Heft 12 701-764 - Anwaltsblatt
Heft 12 701-764 - Anwaltsblatt
Heft 12 701-764 - Anwaltsblatt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
DeutscherAnwaltVerein<br />
Aus dem Inhalt<br />
G11041<br />
Aufsätze<br />
Reform des Jurastudiums (Hesse) <strong>701</strong><br />
EU-Harmonisierung – Globalisierung –<br />
Kommerzialisierung – Anwaltschaft quo<br />
vadis? (Hellwig) 705<br />
Zwischenbemerkung<br />
Das Plädoyer der Frau Kollegin (Fuchs) 731<br />
Gastkommentar<br />
Mediation als Chance der Anwaltschaft (Bohl) 737<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
DAVcontra Rechtsextremismus und Gewalt 739<br />
Gebührenrecht-Sommerintensivkurs 740<br />
Europa<br />
DACH – Europäische Anwaltsvereinigung 743<br />
Rechtsprechung<br />
EGMR: Mandantenstamm als Vermögensrecht 747<br />
BGH: Anwalt und Maklerprovision 753<br />
<strong>12</strong>/2000<br />
Dezember DeutscherAnwaltVerlag
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Aufsätze<br />
<strong>701</strong> Reform des Universitätsstudiums der Rechtswissenschaft –<br />
Ein Verfahrensvorschlag –<br />
Von Prof. Dr. Hans Albrecht Hesse, Hannover<br />
705 Internationaler Rechtsverkehr: EU-Harmonisierung –<br />
Globalisierung – Kommerzialisierung – Anwaltschaft quo vadis?<br />
Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />
Frankfurt a. M.<br />
710 Länderbericht Niederlande<br />
Von Peter von Schmidt auf Altenstadt, Advocaat,<br />
Präsident der Nederlandse Orde van Advocaaten<br />
7<strong>12</strong> Länderbericht Schweiz<br />
Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Niklaus Studer, Vizepräsident<br />
des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Solothurn/ Schweiz<br />
714 Länderbericht Frankreich<br />
Von Rechtsanwalt/Avocat à la Cour Karl Hepp de Sevelinges,<br />
Paris<br />
716 Länderbericht England<br />
Von Charles Leach, Solicitor, London<br />
718 Kommentar aus den USA<br />
Von Rex R. Perschbacher, Dean and Professor of Law,<br />
School of Law, University of California, Davis (US A)<br />
719 EU-Harmonisierung – Globalisierung – Kommerzialisierung –<br />
Anwaltschaft quo vadis? – Zusammenfassung –<br />
Von Rechtsanwalt Klaus Böhlhoff, Präsident der IBA, New<br />
York<br />
722 Die Gebührenstrukturvorschläge des DAV: Allgemeine Regeln<br />
und Gebühren für die außergerichtliche Anwaltstätigkeit<br />
Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Hannover<br />
724 Die Gebührenstrukturvorschläge des DAV:<br />
Gebühren in Strafsachen und in Bußgeldsachen<br />
Von Rechtsanwalt und Notar Dietrich Herrmann, Berlin<br />
Zwischenbemerkung<br />
731 Das Plädoyer der Frau Kollegin<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Erwin Fuchs, Jülich<br />
Gastkommentar<br />
737 Die Mediation – eine Chance für die Anwaltschaft<br />
Von Dr. Elke Dorothea Bohl, FAZ<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Schriftleitung:<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Berlin, Littenstraße 11<br />
Jahrgang 50<br />
Dezember 2000<br />
738 Justizreform – Zivilprozess: DAV aktiv gegen wesentliche Teile<br />
dieser Justizreform<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
739 Deutscher Anwaltverein contra Rechtsextremismus und Gewalt<br />
740 Deutsche Anwaltakademie:<br />
Gebührenrecht-Sommerintensivkurs 2000<br />
Von Rechtsanwältin Sabine Henkel, Magdeburg<br />
b <strong>12</strong>/2000<br />
l<br />
741 AnwaltsKunstblatt<br />
742 AG Steuerrecht im DAV:<br />
Steueranwalt 2000 – zwischen Sonnenschein und Horror<br />
Von Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz/ Zürich<br />
AG Verkehrsrecht im DAV:<br />
Journalistenseminar 2000<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
Europa<br />
743 DACH Europäische Anwaltsvereinigung:<br />
Kurzdarstellung und Wahl des neuen Vorstands<br />
Von Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Berlin<br />
Mitteilungen<br />
744 Ausland: Zwölf Jahre Vereinigung für deutsch-russisches<br />
Wirtschaftsrecht<br />
745 Haftpflichtfragen: Obliegenheiten im<br />
Haftpflichtversicherungsfall<br />
Von Rechtsanwalt Michael Dobmaier<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Rechtsprechung<br />
(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />
747 Berufsrecht<br />
759 Gebührenrecht<br />
Rechtsprechung Nachschlag<br />
761 Rechtsprechung-Leitsätze zum Berufsrecht,<br />
zur Prozesskostenhilfe, zum Prozessrecht<br />
763 Impressum<br />
Schlussbemerkung<br />
<strong>764</strong> „Der gute Engel“<br />
Von Philipp Heinisch, Zeichner und Karikaturist, Berlin<br />
Auf dem Umschlag<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />
DAV-Informationen Seite VI, X<br />
Internet-Aktuell Seite XXVI<br />
DAV-Service Seite XXVIII
II<br />
Rechtsprechung<br />
Berufsrecht<br />
EGMR, Vierte Kammer, Entscheidung v. 2.11.1999, Döhring<br />
gegen Deutschland (Nr. 37595/97)<br />
Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, Art. 14 EMRK<br />
1. Der durch die Eröffnung und den Aufbau einer Anwaltskanzlei<br />
geschaffene Mandantenstamm stellt ein Vermögensrecht<br />
und damit Eigentum i. S. d. Art. 1 des 1. ZP dar.<br />
2. Die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung ist ein Eingriff<br />
in das Eigentumsrecht.<br />
3. Der Eingriff beruht auf § 1 Abs. 2 RNPG, dessen Auslegung<br />
durch die nationalen Gerichte nicht als willkürlich zu<br />
beurteilen ist. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig, da der<br />
staatliche Ermessenspielraum nicht überschritten und ein gerechter<br />
Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen<br />
des Bf und dem Allgemeininteresse vorgenommen wurde,<br />
insbesondere angesichts des besonderen politischen Kontextes<br />
der Wiedervereinigung, in den sowohl die Zulassung des<br />
Bf zur Rechtsanwaltschaft als auch die Rücknahme seiner<br />
Zulassung fiel. (LS der Bearbeiterin) – S. 747<br />
OLG München, Urt. v. 5.5.2000 – 23 U 6086/99<br />
BGB §§ 8<strong>12</strong> ff.; § 134; StGB § 203<br />
1. War der Erwerber vor der Übertragung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />
in der übertragenen Kanzlei nicht in irgendeiner<br />
Form beschäftigt, verstößt der Kanzleiübertragungsvertrag<br />
auch dann gegen § 134 BGB i. V. m. § 203 I Nr. 3 StGB,<br />
wenn der Veräußerer nach der Übergabe der Kanzlei als freier<br />
Mitarbeiter des Erwerbers tätig ist; die Begründung einer<br />
„Außensozietät“ ändert an dieser Rechtsfolge nichts.<br />
2. Ist die Rückabwicklung eines gesetzwidrigen Vertrages<br />
nicht über § 817 S 2 BGB ausgeschlossen, haften beide Vertragspartner<br />
für die Rückabwicklung gem. § 819 II BGB analog.<br />
– S. 748<br />
BGH, Urt. v. 6.7.2000 – IX ZR 134/99<br />
BGB § 202 Abs. 1, §§ 205, 675; BRAO § 51a. F.<br />
Wird ein Anspruch des Mandanten gegen einen Dritten wegen<br />
Verjährung abgewiesen, enthält die Mitteilung des Rechtsanwalts<br />
an den Mandanten, er werde das Urteil schon deshalb<br />
mit der Berufung anfechten, weil sich daraus ein Schadensersatzanspruch<br />
gegen ihn ergeben könnte, für sich allein kein<br />
Angebot auf Abschluss eines die Verjährung des Regressanspruchs<br />
hemmenden Stillhalteabkommens. – S. 752<br />
BGH, Urt. v. 8.6.2000 – III ZR 186/99<br />
BGB § 654<br />
Zur Frage der Verwirkung des Anspruchs einer Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts auf Vermittlungsmaklerprovision, wenn<br />
einer der Gesellschafter zugleich als Rechtsanwalt für die<br />
Gegenseite tätig geworden und dies nicht offengelegt worden<br />
ist. – S. 753<br />
BGH, Urt. v. 30.5.2000 – IX ZR <strong>12</strong>1/99<br />
BGB §§ 826, 652, 675, 249; BGB §§ 138, 195, 196, 8<strong>12</strong>,<br />
BRAGO § 3; BGB §§ 667, 675<br />
1. Bringt ein Rechtsanwalt seinen Mandanten in Kontakt zu<br />
einem Makler und veranlasst er diesen, für die Vermittlung<br />
eines Geschäfts eine sittenwidrig überhöhte Provision zu nehmen<br />
und davon einen wesentlichen Teil an den Anwalt abzu-<br />
führen, kann ein Anspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt<br />
aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet<br />
sein, wenn dieser ihn nicht rechtzeitig auf die Provisionsbeteiligung<br />
hingewiesen hat.<br />
2. Ein Schaden des Mandanten infolge einer überhöhten<br />
Maklerprovision ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil er<br />
trotz des unangemessenen Maklerhonorars einen höheren<br />
Kaufpreis erlangt hat, als er ihn ohne die Einschaltung dieses<br />
Maklers erzielt hätte. Vielmehr kommt es allein darauf an,<br />
wie der Mandant wirtschaftlich stände, wenn der Makler korrekt<br />
gehandelt hätte.<br />
3. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung<br />
eines anwaltlichen Pauschalhonorars wegen Sittenwidrigkeit<br />
nichtig ist.<br />
4. Der Anspruch des Mandanten auf Rückgewähr des zur Erfüllung<br />
einer sittenwidrigen Gebührenvereinbarung gezahlten<br />
Anwaltshonorars verjährt nicht in der kurzen Frist des § 196<br />
BGB, sondern erst nach 30 Jahren.<br />
5. Erteilt der Anwalt dem Mandanten den Rat, ein ihm gehörendes<br />
Grundstück nicht an den zunächst vorgesehenen Erwerber<br />
zu veräußern, und vermittelt er in engem Zusammenhang<br />
damit den Kontakt zu einem Makler, der einen neuen<br />
Käufer suchen soll, hat der Anwalt eine ihm vom Makler<br />
ohne Kenntnis des Auftraggebers gewährte Provision an diesen<br />
herauszugeben. – S. 754<br />
OVG NRW, Urt. v. 28.1.2000 – 4 A 3311/97<br />
WPO § 47 S. 2<br />
Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Leitung<br />
von Zweigniederlassungen eines vereidigten Buchprüfers<br />
hängt vor allem vom Geschäftsumfang ab. – S. 758<br />
Gebührenrecht<br />
LG Wuppertal, Kostenfestsetzungsbeschl. vom 25.5.2000 –<br />
2 O 32/00<br />
BRAGO § 27<br />
Für fotokopierte Anlagen zu den Schriftsätzen stehen dem<br />
Rechtsanwalt grundsätzlich besondere Schreibgebühren zu<br />
und diese Leistungen sind nicht durch die allgemeine Prozessgebühr<br />
abgegolten. (LS der Redaktion) – S. 759<br />
OLG München, Beschl. v. 3.4.2000 – 11 W 1076/00<br />
ZPO §§ 485, 494a II, BRAGO § 32 I, § 48<br />
Hat sich für den Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren<br />
ein Rechtsanwalt beteiligt, ohne einen Gegenantrag zu<br />
stellen oder einen Termin wahrzunehmen, entsteht für den<br />
Anwalt, wenn er in sonstiger Weise tätig geworden ist, die<br />
halbe Prozessgebühr des § 32 Abs. 1 BRAGO.<br />
Werden danach auch noch Anträge auf Fristsetzung nach<br />
§ 494a Abs. 1 bzw. auf Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2<br />
S. 1 ZPO gestellt, entsteht eine zusätzliche 10/10-Prozessgebühr<br />
aus dem Kosteninteresse des erstattungsberechtigten<br />
Antragsgegners. – S. 759<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 18.11.99 – 1 Ws 717/99<br />
BRAGO §§ 97, 99<br />
Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben,<br />
sondern an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97<br />
BRAGO mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung<br />
in vollem Umfang anzurechnen ist. (LS der<br />
Redaktion) – S. 760
X<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VI)<br />
9 Veranstaltung beim 52. Anwaltstag<br />
im Mai 2001 in Bremen<br />
(Zweistündige Veranstaltung im Zeitraum<br />
24.–26. Mai 2001)<br />
Thema voraussichtlich:<br />
Die Mietrechtsreform<br />
9 Herbsttagung der<br />
ARGE Mietrecht & WEG<br />
in Vorbereitung zum<br />
28./29. September 2001 in Dresden<br />
Die Mitglieder der ARGE Mietrecht &<br />
WEG erhalten das ausführliche Programm<br />
mit Anmeldeunterlagen nach<br />
Abschluss der endgültigen Programmplanung<br />
unaufgefordert zugesandt.<br />
Information: Deutscher Anwaltverein,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin, Telefon:<br />
030/726152-0, Fax: 030/726152-190<br />
AG Insolvenzrecht und<br />
Sanierung im DAV<br />
Veranstaltungskalender 2001<br />
9 Frühjahrstagung 2001<br />
29.-31. März 2001, Karlsruhe, Rennaissance<br />
Hotel, mit Vorträgen von<br />
Richtern des BGH und der Professoren<br />
Marotzke und Karsten Schmid<br />
9 Herbsttagung 2001 und<br />
Mitgliederversammlung<br />
13.-15. September 2001, Hannover<br />
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />
Insolvenzrecht und Sanierung<br />
erhalten das ausführliche Programm<br />
mit Anmeldeunterlagen nach Abschluss<br />
der endgültigen Programmplanung unaufgefordert<br />
zugesandt.<br />
Information: Deutsche Anwaltakademie,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />
Frau Hoffmann, Telefon: 030/<br />
726153-183 Fax: 030/726153-188<br />
9 Internationales<br />
Insolvenzrechtssymposium in Wien<br />
26. und 27. Januar 2001 mit Teilnahme<br />
am Ärzteball in der Wiener Hofburg<br />
am 27. Januar 2001<br />
Veranstalter und Anmeldung:<br />
CLC Center of Legal Competence<br />
Verein zur Förderung der rechtlichen<br />
Ostkompetenz Österreichs<br />
Wohllebengasse 6, A-1040 Wien,<br />
Telefon: +43-1-503 73 35, Fax: +43-1-<br />
503 73 36, E-Mail: Office@clc.or.at<br />
Buchhinweis<br />
Schneider, Jochen (Hrsg.), Bauhardt,<br />
Susanne, Deutsch, Gerhard, Praktische<br />
Internet-Nutzung für Juristen, 2. aktualisierte<br />
und erweiterte Auflage 2000<br />
KOGNOS Verlag GmbH, Augsburg, 533<br />
Seiten, ISBN 3-931314-19-7, 149 DM<br />
Mit dem vorliegenden Handbuch wird das<br />
Ziel verfolgt, interessierten Nutzerkreisen<br />
einen gezielten Zugriff auf die wichtigsten<br />
Internet-Adressen aller Rechtsgebiete – in<br />
den Bereichen Gesetze, Rechtsprechung,<br />
Fachbeiträge und Arbeitshilfen – zu erleichtern<br />
und auf die Weise die Möglichkeit<br />
eines ökonomischen Umgangs mit der<br />
immer vielfältiger werdenden Informationslandschaft<br />
des Mediums Internet zu<br />
eröffnen. Zu diesem Zweck wurden unter<br />
Leitung des Herausgebers, Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Schneider, München, die für die<br />
juristische Praxis relevanten Adressen aus<br />
dem Internet gefiltert und in dem Buch<br />
übersichtlich zusammengestellt. Damit liegen<br />
mehr als 1800 Fundstellen vor, die<br />
nach Rechtsgebieten geordnet und qualitativ<br />
bewertet sind. Dies trägt den Bedürfnissen<br />
vor allem von Rechtsanwälten<br />
Rechnung, die es mehr und mehr als Anbieter<br />
ins Internet zieht. Insbesondere große<br />
Kanzleien bedienen sich bereits des Internets<br />
zur Präsentation, bieten zugleich<br />
auch juristische Informationen und Bewertungen;<br />
die Kanzleibroschüre wird überdies<br />
durch den Internet-Auftritt ergänzt<br />
und aktualisiert. Die Präsentation mit dem<br />
Kanzleiprofil im Internet gewinnt somit<br />
mehr und mehr neben der bereits stattfindenden<br />
weltweiten und sekundenschnellen<br />
Kommunikation mit Geschäftspartnern<br />
und Mandanten per E-Mail an Bedeutung.<br />
Zudem ist festzustellen, dass es etwa auch<br />
im Bereich der Domain-Namens zu neuen<br />
rechtsschöpfenden Leistungen kommt;<br />
allein die Kollision mit Marke und Firma<br />
hat schon jetzt zu einer Fülle von Entscheidungen<br />
geführt.<br />
Der Aufbau des Handbuches in 6 Kapitel<br />
(Übersicht, Normen – national und international,<br />
auch Gesetzentwürfe –, Rechtsprechung –<br />
national und international –, Fachbeiträge, –<br />
allgemein und zu einzelnen Rechtsgebieten –,<br />
Arbeitshilfen – allgemein und zu einzelnen<br />
Rechtsgebieten –, wichtige Adressen, inkl.<br />
nationalen und internationalen Linksammlungen)<br />
überzeugt mit seiner übersichtlichen<br />
Gliederungsstruktur. Dieser positive<br />
Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass<br />
jedem Kapitel ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis<br />
vorangestellt ist; das Werk<br />
schließt überdies mit einem äußerst umfangreichen<br />
Stichwortregister und gibt dem<br />
Leser außerdem noch ein Glossar mit<br />
etlichen Fachtermini rund um das Internet<br />
an die Hand. Die Autoren verstehen es,<br />
sowohl für Laien als auch professionelle<br />
Anwender des Internets wertvolle Hilfen<br />
zu geben. So werden neben wichtigen<br />
Suchtipps für die gezielte Informationsbeschaffung<br />
vor allem auch die bekanntesten<br />
sog. Suchmaschinen (= robotergenerierte<br />
Indices) vorgestellt: http://www.lycos.de,<br />
http://www.fireball.de, http://www.excite.de,<br />
http://www.eule.de, http://www.altavista.de;<br />
spezielle Suchmaschinen für juristische<br />
Fundstellen werden überdies im Kapitel<br />
6.13 vorgestellt, darunter – von den Autoren<br />
als „sehr gut verwertbar“ mit 3 @-Zeichen<br />
am Textrand gekennzeichnet – http://<br />
www.vrp.de / suche / fahnder / anmelden.htm,<br />
http://gsulaw.gsu.edu/metaiindex, http://meta.rrzn.uni-hannover.de<br />
und schließlich http://<br />
www.jura.uni-duesseldorf.de/call/. Vorstellt<br />
werden nicht zuletzt aber auch die bekanntesten<br />
Internet-Verzeichnisse (= manuell<br />
erstellte Kataloge), dies sind http://www.yahoo.de,<br />
http://www.allesklar.de, http://<br />
www.dino-online.de und http://www.web.de.<br />
Als besonders beachtlich ist aber auch<br />
die Verfügbarkeit der Entscheidungen des<br />
Bundesverfassungsgerichts seit 1998 im<br />
Volltext herauszustellen, welche nunmehr eigenständig<br />
im Internet präsent sind (http://<br />
www.bundesverfassungsgericht.de). Gegenüber<br />
der Erstauflage ist nicht nur die Zahl<br />
der jetzt nachgewiesenen Adressen erheblich,<br />
nämlich um mehr als ein Drittel auf<br />
über 2100, angestiegen. Gewachsen ist vor<br />
allem auch der Bereich der Rechtsprechung<br />
(Kapitel 3) und die Zahl der Internet-Adressen<br />
zu in der juristischen Praxis wichtigen<br />
Arbeitshilfen, wie Musterverträgen und Berechnungsprogrammen<br />
(Kapitel 5). Eine gewisse<br />
Vorreiterrolle kommt in Deutschland<br />
nicht zuletzt den Ministerien und anderen<br />
Anbietern zu, die es besonders seit dem vergangenen<br />
Jahr verstehen, neue Gesetze oder<br />
Gesetzentwürfe auf ihren Internet-Seiten<br />
erheblich schneller verfügbar zu machen als<br />
diese in gedruckter Form vorliegen. Neue<br />
Gesetze können mittlerweile online direkt<br />
im Bundesgesetzblatt eingesehen werden,<br />
lange bevor die Ergänzungslieferungen der<br />
Gesetzessammlungen erscheinen.<br />
In seiner Funktion als Ratgeber für juristische<br />
Fachinformationen erlaubt das vorliegende<br />
Handbuch seinen Nutzern einen<br />
schnellen und sicheren Rückgriff auf Gesetze,<br />
Verordnungen und Richtlinien, Rechtsprechungsdatenbanken,<br />
Aufsätze und Kommentierungen,<br />
Berechnungsprogramme, Musterverträge<br />
u. v. m., Gerichtsadressen, Anwaltsund<br />
Sachverständigenverzeichnisse, juristische<br />
Fachverlage, Zeitschriften und Veranstaltungstermine.<br />
Im Internet- und Multimedia-Zeitalter<br />
bietet es damit eine wertvolle<br />
Hilfe für alle juristischen Berufe, neben<br />
Gerichten vor allem für Rechtsanwälte und<br />
Notare sowie selbstverständlich für die Law-<br />
Firms, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund,<br />
dass auch in Deutschland eine Art<br />
„Fusionswelle“ mit ausländischen Sozietäten<br />
in jüngerer Zeit verstärkt festzustellen ist.<br />
Das Handbuch trägt in gelungener Weise<br />
dem Umstand Rechnung, dass über kurz<br />
oder lang die Recherche über das Internet<br />
genauso notwendig werden wird wie die<br />
über Print-Medien, wie vor allem Fachzeitschriften.<br />
Rechtsanwalt Dr. Thomas P. Stähler,<br />
Frankfurt am Main
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Reform des<br />
Universitätsstudiums der<br />
Rechtswissenschaft<br />
– Ein Verfahrensvorschlag –<br />
Schriftleitung:<br />
Prof. Dr. Hans Albrecht Hesse, Hannover<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Bonn, Adenauerallee 106<br />
Jahrgang 50<br />
Dezember 2000 AQl<br />
1. Ausgangslage<br />
Seitdem der Juristenausbildung die eigene Geschichte<br />
als Gewissheit und Verbindlichkeit stiftende Basis wenn<br />
nicht abhanden gekommen, so doch jedenfalls problematisch<br />
geworden ist, seitdem Juristenausbildung, wie man<br />
etwas ungenau auch sagt, selbstreflexiv geworden ist, also<br />
seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, stolpern die<br />
dafür Verantwortlichen von „Reform“ zu „Reform“. In<br />
regelmäßigen Abständen schwillt die Debatte über Krisen-<br />
Symptome an und ab, wobei sich die weithin als Krisen-<br />
Symptome konsentierten Phänomene: Abbruch- und Misserfolgsquoten<br />
sowie Repetitorbesuch, als mehr oder weniger<br />
reformresistent erweisen. Beharrlich wiederholen sich zudem<br />
Klagen über mangelnde Praxisrelevanz der Ausbildung,<br />
während der Politik-, Gesellschafts- und Ökonomie-<br />
Bezug der Ausbildung nur dann zum Thema wird, wenn<br />
generell eine Tendenz zur Politisierung praktischer Fragen<br />
beobachtbar ist. Da davon derzeit keine Rede sein kann,<br />
ist der Politik-Bezug der Juristenausbildung derzeit kein<br />
Thema.<br />
Die Suche nach neuen Gewissheiten für die Juristenausbildung<br />
wird weithin und so auch jetzt wieder auf zwei bis<br />
drei Gewissheit verheißende Ressourcen konzentriert. Obwohl<br />
in der Vergangenheit die auf diese Ressourcen gegründeten<br />
Erwartungen weithin enttäuscht worden sind, was<br />
sich an der Konstanz der Krisen-Symptome zeigt, werden<br />
die Ressourcen auch in der aktuellen Phase der Reformdauerdebatte<br />
wieder bevorzugt in Anspruch genommen.<br />
Eine Ressource ist erstaunlicherweise die Tradition.Das<br />
sieht nach einem Widerspruch zu den einleitenden Bemerkungen<br />
aus und ist vielleicht auch einer; Praxis steht aber<br />
auch nicht unter dem Postulat der Widerspruchsfreiheit. Der<br />
Widerspruch liegt darin, dass einerseits die Juristenaus-<br />
Nachrichten für die Mitglieder<br />
des Deutschen Anwaltvereins e. V.<br />
bildung aktuell erneut ins Gerede gekommen ist und dass<br />
dabei diejenigen, die auf dem Bestand des Bestehenden<br />
beharren und die seine Geschichte zur Rechtfertigung für<br />
den Fortbestand anführen, deutlich in der Minderzahl sind.<br />
Für die meisten Beiträge zur Reformdebatte liefert die Geschichte<br />
der Juristenausbildung, so weit sie sich überhaupt<br />
darauf beziehen, Argumente für die Kritik des Bestehenden<br />
und für die Forderung nach seiner Reform. Das gilt etwa im<br />
Hinblick auf die Justizlastigkeit der Ausbildung, die Praxisferne<br />
des Studiums, den Abschluss des Universitätsstudiums<br />
mit einem von der Justiz-Bürokratie dominierten<br />
Staatsexamen, hier und da auch im Hinblick auf die Anpassungsfunktion<br />
der Ausbildung, etwa am Beispiel der<br />
problemlosen Vereinnahmung der Juristen durch Staat und<br />
Partei des Dritten Reichs. Andererseits bleibt bei den Vorschlägen<br />
zur Reform der derart problematisierten Ausbildung<br />
dann doch fast alles beim Alten. Wenn aber Reformvorhaben<br />
ausnahmsweise etwas radikaler ansetzen und die<br />
überkommenen Bestände etwas radikaler in Frage stellen,<br />
wie dies im Zusammenhang der Einphasen-Modelle in den<br />
70er Jahren beobachtbar war, dann werden für den Erfolg<br />
der „frei“ gesetzten Innovationen ausgerechnet die Abschlüsse<br />
der traditionellen Ausbildung bzw. Qualifikation<br />
und Kompetenz ihrer Absolventen zum Maßstab gemacht.<br />
Zusätzlich werden die Entfaltungschancen solcher „radikaleren“<br />
Innovationsversuche auch noch vom politischen Wohlwollen<br />
abhängig gemacht, und das favorisiert in seiner<br />
grundsätzlich beharrenden Tendenz hier wie in allen politischen<br />
Fragen in Deutschland den Bestand des Bestehenden.<br />
So ist, das ist der Widerspruch, die Geschichte der Juristenausbildung<br />
einerseits Beleg für ihre Reformbedürftigkeit,<br />
andererseits Garant für ihren Fortbestand.<br />
Neben der Tradition, die in dieser Weise herhalten muss<br />
zur Kritik am Bestehenden wie zu seiner Perpetuierung,<br />
dient Autorität als Gewissheits-Ressource in den Ausbildungsreformdebatten<br />
bzw. in den Reformplänen, in denen<br />
sie in der Regel kulminieren. Das ist derzeit gut beobachtbar<br />
bei den Reformbeiträgen, die unter dem Kennzeichen<br />
„Ladenburger Manifest“ bekannt geworden sind; wo immer<br />
sie in Fachzeitschriften 1 oder in Tageszeitungen 2 vorgestellt<br />
1 Bachof u. a., NJW 1997, S. 801 ff.; Böckenförde, JZ 1997, S. 317 ff.<br />
2 FAZ vom 24.10.1997.
702<br />
l<br />
werden, fehlt nicht der Hinweis auf Zahl und Namen sog.<br />
Spitzen-Juristen, von denen die Pläne ausgehen bzw. die<br />
sich dahinter gestellt haben. Mit dem Gewicht ihrer Positionen<br />
und ihrer Namen legitimieren sie Kritik und Reformplanung.<br />
Als dritte Ressource ist Verfahren beobachtbar, freilich<br />
von vornherein in einer der Tradition eng verhafteten speziellen<br />
Ausprägung. Dass Verfahren als Gewissheits-Ressource<br />
eingesetzt wird, äußert sich darin, dass Kommissionen<br />
eingesetzt werden, dass über einen längeren Zeitraum<br />
Beratungen stattfinden, Gutachten eingeholt werden, Experten<br />
zu Wort kommen, Beschlüsse ergehen usw. Es handelt<br />
sich um die bei der Gesetzesentstehung allgemein üblich<br />
gewordene Vorgehensweise, womit zugleich die spezielle<br />
Ausprägung bezeichnet ist, die Verfahren derzeit als Gewissheits-Ressource<br />
bei der Juristenausbildungsreform<br />
kennzeichnet. Kennzeichnend für diese Verfahren ist, dass<br />
sie staatlich gelenkte Verfahren sind, was konkret bedeutet,<br />
dass Experten aus der Bürokratie, vor allem der Justiz-Bürokratie,<br />
und aus den Parteien hier den Ton angeben, sei es<br />
vor, sei es hinter den Kulissen. Gut beobachtbar ist dies derzeit<br />
an den Reformplanungen der Justizministerkonferenz 3 .<br />
Geht man davon aus – und ich tue dies angesichts der<br />
beharrlichen Reform-Resistenz der Krisen-Symptome –,<br />
dass ein radikaler Zugriff auf die Juristenausbildung Not<br />
tut, dann reichen Tradition und Autorität als Basis für die<br />
Neu-Planung nicht aus. Tradition jedenfalls insoweit nicht,<br />
als sie das repräsentiert, was kritisiert wird und verändert<br />
werden soll. Autorität jedenfalls insoweit nicht, als sie an<br />
Spitzen-Positionen gebunden ist; denn die Vorstellung von<br />
Spitzen-Positionen verweist auf die Vorstellung einer die<br />
gesamte Juristenschaft erfassenden Hierarchisierung und<br />
damit auf die Vorstellung der Einheit der Profession, die<br />
schon lange fiktiv ist 4 , auch wenn die Ausbildung mit der<br />
Orientierung am Einheitsjuristen daran immer noch festhält.<br />
Tatsächlich hat sich die Juristenschaft längst in eine Mehrzahl<br />
von juristischen Berufen aufgespalten, und selbst die<br />
einzelnen juristischen Berufe sind mit Einheitsvorstellungen<br />
nicht mehr angemessen zu erfassen. Insofern gibt es keine<br />
Spitzen-Juristen, die die Juristenschaft insgesamt repräsentierten,<br />
und also könnte es, wenn es um Autorität geht, nur<br />
um an einzelne Personen gebundene Autorität gehen, wie<br />
das in den 70er Jahren beobachtbar war, als von Personen,<br />
die sich durch langjährigen Einsatz einen Namen als Reformer<br />
gemacht hatten (Rudolf Wassermann etwa und Rudolf<br />
Wiethölter), erheblicher Einfluss auf die Reformdebatte und<br />
auch die Neu-Planungen ausging. Solche Reformer treten<br />
derzeit nicht auf.<br />
Es bleibt also Verfahren als Gewissheits-Ressource, und<br />
das ist ja auch durchaus angemessen, wenn Krisenhaftigkeit<br />
und Ungewissheit die aktuelle Lage bestimmen, wenn normative<br />
Vorgaben entwickelt werden sollen, die die Lage<br />
spürbar verändern sollen, und wenn – das ist fürs Gelingen<br />
außerordentlich wichtig, wird aber immer noch viel zu wenig<br />
bedacht – die Gewissheit, zu der die Planer schließlich<br />
hinfinden, vermittelt werden soll an diejenigen, die die<br />
Pläne umsetzen und praktisch machen sollen. Deshalb muss<br />
ein Plan für ein reformiertes Universitätsstudium der<br />
Rechtswissenschaft zuerst und vor allem ein Verfahrensplan<br />
sein. Wenn freilich ein radikaler Zugriff auf die Juristenausbildung<br />
erfolgen soll, dann ist eine radikale Abkehr von den<br />
Üblichkeiten einer durch die Bürokratie und die Parteien beherrschten<br />
Planungspraxis erforderlich. Ich stelle einige<br />
Überlegungen dazu im Folgenden in Thesenform zur Diskussion,<br />
wobei ich mich zur Defizit-Analyse und zugleich<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
zur Illustration meiner Theorie- und Erfahrungsbasis auf<br />
meinen kürzlich im <strong>Anwaltsblatt</strong> veröffentlichten Beitrag<br />
beziehe 5 .<br />
2. Thesen zum Reform-Verfahren<br />
2.1. Träger der Reform-Planung sollten die einzelnen Fakultäten/Fachbereiche<br />
sein. So wird man am besten sehen,<br />
wieweit die Einsicht in die Krisenhaftigkeit der Juristenausbildung<br />
und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reform bei<br />
den Hochschullehrern tatsächlich reichen. So wird man, so<br />
weit es denn zu Reformplänen kommt, auch am ehesten damit<br />
rechnen können, dass aus der „Reform auf dem Papier“<br />
Reformpraxis wird. Für sich allein sind die Fakultäten/Fachbereiche<br />
freilich nicht reformfähig.<br />
2.2. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />
sollten sich deshalb der Hilfe derer versichern, die<br />
durch ein spezielles Fach- und Erfahrungswissen ausgezeichnet<br />
sind, das für eine rationale Defizit-Analyse und für<br />
inhaltliche und methodische Neu-Planungen erforderlich ist.<br />
Dafür kommen einerseits vor allem entsprechend ausgewiesene<br />
Vertreter der juristischen Berufsverbände in Frage,<br />
Vertreter der Anwaltschaft insbesondere sowie der Richterschaften,<br />
andererseits diejenigen, die sich durch Untersuchungen<br />
auf planungsrelevanten Feldern einen Namen<br />
gemacht haben, also vor allem durch Untersuchungen über<br />
typische Profile, Leistungsvermögen, Erwartungen der Studentenschaft<br />
und speziell der Jura-Studenten sowie über<br />
Karrierewege und Praxiserfahrungen der Absolventen.<br />
Schließlich sollte von vornherein die Zusammenarbeit mit<br />
Vertretern juristischer Fachhochschulen gesucht werden.<br />
Die bisher übliche Abschottung hat viel mit Status-, Erwerbs-<br />
und Prestigefragen zu tun und wenig mit rationaler<br />
Curriculumplanung und Didaktik.<br />
2.3. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />
sollten sich auf Veränderungen konzentrieren, für die<br />
politisch/bürokratische Reformbereitschaft keine Voraussetzung<br />
ist. Wer das eine vom anderen abhängig macht, gerät<br />
in Abhängigkeiten von in ihrer Dynamik nicht kontrollierbaren<br />
und kalkulierbaren Faktoren und öffnet sich zugleich<br />
notwendig Einflüssen, die ebenfalls schwer kontrollierbar<br />
und kalkulierbar sind. Andererseits ist der den Fakultäten/<br />
Fachbereichen durch geltendes Recht gesicherte Freiraum<br />
für Ausbildungsveränderungen groß. Er wird vor allem<br />
dann eröffnet, wenn man Studiengänge als Ergänzung, als<br />
Zusatz, als Vertiefung dem durch geltendes Juristenausbildungsrecht<br />
festgeschriebenen Studium hinzufügt. Er betrifft<br />
aber auch viele Detailfragen im Rahmen des durch das geltende<br />
Juristenausbildungsrecht festgelegten Curriculum.<br />
Wie man diese Freiräume ausschöpfen kann, demonstrieren<br />
derzeit die Planer der Bucerius Law School in Hamburg<br />
und der Hanse Law School in Bremen, Oldenburg, Groningen<br />
und London.<br />
2.4. Die Reformbemühungen der Fakultäten/Fachbereiche<br />
sollten einerseits darauf zielen, der/m jeweiligen Fakultät/Fachbereich<br />
ein spezifisches Profil zu geben, mit dem<br />
programmatisch zum Ausdruck gebracht wird, worin der/die<br />
Fachbereich/Fakultät die Veränderungsbedürftigkeit der Ausbildung<br />
vor allem begründet sieht und wie er/sie darauf zu<br />
3 Dazu jüngst Goll, ZRP 2000, S. 38 ff.; Birkmann, ZRP 2000, S. 234 ff.; Röper,<br />
ZRP 2000, S. 239 ff.<br />
4 Niklas Luhmann: Die Profession der Juristen. In: Ders.: Ausdifferenzierung<br />
des Rechts. Frankfurt/M. 1981, S. 173 ff.<br />
5 Hesse, AnwBl 6/2000, S. 325 ff.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 703<br />
Aufsätze l<br />
reagieren beabsichtigt. Hier tut sich ein weites Feld auf, das<br />
von den Dauerthemen der Reformdebatten (s. o.) bis zu<br />
aktuellen Themen reicht wie etwa der Globalisierung, der<br />
Europäisierung von Wirtschaft und Recht oder der zweiten<br />
industriellen Revolution, d. h. der Revolution der Informationstechnologie.<br />
Das Feld ist weit genug für unterschiedliche<br />
Akzentsetzungen und Profilierungen – und damit auch dafür,<br />
dass man die Reform zugleich als Mittel im Kampf um<br />
Stellen und Sachmittel nutzt, was wiederum die für die Reformplanungen<br />
erforderliche Arbeitsbereitschaft der Professoren<br />
stimulieren könnte.<br />
2.5. Die Reformbemühungen der Fachbereiche/Fakultäten<br />
sollten andererseits darauf zielen, in Studienplänen<br />
ihren jeweils spezifischen und charakteristischen Ausdruck<br />
zu finden. Das betrifft die Frage der Inhalte, der Sequenzen,<br />
der Prüfungen und der Abschlüsse, und zwar einerseits und<br />
vor allem im Hinblick auf das im Wege der Reform anzuim<br />
geltenden Juristenausbildungsrecht verankerte Studium,<br />
nennen wir es das „Staatsexamen-Studium“. Schließlich betreffen<br />
die derzeit diskutierten Defizite eben dieses Studium,<br />
und wenn man der Kritik auch primär auf dem Wege<br />
von Zusatzstudiengängen abzuhelfen sucht, sollte man doch<br />
zugleich die Möglichkeiten nutzen, den in die Kritik geratenen<br />
Studiengang selbst aufzubessern, was u. U. auch heißen<br />
kann, ihn teilweise als – evtl. gemeinsame – Aufgabe den<br />
Fachhochschulen zuzuweisen. So nahe es an sich liegt,<br />
überhaupt nur beim Staatsexamen-Studium anzusetzen, so<br />
sehr werden solche Bemühungen zugleich von Faktoren beschränkt,<br />
auf die Fakultäten/Fachbereiche keinen Einfluss<br />
haben6 . So bleibt nur der Weg, eine wirkliche Reform parallel<br />
zum Bestehenden zu betreiben, sei es als Zusatz-Studium,<br />
das von Anfang an parallel zu dem Staatsexamen-<br />
Studium, also „grundständig“, wie man sagt, angelegt wird,<br />
sei es als Ergänzung oder Vertiefung am Schluss des Staatsexamen-Studiums<br />
platziert. Diese Zusatz-Studiengänge sind<br />
einer von vornherein beschränkten Zahl von Studierenden zu<br />
öffnen, die bereit sind, die Zusatzanstrengungen auf sich zu<br />
nehmen, die damit verbunden sind.<br />
2.6. Es geht schließlich und nicht zuletzt um strukturelle<br />
Vorgaben, die die Fachbereiche/Fakultäten sich für die Reformplanung<br />
selbst geben müssen. Dazu gehören etwa die<br />
Zahl der aufzunehmenden Studierenden und ihr vorauszusetzendes<br />
Eingangsniveau sowie der Standard, der für<br />
laufende Erfolgskontrollen gelten soll. Dazu gehören Vorentscheidungen<br />
über Veranstaltungsformen, über Teilnehmerzahlen,<br />
über das Verhältnis von rezeptivem Lernen und<br />
forschendem Lernen. Dazu gehören Ziel-Orientierungen,<br />
sei es im Hinblick auf Berufsfeld-Spezialisierungen, sei es<br />
berufsfeldübergreifend im Hinblick auf die Anteile, die der<br />
Ausbildung der künftigen Juristen zu Fachmenschen einerseits<br />
und zu Kulturmenschen andererseits gewidmet sind7 ,<br />
solchen Anteilen also einerseits, die im Idealfall das<br />
Höchstmaß an juristischem Verfügungswissen und an<br />
Handlungstechnik repräsentieren, und solchen andererseits,<br />
die im Idealfall das Höchstmaß des für Juristen relevanten<br />
Orientierungswissens und des Abwägungsvermögens repräsentieren.<br />
Schließlich mag es auch Fachbereiche/Fakultäten<br />
geben, die bei der Studienplanung gewisse Anteile reservieren,<br />
die den Menschen selbst im werdenden Juristen betreffen,<br />
die also dem gelten, was in alten Zeiten Bildung genannt<br />
und der Universität als Aufgabe zugeschrieben<br />
wurde8 .<br />
2.7. Bei alledem werden die Fachbereiche/Fakultäten Sorge<br />
tragen müssen, dass die erforderlichen Ressourcen zur<br />
Verfügung stehen, die für Planung und Umsetzung ge-<br />
braucht werden, wenn irgend an Erfolg auf Dauer gedacht<br />
ist. Erfolg auf Dauer anzuziehen, kann nur bedeuten, das<br />
Planungsverfahren auf Dauer zu stellen, einen Kreislauf zu<br />
organisieren aus Planung, Implementation, Evaluation und<br />
Planrevision. Denn ein Planungsverfahren, wenn es überhaupt<br />
glücklich zu Ende gebracht wird, führt immer nur zu<br />
vorläufigen Gewissheiten. Dass es dabei ohne ein eigenständiges<br />
Sekretariat und ohne entsprechende Sachmittel<br />
nicht abgeht, sollte von vornherein in Rechnung gesetzt<br />
werden. Dass der Dekan neben seinen laufenden Geschäften<br />
dieses Reformgeschäft nicht auch noch betreiben kann,<br />
sollte ebenfalls von vornherein in Rechnung gesetzt werden.<br />
Ein Dekan für studentische Angelegenheiten oder für Reform-Angelegenheiten<br />
wäre zusätzlich erforderlich.<br />
2.8. Schließlich ist Zeit eine wichtige Ressource, und es<br />
sieht derzeit ganz danach aus, als werde sie durch mancherlei<br />
Umstände so sehr verknappt, dass jeder ernsthafte Reformversuch<br />
von vornherein illusorisch wird. Wenn derzeit<br />
mit mehr oder weniger aufgeregtem Gestus mehr oder weniger<br />
radikale Vorschläge zur Reform der Hochschule und<br />
der Studiengänge öffentlich präsentiert und diskutiert werden<br />
und wenn dabei der Eindruck erweckt wird, als genügten<br />
einige kurzfristig herbeigeführte Entscheidungen, um<br />
die gewünschten Änderungen auf den Weg zu bringen,<br />
wenn schließlich auch noch die Androhung von Stellenstreichungen<br />
und Mittelkürzungen eingesetzt wird, um den Änderungswünschen<br />
zusätzlichen Nachdruck zu verleihen,<br />
dann sollten die Fachbereiche/Fakultäten sich eher auf den<br />
Bestand des Bestehenden konzentrieren statt solchem Druck<br />
nachzugeben. Denn so problematisch es ist, das Studium in<br />
der tradierten Weise fortzuführen, weil das die Perpetuierung<br />
auch seiner Mängel und Defizite bedeutet, so wird jedenfalls<br />
eine Änderung, die sich äußerem Druck verdankt<br />
und der es an der erforderlichen Vorbereitung gefehlt hat,<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit bestenfalls dazu führen, dass<br />
