieser zuvor<br />

anläßlich seines Ausscheidens aus der Sozietät seinen Vergütungsanspruch<br />

gegen die Landeskasse an den Kollegen abgetreten hat.<br />

2. Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes, den<br />

neben der PKH-Partei in derselben Angelegenheit auch einen nicht<br />

unterstützungsbedürftigen Streitgenossen vertritt, ist nicht auf den<br />

Mehrvertretungszuschlag des § 6 Abs. 1 BRAGO beschränkt, sondern<br />

umfaßt die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei<br />

gem. § <strong>12</strong>3 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren (entgegen<br />

BGH NJW 1993, 1715 und Anschluß an OLG München NJW-RR<br />

1997, 191 und OLG Stuttgart JurBüro 1997, 200).<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.7.1997 – 10 W 86/97<br />

R 496


762<br />

l<br />

ArbGG, § 11a; ZPO §§ 114 ff.<br />

In dem Verfahren vor dem ArbG enthält ein Antrag auf Beiordnung<br />

eines Rechtsanwalts im Rahmen der Bewilligung von<br />

Prozeßkostenhilfe als „wesensgleiches minus“ einen Antrag auf<br />

Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 11a ArbGG.<br />

Scheitert der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe an<br />

den Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO, hat das ArbG auch<br />

ohne ausdrücklichen Antrag oder Klarstellung der Partei von<br />

Amts wegen zu prüfen, ob ihr ein Rechtsanwalt gem. § 11a<br />

ArbGG beigeordnet werden kann.<br />

LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.6.1997 – 2 Ta 42/97<br />

R 462<br />

Prozeßrecht<br />

BGB § 132<br />

1. Hat sich der Rechtsstreit zwischen Klageeinreichung und Klagezustellung<br />

erledigt, so kann der Kl Feststellung der entsprechenden<br />

Kostentragungspflicht des Bekl beantragen.<br />

2. Im Falle des Übergabeeinschreibens führt die Benachrichtigung<br />

des Empfängers über die Niederlegung des Schriftstücks bei der<br />

zuständigen Postanstalt nur dann zu dessen Zugang, wenn das<br />

Schriftstück von dem benachrichtigten Empfänger abgeholt wird.<br />

3. Der Zugang eines Schriftstückes trotz unterlassener Abholung<br />

kann nur dann fingiert werden, wenn sich aus dem Bestehen von<br />

besonderen Rechtsbeziehungen zwischen Absender und Empfänger<br />

ergibt, dass der Empfänger Schriftstücke, über deren Niederlegung<br />

er unterrichtet wird, abholen muss. Dazu reicht allein das<br />

Bestehen eines Mietvertrages nicht aus.<br />

LG Berlin, Urt. v. 30.11.1999 – 64 S 299/99<br />

R 933<br />

ZPO § 42<br />

Ein sachlich nicht gerechtfertigtes, ungewöhnlich aggressives<br />

Verhalten eines Richters gegenüber dem Prozessbevollmächtigten<br />

der Partei unter Verkürzung der Parteirechte kann einen Ablehnungsgrund<br />

darstellen.<br />

Zur Auswirkung der berechtigten und erfolgreichen Ablehnung eines<br />

Richters auf ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch der ablehnenden<br />

Partei in einem gleichzeitig anhängigen anderen Verfahren.<br />

Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 15.9.1999 – 1 W 14/99<br />

R 942<br />

EGGVG § 23; ZPO § 182<br />

1. Für die Kraftloserklärung eines im Rechtshilfeverkehr mit<br />

dem Ausland seitens einer deutschen Behörde ausgestellten Zustellungszeugnisses<br />

ist der Rechtsweg gem. § 23 EGGVG gegeben.<br />

2. Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung gem. § 182 ZPO setzt voraus,<br />

daß die Mitteilung über die Niederlegung in der Wohnung<br />

erfolgt ist, die der Zustellungsempfänger auch tatsächlich bewohnt.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.3.1997 – 3 V a 1/97<br />