die Reformanstrengungen sich in symbolischen Akten erschöpfen<br />
und dass den Reformverheißungen in Programmen<br />
und Studienplänen die bekannten Implementationsdefizite<br />
auf dem Fuße folgen werden.<br />
2.9. Bei alledem wird es im Kern darum gehen müssen,<br />
den Wissenschaftsbezug des universitären Studiums der<br />
Rechtswissenschaft wiederherzustellen, der in der durchschnittlichen<br />
und typischen Praxis von Lehre und Studium<br />
heute weitgehend verloren gegangen ist 9 . Praktisch kann das<br />
im Kontext von Lehre und Studium nur bedeuten, dass den<br />
Studierenden die Chance zu eigenem wissenschaftlichen<br />
Arbeiten eröffnet wird, einerseits dadurch, dass sie als Hilfskräfte<br />
an Forschungsprojekten teilnehmen, die an dem/der jeweiligen<br />
Fachbereich/Fakultät gerade etabliert sind, andererseits<br />
dadurch, dass sie an kleineren Aufgaben allein oder in Gruppen<br />
lernen, wissenschaftlich zu arbeiten. Der Idealfall wäre<br />
die Kombination beider Möglichkeiten. Die Realisierung<br />
hängt einerseits davon ab, dass es gelingt, größere Forschungsprojekte<br />
an der/dem Fakultät/Fachbereich zu installieren:<br />
eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen<br />
Fakultäten/Fachbereiche, was wiederum eine Frage ihres Profils,<br />
ihres Programms, des Ansehens einzelner Hochschulleh-<br />
6 Im Einzelnen dazu mein in Anm. 5 notierter Beitrag.<br />
7 Kategorienbildung in Anlehnung an Max Weber; dazu näher: Hans Albrecht<br />
Hesse: Experte, Laie, Dilettant. Opladen/Wiesbaden 1998, S. 135 ff.<br />
8 Dazu jüngst sehr schön Grigat, Forschung und Lehre 7/2000, S. 362 ff.<br />
9 Im Einzelnen dazu mein in Anm. 5 notierter Beitrag.
704<br />
l<br />
rer und nicht zuletzt der Breite ihres fachlichen Spektrums<br />
und seiner Praxis-Relevanz ist. Die Realisierung hängt andererseits<br />
davon ab, dass Vorstellungen darüber bestehen, was die<br />
Wissenschaftlichkeit des rechtswissenschaftlichen Studiums<br />
eigentlich ausmacht und wie sich das in lehr- und prüfbaren<br />
Fähigkeiten operationalisieren lässt. Hier ist vieles offen<br />
und kontrovers, und mehr als vorläufige Setzungen werden<br />
nicht erreichbar sein. Tentative Versuche zur Konkretisierung<br />
der Wissenschaftlichkeit des Studiums der Rechtswissenschaft<br />
sind aber unverzichtbar, so lange am Anspruch eines<br />
auf Wissenschaft bezogenen Studiums festgehalten wird –<br />
und daran wird festgehalten, so lange das Studium als ein universitäres<br />
angeboten wird! Ich will dazu abschließend wenigstens<br />
einen Versuch machen.<br />
Wenn man die Wissenschaftlichkeit des Studiums in<br />
Fähigkeiten und Haltungen operationalisiert, dann geht es einerseits<br />
vor allem um Recherchier- und Analysefähigkeiten<br />
und dies im Blick sowohl auf Sachverhalte als auf Normen;<br />
denn es geht bei alledem letztlich um den Praxisbezug des<br />
Studiums, und die Praxis des Juristen ist typisch eine Kombination<br />
aus Sachverhalts- und Normarbeit. Recherchier- und<br />
Analysefähigkeiten können gelehrt und gelernt werden; sie<br />
sind unverzichtbar angesichts der Datenmasse, zu der der<br />
Rechtsstoff angewachsen ist, und des Tempos, mit dem er<br />
weiter wächst. Das alles ist schon längst nicht mehr im Gedächtnis<br />
des Einzelnen speicherbar; es wird andererseits in<br />
Bibliotheken und Datenbanken hervorragend aufbereitet und<br />
ist mit Hilfe von Computern und Internetanschlüssen gut verfügbar.<br />
Man muss freilich lernen, damit umzugehen, also<br />
nach relevanten Texten zu recherchieren und diese sodann<br />
analytisch aufzubereiten. Lernen muss man auch, mit Sachverhalten<br />
umzugehen. Von Hachenburg kennen wir die Beschreibung<br />
des Landgerichtsdirektors Ulrich, den Hachenburg<br />
am LG Mannheim kennen lernte. Er kennzeichnet ihn u. a.<br />
mit den Worten: „Er kannte das Leben und seine Mannheimer10<br />
.“ Das war in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, vor<br />
der Tempoverschärfung, die mit der Reichsgründung und der<br />
forcierten Industrialisierung, dem sprunghaften Anwachsen<br />
der Bevölkerung und der forcierten Verstädterung einsetzte.<br />
Inzwischen reichen individuelle Berufs- und Lebenserfahrung<br />
zum Verstehen des Lebens nicht mehr aus. Wir sind einander<br />
zunehmend Fremde geworden, ja, viele sind sich selbst fremd<br />
und rätselhaft. Vor allem aber hat sich „das Leben“ immer<br />
weiter ausdifferenziert in Eigenwelten, die von eigener Sprache,<br />
eigenen Regeln, eigener Fach- und Wissenschaftlichkeit<br />
bestimmt sind: wenn es gut geht, ist der Einzelne in einer dieser<br />
vielen Eigenwelten halbwegs zu Hause, kennt er sich halbwegs<br />
darin aus, während er zu all den anderen lediglich laienhaft,<br />
bestenfalls dilettantenhaft sich verhalten kann11 . Man<br />
muss also lernen, von fremder Fachlichkeit angemessen Gebrauch<br />
zu machen, wenn man „das Leben“ bzw. die Sachverhalte,<br />
die es von Fall zu Fall präsentiert, verstehen will. Auch<br />
dazu sind Recherche und Analyse erforderlich; auch das lässt<br />
sich – in Grenzen! – lehren und lernen.<br />
So – oder ähnlich – lässt sich Wissenschaftlichkeit des<br />
Studiums in Fähigkeiten ausdrücken; wenn es aber darum<br />
geht, die Wissenschaftlichkeit des Studiums in Haltungen<br />
zu beschreiben, dann bieten sich für mich vor allem die bereits<br />
andernorts zitierten Wendungen an, die Max Weber<br />
gebrauchte, als er den „inneren Beruf(!) zur Wissenschaft“<br />
beschrieb. Das läuft hinaus auf eine eigentümliche Kombination<br />
aus Arbeitswilligkeit, Fantasie und Leidenschaft mit<br />
methodischer Disziplinierung<strong>12</strong> .<br />
Wissenschaftlichkeit des Studiums kann in dieser oder<br />
ähnlicher Weise als lehr- und lernbare Praxis entwickelt und<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
im expliziten Curriculum verankert werden. Mindestens so<br />
wichtig für seine Vermittlung ist das verborgene Curriculum,<br />
ist die funktionale Vermittlung. Die spezifische Haltung,<br />
mit der alles steht und fällt, wird vor allem vorgelebt<br />
und nachgelebt. In dieser Beziehung liegt in der aktuellen<br />
Universitätspraxis – nicht nur der juristischen Fakultäten –<br />
nahezu alles im Argen. Maarten’t Hart beschreibt das am<br />
Beispiel des Pharmaziestudiums so: „Es war, als sollten wir<br />
bei diesem Praktikum nur eines kennen lernen: Wie betrügen<br />
wir uns selbst und die Praktikumsassistenten? Oder<br />
auch: Wie lernen wir, korrupt zu sein? Wenn ich jemals<br />
Achtung und Ehrfurcht vor den Wissenschaften gehabt<br />
habe, dann ist an jenen Nachmittagen ziemlich wenig davon<br />
übrig geblieben 13 .“ Auch der Jura-Student wird heute funktional<br />
angeleitet, sich selbst und diejenigen, die seine Leistungen<br />
kontrollieren, zu betrügen: er übt sich darin, sich<br />
mit Hilfe von Darstellungstechniken an vermutete Erwartungen<br />
anzupassen, statt seine Erkenntnissuche mit ihren<br />
Schwierigkeiten und Grenzen offen zu legen; vielfach verzichtet<br />
er von vornherein auf eigene Erkenntnissuche und<br />
übt sich darin, fremde Erkenntnisse als eigene auszugeben.<br />
Wenn hier nicht radikale Änderungen eintreten, ist alles Bemühen,<br />
das Studium der Rechtswissenschaft als ein universitäres<br />
zu erhalten, vergeblich.<br />
10 Max Hachenburg: Lebenserinnerungen eines Rechtsanwalts und Briefe aus der<br />
Emigration. Stuttgart u. a. 1978, S. 89; dazu auch Hesse, JZ 1982, S. 272 ff.<br />
11 Hans Albrecht Hesse: Experte, Laie, Dilettant. Op. cit.<br />
<strong>12</strong> Max Weber: Wissenschaft als Beruf. 5. Aufl. Berlin 1967, S. 11; dazu auch<br />
Hesse, AnwBl 2000, S. 325 ff./326.<br />
13 Maarten’t Hart: Das Wüten der ganzen Welt. München 1999. S. 363 f.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 705<br />
Aufsätze l<br />
Internationaler Rechtsverkehr<br />
Nachfolgende Referate wurden auf der Seminarveranstaltung<br />
der Arbeitsgemeinschaft Internationaler Rechtsverkehr<br />
in Kooperation mit der International Bar Association am<br />
2. Juni 2000 auf dem 51. Deutschen Anwaltstag in Berlin<br />
gehalten. Die Darstellung orientiert sich im wesentlichen an<br />
dem Wortlaut der vorgetragenen Referate und soll Anstoß<br />
geben, über die anlässlich der Veranstaltung besprochenen<br />
Themen eine breitere Diskussion innerhalb der gesamten<br />
deutschen Anwaltschaft zu führen. Bis auf das Referat von<br />
Prof. Perschbacher von der University of California, Davis,<br />
sind sämtliche Referate in deutscher Sprache abgefasst und<br />
gehalten worden.<br />
Rechtsanwalt Andreas Klein , LL.M., Bonn<br />
EU-Harmonisierung –<br />
Globalisierung – Kommerzialisierung<br />
Anwaltschaft quo vadis?<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Frankfurt a. M.*<br />
Auf der Skala des Ansehens der einzelnen Berufe rangieren<br />
die Rechtsanwälte den Umfrageergebnissen zufolge<br />
ganz weit oben. Dies allein sollte schon Anlaß für die Frage<br />
sein „Anwaltschaft quo vadis?“. Das Bild des Anwalts im<br />
Bewußtsein der Öffentlichkeit ist nämlich in der historischen<br />
Dimension überaus schwankend. Die Anwaltskarrikaturen<br />
von Honoré Daumier sind nicht unbedingt ein Kompliment<br />
für unseren Berufsstand, wobei man wissen muß,<br />
daß Daumier als Laufbursche einer Anwaltskanzlei und<br />
weil er immer wieder von seinen Gläubigern bedrängt wurde,<br />
seine eigenen Erfahrungen mit Anwälten gemacht hatte.<br />
Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm ordnete an, die Anwälte<br />
müßten schwarz tragen, damit man die Halunken<br />
schon von weitem erkennen kann. Und noch drastischer<br />
heißt es in dem Königsdrama Heinrich IV von Shakespeare:<br />
„The first thing we do: Let’s kill all the lawyers!“. Auch<br />
hier gibt es einen biographischen Hintergrund: Shakespeare<br />
hatte in seiner Jugend als Angestellter bei einem Anwalt<br />
gearbeitet und hatte miterlebt, wie manche Anwälte mehr<br />
an den persönlichen Erfolg als an den Erfolg ihres Mandanten<br />
dachten.<br />
Doch es ist nicht nur die historische Erfahrung vom Auf<br />
und Ab im Bild der Geschichte, die uns zu dem heutigen<br />
Thema veranlaßt hat. Vielmehr wird dieses Thema derzeit<br />
im internationalen Bereich intensiv diskutiert. Die Stichworte<br />
EU-Harmonisierung – Globalisierung – Kommerzialisierung<br />
kennzeichnen einige wesentliche Hintergrundaspekte,<br />
ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die genannten<br />
drei Aspekte sind zur Verdeutlichung bewußt begrifflich<br />
nebeneinander gestellt worden, obwohl sie im wirklichen<br />
Leben miteinander verwoben sind.<br />
Es wäre zu eng, wenn wir das Thema nur aus dem deutschen<br />
Blickwinkel angehen würden. Nach meinem Einfüh-<br />
rungsreferat folgen einige Länderberichte. Deutschland hat<br />
einen einheitlichen anwaltlichen Berufsstand, und dieser<br />
hat in der Vertretung vor Gericht ein vollständiges und in<br />
der Beratung ein weitgehendes Monopol. In anderen Ländern<br />
stellen sich diese Grundgegebenheiten durchaus unterschiedlich<br />
dar. Die anschließenden Länderberichte, sind bewußt<br />
auch mit der Absicht ausgesucht worden, die unterschiedlichen<br />
berufsrechtlichen Ausgangspositionen deutlich<br />
zu machen.<br />
Dies vorausgeschickt begrüße ich Herrn Charles Leach<br />
von der Londoner Kanzlei Ashurst Morris Crisp, der den<br />
englischen Länderbericht geben wird. Bekanntlich hat England<br />
einen geteilten Berufsstand. Die Barristers haben ein<br />
Vertretungsmonopol vor Gericht, während die Solicitors<br />
kein Beratungsmonopol haben.<br />
Ich begrüße ferner Herrn Nikolas Studer, Vizepräsident<br />
des schweizerischen Anwaltverbandes. Die Schweiz kennt<br />
einen einheitlichen Berufsstand, dieser hat jedoch kein Beratungsmonopol<br />
und ein von Kanton zu Kanton unterschiedliches<br />
Prozeßmonopol.<br />
Mein Gruß gilt weiter Herrn Karl Hepp de Sevelinge<br />
von der französischen Kanzlei Gide Loyrette Nouel. Seit<br />
dem Jahre 1990, als die Conseillers Juridique zu Avocats<br />
befördert wurden, kennt Frankreich einen einheitlichen Berufsstand<br />
mit Monopol für Prozeßvertretung und Beratung.<br />
Ich begrüße ferner Herrn Peter von Schmidt auf Altenstadt,<br />
Präsident des Nederlandse Orde van Avocaten. Die<br />
Niederlande haben einen einheitlichen Berufsstand mit eingeschränktem<br />
Monopol zur Vertretung vor Gericht und<br />
ohne jegliches Beratungsmonopol.<br />
Ich begrüße Herrn Prof. Rex Perschbacher, Dean der<br />
University of California. Herr Perschbacher ist ein ausgewiesener<br />
Kenner des anwaltlichen Berufsrechts, das in den<br />
USA in die Zuständigkeit der Einzelstaaten fällt. Der Berufsstand<br />
dort ist einheitlich und hat ein umfassendes Monopol.<br />
Und schließlich begrüße ich Klaus Böhlhoff, President<br />
der International Bar Association, der weltumspannenden<br />
internationalen Anwaltsvereinigung, im Hauptberuf einer<br />
meiner Partner in unserer Sozietät Hengeler Mueller Weitzel<br />
Wirtz.<br />
Wir haben bei der Auswahl der Länderreferate bewußt<br />
den Schwerpunkt auf Europa gelegt. Mit Sicherheit wird<br />
die Harmonisierung des anwaltlichen Berufsrechts in Europa<br />
voranschreiten, und mit Sicherheit wird es im Zuge dieser<br />
Harmonisierung zu Kompromissen zwischen den Ausgangspositionen<br />
der einzelnen Mitgliedstaaten der EU<br />
kommen. Das anwaltliche Berufsrecht wird irgendwo in der<br />
Mitte zwischen den derzeitigen nationalen Berufsrechten zu<br />
liegen kommen.<br />
Es geht mir im folgenden nicht darum, fertige Antworten<br />
zu geben. Ich will vielmehr die grundsätzliche Fragestellung<br />
in Unterfragen aufbrechen und künftige Entwicklungslinien<br />
skizzieren. Dasselbe gilt sicher auch für die Länderberichte.<br />
Es geht vor allem darum, das Problembewußtsein zu<br />
wecken und die Diskussion anzustoßen.<br />
Der eine oder andere wird meinen, vieles von dem, was<br />
hier gesagt wird, betreffe nur die Groß- und Größtkanzleien,<br />
nicht aber den Einzelanwalt oder die kleinen und mittelgro-<br />
* Referat von Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Vizepräsident des Deutschen<br />
Anwaltvereins, auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin am 2. Juni 2000.
706<br />
l<br />
ßen Sozietäten, und er wird darauf verweisen, dass die<br />
durchschnittliche Kanzleigröße in Deutschland 1,8 Anwälte<br />
beträgt. So einfach ist es nicht. Die Entwicklungen bei den<br />
Groß- und Größtkanzleien sind natürlich besonders visibel.<br />
Aus meiner Tätigkeit in der Satzungsversammlung jedoch<br />
weiß ich, daß viele der angesprochenen oder ähnlichen Probleme<br />
noch in kleineren anwaltlichen Einheiten anzutreffen<br />
sind. Und schließlich: Die schlechten Sitten der „Großen“<br />
können die guten Sitten der „Kleinen“ verderben. Doch<br />
vielleicht ergibt unsere Diskussion ja, daß die Dinge genau<br />
umgekehrt liegen.<br />
Das Umfeld der anwaltlichen Tätigkeit in Deutschland<br />
und im Ausland hat sich gegenüber dem Stand vor 20 Jahren<br />
drastisch verändert. Das heutige Umfeld läßt sich ohne<br />
Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt skizzieren:<br />
1. Internationalisierung und Globalisierung der Rechtsnormen,<br />
der geschäftlichen Aktivitäten der Mandanten und<br />
der eigenen anwaltlichen Tätigkeit, im Sinne von Mandaten<br />
mit grenzüberschreitenden Fragestellungen und im Sinne<br />
von grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit ausländischen<br />
Kanzleien. Dies alles im Größtmaßstab wie Daimler<br />
Chrysler und im kleineren wie die Kooperation von zwei<br />
Handwerksbetrieben in Kehl und Straßburg, oder die Fusion<br />
von deutschen und englischen Großkanzleien oder die Zusammenarbeit<br />
von kleineren Kanzleien in Nijmwegen und<br />
Oberhausen.<br />
2. Eine zunehmende Komplexität der Rechtsnormen und<br />
daraus resultierend die immer stärker werdende Notwendigkeit<br />
zur Spezialisierung.<br />
3. Die zunehmende Technisierung. EDV, Telefax, E-Mail<br />
und Internet eröffnen auch für die Anwaltschaft ungeahnte<br />
Möglichkeiten, aber auch Belastungen.<br />
4. Der Wettbewerb um anwaltliche Beratungsmandate<br />
nimmt ständig zu. Die Entwicklung in Deutschland ist zum<br />
Teil auf die steigenden Anwaltszahlen zurückzuführen<br />
(1960: 18.000, 1985: 48.000, 1999: 59.000, Ende 1999:<br />
100.000, und Ende 2006: ca. 150.000, geht man von den ca.<br />
130.000 Juristen aus, die derzeit in der Ausbildung sind).<br />
Hinzu kommt der Wettbewerb durch ausländische Anwälte<br />
und durch Angehörige anderer Berufe, insbesondere Wirtschaftsprüfer,<br />
Steuerberater, aber auch Inkassounternehmen,<br />
Banken, Rechtschutzversicherer, Verbraucherverbände,<br />
Schuldnerberatungseinrichtungen, Haus- und Grundbesitzervereine,<br />
und Unternehmensberater.<br />
5. Schließlich und vor allem: Die Mandanten werden anspruchsvoller<br />
nicht nur in puncto Qualität, sondern auch in<br />
puncto Service. Diesem Wettbewerbsdruck standzuhalten,<br />
ist für die Anwaltschaft auch deshalb schwierig, weil viele<br />
Wettbewerber einen berufsrechtlichen Vorteil haben – sie<br />
unterliegen keinerlei berufsrechtlichen Bindungen oder ihr<br />
Berufsrecht ist in entscheidenden Punkten großzügiger als<br />
das anwaltliche Berufsrecht.<br />
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen<br />
zum Wettbewerb ausländischer Anwälte machen. Auf gemeinschaftsrechtlicher<br />
Ebene sind hier zu nennen die Richtlinie<br />
zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs<br />
der Rechtsanwälte von 1977, die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie<br />
von 1988 und die Niederlassungsrichtlinie<br />
von 1998. Die Niederlassungsrichtlinie ist im Gesetz über<br />
den Europäischen Rechtsanwalt vom März 2000 umgesetzt<br />
worden. Ich verweise auf den kürzlichen Aufsatz von Frau<br />
Lach (NJW 2000, 1609ff). Dieses Gesetz inkorporiert auch<br />
die beiden anderen, schon früher umgesetzten Richtlinien.<br />
Während diese in der Praxis keine besondere Bedeutung<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
hatten, wird die Niederlassungsrichtlinie die Anwaltslandschaft<br />
in Europa zumindest in den Großstädten und im<br />
grenznahen Bereich verändern.<br />
Nach der Niederlassungsrichtlinie hat jeder Rechtsanwalt<br />
aus einem Mitgliedstaat der EU das Recht, sich unter<br />
seiner heimatlichen Berufsbezeichnung in jedem anderen<br />
Mitgliedstaat niederzulassen und dort dieselben beruflichen<br />
Tätigkeiten auszuüben wie ein örtlicher Rechtsanwalt, einschließlich<br />
der Rechtsberatung im Recht des Aufnahmestaaten<br />
und einschließlich der Vertretung vor dem Gerichten<br />
des Aufnahmestaates. Nach drei Jahren effektiver und regelmäßiger<br />
Tätigkeit im Aufnahmestaat und im Recht des Aufnahmestaates<br />
kann dieser ausländische Anwalt des anwaltlichen<br />
Berufstitel des Aufnahmestaates erwerben. Ein<br />
Beispiel: Ein englischer Solicitor oder ein französischer<br />
Avocat kann sich in Frankfurt niederlassen und im deutschen<br />
Recht beraten sowie vor deutschen Gerichten Prozesse<br />
führen, zunächst unter seinem Heimattitel, nach drei<br />
Jahren effektiver und regelmäßiger Tätigkeit auch unter der<br />
deutschen Bezeichnung Rechtsanwalt.<br />
Diese Richtlinie ist jedoch keine Einbahnstraße. In derselben<br />
Weise kann ein deutscher Rechtsanwalt in London<br />
oder Paris das englische oder französische Recht praktizieren,<br />
auch vor Gericht, und nach drei Jahren den Titel Solicitor<br />
bzw. Avocat führen. Die Richtlinie wird also eine doppelte<br />
Wirkung haben. Sie wird auf der einen Seite den<br />
Wettbewerbsdruck im Inland erhöhen, sie wird aber auf der<br />
anderen Seite deutschen Anwälten Möglichkeiten zum<br />
Wettbewerb in anderen Ländern der Gemeinschaft eröffnen,<br />
die ihnen bisher verschlossen waren. Ich erwarte, daß per<br />
saldo Deutschland auf diese Weise sozusagen mehr Anwälte<br />
exportieren als importieren wird. Und ich erwarte,<br />
daß die Niederlassungsrichtlinie nicht das Ende der Harmonisierung<br />
des Berufsrechtes bedeutet, sondern zu weiterer<br />
Harmonisierung führen wird.<br />
Vor allem erwarte ich von der Niederlassungsrichtlinie<br />
einen verschärften Druck in Richtung Reform der deutschen<br />
Juristenausbildung, die im Vergleich mit anderen europäischen<br />
Ländern trotz der inzwischen gemachten Fortschritte<br />
bei der universitären Ausbildungsdauer immer noch<br />
zu lang und vor allem zu wenig anwaltsbezogen ist. Ich<br />
weiß von einer ganzen Anzahl befähigter deutscher Studenten,<br />
die im Vorgriff auf die Niederlassungsrichtlinie ihre juristische<br />
Ausbildung in England machen, um anschließend<br />
in Deutschland zu arbeiten, und die dann drei oder vier Jahre<br />
jünger als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen sind.<br />
Im internationalen Kontext des anwaltlichen Wettbewerbs<br />
ist auch das General Agreement on Trade in Services<br />
von 1994 zu nennen. Dieses Abkommen hat das Prinzip der<br />
Liberalisierung des Handels mit Waren – Stichwort GATT –<br />
auf den Bereich der Dienstleistungen ausgedehnt. Das<br />
GATS hat für den Bereich der Rechtsberatung zunächst nur<br />
zu einer bescheidenen Liberalisierung geführt. Deutschland<br />
ist überdurchschnittlich liberal. Nach § 206 Abs.2 BRAO<br />
n. F. dürfen Anwälte aus Mitgliedstaaten des GATS, die<br />
laut rechtverordnungsmäßiger Feststellung des Bundesministeriums<br />
der Justiz in Ausbildung und beruflichen Befugnissen<br />
einem deutschen Rechtsanwalt entsprechen, sich in<br />
Deutschland niederlassen und hier im Recht ihres Heimatstaates<br />
und im Völkerrecht beraten. Die Befugnisse deutscher<br />
Rechtsanwälte in anderen GATS-Mitgliedstaaten sind<br />
ähnlich bescheiden oder noch bescheidener. Hieran wird<br />
sich im Zuge der bevorstehenden Neuverhandlungen –<br />
Stichwort GATS 2000 – kaum etwas ändern. Viel wichtiger<br />
als die bisher bescheidene Liberalisierung ist etwas ganz
AnwBl <strong>12</strong>/2000 707<br />
Aufsätze l<br />
anderes, nämlich der Wandel des Bewußtseins, der durch<br />
GATS eingeleitet worden ist. „Trade in Legal Services“, der<br />
Handel mit anwaltlichen Dienstleistungen – dieser Ausgangspunkt<br />
von GATS zwingt alle diejenigen Länder zumindest<br />
zu einem gewissen Umdenken, die, wie wir, im<br />
Rechtsanwalt „ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“<br />
sehen (§ 1 BRAO), und dies nicht nur hinsichtlich der<br />
Tätigkeit vor Gericht, sondern auch hinsichtlich der Beratungstätigkeit.<br />
Ich denke hier vor allem auch an Frankreich<br />
und die südeuropäischen Länder.<br />
Dieses Verständnis vom Handel mit anwaltlichen<br />
Dienstleistungen findet sich auch in der jüngst verabschiedeten<br />
EU-Richtlinie zum „E-Commerce“, die auch für uns<br />
Anwälte gilt. Die Arbeit an dieser Richtlinie hat gezeigt,<br />
welche Auswirkungen sich aus den Entwicklungen der<br />
Technik für unseren Beruf ergeben, sowohl im Hinblick auf<br />
Betätigungsmöglichkeiten als auch im Hinblick auf das Berufsrecht.<br />
Im Verlauf dieser Arbeiten war es hoch umstritten,<br />
ob für die berufsrechtliche Beurteilung anwaltlicher<br />
Werbeaussagen und Beratungsleistungen im Internet die<br />
Aufsichtsbehörden im Staat des Adressaten bzw. Mandanten<br />
zuständig sind, oder die Aufsichtsbehörden am Kanzleiort,<br />
von dem aus der Anwalt im Internet tätig wird. Das<br />
Prinzip der herkunftsstaatlichen Aufsicht hat sich durchgesetzt,<br />
denn der im Internet tätige Anwalt hat gar nicht die<br />
technische Möglichkeit festzustellen, in welchem Sitz der<br />
Verbraucher sitzt, der ihn anklickt, und genaus wenig haben<br />
die dortigen Aufsichtsbehörden die technische Möglichkeit,<br />
diesen Internetverkehr zu überwachen. Ein Anwalt, der sich<br />
nach der EU-Niederlassungsrichtlinie in einem anderen<br />
Mitgliedstaat niederläßt, muss also bei seiner dortigen Tätigkeit<br />
das örtliche Berufsrecht beachten. Der Anwalt, der<br />
über das Internet überall in der Gemeinschaft ein virtuelle<br />
Niederlassung unterhält – so die Formulierung mancher Beobachter<br />
–, unterliegt ausschließlich seinem heimatlichen<br />
Berufsrecht. Und ist dieser Anwalt gar kein Anwalt, darf<br />
aber rechtsberatend tätig sein, weil es in seinem Sitzland<br />
kein anwaltliches Beratungsmonopol gibt, dann unterliegt<br />
dieser Rechtsberater gar keinem Berufsrecht. Je mehr von<br />
den Möglichkeiten der E-Commerce-Richtlinie auch im<br />
Rechtsberatungsbereich Gebrauch gemacht wird, um so größer<br />
wird die Notwendigkeit werden, die anwaltlichen Berufsrechte<br />
in Europa zu harmonisieren, nicht nur in den Einzelheiten,<br />
sondern auch in der Grundfrage des anwaltlichen<br />
Beratungsmonopols.<br />
Die International Bar Association hat sich intensiv mit<br />
den verschiedenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der<br />
grenzüberschreitenden Tätigkeit ausländischer Anwälte<br />
befaßt. Das höchste Organ der IBA, der Council (Verwaltungsrat)<br />
hat im Juni 1998 in Wien die Grundprinzipien<br />
benannt, die für die anwaltliche Tätigkeit weltweit kennzeichnend<br />
sind, nämlich<br />
9 die Pflicht und das Recht zur Unabhängigkeit<br />
9 die Pflicht und das Recht zur Verschwiegenheit<br />
9 das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen,<br />
und<br />
9 die Pflicht zur Einhaltung berufsethischer Grundsätze.<br />
Diese Grundprinzipien sind, historisch gesehen, im Zusammenhang<br />
mit der anwaltlichen Vertretung vor Gericht<br />
und Behörden entwickelt worden, sie gelten aber auch für<br />
die Beratungstätigkeit. Sie erscheinen angesichts jüngster<br />
Entwicklungen in Europa als nicht mehr unangefochten. So<br />
hat im letzten Jahr die EU-Kommission mit der Drohung,<br />
notfalls die Angelegenheit durch Verordnung zu regeln, die<br />
europäischen Verbände der Notare, Anwälte, Wirtschaftsprüfer<br />
und Steuerberater veranlaßt, eine Charta für die freien<br />
Berufe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu<br />
vereinbaren. Nach dem ursprünglichen Entwurf der Kommission<br />
hätte ein Anwalt, der von der Absicht seines Mandanten<br />
zu strafbarem Verhalten wußte oder wissen mußte,<br />
„den Griffel fallen lassen“ müssen, d. h. das Mandat niederlegen<br />
müssen. Nur mit großer Mühe ist es gelungen, der<br />
Kommission klarzumachen, daß dieses Verständnis gegen<br />
verfassungsrechtlich abgesicherte anwaltliche Tätigkeitsbefugnisse<br />
im Sinne eines Klientenrechts auf anwaltlichen<br />
Beistand gerade in Zweifelsfällen verstieß. Vereinbart wurde<br />
schließlich eine Formulierung, wonach der Anwalt in dem<br />
geschilderten Fall zur Prüfung verpflichtet ist, ob er das<br />
Mandat niederlegen sollte.<br />
Noch gravierendere Fragen stellen sich bei der derzeit<br />
anhängigen Änderung der Geldwäscherichtlinie, mit der die<br />
Kommission u. a. die Anwälte den Anzeigepflichten nach<br />
der bestehenden Richtlinie unterwerfen will. Die Kommission<br />
war kaum zu nennenswerten Zugeständnissen bereit.<br />
Bei den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments<br />
sind wir auf mehr Verständnis für die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
gestoßen, ohne daß bisher eine<br />
Lösung gefunden worden wäre, die neben dem staatlichen<br />
Aufdeckungsinteresse auch die rechtsstaatlich gebotene Verschwiegenheit<br />
des Anwalts berücksichtigt. Vielleicht<br />
gelingt der portugiesischen Ratspräsidentschaft – die<br />
anwaltliche Verschwiegenheit ist in der portugiesischen Verfassung<br />
geschützt – die Lösung des Problems, etwa durch<br />
klare Begrenzung der Anzeigepflicht auf anwaltliche Hilfsund<br />
Begleittätigkeiten. Andernfalls fällt das Thema in der<br />
zweiten Hälfte dieses Jahres in die französische Ratspräsidentschaft<br />
– leider, denn die französische Justizministerin<br />
scheint, wie man hört, einer Anzeigepflicht auch für<br />
Rechtsanwälte zu zuzuneigen. Nach dem jetzigen Entwurfsstand<br />
würde die Anzeige an die anwaltliche Standesaufsicht<br />
gehen; was diese mit der eingegangenen Anzeige zu<br />
machen hat, wird nicht geregelt. Die Kommission hat aber<br />
bereits eine genaue Beobachtung in dieser Hinsicht angekündigt.<br />
Zu erwähnen ist insoweit auch eine geplante Entschließung<br />
des Europarats zur freien Ausübung des Rechtsanwaltsberufs.<br />
Der Entwurf sieht vor, dass im Zusammenhang<br />
mit strafrechtlichen Ermittlungen die anwaltliche<br />
Verschwiegenheit, soweit erforderlich, nach näherer Maßgabe<br />
des nationalen Rechts eingeschränkt werden kann.<br />
Alle Einwendungen des CCBE (Rat der Europäischen Anwaltschaften)<br />
waren bisher erfolglos.<br />
All diese Aufweichentscheidungen wären noch vor zehn<br />
Jahren kaum vorstellbar gewesen. In meinen Augen ist diese<br />
Entwicklung gedanklich auch eine Konsequenz der Tatsache,<br />
daß anwaltliche Tätigkeit irrigerweise ausschließlich<br />
als Handelsobjekt begriffen wird – weshalb sollte diese<br />
Tätigkeit in puncto Tätigkeitsverbot und Anzeigepflicht anders<br />
behandelt werden als andere Dienstleistungen?<br />
Bei den Arbeiten an den genannten Vorhaben in Brüssel<br />
und Straßburg hat sich gezeigt, daß die anwaltliche Verschwiegenheit<br />
in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft<br />
sehr unterschiedlich geregelt ist. Im englischen Recht ergibt<br />
sich die Pflicht zur Verschwiegenheit allein aus dem<br />
Mandatsvertrag, in Frankreich und den südeuropäischen<br />
Ländern besteht die Verschwiegenheitspflicht ebenso wie in<br />
Deutschland daneben und in erster Linie als Berufspflicht,<br />
mit der Folge, daß die Verletzung der Pflicht nicht nur vertragliche,<br />
sondern auch berufsrechtliche und, von Land zu
708<br />
l<br />
Land unterschiedlich, auch strafrechtliche Konsequenzen<br />
nach sich zieht.<br />
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, daß nach der<br />
nunmehr ständigen Rechtsprechung des schweizerischen<br />
Bundesgerichts sich Recht und Pflicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit<br />
nur auf die spezifische anwaltliche Tätigkeit<br />
bezieht, also auf die Prozeßvertretung und die rechtliche<br />
Beratung, nicht aber auf Hilfstätigkeiten (z. B. die Verwaltung<br />
von Mandantengeldern) und benachbarte Tätigkeiten<br />
(z. B. Verwaltungsratmandate).<br />
Auch hinsichtlich der Vertretung widerstreitender Interessen<br />
droht eine Aufweichung, hier jedoch weniger in<br />
normativer als in faktischer Hinsicht. Ein Beispiel: Heute<br />
werden nicht nur große Unternehmen, sondern auch mittelgroße<br />
Unternehmen nicht in bilateralen Verhandlungen,<br />
sondern im sog. Bieterverfahren veräußert, d. h. einem privaten<br />
Versteigerungsverfahren nach selbstgesetzten Regeln.<br />
Derartige Bieterverfahren sind auch in anderen Bereichen<br />
anzutreffen. Als Beispiel nenne ich die angekündigte Versteigerung<br />
der UMTS-Lizenzen für die nächste Handy-<br />
Generation und das Bieterverfahren für den Ausbau des<br />
Flughafens Berlin-Schönefeld, über das in der Presse intensiv<br />
berichtet worden ist. Es mehren sich die Fälle, in denen<br />
sich in einem solchen Verfahren mehrere Bieter von derselben<br />
Anwaltssozietät beraten lassen, wenn auch von unterschiedlichen<br />
Büros. Ein Verstoß gegen das Verbot der<br />
Wahrnehmung widerstreitender Interessen wird mit der Begründung<br />
verneint, man arbeite mit sog. Chinese Walls zwischen<br />
den einzelnen Anwaltsteams, und im übrigen seien<br />
die Mandanten informiert und einverstanden. Nach deutschem<br />
Recht beseitigt das Einverständnis der Mandanten<br />
den berufsrechtlichen und strafrechtlichen Verstoß nicht,<br />
wohl aber offenbar nach englischem Recht. So wird von<br />
den deutschen Kollegen denn auch darauf verwiesen, sie<br />
stehen im Wettbewerb mit ausländischen Kanzleien, denen<br />
eine derartige Parallelvertretung bei Einverständnis der<br />
Mandanten erlaubt sei, und im übrigen auch im Wettbewerb<br />
mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, für die<br />
dasselbe gelte, ganz zu schweigen von den Investmentbanken.<br />
In der letzten Zeit scheint jedoch nach einigen<br />
spektakulären Konfliktfällen im Bereich Investmentbanking<br />
bei allen Beteiligten – Banken und Kunden – das Bewußtsein<br />
um den Wert einer interessenkollisionsfreien Beratung<br />
gewachsen zu sein. Ob sich dies auf die anwaltliche Tätigkeit<br />
auswirken wird, bleibt abzuwarten. Ich bin ein wenig<br />
skeptisch angesichts der ständig steigenden Zahl von Kanzleifusionen,<br />
die das Konfliktpotential ständig vergrößern.<br />
Mit Sicherheit sind die Dinge im Fluß beim anwaltlichen<br />
Gebührenrecht. In einigen EU-Staaten ist inzwischen das<br />
Erfolgshonorar zugelassen, vorausgesetzt, es ist nicht die<br />
einzige Vergütung für die anwaltliche Tätigkeit; Erforderlich<br />
ist also eine erfolgsunabhängige Grundvergütung, zu<br />
der das Erfolgshonorar im Erfolgsfall hinzutritt. Auch in<br />
Deutschland wird nicht selten so verfahren, indem die Erfolgskomponente<br />
nicht vorhinein vereinbart, aber im nachhinein<br />
in den Honorarvorschlag eingebaut wird. (Siehe<br />
Zuck, NJW 1998, 355: „Es geht alles: Drunter und Drüber“).<br />
Genauso wie beim Zeithonorar wird sich vermutlich<br />
auch hier die normative Regelung (§ 49b Abs. 2 BRAO)<br />
der faktischen Lage anpassen.<br />
Davon abgesehen stellen sich hier bereits heute Fragen<br />
des Gemeinschaftsrechts. Nachdem der EuGH im Modelo-<br />
Urteil bereits vor einiger Zeit die portugiesische Notargebührenordnung<br />
(wegen Verstoßes gegen die Gesellschaftssteuerrichtlinie)<br />
für gemeinschaftsrechtswidrig er-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
klärt hat, wird er demnächst auf Vorlage des Amtsrichters<br />
aus Pinerolo zu entscheiden haben, ob die italienische<br />
Anwaltsgebührenordnung gegen die Wettbewerbsartikel des<br />
EG-Vertrages (Art. 81f) verstößt. Auch wenn im Gegensatz<br />
zur italienischen die deutsche Gebührenordnung auf<br />
Gesetz – der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung –<br />
beruht, sind Auswirkungen dieser Entscheidung auf unser<br />
Gebührenrecht gegebenenfalls nicht auszuschließen.<br />
Die Befugnis von Anwaltskammern zum Erlaß von berufsregelnden<br />
Satzungsbestimmungen steht übrigens noch<br />
in einem anderen Verfahren auf dem Prüfstand des EuGH,<br />
nämlich in zwei Verfahren gegen die Bestimmungen des<br />
Nederlandse Orde van Avocaten über die Zusammenarbeit<br />
von Anwälten und Wirtschaftsprüfern.<br />
Damit nicht genug. Die EU-Kommission ist offensichtlich<br />
willens, Berufsrecht und Berufspraxis der Anwaltschaft<br />
und anderer freier Berufe in Europa umfassend am Wettbewerbsrecht<br />
der Gemeinschaft zu messen. Die Kommission<br />
hat kürzlich eine Ausschreibung veröffentlicht, damit<br />
zunächst die erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen getroffen<br />
werden.<br />
Zurück zum Anwaltshonorar. Ausgelöst durch Entwicklungen<br />
in den USA und England wird inzwischen in<br />
Deutschland diskutiert, ob Anwaltskanzleien sich ihre Beratung<br />
beim Börsengang des Mandanten – insbesondere am<br />
sog. Neuen Markt – in Aktien bezahlen lassen dürfen. Eine<br />
Vereinbarung, wonach ein Honorar nur bei erfolgreichem<br />
Börsengang und dann nur in Form von Aktien geschuldet<br />
wird, wäre in mehrfacher Hinsicht problematisch. Eine derartige<br />
Vereinbarung wäre gleich aus doppeltem Grunde<br />
unwirksam, zum einen als verbotenes Erfolgshonorar, zum<br />
anderen als verdeckte Sacheinlage auf die neuen Aktien,<br />
mit der Folge, daß der Anwalt nicht nur keinen Honoraranspruch<br />
hat, sondern den auf die Aktien geschuldeten Einlagebetrag<br />
im Konkursfall bar erbringen muß. Und schließlich<br />
stellt sich die Frage der Gewerbesteuerpflicht im<br />
Raum.<br />
Davon abgesehen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob<br />
grundsätzlich bzw. ab welcher Beteiligungshöhe § 43a<br />
Abs. 1 BRAO tangiert ist, wonach der Rechtsanwalt keine<br />
Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Unabhängigkeit<br />
gefährden. Nach den Vorschriften der amerikanischen<br />
Wertpapieraufsichtsbehörde SEC zur Wahrung der wirtschaftsprüferlichen<br />
Unabhängigkeit darf ein Wirtschaftsprüfer<br />
keine Beteiligung an einem Unternehmen halten, das<br />
von ihm selbst oder seinen Kollegen in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
geprüft wird. Wie ernst die SEC diese<br />
Vorschriften nimmt, zeigen Presseberichte von Anfang dieses<br />
Jahres. Danach hat die SEC nicht nur disziplinarische<br />
Maßnahmen ergriffen, sondern in einzelnen Fällen sogar<br />
die geprüften Unternehmen veranlaßt, die Prüfungsgesellschaft<br />
zu wechseln. Wo liegt bei uns Anwälten die kritische<br />
Schwelle, ab der die Beteiligung am Mandantenunternehmen<br />
die anwaltliche Unabhängigkeit tangiert?<br />
Der Aspekt „Aktien als Honorar“ gehört zum Stichwort<br />
„Kommerzialisierung“. Damit ist – dies sei ausdrücklich<br />
angemerkt – nicht gemeint, daß der Anwalt seine Kanzlei<br />
nicht ökonomisch führen und dem Mandanten keinen möglichst<br />
raschen und guten Service bieten soll. Angesprochen<br />
sind vielmehr diejenigen Fälle, in denen die kommerzielle<br />
Absicht im Vordergrund des Handelns steht und das Recht –<br />
abgelöst von dem Ideal der Gerechtigkeit und der Funktion<br />
Organ der Rechtspflege- als bloßes Mittel zum Zweck eingesetzt<br />
wird. Die Grenzen sind sicherlich fließend. Das Thema
AnwBl <strong>12</strong>/2000 709<br />
Aufsätze l<br />
Anwaltswerbung in dem nach § 41b BRAO zugelassenen<br />
Umfang gehört nicht hierhin, genauso wenig wie die Tatsache,<br />
daß inzwischen nicht nur große, sondern auch mittelgroße<br />
anwaltliche Beratungsmandate auf der Grundlage<br />
sog. Schönheitswettbewerben oder gar echten Ausschreibungen<br />
vergeben werden und nach den Vergabevorschriften<br />
des öffentlichen Rechts in bestimmten Fällen sogar vergeben<br />
werden müssen. Kritisch sind hingegen die sog. Ranking<br />
Listen, in denen wie in den Torschützenlisten der Bundesliga<br />
aufgeführt wird, welche Kanzleien und speziell<br />
welche Partner im letzten Berichtszeitraum welche Transaktionen<br />
mit welchem Transaktionswert beraten und wieviel<br />
sie dabei verdient haben. Diese aus dem angelsächsischen<br />
Rechtskulturkreis stammenden Listen – bis hin zu den Listen<br />
mit den jährlichen Umsatz- und Gewinnzahlen der einzelnen<br />
Kanzleien – wären uns besser erspart geblieben. Es<br />
wird sich weisen, welche Konsequenzen sich daraus für die<br />
Beziehung Rechtsanwalt/Mandant und auf das Verhältnis<br />
zwischen den Kanzleien ergeben. Ich sage dies als jemand,<br />
dessen Sozietät und der selbst bei diesen Listen nicht gerade<br />
das Schlußlicht bildet.<br />
Wie schroff bei den Stichworten Globalisierung und<br />
Kommerzialisierung die unterschiedlichen Positionen aufeinander<br />
prallen können, hat sich bei einer Veranstaltung<br />
der International Bar Association im September 1998 in<br />
Vancouver gezeigt. Auf einer Sitzung eines Ausschusses<br />
der IBA diskutierten die Podiumsteilnehmer grenzüberschreitende<br />
Fusionen, Allianzen und Kooperationen von<br />
Anwaltskanzleien. Die allgemeine Auffassung war: Wir<br />
stehen im Wettbewerb, insbesondere mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
und deshalb müssen wir<br />
international operieren können, frei und ungebunden in jeglicher,<br />
auch in berufsrechtlicher Hinsicht. Nach den Statements<br />
der Podiumsteilnehmer – durchweg aus angelsächsischen<br />
und europäischen Ländern stand ein älterer Anwalt<br />
aus Jamaika auf, schlank, großgewachsen, tiefschwarz die<br />
Haut, schlohweiß das Haar, eine beeindruckende Erscheinung<br />
und Persönlichkeit, und sagte zum Podium: „Shame<br />
on you! Sie verraten das Recht. Sie sind nicht Rechtsanwälte,<br />
sie sind Rechtshändler, Händler die ihre Rechtskenntnisse<br />
verkaufen wie eine beliebige Ware.“ Betroffenes<br />
Schweigen war die Reaktion. Dann kam der Kommentar<br />
des Vorsitzenden: „Vielen Dank für diese Stimme aus der<br />
Wildnis.“ Dieser Zwischenfall zeigt, wie sehr im weltweiten<br />
Maßstab die Dinge auseinander treiben. Er sollte uns<br />
darüber nachdenken lassen, ob und wieweit wir in Europa<br />
und in Deutschland in nicht einer Entwicklung stehen, die<br />
zu ähnlichen Divergenzen – wenn auch im Einzelnen nicht<br />
so weit gehend – führen kann. Der Leitartikel der Zeitschrift<br />
JUVE vom November 1999 sollte uns zu denken geben:<br />
„Wozu noch Berufsrecht?“<br />
Das anwaltliche Beratungsmonopol wird auch in Zukunft<br />
mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Wie die Master Pat-<br />
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (v. 29.10.97,<br />
NJW 1998, 348 ff) zeigt, können Tätigkeiten, die ursprüngliche<br />
von diesem Monopol erfaßt waren, durch die Entwicklung<br />
von Technik und Wettbewerb aus dem Monopol herausfallen.<br />
Bei der vor einiger Zeit verabschiedeten Inkassorichtlinie<br />
wollte die EU-Kommission den Inkassounternehmen die<br />
Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung der Forderungen<br />
einräumen; dies konnte nur mit erheblichen Anstrengungen<br />
verhindert werden. Wie das Beispiel der Wirtschaftsprüfer<br />
und Steuerberater zeigt, drängen andere Berufe zunächst faktisch<br />
und dann durch die Rechtsprechung und schließlich<br />
das Gesetz abgesichert in den Rechtsberatungsmarkt ein.<br />
Daß in Zukunft neue Tätigkeiten in das anwaltliche Beratungsmonopol<br />
aufgenommen werden, dürfte ausgeschlossen<br />
sein.<br />
Ob dieses Monopol de lege lata überhaupt noch wirksam<br />
ist, wird das BVerfG aufgrund einer kürzlichen Verfassungsbeschwerde<br />
zu entscheiden haben. Die einschlägigen Probleme<br />
sind in dem Jüngsten Aufsatz von Kleine-Cosack dargestellt<br />
worden (NJW 2000, 1593 ff).<br />
Wir sollten deshalb nicht in Resignation verfallen. Wir<br />
sollten vielmehr den Fehdehandschuh des Wettbewerbs, den<br />
uns andere Berufe hingeworfen haben, aufnehmen und uns<br />
dem Wettbewerb stellen. Unsere Aussichten sind gut, denn<br />
qualitativ können wir mithalten. Vor allem sollten wir mit<br />
dem Pfund wuchern, der Grundprinzipien unseres Berufsrechts<br />
wuchern, Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit<br />
von Interessenkollisionen und hohes Berufsethos. Wir sollten<br />
diese Grundprinzipien nicht nur als Schranken unserer<br />
Freiheit, sondern auch als einen wesentlichen Vorteil im<br />
Wettbewerb mit anderen Berufen verstehen.<br />
Im Grünbuch von 1996 zum Wirtschaftsprüferberuf hat<br />
die EU-Kommission den Vorschlag gemacht, die Prüfungstätigkeit<br />
und die sonstige Tätigkeit von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,<br />
insbesondere auf den verschiedenen Beratungsfeldern,<br />
zu trennen, um die Unabhängigkeit der<br />
Prüfung zu sichern. Die amerikanische SEC drängt immer<br />
stärker auf Inkompatibilität von Prüfung und Beratung, mit<br />
der Folge, daß die Big Five mehr und mehr ihre Beratungsaktivitäten<br />
ausgliedern oder gar verkaufen. Diese Trennung<br />
von reiner Prüfungstätigkeit einerseits und Beratungstätigkeit<br />
andererseits wird den Wettbewerb im Beratungsmarkt<br />
verstärken, auch im anwaltlichen Beratungsmarkt. Auch<br />
dies dürfte auf die Harmonisierung der anwaltlichen Berufsrechte,<br />
die m. E. nur eine Frage der Zeit ist, nicht ohne Auswirkungen<br />
bleiben.<br />
Wie ich eingangs gesagt habe, wird diese Harmonisierung<br />
wohl zu einem Ergebnis führen, das irgendwie „in der<br />
Mitte“ liegt. Fast alle EU-Staaten (außer Finnland und<br />
Schweden) kennen ein anwaltliches Vertretungsmonopol<br />
vor Gericht. Daran dürfte sich in Zukunft nichts ändern. Ein<br />
anwaltliches Beratungsmonopol kennen Deutschland, Frankreich,<br />
Griechenland, Luxemburg, Österreich, Portugal und<br />
Spanien, nicht hingegen Belgien, Dänemark, Großbritannien,<br />
Italien, Niederlande und Schweden; in Deutschland ist<br />
das anwaltliche Rechtsberatungsmonopol im Laufe der Zeit<br />
immer weiter eingeschränkt worden, und daran wird sich<br />
nichts ändern. Wird vor diesem Hintergrund die Harmonisierung<br />
der Berufsrechte so aussehen, daß am Ende nebeneinander<br />
bestehen<br />
9 Rechtsanwälte, die vor Gericht tätig sind, vergleichbar<br />
den englischen Barristers,<br />
9 Wirtschaftsprüfer, deren Tätigkeit auf die reine Abschlußprüfung<br />
beschränkt ist, und<br />
9 sonstige Beratungsberufe auf den Tätigkeitsfeldern<br />
Recht, Buchführung, Steuern, Management etc., die<br />
ohne Beratungsmonopol miteinander konkurrieren? Mit<br />
der Maßgabe, daß die auf diesen Beratungsfeldern tätigen<br />
Personen und Gesellschaften besonderen berufsrechtlichen<br />
Pflichten nur dann unterworfen sind und die<br />
entsprechenden Rechte nur dann in Anspruch nehmen<br />
können, wenn sie einem entsprechenden Berufsstand angehören.<br />
Konkret würde dies bedeuten: Rechtsberatend<br />
darf jeder tätig sein; nur dann, wenn er zugelassener Anwalt<br />
ist, gelten für ihn die berufsrechtlichen Pflichten<br />
und Rechte eines Rechtsanwalts. Wem diese Bindungen
710<br />
l<br />
nicht passen, kann seine Anwaltszulassung zurückgeben<br />
und weiterhin rechtsberatend tätig sein, müßte allerdings<br />
auf die sog. Anwaltsprivilegien verzichten.<br />
Dieses Modell ist keine bloße Theorie. Es könnte in<br />
England schon heute verwirklicht werden, indem die Barristers<br />
wie bisher unter der Geltung ihres anwaltlichen<br />
Berufsrechts einschließlich des entsprechenden Monopols<br />
die Mandanten vor Gericht vertreten, während die Solicitors,<br />
weil sie mit der Law Society of England and Wales<br />
unzufrieden sind, dort austreten, d. h. ihre Zulassung als Solicitor<br />
zurückgeben, und in Zukunft unter der Bezeichnung<br />
„Legal Consultant“ o. ä. Rechtsberatung betreiben.<br />
Ich möchte keinesfalls mißverstanden werden: Das Modell,<br />
das ich soeben vorgetragen habe, halte ich mitnichten<br />
für erstrebenswert, im Gegenteil. Wir sollten aber sehen,<br />
daß dieses Modell durchaus ein mögliches Ergebnis sein<br />
kann, je nachdem, wie die Entwicklung der kommenden<br />
Jahre sich darstellt.<br />
Eines sollte uns allerdings klar sein: Wir, die Anwaltschaft,<br />
an die sich die quo vadis – Frage richtet, wir werden<br />
die künftige Entwicklung nur mitgestalten können, wenn<br />
wir uns bewußt sind, wo wir stehen und was wir wollen.<br />
Dabei geht es vor allem um die anwaltliche Beratungstätigkeit.<br />
Wir müssen definieren, was neben der Prozeßtätigkeit<br />
zum Kernbereich anwaltlicher Beratungstätigkeit gehört.<br />
Wir müssen uns schlüssig werden, ob wir für diese Beratungstätigkeit<br />
an die mehrfach genannten Grundprinzipien<br />
der anwaltlichen Tätigkeit gebunden sein sollen, nämlich<br />
9 Pflicht und Recht zur Unabhängigkeit,<br />
9 Pflicht und Recht zur Verschwiegenheit,<br />
9 Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, und<br />
9 Verpflichtung zur Einhaltung hoher berufsethischer<br />
Grundsätze.<br />
In Abwandlung eines Gedanken, den der frühere CCBE-<br />
Präsident Nils Fisch-Thompson einmal geäußert hat, müssen<br />
wir uns schlüssig werden, ob wir die Kinder von Pallas<br />
Athene, der Göttin der Gerechtigkeit, oder von Hermes,<br />
dem Gott des Handels, sein wollen.<br />
Länderbericht Niederlande*<br />
Peter von Schmidt auf Altenstadt, Advocaat,<br />
Präsident der Nederlandse Orde van Advocaaten<br />
1. Von Westen her weht ein kräftiger Wind. Im Laufe des<br />
vorigen Jahres haben zwei Londoner City-Kanzleien aus dem<br />
„Magic Circle“ eine Kanzlei in Amsterdam eröffnet. Das hat<br />
eine Aufspaltung einer unserer größten und sehr international<br />
orientierten Kanzleien verursacht. Das hat auch einige Spitzenanwälte<br />
dazu verführt, ihrer Kanzlei nicht länger treu zu<br />
bleiben. Eine weitere Kanzlei aus der Londoner City ist<br />
schon lange, aber unauffällig in den Niederlanden anwesend.<br />
Sie möchte nun ohne jede Zurückhaltung wachsen und liebäugelt<br />
mit den besten Anwälten in den holländischen Kanzleien.<br />
Und das mit Erfolg. Und eine City-Kanzlei, die vor<br />
noch nicht so langer Zeit beschlossen hatte, mit Kanzleien<br />
auf dem Festland ein solides Bündnis einzugehen, möchte<br />
von einem – jedenfalls für die Niederlande – schrittweisen<br />
Szenario auf eine beschleunigte vollständige Fusion umsteigen.<br />
Diese „Einbrecher“ auf dem niederländischen Grund-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
stück sind recht wählerisch. Sie konzentrieren sich auf den<br />
hochwertigen Teil des Dienstleistungszweigs „Wirtschaftsrecht“.<br />
Vor allem auf Transaktionen, – Fusionen und Übernahmen<br />
– aber danach auch auf Prozesse, die mit dem Wirtschaftsrecht<br />
verbunden sind, wie zum Beispiel IP und<br />
Arbitrage. Sie stellen sich vor allem auf die großen internationalen<br />
Kunden ein, auf die sogenannten „key clients“. Und<br />
sie organisieren sich nach straffen Managementkonzepten,<br />
konzentrieren sich auf Effektivität und Effizienz im Dienstleistungssektor,<br />
wobei sie sich durch teure ICT-Lösungen unterstützen<br />
lassen. Die Rentabilität ist dementsprechend hoch<br />
und versetzt sie wiederum in die Lage, die besten Anwälte<br />
aus den lokalen Kanzleien anzuwerben. Dieser Prozeß verstärkt<br />
sich laufend von selbst, gewiß in einem Zyklus des<br />
Wirtschaftswachstums. Und führt langfristig zur absoluten<br />
Dominanz einer beschränkten Zahl von „Global Firms“ auf<br />
den in wirtschaftlicher Hinsicht wichtigen Märkten. Und<br />
weil die Gruppe der Londoner Kanzleien, die unter dem<br />
„Magic Circle“ hängt, befürchtet, sie könnte den Anschluß<br />
verpassen, ist ihre Strategie darauf ausgerichtet, auch in Kontinentaleuropa<br />
festen Fuß zu fassen, zwar nicht in erster Linie,<br />
aber ganz gewiß auch in den Niederlanden. Und im Kielwasser<br />
der Engländer werden auch die Amerikaner folgen, sicherlich<br />
wenn ihre Klienten sich zu umfassenden Investitionsprogrammen<br />
in unserem Land entscheiden. Das alles<br />
verursacht sehr viel Unruhe, und es wird noch Jahre dauern,<br />
ehe sich der Markt beruhigt hat.<br />
2. Der Gedanke, den wir bis vor kurzem hatten – der niederländische<br />
Markt sei nicht interessant oder die niederländischen<br />
Kanzleien seien so stark und wettbewerbsfähig – erweist<br />
sich als falsch. Die niederländische Wirtschaft wächst<br />
kräftig und wird in zunehmendem Maße internationaler. Zum<br />
Beispiel im Finanzsektor. Diesbezüglich sind die Niederlande<br />
stark angelsächsisch orientiert. Das macht unser Land für<br />
die Engländer interessant, bestimmt wenn ihr Inlandsmarkt<br />
inzwischen aufgeteilt ist und der Wettbewerb dort sehr heftig<br />
ist. Unbestreitbar hat sich die niederländische Anwaltschaft gerade<br />
wegen jener angelsächsischen Orientierung in erhöhtem<br />
Tempo modernisiert. Spezialisierung und klientenorientierte<br />
Dienstleistungen lauten die Schlüsselwörter. In drei<br />
Fusionswellen hat man Verstärkung gesucht, und zwar jeweils<br />
am Ende der sechziger, der siebziger und der achtziger<br />
Jahre. Das hat zu größeren und vor allem rechtsbereichdekkenden<br />
Kanzleien geführt, die schon lange zu den größten<br />
auf dem Festland gehörten. Die Anwaltschaft hat an Umfang<br />
rasant zugenommen, nämlich von 2.500 vor 25 Jahren auf<br />
derzeit gut 10.000 Anwälte. Und hiervon sind circa 45 Prozent<br />
weiblich. Jedes Jahr verringert sich das Durchschnittsalter<br />
der Anwaltschaft mit ca. 10 Prozent Anwärtern. Der<br />
Zutritt zur Anwaltschaft ist denn auch leicht; eine Abschlußprüfung<br />
an der Fakultät Jura reicht aus. Und auch Juristen,<br />
die bei Nicht-Anwälten tätig sind, können seit 1997 Anwalt<br />
werden. In den Niederlanden gibt es kein Rechtsberatungs-<br />
Monopol. Anwaltszwang gilt nur für das Arrondissementgericht,<br />
für den Gerichtshof und für den Obersten Gerichtshof<br />
der Niederlande. Und in Arbeits- und Mietsachen sowie in<br />
Streitfällen mit einem Streitwert unter zehntausend Gulden<br />
können die Parteien persönlich vor dem Richter des Kantongerichts<br />
prozessieren. In Streitfällen im Bereich Verwaltungsrecht<br />
braucht der Rechtsuchende überhaupt keinen Anwalt.<br />
Das läßt die Konkurrenz auf dem Markt juristischer Dienstleistungen<br />
heftig aufleben. Der Gesamtumsatz, der von juri-<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 711<br />
Aufsätze l<br />
stischen Dienstleistungen erzielt wird, belief sich im Jahre<br />
1996 auf ungefähr sechs Komma drei Milliarden (Gulden)<br />
mit 33% Marktanteil für die Anwaltschaft. Auch die Büros<br />
für Wirtschaftsberatung, vor allem die „Big Five“, haben<br />
sich in den letzten Jahren ganz entschlossen auf diesen juristischen<br />
Markt begeben. Entweder durch Einstellung von<br />
Juristen oder mit Hilfe eine sogenannten „captive lawfirm“.<br />
Mit zwei Kanzleien wird auf höchster Ebene – vor dem Gerichtshof<br />
der Europäischen Gemeinschaften – über die Frage<br />
gestritten, ob die Anwaltskammer Regeln aufstellen darf,<br />
welche die Zusammenarbeit mit unter anderem Wirtschaftsprüfern<br />
verbietet. Hierbei steht die Frage im Mittelpunkt, ob<br />
die Anwaltskammer ein Unternehmerverband ist. Die Antwort<br />
auf diese und einige verwandte Fragen zum europäischen<br />
Wettbewerbsrecht hat – auch für die Anwaltschaften<br />
in anderen Teilen Europas – wesentliche Bedeutung. Da ich<br />
schon beim Thema Wettbewerb bin: In den Niederlanden<br />
sind die Tarife völlig frei. Alle Belohnungsstrukturen sind<br />
gestattet: Ein Honorar auf Stundenbasis, ein vorher verbindlich<br />
vereinbartes Honorar oder ein ergebnisabhängiges Honorar.<br />
Das einzige, was nicht gestattet ist, ist die (quota-pars-litis-<br />
)Belohnung in Abhängigkeit vom Anteil des Streiterfolges,<br />
von der das „no cure no pay“ eine Variante ist. Zu diesem<br />
Punkt gibt es eine heftige Diskussion mit der NMA, der niederländischen<br />
Wettbewerbsbehörde. Diese hat Anfang vorigen<br />
Jahres in einem vorläufigen Beschluß zu erkennen gegeben,<br />
daß unser Verbot des Prinzips „no cure no pay“ ungültig<br />
ist. Sowohl das Justizministerium als auch die<br />
Anwaltskammer hat unumwunden zu erkennen gegeben,<br />
diese Ansicht nicht zu teilen. Das Ministerium befürchtet<br />
eine amerikanische Claim-Kultur, und die Anwaltskammer<br />
sieht die Unabhängigkeit des Anwalts gefährdet.<br />
3. Vorherzusagen, wie der Markt in fünf oder zehn Jahren<br />
aussehen wird, ist nicht ganz einfach. Es zeichnen sich<br />
jedoch wohl einige Tendenzen ab. Das undifferenzierte Einschätzen<br />
des Marktes wird andauern. Der Markt für die Anwaltschaft<br />
wird sich fortwährend weiterentwickeln, sogar in<br />
beschleunigtem Tempo, und zwar vom Beruf zum Unternehmen.<br />
Die knallharten wirtschaftlichen Anreize, die übrigens<br />
in allen Sektoren der Gesellschaft spürbar sind, werden<br />
dominieren – auch in unserer Berufssparte. Auferlegt<br />
von anderen und von Berufsgenossen übernommen wird die<br />
Kommerzialisierung – wenn wir nicht reagieren – überhand<br />
nehmen, und zwar mit einer scheinheiligen Verweisung auf<br />
einen vorausgesetzten Willen eines nicht näher definierten<br />
Marktes. In jener Welt eines Peter Stuyvesants bleibt vom<br />
Anwalt wenig übrig. Das Bild wird so diffus, daß er sich<br />
nicht mehr von anderen geschäftlichen Dienstleistungsunternehmern<br />
unterscheiden kann. Ein Kaufmann mit<br />
einem „lebhaften Handel mit juristischen Produkten“. Das<br />
Recht entartet zu einer commodity, einem Gebrauchsartikel,<br />
einer Ware. Und der Beruf bekommt immer mehr die Züge<br />
eines normalen Handelsberufes, in dem das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
nur noch einen begrüßenswerten Wettbewerbsvorteil<br />
in Hinsicht auf andere Erbringer juristischer Dienstleistungen<br />
liefert. Es wird übrigens ein Gedränge in der<br />
lukrativen, oft internationalen Transaktionspraxis. Die britischen<br />
Niederlassungen haben dabei einen natürlichen Vorsprung,<br />
weil in finanziellen Transaktionen englisches und<br />
amerikanisches Recht dominiert. Mit enormen Gewinnbeteiligungen<br />
werben sie den holländischen Kanzleien die<br />
Spitzentalente ab, und mit hohen Gehältern ködern sie die<br />
anstürmenden jungen Talente. Das soll verhüten, daß die<br />
echten Geschäfte in London getätigt werden und die Partner<br />
hier Subunternehmer werden. Der Druck auf den Markt<br />
wird sich rücksichtslos erhöhen. Die nicht-angelsächsischen<br />
Kanzleien werden auf diese Art und Weise größtenteils aus<br />
dem kommerziell interessanten Teil jenes Marktes gedrängt.<br />
Um für Professionals innerhalb und außerhalb der Organisation<br />
attraktiven zu bleiben, werden sie sich neu auf<br />
Praxisbereiche und Mandantengruppen orientieren, die so<br />
gerade unter dem Spitzensegment liegen. Das zwingt wiederum<br />
die Kanzleienkategorie, die in jener Ebene tätig war,<br />
zu versuchen zu entkommen. Die Konkurrenz drängt in der<br />
Sparte die weniger lukrative, aber in gesellschaftlicher Hinsicht<br />
genauso erforderliche Rechtsberatung nach unten<br />
weg. Eiskalte Reorganisationen, weitere Entpersönlichung,<br />
kollektive Spezialisierung schlagen wie eine Welle durch<br />
die Anwaltschaft: von großen zu kleinen Kanzleien, von<br />
oben nach unten. Der Markt wird künftig maßgebend sein.<br />
Und die Verhältnisse werden sich verhärten, die Anwaltschaft<br />
wird weniger „angenehm“ werden. Das hat alles mit<br />
der Disziplin des Marktes zu tun. Wir werden lernen müssen,<br />
mit dieser Klimaveränderung zu leben. Das heißt bis<br />
zu einem gewissen Grad. Denn das Opfer werden die Privatpersonen<br />
sein, und dann vor allem die Einkommensschwachen<br />
unter ihnen. Für sie gibt es dann keine finanziell<br />
zu bewältigende Rechtsberatung mehr, und noch schlimmer<br />
– es wird kaum noch Anwälte geben, die ihre Dienstleistungen<br />
auf finanziell relativ uninteressanten Gebieten anbieten,<br />
wie Sozialversicherungsrecht, Ausländer- und Asylrecht,<br />
psychiatrisches Patientenrecht, Strafrecht,<br />
Familienrecht. Diese Bereiche stellen – weil es nichts Besseres<br />
gab und man sich nicht berufen fühlte – ein negatives<br />
Sich-Entscheiden dar. Denn in der Wirtschaft kann man<br />
sich sein Brot besser verdienen.<br />
4. Haben wir es mit einem bösen Märchen zu tun? Das<br />
hängt davon ab, ob wir uns weiterhin von den Verführungen<br />
des Marktes blenden lassen. Die Anwaltschaft befindet<br />
sich derzeit und in nächster Zukunft in dem Entwicklungsstadium,<br />
in dem das Unternehmen (die Spekulation?) und<br />
die Rentabilität maßgeblich sind. Jenes Stadium haben einige<br />
große Kanzleien überstanden. Man hat sie unsanft auf<br />
einen Mangel an gesellschaftlicher Betroffenheit hingewiesen.<br />
Als Beispiel nenne ich Brent Spar. In ihrer Unternehmenspolitik<br />
haben diese Betriebe zur Zeit eine in gesellschaftlicher<br />
Hinsicht vertretbare Unternehmensführung hervor.<br />
Diesen Reifungsprozeß muß auch die Anwaltschaft<br />
durchmachen, nämlich in dem Bewußtsein, daß das Recht<br />
kein normales Gut auf einem normalen Markt ist, sondern<br />
eine Bedingung für Marktwirkung. Für die Gesellschaft gilt<br />
sicher, daß das Recht dem Markt auch Grenzen aufzeigen<br />
muß.<br />
„the market is a good servant, but a bad master“<br />
Dieses Bewußtsein gesellschaftlicher Verantwortung verkünden<br />
die Anwälte noch am besten, indem sie ihre Berufswerte<br />
ernst nehmen.<br />
Und dann meine ich grundlegende Dinge wie Freiheit<br />
und Unabhängigkeit, Loyalität gegenüber dem Klienten,<br />
Vertrauensstellung, Verteidigung gefährdeter Interessen<br />
auch der Schwächeren in der Gesellschaft. Zugeständnisse<br />
in diesen Bereichen sind verwerflich. Nuancierungen unter<br />
Verweisung auf den Bedarf des Marktes, in dem das eigene<br />
Interesse überhand nimmt, schadet der Glaubwürdigkeit<br />
des Anwalts und damit seiner Identität.<br />
Verlieren einige Anwälte schon den Glauben an die eigene<br />
Identität? Wenn sie sich für regelrechten Kommerz entscheiden,<br />
für „no cure no pay“, dann verkaufen sie ihre Seele<br />
an den Markt. Damit sollen sie nicht nur ihren Schatten, son-
7<strong>12</strong><br />
l<br />
dern auch ihre Robe verlieren. Die Leugnung dessen, was<br />
dem Beruf eigen ist, führt ja zur Verwirrung, dessen Opfer<br />
der Rechtsuchende wird. Die Transparenz desselben Marktes<br />
will, daß die Spieler auf diesem gut erkennbar operieren.<br />
Das gilt auch für einen Anwalt. Wenn es soweit kommt, daß<br />
seine Identität ihn hindert, dann muß er sich für eine Annäherung<br />
an den Markt in einer anderen Eigenschaft entscheiden.<br />
Wenn die Prinzessin aus dem Märchen den Prinzen<br />
küßt, erwartet sie nicht, daß er sich in einen Frosch verwandelt.<br />
Aber ein Frosch kann immer ein Prinz werden und somit<br />
das Versprechen einlösen, daß letzten Endes das Gute im<br />
Menschen und in der Gesellschaft siegt.<br />
Länderbericht Schweiz *<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Niklaus Studer, Vizepräsident<br />
des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Solothurn/Schweiz<br />
1. Einleitung<br />
Die Schweiz hat die Türe zur Europäischen Union einen<br />
Spalt weit geöffnet. Die schweizerische Bevölkerung hat erfreulicherweise<br />
mit überwältigendem Mehr die bilateralen<br />
Verträge mit der EU angenommen. Trotzdem gilt die<br />
Schweiz im Ausland- und wird wohl auch weiterhin gelten –<br />
als eher konservativ, in sich abgeschlossen, in alten Traditionen<br />
verhaftet. Trifft dieses Bild nun auch auf die schweizerische<br />
Anwaltschaft zu? Hat trotz Globalisierung die<br />
Kommerzialisierung des Anwaltsberufes vor der Schweizergrenze<br />
Halt gemacht? Keineswegs! Die Entwicklung des<br />
Anwaltsberufes in der Schweiz geht in die gleiche Richtung<br />
wie im übrigen Europa, unbesehen ihres Inseldaseins.<br />
Ein Beispiel:<br />
In der bekannten schweizerischen Handelszeitung hat<br />
sich unlängst ein bekannter Rechtsanwalt mit Kanzleien in<br />
Bern und Zürich, 40 Anwälten, Inhaber von zahlreichen Verwaltungsratsmandaten,<br />
unter anderem von schweizerischen<br />
Fünfstern-Luxushotels, mit Bild porträtieren lassen. Wohl<br />
ging es im Artikel primär um Schweizer Fünfstern-Hotels,<br />
der Rechtsanwalt nahm dies jedoch zum Anlass, sich und<br />
sein Büro so darzustellen, dass seine Kanzlei für die Lösung<br />
bedeutender und schwieriger Rechtsprobleme die grösste<br />
und auch die beste Kanzlei in Bern sei. Über Kleinkanzleien<br />
äusserte er sich in despektierlicher Art und nennt sie „Einmannbüro<br />
in Schwiegermutters Küche“. Bei ihm seien<br />
Durchschnittsbürger mit ihren Alltagsproblemen an der falschen<br />
Adresse. Für grosse (selbstverständlich lukrative) Fälle<br />
seien er und seine Kanzlei die Richtigen! Im Weiteren wird<br />
in diesem Artikel sehr umfassend dargelegt, wieviel der<br />
Wirtschaftsanwalt arbeite, welche Leidenschaften er für<br />
Kunst hege, wie einfach er aufgewachsen sei usw., usw.<br />
Die Berner Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte<br />
nahm diesen Artikel zum Anlass, sich zur Frage der zulässigen<br />
Werbung zu äussern. Sie warf dem Rechtsnwalt vor,<br />
durch aufdringliche Anpreisungen der eigenen Person und<br />
seiner Kanzlei das standesrechtlich zulässige Mass an Werbung<br />
in quantitativer und qualitativer Hinsicht überschritten<br />
zu haben und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500,–.<br />
Was mag den bekannten und fachlich kompetenten Kollegen<br />
dazu bewogen haben, sich in derartiger Weise dem<br />
Publikum öffentlich anzupreisen? Ist es der Konkurrenz-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
druck? (die Anwaltschaft hat in der Schweiz seit 1990 markant<br />
um 50% zugenommen); ist es der ureigene Drang<br />
nach Selbstdarstellung?<br />
Es ist verständlich, dass sich der Rechtsanwalt mit diesem<br />
Verdikt nicht abgefunden hat und an das Schweizerische<br />
Bundesgericht mit einer staatsrechtlichen Beschwerde<br />
rekurrierte. Auf den Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichtes<br />
wird später zurückgekommen.<br />
Bevor auf die diversen anwaltsrechtlichen Aspekte eingetreten<br />
werden kann, welche sich aus dem in Frage stehendem<br />
Urteil ergeben, ist es unumgänglich, kurz die Besonderheiten<br />
der Schweiz bezüglich der Organisation der<br />
Anwaltschaft darzulegen.<br />
2. Organisation der Anwaltschaft<br />
Das Anwaltsrecht ist in der Schweiz kantonal geregelt.<br />
Die gesetzliche Ordnung findet sich in 26 zum Teil sehr unterschiedlichen<br />
Anwaltsgesetzen. Diese kantonalen Gesetze<br />
regeln die Ausbildung, die Prüfungsvoraussetzungen, die<br />
Anwaltsprüfungen, die Berufsausübung, etc.<br />
Bezüglich der Berufsausübung ist darauf hinzuweisen,<br />
dass in der Schweiz kein absolutes Anwaltsmonopol<br />
herrscht. Die Rechtsberatung war seit jeher und ist heute<br />
nach wie vor vollständig frei. Die Schweiz hat sich im Rahmen<br />
des Gatts verpflichtet, den status quo betr. Rechtsberatung<br />
beizubehalten, was zur Folge hat, dass die Rechtsberatung<br />
in der gesamten Schweiz bewilligungsfrei ausgeübt<br />
werden kann. Nur die forensische Tätigkeit untersteht dem<br />
Anwaltsmonopol, wobei diesbezüglich sehr grosse kantonale<br />
Unterschiede bestehen.<br />
Selbstverständlich bestehen in der Schweiz allgemein<br />
geltende Grundregeln für die Berufsausübung, welche mit<br />
jenen der EU-Staaten weitgehend identisch sind:<br />
Unabhängigkeit, Wahrung der Standeswürde, eigene<br />
Verantwortlichkeit, Vermeidung von Interessenkonflikten,<br />
Wahrung des Berufsgeheimnisses. Letzteres ist durch das<br />
Strafgesetz geschützt.<br />
Die Rechtsprechung zum Anwaltsrecht ist uneinheitlich.<br />
Viele kantonale Entscheide werden nicht publiziert. Gewisse<br />
Grundsätze ergeben sich aus der Rechtsprechung des<br />
Schweizerischen Bundesgerichtes, welches in einem gewissen<br />
Umfang die jeweiligen kantonalen Entscheide überprüfen<br />
kann.<br />
Es besteht eine Gesetzesvorlage zur Vereinheitlichung<br />
der Grundvoraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufes<br />
in der Schweiz. Ein Anwaltsgesetz ist vom Parlament<br />
verabschiedet und tritt voraussichtlich am 1.1.2001 in Kraft.<br />
In diesem Gesetz werden die Berufsregeln vereinheitlicht;<br />
es wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen sich ein<br />
schweizerischer Anwalt in ein Anwaltsregister eintragen lassen<br />
kann, um in der gesamten Schweiz vorbehaltlos vor<br />
Gericht auftreten zu können. In diesem Gesetz wird auch als<br />
Folge der bilateralen Verträge mit der EU geregelt, unter<br />
welchen Voraussetzungen Anwälte aus Mitgliedstaaten der<br />
EU in kantonale Register eingetragen werden bzw. die forensische<br />
Tätigkeit ohne Registereintrag ausüben können.<br />
Die Berufsausübung soll aber auch in anderen Bereichen<br />
erleichtert werden. Es bestehen Gesetzesprojekte bezüglich<br />
der Vereinheitlichung der Zivil- und Strafprozessordnungen<br />
(diese Prozessordnungen sind heute kantonal geregelt, es be-<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 713<br />
Aufsätze l<br />
stehen 26 verschiedene Zivil- und Strafprozessordnungen).<br />
Die Tätigkeit des kleinen Provinzanwaltes wird somit nicht<br />
länger auf sein angestammtes Kantonsgebiet beschränkt<br />
sein; nebst der schweizerischen Konkurrenz werden die<br />
Kanzleien in den grossen Agglomerationen und Grenzregionen<br />
wie Zürich, Basel, Bern, Tessin, Genf mit ausländischer<br />
Konkurrenz rechnen müssen. Um langfristig auf dem Markt<br />
bestehen zu können, schliessen sich immer mehr Kanzleien<br />
zusammen. Nicht nur die international Tätigen grossen law<br />
firms (gross heisst in der Schweiz 30 und mehr Anwälte) fusionieren<br />
nicht nur mit anderen Schweizer Grosskanzleien.<br />
Der Trend geht zusätzlich in Richtung Fusion mit ausländischen<br />
Kanzleien. Zur Zeit sind rund 15% der Verbandsmitglieder<br />
in Kanzleien von 10 und mehr Anwälten organisiert.<br />
Die Tendenz zu grösseren Kanzleien ist offensichtlich.<br />
Auch die Frage der Zulässigkeit multidisziplinärer Partnerschaften<br />
ist zur Zeit ungelöst; gewisse Kantone lassen<br />
diese zu, einige Kantone (insbesondere in der Romandie)<br />
verbieten sie kategorisch.<br />
Schliesslich befasst sich die schweizerische Anwaltschaft<br />
auch mit der Frage der Rechtsform der Anwaltskanzlei; ob<br />
Anwaltsgesellschaften in Form juristischer Personen zulässig<br />
sind, ist umstritten. Eine Gesetzesvorlage ist in Prüfung.<br />
3. Kommerzialisierung und seine Folgen<br />
Anhand des eingangs dargelegten Disziplinarfalles sei<br />
nun auf einige anwaltsrechtliche Probleme hingewiesen,<br />
welche sich zur Zeit in der Schweiz stellen:<br />
Vorerst zum Problem des Verbots aufdringlicher Werbung.<br />
Dieses Verbot gilt praktisch in allen Kantonen. Im<br />
zukünftigen schweizerischen Anwaltsgesetz ist die Werbung<br />
insofern und solange gestattet, als sie objektiv bleibt<br />
und dem öffentlichen Bedürfnis entspricht.<br />
Hat nun der Rechtsanwalt aus Bern gegen dieses Verbot<br />
verstossen? Das Bundesgericht bejaht dies in seinem Entscheid<br />
vom 2. November 1999, publiziert in BGE Band<br />
<strong>12</strong>5 I S. 417 ff. vollständig und vorbehaltlos. Interessant<br />
ist, dass sich das Bundesgericht sehr umfassend mit allen<br />
Aspekten der Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit<br />
der Rechtsanwälte, der Einschränkung der Handelsund<br />
Gewerbefreiheit, der Vereinbarkeit des Werbeverbotes<br />
und der Disziplinaraufsicht über Anwälte mit der EMRK<br />
und insbesondere mit dem Interesse der Öffentlichkeit an<br />
der Aufrechterhaltung des Verbotes aufdringlicher Werbung<br />
auseinandersetzt. Es würde zu weit führen, all diese<br />
Aspekte in extenso darzulegen. Die Begründung bezüglich<br />
aufdringlicher Werbung sei an dieser Stelle wie folgt zitiert:<br />
„Das Publikum soll darauf vertrauen können, dass<br />
Rechtsanwälte, wenn gleich Gewerbetreibende, sich in ihrer<br />
Berufsausübung nicht vor allem von Gewinnstreben beherrschen<br />
lassen, sondern in erster Linie ihrer Verantwortung<br />
im Rahmen der Rechtspflege wahrnehmen. In dieser Funktion<br />
sollen sie die Rechtssuchenden bei der Verfolgung ihrer<br />
subjektiven Rechtschutzinteressen beraten und unterstützen,<br />
sie gegebenenfalls aber auch davon abhalten, aussichtslose<br />
Prozesse zu führen. Der Wettbewerb zwischen den Berufskollegen<br />
soll auf fachlicher Ebene und nicht über die Werbung<br />
geführt werden. Ein Verbot aufdringlicher Werbung<br />
liegt daher im Interesse des Schutzes von Treu und Glauben<br />
im Geschäftsverkehr und dient der Erhaltung von Vertrauenswürdigkeit<br />
und Unabhängigkeit des Anwaltstandes.“<br />
Zwar hat das Bundesgericht ein striktes Werbeverbot für<br />
Rechtsanwälte stets abgelehnt, es andererseits aber als zulässig<br />
erachtet, deren Werbetätigkeit besonderen Schranken<br />
zu unterwerfen, insbesondere aufdringliche und irreführende<br />
Werbung zu untersagen. Eine entsprechende Beschränkung<br />
der Werbefreiheit sei sowohl geeignet als auch erforderlich<br />
um die dargelegten öffentlichen Interessen zu<br />
schützen: „Die Werbung darf keine unrichtigen Erwartungen<br />
wecken, hat auf Sensationelles und reklamehaftes sich<br />
herausstellen gegenüber Berufskollegen zu verzichten und<br />
muss von hohem Informationsgehalt sein.“ (Zitat)<br />
Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Grundsätze durchsetzen<br />
und die klare Rechtsprechung nicht nur beibehalten<br />
wird, sondern möglichst auch im internationalen Bereich<br />
Signalwirkung hat.<br />
Der eingangs dargestellte Fall des Berner Rechtsanwaltes<br />
wirft aber auch eine andere anwaltsrechtliche Frage auf,<br />
die seitens des schweizerischen Anwaltsverbandes zur Zeit<br />
sehr heftig und mit viel Engagement geführt wird: die Frage<br />
des Berufsgeheimnisses.<br />
Ob die Aussagen des Berner Rechtsanwaltes auch das<br />
Berufsgeheimnis berühren, musste weder die Aufsichtsbehörde<br />
des Kantons Bern noch das Bundesgericht beurteilen.<br />
Dieses Beispiel diene als Anlass, die Tendenzen in der<br />
Schweiz bezüglich der Einschränkung des Berufsgeheimnisses<br />
des Rechtsanwaltes darzulegen:<br />
Das Schweizerische Bundesgericht hat bereits verschiedentlich<br />
und zwar im Rahmen der Beurteilung des Geheimhaltungsrechtes<br />
des Anwaltes interessante und wegweisende<br />
Entscheide getroffen:<br />
Das Berufsgeheimnis ist dem Grundsatz nach unbestrittenermassen<br />
anerkannt und geschützt. Es besteht ein strafrechtlicher<br />
Schutz. Der Schutz ist in den kantonalen<br />
Anwaltsrechte statuiert; auch der Vorentwurf des eidgenössischen<br />
Anwaltsgesetzes garantiert das Berufsgeheimnis in<br />
vollem Umfange.<br />
Es besteht Einigkeit, dass das Berufsgeheimnis sowohl<br />
im Interesse der Klientschaft liegt, welche sich ganz auf<br />
die Diskretion der Anwaltschaft verlassen können muss, als<br />
auch im Interesse der Anwälte und nicht zuletzt im Interesse<br />
der Justiz selbst. Unbestritten ist auch, dass dem Anwaltsgeheimnis<br />
der gerichtliche Schutz nur versagt werden<br />
darf, wenn höhere gewichtigere Interessen vorliegen. Der<br />
Anwalt muss zur richtigen Ausübung seines Berufes und<br />
zur Erfüllung der Aufgaben, die ihm das Prozessrecht im<br />
Rechtsstaat zuerkennt, auf das unbedingte Vertrauen seines<br />
Klienten zählen können; dies setzt voraus, dass der Klient<br />
seinerseits voll auf die Verschwiegenheit des Anwaltes vertrauen<br />
darf.<br />
Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes darf<br />
sich ein Anwalt jedoch nur auf das Anwaltsgeheimnis berufen,<br />
wenn er eine sogenannt spezifische Anwaltstätigkeit<br />
ausübt. Als spezifische Anwaltstätigkeit wird insbesondere<br />
die forensische Tätigkeit betrachtet. Nicht zu dieser Tätigkeit<br />
gehört und somit nicht unter das Berufsgeheimnis fällt<br />
gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Tätigkeit<br />
des Anwaltes als Mitglied des Verwaltungsrates einer<br />
Aktiengesellschaft, die Vermögensverwaltung, das Inkassomandat,<br />
die Liegenschaftsverwaltung. Nach Auffassung des<br />
Bundesgerichtes muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob<br />
die Tätigkeit eines Anwaltes als berufsspezifisch gilt oder<br />
ob sie eher zu den Tätigkeiten eines Treuhandbüros, einer<br />
Bank oder einer Vermögensverwaltung gehört. Das Schweizerische<br />
Bundesgericht legt in BGE 1<strong>12</strong>, I B 606 ff dar,<br />
dass sich eine derartige Unterscheidung namentlich in Fällen<br />
aufdränge, „in welchen der Anwalt ein Verwaltungsratsmandat<br />
bekleidet. überwiegt in diesen Fällen das kaufmän-
714<br />
l<br />
nische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwaltes<br />
nicht mehr als eine anwaltliche betrachtet werden kann,<br />
kann sich das Berufsgeheimnis auf diese Tätigkeit jedenfalls<br />
nicht in einem umfassenden Sinn erstrecken. Die Entscheidung<br />
darüber, welche Tatsachen vom Berufsgeheimnis<br />
erfasst werden, dürfen nicht schematisch, sondern nur unter<br />
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls<br />
getroffen werden.“ Nach Auffassung des Bundesgerichts<br />
sind dabei zu den nicht berufspezifischen Tätigkeiten<br />
namentlich auch Vermögensverwaltungen oder die Anlage<br />
von Geldern zu zählen, jedenfalls dann, wenn sie nicht mit<br />
einem zur normalen Anwaltstätigkeit gehörenden Mandat<br />
so z. B. mit einer Güterausscheidung oder einer Erbteilung<br />
verbunden sind. Von diesen Ausnahmen abgesehen, stellen<br />
die erwähnten Tätigkeiten Aktivitäten dar, die normalerweise<br />
von Vermögensverwaltern, Treuhandbüros oder Banken<br />
wahrgenommen werden und nicht unter den Schutz des<br />
Anwaltsgeheimnisses fallen.<br />
Interessant ist die Stellung des Berufsgeheimnisses des<br />
Rechtsanwaltes im seit dem 1. April 2000 in Kraft stehenden<br />
Geldwäschereigesetz. Gemäss diesem Gesetz hat ein<br />
Finanzintermediär (also jene Person, die berufsmässig Vermögen<br />
verwaltet), der weiss oder den begründeten Verdacht<br />
hat, dass die in die Geschäftsbeziehung involvierten Vermögenswerte<br />
im Zusammenhang mit einer strafrechtlich<br />
relevanten Handlung stehen, der eidgenössischen Meldestelle<br />
für Geldwäscherei Meldung zu erstatten. Von dieser<br />
Meldepflicht ausgenommen sind grundsätzlich Anwältinnen<br />
und Anwälte, soweit ihre Tätigkeit dem Berufsgeheimnis<br />
untersteht. Auf das Berufsgeheimnis kann sich der Anwalt<br />
oder die Anwältin somit auch in diesem Zusammenhang<br />
nicht berufen, wenn er von einem nach Geldwäschereigesetz<br />
massgebenden Sachverhalt im Rahmen seiner nicht anwaltspezifischen<br />
Tätigkeit Kenntnis erhält. In diesen Fällen<br />
ist die Berufung auf das Berufsgeheimnis ausgeschlossen.<br />
Diese Rechtsprechung zeigt klar und deutlich, in welche<br />
Richtung sich die Berufsausübung der schweizerischen<br />
Anwältinnen und Anwälte in der Schweiz entwickelt. Die<br />
Anwaltstätigkeit steht nur dann noch unter dem Schutz des<br />
Berufsgeheimnisses, wenn es sich um eine traditionelle Berufsausübung,<br />
insbesondere um eine forensische Tätigkeit<br />
handelt. Der rein beratende, vermögensverwaltende, als<br />
Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft tätige Rechtsanwalt<br />
läuft somit Gefahr, nicht mehr als eigentlicher Anwalt<br />
zu gelten und seine Privilegien zu verlieren, sondern in einen<br />
Topf mit Treuhändern, Vermögensverwaltern, Bankiers<br />
geworfen zu werden.<br />
Diese Entwicklung ist einerseits bedauerlich, andererseits<br />
aber verständlich. Sie ist darauf zurückzuführen, dass<br />
als Folge der Kommerzialisierung immer mehr Berufskolleginnen<br />
und Kollegen sich von den ethischen Grundsätzen<br />
abwenden und sich für Geschäfte einspannen lassen, die<br />
mit dem angestammten Beruf nichts oder nicht viel zu tun<br />
haben. Durch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes darf<br />
dem Rechtsmissbrauch nicht Tür und Tor geöffnet werden<br />
(Zitat Bundesgericht).<br />
Es wäre an sich ein leichtes, derartige Argumente zu<br />
entkräften: Dies bedürfte jedoch der Einsicht aller, den Beruf<br />
vor den Kommerz zu stellen.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Diese Ausführungen zeigen, dass die Schweiz keine<br />
Insel ist. Die Anwaltschaft kämpft mit den gleichen Problemen,<br />
die sich in der EU stellen.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
Länderbericht Frankreich *<br />
Rechtsanwalt/Avocat à la Cour Karl Hepp de Sevelinges,<br />
Gide Loyrette Nouel, Paris<br />
„Avocat-roi“: Titel eines 1922 in Paris erschienen Buches<br />
von Max Buteau. Das Königtum der Rechtsanwälte war für<br />
ihn eine unbestreitbare Tatsache. In seinem Werk legte er<br />
dar, dass seit mehr als 100 Jahren, nämlich bereits unter Napoleon<br />
dem I, die Rechtsanwälte in der französischen Gesellschaft<br />
eine bedeutende Stellung eingenommen haben.<br />
Unter der III. Republik stellten sie eine Vielzahl von Parlamentariern,<br />
Ministern und die meisten Präsidenten der Republik.<br />
Sie hatten auch innerhalb der Justiz eine herausragende<br />
Stellung und das Volk widmete diesem Stand seine besondere<br />
Aufmerksamkeit, in der Presse, in begeisterten Zuneigung<br />
des Volkes – Starallüren waren nicht selten. De Berrier war<br />
ein ganz grosser unter ihnen, vor dem die grossen Damen<br />
des Faubourg-Saint-Germain sich von ihren Plätzen erhoben,<br />
wenn er den Saal betrat. Kein Essen, bei dem die Dame des<br />
Hauses nicht einen Rechtsanwalt zwischen einen Akademiker<br />
und einen Arzt plazierte, keine Jagd, bei der nicht auch<br />
Flinten von Rechtsanwälten dabeiwaren, keine Premiere<br />
ohne ein halbes Dutzend Rechsanwälte.<br />
Hat sich seitdem viel verändert? Äusserlich nicht allzu<br />
viel. Die französischen Rechtsanwälte tragen noch den gleichen<br />
Talar wie auf den bekannten Skizzen von Honoré<br />
Daumier. Mit Mitterand war vor wenigen Jahren noch ein<br />
Rechtsanwalt an der Spitze des französischen Staates. Das<br />
französische Staatsprotokoll weist dem Präsidenten der Pariser<br />
Rechtsanwaltskammer die Nr. 55 im Protokoll zu.<br />
Ein König ist der französische Rechtsanwalt doch seit längerer<br />
Zeit nicht mehr. Auf dem Weg ins neue Jahrtausend entwickelt<br />
sich der Anwaltsberuf in Frankreich zu einer reinen<br />
Dienstleistung. König ist heute der Mandant. Die Mandantenbindung<br />
ist heute bei weitem nicht mehr so eng wie früher.<br />
Gar häufig müssen sich Kanzleien einem „beauty contest“<br />
stellen. Die Mandanten wechseln häufig die Kanzlei.<br />
Der französische Anwaltsmarkt hat sich am Ende des<br />
letzten Jahrtausends auch stark verändert. Die angloamerikanischen<br />
Kanzleien sind in Frankreich mit einer sehr<br />
aggressiven Politik aufgetreten und haben ganze Teams aus<br />
alteingesessenen Kanzleien abgeworben. Freshfields, Clifford<br />
Chance, Allen & Overy, Shearman & Stearling, Cleary<br />
Gottlieb Steen and Hamilton, sie alle haben eine bedeutende<br />
Grösse in Frankreich erlangt.<br />
I. Modernisierungsbestrebung im Auftrag der<br />
französischen Regierung<br />
Vor dem Hintergrund des starken Wachstums der angloamerikanischen<br />
Kanzleien auf dem französischen Rechtsberatungsmarkt<br />
und der Netzwerke der sogenannten „big<br />
five“, hat die französische Regierung eine Untersuchung<br />
vom Abgeordneten Henri Nallet erstellen lassen. An der<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 715<br />
Aufsätze l<br />
Schwelle zum neuen Jahrtausend ging es darum, Alternativen<br />
zum „individualisme à la française“ zu finden. Wettbewerbsnachteile<br />
im Verhältnis zu den angloamerikanischen<br />
Kanzleien sollten aufgedeckt werden:<br />
Nallet hat in seiner Studie, die er im letzten Jahr dem<br />
Premierminister Jospin übergeben hat folgende Schwerpunkte<br />
herausgearbeitet:<br />
1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben modernisieren,<br />
um interprofessionelle Netzwerke zu ermöglichen.<br />
Um mit der internationalen Konkurrenz wettbewerbsfähig<br />
zu sein, brauchen auch die Rechtsanwälte Rahmenbedingungen,<br />
die globale Strukturen ermöglichen. Die in<br />
der Wirtschaft gängigen Holdingstrukturen sind nach wie<br />
vor für französische Kanzleien unzulässig. Dabei ist die<br />
Holding doch ein geeignetes Instrument, das den Zusammenschluss<br />
von territorial und strukturell unterschiedlichen<br />
Kanzleien ermöglicht, ohne einen komplizierten Fusionsprozess<br />
durchzuführen.<br />
Unter nachfolgenden Voraussetzungen befürwortet eine<br />
grosse Mehrheit der Rechtsanwaltschaft die Holding:<br />
– die Mehrheit der Anteilshaber der Holding sind selbst<br />
Rechtsanwälte<br />
– die Holding selbst unterwirft sich dem rechtsanwältlichen<br />
Standesrecht<br />
2. Steuererleichterung<br />
Die Steuerbegünstigungen, die juristische Personen bei<br />
der Durchführung einer Fusion haben (Reduzierung der<br />
Registrierungssteuer, keine Besteuerung des Mehrwerts),<br />
sollten auch Rechtsanwaltsgesellschaften erhalten, die<br />
keine eigene Rechtspersönlichkeit haben.<br />
3. Die „patrimonialisation“ der Anwaltskanzleien begrenzen<br />
– die Anwaltskanzlei als Mittel der Vermögensbildung.<br />
Französische Anwälte, die vor 20, 30 oder 40 Jahren<br />
Gründer der grossen Wirtschaftskanzleien waren, dachten,<br />
dass sie am Ende ihrer beruflichen Karriere ihre Anteile an<br />
der Kanzlei auf der Grundlage des heutigen und zukünftigen<br />
Umsatzes der Kanzlei an neue Partner veräussern können.<br />
Dabei lassen sie ausser Acht, dass die neuen Partner<br />
bereits erheblich an der Wertbildung der Kanzlei mitgearbeitet<br />
haben. Die Aufnahme neuer Partner wird dadurch<br />
erheblich erschwert.<br />
4. Öffnung des Rechtsanwaltsberufs für Unternehmensjuristen<br />
Frankreich kennt im Gegensatz zu Deutschland und<br />
England nicht den „Syndicusanwalt“.<br />
Vertretungen der Anwaltschaft und der Unternehmensjuristen<br />
haben bereits in einer Resolution vom 7. Juni 1999<br />
den Willen bekundet, beide Berufszweige einander anzunähern.<br />
Ferner umfasst die Richtlinie 98/15 vom 16. Februar<br />
1998 nicht ausschliesslich den Beruf des Rechtsanwalt als<br />
Freiberufler, sondern zielt explizit auch auf den Rechtsanwalt,<br />
der als Arbeitnehmer in einem Unternehmen tätig<br />
ist. Hier bestehen Bestrebungen zu einer Harmonisierung.<br />
5. Gemeinsame Kanzleien von Wirtschaftsprüfern und<br />
Rechtsanwälten<br />
(1) Die aktuelle Situation<br />
Im Unterschied zu Deutschland, wo man auch kleinere<br />
Kanzleiverbindungen zwischen Steuerberatern und Rechtsanwälten<br />
antrifft, ist diese Art der Verbindung in Frankreich<br />
v. a. unter den grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
verbreitet (Ernst & Young, PriceWaterhousCoopers, Deloitte<br />
& Touche, Mazard et Associés).<br />
Die Juristen dieser Kanzleien sind im Steuerrecht sehr<br />
stark und dringen verstärkt auf den M&A Markt. Die internationalen<br />
Vernetzungen kommen ihnen dabei besonders<br />
zugute.<br />
Rechtsanwälte dürfen in Frankreich nicht gleichzeitig<br />
Wirtschaftsprüfer sein.<br />
(2) Die rechtlichen Vorgaben<br />
Die standesrechtlichen Regelungen gehen implizit von<br />
der Zulässigkeit von Netzwerken zwischen Rechtsanwälten<br />
und Wirtschaftsprüfern aus.<br />
(3) Die offizielle Position des Conseil National du Barreaux<br />
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung sah<br />
sich der Conseil National des Barreaux genötigt Position<br />
zu beziehen und hat 14. März 1998 folgendes festgelegt:<br />
9 Name: Rechtsanwälte und Wirtschaftprüfer, die zu einem<br />
gemeinsamen Netzwerk gehören, müssen einen eigenständigen<br />
Namen führen und gleichzeitige auf ihre<br />
Zugehörigkeit zu dem Netzwerk hinweisen.<br />
9 Einschränkung: zugelassen werden nur Zusammenschlüsse<br />
mit „reglementierten Berufsgruppen“ (Wirtschaftsprüfer).<br />
Unzulässig ist nach wie vor der Zusammenschluss<br />
mit Unternehmensberatern, Informatikberatern<br />
etc.<br />
9 Standesrecht: Anwälte dürfen nicht Mitglied von Netzwerken<br />
werden, in denen nicht gewährleistet wird, dass<br />
bei demselben Mandanten keine Kontrollaufgaben<br />
(Wirtschaftsprüfung) und Beratung (Rechtsberatung)<br />
durchgeführt wird.<br />
Massnahmen zur Regelung von Interessenkonflikten<br />
sind zu ergreifen.<br />
Verbot, Honorare mit Personen zu teilen, die nicht Anwälte<br />
sind.<br />
9 Transparenz: Alle Mitglieder des Netzwerks müssen bei<br />
dem Conseil National des Barreaux ausführliche Auskünfte<br />
über Organisation, Mitglieder, Funktionsweise,<br />
finanzielle Organisation etc hinterlegen.<br />
II. Der Zugang für EU-Anwälte auf dem<br />
französischen Markt<br />
(1) Die bisherige Regelung<br />
Die Stellung von ausländischen Rechtsanwälten in<br />
Frankreich<br />
9 Seit 1972:<br />
Ausländische Rechsanwälte können sich als sogenannte<br />
„conseils juridiques étrangers“ niederlassen und dürfen im<br />
Recht ihres Herkunftslandes und im internationalen Recht<br />
beraten.<br />
Diese liberale Gesetzgebung hat dazu geführt, dass sich<br />
eine relativ grosse Zahl ausländischer Rechtsanwälte in Paris<br />
niedergelassen haben und Paris nicht von ungefähr den<br />
Ruf eines internationalen Rechtsforums geniesst.<br />
9 1990: Der Beruf des „conseil juridique“ wurde mit dem<br />
Beruf des „avocat“ fusioniert. Es gibt heute nur noch<br />
den „avocat“. Ausländische Rechtsanwälte, die den Status<br />
eines „conseil jurdique étranger“ hatten, konnten auf<br />
einfachen Antrag als „avocat“ zugelassen werden.<br />
Rechtsanwälte aus dem europäischen Ausland können<br />
im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ohne weiteres und<br />
ohne zusätzliche Prüfung vor französischen Gerichten auftreten.