R 340a<br />

ZPO § 887<br />

Die Verpflichtung zur Abrechnung über Betriebskosten ist eine<br />

vertretbare Handlung nach § 887 ZPO und somit nicht nach<br />

§ 888 ZPO durch Verhängung von Zwangsgeld zu vollstrecken.<br />

LG Berlin, Beschl. v. 23.11.1999 – 64 T 94/99<br />

R 932<br />

GVG § 185 Abs. 1; GKG § 8<br />

Es stellt keine unrichtige Sachbehandlung i. S. d. § 8 GKG dar,<br />

wenn das Gericht, das im Unwissen um die hinreichenden deutschen<br />

Sprachkenntnisse einer ausländischen Partei ist, für diese<br />

einen Dolmetscher zur mündlichen Verhandlung bestellt, sofern<br />

der Akteninhalt objektiv den Verdacht sprachlicher Schwierigkeiten<br />

der Partei nahe legt.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.5.1998 – 10 WF 4/98<br />

R 602<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Rechtsprechung Nachschlag<br />

GKG § <strong>12</strong>; ZPO §§ 3, 42, 47, 299<br />

1. Es besteht kein Anspruch auf Übersendung von Gerichtsakten<br />

zur Einsichtnahme in eine Rechtsanwaltskanzlei.<br />

2. Aus einem objektiven Verstoß gegen die Wartepflicht nach<br />

§ 47 ZPO ergibt sich noch nicht ohne weiteres ein Ablehnungsgrund<br />

im Sinne von § 42 ZPO.<br />

3. Zur Bemessung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren<br />

in Richterablehnungssachen.<br />

Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 13.7.1999 – 1 W 9/99<br />

R 944<br />

ZPO § 42; WEG § 43 Abs. 1; FGG § <strong>12</strong>; BGB § 222<br />

Im Wohnungseigentumsverfahren kann ein Richter grundsätzlich<br />

nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,<br />

wenn er bei der Erörterung von Schadensersatzansprüchen gegen<br />

den Verwalter auf eine mögliche Verjährung hinweist.<br />

BayObLG, Beschl. v. 24.2.1999 – 2Z BR 18/99<br />

R 691<br />

FGG § 22<br />

Muß aufgrund des „Journals“ der Faxstelle des Gerichts davon<br />

ausgegangen werden, daß das Empfängerfaxgerät zum fraglichen<br />

Zeitpunkt technisch in Ordnung und nicht durch den Empfang<br />

anderweitiger Nachrichten blockiert war, und ergibt sich deshalb<br />

neben der Möglichkeit einer vom Sendegerät nicht erkannten<br />

Übermittlungsstörung die nicht auszuschließende Möglichkeit<br />

einer Manipulation, so reicht die Vorlage des in Ablichtung überreichten<br />

Sendeberichts mit dem „O.K.-Vermerk“ zur Glaubhaftmachung<br />

der Absendung als Voraussetzung des unverschuldet<br />

nicht erfolgten Zugangs einer authentischen Beschwerdeschrift<br />

allein nicht aus.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.5.1999 – 3 Wx 53/99<br />

R 756<br />

ArbGG § 9 Abs. 5<br />

Wenn das Landesarbeitsgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist<br />

umzieht beginnt die Berufungsfrist (§ 66 I 1 ArbGG) nur, wenn<br />

in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils gem. § 9<br />

V 3 ArbGG die jeweilige Anschrift des LAG vor und nach dem<br />

Umzugstermin mitgeteilt wird.<br />

LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 8.<strong>12</strong>.1999 – 3 Sa 262/99<br />