716<br />
l<br />
Ausländische Rechtsanwälte, die sich in Frankreich niederlassen<br />
wollen, müssen heute eine „Eignungsprüfung“<br />
ablegen. Dabei werden je nach Kenntnisstand des Kandidaten<br />
im französischen Recht materielles Recht und Standesrecht<br />
abgefragt. Die Prüfung ist gegenüber Kandidaten aus<br />
Deutschland besonders streng und wird darauf zurückgeführt,<br />
dass Franzosen ebenfalls grösste Schwierigkeiten<br />
bei der Eignungsprüfung in Deutschland haben.<br />
(2) Die EG Niederlassungsrichtlinie vom 16. Februar 1998<br />
Die EG Niederlassungsrichtlinie vom 16. Februar 1998<br />
wurde bislang in Frankreich noch nicht umgesetzt. Frist zu<br />
ihrer Umsetzung ist der 14.3.2000 gewesen. Insbesondere<br />
wurde noch keine Lösung vorgesehen, um Artikel 10 Abs. 1<br />
der Richtlinie umzusetzen. Nach dieser Vorschrift sollen<br />
Anwälte mit den Rechtsanwälten des Aufnahmestaats<br />
gleichgestellt werden, sofern sie eine dreijährige effektive<br />
und regelmässige Tätigkeit im Aufnahmestaat nachweisen<br />
können.<br />
Die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie:<br />
Der Conseil de l’Ordre von Paris (RAKammer Paris)<br />
hat hierzu im März einen Beschluss erlassen:<br />
„Aufgrund des Gemeinschaftsvertrages und der europäischen<br />
Rechtsprechung sind hinreichend klare unbedingt<br />
und genaue Verpflichtungen unmittelbar anwendbar.<br />
Einige Bestimmungen der Richtlinie bedürfen aber eines<br />
Transpositionsgesetzes, das vom französischen Parlament<br />
erlassen wird.<br />
Alle europäischen Anwälte können aber ihre Eintragung<br />
in der Anwaltsliste unter ihrer Herkunftsbezeichnung beantragen.<br />
Anträge auf Niederlassung unter der Bezeichnung „Avocat<br />
à la Cour“ werden bis zum Erlass eines Transpositionsgesetzes<br />
nicht bearbeitet.<br />
Frankreich hat es überhaupt nicht eilig, die Richtlinie<br />
umzusetzen.<br />
III. Die Kommerzialisierung des<br />
französischen Anwaltsberufs<br />
1. Werbung<br />
Artikel 161 der Verordnung vom 27.11.1991 sieht eine<br />
Kompromisslösung zwischen Tradition und der Notwendigkeit<br />
der Rentabilität einer Anwaltssozietät vor. Dem<br />
Rechtsanwalt ist zurückhaltende Werbung erlaubt, soweit<br />
diese zur notwendigen Information der Öffentlichkeit erforderlich<br />
ist. Sie verbietet damit die kundenfangartige Werbung<br />
und gestattet nur Werbung, die die Würde des Berufsstandes<br />
achtet.<br />
Werbung muss daher bescheiden sein und darf in keinem<br />
Fall selbstlobend, täuschend, marktschreierisch, herabwürdigend,<br />
vergleichend oder provozierend sein.<br />
Jede Werbemassnahme muss aus präventiven Gründen<br />
der Rechtsanwaltskammer zur vorherigen Genehmigung<br />
vorgelegt werden.<br />
Insgesamt sind Werbungsmassnahmen somit wesentlich<br />
in Frankreich sehr viel zurückhaltender als in Deutschland.<br />
Hauptwerbeträger sind Briefpapier, Namensschilder,<br />
hauptsächlich jedoch die Informationsbroschüren über die<br />
eigene Kanzlei. Schliesslich gehören hierzu auch Karten,<br />
mittels denen die Öffentlichkeit erlaubterweise über einen<br />
Adresswechsel, den Eintritt eines neuen Sozius, einer Gesellschaftsgründung<br />
etc. in Kenntnis gesetzt wird.<br />
Verboten sind als Werbeträger Werbeplakate in der<br />
Öffentlichkeit oder in Zeitungen, die Ausstrahlung von<br />
Werbespots in Fernsehen und Radio, die eigene Abbildung,<br />
das Verteilen von Werbeprospekten sowie zahlenmässige<br />
Angaben des Kundenstamms.<br />
Im Zuge der Medienflut findet jedoch immer mehr indirekte<br />
Werbung ihren Weg, insbesondere durch das Medium<br />
Fernsehen, in welchem Stellungnahmen und Berichterstattungen<br />
von Anwälten anlässlich spektakulärer Fälle immer öfter<br />
abgegeben werden. Es bietet insoweit einen idealen Schauplatz<br />
für die professionelle Selbstdarstellung des Anwalts.<br />
2. Honorar<br />
Abschliessend möchte ich auf einen Punkt eingehen, der<br />
dem Anwalt bereits vor 100 Jahren sehr wichtig war: das<br />
Honorar.<br />
In Frankreich existiert keine der deutschen BRAGO<br />
vergleichbare gesetzliche Honorarregelung. Die Honorarvereinbarung<br />
zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten<br />
unterliegt primär der Vertragsfreiheit. Falls aber keine<br />
Honorarvereinbarung abgeschlossen wurde, muss der Rechtsanwalt<br />
gem. Artikel 10 des Anwaltsgesetzes vom 31.<strong>12</strong>.1990<br />
das Honorar nach den „hergebrachten Grundsätzen“ festlegen.<br />
Das Gesetz erläutert, was unter den hergebrachten<br />
Grundsätzen zu verstehen ist, nämlich die wirtschaftliche<br />
Situation des Mandanten, der Schwierigkeitsgrad der Angelegenheit,<br />
Kosten, der Bekanntheitsgrad des Rechsanwalts<br />
und der Aufwand, den er für die Angelegenheit betreibt.<br />
Ferner verbietet derselbe Artikel 10 die Vereinbarung<br />
eines Erfolgshonorars (Pacte quota litis). Dieses grundsätzliche<br />
Verbot wird aber mit einem Nachsatz wesentlich<br />
eingeschränkt. Zulässig sind nämlich Honorarvereinbarungen,<br />
die ein Grundhonorar vorsehen, das den Arbeitsaufwand<br />
berücksichtigt und darüber hinuas für den Fall des<br />
Obsiegens eine „Erfolgsprämie“ (Palmarium).<br />
Länderbericht England *<br />
Charles Leach, Solicitor,<br />
Ashurrst, Morris, Crisp-Solicitors, London<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
Das Thema ist in der Tat global, und Entwicklungen<br />
sind in England unterwegs die ich heute kurz erklären<br />
möchte.<br />
1. Ich habe zwei Themen ausgewählt, die eine Einsicht<br />
in diesen Entwicklungen geben soll.<br />
2. Zuerst spreche ich über etwas was allgemein gesagt<br />
wird, nämlich dass die Einheit des Berufsstandes auf dem<br />
Spiel steht. Wie wird dies in England betrachtet?<br />
9 Es hat schon immer eine Zweiteilung der Anwälte gegeben<br />
– auf der einen Seite stehen die solicitors, deren<br />
Hauptaufgabe beratender Natur ist und die ihren Beruf<br />
gewöhnlich in Form von Partnerschaften ausüben; auf<br />
der anderen Seite stehen die barristers, deren Hauptaufgabe<br />
die Arbeit vor Gericht ist und die sich nicht zu<br />
Partnerschaften zusammenschließen dürfen, sondern in<br />
„Chambers“ zusammenarbeiten.<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 717<br />
Aufsätze l<br />
9 Diese traditionelle Unterscheidung ist in Gefahr der<br />
freie Zugang zu dem juristischen Rat, und die Einführung<br />
von Wettbewerb sind erklärte Ziele des Staates.<br />
9 Die Anwaltschaft wird unter Druck gesetzt, um auf<br />
Wettbewerb zu reagieren und am wirtschaftlichen Risiko<br />
teilzuhaben – den Anwälten als Freiberuflern behagt<br />
diese Vorstellung nicht unbedingt.<br />
3. Es geht weiter – neben barristers und solicitors haben<br />
wir noch Bürovorsteher (legal executives), Anwälte im<br />
privaten und öffentlichen Sektor, nunmehr auch zugelassene<br />
ausländische Anwälte sowie Rechtsberater und seit<br />
kurzem auch Websites, über die rechtliche Beratung direkt<br />
aus dem Internet abgerufen werden kann und die auch von<br />
unqualifizierten Rechtsberater entworfen sind.<br />
4. Ich werde mich auf einen Bereich konzentrieren, in<br />
dem diese Entwicklung in England beobachtet werden<br />
kann: den Bereich der juristischen Ausbildung. Ich zitiere<br />
aus der Law Society Gazette vom 17.2.2000, wo es in der<br />
Überschrift heißt:<br />
„Top-Kanzleien der City enthüllen Pläne zur Einführung<br />
einer ,verstärkten Ausbildung’.<br />
Acht Kanzleien aus der City, darunter alle der Kanzleien<br />
aus dem Magic Circle, unterstützen drei Rechtsakademien<br />
in Nottingham, Oxford und London dabei, einen so genannten<br />
,City LPC’ einzuführen.“<br />
5. Zusammenfassend ist zum Legal Practice Course<br />
(LPC) – der Name unseres Hauptausbildungskurses – zu<br />
sagen, dass er eingeführt wurde, um ein allgemein als veraltet<br />
angesehenes Prüfungssystem zu ersetzen.<br />
9 Wie aus dem Namen ersichtlich, ist es das Ziel, solicitors<br />
eine mehr praxisbezogene Ausbildung anzubieten.<br />
9 Ferner haben sich auch die Zeiten geändert, und was<br />
noch vor ein paar Jahren geeignet schien, bedarf nunmehr<br />
einer Modernisierung.<br />
9 Der LPC umfasst eine Reihe von Kernfächern (Wirtschaftsrecht,<br />
Immobilienrecht und Prozessführung) sowie<br />
mehrere Wahlfächer.<br />
9 Der Kurs wird von einer Reihe von Akademien und<br />
Hochschulen angeboten, die von der Law Society zugelassen<br />
wurden.<br />
9 Vielleicht unvermeidlicherweise ist das Pendel jedoch<br />
zu weit geschwungen, und juristische Fertigkeiten wurden<br />
zu Gunsten einer umfangreicheren praktischen Ausbildung<br />
geopfert. Die City Kanzleien fühlten, dass dieser<br />
Kurs für Ihren Bedürfnissen ungenügend war.<br />
9 Der neue City LPC hat die Zulassung für 2001 erhalten.<br />
9 Die Reaktionen der Presse legen nahe, dass dies eine erste<br />
Anerkennung der Tatsache ist, dass sich der Berufsstand<br />
aufspaltet.<br />
6. Ich habe mit einem Professor an einer der Rechtsakademien<br />
gesprochen, die den „City LPC“ anbieten, und<br />
ferner mit einem leitenden Direktor des College of Law,<br />
dem traditionellen Anbieter von Kursen, der verpflichtet<br />
ist, einen Kurs für den gesamten Berufsstand anzubieten.<br />
Beide erkennen, dass Änderungen gebraucht sind.<br />
9 Die neu-angebotenen Kurse konzentrieren sich auf das<br />
Wesentliche, d. h. auf die Steigerung der Kernfähigkeiten<br />
eines kommerziellen Juristen und die Vermittlung<br />
des geschriebenen Rechts.<br />
9 Die drei Anbieter in der City garantieren den acht Kanzleien<br />
der City, die sie unterstützen, Plätze in ihren Kursen,<br />
und andere Kanzleien haben ein großes Interesse<br />
daran, dass ihre Studenten sich auch für diese Kurse einschreiben<br />
können.<br />
9 Das College of Law schlägt zurück. Es hat selbst einen<br />
gesellschaftsrechtlich ausgerichteten LPC entwickelt, der<br />
ebenfalls im Jahre 2001 eingeführt wird. Das College<br />
hat bemerkt, dass sich die Erfordernisse an den Berufsstand<br />
als Ganzes gewandelt haben und dass die Vermittlung<br />
von Handels- und Gesellschaftsrecht mittlerweile<br />
unverzichtbarer Bestandteil der juristischen Ausbildung<br />
ist. Interessanterweise werden viele Trainees, die keine<br />
Festanstellung bei den großen Kanzleien finden, von den<br />
kleineren Firmen eingestellt, da diese wesentlich zur<br />
Kosteneinsparung beitragen können, und die in größeren<br />
Kanzleien erworbenen Fertigkeiten mittlerweile für kleinere<br />
Kanzleien von genauso großer Wichtigkeit sind.<br />
9 Es ist meine Meinung (und ich spreche als Mitglied<br />
einer City Kanzlei [nicht einer der Acht] und in keiner<br />
anderen Rolle), dass was geschehen könnte, ist das es<br />
zu einer Unterteilung in der Qualität der Ausbildung<br />
kommt, sodass ein gewisses Elitedenken in der Ausbildung<br />
entstehen könnte – die besten Studenten müssen<br />
sich in dem City LPC einschreiben, wenn sie in die besten<br />
Kanzleien angestellt werden wollen.<br />
9 Dies alles läuft jedoch darauf hinaus, dass klar wird,<br />
dass Änderungen vorgenommen werden müssen, um auf<br />
die Welt „da draußen“ zu reagieren, und unser Berufsstand<br />
ist gerade dabei, dies zu erkennen und umzusetzen.<br />
7. Wie steht unsere Standesvertretung, die Law Society,<br />
dazu?<br />
9 Nachdem sie sich bislang noch zurückgehalten hat, hat<br />
sie jetzt Vertreter aller beteiligten Parteien zu einer Konferenz<br />
eingeladen, die Ende dieses Monats stattfinden<br />
wird.<br />
9 Nach Ansicht einiger Beobachter war die Law Society<br />
zuerst noch unschlüssig, scheint der Entwicklung jedoch<br />
mittlerweile recht aufgeschlossen gegenüberzustehen.<br />
8. Und jetzt kurz etwas über das zweite Thema. Ich<br />
habe schon gesagt, dass unser Berufstand in England unter<br />
Druck ist, vom staatlichen Wunsch auf freien Zugang zum<br />
juristischen Rat und für mehr Konkurrenz.<br />
9 Als Beispiel, hat das OFT eine Untersuchung in dem<br />
Wettbewerb in allen Berufsständen bekannt gegeben.<br />
Diese Untersuchung sollte sich über die Regeln aller Berufständen<br />
handeln.<br />
9 Aber erst in dieser Wochen hat das OFT erklärt, dass<br />
es wird auf die Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfern<br />
(Accountants) konzentrieren – der Direktor-General des<br />
OFTs sagt, laut einen Artikel in die Financial Times am<br />
27. Mai, dass es heißt keine Untersuchung in den Gebieten<br />
„value for money“ und dem Niveau von Honoraren.<br />
Es handelt sich mehr um Gewohnheiten die existieren,<br />
die eine ungünstige Wirkung auf diesen Gebieten haben<br />
werden – ein Beispiel von dem was wir „Spin-Doctoring“<br />
nennen.<br />
9 Wohin diese Untersuchung führt ist natürlich unklar.<br />
Aber meiner Meinung nach, ist eins sicher – die Schraube<br />
wird immer fester gedreht auf die Anwaltschaft!<br />
9. Zum Schluss, und als etwas leichteres, möchte ich<br />
noch einmal zitieren, als Beispiel, dass die Welt ändert sich<br />
so sehr.<br />
Man sagt, dass in unser Welt des dritten Millenniums,<br />
die traditionelle Integrität und „good manners“ des Berufs-
718<br />
l<br />
standes verschwunden sind. Hier ist ein Zitat aus der Überschrift<br />
eines Nachrufs auf Martin Lampard, ehemaliger<br />
Senior Partner in Ashurst Morris Crisp, der unlängst gestorben<br />
ist:<br />
„Ein unkonventioneller Anwalt aus der City von höchster<br />
Integrität, der sich durch die Qualität der ,vulgar abuse’<br />
auszeichnete, die er im Auftrag seines Mandanten seinem<br />
Gegner entgegenbrachte.“<br />
Vielleicht gibt es wirklich nichts neues auf der Welt.<br />
Kommentar aus den USA*<br />
Rex R. Perschbacher, Dean and Professor of Law, School<br />
of Law, University of California, Davis (US A)<br />
Thank you all for most graciously including me on your<br />
distinguished panel this afternoon to offer my U.S. perspective<br />
on „EU Harmonization-Globalization-Commercialism<br />
Legal Profession quo vadis?“<br />
Before offering you my own views on where the legal<br />
profession is going from my own U.S.-California perspective,<br />
it may be important to see where we are. I must agree<br />
with most all that President Schmidt auf Altenstadt had to<br />
say in presenting his perspective on the state of the bar and<br />
economics in the Netherlands. As represented here at the<br />
meeting of the D.A.V. – German Bar Association – legal<br />
professionals working with multinational business corporations,<br />
and those representing clients engaged in international<br />
commercial transactions, in practice all already engage<br />
in very similar professional activities, despite differing<br />
national affiliations and despite differing professional organizations<br />
and professional structures in our home countries.<br />
As has happened repeatedly in the modern era, economics<br />
dictates substance whatever the form seems to require. And<br />
this, more than anything else, constitutes my theme this<br />
afternoon – that economic behavior by clients will determine<br />
how legal professionals act in practice, however the<br />
profession is described by theory, ideology, or even national<br />
law.<br />
1. The U.S. Legal Profession Today<br />
Two characteristics of U.S. legal practice perhaps best<br />
known by practitioners from other countries are that the<br />
practice is a united one without distinctions such as barrister/solicitor<br />
or court/office, and that the profession has a<br />
monopoly on the provision of legal services. However, in<br />
reality, both of these characterizations are at best misleading,<br />
and the situation is much more complex.<br />
The problems with the U.S. profession stretch back to a<br />
19th century ideology1 together with an 18th century structure2<br />
– neither of which seems responsive to current needs,<br />
which are driven by clients, and particularly interstate and<br />
transnational business clients.<br />
The rule of economic substance over ideological, or<br />
even regulatory, form is a notable feature of the U.S. legalprofessional<br />
landscape. The formal description of the U.S.<br />
bar and its official ethical posture is striking for its rhetorical<br />
embrace of the largely outdated professional paradigm.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
There is no national U.S. legal profession; each of our<br />
fifty states and assorted minor sovereigns is not just primarily,<br />
but virtually exclusively, responsible for setting educational<br />
standards, licensing, and regulating its own bar. The<br />
U.S. states-through their bar associations-are fiercely protective<br />
of their regulatory monopoly and professional identity.<br />
They cling to a vision rooted in practice going back<br />
over 100 years: lawyers as solo practitioners, in small communities,<br />
engaged in a generalized practice of law-family,<br />
real estate, trusts and wills, some business, some criminal.<br />
Law practiced on such a personal level lends itself to<br />
personal policing of the profession and independence as a<br />
central theme. Regulation grew up as peer group regulation,<br />
highly influenced by Southern U.S. regional „gentlemanly“<br />
understandings. The U.S. bar further benefitted<br />
from a close link to the judiciary which is itself composed<br />
of lawyers, the U.S. never having developed a separate educational<br />
and professional path to the bench. In virtually all<br />
U.S. states, lawyers are admitted and regulated, and the bar<br />
often formally led, by the judiciary. Drawing on the U.S.’s<br />
strongly embedded separation of powers principles, this has<br />
also contributed to the profession’s claims that it cannot be<br />
regulated other than by the courts – a claim that is simply<br />
untrue as a matter of law or fact. For example, the bar dues<br />
of California lawyers are set by the California legislature,<br />
and the State Bar Act governing California lawyers is a statute.<br />
Yet the California bar claims regulatory autonomy as a<br />
part of the judicial branch.<br />
In fact, the growth of the U.S. legal profession has been<br />
closely tied to business, particularly the rise of Wall Street,<br />
banking and finance and the growth of national (now multinational)<br />
corporations engaged in distinctly non-local businesses.<br />
In practice, the bar has moved far from its local, rural,<br />
solo and general practitioner roots. Although still not formally<br />
or officially recognized, criminal law lawyers, both<br />
government prosecutors and quasi-governmental defenders,<br />
practice a very different version of law from virtually all<br />
civil practices, even those involving litigation. In-house<br />
corporate counsel, government lawyers on<br />
all levels, corporate and business litigation lawyers have<br />
become so specialized that considerable post-law school<br />
training is required and abrupt career changes are difficult.<br />
However, the old professional rhetoric persists and, under<br />
attack, is held even tighter by the bar’s „official“ leaders.<br />
The California courts refused to allow a New York state-based<br />
law firm to collect fees for representing its client in an<br />
arbitration in California – a representation sought by the<br />
client – on the ground that the New York lawyers, who were<br />
not admitted to practice before the California courts, were<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.<br />
1 The profession’s 19th century ideology is based on the notion of the independent<br />
rural, „gentleman“ lawyer who practices law as a generalist. This ideology<br />
encourages:<br />
9 nostalgia/blindness<br />
9 resistence to legitimate regulation<br />
9 lack of reform; response to changed conditions<br />
9 refusal to accept law as business<br />
2 The profession’s 18th century structure is based on U.S. states. There is no<br />
national or federal bar. Even the national voluntary trade association, the American<br />
Bar Association, is dominated by U.S. state and municipal bar associations.<br />
This state-by-state regulation creates significant problems for the delivery of services<br />
to major interstate and multinational clients. These problems include:<br />
9 unauthorized practice and limited admission to practice among the states<br />
9 confusing and conflicting regulation of professional conduct and discipline<br />
(e.g., advertising, multiple offices in several states)<br />
9 the glacial pace of legal professional reform in a context dominated by local<br />
and parochial interests which is not responsive to business clients seeking range<br />
of services-e.g., law and accounting, business services, tax, lobbying.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 719<br />
Aufsätze l<br />
engaged in the „unauthorized practice of law,“ which is a<br />
misdemeanor. 3 At the same time, under a longstanding<br />
„agreement“ among title companies and real estate brokers,<br />
most California residential real property sales – even those<br />
of $1 million and up – are negotiated and transacted under<br />
contractual agreements without any lawyers involved at all.<br />
So there is an uneven fit between the legal profession’s<br />
expressed ethos, its ideology, and its reality. This awkward<br />
fit is becoming an even greater problem for those parts of<br />
the profession involved in the international or transnational<br />
practice of law and the international business community.<br />
The U.S. legal profession is currently in a state of denial.<br />
We are ready to embrace opportunities to practice in Europe<br />
and Asia but unable to figure out how to let New York<br />
lawyers practice in California. Our state bar associations,<br />
such as California, proudly proclaim their absolute independence<br />
– and claim it essential to their role as protectors of<br />
justice – while begging the state legislature for authority to<br />
collect dues to provide for a discipline system that they further<br />
claim they alone must control.<br />
Our reality is very different: the U.S. has a horizonallydivided<br />
bar in a vertically constituted environment. There<br />
are actually several U.S. „bars.“ There<br />
is one for businesses (especially big multinational corporations)<br />
and wealthy individuals; there is another for the<br />
poor, which is state supported or subsidized. There is one<br />
for middle-class general legal problems, such as divorce,<br />
wills, consumer issues, and personal injuries. There is one<br />
for government lawyers at all levels. There are employeelawyers<br />
in the fields of business, and insurance. And there<br />
is yet another bar for criminal practice.<br />
What are the prospects for the U.S. legal profession?<br />
For the moment, the ideological power of the 19 th century<br />
nostalgic view, coupled with balkanized state-local control,<br />
will prevent any formal reform. 4 But economics, certainly<br />
at the multinational and interstate business level, will create<br />
demands for legal and non-legal services that follow client<br />
businesses. It is one of the great ironies of the current debate<br />
that the bar demands its independence to protect<br />
clients, and then uses that independence to deprive clients<br />
of services they need and demand.<br />
2. The Future of the U.S. Legal Profession<br />
The reluctance to permit genuine reform has several<br />
consequences. One consequence is de facto reform. There<br />
has been some merging of law and accounting professionals<br />
and the provision of „ancillary business“ services from<br />
related entities. De facto reform is also evident in interstate<br />
law firms and interstate practice on behalf of businesses<br />
and the wealthy.<br />
Another consequence is some creeping nationalization<br />
of the bar through the federal courts and through federal<br />
regulation by various agencies, such as the Securities and<br />
Exchange Commission and the U.S. Attorney General’s<br />
Office. Perhaps in the long-run, a horizontal split will result<br />
between legal services for businesses and wealthy individuals<br />
and all other forms of legal practice. However, probably<br />
Europe must lead here. Europe’s pull, where business<br />
connections are strongest, like New York state, may result<br />
in further de facto reform. The organized bar simply will<br />
not move.<br />
If these developments should come to pass, are they bad<br />
for the legal profession? Do they signal the end of the bar?<br />
No. The bar could accept even a business-like model<br />
(versus a „professional“ model) linked by „core values“<br />
that distinguish legal services and lawyers-the protection of<br />
client confidentiality and loyalty and the practice of independent<br />
judgment. Special ethical obligations are not a disadvantage,<br />
as Professor Dr. Hellwig eloquently pointed out.<br />
What might these developments include?<br />
It is possible, even likely, that such developments would<br />
encourage<br />
advanced specialized training and education. The retention<br />
of the profession’s core values, including client loyalty,<br />
proscriptions on conflict of interest, and the protection of<br />
client confidences likely would remain. However, independent<br />
judgment might become based on legal training and<br />
skill, linked to the public interest. Although this would impact<br />
on the current professional ethics rules, there likely<br />
should be differing rules for differing types of practice, although<br />
this would not require separate bars.<br />
It is also possible that the U.S. might create a more<br />
limited training undergraduate degree-one like the continental<br />
system, but based practically on problem solving.<br />
For the future, I share Dr. Hellwig’s „confidence“: Our future<br />
will be secure because of core professional values, however<br />
organized into the working world.<br />
3 Birbrower, Montalbano, Condon & Frank, P.C. v. Superior Court, 17 Cal. 4 th<br />
119, 949 P.2d 1, 70 Cal. Rptr. 2d 304.<br />
4 As an earlier speaker asked rhetorically, „Why do we need professional law at<br />
all?“ „In the 1830’s in the U.S., the answer was, we didn’t.“ Maybe that will<br />
become the answer again in the 21 st century.<br />
EU-Harmonisierung –<br />
Globalisierung – Kommerzialisierung<br />
Anwaltschaft quo vadis?<br />
– Zusammenfassung –*<br />
Rechtsanwalt Klaus Böhlhoff, Präsident der IBA, New York<br />
Im Rahmen dieser erfolgreichen und sehr gut besuchten<br />
Veranstaltung in Berlin habe ich die Aufgabe übernommen,<br />
das Substrat der Länderberichte – ergänzt mit eigenen Bemerkungen<br />
– so weit wie möglich zu kommentieren und<br />
zusammenzufassen:<br />
1. Es herrscht Übereinstimmung darüber, dass die Wiener<br />
Beschlüsse der International Bar Association vom Juni<br />
1998 auch in Zukunft als Richtschnur anwaltlichen Handelns<br />
gelten sollten und kein Grund ersichtlich ist, warum<br />
sowohl kleine und mittlere als auch große Sozietäten sich<br />
nicht daran halten können. Auswüchse der zunehmenden<br />
Kommerzialisierung der Anwaltschaft sind im Interesse der<br />
Klienten, der Anwälte und der Öffentlichkeit in Grenzen<br />
zu halten.<br />
Die Kernbestimmung der Wiener Beschlüsse lautet wie<br />
folgt:<br />
* Vortrag beim 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin.
720<br />
l<br />
„The legal profession has a vital role in guaranteeing<br />
access to justice, in upholding the rule of law, in keeping<br />
dient matters confidential, in avoiding conflicts of interest<br />
and in upholding specific ethical and Professional standards.“<br />
2. Ein entscheidendes Kriterium im Wettbewerb der Anwaltschaft<br />
mit Wirtschaftsprüfern und anderen Dienstleistern<br />
ist die Qualität. Gut ausgebildete und sorgfältig arbeitende<br />
Anwälte werden auch in Zukunft ihren Platz in der<br />
Gesellschaft und im Wirtschaftsleben finden.<br />
Die Grundsätze anwaltlichen Standesrechts – Verschwiegenheitspflicht,<br />
Vermeidung von Interessenkonflikten<br />
und die Einhaltung strikter Standesregeln – sollten nicht<br />
als Hindernis im Wettbewerb mit anderen Dienstleistern<br />
gesehen werden, sondern als besonderes Qualitätsmerkmal.<br />
Die Anwaltschaft sollte aktiv damit werben, dass Anwälte<br />
auf Grund ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit und<br />
zur Vermeidung von Interessenkonflikten besonders qualifizierte<br />
und vertrauenswürdige Berater und Vertreter der Interessen<br />
ihrer Klienten sind (z. B. „Der Anwalt – aus dem<br />
Leben nicht wegzudenken – was Sie ihm sagen, bleibt vertraulich,<br />
er vertritt nur Ihre Interessen“).<br />
3. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die dramatischen<br />
Veränderungen unseres Berufsstandes nur die großen<br />
Anwaltsbüros treffen. Der Wettbewerb – z. B. mit den<br />
Wirtschaftsprüfern – wird sich auf allen Ebenen verstärken.<br />
Der Zug zur größeren Sozietät ist unaufhaltsam. Ein bezeichnendes<br />
Beispiel sind die Niederlande. Dort sind bereits<br />
50% aller Anwälte in großen Sozietäten organisiert.<br />
4. Ein immer wiederkehrendes Thema in der Diskussion<br />
war die Verbesserung der anwaltlichen Ausbildung. Die vor<br />
uns liegenden Aufgaben erfordern eine neue Qualität von<br />
Beratern:<br />
Hervorragende Ausbildung im weiten Sinne mit vertieftem<br />
Verständnis für Geschichte und Politik; außer der Muttersprache<br />
arbeitsfähige Kenntnisse nicht nur im Englischen,<br />
sondern in mindestens einer anderen Sprache, und zwar<br />
nicht nach der Art des polyglotten Globetrotters, sondern mit<br />
der Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge und Konzepte in<br />
einer Fremdsprache zu verstehen oder auszudrücken. Hinzu<br />
kommt das vertiefte Verständnis nicht nur eines Rechtssystems<br />
und (erheblich) mehr als rudimentäre Kenntnisse des<br />
internationalen Privat- und Verwaltungsrechts.<br />
Entscheidend für die Handelnden in diesem Beratungsumfeld<br />
ist daher Gespür und Respekt für ausländische<br />
Rechtssysteme und Offenheit für unterschiedliche kulturelle<br />
und historische Entwicklungen. Sir Francis Bacon, der<br />
berühmte englische Wissenschaftler und Philosoph des frühen<br />
17. Jahrhunderts, hat einmal die Bildung und Entwicklung<br />
des Rechts mit den Quellen des Wassers in der Natur<br />
verglichen. So wie Quellwasser seine Färbung und seinen<br />
Geschmack den durchdrungenen Bodenschichten verdankt,<br />
so entwickelt sich das Recht unter dem Einfluss des vorgegebenen<br />
kulturellen und historischen Umfelds.<br />
Wenn man diese Grundsätze beherzigt, ist es letztlich<br />
gleichgültig, in welchem Recht ein Anwalt seine juristische<br />
Grundausbildung erfährt. Aus Tradition und – gelegentlicher<br />
– besserer Erkenntnis neigen wir auf dem Kontinent<br />
insoweit zur Bevorzugung eines auf römischem Recht beruhenden<br />
Rechtssystems. Aber ungeachtet aller Voreingenommenheit<br />
ist römisches Recht ein Leitbild für die Aufgabe,<br />
Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, genauso wie die<br />
zwar ungeliebte, richtig angewandt jedoch als Denkschule<br />
unverzichtbare Relationstechnik.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
Naturgemäß findet man diese Fähigkeiten eines guten<br />
Juristen in allen Rechtsordnungen. Ideal wäre ein Background<br />
im römischen Recht verbunden mit der aus intensivem<br />
Fallstudium entwickelten Fähigkeit angloamerikanischer<br />
Anwälte, die Fakten und Umstände einer Transaktion<br />
konkret und verständlich und frei von generellen Abstraktionen<br />
zu formulieren.<br />
Ist das noch der französische „avocat roi“ der 60er und<br />
70er-Jahre, der sein Berufsbild pflegte, ohne zu merken,<br />
dass die auf Grund liberaler französischer Gesetzgebung<br />
hereinströmenden ausländischen Kollegen auf dem besten<br />
Wege waren, die grenzüberschreitende wirtschaftsrechtliche<br />
Beratung an sich zu reißen? Wohl nicht, aber der glänzend<br />
ausgebildete junge europäische Anwalt ist eine überzeugende<br />
Weiterentwicklung auf dem Wege der freien<br />
Anwaltschaft in das neue Jahrhundert.<br />
5. Wenn man über eine politische Karte von Europa mit<br />
ihrem Fleckenteppich relativ kleiner Länder eine Wetterkarte<br />
schiebt, zeigt dies deutlich, wie wenig sich das Wetter<br />
um politische Grenzen kümmert. Das Gleiche gilt für die<br />
globalisierte Wirtschaft, die sich ohne besonderen Respekt<br />
für politische Grenzen in der Welt ausdehnt.<br />
Noch deutlicher wäre das Bild, wenn man statt der politischen<br />
Karte eine Karte sämtlicher für Anwälte bestehenden<br />
territorialen Restriktionen verwenden würde. Ist die<br />
Anwaltschaft in der Tat so eingeengt, dass sie die Europäische<br />
Niederlassungsrichtlinie als großen Befreiungsschlag<br />
empfinden muss?<br />
Die Realität sieht anders aus. Wenn man nach London,<br />
Paris oder New York reist, ist man nicht im Geringsten erstaunt,<br />
dort zahlreiche ausländische Anwälte zu sehen, die<br />
ihrer internationalen Beratungspraxis nachgehen. Die allseits<br />
bekannten Kollegen treffen sich mit anderen Kollegen<br />
z. B. in London, um eine Projektfinanzierung in Portugal<br />
zu erörtern oder – wenn es auf relevante Fragen des jeweiligen<br />
Ortsrechts ankommt – um die Angelegenheit gemeinsam<br />
mit dem „local counsel“ zu besprechen.<br />
In der Praxis wird diese so genannte „high end“ internationale<br />
Beratung durch die vielfältigen Beschränkungen der<br />
grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit überhaupt<br />
nicht berührt. Es handelt sich also vor allem um den Einzelanwalt<br />
in Aachen, der gerne in Lüttich beraten oder den<br />
Strassburger Anwalt, der ein Büro in Kehl eröffnen möchte.<br />
Hier sind die bestehenden Restriktionen in der Tat erdrückend.<br />
Sie sind sofort aus der Welt, wenn der Aachener<br />
Anwalt einen belgischen Anwalt in Lüttich und der Straßburger<br />
Anwalt einen deutschen Anwalt in Kehl hinzuzieht.<br />
Von einer viel tiefgreifenderen Bedeutung für die Anwaltschaft<br />
sind die Bemühungen der WTO, die Anwaltschaft der<br />
Welt zu deregulieren und zu liberalisieren. So sehr dies im einzelnen<br />
für Klienten und die Anwaltschaft wünschenswert sein<br />
kann, eine zu starke Liberalisierung und damit das Verschwinden<br />
der oben erwähnten „core values“ der Anwaltschaft<br />
könnte weit reichende Konsequenzen haben. Im übrigen ist<br />
aber die globale Tätigkeit von Anwälten mehr ein praktisches<br />
und wirtschaftliches als ein regulatorisches Problem.<br />
6. Beflügelt durch NAFTA, GATT und GATS denken<br />
und handeln unsere Klienten zunehmend global. Die einfache<br />
Schlussfolgerung für die beratenden Berufe, nunmehr<br />
auch nur noch global zu denken und zu beraten, erweist<br />
sich schnell als Fehlschluss.<br />
Es gibt kein identisches geschäftliches und rechtliches<br />
Konzept für West- und Osteuropa, ganz zu schweigen von<br />
Lateinamerika, Ostasien und dem Phänomen der pazifi-
AnwBl <strong>12</strong>/2000 721<br />
Aufsätze l<br />
schen Randstaaten. Globale Anwaltsfirmen und Wirtschaftsprüfüngsgesellschaften<br />
sind zwar weltweit präsent.<br />
Sie haben jedoch lernen müssen, dass man den Herausforderungen<br />
nicht durch stromlinienförmige Strukturen und<br />
Versatzstücke aus Standardverträgen begegnen kann. Natürlich<br />
gehören zur Beratungsleistung internationale oder globale<br />
Konzepte; entscheidend sind jedoch ein hohes Maß<br />
an Verständnis und Gespür für lokale Entwicklungen und<br />
Respekt vor örtlichen Besonderheiten. Demgemäß brauchen<br />
diese global players entweder (international erfahrene) örtliche<br />
Anwaltsbüros, oder sie müssen unter großen Schwierigkeiten<br />
und erheblichem Aufwand eigene überzeugende<br />
örtliche Beratungskapazität schaffen, wobei durchgehende<br />
Qualität das eigentliche, kaum zu bewältigende Problem ist.<br />
Um diese Lektion zu lernen, hätte es keiner teuren Fehlschläge<br />
bedurft, sondern man hätte auch einmal von den<br />
Klienten lernen können. Think globally, act locallyoder the<br />
art of being local worldwide ist das Schlagwort multinationaler<br />
Unternehmen, deren Leitbild Nestle das Einheitsprodukt<br />
„Nescafe Classic“ weltweit in etwa 50 unterschiedlichen<br />
Geschmacksrichtungen produziert.<br />
Mit dieser Maßgabe spielen allerdings globale Anwaltsfirmen<br />
durchaus ihre Rolle. Sie erfüllen für viele Unternehmen<br />
nach dem Prinzip one stop one bill auch eine wesentliche<br />
Funktion. Daneben haben jedoch eher national<br />
strukturierte Anwaltsbüros auf Grund ihrer größeren Nähe<br />
zum Markt und zu den Klienten und ihrer dichteren Erfahrung<br />
einen erheblichen, von den globalen Anwaltsbüros<br />
kaum einzuholenden Vorsprung. Dies setzt allerdings auf<br />
nationaler Seite die Offenheit für internationale Entwicklungen<br />
und die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, internationale<br />
Sachverhalte für ihre Klienten zu bearbeiten und zu<br />
orchestrieren, d. h. im umfassenden Sinn project management<br />
und legal risk management zu betreiben. Hierzu gehören<br />
selbstverständlich der Einsatz, die Kontrolle und Koordinierung<br />
ausländischer Anwaltsbüros.<br />
7. Eine Diskussion notwendiger oder möglicher Strategien<br />
für Anwaltsbüros bei der Bewältigung der sich aus der Globalisierung<br />
ergebenden Herausforderung könnte ein eigenes<br />
Werk füllen. Diesem offenbar reizvollen Thema widmen sich<br />
nicht nur anwaltsbezogene, in- und ausländische Publikationen,<br />
sondern mittlerweile auch die Tageszeitungen und die<br />
Wirtschaftspresse, die in Gesamtzahlen von Partnern oder fee<br />
earners sowie angeblichen Durchschnittsumsätzen und<br />
Durchschnittsgewinnen großer Anwaltssozietäten schwelgen.<br />
Wenn man hier die Perspektive zurechtrückt, ist die richtige<br />
Strategie für die großen Sozietäten allerdings von entscheidender<br />
Bedeutung. Die letzten zehn Jahre waren geprägt<br />
von nationalen Zusammenschlüssen, insbesondere in überörtlichen<br />
Sozietäten, die sich ihrerseits zum Teil in weltweiten<br />
Allianzen zusammengeschlossen haben. Andere haben<br />
sich auf die best friends-oder very best friends-Strategie<br />
beschränkt. Daneben stehen vor allem die angloamerikanischen<br />
global firms und die internationalen WP-Gesellschaften,<br />
die energisch in den Rechtsberatungsmarkt drängen.<br />
Für nationale und internationale Anwaltsbüros gibt es<br />
keine Ideallösung. Die global firms wollen alles alleine<br />
machen und haben Probleme, vor Ort eine überzeugende<br />
Mannschaft national ausgebildeter Anwälte aufzubauen. Die<br />
Anfang der 90er-Jahre aus dem Boden geschossenen<br />
internationalen Allianzen sind häufig an der mangelnden<br />
Masse gegenseitiger Empfehlungen (referrals) gescheitert.<br />
Sowohl die global firms als auch die Allianzen geben zwar<br />
einerseits dem Klienten den Vorteil des one stop one bill, an-<br />
dererseits laufen die Klienten Gefahr, statt der freien Auswahl<br />
des am besten geeigneten Anwaltsbüros auf den Allianzpartner<br />
oder das örtliche Büro der global firm beschränkt zu sein.<br />
Demgegenüber haben die allein oder nach dem best friends-<br />
Prinzip agierenden nationalen Sozietäten im Vergleich zu<br />
Allianzen und global firms den Nachteil nicht immer reibungslos<br />
funktionierender und nicht ausreichend eingespielter<br />
Zusammenarbeit mit unabhängigen ausländischen Büros.<br />
Es gibt keinen Königsweg. Insbesondere lassen sich<br />
viele große und multinationale Unternehmen von derartigen<br />
Strukturen wenig beeindrucken. Unabhängig von bestehenden<br />
Verbindungen wählen diese Klienten vor Ort den für<br />
die betreffende Transaktion geeignetsten Anwalt selbst aus.<br />
Da demgegenüber andere Klienten eher auf den einheitlichen<br />
und weltweiten Service Wert legen, wird es auch auf<br />
Dauer ganz unterschiedliche Erscheinungsformen nationaler<br />
Büros und internationaler Anwaltsverbindungen geben.<br />
Entscheidend wird auch in Zukunft die Leistung des<br />
Einzelanwalts und des Teams sein, in das seine Tätigkeit integriert<br />
ist. Hier wird für große und internationale Transaktionen<br />
immer eine kritische Masse an Bearbeitern und Spezialisten<br />
zur Verfügung stehen müssen, was zwangsläufig<br />
zur Bildung größerer Einheiten führt. Die absolute Größe<br />
einer Sozietät und die Vielzahl und Dichte internationaler<br />
Allianzen oder eigener Zweigstellen ist jedoch nicht entscheidend.<br />
So hat die hoch angesehene und nach einschlägigen<br />
Veröffentlichungen ertragsstärkste amerikanische Anwaltssozietät<br />
Wachtell Lipton nur 64 Partner und 72<br />
associates. Es gibt also kein generelles too big oder too<br />
small, sondern allenfalls die der angestrebten Aufgabenstellung<br />
nicht angepasste Größe. Eine falsche Struktur und insbesondere<br />
nicht hinreichende Qualifikation lassen sich<br />
auch durch Zusammenschlüsse nicht verbessern.<br />
Die Welt des Anwalts befindet sich in einem gelegentlich<br />
verwirrenden, insgesamt jedoch auch erfrischenden<br />
Wandlungsprozess. Wer sich der persönlichen Herausforderung<br />
der intensiven Ausbildung und der unternehmerischen<br />
Herausforderung der Organisation und des mehr als oberflächlichen<br />
Umgangs mit der Technik und der Qualitätskontrolle<br />
stellt, braucht nicht nur nichts zu befürchten, sondern<br />
steht vor einer Chance, wie sie der traditionellen Anwaltschaft<br />
noch nicht vergönnt war.<br />
8. Die Anwaltschaft ist – mit Recht – um ihre Existenz und<br />
ihre zukünftige Rolle besorgt. Über dieser notwendigen nationalenundinternationalenDiskussionsindwirschnellgeneigt,<br />
nicht nur die standesrechtlichen Grundsätze beiseite zu schieben,<br />
sondern die darüber hinausgehenden Verpflichtungen der<br />
Anwaltschaft für die Allgemeinheit zu verdrängen. Hier in<br />
Berlin denkt man an Friedrich den Großen, einen der bekanntesten<br />
Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Er und sein<br />
geistiger „Sparringspartner“ Voltaire gehören gemeinsam mit<br />
Montesquieu, Grotius und anderen zu den Wegbereitem der<br />
rule of law und des Schutzes der Menschenrechte.<br />
Leider lebt auch heute noch ein Großteil der Weltbevölkerung<br />
unter Regimen, die weit entfernt von dem Stand<br />
der Rechtssicherheit des Individiums sind, der bereits unter<br />
Friedrich dem Großen erreicht war. Auf Grund unserer Ausbildung<br />
und unserer Tätigkeit sind wir Anwälte prädistiniert,<br />
uns nach Kräften für die Durchsetzung des rechtsstaatlichen<br />
Gedankens und des Schutzes der Menschenrechte<br />
einzusetzen, gelegentlich auch vor der eigenen Haustür.<br />
Wer insoweit international einen eigenen Beitrag leisten<br />
möchte, kann dies im Rahmen der Arbeit des Human<br />
Rights Instituts der International Bar Association tun.
722<br />
l<br />
Die Gebührenstrukturvorschläge<br />
des DAV<br />
Allgemeine Regeln und Gebühren für die<br />
außergerichtliche Anwaltstätigkeit *<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Hannover<br />
Die Anwaltschaft muss es seit langer Zeit hinnehmen, dass<br />
sie bei Gebührenanpassungen der allgemeinen Entwicklung der<br />
Einkommen hinterherläuft. Nur im Abstand von vielen Jahren<br />
erfolgte in der Vergangenheit eine lineare Anpassung. Seitdem<br />
die Gegenstandswerte mit Rücksicht auf die allgemeine wirtschaftliche<br />
Entwicklung jährlich inflationsbedingt kaum noch<br />
steigen, gibt es auch keine indirekte Gebührenanpassung mehr,<br />
zumal durch die relativ weit gefassten Gebührenstufen dieser<br />
Effekt ohnehin gering ist. Die Öffentlichkeit ist dennoch immer<br />
noch der Auffassung, dass Anwälte (zu) viel verdienen. Die<br />
letzte nennenswerte Gebührenerhöhung in der <strong>12</strong>. Legislaturperiode,<br />
die zum 1.7.1994 wirksam wurde, musste deshalb erheblichen<br />
politischen Widerstand überwinden. Inzwischen sind<br />
sechs Jahre vergangen, im politischen Raum gibt es nicht einmal<br />
leiseste Anfänge einer neuen Diskussion darüber, wann wieder<br />
eine Gebührenanpassung stattfindet. Andererseits sind die Kosten<br />
und auch die allgemeinen Einkommen in diesen sechs Jahren<br />
weiter gestiegen. Die Anwaltschaft ist von der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung weitgehend abgekoppelt.<br />
Diese politische Situation war einer der Gründe dafür, dass<br />
der Vorstand der DAV Ende des Jahres 1994 einen Ausschuss<br />
„Reform des Gebührenrechts“ gründete, die sich grundlegende<br />
Gedanken über eine strukturelle Reform des Gebührenrechts<br />
machen sollte. Dieser Ausschuss kam am 4.2.1995 zu seiner<br />
konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen. Er hat seit dem<br />
viele Sitzungen absolviert. Die Strukturvorschläge sind als Beilage<br />
zum <strong>Anwaltsblatt</strong> 5/98 der gesamten Anwaltschaft vorgestellt<br />
worden. Sie sind von der Konferenz der Gebührenreferenten<br />
der Deutschen Rechtsanwaltskammern erörtert worden und<br />
schließlich im Juni 1998 der JUMIKO zugeleitet worden, die<br />
eine Arbeitsgruppe mit der weiteren Behandlung beauftragt hat.<br />
Seitdem ist im politischen Raum erkennbar nichts geschehen.<br />
Erste Versuche der Repräsentanten der Anwaltschaft, eine<br />
Diskussion über eine inzwischen überfällige lineare Gebührenanpassung<br />
in Gang zu bringen, wurden mit dem Hinweis auf die<br />
Beratungen über die Strukturreform abgewehrt. Der DAV ist<br />
sich der Tatsache bewusst, dass diese Gefahr jetzt besteht. Bei<br />
Beginn der Tätigkeit des Ausschusses sowie dem Abschluss<br />
dieser Arbeit lagen die Arbeitsergebnisse im zeitlichen Rhythmus<br />
der bisherigen Gebührenanpassungen. Es hätte also längst,<br />
wie immer wieder gefordert, eine Fachdiskussion einsetzen<br />
können und müssen. Andere Vorhaben wie die geplante Justizreform,<br />
die gleichfalls gebührenrechtliche Aspekte haben, stehen<br />
leider derzeit im Vordergrund. Die Anwaltschaft muss sich<br />
deswegen, weil Strukturveränderungen derzeit nicht in Sicht<br />
sind, auf zwischenzeitliche Gebührenanpassungen konzentrieren<br />
und diese fordern. Das geschieht.<br />
II.<br />
Dennoch halten es der Vorstand des DAV und auch der<br />
Gebührenstrukturausschuss für richtig, die Diskussion über<br />
die Strukturreform weiter voranzutreiben.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
Ich möchte ihnen die Kernpunkte der angestrebten<br />
Strukturreform, soweit sie die Abschnitte 1 und 2 (allgemeine<br />
und gemeinsame Vorschriften), 3 (Gebühren in<br />
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten) und <strong>12</strong> (Gebühren in<br />
sonstigen Angelegenheiten) betreffend vorstellen:<br />
Da der Ausschuss den Auftrag hatte, sozusagen bei Null<br />
anzufangen, also keine Vorgaben hinzunehmen, stellte sich<br />
zunächst die Frage, ob die BRAGO in ihrer bisherigen<br />
Form einer Kombination aus Festgebühren im prozessualen<br />
Bereich und Rahmengebühren im außergerichtlichen Bereich,<br />
beides nach dem Gesetz Mindestgebührensätze, beibehalten<br />
werden sollte. Der Ausschuss hat nach ausführlicher<br />
Diskussion und Anhörung von Kollegen aus verschiedenen<br />
Bereichen und Praxisstrukturen gemeint, dass<br />
das bisherige System sich bewährt hat und beibehalten werden<br />
soll. Insbesondere hält der Ausschuss die Umstellung<br />
unseres Gebührensystems auf in jedem Einzelfall vereinbarte<br />
Gebühren, insbesondere Zeitgebühren für kontraproduktiv.<br />
Die Erfahrungen anderer Länder mit diesem System<br />
zeigen, dass der Vorteil des deutschen Systems darin liegt,<br />
dass die entstehenden Gebühren überschaubar und voraussehbar<br />
sind, dass außerdem lange Diskussionen über die<br />
Höhe der Gebühren sich erübrigen, weil diese Gebühren<br />
weitgehend fest liegen. Darüber hinaus ist das deutsche<br />
Kostenerstattungssystem zu beachten.<br />
Vorstand des DAV und Ausschuss meinen weiter, dass<br />
die BRAGO europarechtsfest ist. Sie sind also nicht der<br />
Auffassung, dass der allgemeine Trend zur Deregulierung<br />
rechtlichen Einfluss auf die BRAGO haben wird. Wenn also<br />
die deutschen Anwälte und der deutsche Gesetzgeber an der<br />
BRAGO festhalten wollen, ist das rechtlich unbedenklich.<br />
2. Die bisherige Gebührenstruktur der BRAGO beruht<br />
auf der Prämisse, dass Anwälte in erster Linie als Prozessanwälte<br />
tätig sind. Die Regelungen der §§ 31 ff. BRAGO<br />
stehen daher im Zentrum. Die Gebühren des § 118 BRAGO<br />
rangieren am Schluss unter der Überschrift „Gebühren in<br />
sonstigen Angelegenheiten“, als handle es sich dabei um<br />
die Honorierung untergeordneter Tätigkeit. Die Vorschriften<br />
über außergerichtliche reine Beratungstätigkeit ohne<br />
Rechtsverfolgung nach außen entsprechen nicht mehr der<br />
Bedeutung, die diese Tätigkeit inzwischen erlangt hat.<br />
a) Die Wirklichkeit spiegelt sich in der Struktur unserer<br />
Gebührenordnung also nicht mehr wider. Das Bild des Anwalts<br />
und die Qualität seiner Tätigkeit haben sich in den<br />
vergangen Jahren erheblich gewandelt. Nach zuverlässigen<br />
Untersuchungen werden heute mehr als 70% aller Fälle, die<br />
an Anwälte herangetragen werden, von diesen außergerichtlich<br />
geregelt. Der sogenannten vorsorgenden Rechtspflege<br />
– beispielsweise der Vertragsgestaltung – kommt immer mehr<br />
Bedeutung zu. Deswegen gehören die heutigen Bestimmungen<br />
der §§ 118 BRAGO in das Zentrum der Gebührenordnung<br />
unter die Rubrik der gemeinsamen Vorschriften. Sie<br />
bedürfen darüber hinaus einer grundsätzlichen Umgestaltung.<br />
Die bisherige Aufteilung in drei verschiedene Gebühren<br />
mit nur einem sehr begrenzten Rahmen von je 5/10 bis<br />
10/10 der vollen Gebühren ist zu eng. Die Aufteilung be-<br />
* Vortrag auf dem 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin am<br />
3.6.2000, in der Veranstaltung des DAV-Ausschusses Gebührenrecht<br />
/ Gebührenstruktur.<br />
Der Vortragende ist Mitglied im Ausschuss Gebührenrecht /<br />
Gebührenstruktur des DAV und auch in der Arbeitsgruppe<br />
Gebührenrecht der BRAK sowie Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle und zugleich Vizepräsident der BRAK.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 723<br />
Aufsätze l<br />
rücksichtigt nicht, dass in aller Regel das Schwergewicht<br />
auf der bisher in § 118 Abs. 1 Ziff. 1 geregelten Tätigkeit<br />
liegt und die 2. und 3. Gebühr, was Umfang und Schwierigkeit<br />
anwaltlicher Tätigkeit anbetrifft, weit geringer zu<br />
Buche schlagen. Dennoch enthalten alle drei Gebührenvorschriften<br />
den gleichen Rahmen. Dass bei der Geschäftsgebühr<br />
der Unterschied zwischen einer einfachen und höchst<br />
schwierigen Sache lediglich durch eine Verdopplung der<br />
Gebühr honoriert wird, ist nicht hinnehmbar. Demgemäss<br />
gibt der Strukturvorschlag des DAV die bisherige Dreiteilung<br />
der Gebühren in § 118 auf. Es entsteht künftig nur<br />
noch eine einzige als Geschäftsgebühr bezeichnete Gebühr,<br />
die allerdings einen Rahmen von 5/10 bis 25/10 der vollen<br />
Gebühr umfasst. Die völlige Aufgabe eines Gebührenrahmens<br />
im Anwendungsbereich dieser Vorschrift verbot sich<br />
deswegen, weil bei rechtsbesorgender Tätigkeit Gebührenerstattung<br />
in Betracht kommen kann. Dieses Prinzip soll,<br />
soweit wie möglich, aus sozialen Gründen erhalten bleiben.<br />
Der sehr weite Rahmen ermöglicht nicht nur eine sehr<br />
flexible Gestaltung der Gebühr, wobei die gesetzliche Gebühr<br />
auch bei lediglich schriftlicher Tätigkeit jetzt bis zu<br />
25/10 geht. Sie erhält auch die bisherige Mittelgebühr für<br />
zwei Gebühren bei 15/10. Bedenkt man, dass bisher zwei<br />
Gebühren eher selten anfallen, ist das eine längst überfällige<br />
Anpassung an eine angemessene Honorierung.<br />
Das es jetzt nicht mehr darauf ankommen soll, ob eine<br />
Besprechung stattgefunden hat, werden telefonische Erörterungen<br />
erleichtert. Die bisherige Gebührenbarriere entfällt.<br />
b) Die Bestimmung der Gebühr richtet sich nach den<br />
bisherigen in § <strong>12</strong> enthaltenen Kriterien. Der Ausschuss<br />
schlägt insoweit aber gleichfalls eine Strukturveränderung<br />
vor. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit<br />
sowie die Bedeutung der Angelegenheit sollen im Vordergrund<br />
stehen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse,<br />
die bisher gleichgewichtig zu bewerten waren, sollen<br />
jetzt nur noch in besonderen Fällen bei der Bemessung hinzugezogen<br />
werden. Hinzu gekommen ist als neues Bemessungsmerkmal<br />
das Haftungsrisiko des Anwalts. Das erscheint<br />
sachgerecht.<br />
c) Bei rechtsverfolgender Tätigkeit im Sinne der bisherigen<br />
Regelungen in § 118 BRAGO schlägt der Ausschuss<br />
zwar eine erhebliche Liberalisierung durch Erweiterung<br />
des Gebührenrahmens vor, hält aber, wie gesagt, am bisherigen<br />
Prinzip fest. Anders soll es nach den Vorschlägen des<br />
Ausschusses bei rein beratender Tätigkeit in Zukunft zugehen.<br />
Hier schlägt der Ausschuss vor, die Regelungen der<br />
§§ 20, 21 und 21a mit einem neu gefassten § 20 zu vereinen.<br />
Nach § 1 dieser Bestimmung erhält der Rechtsanwalt<br />
für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft<br />
eine „von ihm zu bestimmende angemessene Gebühr“.<br />
§ <strong>12</strong> soll sinngemäß anwendbar sein. Die Erstberatungsgebühr<br />
mit einer Kappungsgrenze von 350 DM bleibt<br />
erhalten.<br />
Nach Abs. 2 dieser Bestimmung soll der Rechtsanwalt<br />
für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens gleichfalls<br />
eine von ihm zu bestimmende angemessene Gebühr erhalten.<br />
Die Absätze 3 und 4 regeln die bisherigen Vorschriften<br />
im Zusammenhang mit der Beratung bei<br />
Einlegung einer Berufung. Sie bleiben im wesentlichen erhalten,<br />
wobei die volle Gebühr auch entsteht, wenn der<br />
Rechtsanwalt abrät.<br />
Die Begründung für diese neue Gebührenstruktur, die<br />
mit dem bisherigen Rahmengebührensystem radikal bricht,<br />
ergibt sich aus folgendem:<br />
Im reinen beratenden Bereich ist die Konkurrenz anderer<br />
Gruppen, wie etwa der Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern,<br />
Berufsverbänden und Verbraucherberatungen, in Zukunft<br />
auch Anwälten aus dem EU-Ausland besonders groß. Diese<br />
Beratergruppen rechnen ihre Tätigkeit in der Regel nach<br />
Zeitaufwand oder auf der Grundlage von Pauschalvereinbarungen<br />
ab. Im anwaltlichen Bereich hat sich demgemäss<br />
gezeigt, dass feste wertorientierte Gebühren den Mandanten<br />
kaum noch plausibel begründet werden können. Sie führen<br />
in vielen Fällen im übrigen dazu, dass Rechtsanwälte im<br />
Wettstreit mit anderen Berufen nicht konkurrenzfähig sind.<br />
Schon heute rechnen deswegen viele Rechtsanwälte bei<br />
Tätigkeiten im Rahmen des § 20 pauschal oder nach Zeit<br />
ab, was seit dem 2.9.1994 durch die Neuregelung des § 3<br />
Abs. 5 BRAGO zulässig ist. Es ist deshalb folgerichtig, die<br />
Gebühren im reinen Beratungsbereich ohne Anknüpfung<br />
an einen Wert oder einen Rahmen freizugeben. Die Gebühr<br />
muss jedoch wie bisher angemessen sein, wobei § <strong>12</strong><br />
BRAGO sinngemäß gilt. Die BRAGO wird auf diese Weise<br />
für außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit der Wirklichkeit<br />
und den Erwartungen der Mandanten angepasst. Die Erstberatungsgebühr<br />
soll ausdrücklich beibehalten werden.<br />
Sie hat sich als Marketinginstrument u. E. bewährt. Da die<br />
vereinbarte angemessene Gebühr jetzt die gesetzliche Gebühr<br />
ist, bedarf sie nicht mehr der Form des § 3 Abs. 1 Satz 1<br />
BRAGO, und zwar auch dann nicht, wenn die bisher geltende<br />
gesetzliche Gebühr, die ja bei der Bemessung immer noch ein<br />
gewisser Anhaltspunkt sein kann, überschritten wird. Sie ist<br />
also auch dann wirksam, wenn sie mündlich vereinbart wird.<br />
Die Freigabe im reinen Beratungsbereich ist dogmatisch<br />
deswegen unproblematisch, weil das Erstattungsproblem in<br />
diesem Bereich keine Rolle spielt. Gebührenschuldner ist<br />
der Mandant, so dass es allein auf die Vereinbarung mit<br />
dem Mandanten ankommt.<br />
d) Auch die 3. Gebühr betreffend die Gebühren in bürgerlichen<br />
Rechtsstreitigkeiten und Angelegenheiten der<br />
freiwilligen Gerichtsbarkeit solle eine entscheidende Strukturveränderung<br />
erfahren. Es soll in Zukunft im Prozess nur<br />
noch zwei Gebühren geben, nämlich eine Verfahrensgebühr<br />
einerseits und eine Terminsgebühr andererseits.<br />
Die Verfahrensgebühr soll 15/10 der vollen Gebühr umfassen.<br />
Diese gegenüber der bisherigen Gebühr erhöhte<br />
Gebührenbemessung beruht auf der Überlegung, dass die<br />
Verfahrensgebühr die gesamte Prozessvorbereitung umfasst.<br />
Sie soll die Erörterung mit dem Mandanten, die Beschaffung<br />
von Unterlagen und Informationen, unter Umständen auch<br />
die Einholung des persönlichen Augenscheins und die Befragung<br />
Dritter umfassen. Bedenkt man, dass auch die jetzt in<br />
der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Strukturveränderung<br />
des Zivilprozesses in die Richtung gehen, dass auf den<br />
Anwalt erster Instanz viel Arbeit und damit verbundene Verantwortung<br />
bei der Prozessvorbereitung zukommt, erscheint<br />
es nicht mehr sachgerecht, dass alle im Prozess entstehenden<br />
Gebühren gleich hoch sind. Es ist vielmehr sachgemäß, die<br />
Prozessgebühr um 5/10 zu erhöhen.<br />
Daneben soll es nur noch eine 10/10 Terminsgebühr geben,<br />
die in jedem Fall der Wahrnehmung eines Termins<br />
aber auch bei Mitwirkung an auf die Erledigung des Verfahrens<br />
gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des<br />
Gerichts entstehen soll.<br />
Sie soll also auch im Vorfeld des Termins zwischen den<br />
Parteivertretern geführte Besprechungen honorieren.<br />
Die Beweisgebühr soll ganz entfallen. Sie geht in der<br />
Terminsgebühr auf.
724<br />
l<br />
Das ist sicherlich ein Nachteil, wenn ein Prozess mit<br />
einer erheblichen Beweisaufnahme belastet ist. Statistisch<br />
verdient die Anwaltschaft derzeit an allen Prozessen im<br />
Schnitt aber nur 2,5/10 der vollen Gebühr. In Zukunft würde<br />
sie in allen Fällen 25/10 der vollen Gebühr verdienen,<br />
also auch in den vielen Fällen, in denen es nicht zu einer<br />
Beweisaufnahme kommt.<br />
Das rechtfertigt die vorgesehene Strukturveränderung<br />
wirtschaftlich. Sie ist für die Anwaltschaft insgesamt gesehen<br />
günstig.<br />
Die neuen Gebühren sollen auch in sämtlichen Verfahren<br />
der freiwilligen Gerichtsbarkeit o. ä. Verfahren, die im 3.<br />
Abschnitt geregelt sind, gelten. Schon jetzt war in keiner<br />
Weise plausibel, dass eine Reihe von Familiensachen im Verbund<br />
nach § 31 ff. BRAGO, andere dagegen nach § 118<br />
BRAGO honoriert wurden. Trotz in der Regel gleicher Arbeitsbelastung<br />
fallen bisher unterschiedliche Gebühren an.<br />
3. Die vorgeschlagenen Neuregelungen vollziehen zum<br />
Teil eine Entwicklung nach, die sich tatsächlich bereits<br />
durchgesetzt hat. Das gilt insbesondere für den außergerichtlichen<br />
reinen Beratungsbereich. Im Zivilprozessverfahren<br />
soll die Neuregelung durch die unterschiedliche<br />
Gewichtung der Gebühren zu mehr Gebührengerechtigkeit<br />
führen. Im rechtsverfolgenden Bereich nach den bisherigen<br />
Vorschriften der §§ 118 soll der Rahmen zwar beibehalten<br />
jedoch sehr viel weiter und flexibler gestaltet sein. Die<br />
Gebührenordnung soll unter Beibehaltung der bisherigen<br />
Prinzipien insgesamt anpassungsfähiger sein und dem<br />
Anwalt mehr Gestaltungsmöglichkeiten als bisher geben.<br />
Sie soll zudem die bisherige teilweise Zersplitterung beseitigen,<br />
also vereinfachen und damit streitvermeidend wirken.<br />
Bisher hat sich an den Vorschlägen kaum Kritik entzündet.<br />
Von Bedeutung sind allerdings die Bedenken der<br />
Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern, die die<br />
Freigabe der Gebührenbemessung bei der Ratsgebühr für<br />
bislang nicht akzeptabel halten. Sie befürchten, dass dies<br />
zur Rechtsunsicherheit und zu sehr viel Streit um die angemessene<br />
Gebühr führen wird. Der Ausschuss teilt diese<br />
Bedenken nicht. Ohnehin sind Anwälte heute mehr als früher<br />
gehalten, rechtzeitig für Gebührenklarheit zu sorgen.<br />
Die Strukturvorschläge unterstützen dies.<br />
Alle übrigen Bestimmungen sind bisher, soweit ersichtlich,<br />
nicht auf substantielle Kritik gestoßen. Der Vorstand des DAV<br />
wird deswegen auf der Grundlage der Strukturvorschläge<br />
weiter argumentieren und im Gespräch mit dem Bundesjustizministerium<br />
versuchen, die Vorschläge umzusetzen.<br />
Die Gebührenstruktur -<br />
vorschläge des DAV<br />
Gebühren in Strafsachen und in<br />
Bußgeldsachen<br />
Rechtsanwalt und Notar Dietrich Herrmann, Berlin<br />
Der Gebührensstrukturausschuss des Deutschen Anwaltvereins<br />
hat auch die Gebühren des 6. Abschnitts der BRAGO beraten und<br />
ist dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen:<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
1.<br />
Die bisherige Regelung der Gebühren in Strafsachen enthält<br />
viele Lücken und inzwischen überholte Regelungen. Deshalb ist<br />
hier die Struktur weitgehend verändert.<br />
2.<br />
Schon die bisherige Regelung der Wahlverteidigergebühr in der<br />
1. Instanz ist in sich nicht stimmig. In § 83 BRAGO sind die Gebühren<br />
für die Vertretung vor Gericht in erster Instanz enthalten, während die<br />
Gebühren für das davor liegende vorbereitende Verfahren erst in § 84<br />
BRAGO auftauchen. Dies soll durch den Entwurf geändert werden.<br />
3.<br />
In § 83 BRAGO-E taucht ein neuer Begriff auf, für Wahlverteidiger<br />
soll es eine Grundgebühr geben. Diese soll unabhängig davon<br />
entstehen, wann der Wahlverteidiger beauftragt worden ist. Die<br />
Grundgebühr soll in jedem Verfahren nur einmal entstehen, unabhängig<br />
von der Anzahl der Instanzen. Die Gebühr beträgt 60 bis<br />
650 DM. Die Grundgebühr soll den Arbeitsaufwand entgelten, der<br />
mit der Übernahme des Mandats anfällt, z. B. für das erste<br />
Gespräch und die Informationserteilung, die Meldung bei der Ermittlungsbehörde<br />
oder dem Gericht, die Mandatsbestätigung und<br />
gegebenenfalls die Information des Rechtsschutzversicherers und<br />
die Beantragung des Rechtsschutzes. Diese Tätigkeit war bisher<br />
durch die Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO im Ermittlungsverfahren<br />
nicht ausreichend abgegolten.<br />
4.<br />
In § 84 Abs. 1 BRAGO-E soll das vorbereitende Verfahren<br />
geregelt werden. Gemeint ist das Verfahren bis zum Eingang der<br />
Anklageschrift oder des Antrages auf Erlass des Strafbefehls bei<br />
Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der<br />
Anklage in der Hauptverhandlung, wenn diese nur mündlich erhoben<br />
wurde. Der Gebührenrahmen beträgt 50 bis 650 DM.<br />
5.<br />
Mit dieser Regelung sollen zwei Streitfragen entschieden werden,<br />
nämlich die bisher oft streitige Frage, wann das vorbereitende<br />
Verfahren endet (Erhebung der Anklage und Eingang des Strafbefehlsantrages<br />
bei Gericht) und die Tätigkeit im beschleunigten<br />
Verfahren vor der Verlesung der Anklageschrift. Letztere Tätigkeit<br />
war bisher im Gesetz überhaupt nicht aufgeführt.<br />
6.<br />
In § 84 Abs. 2 BRAGO-E ist zusätzlich neu geregelt, dass die<br />
Teilnahme an polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen<br />
Vernehmungen sowie an Haftbefehlsverkündungen und an<br />
Haftprüfungsterminen jeweils gesondert vergütet wird. Die Gebühr<br />
des Abs. 1 soll für jede Teilnahme an einem Vernehmungstag und<br />
für jeden Hafttermin entstehen.<br />
Bisher war diese Tätigkeit in § 84 BRAGO enthalten, unabhängig<br />
von der Anzahl der Vernehmungen und Hafttermine.<br />
Die Bedeutung der Verteidigertätigkeit im Ermittlungsverfahren<br />
nimmt ständig zu. Dem soll die erweiterte Vergütung Rechnung tragen.<br />
7.<br />
Es entfällt für das vorbereitende Verfahren die bisherige Verweisung<br />
auf § 83 BRAGO mit seinen drei Alternativen in § 84<br />
Abs. 1 BRAGO. Die Grundgebühr aus § 83 BRAGO-E und die<br />
einheitliche Gebühr aus § 84 BRAGO-E, die zusätzlich entsteht,<br />
gleicht die unterschiedliche alte Regelung aus. Jetzt können aus<br />
beiden Vorschriften 100 bis 1.300 DM entstehen gegenüber früher<br />
50 DM (als Mindestgebühr beim Amtsgericht) bis 1.270 DM (als<br />
Höchstgebühr in einer Schwurgerichtssache).<br />
8.<br />
Die Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO-E soll erneut in den Verfahren<br />
entstehen, in denen der Verteidiger im gerichtlichen Verfahren nur<br />
außerhalb der Hauptverhandlung tätig ist und in einem Verfahren, in<br />
dem keine Hauptverhandlung stattfindet (§ 84 Abs. 3 BRAGO-E).<br />
* Vortrag auf dem 51. Deutschen Anwaltstag 2000 in Berlin am 3.6.2000, in der<br />
Veranstaltung des DAV-Ausschusses Gebührenrecht/Gebührenstruktur.<br />
Der Autor ist Mitglied im Ausschuss Gebührenrecht/Gebührenstruktur des DAV.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 725<br />
Aufsätze l<br />
9.<br />
In § 84 Abs. 4 BRAO-E wird die Tätigkeit des Wahlverteidigers<br />
oder des Nebenklägervertreters in Verfahren über den Täter-<br />
Opfer-Ausgleich geregelt. Auch hier soll die Gebühr des Abs. 1<br />
neu entstehen.<br />
Die Tätigkeit des Verteidigers und des Nebenklägervertreters<br />
spielt sich häufig im vorbereitenden Verfahren, aber nicht nur in<br />
diesem ab. Besonders häufig findet dieses Verfahren im Jugendrecht<br />
Anwendung. Es handelt sich dabei besonders oft um eine<br />
zeitaufwendige Tätigkeit, z. B. im Rahmen von Stellungsauflagen<br />
nach § 153a StPO. Bisher wurde diese Tätigkeit ebenfalls mit der<br />
Gebühr nach § 84 BRAGO völlig unzureichend vergütet.<br />
10.<br />
In § 85 Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren des Wahlverteidigers<br />
für die Tätigkeit vor Gericht enthalten. Im Abs.1 sind in drei<br />
Ziffern drei verschiedene Gerichtszuständigkeiten wie bisher aufgeführt,<br />
die geringer als bisher erscheinen, nämlich 90 bis 1.270<br />
DM in Verfahren vor dem Oberlandesgericht, dem Schwurgericht<br />
und bei Spezialzuständigkeiten der Strafkammern nach § 74a<br />
GVG, sowie bei der Jugendkammer mit Schwurgerichtszuständigkeit,<br />
ferner mit 60 bis 760 DM in Verfahren vor der Strafkammer<br />
des Landgerichts und vor der Jugendkammer, soweit nicht die Zuständigkeit<br />
nach Ziffer 1 vorliegt und mit 50 bis 650 DM schließlich<br />
in Verfahren vor dem Amtsgericht.<br />
Zusammen mit der Grundgebühr von 50 bis 650 DM können<br />
jetzt Gebühren von 140 bis 1.920 DM bei Verfahren nach Ziffer 1,<br />
110 bis 1.400 DM bei Verfahren nach Ziffer 2 und von 100 bis<br />
1.300 DM bei Verfahren nach Ziffer 3 entstehen.<br />
Bisher betrugen die Gebühren nach Ziffer 1 170 bis 2.540 DM,<br />
nach Ziffer 2 <strong>12</strong>0 bis 1.520 DM und bei Verfahren nach Ziffer 3<br />
100 bis 1.300 DM.<br />
Bedenkt man, dass nach der neuen Regelung höhere Gebühren<br />
im vorbereitenden Verfahren über § 84 BRAGO-E entstehen können<br />
und dass die Gebühren für die Vertretung im amtsgerichtlichen<br />
Verfahren unverändert sind, dürfte insgesamt keine Verminderung<br />
der Gebühren eintreten.<br />
11.<br />
In § 85 Abs. 1 Nr. l BRAGO-E sind nicht nur die Gebühren für<br />
die Vertretung vor dem Oberlandesgericht, dem Schwurgericht, der<br />
Staatsschutzkammer und der Jugendstrafkammer mit Schwurgerichtszuständigkeit,<br />
sondern auch die Verfahren nach § 74c<br />
GVG, d. h. in Wirtschaftsstrafsachen aufgenommen. Verfahren vor<br />
der Wirtschaftsstrafkammer sind grundsätzlich besonders schwierig,<br />
häufig auch besonders umfangreich, weshalb das GVG auch<br />
eine spezielle Zuständigkeitsreglung enthält. Deshalb muss dies<br />
auch zu höheren Gebühren für Wahlverteidiger führen.<br />
<strong>12</strong>.<br />
Bisher nicht im Gesetz geregelt, aber dringend erforderlich, ist<br />
eine Gebührenvorschrift für die Wahrnehmung kommissarischer<br />
Vernehmungen. Derartige Vernehmungen finden gerade nicht in<br />
der Hauptverhandlung statt, deshalb war bisher § 83 BRAGO nicht<br />
anwendbar. Die erhebliche Mehrarbeit ist deshalb zur Zeit nur über<br />
eine Honorarvereinbarung möglich, die aber bei Pflichtverteidigungen<br />
und bei der Erstattung notwendiger Auslagen aus der Landeskasse<br />
nicht möglich sind.<br />
Deshalb soll § 85 Abs. 32 BRAGO-E jetzt für die Teilnahme an<br />
kommissarischen Vernehmungen die Gebühr nach Abs. 1 entstehen<br />
lassen, bei Ortsabwesenheit jeweils für jeden Tag der Ortsabwesenheit.<br />
13.<br />
§ 85 Abs. 3 BRAGO-E regelt eine lange vernachlässigte<br />
Gebührenfrage. Die Zahl der Verfahren, in denen nicht nur ein<br />
Hauptverhandlungstermin stattfindet, nimmt zu. Die Gebühren für<br />
die Fortsetzungstage sind bisher geringer als für den 1. Hauptverhandlungstag,<br />
obwohl Fortsetzungstermine viel Arbeit machen, oft<br />
auch ein erhöhter Arbeitsanfall entsteht durch die Vorbereitung von<br />
Beweisanträgen oder durch Gespräche mit Mandanten oder anderen<br />
Verfahrensbeteiligten.<br />
Deshalb sollen die Gebühren jetzt in den Fällen der Ziffer 1<br />
180 bis 1.780 DM statt wie bisher 170 bis 1.270 DM, in den Fällen<br />
der Ziffer 2 <strong>12</strong>0 bis 1.070 DM statt wie bisher <strong>12</strong>0 bis 760 DM<br />
und In den Fällen der Ziffer 3 100 bis 910 statt wie bisher 100 bis<br />
760 DM betragen.<br />
14.<br />
In § 85 Abs. 2 BRAGO-E ist ein weiterer Streitpunkt aus der<br />
Welt geschafft und damit der Anlass für eine umfangreiche Rechtsprechung<br />
beseitigt. Es kommt nicht mehr wie bisher auf eine<br />
Sachverhandlung an, in der der Wahlverteidiger tätig werden muss,<br />
vielmehr genügt die Teilnahme oder sogar das Erscheinen zu einem<br />
Hauptverhandlungstermin, der nicht stattfindet. Gemeint sind die<br />
Fälle der sofortigen Vertagung bei nicht erschienenem Angeklagten<br />
oder Zeugen, aber auch in den bisher überhaupt nicht geregelten<br />
Fällen, in denen die Gerichtsbesetzung nicht komplett ist, weil z. B.<br />
ein Schöffe nicht erscheint. In allen Fällen ist der Verteidiger vorbereitet.<br />
Es ist nicht einzusehen, dass dies kostenlos geschehen<br />
soll. Die Rechtsprechung, die für den folgenden Verhandlungstag<br />
eine erhöhte Gebühr zubilligt, entfällt. Sie konnte die Fälle der<br />
Kündigung des Mandats oder des Todes des Mandanten ohnehin<br />
nicht treffen.<br />
15.<br />
In § 86 Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren für die Wahlverteidigung<br />
in der Berufungsinstanz mit 80 bis 920 DM geregelt.<br />
Diese betrugen bisher <strong>12</strong>0 bis 1.520 DM.<br />
16.<br />
Nach § 86 Abs. 2 BRAGO-E erhält der Wahlverteidiger in der<br />
Berufungsinstanz für jeden Kalendertag, an dem er an der Hauptverhandlung<br />
teilnimmt, oder zu einem anberaumten Hauptverhandlungstermin,<br />
der nicht stattfindet, erscheint, sowie in den Fäll en<br />
des § 84 Abs. 2 BRAGO-E neben der Gebühr des Abs. 1 240 bis<br />
2.140 DM.<br />
17.<br />
§ 86 Abs. 3 BRAGO-E regelt die Gebühren für die Vertretung<br />
in der Berufungsinstanz durch den Wahlverteidiger außerhalb der<br />
Hauptverhandlung wie bisher in Höhe der Hälfte der Gebühren des<br />
Abs. 1.<br />
18.<br />
In § 87Abs. 1 BRAGO-E sind die Gebühren des Wahlverteidigers<br />
in der Revisionsinstanz mit 160 bis 1.980 DM geregelt.<br />
Diese betrugen bisher 170 bis 2.540 DM beim Bundesgerichtshof,<br />
520 DM beim Oberlandesgericht. Diese Unterscheidung soll in<br />
Zukunft entfallen, da Revisionen beim Oberlandesgericht nicht einfacher<br />
sind als beim Bundesgerichtshof.<br />
19.<br />
Für die Fortsetzungslage in der Revisionsinstanz bestimmt § 87<br />
Abs. 2 BRAGO-E die Gebühren in der Höhe von 240 bis 2.140<br />
DM. Auch hier entsteht die Gebühr für jeden Kalendertag, an dem<br />
der Rechtsanwalt an der Hauptverhandlung teilnimmt, oder zu<br />
einem Termin, der nicht stattfindet, erscheint, analog §§ 85 Abs. 2<br />
und 86 Abs. 2 BRAGO-E.<br />
20.<br />
In § 87 Abs. 3 BRAGO-E Ist die Gebühr für die Vertretung<br />
außerhalb der Hauptverhandlung in der Revisionsinstanz durch den<br />
Wahlverteidiger in Höhe der Hälfte der Gebühr des Abs. 1 geregelt.<br />
Dies entspricht dem bisherigen Gesetz.<br />
21.<br />
In § 87a Abs. 1 BRAGO-E ist die bisherige Regelung des § 84<br />
Abs. 2 BRAGO für alle Instanzen einheitlich übernommen. Die<br />
Mindest- und die Höchstgebühr verdoppeln sich in den Fällen der<br />
§§ 84 Abs. 1, 86 Abs. 3 und 87 Abs. 3 BRAGO-E, wenn,<br />
1. das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, oder<br />
2. das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen,<br />
oder
726<br />
l<br />
3. das Verfahren durch einen Strafbefehl beendet wird, oder<br />
4. sich das gerichtliche Verfahren durch die Rücknahme des<br />
Einspruchs gegen den Strafbefehl, der Berufung oder der Revision<br />
des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten erledigt;<br />
ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, erhält der<br />
Rechtsanwalt die Gebühr nach Satz 1 nur, wenn die Rücknahme<br />
des Einspruchs, der Berufung oder der Revision früher als zwei<br />
Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung<br />
vorgesehen war, bei Gericht eingegangen ist.<br />
22.<br />
In § 87a BRAGO-E ist jetzt für alle Fälle, in denen sich die<br />
Gebühr verdoppelt, geregelt, dass Abs. 1 Satz 1 nicht gilt, Verfahrens<br />
nicht gilt, wenn ein Beitrag des Rechtsanwalts zur Förderung<br />
des Verfahren nicht ersichtlich ist.<br />
23.<br />
In § 87b BRAGO-E findet sich die bisherige Regelung der<br />
§§ 83 Abs. 3; 84 Abs. 1, 2. Halbsatz; 85 Abs. 4 und 86 Abs. 4<br />
BRAGO. Es erhöhen sich die jeweiligen Höchstbeträge um 25 vom<br />
Hundert, wenn der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß ist. Die bisherige<br />
Kann Vorschrift wird zur gesetzlichen Regel.<br />
24.<br />
§ 87b BRAGO-E regelt, dass die Dauer des Freiheitsentzuges<br />
bei der Bestimmung der Gebühr nach § <strong>12</strong> Abs. 1 BRAGO zu berücksichtigen<br />
ist.<br />
25.<br />
§ 88 BRAGO-E enthält die Gebühr für eine Tätigkeit bei der<br />
Einziehung und verwandten Maßnahmen. Der Rechtsanwalt erhält<br />
für die Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung,<br />
den Verfall, die Vernichtung, die Unbrauchbarmachung, die<br />
Abführung des Mehrerlöses oder auf eine zu diesen Zwecken dienende<br />
Beschlagnahme bezieht, für das Verfahren erster Instanz einschließlich<br />
des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren<br />
Rechtszug zusätzlich eine nach dem Gegenstandswert zu bemessende<br />
volle Gebühr aus § 11 BRAGO.<br />
Bisher war nach § 88 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nur der<br />
Gegenstandswert bei den Umständen des § <strong>12</strong> BRAGO angemessen<br />
zu berücksichtigen, wobei dies für das ganze Verfahren, nicht<br />
für jeweils einzelne Instanzen galt. Reichte der Rahmen nicht aus,<br />
um die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts angemessen zu entgelten,<br />
so konnte der Gebührenrahmen bis zu einer vollen Gebühr<br />
überschritten werden; in der Rechtsmittelinstanz zwar keine weitere<br />
Erhöhung z. B. um drei Zehntel vorgesehen.<br />
26.<br />
Nach § 88 Abs. 2 BRAGO-E erhöht sich der Gebührenrahmen<br />
um fünfundzwanzig vom Hundert, wenn der Rechtsanwalt eine<br />
Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt, die sich auf ein Fahrverbot<br />
oder die Entziehung der Fahrerlaubnis erstreckt in den Fällen der<br />
§ 84 Abs. 1; 85 Abs. 1: 86 Abs. 1 und 87 Abs. 1 BRAGO-E.<br />
§ 88 Satz 3 BRAGO enthielt bisher nur die Möglichkeit der Erhöhung<br />
um fünfundzwanzig vom Hundert Auch hier soll die Kann-<br />
Vorschrift zu gesetzlichen Regel werden.<br />
Dies ist wegen der steigenden Bedeutung von Verfahren, in denen<br />
es um den Führerschein des Beschuldigten geht, gerechtfertigt.<br />
27.<br />
Die Vertretung des Verletzten oder seines Erben im Strafverfahren,<br />
der einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen<br />
Anspruch geltend macht, regelt § 89 BRAGO-E. Neben den Gebühren<br />
eines Verteidigers erhält der Rechtsanwalt an Stelle der in<br />
§ 31 BRAGO bestimmten Gebühren im ersten Rechtszug zwanzig<br />
Zehntel der vollen Gebühr, im Berufungs- und Revisionsverfahren<br />
fünfundzwanzig Zehntel der vollen Gebühr aus § 11. Wird der Anspruch<br />
in der Berufungsinstanz erstmals geltend gemacht, so erhöht<br />
sich die Gebühr nicht.<br />
Dies deckt sich mit der bisherigen Regelung in § 89 BRAGO.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
28.<br />
Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf die Geltendmachung<br />
oder Abwehr eines aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen<br />
Anspruchs im Strafverfahren, so erhält er nur<br />
die in Abs. 1 bestimmte Gebühr (§ 89 Abs. 2 BRAGO-E).<br />
Dies entspricht der bisherigen Regelung in § 89 Abs. 3 BRAGO.<br />
29.<br />
Wird der Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter wegen desselben<br />
Anspruchs im bürgerlichen Rechtsstreit tätig, werden nach<br />
§ 89 Abs. 3 BRAGO-E die Gebühren für die erste Instanz des<br />
Strafverfahrens nach Abs. 1 oder 2 zur Hälfte auf die im bürgerlichen<br />
Rechtsstreit anfallenden Gebühren der ersten Instanz angerechnet.<br />
Die Anrechnung unterbleibt, soweit der Rechtsanwalt<br />
durch die Anrechnung weniger als die Hälfte der ihm im bürgerlichen<br />
Rechtsstreit zustehenden Gebühren erhalten würde.<br />
Bisher regelte § 89 Abs. 2 BRAGO die Anrechnung in Höhe<br />
von zwei Dritteln.<br />
30.<br />
Daneben regelt § 89 Abs. 4 BRAGO-E, dass die Gebühr für die<br />
Mitwirkung beim Abschluss eines Verfahrens nach § 23 BRAGO<br />
unberührt bleibt.<br />
Dies ist bisher in § 89 Abs. 4 BRAGO ebenso geregelt.<br />
31.<br />
§ 90 BRAGO-E regelt die Pauschgebühren. Durch die Gebühren<br />
der §§ 83 bis 89 BRAGO-E wird die gesamte Tätigkeit des<br />
Rechtsanwalts als Verteidiger abgegolten. Hierzu gehört auch die<br />
Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges.<br />
Die Verteidigung nach Einlegung dieses Rechtsmittels und<br />
die Begründung gehören zum nächsten Rechtszug. Die Einlegung<br />
eines Rechtsmittels durch einen Verteidiger gehört zum nächsten<br />
Rechtszug.<br />
Die bisherige Regelung in § 87 BRAGO wird hierdurch neu<br />
und besser gefasst.<br />
32.<br />
In § 91 Abs.1 BRAGO-E sind unter vier einzelnen Ziffern die<br />
Gebühren für die Tätigkeit in einzelnen Phasen des Wiederaufnahmeverfahrens<br />
aufgenommen.<br />
Der Rechtsanwalt erhält als Verteidiger<br />
1. für die Vorbereitung eines Antrages aus Wiederaufnahme<br />
des Verfahrens,<br />
2. für das Verfahren betreffend die Zulässigkeit des Antrages,<br />
3. für das Verfahren betreffend die Prüfung der Begründetheit<br />
des Antrages sowie<br />
4. für das Beschwerdeverfahren jeweils Gebühren in Anwendung<br />
des § 85. Rät der Rechtsanwalt von der Stellung eines Antrages<br />
auf Wiederaufnahme ab, erhält er die Gebühren in entsprechender<br />
Anwendung des § 85 Abs. 1.<br />
Bisher entsteht im Wiederaufnahmeverfahren nur eine Gebühr<br />
nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der auf § 83 Abs. 1 verweist.<br />
Die Vermehrung der Gebührentatbestände ist längst gerechtfertigt.<br />
Wiederaufnahmeverfahren machen ganz besonders viel Arbeit,<br />
für die es bisher nur eine sehr geringe Gebühr gab. Die Gebühr<br />
in Ziffer 1 entspricht der Grundgebühr in § 83 BRAGO-E.<br />
33.<br />
Die Abrategebühr entsteht nach § 91 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E<br />
in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 1.<br />
Dies gilt auch schon bisher nach § 90 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.<br />
34.<br />
In § 91 Abs. 2 RRAGO-E erfolgt der Hinweis auf die Anwendung<br />
der Vorschrift des § 87a BRAGO-E bei inhaftierten Mandanten,<br />
bei denen sich der Gebührenrahmen um fünfundzwanzig vom<br />
Hundert erhöht.<br />
Bisher war § 83 Abs. 3 BRAGO als Kannvorschrift entsprechend<br />
anzuwenden.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 727<br />
Aufsätze l<br />
35.<br />
Unverändert zur geltenden gesetzlichen Regelung in § 90 Abs. 2<br />
BRAGO schreibt § 91 Abs. 2 BRAGO-E jetzt vor, dass sich der<br />
Gebührenrahmen nach der Ordnung des Gerichts bestimmt, das im<br />
ersten Rechtszug entscheiden hat.<br />
36.<br />
Das Rehabilitierungsverfahren nach Abschnitt 2 des strafrechtlichen<br />
Rehabilitierungsgesetzes regelt zunächst in § 92 Abs. 1 Satz<br />
1 BRAGO-E die Grundgebühr aus § 83 BRAGO-E.<br />
37.<br />
Im ersten Rechtszug entsteht über § 92 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-<br />
E die Gebühr des § 85 Abs. Satz 2 BRAGO-E. Im übrigen gilt<br />
§ 85 entsprechend.<br />
Das gilt entsprechend schon bisher in § 96b BRAGO.<br />
38.<br />
Findet eine mündliche Verhandlung nicht statt, gilt § 84 Abs. 5<br />
in Verbindung mit § 92 Abs. 1 BRAGO-E.<br />
Bisher war § 84 Abs. 1 BRAGO entsprechend anwendbar.<br />
39.<br />
Im Beschwerdeverfahren (§ 13 des strafrechtlichen<br />
Rehabilitierungsgesetzes) erhält der Rechtsanwalt die Gebühr des<br />
§ 86 Abs. 1; im übrigen gilt § 8 entsprechend (§ 92 Abs. 1 Satz 3<br />
BRAGO). Auch dies ist bisher schon in § 96b Abs. 2 BRAGO geregelt.<br />
40.<br />
Neu geregelt ist in § 92 Abs. 2 BRAGO-E, dass der Rechtsanwalt<br />
in Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
oder über die Beschwerde gegen eine den Rechtszug beendende<br />
Entscheidung (§ 25 Abs. 1 Satz 3 bis 5; § 13 des strafrechtlichen<br />
Rehabilitierungsgesetzes) an Stelle der in § 31 bestimmten Gebühren<br />
fünfzehn Zehntel einer vollen Gebühr (§ 11) enthält.<br />
41.<br />
In § 93 Abs. 4 BRAGO-E ist die Gebühr für die Tätigkeit des<br />
Beistandes oder Vertreters in einem Sühneversuch nach § 380 der<br />
Strafprozessordnung wie bisher in § 94 Abs. 5 BRAGO mit 30 bis<br />
250 DM geregelt. Kommt es unter Mitwirkung der genannten Person<br />
zu einer Einigung der Beteiligten, so entsteht eine weitere Gebühr<br />
in dieser Höhe.<br />
Auch hier soll wie bei der Umstellung im vorbereitendem Verfahren<br />
und der Hauptverhandlung erster Instanz, die Umstellung<br />
der Gebührenvorschriften in der Reihenfolge des Verfahrens nach<br />
der Strafprozessordnung stattfinden.<br />
42.<br />
Für die Tätigkeit des Beistandes oder Vertreters eines Privatklägers<br />
gelten nach Abs. 1 BRAGO-E die §§ 83 bis 91 entsprechend.<br />
Die Vorbereitung der Privatklage steht der Tätigkeit im vorbereitenden<br />
Verfahren gleich.<br />
Diese Regelung entspricht dem geltenden Recht in 94 BRAGO,<br />
wobei der Hinweis auf das vorbereitende Verfahren lediglich zur<br />
Klarstellung neu aufgenommen worden ist.<br />
43.<br />
Unverändert regelt § 92 Abs. 2 BRAGO-E1, dann durch die<br />
Widerklage keine Gebührenerhöhung eintritt, ebenso wie in § 94<br />
Abs. 2 BRAGO.<br />
44.<br />
Auch die Gebühr von 30 bis 250 DM für den Abschluss eines<br />
Vergleichs, die neben der Gebühr nach § 23 entsteht, ist in § 93<br />
Abs. 3 BRAGO-E ebenso geregelt wie in § 94 Abs. 4 BRAGO.<br />
45.<br />
Früher entstand eine Gebühr nach § 94 Abs. 4 BRAGO, in<br />
Höhe von 50 bis 640 DM, falls die Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />
sich auf die Anfertigung oder Unterzeichnung der Privatklage beschränkt.<br />
Wurde dem Rechtsanwalt die Vertretung des Privatklägers<br />
übertragen, so wurde die Gebühr aus Satz 1 auf die Gebühren<br />
angerechnet, die ihm als Vertreter des Privatklägers zustehen.<br />
Diese Regelung war überflüssig. Bezog sich die Tätigkeit des<br />
Rechtsanwalts nur auf die Unterzeichnung oder Anfertigung der<br />
Privatklage so kann dies über § 91 BRAGO abgerechnet werden.<br />
Jetzt ist dies als Einzeltätigkeit in § 95 Abs.1 Nr. 2 BRAGO-E geregelt<br />
in gleicher Höhe wie bisher.<br />
46.<br />
§ 94 BRAGO-E enthält die Gebühren für die Tätigkeit als Beistand<br />
oder Vertreter eines Nebenklägers, eines Einziehungs- oder<br />
Nebenbeteiligten sowie eines Verletzten. Hier wird jetzt auf die<br />
Vorschriften der §§ 83 his 91 hingewiesen, ebenso wie in § 95<br />
Satz 1 BRAGO auf 83 bis 93.<br />
47.<br />
Die frühere Regelung in § 95 Satz 2 BRAGO, die für den Vertreter<br />
oder den Beistand des Verletzten die Hälfte der Gebühren<br />
des Satzes 1 vorsah, soll wegfallen. Ein Grund für die verminderte<br />
Gebühr in diesem Fall ist nicht ersichtlich.<br />
48.<br />
Für die Einzeltätigkeit des Rechtsanwalts, dem die Verteidigung<br />
oder Vertretung nicht übertragen worden ist, sind in § 95 Abs. 1<br />
BRAGO-E drei Alternativen genannt.<br />
49.<br />
In Nr.1 ist die Einlegung eines Rechtsmittels, die Anfertigung<br />
oder Unterzeichnung anderer Anträge, Gesuche oder Erklärungen<br />
oder eine andere nicht in den Nummern 2 oder 3 erwähnte Beistandsleistung<br />
enthalten. Hierfür ist eine Gebühr von 50 bis 340<br />
DM vorgesehen gegenüber der jetzigen Regelung ist die Mindestgebühr<br />
um 20 DM angehoben.<br />
50.<br />
In Nr. 2 ist die Anfertigung oder Unterzeichnung einer Privatklage,<br />
einer Schrift zur Rechtfertigung der Berufung oder zur Beantwortung<br />
der von der Staatsanwaltschaft, dem Privat- oder Nebenkläger<br />
eingelegten Berufung oder die Führung des Verkehrs mit dem Verteidiger,<br />
die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer staatsanwaltschaftlichen<br />
oder richterlichen Vernehmung oder einer mündlichen<br />
Verhandlung oder einer Augenscheinseinnahme außerhalb der<br />
Hauptverhandlung oder bei einer Beistandsleistung im Verfahren zur<br />
gerichtlichen Erzwingung der Anklage (§§ 172 Abs. 2 bis 4, 173<br />
der Strafprozessordnung) aufgeführt. Hier Ist eine Gebühr von 80<br />
bis 640 DM vorgesehen, gegenüber der jetzigen Regelung ist die<br />
Mindestgebühr um 30 DM angehoben. Neu aufgenommen ist in die<br />
Gebühr nach § 95 Nr. 2 für die Anfertigung oder Unterzeichnung<br />
einer Privatklage, die aus der geltenden Vorschrift des § 94 Abs. 4<br />
BRAGO aus systematischen Gründen zu den Vorschriften über eine<br />
Einzeltätigkeit gerechnet wird. Ansonsten soll sich nichts ändern.<br />
51.<br />
In § 95 Nr. 3 ist die Gebühr für die Unterzeichnung einer<br />
Schrift zur Begründung der Revision oder zur Erklärung auf die<br />
von der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger oder der Nebenklage<br />
eingelegte Revision sowie in den Verfahren nach § 57a StGB und<br />
§ 67a StGB genannt. Hier beträgt die Gebühr 160 bis 1.010 DM.<br />
Die Mindestgebühr ist um 90 DM erhöht. Neu aufgenommen<br />
ist die Tätigkeit in § 57a StGB (Aussetzung des Strafrestes zur<br />
Bewährung bei lebenslangen Freiheitsstrafen) und § 67a StGB<br />
(Überprüfungen der weiteren Vollstreckung im Unterbringungsverfahren).<br />
52.<br />
In § 95 Abs. 2 BRAGO-E ist die frühere Regelung aus § 92<br />
Abs. 1 BRAGO wortgleich übernommen. Mit der Gebühr für die<br />
Rechtfertigung der Berufung oder der Begründung der Revision ist<br />
die Gebühr für die Einlegung des Rechtsmittels entgolten.<br />
Hier handelt es sich eigentlich um eine überflüssige Regelung.<br />
Ein Rechtsanwalt, dem die Verteidigung in der Berufung oder Revi-
728<br />
l<br />
sionsinstanz übertragen worden ist, erhält keine Gebühr aus § 95<br />
BRAGO-E, sondern die Gebühr aus §§ 86 oder 87 BRAGO-E. Die<br />
Einlegung des Rechtsmittels und die anschließende Begründung, die<br />
im Berufungsverfahren gar nicht üblich, im Revisionsverfahren aber<br />
gesetzlich vorgeschrieben ist, ist eigentlich als Einzeltätigkeit nach<br />
§ 95 BRAGO-E zu vergüten, nur gibt es diese Tätigkeit tatsächlich<br />
nicht, zumindest nicht in der Revisionsinstanz. Wer die Revision begründet,<br />
vertritt in aller Regel im weiteren Verfahren, insbesondere<br />
in einer mündlichen Revisionshauptverhandlung zu den Gebühren<br />
des § 87 BRAGO-E. Die Gebühr nach § 95 BRAGO-E fällt gar<br />
nicht an.<br />
53.<br />
In § 95 Abs. 3 BRAGO-E ist eine Ergänzung des Wortlauts das<br />
§ 92 BRAGO übernommen. Der Rechtsanwalt erhält mit der<br />
Beschränkung des § 13 für jede der in § 95 Abs. 1 BRAGO-E<br />
bezeichneten Tätigkeiten eine gesonderte Gebühr. Wird die Verteidigung<br />
oder die Vertretung für das Verfahren übertragen, so werden<br />
die Gebühren auf die dem Rechtsanwalt als Verteidiger oder<br />
Vertreter zustehenden Gebühren angerechnet.<br />
Ergänzend aufgenommen wurde als Satz 2 des Abs. 3 der Hinweis,<br />
dass das Beschwerdeverfahren als besondere Angelegenheit<br />
gilt. Dies entspricht der bisherigen Kommentierung und dient der<br />
Vereinfachung.<br />
54.<br />
Neu im Gesetz soll geregelt werden die Vergütung für Strafsachen<br />
besonderen Umfangs. Eine derartige Regelung gilt bisher<br />
nur für Pflichtverteidiger In § 99 BRAGO. Jetzt heißt es für Wahlverteidiger<br />
in § 96 BRAGO-E, dass sich in Strafsachen, die insgesamt<br />
oder in Teilen besonders umfangreich oder schwierig sind,<br />
die Höchstbeträge der §§ 83 bis 87b, 93 und 95 für das ganze Verfahren<br />
oder für einzelne Teile bis auf das Doppelte erhöhen. Die<br />
Gebühren für die Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten,<br />
Wiederaufnahme- und Rehabilitationsverfahren sind von<br />
der Erhöhung ausgenommnen. Diese Regelung soll in Umfangsverfahren<br />
u. a. die Erstattungsmöglichkeiten aus der Staatskasse verbessern,<br />
die bisher keine vereinbarten Honorare oberhalb der<br />
gesetzlichen Gebühren erstattet. Eine Ausnahmeregelung für Wahlverteidigergebühren<br />
analog der Vorschrift des § 99 BRAGO ist bisher<br />
nicht möglich.<br />
55.<br />
In § 97 BRAGO E ist die Gebühr für die Vertretung in einer<br />
Gnadenangelegenheit geregelt. Hier erhält der Rechtsanwalt wie<br />
bisher nach § 93 BRAGO 40 bis 500 DM auch dann, wenn ihm die<br />
Verteidigung übertragen war.<br />
56.<br />
In § 98 BRAGO-E wird neu geregelt, dass der Rechtsanwalt<br />
für die Kostenerstattungsanträge Gebühren in Höhe einer Gebühr<br />
nach § 32 BRAGO erhalten soll. Die Anfertigung der Kosterstattungsanträge,<br />
sei es bei Freisprüchen oder gegen Nebenkläger<br />
macht viel Arbeit, die der Verteidiger nicht kostenlos erbringen<br />
sollte. Offen ist bisher die Frage, ob diese Gebühr auch zu erstatten<br />
ist, was befürwortet wird.<br />
57.<br />
§ 98 Abs. (1) 2 BRAGO-E gibt dem Rechtsanwalt besondere<br />
Gebühren für:<br />
1. das Verfahren über die Erinnerung gegen einen<br />
Kostenfestsetzungsbeschluß (§ 64b der Strafprozessordnung) oder<br />
den Kostenansatz und im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung<br />
über diese Erinnerung.<br />
2. In der Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen, die über<br />
einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch<br />
oder die Erstattung von Kosten ergangen sind. (§§ 406b,<br />
464b der Strafprozessordnung), für die Mitwirkung bei der Ausübung<br />
der Veröffentlichungsbefugnis und im Beschwerdeverfahren<br />
gegen eine dieser Entscheidungen.<br />
Nach § 98 Abs. 2 BRAGO-E richten sich diese Gebühren nach<br />
den Vorschritten des Dritten Abschnitts.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
Alle Regelungen in § 98 BRAGO-E entsprechen den Vorschriften<br />
in § 96 BRAGO.<br />
58.<br />
In § 99 BRAGO-E ist die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs<br />
identisch wie bisher in § 96a BRAGO geregelt. Wenn der<br />
Beschuldigte den Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten als<br />
notwendige Auslagen gegen die Staatskasse an den Rechtsanwalt<br />
abtritt, so ist eine von der Staatskasse gegenüber dem Beschuldigten<br />
erklärte Aufrechnung unabhängig vom Zeitpunkt der Abtretung<br />
insoweit unwirksam, als sie den Anspruch des Rechtsanwalts vereiteln<br />
oder beeinträchtigen würde.<br />
Neu ist die Ergänzung, wonach die Abtretung in der Vollmachtsurkunde<br />
erfolgen kann (§ 99 Satz 2 BRAGO-E). Dies dient<br />
der Klarstellung, da bisher eine Abtretung in der Vollmachtsurkunde<br />
nicht ausreichte.<br />
59.<br />
In § 100 BRAGO-E sind die Gebühren des bestellten Verteidigers<br />
geregelt. Hier geht es nicht um Rahmengebühren wie sonst<br />
im 6. Abschnitt, sondern um Festgebühren in Höhe des Vierfachen<br />
der Mindestgebühren wie bisher in § 97 BRAGO. Diese Mindestgebühren<br />
entstehen in den Fällen der §§ 83 bis 87a (Grundgebühr,<br />
Vorbereitendes Verfahren, Erster Rechtszug, Berufungsverfahren,<br />
Revisionsverfahren, Vermeidung der Hauptverhandlung, Privat- und<br />
Nebenklageverfahren sowie Einzeltätigkeiten) wie bisher in § 97<br />
Abs. 1 Satz 1 BRAGO; gegenüber der bisherigen Regelung entfällt<br />
in Zukunft die Kappungsgrenze auf die Hälfte der Höchstgebühr.<br />
Dies führte bisher insbesondere für die Fortsetzungstage zu erheblichen,<br />
nicht gerechtfertigten Gebührenkürzungen. In Zukunft werden<br />
alle Hauptverhandlungstage gebührenmäßig gleich behandelt.<br />
60.<br />
Unverändert sind in § 100 Abs. 1, Satz 2 BRAGO-E die<br />
Gebühren für das Wideraufnahmeverfahren und wie in § 97 Abs. 1<br />
Satz 2 BRAGO auch die Abrategebühr nach § 91 Satz 2 BRAGO-<br />
E enthalten.<br />
61.<br />
Nach § 100 Abs. 1 Satz 3 BRAGO-E erhält der Rechtsanwalt<br />
das Fünffache der Mindestgebühren anstelle des Vierfachen gemäß<br />
§ 87b BRAGO-E, d. h. bei allen Gebührentatbeständen, die inhaftierte<br />
Mandanten betreffen, also generell auch für alle Fortsetzungstage.<br />
62.<br />
In § 100 Abs. 1 Satz 4 BRAGO-E ist geregelt, dass in Verfahren<br />
mit vermögensrechtlichem Bezug nach §§ 23, 88 Abs. 1, 92<br />
Abs. 2 § <strong>12</strong>3 BAGO anzuwenden ist, d. h. dass in diesen Fällen die<br />
Vorschriften über die Prozesskostenhilfe gelten.<br />
63.<br />
In § 100 Abs. 3 Satz 1 BRAGO-E ist wie bisher in § 97 Abs. 3<br />
BRAGO geregelt, dass der Rechtsanwalt, der im ersten Rechtszug<br />
bestellt wird, die Vergütung und die notwendigen Auslagen auch<br />
für seine Tätigkeit als Verteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung<br />
einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen<br />
Klage erhält.<br />
Zusätzlich ist jetzt zur Klarstellung auch von notwendigen Auslagen<br />
die Rede. Damit ist ein bisher vorhandener Streit in der Judikatur<br />
ausgeräumt.<br />
64.<br />
In § 100 Abs. 3 Satz 2 BRAGO-E ist zusätzlich zur Klarstellung<br />
aufgeführt, dass die Beiordnung in einem späteren Rechtszug<br />
auch für die vor der Beiordnung liegende Tätigkeit in diesem<br />
Rechtszug gilt.<br />
65.<br />
Unverändert sind in § 100 Abs. 3 BRACO-E die Auslagen geregelt,<br />
die aus der Staatskasse zu ersetzen sind. § <strong>12</strong>5 Abs. 1 Satz 1<br />
und Abs. 2 BRAGO gelten wie bisher entsprechend. Die Feststellung<br />
nach § <strong>12</strong>6 Abs. 2 kann auch für andere Auslagen als Reise-
AnwBl <strong>12</strong>/2000 729<br />
Aufsätze l<br />
kosten getroffen werden. Schließlich sind in § 100 Abs.3 Satz 3<br />
BRAGO-E ebenso wie bisher in § 97 Abs. 2 Satz 3 BRAGO die<br />
Auslagen geregelt, die durch die Nachforschungen zur Vorbereitung<br />
eines Wiederaufnahmeverfahrens entstehen; sie werden nach<br />
Maßgabe der Sätze 1 und 2 vergütet, wenn der Verteidiger nach<br />
§ 364b Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung bestellt worden<br />
ist oder wenn das Gericht die Feststellung nach § 364b Abs.1 Satz<br />
2 der Strafprozessordnung getroffen hat<br />
66.<br />
Identisch sind § 97 Abs. 4 BRAGO und § 100 Abs. 4 BRAGO<br />
E mit der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der §§ <strong>12</strong>7<br />
Abs. 1, 103 BRAGO-E auf Vorschüsse.<br />
67.<br />
In § 101 Abs. 1 BRAGO-E ist die Gebühr für den als Kontaktperson<br />
nach § 34a des Gerichtsverfassungsgesetzes beigeordneten<br />
Rechtsanwalt aufgenommen, die das Doppelte der Höchstgebühren<br />
der §§ 83 und 85 Abs. 1 Satz 1 BRAGO-E aus der Staatskasse enthält,<br />
ferner der Ersatz seiner Auslagen.<br />
Hier ist die neue Grundgebühr nach § 83 BRAGO-E zusätzlich<br />
aufgenommen, die es nach altem Recht nicht gab, ansonsten ist<br />
gegenüber § 97a Abs. 1 BRAGO keine Änderung eingetreten.<br />
68.<br />
Die bisher in § 97a Abs. 2 BRAGO vorgesehene Zuständigkeitsregelung<br />
für die Festsetzung dieser Vergütung ist nunmehr in<br />
§ 103 Abs. 1 BRAGO-E aufgenommen, in dem die Festsetzungen<br />
aller Pflichtverteidigervergütungen geregelt ist.<br />
69.<br />
§ 101 Abs. BRAGO-E übernimmt wörtlich die Vorschrift des<br />
§ 96a Abs. 3 BRAGO, wonach im übrigen die Bestimmungen dieses<br />
Gesetzes entsprechend anzuwenden sind.<br />
70.<br />
In § 102 Abs. 1 Satz 1 BRAGO-E ist die Regelung des § 99<br />
Abs. 1 BRAGO übernommen, wonach dem bestellten Verteidiger<br />
auf Antrag für das ganze Verfahren oder einzelne Teile des Verfahrens<br />
eine Pauschgebühr zu bewilligen ist, die über die Gebühren<br />
des § 100 BRAGO-E hinausgeht.<br />
71.<br />
Neu ist in § 102 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E aufgenommen, dass<br />
die Pauschgebühr das Doppelte der Höchstgebühr des gewählten<br />
Verteidigers überschreiten kann. Damit ist eine in der Rechtsprechung<br />
aufgetretene Streitfrage erledigt.<br />
72.<br />
Da die einzelnen Oberlandsgerichte sehr unterschiedliche Maßstäbe<br />
für die Bewilligung der Pauschgebühren anlegen, sind jetzt<br />
erstmals konkret in § 102 Abs. 2 BRAGO-E Maßstäbe für die Höhe<br />
der Pauschgebühren in das Gesetz aufgenommen worden. Dauert<br />
die Verhandlung an einem Kalendertag einschließlich der Unterbrechungen<br />
mehr als fünf Stunden, so erhält der Rechtsanwalt hierfür<br />
das Doppelte, bei einer Verhandlungsdauer von mindestens acht<br />
Stunden Dauer einschließlich der Unterbrechungen das Dreifache<br />
der in § 100 BRAGO-E bestimmten Pflichtverteidigergebühren.<br />
Eine solche Regelung ist deshalb erforderlich weil die unterschiedlichen<br />
Entscheidungen der Kostensenate nicht anfechtbar<br />
sind.<br />
73.<br />
In § 102 Abs. 2 BRAGO-E ist bestimmt, dass die Vergütung<br />
einer Kontaktperson nach § 101 BRAGO-E ebenso erhöht werden,<br />
also über die Gebühr des § 101 Abs. 1 BRAGO-E hinausgehen<br />
kann.<br />
74.<br />
Neu ist in § 102 Abs. 4 die Bestimmung, dass auf die Pauschgebühr<br />
ein Vorschuss gezahlt werden kann. Auch diese Klarstellung<br />
ist angesichts der unterschiedlichen Judikatur erforderlich.<br />
75.<br />
Die Zuständigkeitsregelung findet sich unverändert in § 102<br />
Abs. 5 BRAGO-E, statt wie bisher in § 99 Abs. 2 BRAGO. Danach<br />
ist das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das Gericht gehört<br />
oder der Bundesgerichtshof, soweit er den Rechtsanwalt bestellt<br />
hat, für die Festsetzung der Vergütung zuständig. Zusätzlich ist<br />
hier der Verweis auf die Kontaktperson aufgenommen, die in § 102<br />
BRAGO-E systematisch besser geregelt ist als bisher in § 97a<br />
Abs. 2 BRAGO.<br />
76.<br />
Unverändert zu § 99 Abs. 2 Satz 3 BRAGO ist nach § 102<br />
Abs. 5 Satz 3 BRAGO-E in dem Verfahren die Staatskasse zu<br />
hören.<br />
77.<br />
Die Festsetzung der Vergütung, die aus der Staatskasse zu<br />
gewähren ist, wird auf Antrag des Rechtsanwalts von dem<br />
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten<br />
Rechtszuges vorgenommen. Diese Regelung in § 103 Abs. 1 Satz<br />
1 BRAGO-E entspricht wörtlich der Regelung in § 98 Abs. 1 Satz<br />
1 BRAGO. Ebenfalls identisch mit § 98 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist<br />
§ 103 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E mit dem Hinweis auf die entsprechende<br />
Anwendung das § 104 Abs. 2PO. Auch hier ist aus systematischen<br />
Gründen die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der<br />
Geschäftstelle des Landgerichts, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt<br />
liegt, für die Gebühren der Kontaktperson neu in § 103<br />
Abs. 1, 2. Halbsatz BRAGO-E geregelt.<br />
78.<br />
Unverändert zu § 98 Abs. 2 BRAGO ist in § 103 Abs. 2 BRA-<br />
GO-E die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Erinnerung<br />
des Rechtsanwalts oder der Staatskasse gegen die Festsetzung<br />
durch den Vorsitzenden des Gerichts der ersten Instanz bestimmt.<br />
Neu ist auch hier die Zuständigkeit des Vorsitzenden der Strafkammer,<br />
in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in den Fällen<br />
des § 101 BRAGO geregelt.<br />
79.<br />
Die Beschwerde gegen den Beschluss nach den Vorschriften der<br />
§§ 304 bis 310, 311a der Strafprozessordnung findet ihre Regelung<br />
in § 103 Abs. 3 BRAGO-E, identisch mit § 98 Abs. 3 BRAGO.<br />
80.<br />
Das Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde ist<br />
nach § 103 Abs. 4 BRAGO-E gebührenfrei; Kosten werden nicht<br />
erstattet. Gegenüber § 98 Abs. 4 BRAGO tritt keine Änderung ein.<br />
81.<br />
§ 104 Abs. 1 BRAGO-E behandelt den gerichtlich bestellten<br />
Rechtsanwalt, der von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren<br />
eines gewählten Verteidigers, aber keinen Vorschuss verlangen<br />
kann. Soweit die Staatskasse nach den §§ 100 und 102 BRAGO-E<br />
Gebühren gezahlt hat, entfällt der Anspruch gegen den Beschuldigten.<br />
Dies ist unverändert zu § 100 Abs. 1 BRAGO.<br />
82.<br />
Der Anspruch gegen den Beschuldigten kann nur insoweit geltend<br />
gemacht werden, als dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch<br />
gegen die Staatskasse zusteht oder das Gericht des ersten<br />
Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts nach Anhörung des<br />
Beschuldigten feststellt, dass dieser ohne Beeinträchtigung des für<br />
ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung in der<br />
Lage ist. Die Regelung in § 104 Abs. 2 Satz 2 BRAGO-E ist identisch<br />
mit dem bisherigen Gesetz in § 100 Abs. 2 BRAGO.<br />
83.<br />
Ist das Verfahren nicht gerichtlich anhängig geworden, so entscheidet<br />
das Gericht, das den Verteidiger bestellt hat. Gegen den<br />
Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der<br />
§§ 304 bis 311a der Strafprozessordnung zulässig. Auch diese<br />
Regelung in § 104 Ah5. 2 Satz 2 und 3 BRAGO-E ist identisch mit<br />
der bisherigen Vorschrift in § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAGO.