R18<br />

ArbGG § 66 Abs. 1; ZPO § 519 Abs. 2; ZPO § 85 Abs. 2<br />

Ein Rechtsanwalt, der mit dem Diktat einer 28-seitigen Berufungsbegründung<br />

am letzten Tag der Begründungsfrist gegen<br />

17.30 Uhr beginnt in der Absicht, sie dem Berufungsgericht noch<br />

am gleichen Tag zuzufaxen, handelt nicht schuldlos i. S. v. § 233<br />

ZPO, wenn er erst gegen 23.45 Uhr mit dem Versuch der Übermittlung<br />

beginnt, damit aber erst nach 0.00 Uhr erfolgreich ist,<br />

weil das technisch intakte Empfangsgerät des Gerichts durch andere<br />

Übersender besetzt ist; es entschuldigt ihn nicht, wenn der<br />

späte Übersendungsversuch dadurch bedingt war, dass seine<br />

Schreibkraft infolge technischer Pannen erst gegen 23.00 Uhr<br />

mit der Durchführung der Schreibkorrekturen beginnen konnte<br />

und diese sich infolge weiterer Störungen bis 23.45 Uhr hinzogen,<br />

wenn der unkorrigierte Rohtext noch vor 23.00 Uhr fertiggestellt<br />

worden ist, als dessen erfolgreiche Fax-Übermittlung noch<br />

zu erwarten war.<br />

LAG Köln, Urt. v. 19.11.1999 – 11 Sa 706/99<br />

R 892<br />

VwGO § 40; StVollZG §§ 28, 30, 31, 33, 109, 110<br />

Für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Auskunft der<br />

Strafvollzugsbehörde über Maßnahmen zur Beschränkung des<br />

Postverkehrs von Gefangenen steht einem Dritten (hier: dem Absender<br />

von Postsendungen für den Gefangenen) der Verwaltungsrechtsweg<br />

offen, nicht dagegen der Rechtsweg zu den ordentlichen<br />

Gerichten (Strafvollstreckungskammern).<br />

VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 16.1.1997 – 10 S 1967/96<br />

R 432


AnwBl <strong>12</strong>/2000 763<br />

Rechtsprechung Nachschlag l<br />

VwGO § 67 Abs. 1 Satz 1<br />

1. Es spricht einiges dafür, daß der Vertretungszwang des § 67<br />

Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht für die Einlegung zulassungsfreier<br />

Beschwerden gilt.<br />

2. Auch wenn eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht zulässigerweise<br />

ohne anwaltliche Vertretung eingelegt werden kann,<br />

muß eine Rechtsmittelbelehrung nicht fehlerhaft sein, die für das<br />

weitere Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf einen<br />

dort bestehenden Vertretungszwang hinweist.<br />

OVG NW, Beschl. v. 24.6.1998 – 10 E 413/98<br />

R 7<strong>12</strong><br />

VwZG § 5 Abs. 2<br />

Als Nachweis der Zustellung reicht ein von einer Büroangestellten<br />

des Rechtsanwalts unterschriebenes Empfangsbekenntnis<br />

nicht.<br />

Hamburgisches OVG, Beschl. v. 24.9.1998 – OVG Bs VI <strong>12</strong>2/96<br />

R 810<br />

StGB §§ 185, 193<br />

Der Vorwurf der (objektiven) Willkür durch einen Verteidiger ist<br />

keine Beleidigung, wenn er im Rahmen einer sachgerechten Verteidigung<br />

erhoben wird.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1998 – 5 Ss 47/98 – 25/98 II<br />

R 565<br />

StPO § 140 Abs. 2<br />

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 9.11.1999 – 2 Ws 331/99<br />

R 906<br />

StPO § 140 Abs. 2<br />

Zur Beurteilung der Frage, ob dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger<br />

beizuordnen ist, ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände<br />

erforderlich.<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 26.3.1997 – 2 Ss 308/97<br />

R 437<br />

StPO § 140 Abs. 2<br />

Die Schwere der Tat erfordert jedenfalls dann grundsätzlich die<br />

Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der Angekl nicht nur<br />

eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung,<br />

sondern darüber hinaus den Widerruf der Aussetzung<br />

der Vollstreckung mehrerer (Rest-)Freiheitsstrafen zu erwarten<br />

hat.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.6.1998 – 1 Ws 351/98<br />