730<br />
l<br />
84.<br />
Neu geregelt sind in § 104 Abs. 3 BRAGO-E die Voraussetzungen,<br />
unter denen die Leistungsfähigkeit des Beschuldigten festgestellt<br />
werden kann. Diese werden unter Anlehnung an die Regeln<br />
zur Prozesskostenhilfe präzisiert und vereinfacht.<br />
Auf den Antrag des Rechtsanwalts setzt das Gericht dem<br />
Beschuldigten eine Frist, innerhalb derer der Beschuldigte unter<br />
Bezugnahme auf eine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen<br />
darzulegen hat, ob er leistungsfähig ist; gibt der Beschuldigte<br />
innerhalb der Frist keine Erklärung ab, gilt er als leistungsfähig.<br />
Hätte der Beschuldigte in entsprechender Anwendung des<br />
§ 115 ZPO Raten zu zahlen, so stellt das Gericht fest, dass er nach<br />
Maßgabe der Ratenzahlungen leistungsfähig ist.<br />
85.<br />
§ 104 Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAGO-E regeln Verjährungsfragen<br />
ebenso wie bisher § 100 Abs. 3 BRAGO. Der für den Beginn der<br />
Verjährung maßgebende Zeitpunkt tritt mit der Rechtskraft der das<br />
Verfahren abschließenden gerichtlichen Entscheidung, im übrigen,<br />
in Ermangelung einer solchen mit der Beendigung des Verfahrens<br />
ein. Von der in Abs. 2 Satz 1 vorgesehenen Feststellung des Gerichts<br />
ist der Lauf der Verjährungsfrist nicht abhängig.<br />
86.<br />
Neu geregelt ist in § 104 Abs. 4 Satz 3 und 4 BRAGO-E, dass<br />
der Antrag des Verteidigers den Lauf der Verjährungsfrist bis zur<br />
Entscheidung des Gerichts über den Antrag hemmt. Stellt das<br />
Gericht fest, dass der Beschuldigte nach Maßgabe der Ratenzahlung<br />
leistungsfähig ist, (Abs. 3 Satz 3), wird der Lauf der Verjährungsfrist<br />
für die Dauer der Raten gehemmt.<br />
Hier werden die von der Judikatur entwickelten Regeln zur Verjährung<br />
zur Entlastung der Justiz und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten<br />
normiert.<br />
87.<br />
§ 105 RRAGO-E enthält die Anrechnung und Rückzahlung<br />
von Vorschüssen.<br />
In Abs. 1 Satz 1 ist mit einer Ausnahme der Text des § 101 Abs. 1<br />
BRAGO übernommen. Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt<br />
vor oder nach der gerichtlichen Bestellung für seine Tätigkeit<br />
in der Strafsache von dem Beschuldigten oder einem Dritten nach<br />
diesem Gesetz oder auf Grund einer Vereinbarung erhalten hat, sind<br />
auf die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren anzurechnen.<br />
Neu ist die Regelung, dass dabei von den einzelnen Verfahrensabschnitten<br />
ausgegangen wird, für die Vorschüsse bezahlt wurden.<br />
Diese Vorschüsse sind auf die für die einzelnen Verfahrensabschnitte<br />
aus der Staatskasse gezahlten Gebühren anzurechnen.<br />
Das bedeutet, dass anders als bisher ein Vorschuss für das vorbereitende<br />
Verfahren nur auf die Gebühren für diesen Verfahrensabschnitt<br />
anzurechnen ist, nicht aber auf die Gebühr für die Hauptverhandlung.<br />
88.<br />
Unverändert enthält § 105 Abs. 1 Satz 2 BRAGO-E die Regelung<br />
aus § 101 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wonach der Rechtsanwalt<br />
zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet ist, wenn er von<br />
dem Beschuldigten oder einem Dritten Zahlungen empfangen hat,<br />
nachdem er Gebühren aus der Staatskasse erhalten hat, die anzurechnen<br />
sind.<br />
89.<br />
§ 105 Abs. 2 BRAGO-E regelt, wie bisher § 101 Abs. 2 BRAGO,<br />
dass die Anrechnung oder Rückzahlung unterbleibt, soweit der<br />
Rechtsanwalt durch diese insgesamt weniger als den doppelten Betrag<br />
der ihm nach §§ 100 BRAGO-E zustehenden Gebühren erhalten<br />
würde.<br />
Zusätzlich ist auch § 102 BRAGO-E genannt, sodass auch Vorschüsse,<br />
die das Doppelte der bewilligten Pauschvergütung unterschreiten,<br />
nicht zurückzuzahlen sind.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aufsätze<br />
90.<br />
Nach § 105 Abs. 3 BRAGO-E hat der Rechtsanwalt Vorschüsse<br />
und Zahlungen, die für die Anrechnung oder die Pflicht zur Rückzahlung<br />
nach den Absätzen 1 und 2 von Bedeutung sind, der<br />
Staatskasse anzuzeigen.<br />
91.<br />
§ 106 BRAGQ-E bestimmt, dass für die Gebühren des Rechtsanwalts,<br />
der dem Privatkläger, dem Nebenkläger oder dem Antragsteller<br />
im Klageerzwingungsverfahren oder sonst beigeordnet<br />
worden ist, die Vorschriften der §§ 102 bis 105 BRAGO-E entsprechend<br />
gelten. Dies entspricht dem bisherigen Gesetz in § 102<br />
Abs. 1 BRAGO.<br />
92.<br />
Für den bestellen Beistand des Nebenklägers oder des nebenklageberechtigten<br />
Verletzten gelten ebenfalls die Vorschriften der<br />
§§ 100, 102 bis 105 BRAGO-E sinngemäß. Der Rechtsanwalt<br />
kann von dem verurteilten Angeklagten die Gebühren eines gewählten<br />
Beistandes verlangen; der Anspruch entfällt insoweit, als<br />
die Staatskasse nach den §§ 100 und 102 BRAGO-E Gebühren gezahlt<br />
hat. Dies ist identisch mit § 102 Abs. 2 BRAGO.<br />
93.<br />
§ 108 Abs. 1 BRAGO-E enthält wie bisher in § 103 BRAGO<br />
die Definition von Bundeskasse und Landeskasse. Staatskasse im<br />
Sinne dieser Vorschrift ist die Bundeskasse, wenn ein Gericht des<br />
Bundes, die Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes den<br />
Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat.<br />
94.<br />
§§ 108 Abs. 2 Satz 1 BRAGO-E bestimmt wie bisher § 103<br />
Abs. 2 BRAGO bei Bestellung oder Beiordnung zunächst durch<br />
ein Gericht des Bundes und sodann durch ein Gericht des Landes,<br />
dass die Bundeskasse die Vergütung des Rechtsanwalts während<br />
der Dauer der Bestellung oder Beiordnung durch das Gericht des<br />
Bundes verdient hat, zu zahlen hat, die Landeskasse die darüber<br />
hinaus gehende Vergütung.<br />
Dies gilt nach § 108 Abs. 2 BRAGO-E sinngemäß, wenn zuerst<br />
ein Gericht das Landes und dann ein Gericht des Bundes den<br />
Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat.<br />
95.<br />
Für das Bußgeldverfahren bestimmt in einem siebten Abschnitt<br />
§ 109 Abs. 1 BRAGO-E wie bisher § 105 Abs. 1 BRAGO, dass die<br />
Vorschriften des sechsten Abschnitts mit Ausnahme des § 83 BRA-<br />
GO-E entsprechend anzuwenden sind. In Bußgeldverfahren soll es<br />
keine Grundgebühr geben.<br />
96.<br />
§ 109 Abs. 2, 2. Halbsatz BRAGO-E bestimmt die Höhe der<br />
Gebühr im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und den<br />
sich anschließenden Verfahren bis zum Eingang der Akten bei<br />
Gericht mit 50 bis 650 DM; dies ist eine Klarstellung gegenüber<br />
§ 105 Abs. 2 BRAGO, der den Gebührenrahmen nach § 83 Abs. 1<br />
Nr. 3 BRAGO vorsieht.<br />
97.<br />
In § 109 Abs. 2, 2. Halbsatz BRAGO-E ist zur Klarstellung<br />
geregelt, dass § 84 Abs. 2 (Teilnahme an polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen<br />
oder gerichtlichen Vernehmungen), § 87a (Vermeidung<br />
der Hauptverhandlung) und § 87b (Erhöhung des Gebührenrahmens<br />
bei inhaftiertem Mandanten) entsprechend im Bußgeldverfahren<br />
gelten.<br />
98.<br />
Ebenso wie in § 105 Abs. 2 Satz 2 BRAGO gilt diese Vorschrift<br />
auch in Verfahren nach § 72 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 731<br />
q e<br />
Das Plädoyer<br />
der Frau Kollegin<br />
Rechtsanwalt Dr. Erwin Fuchs, Jülich<br />
1. Der Prozess<br />
Das Plädoyer, das über 2000 Jahre nachwirkte, hielt nicht Cicero<br />
(106 – 43 v. Chr.), der größte aller Advocaten; dieses Plädoyer<br />
hat eine Frau gehalten, eine Zeitgenossin Ciceros, eine Römerin,<br />
die Carfania hieß gelegentlich auch Afrania oder Calphurnia genannt.<br />
Den Prozess überliefert der Geschichts- oder Geschichtenschreiber<br />
Valerius Maximus, der in der ersten Hälfte des ersten<br />
Jahrhunderts n. Chr. lebte. Valerius Maximus schreibt: „Die Gattin<br />
des Senators Licinius Bucco war schnell bereit, Prozesse an sich<br />
zu ziehen, jederzeit vor Gericht das Wort zu ergreifen, nicht weil<br />
es an Advokaten mangelte, allein weil sie die Schamlosigkeit in<br />
Hülle und Fülle besaß. Ein Gebell wie von Hunden erfüllte fortwährend<br />
die Gerichtshallen und verursachte das notorische Beispiel<br />
weiblicher Ehrverletzung und das in einem Maße, dass man<br />
das Delikt weiblicher Falschheit mit dem Namen der Carfania verband<br />
1 .“ Valerius überliefert das Datum: das „monstrum“ Carfania<br />
stand zum letzten Mal vor Gericht, als C. Caesar und P. Servilius<br />
Konsuln waren, also 48 v. Chr..<br />
Sabinus (l. Hälfte des 1. Jahrhundert n. Chr.) hat die causa Carfaniae<br />
in seinem Kommentar zum edictum praetoris urbani überliefert,<br />
den Ulpian in seinem sechsten Buch zum Edikt erwähnt.<br />
Justinian übernahm diese Stelle in sein Corpus iuris (Dig. 3, 1, 5).<br />
Sie lautet: „Der Prätor sagt: Wenn jemand keinen Anwalt hat, dem<br />
werde ich einen bestellen“ ... Alsdann richtet das Edikt sich gegen<br />
die Personen, die vor Gericht nicht auftreten sollen, die wegen<br />
schändlichen Lebenswandels berüchtigt sind, und hier ausnahmslos<br />
gegen die Frauen. Der Zweck des Verbotes liege darin, dass es gegen<br />
den Anstand und gegen die Sitten verstoße, wenn Frauen sich<br />
in die Rechtshändel anderer einmischten. Als Urheberin habe Carfania<br />
das Verbot veranlasst, ein bitterböses Weib, ohne Anstand<br />
und Ehrgefühl; sie hätte den Richter aufgeregt und somit den<br />
Rechtsgrund für das Edikt gesetzt 2 .<br />
Das Problem:<br />
Valerius und Ulpian haben mehr Werturteile als Tatsachen mitgeteilt.<br />
Carfania ist im Laufe der Geschichte oft getadelt worden.<br />
Selten hat man sie gelobt: Carfania hatte eine ungemeine Wissenschaft<br />
in Rechtssachen, dass sie ordentlich Prozesse führte, und<br />
den Richtern öftermal beschwerlich genug war 3 .<br />
Der Praetor überzog, als er die lex Carfania erließ. Auch heute<br />
noch sind Richter empfindlich, wenn sie meinen, der Anwalt hätte<br />
sie gekränkt und deshalb die Würde des Gerichts verletzt 4 .<br />
Der Richter Carfanias muss ein eigenwilliger Mann gewesen<br />
sein. Er verstieß gegen die Tugenden, die einen Richter auszeichnen<br />
sollen. In einem Richterspiegel „Von der Großmüttigkeit des<br />
Richters“ heißt es: „Weiter stehet einem Richter wohl an die Großmüttigkeit,<br />
dass er sich weder Eisen noch Feuer weder Schmach<br />
oder böses Nachreden des Volckes von seinem Ambt abschrecken<br />
lasse“. Der Richter solle frei sein von Affekten des Zorns, der<br />
Furcht, des Hasses, der Habgier, der Schmeichelei und ähnlichen<br />
Eigenschaften.<br />
Wenn plädierende oder schreibende Advokaten den Richter beleidigen,<br />
mag die Methode empfohlen werden, die der bedeutende<br />
Jurist Augustin Leyser (1683 – 1752) aufgezeichnet hat: Der Richter<br />
soll einen von dem zugelassenen Anwalt gefertigten und zur<br />
Verkleinerung des Gerichts gereichenden Schriftsatz dem Büttel<br />
(Gerichtsdiener) übergeben, der dieses Schriftstück am Pranger<br />
öffentlich verbrannte. Über ein solches Feuerchen würden sich auch<br />
heute manche Richter freuen.<br />
Oder war es ein Vorwand, der den Prätor veranlasste, Carfania<br />
und alle Frauen von der Vertretung vor Gericht auszuschließen?<br />
Hat ein so berühmter und kritischer Jurist wie Ulpian mehr gewusst<br />
als er überlieferte? Die Juristen wie die Historiker können<br />
seltener als sie glauben von der Wahrheit ausgehen, müssen öfters<br />
Hypothesen, mehrere Möglichkeiten unterstellen. Deshalb gilt für<br />
sie, was Mommsen 5 gesagt hat: Die Geschichte ist mehr eine<br />
Kunst als eine Wissenschaft. Die Rechtswissenschaft als Kunst –<br />
so definiert es im ersten Buch, im ersten Kapitel und im ersten<br />
Satz das Corpus iuris: ius est ars: Das Recht ist eine Kunst, die<br />
Kunst, was richtig und gerecht ist (boni et aequi).<br />
Im Kampf um das Wahre oder Falsche, um das Gute oder<br />
Böse, das Rechte oder Unrechte leidet die Würde oft große Not.<br />
Im männlichen Geschlecht liegt die größere Würde – maior dignitas<br />
– (Dig. 1, 9, 1 pr). Wenn dem so wäre, müsste die Verletzung<br />
weiblicher Würde halb so schlimm sein.<br />
Frauen sind von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen (Dig. 50,<br />
17, 2). Die Verteidigung ist Pflicht und Aufgabe des Mannes, jenseits<br />
des weiblichen Geschlechts (virile officium ultra sexum<br />
mulierem Cod. 2, <strong>12</strong>, 18). Körperliche Berufe sollen Frauen nicht<br />
ausüben (Dig. 50, 4, 3, 3). Die vornehmste Pflicht der Frau ist zu<br />
empfangen, das werdende Kind zu schützen, Fehlgeburten zu vermeiden<br />
(Dig. 21, 1, 14, 1).<br />
Antifeministische Tendenzen sind nicht auszuschließen, aber<br />
auch nicht zu beweisen. „Aber die patriarchalische Ordnung in<br />
Rom war stets stark genug, um jeden bedrohlichen Machtzuwachs<br />
der Frauen, der das Patriarchat hätte ernstlich erschüttern können,<br />
rechtzeitig zu hemmen“ 6 .<br />
Jhering (1818 – 1892), der wie kein anderer den Geist des römischen<br />
Rechtes erforscht und die Stellung der römischen Frau im<br />
Hause und in der Gesellschaft dargestellt hat, sagt: „Ist der Mann<br />
jener Tyrann gewesen, wofür man ihn hält, so wird diese Stellung<br />
nicht die einer Hausfrau, sondern wie im Orient die einer Sklavin<br />
oder wie in Griechenland einer Haushälterin oder Beischläferin gewesen<br />
sein. In Wirklichkeit war die Frau die Genossin des Mannes<br />
im vollsten Umfang des Wortes. Kein Volk der alten Welt, die<br />
Griechen nicht ausgenommen, hat dem weiblichen Geschlecht<br />
einen so würdigen Platz in der Gesellschaft angewiesen als die<br />
Römer, ja ich bezweifle, ob die Frau sich bei den civilisiertesten<br />
Völkern der Gegenwart einer höheren Achtung und Verehrung<br />
erfreut, als in jenem alten Rom, wo sie unter der Manus des Mannes<br />
und der Vormundschaft der Verwandten stand. Das weibliche<br />
Geschlecht war nach Ansicht der Römer dem männlichen nicht<br />
bloß völlig ebenbürtig und daher in socialer Beziehung um nichts<br />
zurückgesetzt, wie dies bei allen vorrömischen Völkern der Fall<br />
war, sondern es war ein Gegenstand höherer Achtung, es stand<br />
eine Stufe über dem männlichen“ 7 .<br />
Schon bei den Griechen beherrschte Phyllis ihren Aristoteles,<br />
Xanthippe regierte den Sokrates. In Athen ist es eine Frau gewesen,<br />
die dem redegewaltigen Perikles Unterricht in der Kunst der Verteidigung<br />
und in der Kunst des Plädoyers erteilt hat – mit Erfolg. Als<br />
Aspasia wegen Gottlosigkeit und Kuppelei angeklagt wurde, hat<br />
Perikles, ihr Liebhaber und Ehemann, sie erfolgreich verteidigt.<br />
1 Facta et dicta memorabilia (Wissenwerte Tatsachen und Sprüche) ... quod inpudentia<br />
abundabat, itaque latratibus adsidue tribunalia exercendo muliebris<br />
calumniae notissimum exemplum evasit ... (Buch 8, Kap. 3).<br />
2 ... et ratio quidem prohibendi, ne contra pudicitiam sexui congruentem alienis<br />
causis se immisceant, ne virilibus a Carfania improbissima femina, quae inverecunde<br />
postulans et magistratum inquietans ...<br />
3 Ebert JC, Eröffnetes Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers. 1706.<br />
4 Vergl. BVerfG NJW 2000/199; BVerfG NJW 1999/207; Zuck NJW 1999/187,<br />
Ohrfeigen für Rechtsanwälte.<br />
5 Rektoratsrede 1874.<br />
6 Vera Lowitsch, V Die Frau als Richter, 1933 S. 14.<br />
7 Geist des römischen Rechts, Bd. 11, 1 S. 203 f.
732<br />
Selbst ein so kritischer und bissiger Mann wie Cato, der Censor,<br />
hat die Überlegenheit der römischen Frau anerkannt. „Alle<br />
Menschen regieren ihre Weiber, wir regieren alle Menschen, und<br />
uns regieren die Weiber“ 8<br />
3. Die römische Praxis<br />
Bis zur lex Carfania durften Frauen wie Männer gleichberechtigt<br />
den Anwaltsberuf ausüben 9 . Die Umgangssprache kannte nur<br />
eine, dieselbe Definition: Patronus est qui aliquem defendit; patrona<br />
est quae aliquem defendit 10; . Anwalt – Anwältin – ist, wer einen<br />
anderen verteidigt.<br />
Das Verbot, Frauen als Advokatinnen zuzulassen, hat Justinian<br />
in sein Gesetzbuch aufgenommen, das einflussreichste der Rechtsgeschichte.<br />
Aber richtete sich die Praxis nach diesem Gesetz, nach<br />
der lex Carfania? „Gesetze gibt’s, doch wer ist, der sie handhabt?“<br />
(Dante). Nachdem das Hundegebell Carfanias im Forum verhallt<br />
war, Lärm und Aufregung sich auf und vor den Richterbänken gelegt<br />
hatten, lag es nahe, sich auf Grund und Folge zu besinnen,<br />
vielleicht Carfania als Verteidigerin auszuschließen, oder ihr eine<br />
Missbrauchsgebühr aufzuerlegen oder eine Beleidigungsklage anzuhängen,<br />
aber nicht gleich eine Geschlechterhaft zu statuieren,<br />
die auf ewig und alle Zeit die eine Hälfte der Menschheit von der<br />
Rechtsvertretung ausschloss.<br />
Ob und wie die Römer die lex Carfania handhabten, ist schlecht<br />
überliefert. Cicero zählt in seiner Geschichte der Advokatenberedsamkeit<br />
auch Frauen zu den berühmten Advokaten 11 . Der weiblichen<br />
Redekunst erteilt Cicero eine besondere Note. Er spricht<br />
von Laelia, der Tochter des Gaius Grachus, die er mehrfach plädieren<br />
hörte. Ihren Stil zu reden hätte die Mutter geprägt. Von ihr hätten<br />
die Töchter und die Enkelinnen die Kunst der Plädoyers erlernt.<br />
Es sei sehr wichtig, wenn das Kind im Elternhaus die Sprache und<br />
deren Stil von Vater und Mutter erlebe.<br />
Diesem Urteil schließt sich Quintilian an. Quintilian verweist<br />
auf Hortensia, die vor den Triumvirn die Steuersache der Matronen<br />
geschickt und erfolgreich vertreten hatte. Das Plädoyer Hortensias,<br />
der Tochter des berühmten Anwalts Hortensius, eines Zeitgenossen<br />
Ciceros, habe man immer wieder gelesen, nicht allein zur Ehre des<br />
weiblichen Geschlechts, sondern auch weil das Plädoyer ein ganz<br />
großes Erbe weiblicher Verteidigungskunst im Stile eines Hortensius<br />
darstelle <strong>12</strong> .<br />
Damals wurden Frauen in der Regel nicht besteuert. Hortensia<br />
setzte in einer glänzenden Rede den Triumvirn die Einwände gegen<br />
die vorgesehene Besteuerung auseinander. Auf die Idee, Frauen<br />
älteren Datums zu besteuern, ist danach niemand mehr gekommen.<br />
Bis heute ist das keinem eingefallen, obwohl die Kunst, Steuern zu<br />
erfinden, stark verbessert worden ist. Manchmal fehlt uns eine Hortensia.<br />
In der Politik ist der Einfluss der Frauen nicht zu übersehen.<br />
Die überragende Persönlichkeit des Prinzipats war nicht der Kaiser<br />
Augustus sondern seine Frau Livia. Sie verstand es, ihren Ehemann<br />
zu beeinflussen. Sie hat ihren Mann, die Politik und das Privatleben<br />
beherrscht; sie sorgte auch für die weibliche Unterhaltung, den<br />
Zeitvertreib und die Gespielinnen des Ehemannes. Den großen<br />
Kaiser und Gesetzgeber Justinian hat die Geschichte charakterisiert<br />
als „uxorius“, was man übersetzen kann: „den Damen wohlgesonnen“,<br />
aber auch „Pantoffelheld“. Bei dem Einfluss Theodoras<br />
und ihrer Überlegenheit in der Ehe und in der Politik dürfte das<br />
Beiwort „Pantoffelheld“ die richtige Übersetzung sein. Sie beeinflusste<br />
den Kaiser Justinian und sein Gesetzbuch; sie war Mitregentin<br />
(consors imperii), besetzte zivile und militärische Ämter,<br />
schlug Aufstände nieder und rettete ihrem Mann die Herrschaft.<br />
Für die Gleichberechtigung der römischen Frau, wie sie Jhering<br />
dargestellt hat, sprechen die Berufe, die in der klassischen Zeit den<br />
Frauen offenstanden, von ihnen auch ausgeübt wurden; diese Eroberung<br />
der Berufswelt ist ein markantes Zeichen der Emanzipation 13 .<br />
Es gab selbständige Friseusen, Kosmetikerinnen, Schneiderinnen,<br />
Erzieherinnen, Geschäftsfrauen, Inhaberinnen von Verkaufsläden<br />
mit Waren verschiedenster Art, auch Besitzerinnen von<br />
Höfen und Häusern, sogar von Schiffswerften; Handwerkerinnen<br />
waren neben den Männern Mitgliedern von Innungen; viele Schauspielerinnen,<br />
nicht nur die weniger angesehenen mimae, auch renommierte<br />
Schauspielerinnen gab es. Gerade diese umfassende Berufstätigkeit<br />
der Frau könnte dafür sprechen, dass die lex Carfania<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Zwischenbemerkung<br />
nicht praktiziert wurde, wenn überhaupt, dann nicht überall und<br />
nicht zu jeder Zeit der römischen Geschichte.<br />
Die Kunst zu reden und zu plädieren haben die Römer auch an<br />
ihren Frauen geschätzt. Die Vorzüge der Anwältinnen haben sie<br />
auf Grabsteine gemeißelt. „Hier ist das Grab, nicht ein schönes,<br />
aber das einer schönen Frau. Geschliffen war sie in ihrer Rede, anmutig<br />
in ihrem Gang“ 14 . Nach einem anderen Grabdenkmal war<br />
die Verstorbene ein Musterbeispiel an Zucht und Sitte, also von<br />
den Mängeln ihres Geschlechtes, die angeblich Carfania gezeigt<br />
hatte, weit entfernt: „Beglückend ihre Rede, heiter ihr Gespräch,<br />
unübertroffen in der beratenden Tätigkeit, unbestritten schön in<br />
Aussehen und Figur“ 15 . Beneidenswert die Anwälte, die mit solchen<br />
Kolleginnen zu tun hatten.<br />
Zu allen Zeiten zierten sich die Advokaten nicht, wenn es um<br />
die eigene Würde ging. Die Advokaten nannten sich hochglänzende<br />
Leuchten der Advokatur, an anderer Stelle: wortgewandte Männer<br />
der Advokatur 16 . Der Codex spricht von der römischen<br />
Anwaltskunst, der Ausbildung gleicherweise in der Kunst des Vortrages<br />
wie der der Wissenschaft vom Recht 17 . Besold (1577 –<br />
1638) publiziert in seinem Thesaurus: Es ist nützlicher, einen guten<br />
Anwalt zu haben als einen guten Richter (Utilius est bonum habere<br />
advocatum, quam bonum iudicem). Wir zweifeln ein wenig. Wenn<br />
einer von beiden, der Advokat oder der Richter lahmt, dann läuft<br />
die Justiz nicht.<br />
Allerdings wurden gelegentlich schon im alten Rom Advokaten<br />
kritisch und selbstkritisch beurteilt. Ein Spaßmacher und Imitator<br />
am kaiserlichen Hof verfiel als erster auf den Gedanken, die Advokaten<br />
zu persiflieren 18 . Ein Patron und Verwaltungsjurist hat sich<br />
und seiner heißgeliebten Gattin (coniugi karissima) ein Grabdenkmal<br />
gesetzt und in der Grabschrift seinen beruflichen Werdegang<br />
hervorgehoben: „Als ich in meiner politischen und juristischen<br />
Laufbahn Sprünge zu machen mich bemühte, fiel ich hier in dieses<br />
kümmerliche Privatäckerchen“ 19 .<br />
Wir und vor allem unsere Klienten unterscheiden zwischen<br />
dem Durchschnittsadvokaten und dem Staranwalt. So war es schon<br />
in Rom: Die Umgangssprache unterschied zwischen advocatus und<br />
advocatulus, dem Advokaten und Advokätchen. Im römisch-kanonischen<br />
Recht nannten sich die Kollegen advocati simplices, die<br />
höheren Grade hießen advocati titulares 20 . Simplex ist einfach, aufrecht,<br />
also der aufrechte Advokat. Simplex kann auch bedeuten:<br />
einfältig. Advocatulus simplex ist das einfältige Advokätchen.<br />
4. Germanen und Glossatoren<br />
Als germanische Völker im 3. Jahrhundert begannen, nach Süden<br />
zu wandern und die Gebiete des Imperiums zu erobern, besiegten<br />
sie das römische Militär. Aber es besiegten lateinische<br />
Kultur und römisches Recht die Barbaren. Nur teilweise übernahmen<br />
die germanischen Volksrechte römisches Recht, aber die lex<br />
Carfania muss die Westgoten so fasziniert haben, dass sie – aus<br />
Überzeugung oder aus Ehrfurcht vor Ulpian – dieses Gesetz rezipierten:<br />
eine Frau darf in einer Rechtssache ein Mandat nicht annehmen<br />
21 .<br />
Die Glossatoren, Accursius (1183 – <strong>12</strong>63) und Bartolus (1313<br />
– 1357) haben zu Dig. 3, 1 das Vertretungsverbot für Frauen kommentiert,<br />
die lex Carfania zitiert, auf Carfania hingewiesen sowie<br />
auf die von Valerius überlieferte Prozessgeschichte. Die Glosse hat<br />
8 Plutarch, Große Griechen und Römer: Aristeides und Cato.<br />
9 Rein, W. Das Privatrecht und der Zivilprozeß der Römer (1858) S. 155.<br />
10 Forcellini, A. Lexicon totius Latinitatis „patrona“.<br />
11 Brutus 210 f., de claris oratoribus.<br />
<strong>12</strong> Quintilian, Institutiones oratiae libri 1, 1, 4, 6.<br />
13 Thraede, LAC 8, 197 ff. (223).<br />
14 Geist-Phohl, Römische Grabinschriften 1969 Nr. 28.<br />
15 Wie Fn. 14 Nr. 40.<br />
16 Clarrissimis eloquentiae luminibus (C 2, 7, 25 pr). Virorum dissertissimorum<br />
advocatorum (C 2, 7, 13 pr).<br />
17 Similiter eloquentiae et legitimae scientiae artibus (C 11, 19, 1-2).<br />
18 Dessau, H. Inscriptiones Latinae 5225.<br />
19 Wie Fn. 18, 235.<br />
20 Hinschius, P. Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten 1869, I, 493<br />
f.<br />
21 Lex Ripuaria Art. VI Antiqua; Femina per mandatum causam non suscipiat.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 733<br />
Zwischenbemerkung<br />
den Gesetzeszweck hervorgehoben: Verteidigung ist Pflicht und<br />
Aufgabe des Mannes. Dieser Beruf eines Mannes ist Frauen ganz<br />
selbstverständlich aus Gründen der Schamhaftigkeit verboten 22 .<br />
Das war für die weitere Rechtsgeschichte ein Umstand von größter<br />
Tragweite: Was die Glosse erkennt, erkennt auch das Gericht; was<br />
sie nicht erkennt, erkennt auch das Gericht nicht. Niemand ist ein<br />
guter Jurist, wenn er nicht ein Bartolus ist 23 .<br />
5. Das Mittelalter<br />
Das Mittelalter übernahm die lex Carfania. Wilhelm Durantis<br />
(Durandus) hat in seinem Speculum iudiciale (Rechts- und Richterspiegel)<br />
um <strong>12</strong>90 das römische und kanonische Prozessrecht dargestellt.<br />
Ohne Umschweife und Ausblicke wiederholt Durantis das Verbot<br />
in dem Kapitel „de advocatis“ seines Gerichtsspiegels unter dem<br />
Titel der Personen, die weder verhandeln noch vertreten dürfen. Wie<br />
selbstverständlich wird unter die ausgeschlossenen Personen die<br />
Frau eingereiht: Taube, Stumme, Blinde, dauernd Verrückte, Sklaven,<br />
Minderjährige unter 17 Jahren, Frauen, auch gewisse, sexuell<br />
Abartige, Kapitalverbrecher, Personen, die die bürgerlichen Ehrenrechte<br />
verloren haben und Gladiatoren, die in der Arena mit Tieren<br />
kämpfen. Die Frau befindet sich hier in einer sehr gemischten Gesellschaft.<br />
Das Speculum judiciale (<strong>12</strong>89 – <strong>12</strong>91) hat bis Ende des 17. Jahrhunderts<br />
gegolten und ist in über 50 Auflagen erschienen. Neben<br />
und nach dem Sachsenspiegel war es das meist gelesene Buch.<br />
Das Speculum Durantis hat zwei Rechtsbücher beeinflusst, Anweisungen<br />
für die des Lateinischen unkundigen Richter und Beisitzer:<br />
Clagspiegel und Layenspiegel.<br />
Der Richterlich Clagspiegel um 1425 24 bestimmt: ... um der<br />
Scham willen wird den Frauen verboten, dass sie nicht verklagen<br />
sollen.<br />
Dieselbe Regelung enthält der Layenspiegel Ulrich Tennglers<br />
von 1536 mit einer Vorrede Sebastian Brants. Der Layenspiegel bezieht<br />
sich auf die Digesten und vor allem auf das einschlägige Kapitel<br />
„de advocato“ im Rechtsspiegel des Humanisten Durantis 25 .<br />
In der Tat: Dieses Kapitel über die Anwälte ist auch heute noch<br />
lesenswert. So hat er in sein Werk übernommen: Wer seinen Klienten<br />
(clientulus) nicht nach Kräften verteidige, sündige weit mehr<br />
als ein Straßenräuber 26 . Clientulus, das ist nicht der Starklient, der<br />
reiche Unternehmer (cliens), clientulus ist der kleine Mann.<br />
Ebenso lehrt Durantis: Den unverschämten Advokaten, der<br />
schimpft und schmäht, der ohne Sinn und Verstand vertritt, ihn dürfe<br />
man nicht zulassen. Es hätte nichts näher gelegen, Carfania wie<br />
jeden anderen Anwalt von der Verhandlung auszuschließen. Durantis<br />
missbilligte bei jedem Verfahrensbeteiligten das Schimpfen<br />
und Schwätzen: Geschwätzigkeit besudelt den Ankläger, es wird<br />
ignoriert, was den Zuhörern zu Nutz und Vorteil dienen solle 27 .<br />
Manchmal unerträglich ist der Anwalt, der neben dem Staatsanwalt<br />
anklagt 28 . Daher rät Durantis: Der Anwalt klagt nicht an, er<br />
verteidigt 28 , und wenn er dennoch anklagt, wo und was er sonst<br />
verteidigt, dann – ein zeitloser Wunsch – mit Takt. Nicht alles ist<br />
immer ehrenhaft, was erlaubt ist 29 . Es soll noch heute einige Anwälte<br />
geben, vielleicht mehr als mancher denkt, die solches ihren<br />
Klienten gelegentlich vorhalten.<br />
Wie nahe Durantis dem Kern des Problems kam, zeigt die Analogie:<br />
geschwätzige Advokaten dürfen nicht auftreten und sollen<br />
nicht angehört werden. Carfania war nach der römischen Überlieferung<br />
ein laut brüllender, keifender Hund, auf den die Begriffe passen,<br />
die Durant für solche Advokaten wählt, die es offenbar zu<br />
allen Zeiten gegeben hat: verbosus (weitläufig), loquax (schwatzhaft),<br />
coinquinans (boshaft). Aber selbst ein Durantis eliminierte<br />
nicht die lex Carfania. Das Recht als Kunst, ius ars – nicht jeder<br />
und nicht alle Zeiten genügten dem klassischen Anspruch.<br />
6. Sachsen- und Schwabenspiegel<br />
Bedeutende Rechtsbücher des Mittelalters sind der Sachsenspiegel<br />
(ca. <strong>12</strong>24/25) und der mit ihm verwandte Schwabenspiegel<br />
(etwa <strong>12</strong>75/76). Es sind deutschsprachige Rechtsbücher, jedoch mit<br />
römisch-rechtlichen Einflüssen. Die lex Carfania schien den Verfassern<br />
beider Rechtsbücher wichtig; beide Spiegel haben sie aufgenommen,<br />
der Sachsenspiegel in seinem Landrecht Buch II, 63,<br />
§ 1, 2 und der Schwabenspiegel in seinem Landrecht c. 245. Von<br />
beiden Rechtsbüchern gibt es jeweils mehrere hundert Ausgaben,<br />
teils abweichende, dazu Glossen, Distriktionen und auch Bilderhandschriften;<br />
die Bilderhandschriften sollten den Ungelehrten,<br />
auch allen, die nicht lesen und schreiben konnten, die Rechtssätze<br />
veranschaulichen.<br />
In Art. 63 des Sachsenspiegels heißt es: „Keine Frau kann Vorsprecher<br />
sein noch ohne Vormund klagen. Das verwirkte ihnen<br />
allen Calefurnia, die sich vor dem Königsgericht aus Zorn ungehörig<br />
betrug, wo ihr Wille als Vorsprecher nicht durchgehen konnte 30 .<br />
Das römische Recht hatte die deutschen Rechtsbücher nur wenig<br />
beeinflusst. Aber für eine Perle der Rechtskultur muss der Verfasser<br />
des Sachsenspiegels, Eike von Repgow, der erste deutsche<br />
Rechtsdenker, die lex Carfania gehalten haben.<br />
Der Eisenacher Stadtschreiber Johannes Purgoldt ergänzt in<br />
seinem Rechtsbuch, entstanden um 1490: „Carfania, die vor dem<br />
Gericht und Richter und Schöffen Missgebärden von ihrem Zorn<br />
mit unhübschen Worten und Gebärden zeigt, weil man ihrem Willen<br />
noch ihren Worten nicht nachgeben mochte.“ Der Schwabenspiegel<br />
(Landrecht 245) wird deutlicher: ... den Richter beschimpft<br />
und ihm die hintere Scham (ihr Gesäß) gezeigt 31 . Noch deutlicher<br />
ein Rechtsbuch nach Distinktionen (IV 13): Sie habe den Kaiser<br />
(Richter) mit großen üblen Worten gescholten; als sie sich mit ihrem<br />
Plädoyer nicht durchsetzen konnte, da hob sie die Kleider auf<br />
und ließ einen großen Misslaut springen 32 .<br />
Diese Drastik untermalt die Heidelberger Bilderhandschrift des<br />
Sachsenspiegels (Blatt 10 V). Sie stellt die Carfania in einem gelben<br />
Kleid gestikulierend vor dem sitzenden Richter, und auf ihrem<br />
Kleid, wo der Rücken endet, ist ein Haarpinsel abgebildet als Symbol<br />
und Hinweiszeichen, als Gedankenstütze dafür, dass die Senatorsgattin<br />
die Kleider gehoben hatte und was sie danach tat.<br />
7. Rezeption<br />
Die Übernahme des römisch-kanonischen Rechts ist ein vielgestaltiger<br />
Vorgang über einen langen Zeitraum. Fast in allen Lehrbüchern<br />
und Monographien der Rezeptionszeit, wenn das ius postulandi<br />
erörtert wird, findet man den Hinweis auf die lex<br />
Carfania, oft auch den Wortlaut der Digestenstelle, auch wird der<br />
Historiker Valerius zitiert. Zasius (1461 – 1535), der die Rezeption<br />
des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland einleitete, zitiert<br />
Carfania wie Valerius und Ulpian sie geschildert haben.<br />
Alciatus (1492 – 1550), Anwalt und Rechtslehrer, Begründer<br />
der humanistischen Rechtswissenschaft, meint ebenso, eine Frau<br />
dürfe nicht als Advokatin auftreten.<br />
Carpzow (1595 – 1666), der über Jahrhunderte wie ein Gesetzgeber<br />
das Recht beeinflusste, hat die lex Carfania mit einem Hinweis<br />
auf das römische Recht gerechtfertigt, aber auch aus sachlichen<br />
Gründen: „Die Frau ist ein wechselhaftes und immer<br />
schwankendes Wesen“ 33 .<br />
Die römische Kirche, stark vom römischen Recht und römischer<br />
Kultur geprägt, hat die lex Carfania ebenfalls übernommen. Zu den<br />
22 his rationibus scilicet propter pudiciam.<br />
23 Quidquid non agnoscat glossa, non agnoscat curia. Nemo bona iurista, nisi<br />
bartolista.<br />
24 Meine Ausgabe von 1516, herausgegeben von Sebastian Brant.<br />
25 Bl. VI R.<br />
26 Ultra latrocinium peccat qui clientulum pro viribus non defendit.<br />
27 quia loquaquiter actorem suum conprimit, quae sevire auditoribus ad usumprofectus.<br />
28 Advocatus non accusat, sed defendit.<br />
29 Licitum non semper est honestum.<br />
30 Ez en mag kein wip vorspreche sin, noch ane vormunden klagen. Daz verloz<br />
in allen Carfurnia, de vor deme riche missebarte vor zorne, do ire wille ane<br />
vorsprechen nicht moste vortgan (missebare = ungehöriges Betragen, Heulen,<br />
Schreien).<br />
31 ... in so grossen zorn kan daz si den könig beschalt. do ir wille nut fur sich<br />
gie. Und den könig die hinder schamme lie sehen.<br />
32 zitiert nach Vargha, Verteidigung in Strafsachen, S. 152 „Da hub sie die Kleider<br />
auff und lies einen grossen misslaut springen. Und man saget, das dieselbe<br />
Calefurnia eine Edele Römerinne sey gewest. Darumb so benahm jhn der<br />
Keyser die gewalt abe mit der Fürsten Wille und Rathe und nach weiser Meister<br />