R 647<br />

STPO §§ 141, 142, 143, 304<br />

1. Der Beschuldigte ist durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers<br />

nicht beschwert. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der<br />

Beschuldigte bereits vorher einen Wahlverteidiger beauftragt<br />

hatte und ein besonderer Anlass für die Bestellung eines Pflichtverteidigers<br />

neben dem Wahlverteidiger nicht besteht.<br />

2. Die ermessensfehlerfreie Bestellung eines Pflichtverteidigers<br />

ist nicht deshalb zurückzunehmen, weil nachträglich ein Wahlverteidiger<br />

beauftragt wird, wenn dies nur geschieht, um die Entbindung<br />

des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu<br />

erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle Pflichtverteidiger<br />

wird.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 22.3.2000 – 1 Ws 219/00<br />

R 988<br />

StPO § 141, JGG § 57<br />

Die Bestellung zum Pflichtverteidiger wirkt im Verfahren über<br />

die Aussetzung der Jugendstrafe gem. § 57 JGG fort.<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.3.1998 – 3 Ws 53/98<br />

R 564<br />

StPO §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5<br />

Einem Angekl, der krankheitsbedingt erhebliche Verständigungsschwierigkeiten<br />

hat und nahezu taubstumm ist, ist nach § 140<br />

Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger auch dann beizuordnen, wenn<br />

eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zu erwarten ist.<br />

Dies gilt umso mehr, wenn im Falle der Verurteilung eine Strafaussetzung<br />

zur Bewährung nicht in Betracht kommt und zusätzlich<br />

der Widerruf der Strafaussetzung in zwei weiteren Verfahren<br />

droht.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.9.1997 – 5 Ss 276/97 – 81/97 I<br />

R 480<br />

OWiG §§ 46, 60; StPO § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 338 Nr. 5<br />

Auch in OWiG-Verfahren ist bei Vorliegen der Voraussetzungen<br />

des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (mehrmonatiger Freiheitsentzug in<br />

anderer Sache) stets die Beiordnung eines Pflichtverteidigers<br />

erforderlich.<br />

OLG Köln, Beschl. v. 24.4.1998 – Ss 519/97 B – 366 B<br />

R 871<br />

impressum<br />

Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin (Mitte), Tel. 030/ 726152-0, Fax 030/726152-191, e-<br />

Mail: dav@anwaltverein.de. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher<br />

(v. i. S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers.<br />

Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft<br />

GmbH, Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 0228/<br />

91911-0, Fax 0228/ 9191<strong>12</strong>3; Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr.<br />

17532458, BLZ 38050000. Anzeigen: MD Medien Dienste<br />

GmbH, Ingrid Oestreich (v. i. S. d. P.), Baumweg 19, 60316 Frankfurt<br />

a. M., Tel. 069/943331-0, Fax 069/ 4990386. Technische<br />

Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />

Tel. 0201/86<strong>12</strong>208, Fax 0201/ 86<strong>12</strong>241. Erscheinungsweise:<br />

Monatlich zum Monatsanfang. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM<br />

(inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 18,– DM (inkl.<br />

MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis<br />

im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über jede<br />

Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat<br />

vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften:<br />

Für die Schriftleitung bestimmte Zuschriften sind nur an<br />

die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur<br />

bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-,<br />

Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch<br />

für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />

der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


<strong>764</strong><br />

3 e<br />

Da kommt Freude auf<br />

AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />

Philipp Heinischs JURISTENKALENDER 2001 „JUSTIZTHEATER“ (66,– DM): Erleben Sie ergreifende Szenen, werden Sie Zeuge u. a. einer eindrucksvollen<br />

Regiearbeit, von Theaterblitz und -donner, von Kämpfen auf offener Bühne, einem verführerischen Schleiertanz oder von zu Herzen gehenden Gauklerszenen.<br />

In üppigem Großformat gehört der Kalender für die lebensfrohe Anwältin und den lebensfrohen Anwalt zum unverzichtbaren Inventar in Kanzlei und Büro.<br />

Ferner bestens geeignet für friedliche Weihnachtstage: der soeben erschienene 3. Band der Comicreihe: Wenzel und Sohn, Kanzlei für heikle Fälle in „Zäune,<br />

Zoff und falsche Zeugen“. (24,80 DM).<br />

Bestellungen bei RenoService GmbH, Mommsenstraße 34, 10629 Berlin (Fax: 030/32775599)<br />

Allen Lesern und Freunden des <strong>Anwaltsblatt</strong>es<br />

frohe Weihnachten, und ein gutes Jahr 2001!