lere und satzten, das kein Weib mehr Vorspreche sein solte.“<br />
33 Varium et mutabile semper est animal; Electoral Resp <strong>12</strong>. S. 488.
734<br />
Quellen des römisch-kanonischen Prozesses gehört die Summa<br />
Aurea des Wilhelmus de Drukeda (<strong>12</strong>39), eine Advokatenschrift,<br />
verfasst um die Besten zu tüchtigen Advokaten auszubilden. Zu<br />
der Frage, wer nicht vor Gericht auftreten darf, äußert er sich<br />
knapp und klar: Exkommunizierte, Ketzer, Frauen, Sklaven ... 34<br />
Tiraquellus (Tiraqueau, 1488 – 1558), ein erfahrener Richter<br />
und Verwaltungsjurist, humanistisch wie juristisch gebildet, gründete<br />
seine römisch-kanonischen Werke auf seine Erfahrungen als<br />
Praktiker. „Dieser forensische Schwerpunkt bewirkte eine breite<br />
Aufnahme seines Werkes vor allem im protestantischen Deutschland“<br />
(Stolleis). Er verweist ausführlich auf die gebildeten und<br />
redetüchtigen Frauen, angefangen mit Diotima, von der Platon im<br />
Symposium bekennt, er habe viel von ihr gelernt, Aspasia sei des<br />
Perikles Lehrmeisterin gewesen, des größten Gerichtsredners und<br />
Staatsmannes. Am Ende der langen Liste der Frauen, die sich in<br />
den Gerichten und in der Politik auszeichneten, hebt Tiraquell hervor:<br />
Es gibt noch eine weitere, fast unbegrenzte Zahl solcher Frauen,<br />
die niemand kennt. Diese Erkenntnisse hinderten ihn nicht, die<br />
lex Carfania zu rezipieren.<br />
8. Qualität der Rede<br />
Einige Gelehrte und Schriftsteller haben die Existenz der Carfania<br />
und ihres Prozesses bezweifelt. In seinen Betrachtungen zum<br />
römischen Recht (Meditationes ad Pandectas, 11 Bände, 1717 –<br />
1748) kritisiert A. Leyser das Märchen (fabula), dass die Römer<br />
und der Sachsenspiegel über den Prozess Carfania verbreiteten:<br />
lächerlich (ridicule). Aber er wendet sich nur gegen Ulpians<br />
Fabel 35 . Das Gesetz, Frauen nicht zur Advokatur zuzulassen, führt<br />
Leyser auf den sagenumwogenen, zweiten König Roms, auf Numa<br />
zurück. Das hat wenig, im Ergebnis gar nichts an der lex Carfania<br />
geändert. Vielfach haben die Juristen die lex Carfania ergänzt; sie<br />
haben die Charaktermängel angeführt, die den Ausschluss der<br />
Frauen von der Advokatur rechtfertigen sollten – gleichgültig ob<br />
eine Carfania jemals vor Gericht gestanden hat oder nicht.<br />
So verfuhr auch Rautenberg. Er schrieb 1745 Meditationes de<br />
qualitatibus advocatorum. Er lässt den Ausschluss der Frauen von<br />
den öffentlichen Ämtern und der Advokatur bestehen, verweist auf<br />
die verschiedenen Weltübel (varias defectus mundi), denen man oft<br />
begegnet: Dem Greis ohne Religion, dem Jüngling ohne Gehorsam,<br />
dem Reichen ohne Almosen, der Frau ohne Sitte; dem Hausvater<br />
ohne Anstand und anderen Missstände; Hinzuzufügen wäre,<br />
so meint Rautenberg, der unwissende und verrückte Advokat 36 .<br />
Den Frauen werden zahlreiche Mängel vorgeworfen, die es<br />
auch ohne den Fall Carfania rechtfertigen, ihnen die Vertretung<br />
anderer vor Gericht zu untersagen. Das weibliche Geschlecht sei<br />
invalidum, fragile, infirmum (schwach, gebrechlich, schlaff) und<br />
dies in mehrfacher Hinsicht: körperlich, geistig und moralisch. Die<br />
Schwatzsucht einer Carfania wird allen Frauen angelastet: sie reden<br />
viel, laut und unbeherrscht.<br />
Der große Humanist und Jurist Andre Tiraquell (1488 – 1558),<br />
hat das Vertretungsverbot entscheidend auf die Charaktermängel der<br />
Frau gestützt. Wie sehr die Frauen diesen Untugenden verhaftet seien,<br />
sehe jeder, der auch nur ein Stündchen (horulam) mit ihnen und<br />
ihrer Neugier verbringe 37 . Die Fülle weiblicher Beredsamkeit stellt<br />
Tiraquell umfassend dar. Er zählt sie auf – schwer zu übersetzen –:<br />
loquaculae (Schwatzmäulchen), argutulae (Waschweiber), verbosae<br />
(Quasseltanten), dicaculae (Schandmäuler), linguaces (Zungenkünstlerinnen),<br />
garulae (Plappermäuler), locutuleiae (Schwatzmaschinchen),<br />
largiloquae (Plaudertaschen), lingulatae (Klatschbasen).<br />
Unter den Qualitäten in der Person des Anwalts, ob Mann oder<br />
Frau, zählt sehr viel die Kultur des Vortrages 38 . Die Kunst und der<br />
Stil machen des Advokaten Glück, ein dezenter Vortrag, um das<br />
Wohlwollen des Richters bemüht, klar, deutlich, mit Anstand und<br />
Maß, aufrichtig geordnet und gegliedert, in der Form gefällig. Der<br />
Vortrag muss überzeugen. Er soll nicht des Richters Galle reizen 39 .<br />
Die Rabulisten, je weniger sie wissen, umso mehr wollen sie<br />
reden 40 . Das Ideal – oft hervorgehoben –: der in Wort und Schrift<br />
gebildete, der rechtskundige Anwalt 41 und wir dürfen hinzufügen:<br />
gleichgültig welchen Geschlechts.<br />
9. Der kluge Kopf, Perverses und Privilegien<br />
1774 schrieb der Rechtsprofessor J. Ch. Hedler über das Thema:<br />
Ob die Frauen wegen ihrer Perversität die Rechtswohltaten, die sie<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Zwischenbemerkung<br />
haben, nicht verdienen. „Num feminae ob perversitatem iuris favorem<br />
quem habent, non mereantur“. Er geht von den Gemeinplätzen<br />
aus: Alle Frauen sind durchtrieben (callidae) und hinterlistig (astutes),<br />
auch geschwätzig, (multum loquaces). Das legt er dar an der<br />
Geschichte einer Frau , die er als uxor Viri Sapientis bezeichnet, als<br />
die Ehefrau eines klugen Mannes, obwohl die Frau wesentlich intelligenter<br />
war als der kluge Kopf, das Haupt der Familie. Dieser kluge<br />
Kopf verfügte über einen gefräßigen Magen. Um seinen Appetit zu<br />
stillen, täuschte die Frau den Denker, ihren Ehemann. Sie kaufte ein<br />
Huhn, schnitt ihm die Füße ab und befestigte die Füße eines Rebhuhns<br />
am Körper des Hofhuhnes. Sie überlistete, wie Hedler überliefert,<br />
unzählige Male ihren Ehemann, der ständig die Hofhühner als<br />
Rebhühnchen verspeiste. Nach dem selben Rezept setzte sie ihrem<br />
Ehemann Ziegenbockfleisch als Wildbret vor –. Charakterlos? wie<br />
Carfania?. Es könnte einen Mann mehr beglücken, wenn eine solche<br />
Frau statt zum Kochen zum Plädieren geht.<br />
Über Privilegien der Frauen ließ der Rechtsprofessor J. Ch. Falkner<br />
promovieren „de mulieribus earumque iuribus ac privilegiis“<br />
(1669). Er unterscheidet zwischen den von der Natur gegebenen und<br />
den vom Gesetz gewährten Privilegien, solchen die vor der Ehe, in<br />
der Ehe und nach der Ehe entstanden sind. Allerdings weder vor, in<br />
oder nach der Ehe dürfen Frauen Richter oder Anwalt sein.<br />
Erstaunliche Frauenprivilegien gab es. Falkner erhebt die<br />
Rechtswohltat der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hervor:<br />
Leicht muss man die Verträge der Frauen aufheben dürfen, weil<br />
die Frauen leichter als die Männer hintergangen werden. Im Recht<br />
allgemein, nicht nur im Strafrecht soll ihre Unkenntnis der Gesetze<br />
oft die Strafe mildern oder gar ausschließen. Falkner zitiert: „Das<br />
Urteil soll den selben etwas milder sein zu denen wir das Vertrauen<br />
haben, dass sie wegen Blödigkeit des Geschlechts nichts fürnehmen<br />
oder unterstehen werden“ 42 .<br />
Ein weiteres Privileg der Frauen: sie dürfen eher heiraten als<br />
die Männer; sie reifen früher. Accursius, der große Glossator,<br />
offenbar ein humorvoller Mann, habe diesen Umstand überzeugend<br />
begründet: Unkraut wachse schneller als Kraut 43 .<br />
Aber die Frauen zu privilegieren, ist nicht ungefährlich. Ein gefährliches<br />
Ding ist, wie Hedler ausführt, eine heiratsfähige Jungfrau;<br />
sie gehöre zu Recht zu den Dingen, die man nicht durch Verwahren<br />
aufbewahren könne 44 .<br />
Das privilegium iuris kann auch zu Glück und Seligkeit führen.<br />
Damals bestand die schöne Sitte, den Doktoranden in mehr oder<br />
minder geschliffenem Latein zur Promotion zu gratulieren, auch<br />
wenn er nach dem Reglement nicht mehr getan hatte, als die Arbeit<br />
und die Thesen seines Doktorvaters zu verteidigen. Den Respondenten<br />
mit dem Namen Schmidt beglückwünschte ein Kommilitone zu<br />
den Privilegien, auch zu der Glosse, dass die Frauen wie Unkraut<br />
wachsen. „Die Frau ist es, deren Privilegien Du insgesamt und gelehrt<br />
verteidigt hast vor dem Thron der Gerechtigkeit. Die Frau ist<br />
es, deren bezaubernde Belohnungen Du erhältst, wenn Du im Brautbett<br />
die gerechtfertigten Vergnügungen empfängst“ (Est mulier, cujus<br />
nunc Privilegia cuncta/ Docte propugnas in Themidos cathedra/.<br />
Est mulier, cujus quondam Tu praemia grata/ Accipiens thalami gaudia<br />
iusta, feres) –. Man darf annehmen, dass Schmidtchen und die<br />
mulier in der Hochzeitsnacht die Privilegien harmonisierten, den<br />
Satz vom Kraut und Unkraut zu Makulatur werden ließen.<br />
10. Schönheit und Verführung<br />
Unlängst mahnten Londoner Richter die beim High Court<br />
(Obergericht) zugelassenen Rechtsanwältinnen: „Nicht zu weiblich,<br />
34 Bethmann-Hollweg Band 6, <strong>12</strong>6; Wahrmund II 37 f.<br />
35 Carfania contra calumniam Ulpiani defenditur.<br />
36 Advocatus insibiens et idiota.<br />
37 De legibus connubialibus. In IX legem Connubialium, 33.<br />
38 Ut sit facundia et eloquentia praeditus.<br />
39 Ne iudici bilem moveat.<br />
40 Rabulae forenses, qui quo minus sciunt, eo tamen plus loqui volunt.<br />
41 Orator litteris eruditus ac iurisperitus (Rautenberg).<br />
42 Beneficium restitutionis in integrum: faciles sint infringendis mulierum contractibus,<br />
quia facilius quam viri decipiantur.<br />
43 Mala herba citius crescere solet quam bona.<br />
44 Periculosa res est virgo nubilis, meritoque inter eas res, quae servando servari<br />
non possunt, refertur.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 735<br />
Zwischenbemerkung<br />
meine Damen“. Kunstvolle Frisuren, zu gewagte Kleidung, zu<br />
enge Blusen, zu kurze Röcke, entsprachen nicht den Vorstellungen<br />
der Richter, die zumindestens knielange Kostüme aus dunklem<br />
Stoff forderten, geschlossene Kleider und ein sparsames oder gar<br />
kein Make up. Die Richter in ihren Talaren und Perücken sahen<br />
ihre Würde und die Rechtsprechung in Gefahr 45 .<br />
Der amerikanische Strafverteidiger Francis Lee Bailey lehnte<br />
grundsätzlich Frauen als Geschworene ab, „weil sie zu leicht zu<br />
beeinflussen sind“ 46 . Nebenbei bemerkt: In unseren Tagen ist einer<br />
Pastorin nahegelegt worden, nicht mehr die Kanzel zu besteigen,<br />
„weil sie zu schön sei“.<br />
Die meisten Menschen streben nach Schönheit; ganze Industrien<br />
leben davon. Eine sehr schöne, amerikanische Schauspielerin<br />
machte B. Shaw den Vorschlag, gemeinsam ein Kind in die Welt<br />
zu setzen, ein Kind, so schön wie sie und so intelligent wie er.<br />
Shaw telegrafierte zurück: „Vorschlag großartig, aber zu riskant:<br />
Kind könnte Ihre Intelligenz und die Schönheit von mir erben“.<br />
Nicht erst die Richter in London misstrauten der weiblichen<br />
Schönheit, der verführerischen: „Schönheit ist ein offener Empfehlungsbrief,<br />
der die Herzen im voraus für uns gewinnt“ (Schopenhauer).<br />
Ein lateinisches Sprichwort lehrt: amantes amentes. Nicht<br />
erst die Liebe, schon die Empfehlung, die Zuneigung, ein Sympathie<br />
lassen selbst einen klugen Menschen die Sachen anders sehen<br />
als sie sind.<br />
Der Richter-Spiegel, geschrieben von einem Johann Jacob von<br />
und zu Weingarten (1682) warnt vor Zuneigung und Gunst: Die<br />
Zuneigungen verrucken den Verstand und vermischen das Rechte<br />
mit dem Unrechten.<br />
Das Erotische in der Kunst zu verführen – oder zu überzeugen<br />
– haben nicht erst die Männer in London bemerkt. Schon Ovid hat<br />
das Erotische in der Kunst gelehrt, den lieben Nächsten oder die<br />
nächste Liebe zu beschwatzen. „Wie den hohen Richter so bezwingt<br />
und besiegt die Kunst der Rede auch das Mädchen“ 48 . Ein<br />
modernes Sprichwort sagt: „Eine Frau kann einen Mönch aus der<br />
Kutte schwatzen.“<br />
Recht und Schönheit behandelt eine juristische Dissertation<br />
(Quod iustum est circa pulchritudinem), vertreten von dem Rechtsprofessor<br />
J. F. Ludovicus (1717). Erörtert wird die lex Carfania<br />
nach der Digestenstelle. Der Zweck der lex sei: Die Frau soll vor<br />
dem Richter nicht verhandeln und plädieren, weil sie die Richter<br />
durch weibliche List und Verschlagenheit, insbesondere durch ihre<br />
Schönheit beeinflusse und die Urteile verunglimpfe 49 . Ludovicus<br />
verweist auf die biblische Geschichte, auf Susanna im Bade, die<br />
zwei nichtsnutzige ältere Herren, seniores nequissimi, um den Verstand<br />
brachte. Wir dürfen einwenden: Die Kolleginnen in London<br />
mögen ihre Attraktivität etwas provoziert haben, aber sie sind nicht<br />
in den Sitzungssaal gestürmt wie Susanna ins Bad.<br />
Auch der Jurist J. Nevizanus, Iuris consultus clarissimus, hat<br />
versucht, dieses Problem zu lösen. Er schrieb (1592) in der Sylva<br />
nuptiales über die unterschiedlichen Qualitäten der verschiedenen<br />
Frauen und äußert sich auch zum Fall Carfania. Er rechnet Carfania<br />
zu den intelligenten Frauen. Die Schönen seien hochmütig und<br />
lüstern, die intelligenten seien herrschsüchtig. Nevizanus folgt der<br />
goldenen klassischen Regel: Nil nimis: Alles mit Maß, nie zu viel.<br />
Schönheit und Intelligenz stellt er auf eine Stufe. Die Frau soll<br />
mittelmäßig schön oder hässlich sein, auch mittelmäßig dumm<br />
oder klug 50 . War Carfania zu schön oder zu intelligent oder zu<br />
weiblich? War sie nicht genug Mittelmaß?<br />
Wenn die Richter in London das Dekollete der Anwältinnen gerügt<br />
haben, standen sie in der Tradition des Kaisers aller Gelehrten,<br />
des Augustinus Niphus. Er war ein Frauenkenner und Liebhaber<br />
vieler Frauen, Verfasser zahlreicher Bücher. Ihn suchte sogar ein<br />
Kaiser Karl V auf. Niphus präsentierte Carolo V keinen Stuhl, obwohl<br />
er selbst saß; er sagte: wenn Carolus V Kaiser über die Soldaten<br />
wäre, so wäre er Kaiser über die Gelehrten (Jöcher). Er<br />
schrieb 1535 ein Buch über die Schönheit (liber de pulchro). Die<br />
Brüste der Frauen sind es, die Männer verführen 51 . Martial bevorzugte<br />
schlanke Frauen 52 . Halten wir es mit dem gelehrten Professor<br />
Ludovicus: „Jedem das, was er für schön hält“ 53 .<br />
Ludovicus hat das Problem gelöst, die ratio der lex Carfania erkannt.<br />
Wenn man wegen der Gefahr für Richter und Recht schöne<br />
Frauen nicht zulassen darf, dann hässliche (deformes) 54 . Was wäre<br />
erreicht, wenn nur die collegae deformes, die deformierten, besser<br />
übersetzt: die unschönen, plädieren dürften? Keine Frau würde ihre<br />
Zulassung als Anwältin beantragen!<br />
Wir hoffen, dass die Londoner Kolleginnen die Probleme und<br />
Komplexe der ehrwürdigen Oberrichter in London gelöst haben.<br />
Wir bewundern eine schöne Frau, eine der intelligentesten der<br />
Weltliteratur, jene Scheherezade, ein Musterbeispiel an Klugheit<br />
und Redekunst, die 1001 Nacht einen Psychopathen, einen arabischen<br />
König, mit ihren Erzählungen bezauberte. Der König wollte<br />
sich wegen der Untreue seiner Frau an allen Frauen rächen; er heiratete<br />
jeden Abend eine Frau, die er am nächsten Morgen töten<br />
ließ. Wie der römische Prätor die Schamlosigkeit der Carfania an<br />
allen Frauen bestrafen wollte, wollte der arabische König die Untreue<br />
einer an allen rächen. Wir bewundern diese gescheite Frau,<br />
auch wenn wir nicht unbedingt die Kolleginnen schätzen, die im<br />
Gerichtssaal ihren Charme mit 1000 und mehr Märchen verknüpfen.<br />
11. Gleichberechtigung<br />
Schwer tun sich die Juristen mit der Gleichberechtigung. Sie<br />
ist – heute noch – ein Problem. Oder ein Scheinproblem? Oder ein<br />
Widerspruch insich? Die Pariser medizinische Fakultät hat 1743 erklärt<br />
(Quaestio medica): „Homini nihil est similius, quam homo,<br />
nihilque dissimilius. Amant Minervam alii, alii Martem. Opes<br />
sequuntur plerique, non nulli fugiunt. „Nichts ist gleicher als der<br />
Mensch und nichts ist ungleicher. Die einen lieben die Kunst (Minerva),<br />
die anderen den Krieg (Mars). Nach Reichtümern streben<br />
die meisten, etliche verschmähen Gut und Geld“.<br />
Die Frage, ob Frauen mit der Waffe dienen sollen oder dürfen<br />
ist aktuell und umstritten. Der Kollege Magerus, auf den ich noch<br />
zu sprechen komme, hat die Auffassung vertreten, das höchste<br />
göttliche Recht, ebenso das Naturrecht, verwehre es den Frauen<br />
nicht, zu den Waffen zu greifen; sie seien für die Waffen nicht zu<br />
dumm oder für die Militärwissenschaft nicht verständig genug. Fügen<br />
wir Ulpians Rechtsweisheit hinzu: Wer einwilligt, dem geschieht<br />
kein Unrecht (volenti non fit inuria, Dig. 47, 10, 1, 5).<br />
Mittlerweile ist die Gleichberechtigung erreicht: Frauen bekleiden<br />
im Staat, in der Justiz und in der Wirtschaft höchste Ämter.<br />
Manche bestimmen allerdings die Gleichberechtigung der Geschlechter<br />
nach Quoten. Die Probleme, Gleiches gleich und Ungleiches<br />
ungleich zu behandeln, bleiben den Juristen erhalten. Von<br />
dem elementaren Grundsatz, der jedem Menschen das Recht gewährleistet,<br />
sein Leben zu fristen und zu erhalten, sind wir noch<br />
weit entfernt.<br />
Den Menschenrechtspreis erhielt nicht ein Mann, sondern eine<br />
Anwältin. Hillary Clinton, eine vorzügliche Anwältin mit ausgezeichneter<br />
juristischer Ausbildung ist sich ihrer Überlegenheit<br />
durchaus bewusst. Berichtet wird von ihr: Als sie und ihr Mann an<br />
einer Werkstatt und Tankstelle vorbeifuhren machte Hillary ihren<br />
Mann auf einen Fahrzeugschlosser aufmerksam und erklärte, das<br />
sei ihr Jugendfreund, der sie hätte heiraten wollen. Darauf meint<br />
ihr Mann: „Dann wärst du heute mit einem Autoschlosser verheiratet“.<br />
Sie: „Durchaus nicht, dann wäre heute ein Autoschlosser Präsident<br />
der Vereinigten Staaten“.<br />
Viele glauben, mehr Gleichberechtigung bringe auch mehr<br />
Glück. In den meisten Fällen ist die Gleichberechtigung kein<br />
Rechtsproblem. Das Juristische haben bereits die alten Römer gelöst.<br />
Zwar bestand schon im alten Rom die Rechtsmeinung, nach<br />
der lex divina universalis solle der Mann befehlen, die Frau müsse<br />
gehorchen. Aber im römischen wie im gemeinen Recht war die<br />
Herrschaft des Mannes aufgehoben, wenn er geistig hierzu nicht in<br />
45 Aachener Nachrichten (ap) vom 23.<strong>12</strong>.1967.<br />
46 Die Welt 9.2.1966.<br />
47 Iudices ob mulierum pulchritudinem amore capta corrumpi possunt.<br />
48 Ars amatoria 1, 461 f.<br />
49 Ipsos iudices muliebribus astubris, vel forma corrumperet.<br />
50 Nec sit pulchra nimis docta nec illa nimis.<br />
51 Mammis mulieres commendantur pro viris; Niphus de pulchro liber.<br />
52 Mammosus metuo, 14, 149.<br />
53 Suum cuique pulchrum est.<br />
54 Ratio genunia esset, foeminae pulchrae solum postulare prohiberentur, non<br />
vero deformes.
736<br />
der Lage war 55 . Problematisch ist nur, wer zu entscheiden hat, der<br />
Mann oder die Frau, ob der Mann zu stupide ist, ob nur ein leichter<br />
oder ein mittlerer und schwerer Schwachsinn vorliegt. Aber auch<br />
dieses Problem lösen die Frauen.<br />
Notfalls hilft auch die Gardinenpredigt. Unter Gardinenpredigt<br />
sind die Vorhaltungen zu verstehen, die im Bett – hinter der Gardine<br />
– die Frau dem unbotmäßigen Ehemann hält. Wenn der Mann<br />
den weiteren Ablauf des Abends nach seinen Vorstellungen nicht<br />
vereiteln will, lässt er solche Predigten über sich ergehen.<br />
Außergewöhnliche Fälle von Gleichheit oder Ungleichheit<br />
ereignen sich. Ein hochangesehener Sammelband des kanonischmoralischen<br />
Rechts überliefert: Eine Frau hatte nacheinander<br />
20 Ehemänner. Dann heiratete sie einen Mann, der 20 Ehefrauen<br />
begraben hatte 56 . Also ein geradezu idealer Fall von Chancengleichheit<br />
unter Eheleuten. Die Mitmenschen – heute würden wir<br />
sagen die Medien – warteten gespannt, wer das Eheroulette gewönne.<br />
Es siegte der Mann, wie es in dem kanonisch-moralischen<br />
Buch des Ferraris berichtet wird. Das römische Volk zwang den<br />
Sieger geschmückt mit einem Lorbeerkranz, einem Palmenzweig<br />
in der Hand die Leiche zum Friedhof zu begleiten.<br />
L. Heister (1683 – 1758), Professor der Medizin, der Begründer<br />
der wissenschaftlichen Chirurgie in Deutschland, verschickte eine<br />
freundliche Einladung und eine Abhandlung zu öffentlichen Sezierungen<br />
des menschlichen Körpers, entweder eines männlichen oder<br />
eines weiblichen 57 , beides als Gottesbeweis, dass notwendig ein<br />
Gott existieren müsse, der eine so kunstvolle Maschinerie hervorgebracht<br />
habe 58 .<br />
Die öffentlichen Sezierungen müssen nicht nur theologischen<br />
Absichten gedient haben, auch weltlichen Zwecken: Heister verlangte<br />
Eintrittsgeld, und das nach wohlüberlegter Taxe: Für das<br />
Zerlegen eines weiblichen Körpers (sectio cadaveris feminae) verlangte<br />
er mehr als für die sectio cadaveris masculini. Schließlich<br />
konnte der Anatom bei weiblichen Kadavern wesentlich mehr zeigen,<br />
vielleicht auch, was die Kunstfertigkeit der Maschinerie<br />
anlangte. So betonte er es in seiner Einladung: Zur Besichtigung<br />
der schönen Bauweise des weiblichen Körpers lade ich ein.<br />
<strong>12</strong>. Die Jahrtausendwende<br />
Am verhängnisvollsten hat der Ausschluss der Frau von der Advokatur<br />
in den beiden letzten Jahrhunderten gewirkt. Die Anstöße<br />
zur Beseitigung der lex Carfania kamen nicht von der Advokatur.<br />
Das Gesetz vom 11.7.1922 verkündete die Zulassung der Frauen<br />
zur Advokatur und zu den Ämtern der Rechtspflege. Sehr viele<br />
Juristen hatten das Gesetz abgelehnt 59 . Der Vorsitzende des Deutschen<br />
Richterbundes erklärte und schrieb noch 1921: „Bei der allgemeinen<br />
Verwendung von Frauen im Schöffen- und Geschworenendienst<br />
richten Frauen über Männer. Die Beurteilung solchen<br />
Zustandes hängt von der Geistes- und Gemütsverfassung des Urteilenden<br />
ab. Solange der deutsche Mann wehrhaft war, erschien ihm<br />
die Aburteilung des Mannes durch die Frau als Narretei. Wenn die<br />
Männer dies als naturwidrig nicht mehr empfinden, verdienen sie,<br />
was ihnen geschieht ... Ich vertraue darauf, dass der Tag der Auferstehung<br />
des Mannes kommt.“ – kein Ruhmesblatt.<br />
Im Jahre 1920 trug ein Kölner Staatsanwalt vor: Wenn die Frau<br />
(als Richterin) zugezogen werde, weil ihre politischen Rechte mit<br />
denen des Mannes gleich seien, so dürften Unterschiede in dem<br />
Maß ihrer Beteiligung nicht gemacht werden. Beim Richter handele<br />
es sich aber nicht um die Betätigung eines politischen Rechts,<br />
sondern um die Ausübung eines öffentlichen Amts. Dafür dürfe<br />
nur die Eignung der Person maßgebend sein. Die Masse der Frauen<br />
urteile wesentlich nach dem Gefühl, Richten aber sei nicht Herzenssache<br />
60 .<br />
Der einflussreiche Historiker Heinrich Treischtke hatte wiederholt,<br />
was über Jahrhunderte Gemeingut gewesen ist: „Von allen<br />
menschlichen Begabungen liegt keine dem Weibe so fern wie der<br />
Rechtssinn“. Schopenhauer schreibt 1851 seine Parerga und darin:<br />
„Wegen der Schwäche ihrer Vernunft sind die Weiber weniger fähig<br />
als die Männer, allgemeine Grundsätze zu verstehen, daher stehen<br />
sie diesen in der Tugend der Gerechtigkeit, der Gewissenhaftigkeit<br />
in der Regel nach; hingegen übertreffen sie die Männer in der<br />
Tugend der Menschenliebe.“ Wenn dem so wäre, wegen der Tugend<br />
dem Klienten zu helfen, wäre gerade die Anwältin berufen. Der<br />
Einsatz für den Mitmenschen, die Bereitschaft zu helfen ist ele-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Zwischenbemerkung<br />
mentare Aufgabe des Anwaltsberufes. Darüber müssen wir nicht<br />
reden. Das Berufsethische, das Moralische versteht sich von selbst.<br />
13. Advocatio armata<br />
Der Anwalt Martinus Magerus a Schönberg rettete die Ehre<br />
der Jurisprudenz und die seines Standes. Er schrieb 1625 De advocatia<br />
armata. Man kann übersetzen: Die Advokatur und der Kampf.<br />
Magerus befolgt in seinem Folianten eine dialektisch-scholastische<br />
Methode. Wegen dieser Methode, aber auch wegen der Fülle seiner<br />
Gedanken zu zeitlosen Problemen ist das Werk lesenswert; es ist<br />
jedoch nahezu unbekannt. Im 7. Kapitel behandelt Magerus die<br />
Grundthese, die Quaestio (Frage), ob Frauen sich als Anwältinnen<br />
niederlassen dürfen (advocatae constitui possint). Magerus bevorzugt<br />
ein Problemdenken, Frage und Antwort, Argument und<br />
Gegenargument. Er schreibt in einer Kette von Argumenten, was<br />
gegen die Zulassung der Frauen spricht, die Negativa, und er untersucht<br />
in einer weiteren Gedankenkette was für die Zulassung<br />
spricht. Acht Gründe gegen die Zulassung stellt er zusammen (dubitandi<br />
rationes pro Negativa sententiae). Dann folgt die Kette der<br />
Gegengründe für die Zulassung (Affirmativa decisio), schließlich<br />
die Widerlegung der gegensätzlichen Argumente (Refutatio contrariorum<br />
argumentorum). Er bringt Beispiele für die Tugenden von<br />
Frauen, ihre Gerechtigkeit und Klugheit; unter anderem verweist<br />
er auf Theodora, die Gattin Justinians, auf die vorzügliche Klugheit<br />
dieser Frau, ihren Einfluss auf die Staatsführung und die Rechtsprechung.<br />
Magerus argumentiert: Wenn Frauen sich unehrenhaft und<br />
schädlich verhalten, mag man sie ausschließen. Aber die durchaus<br />
ehrenhaften Frauen, mit guten Eigenschaften versehen, die der Last<br />
des Amtes und der Würde gewachsen sind, darf man nicht ausschließen.<br />
Dem steht weder das göttliche Recht (lex divina) entgegen,<br />
noch das Naturrecht (lex naturae) noch das geschriebene<br />
Recht (lex scripta). Magerus bezieht sich auf den Rechtsgrundsatz:<br />
Wenn der Zweck eines Verbotes entfällt, muss auch das Verbot<br />
selbst entfallen 61 .<br />
Das Plädoyer der Frau Kollegin, die Geschichte der lex Carfania,<br />
ist eine Mahnung, es mit der Freiheit der Advokatur und der<br />
Toleranz im Advokatenstand noch genauer zu nehmen.<br />
55 Lex divina quae uxores maritorum imperio subjicit universalis est ... casum,<br />
quo maritus adeo est stupidus, ut imperium suum est dominium sine pernicie rei<br />
familiaris exercere nequeat. Leyser, A. Meditationes ad Pandectas (1713 ff.),<br />
S. 159: de iuribus coniugum.<br />
56 Femina quaedam viginti duos successive habuit maritos, et deinde nupsit viro,<br />
qui viginti sepelierat uxores: qui postmodum vincens superstes remansit; Ferraris,<br />
F.L., Prompta Bibliotheca Canonica, iuridica, moralis thelogica 1861.<br />
57 Ad incisionem cadaveris masculini eius demonstrationem publicam (1719);<br />
ebenso (1717): ad dissectionem cadaveris foeminini ...<br />
58 Necessum esse deum existere, qui tam artificiosam machinam produxit.<br />
59 Vgl. Ostler, AnwBl 92/409: Frau Rechtsanwältin gibt es – erst – seit 70 Jahren.<br />
60 Löwenstein, JW 20/259.<br />
61 Ratione namque prohibitionis cessante ipsa quoque prohibitio legis cessare<br />
debet.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 737<br />
u<br />
Die Mediation –<br />
eine Chance für die<br />
Anwaltschaft<br />
Dr. Elke Dorothea Bohl,<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
Die Zahl der Anwälte in<br />
Deutschland wächst unaufhörlich.<br />
Bald schon dürfte die Marke von<br />
110000 überschritten werden, und<br />
ein Ende des Anstiegs ist nicht in<br />
Sicht. Noch immer schreiben sich<br />
Jahr für Jahr etwa 19 000 Studenten<br />
an juristischen Fakultäten ein.<br />
Der Großteil derer, die ihre Ausbildung<br />
erfolgreich meistern, wird<br />
schließlich Anwalt. Aber den<br />
Berufsanfängern winken keine<br />
Reichtümer – auf dem deutschen<br />
Markt ist es eng geworden. Vorbei<br />
die Zeiten, als das Kanzleischild<br />
an der Haustür ausreichte, um ein<br />
sicheres Auskommen zu garantieren.<br />
Doch nicht genug mit der heimischen<br />
Konkurrenz. Vor allem<br />
die Wirtschaftsanwälte bekommen<br />
den harten Wind des Wettbewerbs<br />
aus Großbritannien und den Vereinigten<br />
Staaten zu spüren. Schon<br />
längst haben sich große angloamerikanische<br />
Law Firms hierzulande<br />
etabliert und sich sogar mit<br />
renommierten deutschen Büros<br />
verbündet. Kein Wunder, daß mitt-<br />
lerweile auch in den hiesigen<br />
Sozietäten über Unternehmensstrategien,<br />
Controlling und Marketing<br />
nachgedacht wird. Und kein Wunder,<br />
daß mit Eifer nach neuen<br />
Geschäftsfeldern gefahndet wird:<br />
Wenn immer mehr Anwälte ihr<br />
Stück vom Kuchen haben wollen,<br />
dann muß der Kuchen eben größer<br />
werden, damit der eigene Anteil<br />
nicht allzu klein ausfällt.<br />
Besonders hoch gehandelt wird<br />
dabei zur Zeit die Mediation. Es<br />
gibt kaum noch einen Anwaltskongreß,<br />
auf dem das Thema nicht zur<br />
Sprache käme. Spezielle Zeitschriften<br />
widmen sich dieser Form der<br />
Streitbeilegung, Bücher sind dazu<br />
erschienen, und juristische Fachpublikationen<br />
bringen Sonderhefte<br />
heraus. Auch der Gesetzgeber hat<br />
sich darauf besonnen, daß man<br />
nicht richten muß, wo sich schlichten<br />
läßt, und das Gesetz<br />
zur Förderung der außergerichtlichen<br />
Streitbeilegung verabschiedet.<br />
Seit dem 1. Januar 2000 können<br />
die Länder nun vorsehen, daß<br />
die Prozeßparteien in Verfahren mit<br />
geringem Streitwert einen Einigungsversuch<br />
vor einer Gütestelle<br />
unternehmen müssen, bevor sie vor<br />
die Zivilgerichte ziehen können.<br />
Etliche Länder haben von dieser<br />
Option bereits Gebrauch gemacht<br />
oder streben es an.<br />
Die Mediation soll freilich mehr<br />
bieten als eine Einigung in einem<br />
Güteverfahren. Von ihren Verfechtern<br />
wird sie in den höchsten Tönen<br />
gelobt. Effizient soll sie schein,<br />
schneller als eine gerichtliche<br />
Auseinandersetzung und billiger<br />
natürlich auch. Statt ihre Kräfte in<br />
Scharmützeln und zermürbenden<br />
Stellungskämpfen vor Gericht zu<br />
vergeuden, sollen die Streitenden<br />
gemeinsam nach Lösungen suchen.<br />
Der Mediator wirkt dabei wie ein<br />
Katalysator. Er entscheidet nicht<br />
wie ein Richter, sondern hilft den<br />
Zerstrittenen lediglich, selbst einen<br />
Ausweg zu finden. Dabei soll nicht<br />
um Positionen gerungen werden,<br />
wie sie vor Gericht in den Klage-<br />
anträgen zum Ausdruck kommen.<br />
Ziel ist es, die Interessen aufzudekken,<br />
die hinter diesen Positionen<br />
stecken. Dann nämlich, so lautet<br />
die Überlegung, lasse sich womöglich<br />
eine Lösung finden, die beiden<br />
Parteien Vorteile bringe. Im Idealfall<br />
gibt es am Ende also nicht<br />
Gewinner und Verlierer, sondern<br />
zwei Sieger.<br />
Es gibt wohl kaum jemanden,<br />
der sich von dieser Idee nicht faszinieren<br />
ließe. Sie scheint für Familienkonflikte<br />
ebenso geeignet wie<br />
für arbeitsrechtliche Streitigkeiten<br />
oder Auseinandersetzungen zwischen<br />
Geschäftspartnern. Und weil<br />
in allen diesen Dingen rechtliche<br />
Fragen eine große Rolle spielen,<br />
drängt es sich geradezu auf, daß<br />
Anwälte die Rolle der Mediatoren<br />
übernehmen könnten. Doch tut sich<br />
da wirklich ein lukratives neues<br />
Gebiet auf? Seit etlichen Jahren ist<br />
nun schon in Deutschland zu hören,<br />
das Zeitalter der Wirtschaftsmediation<br />
sei – nach den Vereinigten<br />
Staaten – jetzt auch hier angebrochen.<br />
Bislang allerdings scheinen<br />
an der frohen Botschaft vor allem<br />
die zu verdienen, die sie verkünden:<br />
Seminare über die Kunst der<br />
Mediation werden allenthalben angeboten.<br />
Lohnt es sich nun, als Anwalt<br />
auf diesen Zug aufzuspringen?<br />
Wer sich eine Geschäftschance –<br />
so ungewiß sie momentan auch<br />
ist – auf keinen Fall entgehen lassen<br />
will, der sollte sich wohl in<br />
der Tat mit der Mediation befassen.<br />
Allzu große Hoffnungen allerdings<br />
sollte man derzeit nicht<br />
darein setzen. Es mag schon sein,<br />
daß sich Mandanten allmählich<br />
dafür gewinnen lassen, statt vor<br />
Gericht beim Anwalt-Mediator ihr<br />
Glück zu versuchen und statt auf<br />
die Entscheidung eines Richters<br />
lieber auf eigene Lösungen zu setzen.<br />
Einstweilen jedoch scheint<br />
für die Mediation vor allem eines<br />
zuzutreffen: daß sie eine Menge<br />
Anwälte interessiert, aber deutlich<br />
weniger Klienten.