XXVI<br />

4<br />

9 Nach einer Meldunug von ICANN,<br />

der Verwaltungsorganisation für internationale<br />

Internet-Domains vom<br />

3.10. ist die Vorbereitungsphase für<br />

die geplanten neuen Domainnamen<br />

nun beendet. Die zugelassenen Internet-Registries<br />

(registrars) werden ab<br />

Dezember mit der Umsetzung beginnen<br />

können. Die neuen Top-level-domains<br />

(TLDs) werden Interessenten<br />

voraussichtlich ab Anfang 2001 zur<br />

Verfügung stehen. Man kann davon<br />

ausgehen, daß dann eine starke Nachfrage<br />

einsetzen wird. Viele einschlägige<br />

Begriffe bei den bisherigen<br />

Domainnamen sind nämlich bereits<br />

vergeben und viele Interessenten<br />

mußten sich mit Namensabwandlungen<br />

bzw. weniger guten Begriffen begnügen.<br />

Zugespitzt hatte sich die<br />

Situation durch das sogenannte domain-grabbing,<br />

bei dem sich einige<br />

Nachfrager ganze Bündel von Domains<br />

„unter den Nagel gerissen“<br />

haben. So wird z. B. von kanadischen<br />

und US-amerikanischen Firmen wie<br />

Namezero berichtet, die sich sogar<br />

auf Vor- und Nachname lautende Domains<br />

deutscher Sportgrößen registrieren<br />

ließen und damit nun auf<br />

Ihre Homepage linken. Mit deutschem<br />

Namensrecht läßt sich derartiges<br />

leider nicht verhindern. Wie<br />

schon gemeldet wurde, können private<br />

Namens- bzw. Domainsstreitigkeiten<br />

allerdings seit <strong>12</strong>/99 auch per Beschwerde<br />

im Schlichtungsweg bei<br />

ICANN beigelegt werden. Die zugelassenen<br />

registrars werden dazu auf<br />

die „Uniform Domain Name Dispute<br />

Resolution Policy“ verpflichtet.<br />

Die neuen TLDs werden u. a. mit folgenden<br />

Endungen zur Verfügung stehen:<br />

.web, .inc, .kids, .shop, .store, .firm,<br />

.law, .biz, .nom, news, .site, .xxx, .tel,<br />

.sex.<br />

Weiter Informationen unter:<br />

http://www.newdomainsolutions.com<br />

(HIT)<br />

9 Eine Dokumentationslücke schließt<br />

das juristische Portal der Web-Jur@-<br />

AG, Hamburg, mit dem Angebot<br />

„Der Pranger“. Wer hat sich nicht<br />

Internet –Aktuell<br />

schon über Behörden, Gerichte oder<br />

Gesetze geärgert. Im Pranger, der als<br />

Newsforum umgesetzt wurde, kann<br />

jeder seine Ärgernisse zum besten<br />

geben und Ungerechtigkeiten, Unzulänglichkeiten<br />

und Willkür „anprangern“.<br />

Bei web-jur finden sich noch<br />

weitere nützliche Angebote rund um<br />

den juristischen Bereich, wie z. B.<br />

„Verträge und Tipps“. Wer eine komplette<br />

Anwaltshomepage veröffentlichen<br />

will kann dies dort zu günstigen<br />

Konditionen in Angriff nehmen<br />

oder er bucht kostenlos eine einfache<br />

Web-Visitenkarte (Frei-Paket). Das<br />

Frei-Paket enthält Name, Adresse,<br />

Telefon- und Fax-Nummer, eMail-<br />

Adresse. Das Standard-Paket, das<br />

auch die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten<br />

und Interssengebieten<br />

beinhaltet ist bis zum 30.6.2001<br />

ebenfalls kostenlos (danach laut Angabe<br />

DM 29,–).<br />

http://www.web-jur.de (HIT)<br />

9 Keine Neuigkeit, aber eine gute<br />

Zusammenstellung ist die Liste der<br />

Anwaltssuchdienste des Juristischen<br />

Internetprojekts Saarbrücken. Die<br />

Pioniere der juristischen Internet-<br />

Information haben zwischenzeitlich<br />

auch ihre Website etwas umgestaltet.<br />

Die Anwaltssuche führt etwa 20<br />

Links auf Verzeichnisse. Dem werbungsbewußten<br />

Anwalt wird eine gelegentliche<br />

Kontrolle seiner Präsenz<br />

in diesen geläufigen Verzeichnissen<br />

zu empfehlen sein. Unter diesen Verzeichnisdiensten<br />

gibt es allerdings<br />

auch sehr traurige Erscheinungen.<br />

Das ist z. B. der Fall, wenn deutschlandweit<br />

nur einige dutzend Anwälte<br />

aufgeführt sind. Überwiegend sind<br />

die Datenbanken aber gut bestückt<br />

und mit angemessenen Suchvorrichtungen<br />

versehen. Vollständig ist die<br />

Saarbrückener Liste indessen nicht.<br />

Fast jedes der regelmäßig neu auftauchenden<br />

juristischen Portale bietet<br />

eine Anwaltsdatenbank. Eventuell<br />

fehlt es noch am Angebot eines übergeordneten<br />

Eintragungsdienstes in all<br />

diese Verzeichnissse!<br />

http://www.jura.uni-sb.de/internet/<br />

anwaltssuche.html (HIT)<br />

9 Neu gestaltet erscheint die juristische<br />

Website des C.H. Beck-Verlages,<br />

München. Hervorzuheben<br />

ist die Einrichtung eines Online-<br />

Shops mit Suchmaschine. Die online<br />

bestellte Ware wird dann direkt<br />

zugesandt. Bezahlung erfolgt<br />

auf herkömmlichem Weg per<br />

Rechnung oder Bankeinzug. Äußerst<br />

nützlich ist der schon seit längerem<br />

online abrufbare aktuelle<br />

und projektierte Stand der Loseblattsammlungen.<br />

http://rsw.beck.de/ (HIT)<br />

9 Auch beim alteingesessenen Produzenten<br />

und Vermarkter juristischer<br />

Software, der soft-use GmbH<br />

& Co KG in Altenkirchen hat sich<br />

webseitig etwas getan. Die gesamte<br />

Homepage wurde einer Revision<br />

unterzogen und spiegelt nun<br />

auch den aktuellen Stand der Software<br />

wider. Die weitgehend noch<br />

in 16-Bit Delphi programmierte<br />

Software wurde in Tests der NJW-<br />

COR 11/99 im Preis-Leistungsverhältnis<br />

zum Sieger gekürt (u. a.<br />

die Programme Akten & Organisation,<br />

Forderung). Aktuelle Informationen<br />

verschickt das mittlerweile<br />

zur Haufe-Mediengruppe gehörende<br />

Unternehmen auf Wunsch<br />

auch als JUS-Letter per eMail. So<br />

berichten beispielsweise die softnews<br />

der KW 41 über ein vorliegendes<br />

Update zum Programm<br />

„Anwaltsrechner“. In KW 42 wurde<br />

auf das eröffnete Message-<br />

Board hingewiesen, das dem Gedankenaustausch<br />

mit dem Team<br />

von soft-use dienen soll.<br />

http://www.soft-use.de (HIT)<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />

Timm Hitzfeld, Augsburg (HIT)<br />

und Rechtsanwalt Udo Henke, DAV,<br />

Bonn (HEN).

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