738<br />
MN<br />
5 %<br />
Justizreform – Zivilprozess<br />
DAVaktiv gegen wesentliche<br />
Teile dieser Justizreform<br />
Der Deutsche Anwaltverein hat,<br />
nachdem er bereits den Referentenentwurf<br />
und den Entwurf der Regierungsfraktionen<br />
entschieden abgelehnt hat,<br />
sich nun auch „entsetzt“ über den im<br />
Vergleich zu dem Regierungsfraktionenentwurf<br />
nahezu unterveränderten Entwurf<br />
der Bundesregierung geäußert. Mit<br />
Hilfe einer Pressekonferenz auf dem<br />
63. Deutschen Juristentag in Leipzig<br />
und intensiver Arbeit der Mitglieder des<br />
DAV-Ausschusses Justizreform – Zivilprozess<br />
beim DJT hat er seinen Standpunkt<br />
und somit die Interessen der deutschen<br />
Anwaltschaft energisch vertreten.<br />
Regierungsentwurf<br />
Das Bundeskabinett hat am 6. September<br />
2000 den Regierungsentwurf<br />
zur Justizreform beschlossen. Dabei ähnelt<br />
dieser ganz wesentlich dem Regierungsfraktionenentwurf.<br />
Am selben Tag<br />
hat der DAV mit einer Presseerklärung<br />
reagiert und darin die Ansicht geäußert,<br />
dass durch diesen Regierungsentwurf<br />
hier wieder eine Chance vertan wurde,<br />
die wesentlichen Kritikpunkte der Praxis,<br />
insbesondere der Anwaltschaft, zu<br />
berücksichtigen. Der Hauptgeschäftsführer<br />
des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Dr. Dierk Mattik, wirdinderMeldung<br />
der Nachrichtenagentur ddp vom<br />
6.9.2000 mit den Worten zitiert: „Wir<br />
müssen feststellen, dass permanent die<br />
Meinungen der Praktiker übergangen<br />
werden.“ Die Hauptkritikpunkte werden<br />
dann weiter ausgeführt. Auch die Nachrichtenagentur<br />
dpa berichtet, dass der<br />
Deutsche Anwaltverein die Reform als<br />
nicht bürgerfreundlich bezeichnet habe<br />
und sie zudem Rechtsmittel beschneide.<br />
In der Rheinischen Post vom 7.9.2000<br />
führt Dr. Mattik aus, dass diese Justizreform<br />
in der Summe eine Demontage<br />
eines effizienten Justizsystems darstellt.<br />
Im übrigen verweist er darauf, dass die<br />
Anwaltschaft mit der Kritik nicht allein<br />
steht, sondern es auch die Richter, die<br />
Justizverwaltung und Oberlandesgerichtspräsidenten<br />
genauso sehen. Über<br />
die ablehnende Haltung des DAV berichtete<br />
u. a. die Süddeutsche Zeitung,<br />
die Frankurter Rundschau und die Financial<br />
Times Deutschland am 7.9.00.<br />
Aber auch in einer Vielzahl regionaler<br />
Tageszeitungen wurde der Standpunkt<br />
des DAV wiedergegeben, beispielsweise<br />
in der Neuen Ruhr Zeitung und dem<br />
Kölner Morgen am 8.9.2000.<br />
63. Deutscher Juristentag<br />
Beim DJT in Leipzig hat der DAV<br />
den Druck auf die Bundesministerin<br />
der Justiz weiter erhöht und seine<br />
Kritik näher erläutert. Hierzu wurde bereits<br />
am 27.9.2000 eine Pressekonferenz<br />
durchgeführt. In einem beeindruckenden<br />
Referat erläuterte der Vorsitzende<br />
des DAV-Ausschusses Justizreform –<br />
Zivilprozess, Rechtsanwalt Felix Busse,<br />
Bonn, am 28.9.2000 im „Aktuellen<br />
Forum“ des DJT’s die Kritik des DAV.<br />
Bei der Pressekonferenz äußerte<br />
der DAV die Erwartung, dass beim<br />
DJT deutlich werden wird, dass die<br />
vorgeschlagene Reform in den vom<br />
DAV abgelehnten Punkten in Widerspruch<br />
zu den eigentlichen Zielen der<br />
Reform nach mehr Bürgernähe, Transparenz<br />
und Effizienz im Zivilprozess<br />
steht. Seine Ablehnung verbindet der<br />
DAV mit der Hoffnung, dass die Reform<br />
nicht gegen den großen Konsens<br />
der Praxis durchgesetzt wird. Gleichzeitig<br />
wurde die Bereitschaft betont,<br />
die vorliegenden Entwürfe mit den<br />
nun zuständigen Gremien und Mitgliedern<br />
des Deutschen Bundestages und<br />
des Bundesrates zu diskutieren und<br />
das know how des DAV anzubieten.<br />
Die Nachrichtenagentur ddp meldete<br />
bereits am 26.9.2000: „Der Deutsche<br />
Anwaltverein (DAV) lehnt die von Bundesjustizministerin<br />
Herta Däubler-<br />
Gmelin (SPD) geplante Justizreform<br />
des Zivilprozesses als ungenügend und<br />
nicht notwendig ab. Sie sei ein „Einschnitt<br />
in das bewährte Justizsystem<br />
und ein Rückschneiden von Qualität“,<br />
sagte DAV-Hauptgeschäftsführer Dierk<br />
Mattik der Nachrichtenagentur ddp in<br />
Bonn. „Die Reform führt auch nicht zu<br />
mehr Bürgerfreundlichkeit, sondern zu<br />
mehr Bürgerfeindlichkeit“, betonte<br />
Mattik. Probleme würden nicht gelöst,<br />
sondern noch verschärft, fügte er hinzu.<br />
Die Justizreform ist eines der Themen<br />
des Deutschen Juristentages in Leipzig,<br />
der am Dienstag beginnt.„ Über die<br />
Pressekonferenz schreibt die Nachrichtenagentur<br />
am 27.9.2000: „In der Diskussion<br />
um die geplante Reform des<br />
Zivilprozesses wirft der Deutsche<br />
Anwaltverein der Politik eine Verweigerungshaltung<br />
vor. Die Politik höre<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
offenbar nicht auf die Praxis und weiche<br />
der Diskussion aus, sagte der Vorsitzende<br />
des DAV-Ausschusses Justizreform,<br />
Felix Busse, auf dem Deutschen<br />
Juristentag am Mittwoch in<br />
Leipzig.DabeisehesichderAnwaltverein<br />
nicht als „totaler Verneiner.“<br />
Der Präsident des DAV, Rechtsanwalt<br />
Dr. Michael Streck, wird mit seiner Befürchtung<br />
wiedergegeben, dass durch<br />
die Reform vor allem Nachteile für die<br />
Bevölkerung entstehen könnten. Die<br />
geplante Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />
für alle Berufungsverfahren<br />
führe vor allem in den Flächenländern<br />
zu deutlich längeren Wegen für alle<br />
Prozessbeteiligten. Die Zuständigkeit<br />
der Oberlandesgerichte könnte ferner<br />
zu einer völligen Verstopfung der Berufungsinstanz<br />
und damit zu einer Verlängerung<br />
der Verfahren führen.<br />
Die Süddeutsche Zeitung schreibt<br />
am 28.9.2000: „Im Vorfeld verschärfte<br />
der DAV noch einmal seine Kritik am<br />
Verhalten der Ministerin sowie an<br />
„Dollpunkten“ der Reform. Die Politikerin<br />
praktiziere eine „asymetrische<br />
Kommunikation“ und lasse keine<br />
richtigen Gespräche zustande kommen,<br />
warf ihr DAV-Präsident Michael<br />
Streck vor. Sein Kollege Felix Busse<br />
sprach von der „Vortäuschung einer<br />
Gesprächsbereitschaft“.“ Über diese<br />
Meinung berichteten neben dem Deutschenlandfunk<br />
auch die Rundfunkanstalten<br />
der ARD am 27. und<br />
28.9.2000. Auch der Tagesspiegel aus<br />
Berlin berichtete über die ablehnende<br />
Haltung des DAV.<br />
Die Kritik des DAV, dassu.a.bei<br />
offensichtlicher Aussichtslosigkeit ein<br />
Kollegialgericht eine Berufung ohne<br />
mündliche Verhandlung zurückweisen<br />
könnte, meldet dpa am 28.9.2000.<br />
Hierin äußert Rechtsanwalt Busse seine<br />
Zweifel am Effizienzgewinn durch dieses<br />
vereinfachte Verfahren. Außerdem<br />
sei nur eine mündliche Verhandlung ein<br />
Ausdruck von Bürgernähe.<br />
Die Nachrichtenagentur AP meldet<br />
am 28.9.2000, dass bei dem Aktuellen<br />
Forum Justizreform – Zivilprozess<br />
schnell klar wurde, wo die Mehrheit<br />
der im Saal versammelten Fachleute<br />
stand: „Auch wenn die Kritik wenig<br />
nutzt, wie Dr. Hans Lühn, Vorstandsmitglied<br />
des DAV, resümierte. Die<br />
Situation sei unverändert, die Anwalt-<br />
(Fortsetzung auf Seite 740)
740<br />
MN<br />
(Fortsetzung von Seite 738)<br />
schaft habe die Erfahrung, dass die Ministerin<br />
in der Sache wenig zugänglich<br />
sei und sich auf ihre bekannten Standpunkte<br />
zurückziehe.“ Dass der DAV<br />
abermals eine volle zweite Tatsacheninstanz<br />
auf dieser Veranstaltung forderte,<br />
berichtete die Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung am 29.9.2000. Sie schreibt u. a:<br />
„Ungehalten zeigte sich Felix Busse<br />
vom Deutschen Anwaltverein darüber,<br />
dass die SPD-Politikerin zuvor auf der<br />
selben Veranstaltung im Zuge der Justizreform<br />
eine Erhöhung der Anwaltshonorare<br />
angekündigt hatte. „Die Anwaltschaft<br />
wird sich für höhere Gebühren<br />
nicht einkaufen lassen“, sagte Busse<br />
unter Beifall. Er warf der Ministerin<br />
vor, sich bis heute auf keine Diskussion<br />
eingelassen zu haben. Wie zu hören ist,<br />
setzt die Anwaltschaft mittlerweile vor<br />
allem auf den Bundestagsrechtsausschuss<br />
als Gesprächspartner.“ Hierüber<br />
berichtete auch das Handelsblatt am<br />
29./30.9.2000 und abermals die Süddeutsche<br />
Zeitung am 30.9.2000 sowie<br />
eine Vielzahl regionaler Tageszeitungen<br />
wie beispielsweise die Bremer Nachrichten,<br />
derWeser Kurier u.v.m.<br />
Der DAV wird, wie in Leipzig angekündigt,<br />
nun intensiv das Gespräch mit<br />
den Bundestagsabgeordneten und den<br />
Vertretern des Bundesrates suchen, um<br />
seine Einflussmöglichkeiten geltend zu<br />
machen. Er wird weiterhin den Standpunkt<br />
der Anwaltschaft massiv vertreten.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Gebührenrecht –<br />
Sommerintensivkurs 2000<br />
Referenten: Hans Joachim Bischoff,<br />
VizePräs OLG i. R. und Wolfgang<br />
Madert Rechtsanwalt in Moers<br />
In dem einwöchigen Gebührenrechtsintensivkurs<br />
vom 14.8. –<br />
19.8.2000 in Sils Maria/Schweiz wurde<br />
ein umfangreicher systematischer Überblick<br />
über das gesamte Rechtsanwaltsgebührenrecht,<br />
Honorarvereinbarungen<br />
in Zivil- und Strafsachen, Streitwerte<br />
und Gebühren in Ehe- und Familiensachen<br />
und die Sicherung des Honorars<br />
vermittelt (Bischof u. Madert).<br />
25 Teilnehmer waren anwesend.<br />
Zur Verfügung gestellt wurden ihnen<br />
übersichtliche und umfangreiche Arbeitsunterlagen,<br />
sowie Beispielfälle<br />
mit Lösungen.<br />
Zu den Referenten:<br />
Bischof gehörte seit 1972 dem (14.)<br />
Kostensenat des OLG Koblenz an, dessen<br />
Vorsitz er seit 1986 bis zu seiner<br />
Pensionierung im Sommer innehatte.<br />
Der Senat hat mit einer Reihe von<br />
grundlegenden Entscheidungen die<br />
vielfältigen Kostennovellen der letzten<br />
25 Jahre begleitet. Neben einer Vielzahl<br />
kostenrechtlich interessanter Entscheidungen<br />
publizierte er insbesondere<br />
zum Thema Streitverkündung (Jur.Büro<br />
1984, 969 ff., 1141 ff., 1309 ff., 1461 ff.)<br />
und Freistellungsanspruch (ZIP 1984,<br />
1444 ff.) und zur Problematik, wie sich<br />
eine Prozesspartei gegenüber überhöhten<br />
Sachverständigengebühren wehren<br />
kam (NJ 9/98 464 ff.).<br />
Madert ist Herausgeber der monatlichen<br />
Fachzeitschrift „Anwaltsgebühren<br />
spezial“ (AGS) und aufgrund weiterer<br />
zahlreicher Veröffentlichungen<br />
zum Gebührenrecht bekannt. Den meisten<br />
Kolleginnen und Kollegen werden<br />
seine Kommentierungen des BRAGO-<br />
Standardkommentars Gerold/Schmidt/<br />
v. Eicken/Madert (14. Aufl. 1999) oder<br />
sein Buch „Der Gegenstandswert in<br />
bürgerlichen Rechtsangelegenheiten“<br />
(4. Aufl. 1999) gegenwärtig sein.<br />
Inhalt des Sommerkurses<br />
Bischof behandelte Probleme der Erstattungsfähigkeit<br />
der gesetzlichen Gebühren,<br />
Verfahrens- und Gebührenstreitwerte,<br />
Angelegenheit und Gegenstand,<br />
die Grundgebühren des Zivilprozesses,<br />
des Vergleichs und die Vergleichsgebühr,<br />
das Beitreibungsrecht des PKH-<br />
Anwaltes, der Kosten der Streitverkündung<br />
und des selbständigen Beweisverfahrens.<br />
Hinzu kamen Ausführungen<br />
zur Problematik der Kosten von Hauptbevollmächtigten<br />
und Unterbevollmächtigten,<br />
insbesondere in Hinblick<br />
auf den Wegfall des Lokalisationsprinzips<br />
(§ 78 Abs. 1 ZPO).<br />
Er ging auf Schwerpunkte der<br />
Kostenfallen für den Anwalt ein: die<br />
Notwendigkeit ausdrücklicher Gebührenvereinbarung<br />
bei mehreren Angelegenheiten,<br />
die zeitlich richtige Erstellung<br />
des Kostenantrages bei Parteiwechsel,<br />
Mitwirkung beim Vergleich,<br />
wenn dieser durch Bürovorsteher, Assessor<br />
oder mitarbeitenden Referendar<br />
geschlossen wurde (§ 4 BRAGO), die<br />
richtige Handhabung des § 160 ZPO<br />
in Hinblick auf das Entstehen der<br />
Beweisgebühr. Nicht zu vergessen der<br />
§ 118 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wonach<br />
die hier entstandenen Gebühren eben<br />
nicht auf die Gebühren des § 31<br />
BRAGO anzurechnen sind.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Der Vortrag Bischofs war nicht nur<br />
kompetent und auf die Bedürfnisse der<br />
Anwaltschaft zugeschnitten, seine mitunter<br />
philosophischen Sentenzen ließen<br />
die an sich recht trockene Materie<br />
durchaus zu einem Erlebnis werden.<br />
Auch ließ die Lebhaftigkeit seines<br />
Vortrages Müdigkeit nicht aufkamen.<br />
Madert widmete sich, souverän in<br />
der Materie stehend, vor allen Dingen<br />
den Gebühren und Streitwerten in<br />
Ehe- und Familiensachen. Er plädierte<br />
wiederholt für den Einsatz von Honorarvereinbarungen,<br />
zumindest auch für<br />
den Abschluss von Zusatzvereinbarungen.<br />
Zum Thema Honorarvereinbarung<br />
stellte Madert umfangreiche Checklisten<br />
und eine Reihe von Mustervereinbarungen<br />
zur Verfügung.<br />
Beide Referenten waren für Zwischenfragen<br />
stets offen und wussten<br />
diese in ihren Vortrag so einzubinden,<br />
dass sie nicht das Verständnisproblem<br />
des Einzelnen, sondern Erkenntnis<br />
aller Seminarteilnehmer wurde.<br />
Umgebung des Seminarortes<br />
Der Kurs fand in der einzigartigen<br />
Umgebung von Sils Maria im Oberengadin<br />
statt. Das Hotel Waldhaus, ein<br />
Hotel der Belle Epoque, lädt seine Gäste<br />
nicht nur zum Nachdenken, sondern<br />
auch zum Träumen und Genießen ein.<br />
Weitab vom Getriebe eines Konferenzund<br />
Geschäftshotel, eingefangen von<br />
der Schönheit der Natur und der einzigartigen<br />
Gastfreundschaft dieses familiär<br />
geführten Schweizer Hauses haben wir<br />
in harmonischer Runde nicht nur unsere<br />
Kenntnisse des Gebührenrechts vertieft,<br />
sondern in der zur Verfügung stehenden<br />
Freizeit auch die erreichbaren Berggipfel<br />
erklommen und romantische Täler<br />
besucht. Madert überzeugte nicht nur<br />
als Experte des Gebührenrechtes, sondern<br />
auch als Goethe-Kenner. Noch disziplinierter<br />
als im Kurs selbst haben wir<br />
seinem Referat „Goethe und die (Flucht<br />
vor den) Frauen“ unsere Aufmerksamkeit<br />
geschenkt.<br />
Inhalt und Organisation dieses Seminares<br />
gebühren höchstes Lob. Es wurden<br />
nicht nur sehr viele Anregungen gegeben,<br />
die zur Amortisation der Kosten führen.<br />
Es wurden auch Freundschaften geknüpft<br />
und Gedanken und Erfahrungen ausgetauscht,<br />
die einen eigenen Beitrag zu<br />
effektiverer Arbeit leisten werden.<br />
Bleibt zu wünschen, dass das insgesamt<br />
hohe Niveau dieser Veranstaltung<br />
auch künftigen Teilnehmern geboten wird.<br />
Rechtsanwältin Sabine Henkel,<br />
Magdeburg
742<br />
MN<br />
AG Steuerrecht im DAV<br />
Steueranwalt 2000 – zwischen<br />
Sonnenschein und Horror<br />
Die Veranstaltung<br />
Gut 140 Teilnehmer folgten der<br />
Einladung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Steuerrecht am 29. und 30. September<br />
2000 nach Hannover, mehr als jemals<br />
zuvor. Das Konzept des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses, die EXPO 2000<br />
in Hannover zu nutzen und für die<br />
Teilnehmer ein attraktives Rahmenprogramm<br />
zu bieten, ging voll auf. Hotelpreise,<br />
die eher an Strassenräuber denken<br />
liessen und letztlich die immer<br />
wieder chaotische Fortschreibung der<br />
steuerlichen Gesetzgebung wurden<br />
durch die hervorragende Organisation<br />
und Betreuung durch Frau Ingela Marré<br />
von der AnwaltAkademie mehr als<br />
wettgemacht.<br />
Die Referate<br />
Prof. Dr. Dirk Krüger, RA/StB, Andersen<br />
Luther, Eschborn, beschäftigte<br />
sich mit der Richtigen Rechtsformwahl<br />
nach der Unternehmenssteuerreform.<br />
Er plädierte dabei überdeutlich für die<br />
Personengesellschaft, auch wenn nicht<br />
zu verkennen sei, daß der Gesetzgeber<br />
versuche, Geschäftstätigkeiten in die<br />
Kapitalgesellschaft zu treiben. Demgegenüber<br />
wurden im Referat von<br />
Frau Kirsten Bäumel-Ianniello, RAin/<br />
FAStR, SINA MAASSEN (Aachen)<br />
die Vorzüge der sog. Kleinen Aktiengesellschaft<br />
deutlich, die wohl zu<br />
Recht als alternative Unternehmensform<br />
bezeichnet werden kann.<br />
Prof. Dr. Georg Crzelius, Universität<br />
Bamberg, analysierte Aktuelle<br />
Fragen der Vermögens- und Unternehmensnachfolge,<br />
gerade in Bezug<br />
auf die Steuerreform 2001. Dabei wurden<br />
nicht nur handwerkliche Fehler,<br />
sondern Skurilitäten deutlich, die vom<br />
Gesetzgeber wohl kaum gewollt worden<br />
sind. Dr. Andreas Söffing, SJ<br />
Berwin Knopf Tulloch, ergänzte diese<br />
Darstellung durch die Darstellung<br />
Aktueller Aspekte zum Unternehmenskauf<br />
und -verkauf; Dr. Thomas Rödder,<br />
StB/WP, FLICK GOCKE<br />
SCHAUMBURG, Bonn, führte das<br />
Thema weiter mit der Übersicht über<br />
Aktuelle Fragen des Umwandlungssteuerrechts.<br />
Unter dem Titel Steuerplanung gab<br />
Dr. Harald Treptow, Leiter der Steuerabteilung<br />
der Mannesmann AG, Düssel-<br />
dorf, einen tieferen Einblick in die Funktionsweise<br />
einer Konzern-Steuerabteilung.<br />
Frau Alexandra Mack, RAin/<br />
FAStR, STRECK MACK SCHWED-<br />
HELM, Köln referierte für den Präsidenten<br />
des DAV, Herrn Dr. Michael<br />
Streck, der leider nicht zur Veranstaltung<br />
kommen konnte, über Verschwiegenes<br />
Vermögen in der Nachfolgeplanung.<br />
„Steuerreform 2001“ – neue Geister,<br />
neuer Horror?<br />
Wie auch in den vergangenen Jahren<br />
rankten sich die Themen um „die“<br />
sog. Steuerreform. Nach dem Steuerentlastungsgesetz<br />
(das niemanden entlastete)<br />
nun das Steuersenkungsgesetz<br />
und danach das „Reparaturgesetz“, das<br />
Steuerentlastungs-Änderungsgesetz.<br />
Die Titel der einzelnen Gesetze sind<br />
letztlich unerheblich, entscheidend ist<br />
der Inhalt. Zum ersten Mal seit Jahren<br />
handelt es sich bei der Steuerreform<br />
um eine Reform, die den Namen verdient.<br />
Die Reform, die am 14. Juli<br />
spektakulär beschlossen wurde und die<br />
zu Beginn des Jahres 2001, teilweise<br />
aber auch erst 2002 in Kraft tritt, mag<br />
nicht jeden begeistern. Begrüsst wurde<br />
aber,von den meisten Referenten, daß<br />
damit ein „Schritt in die richtige Richtung“<br />
getan wurde. Letztlich ist aber<br />
bei allen Unwägbarkeiten eines für<br />
alle Steueranwälte sicher: Das Steuerrecht<br />
wird nicht einfacher.<br />
Mitgliederversammlung<br />
Zum Ende des Steueranwaltstages<br />
stand neben den Rechenschaftsberichten<br />
die Neuwahl des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses an. Trotz einiger<br />
weiterer Bewerbungen wurde der<br />
komplette Ausschuss in der früheren<br />
Besetzung wiedergewählt. Vorsitzender<br />
ist nach wie vor Dr. Rolf Schwedhelm<br />
(Köln), sein Stellvertreter Dr.<br />
Ingo Flore (Dortmund). Mitglieder<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
sind weiterhin Frau Kirsten Bäumel-<br />
Ianniello (Aachen), Frau Anja Möwisch<br />
(Hannover), Sebastian Korts<br />
(Köln), Dr. Marcel Sauren (Aachen),<br />
Dr. Jochen Krieger (Stade) und Jürgen<br />
Wagner (Konstanz/Zürich). Vom DAV<br />
„abgeordnet“ wird Herr RA/StB Friedhelm<br />
Jacob (Frankfurt).<br />
Die Referate des Steueranwaltstages<br />
werden in einer Broschüre „Steueranwalt<br />
2000“ zusammengefasst, die<br />
in den nächsten Monaten erscheinen<br />
wird.<br />
Rechtsanwalt Jürgen Wagner,<br />
Konstanz /Zürich<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
AG Verkehrsrecht im DAV<br />
Journalistenseminar 2000<br />
Auch in diesem Jahr hat die Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht im<br />
Deutschen Anwaltverein zusammen<br />
mit dem PR-Referat ein Journalistenseminar<br />
durchgeführt. Nachdem im<br />
vergangenen Jahr das Journalistenseminar<br />
anlässlich des 20jährigen Bestehens<br />
der Arbeitsgemeinschaft in<br />
Würzburg stattgefunden hat, wurde<br />
dieses Jahr wieder ins Elsaß eingeladen.<br />
Auch in diesem Jahr folgten viele<br />
Pressevertreter aus den elektronischen<br />
und den Print-Medien der Einladung.<br />
Ein Themenschwerpunkt war die<br />
geplante Überarbeitung des Versicherungsvertragsgesetzes<br />
(VVG). Hier<br />
konnte als Gesprächspartner Herr<br />
Richter am BGH Prof. Wolfgang Römer<br />
vom IV. Senat gewonnen werden.<br />
Der Gesetzgeber plant, das nunmehr<br />
beinahe 80 Jahre alte Versicherungsvertragsgesetz<br />
gründlich zu entrümpeln.<br />
Hierfür hat er eine Kommission<br />
berufen, die Vorschläge der Überarbeitung<br />
machen soll. Herr Richter am<br />
BGH Prof. Wolfgang Römer ist Mitglied<br />
der Kommission und war somit<br />
kompetenter Ansprechpartner für die<br />
Presse. Aus Anwaltssicht ist die Berufung<br />
Prof. Römers besonders erfreulich,<br />
da er sich in der Vergangenheit<br />
schon einen Namen als Wahrer der<br />
Verbraucherrechte gemacht hatte.<br />
In seinen Ausführungen wies er<br />
beispielsweise auf den nach seiner Ansicht<br />
veralteten § 47 VVG hin. Danach<br />
muss eine Schadensmeldung für die<br />
Wirksamkeit schriftlich erfolgen und<br />
zugegangen sein. Dabei ist der Versicherungsvertreter<br />
nicht zur Entgegennahme<br />
bevollmächtigt. Diese Klausel<br />
hatte der BGH mit Urteil vom 22.9.99<br />
(Az: IV ZR 15/99; veröffentlicht in<br />
ZfS 67/00) für wirksam erklärt. Die<br />
Beschränkung der Empfangsvollmacht<br />
ist insoweit bedenklich, da oft der Versicherungsvertreter<br />
der direkte Ansprechpartner<br />
des Versicherungsnehmers<br />
ist. Nach Ansicht Prof. Römers<br />
muss es mehr Schutz der Verbraucher<br />
vor Versicherungsbedingungen geben.<br />
Nach seiner Ansicht ist auch änderungsbedürftig,<br />
dass der Versicherer<br />
einen Anspruch ablehnen kann, wenn<br />
nach sechs Monaten dieser nicht<br />
gerichtlich geltend gemacht worden<br />
ist. Es bestehe keinerlei Grund, warum<br />
Versicherer nicht mit der normalen<br />
Verjährungsfrist auskommen. Er sprach
AnwBl <strong>12</strong>/2000 743<br />
Europa<br />
sich zudem für eine Abkehr vom<br />
Alles-oder-Nichts-Prinzip und für eine<br />
Quotenregelung aus.<br />
Ein weiteres Thema waren die Drogen<br />
im Straßenverkehr aus der Sicht<br />
des Sachverständigen. Als Gesprächspartner<br />
stand hier Prof. Dr. Manfred<br />
Möller vom Rechtsmedizinischen Institut<br />
der Universität des Saarlandes,<br />
Homburg/Saar, zur Verfügung. Hier<br />
ging es um die Auswirkungen der Gesetzesänderung<br />
hinsichtlich des Führens<br />
eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss.<br />
Prof. Möller erläuterte die<br />
Problematik und stellte das im Wesentlichen<br />
von ihm mit entwickelte Schulungsprogramm<br />
für Polizeibeamte vor.<br />
Bei Drogen gelang die Beweisführung<br />
in der Vergangenheit eher selten, zeigten<br />
die Untersuchungen der Rechtsmedizin<br />
im Saarland. Seit zwei Jahren<br />
wird aber intensiv nach Drogen im<br />
Straßenverkehr gefahndet, und seitdem<br />
ist die Zahl entdeckter Drogenfahrten<br />
massiv angestiegen. Haschisch und<br />
Amphetamine stellen vor allem bei<br />
jüngeren Autofahrern den Löwenanteil<br />
der berauschenden Stoffe, aber Ecstasy<br />
und Valium sind stark vertreten. Be-<br />
EUROPA<br />
DACH Europäische Anwaltsvereinigung<br />
– Kurzdarstellung und Wahl des neuen Vorstands –<br />
Die DACH Europäische Anwaltsvereinigung ist im Mai<br />
1989 als DACH Deutsch-Österreichisch-Schweizerisch-<br />
Liechtensteinische Anwaltsvereinigung e.V. in München<br />
gegründet worden. Die seinerzeitigen 25 Gründungsmitglieder<br />
haben die Kurzbezeichnung „DACH“ aus den Länderkennzeichen<br />
„D“ für Deutschland, „A“ für Österreich<br />
und „CH“ für die Schweiz gebildet. „DACH“ hat für die<br />
derzeit etwa 850 Mitglieder einen Symbolwert erlangt. Unter<br />
„DACH“ wird heute, nach über elf Jahren viel mehr verstanden,<br />
nämlich ein gemeinsames „DACH“, unter dem<br />
viele der Mitglieder aktiv an den jährlich zweimal stattfindenden<br />
Tagungen teilnehmen und zu gelungenen gesellschaftlichen<br />
Ereignissen machen. Der Sitz des Vereins ist<br />
in 80538 München, Widenmayerstraße 43.<br />
Neben Anwälten aus den vier Kernländern sind zwischenzeitlich<br />
auch deutsch sprechende Kollegen aus 18 weiteren<br />
Staaten, nämlich Belgien, Frankreich, Italien, Spanien,<br />
Portugal, Griechenland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, der<br />
sonders beachtlich ist, dass rund 50%<br />
der Verkehrsauffälligen im Alter von<br />
18 bis 24 Jahren neben Alkohol auch<br />
Drogen genommen haben. Zu vernachlässigen<br />
sind harte Drogen wie Heroin.<br />
Der konkrete Verdacht eines Polizisten<br />
ist notwendig, um eine Blutprobe gegen<br />
Autofahrer anzuordnen. Durch die<br />
Schulungen konnte eine Trefferquote<br />
der Beamten im Saarland von 95% erreicht<br />
werden. Dabei ist ein wesentliches<br />
Indiz die Pupillenreaktion.<br />
Die Journalistinnen und Journalisten<br />
wurden zudem über die Auswirkungen<br />
der geplanten Justizreform –<br />
Zivilprozess für verkehrsrechtliche Verfahren<br />
unterrichtet. Vorgesehen sind<br />
einschneidende Maßnahmen, die zum<br />
großen Teil auf heftigen Widerstand<br />
sowohl in der Anwaltschaft als auch in<br />
der Richterschaft gestoßen sind. Auch<br />
für den verkehrsrechtlichen Zivilprozess<br />
hätte das Gesetzesvorhaben erhebliche<br />
Auswirkungen, weshalb sich<br />
ebenfalls der 39. Deutsche Verkehrsgerichtstag<br />
2001 in einem seiner Arbeitskreise<br />
damit befassen wird. Durch<br />
die Beschränkung des neuen Vorbringens<br />
von Angriffs- und Verteidigungs-<br />
mittel kann beispielsweise eine Vermeidbarkeitsrechnung<br />
auf Grundlage<br />
der gefahrenen Geschwindigkeit nicht<br />
nachgeholt werden, wenn sie in erster<br />
Instanz unvollständig war. Auch die<br />
Einholung eines Gegengutachtens würde<br />
damit ausgeschlossen.<br />
Darüber hinaus wurden die Journalisten<br />
über die neuen Entwicklungen<br />
in der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung<br />
informiert.<br />
Neben diesem hochkarätigen und<br />
umfangreichen Programm bot sich<br />
auch die Gelegenheit des Gedankenund<br />
Erfahrungsaustauschs zwischen<br />
den Anwälten und den Journalistinnen<br />
und Journalisten bei einer Wanderung.<br />
Zudem konnten die Vorzüge der elsässischen<br />
Küche genossen werden.<br />
Die Resonanz auf diese Veranstaltung<br />
zeigt, dass diese bei vielen Journalistinnen<br />
und Journalisten, die sich<br />
mit verkehrsrechtlichen Themen beschäftigen,<br />
ein fester Bestandteil geworden<br />
ist. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht im DAV wird dadurch in<br />
außerordentlicher Weise durch die<br />
Presse wahrgenommen.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
tschechischen und slowakischen Republik Polen, Bulgarien,<br />
Russland, Norwegen, Luxemburg und den USA beigetreten.<br />
Die DACH Europäische Anwaltsvereinigung versteht<br />
sich als Vereinigung deutsch-sprachiger und in deutscher<br />
Sprache korrespondierender Anwälte. Satzungsmäßiger<br />
Zweck des Vereins ist die Pflege der Zusammenarbeit zwischen<br />
deutschsprachigen Anwälten, die Förderung des Erfahrungs-<br />
und Informationsaustausches und die Vermittlung<br />
von Kenntnissen der Rechtsordnung der vier Kernländer.<br />
Der Verein versteht sich insgesamt als Plattform für grenzüberschreitend<br />
innerhalb der vier Kernländer tätige Anwälte<br />
sowie solche Kollegen, die ausserhalb dieser deutschsprachigen<br />
Region in Mitteleuropa ihre Dienste auch in deutscher<br />
Sprache anbieten und vornehmlich mit bzw. für Kollegen<br />
und Mandanten im deutschsprachigen Raum arbeiten.<br />
Es finden seit Herbst 1989 jährlich regelmäßig zwei Tagungen<br />
zu unterschiedlichen Themenkreisen statt, wobei<br />
die Tagungsinhalte schwerpunktmäßig Referate von Kollegen<br />
aus den Kernländern mit entsprechenden EU-Bezügen<br />
bilden. So können nicht nur Kollegen aus den vier Kernländern<br />
selbst, sondern insbesondere auch in deutscher Sprache<br />
korrespondierende Kollegen aus Drittländern wertvolle In-
744<br />
l formationen aus den vier deutschsprachigen Staaten vertiefen,<br />
in denen sie ebenfalls für Klienten tätig sind. Aus vorgenannten<br />
Gründen wurde im Frühjahr einstimmig eine<br />
Satzungsänderung verabschiedet, wonach die Pflege der<br />
deutschen Sprache als Rechtssprache einen besonderen<br />
Stellenwert in der Satzung erhalten hat.<br />
Bis heute fanden insgesamt 23 Tagungen statt zu jeweils<br />
unterschiedlichen Themen aus dem Berufs- und Honorarrecht,<br />
der Haftung und Werbung von Rechtsanwälten, dem<br />
Recht der Zwangsvollstreckung, dem Wettbewerbsrecht,<br />
IPR und dem grenzüberschreitenden Handels- und Unternehmensverkehr,<br />
stets unter Berücksichtigung der besonderen<br />
Interessen der Kollegenschaft in den einzelnen Ländern.<br />
Die Tagungsreferate werden in einer eigenen DACH-<br />
Schriftenreihe veröffentlicht, wovon jedes Mitglied ein<br />
Exemplar kostenlos erhält. Jeder Band ist im Fachhandel erhältlich.<br />
Ferner erhalten alle Mitglieder jährlich ein aktualisiertes<br />
Mitgliederverzeichnis.<br />
Im Juni 1999 wurde das Vereinsleben durch den plötzlichen<br />
Tod des DACH – Präsidenten Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />
Walter Schuppich, Wien überschattet. Walter Schuppich<br />
stand der DACH seit der Gründung als Präsident vor. Er<br />
wird allen Mitgliedern als brillianter Kollege, weiser Vordenker<br />
und treuer und lieber Freund in Erinnerung bleiben.<br />
6<br />
Ausland<br />
Zwölf Jahre Vereinigung für<br />
deutsch-russisches Wirtschaftsrecht<br />
Die zunächst als Vereinigung für deutsch-sowjetisches<br />
Wirtschaftsrecht e.V. in Hamburg gegründete Vereinigung<br />
erhielt ihre jetzige Bezeichnung nach dem Untergang der<br />
Sowjetunion Ende 1991.<br />
Zu den Hauptzielen zählen die Vermittlung von Kenntnissen<br />
über sowie von Verständnis für das Recht Russlands<br />
und seiner Nachbarstaaten, die Veranstaltung von Seminaren<br />
und Symposien über aktuelle Rechtsprobleme in den bilateralen<br />
Wirtschaftsbeziehungen, die Förderung der Zusammenarbeit<br />
zwischen Juristen beider Länder sowie die<br />
Herausgabe eines Informationsbulletins.<br />
Seit 1988 führt die Vereinigung mindestens zweimal<br />
jährlich Seminare bzw. Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen<br />
durch Themen bildeten u. a. die „Praxis der Rechtsberatung<br />
in Russland und die geplante Neuregelung des Anwaltsrechts“,<br />
ferner eine Vorstellung der ersten Bücher des<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Mitteilungen<br />
Zuletzt fand die 23. DACH – Tagung in Basel zum Thema<br />
„e-commerce“ statt. Der technische Fortschritt zieht<br />
viele rechtliche Umwälzungen nach sich, was die jüngst zu<br />
diesem Thema ergangenen zahlreichen EU – Richtlinien<br />
unterstreichen.<br />
Schlusspunkt dieser interessanten Veranstaltung bildete<br />
die 14. Mitgliederversammlung, anlässlich derer der Vorstand<br />
wie folgt neu gewählt wurde:<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Wieland, München, Präsident<br />
(bisher Schriftführer seit 1989)<br />
Rechtsanwalt Dr. Max Oesch, Zürich, Vize – Präsident<br />
(wie bisher)<br />
Rechtsanwalt Dr. Norbert Seeger, Vaduz, Schatzmeister<br />
(wie bisher)<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Wrabetz, Wien, Schriftführer<br />
(Gründungsmitglied und neu gewählter Vorstand)<br />
Die 24. DACH – Tagung findet von 10. bis <strong>12</strong>. Mai<br />
2001 in Bad Ragaz statt mit den Thema „Geldwäsche“.<br />
Informationen zu dieser Tagung sowie allgemeine<br />
Informationen über die DACH sind erhältlich bei der Vereinsverwaltung<br />
in CH-8022 Zürich, Kappelergasse 14,<br />
Tel.: 0041<strong>12</strong>110777, Fax: 0041<strong>12</strong>110778<br />
Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Berlin<br />
neuen russischen Zivilgesetzbuchs durch prominente Mitglieder<br />
der russischen Kodifikationskommission.<br />
Weitere Themen bildeten Rechtsfragen der Rückführung<br />
von Kulturgütern nach dem Zweiten Weltkrieg, das russische<br />
Bankrecht, Forderungen im deutsch-russischen Wirtschaftsverkehr,<br />
das neue GmbH-Recht, die Beilegung und<br />
Entscheidung von Streitigkeiten in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen,<br />
die neueste Praxis des Internationalen<br />
Handelsschiedsgerichts in Moskau, Reformen für Russland-<br />
Leibniz und Peter I. und der Transformationsprozess in der<br />
Gegenwart u. a. m.<br />
Die zweimal jährlich erscheinenden Mitteilungen der<br />
Vereinigung „Recht und Praxis der deutsch-russischen<br />
Wirtschaftsbeziehungen“ liegen bereits im 10. Jahrgang<br />
vor. Sie enthalten praxisnahe Beiträge zu neuen Rechtsentwicklungen<br />
und im Materialienteil Textübersetzungen So<br />
finden sich in den Ausgaben 13 und 14 vom Februar und<br />
März 1998 u. a. eine deutsche Übersetzung des russischen<br />
GmbH-Gesetzes vom 8.2.1998 sowie eine Gegenüberstellung<br />
des russischen Originaltextes mit einer Entwurffassung.<br />
Die Ausgabe 15 enthält Muster von Gründungs- und<br />
anderen Dokumenten in deutscher Übersetzung und
AnwBl <strong>12</strong>/2000 745<br />
Mitteilungen l<br />
Schwerpunktthema der Ausgaben 16 und 17 ist das neue<br />
Gesetz über ausländische Investitionen in der Russischen<br />
Föderation.<br />
Die Vereinigung arbeitet eng mit einschlägigen Institutionen<br />
und Verbänden in Russland und im Inland zusammen.<br />
So wird am 26.6.2000 in Hamburg wieder eine<br />
gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Stiftung für internationale<br />
rechtliche Zusammenarbeit (Bonn) zu neuesten<br />
Entwicklungen im russischen Aktien- und GmbH-Recht<br />
mit prominenten russischen Gesellschaftsrechtlern stattfinden.<br />
Das Präsidium der Vereinigung besteht zur Zeit aus Dr.<br />
Jan Peter Waehler, Hamburg (Präsident), Frau Angelika<br />
Klein-Beber und Prof. Dr. Ehrenfried Stelzer, Berlin (Vizepräsidenten)<br />
sowie RA Dr. Hans Janus und RA Florian<br />
Roloff (jeweils Hamburg).<br />
Informationen c/o: Vereinigung für deutsch-russisches<br />
Wirtschaftsrecht, Beckwoldtstraße 3, 22587 Hamburg,<br />
Tel./Fax: (0 40) 86 26 76<br />
Haftpflichtfragen<br />
Rechtsanwalt Michael Dobmaier,<br />
Allianz Versicherungs-AG München<br />
Obliegenheiten im Haftpflichtversicherungsfall<br />
Böse Zungen behaupten, Obliegenheiten dienen dem<br />
Versicherer (VR) dazu, sich seiner Eintrittspflicht zu entziehen.<br />
Auch wenn einige hierzu ergangenen Entscheidungen<br />
diesen Schluss nahe legen mögen, Sinn und Zweck versicherungsvertraglicher<br />
Obliegenheiten ist ein anderer. Sie<br />
sollen den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und<br />
ungerechtfertigten Ansprüchen schützen, vgl. Römer/Langheid,<br />
VVG, § 6, Rdnr. 38. Der vom Haftpflichtversicherer<br />
zu gewährende Versicherungsschutz umfasst den Ausgleich<br />
begründeter Ansprüche, mit denen der Versicherungsnehmer<br />
(VN) von dritter Seite konfrontiert wird. Hieraus folgt<br />
umgekehrt, dass er auch zur Abwehr von unbegründeten<br />
Ansprüchen verpflichtet und berechtigt ist, vgl. z. B. § 3 II<br />
AVB für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von<br />
Rechtsanwälten (AVB-R). Dazu ist erforderlich, dass der<br />
VN den VR vollumfänglich informiert und ihm die Entscheidung<br />
über die Schadenabwicklung überlässt. Der VR,<br />
der ja im Ernstfall zahlen muss, hat also ein berechtigtes<br />
Interesse an der Beachtung der Obliegenheiten, die im Versicherungsvertragsgesetz<br />
(VVG) und den jeweils einschlägigen<br />
Allgemeinen Versicherungsbedingungen niedergelegt<br />
und konkretisiert sind.<br />
Die für die Praxis wichtigsten Obliegenheiten, die ein<br />
VN nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachten hat,<br />
sind die Anzeige- und Auskunftspflicht sowie das Anerkenntnisverbot.<br />
Anzeigepflicht<br />
§ 153 VVG verpflichtet den VN, innerhalb einer Woche<br />
(nach§§33VVG,5IIAHB,5IIAVB-R unverzüglich, spätestens<br />
innerhalb einer Woche) die Tatsachen anzuzeigen,<br />
die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur<br />
Folge haben könnten.<br />
Der VR soll möglichst umgehend von einem potentiellen<br />
Schadensereignis informiert werden, damit er rechtzeitig<br />
etwaige Rettungs- oder Schadenminderungsmöglichkeiten<br />
prüfen und ggf. veranlassen kann. So wird ein<br />
Berufshaftpflichtversicherer einen Rechtsanwalt, der eine<br />
Rechtsmittelfrist versäumt hat, bei einem Wiedereinsetzungsantrag,<br />
der innerhalb von zwei Wochen zu stellen ist,<br />
unterstützen und damit helfen, einen Schaden von vornherein<br />
zu vermeiden.<br />
Hier stellt die Fristversäumung die Tatsache dar, die<br />
einen Schaden zur Folge haben könnte. Es muss also weder<br />
der Schadenseintritt, noch die Verantwortlichkeit des VN<br />
feststehen. Auch wenn der VN der festen Auffassung ist,<br />
Ansprüche gegen ihn scheiden aus, hat er seinen Versicherer<br />
einzuschalten, vgl. OLG Hamm r+s 1992, 118 oder<br />
OLG Düsseldorf VersR 1990, 411.<br />
Wohin die Schadensanzeige zu richten ist, kann den jeweiligen<br />
AGB entnommen werden, im Versicherungsfall<br />
eines Rechtsanwalts i. d. R. an die Hauptverwaltung des<br />
betroffenen VR. Einige Bedingungswerke sehen vor, dass<br />
Versicherungsvertreter nicht zur Entgegennahme berechtigt<br />
sind. Die Wirksamkeit solcher Regelungen dürfte seit BGH<br />
VersR 1999, 565 nicht mehr umstritten sein.<br />
Auskunftspflicht<br />
Nach § 34 VVG (vgl. auch §§ 5 III 2 AHB, 5 III 1<br />
AVB-R) kann der VR vom VN jede Auskunft verlangen,<br />
die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs<br />
der Leistungspflicht des VR erforderlich ist.<br />
Der VR soll in die Lage versetzt werden, sachgemäße<br />
Entscheidungen über die Behandlung eines Schadensersatzanspruchs<br />
zu treffen, vgl. Prölss/Martin, VVG,<br />
26. Aufl., § 34, Rdnr. 4. Das Kriterium der Erforderlichkeit<br />
ist weit auszulegen. Dem VR wird hier ein großer<br />
Spielraum zugebilligt, zumal sich oftmals erst bei der<br />
Beantwortung der gestellten Fragen deren Relevanz herausstellt.<br />
Es reicht aus, dass die erbetene Auskunft unmittelbar<br />
oder mittelbar bedeutsam für die Leistungsverpflichtung<br />
des VR sein könnte, vgl. Prölss, aaO, Rdnr. 5.<br />
Darüber hinaus ist der VN gehalten, vonsichaus–also<br />
ungefragt – alle Umstände mitzuteilen, die im Aufklärungsinteresse<br />
des VR liegen (vgl. z. B. OLG Köln r+ s<br />
1990, 284). Ggf. muss der VN nach BGH r+ s 1993, 221<br />
selbst Erkundigungen einholen, um seiner Aufklärungsobliegenheit<br />
zu genügen. Mit „Formularantworten“ braucht<br />
sich der VR nicht zu begnügen.<br />
Anerkenntnisverbot<br />
Der VR hat ein Interesse daran hat, dass der VN Schadensersatzansprüche<br />
nicht ohne Rücksprache mit ihm ganz<br />
oder teilweise (und sei es durch einen Vergleich) anerkennt.<br />
Das sog. Anerkenntnisverbot findet seinen Niederschlag in<br />
§§ 5 Ziff. 5 AHB, 5 III 2 AVB-R.<br />
Diese Regelungen stehen allerdings unter dem Vorbehalt<br />
des § 154 II VVG (zur rechtsdogmatischen Einordnung<br />
vgl. Römer in Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung,<br />
Rdnr. 1908f). Ein Verstoß gegen das Anerkenntnisverbot<br />
liegt ausnahmsweise dann nicht vor, wenn das Anerkenntnis<br />
„nicht ohne offenbare Unbilligkeit“ verweigert werden<br />
konnte. Das heißt nach OLG Nürnberg VersR 1989, 1079<br />
im Klartext:<br />
„wenn die von dem Dritten geltend gemachte Forderung<br />
offensichtlich begründet ist und besondere Umstände hin-
746<br />
l<br />
zukommen, nach denen die Verweigerung des Anerkenntnisses<br />
und der sofortigen Zahlung für jeden anständigen<br />
Menschen einen Verstoß gegen die guten Sitten bedeuten<br />
würde.“<br />
Diese besonderen Umstände werden allerdings in den<br />
seltensten Fällen vorliegen. Lt. OLG Hamm r+ s 1999,<br />
452 rechtfertigen langjährige Geschäftsbeziehungen zwischen<br />
dem VN als Schädiger und dem Geschädigten ein<br />
Anerkenntnis ohne die Zustimmung des VR nicht. Damit<br />
begibt sich das OLG Hamm nicht in Widerspruch zu BGH<br />
VersR 1992, 1504, wonach bei einer Kollision der Interessen<br />
des VR mit denen des VN der VR seine Interessen<br />
zurückstellen muss. Dort ging es ausschließlich um die<br />
Frage, welche Stellung ein VR zu beziehen hat, wenn dem<br />
VN ein vorsätzliches Handeln zum Vorwurf gemacht<br />
wird, das ggf. die Leistungsfreiheit des VR zur Folge<br />
hätte. Es liegt auf der Hand, dass der VR auch dann seiner<br />
Verpflichtung zum Abwehrschutz nachzukommen hat. Ein<br />
allgemeiner Grundsatz lässt sich aus vorbenanntem Urteil<br />
nicht ableiten, so aber andeutungsweise Römer in Zugehör,<br />
aaO, Rdnr. 1906.<br />
Verstoßfolgen<br />
Bei Verletzung der Obliegenheiten bestimmen die jeweils<br />
einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />
(z. B. §§ 6 AHB, 6 AVB-R) unter den in § 6 VVG genannten<br />
Voraussetzungen die Leistungsfreiheit des VR.<br />
Bei mittlerer und leichter Fahrlässigkeit bleibt der VR<br />
eintrittspflichtig, bei grober Fahrlässigkeit nur dann, wenn<br />
die Verletzung keinen Einfluss auf die Feststellungen des<br />
Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht<br />
des VR hatte, bei Vorsatz ist er nach dem Wortlaut des § 6<br />
VVG generell leistungsfrei.<br />
Dabei greift beim Vorliegen einer objektiven Verletzung,<br />
die der VR nachzuweisen hat, die Vorsatzvermutung, d. h.<br />
der VN hat Umstände zu beweisen, die diese entkräftet,<br />
vgl. z. B. OLG Frankfurt VersR 1999, 955. Bei Verletzung<br />
der Anzeigepflicht geht die ständige Rechtsprechung jedoch<br />
davon aus, dass kein vernünftiger VN seinen Versicherungsschutz<br />
gefährden will, indem er bewusst von einer<br />
Anzeige absieht, vgl. z. B. OLG Hamm r +s 1997, 103 oder<br />
OLG Koblenz VersR 1996, 1356. Unvernünftig und damit<br />
jedenfalls bedingt vorsätzlich handelt allerdings ein VN,<br />
der seinen VR nicht über eine gegen ihn erhobene Klage<br />
informiert, weil er glaubt, den Prozess zu gewinnen, so<br />
OLG Düsseldorf VersR 1990, 411.<br />
Das in § 6 III VVG normierte Alles-oder-Nichts-Prinzip<br />
bei Vorsatz wird wegen seiner harten Konsequenz durch<br />
die vom BGH entwickelte und aus dem Grundsatz von<br />
Treu und Glauben abgeleitete Relevanzrechtsprechung abgemildert<br />
(vgl. z. B. BGH VersR 1977, 1021). Danach kann<br />
nicht jede vorsätzliche Verletzung die Leistungsfreiheit des<br />
VR rechtfertigen. Es muss hinzukommen, dass der Verstoß<br />
objektiv, d.h. generell, geeignet ist, die Interessen des VR<br />
ernsthaft zu gefährden, und den VN ein erhebliches Verschulden<br />
trifft.<br />
Eine generelle Gefährdung der Interessen des VR scheidet<br />
nicht bereits dann aus, wenn eine Obliegenheitsverletzung<br />
im konkreten Fall folgenlos geblieben ist, vgl. BGH<br />
VersR 1993, 830 (832) u. VersR 1984, 228. So hat das<br />
OLG Bamberg r +s 1993, 173 festgestellt, dass der Abschluss<br />
eines unwiderruflichen Vergleichs im Haftpflichtprozess<br />
ohne vorherige Zustimmung die Interessen des VR<br />
generell gefährdet, weil hierdurch seine Entscheidungsfrei-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Mitteilungen<br />
heit beschränkt wird. Nach der bereits zitierten Entscheidung<br />
des OLG Düsseldorf VersR 1990, 411 ist die unterlassene<br />
Anzeige eines Haftpflichtprozesses relevant, da dem<br />
VR dadurch die Möglichkeit genommen wird, zu einer anderen<br />
kostengünstigeren Lösung zu gelangen und er außerdem<br />
keinen Einfluss auf den Prozess nehmen kann. Einer<br />
ohne Zustimmung des VR abgegebenen Verjährungsverzichtserklärung<br />
fehlt hingegen nach einem weiteren Urteil<br />
des OLG Düsseldorf VersR 1999, 481 die Relevanz, wenn<br />
Verjährung der Ansprüche noch nicht eingetreten war und<br />
damit die Möglichkeit einer außergerichtlichen vergleichsweisen<br />
Lösung offengehalten wurde. Hierfür hat ein „einsichtiger“<br />
VR Verständnis aufzubringen, so das OLG, das<br />
deswegen auch ein nur geringfügiges Verschulden des VN<br />
annahm.<br />
Bei einer relevanten Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheitsverletzung,<br />
die im konkreten Fall folgenlos<br />
geblieben ist (vgl. OLG Köln r+s 1997, 140), setzt die<br />
Leistungsfreiheit des VR nach der Rechtsprechung weiterhin<br />
voraus, dass der VN zuvor unmissverständlich über<br />
den Verlust seines Leistungsanspruchs auch für den Fall,<br />
dass die Verletzung keinen Nachteil für den VR hatte, belehrt<br />
wurde (vgl. Römer/Langheid, aaO, § 6, Rdnr. 44<br />
m. w. N.). Die Belehrungspflicht kann ausnahmsweise<br />
entfallen, wenn der VN arglistig gehandelt hat, so OLG<br />
Hamm r+ s 1992, 41 und BGH VersR 1976, 383; 71,<br />
405.<br />
Hat der VR seine Eintrittspflicht abgelehnt, bestehen für<br />
den VN keine Obliegenheiten mehr, die er gegenüber dem<br />
VR zu beachten hätte, vgl. BGH VersR 1999, 1134. Dies<br />
gilt nach einem neueren Urteil des OLG Hamm r+s, 1999,<br />
452 dann nicht mehr, wenn sich der VN nach anfänglicher<br />
Weigerung bindend bereit erklärt, zumindest teilweise Versicherungsschutz<br />
zu gewähren.<br />
Konsequenzen für den Geschädigten<br />
Anders als in der Kfz-Haftpflichtversicherung steht dem<br />
Geschädigten kein Direktanspruch gegen den VR zu. Ist<br />
der VR im Verhältnis zum VN wegen einer Obliegenheitsverletzung<br />
leistungsfrei, bleibt er jedoch nach § 158c I<br />
VVG gegenüber dem Dritten zur Leistung verpflichtet,<br />
wenn es sich um eine Pflichtversicherung handelt. Dies ist<br />
bei der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte<br />
seit 1994 der Fall. Will der Geschädigte nicht leer ausgehen,<br />
muss er den Anspruch des VN pfänden und sich überweisen<br />
lassen (vgl. BGH NJW 1996, 48). Zuvor ist das Informationsrecht<br />
des VR nach § 158d VVG zu beachten, da<br />
andernfalls die Leistungspflicht nach § 158e I VVG beschränkt<br />
wird, vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 248.<br />
Hat der VR den Geschädigten ganz oder teilweise befriedigen<br />
müssen, wird er versuchen, sich nach § 158f<br />
VVG bei seinem VN schadlos zu halten.<br />
Schlussbemerkung<br />
Es empfiehlt sich, die Obliegenheiten im Versicherungsfall<br />
genau zu beachten, sei es man ist selbst betroffen, sei<br />
es man hat ein versicherungsrechtliches Mandat. Eine Auseinandersetzung<br />
wegen deren Nichteinhaltung ist so unerfreulich<br />
wie überflüssig. Ist man mit der Schadenabwicklung<br />
des VR nicht einverstanden, so bietet sich allemal ein<br />
klärendes Gespräch an, oft wird ein Telefonanruf genügen.<br />
Jeder „verständige“ VR wird bemüht sein, selbst bei widerstreitenden<br />
Interessen zu einer für beide Seiten tragfähigen<br />
Lösung beizutragen.
AnwBl <strong>12</strong>/2000 747<br />
7<br />
Berufsrecht<br />
Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, Art. 14 EMRK<br />
1. Der durch die Eröffnung und den Aufbau einer Anwaltskanzlei<br />
geschaffene Mandantenstamm stellt ein Vermögensrecht<br />
und damit Eigentum i. S. d. Art. 1 des 1.<br />
ZP dar.<br />
2. Die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung ist ein<br />
Eingriff in das Eigentumsrecht.<br />
3. Der Eingriff beruht auf § 1 Abs. 2 RNPG, dessen Auslegung<br />
durch die nationalen Gerichte nicht als willkürlich<br />
zu beurteilen ist. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig,<br />
da der staatliche Ermessenspielraum nicht überschritten<br />
und ein gerechter Ausgleich zwischen den<br />
wirtschaftlichen Interessen des Bf und dem Allgemeininteresse<br />
vorgenommen wurde, insbesondere angesichts<br />
des besonderen politischen Kontextes der Wiedervereinigung,<br />
in den sowohl die Zulassung des Bf zur Rechtsanwaltschaft<br />
als auch die Rücknahme seiner Zulassung<br />
fiel. (LS der Bearbeiterin)<br />
EGMR, Vierte Kammer, Entscheidung v. 2.11.1999, Döhring<br />
gegen Deutschland (Nr. 37595/97)<br />
Zum Sachverhalt: Der Bf war von 1972 bis 1990 Richter in der ehemaligen<br />
DDR; von 1986 bis 1989 war er Vorsitzender des Strafsenats des BezG<br />
in Magdeburg. Mit Bescheid vom 4.4.1990 ließ ihn das Justizministerium der<br />
früheren DDR ab 1.5.1990 als Rechtsanwalt zu. Am 20.7.1995 nahm das Justizministerium<br />
von Sachsen-Anhalt die Zulassung des Bf als Rechtsanwalt<br />
gem. § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen,<br />
Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter (RNPG) von<br />
1992 zurück, da er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit<br />
verstoßen habe. Insbesondere wurde darauf abgestellt, dass er<br />
in 15 Strafverfahren an der Verhängung von Freiheitsstrafen von ca. drei<br />
Jahren gegen Angeklagte beteiligt war, die lediglich gegenüber Institutionen<br />
der DDR und der Bundesrepublik ihren Ausreisewillen bekundet hatten (z.<br />
B. gegenüber dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, der Internationalen<br />
Gesellschaft für Menschenrechte/Frankfurt und dem ZDF); ferner<br />
warf ihm das Ministerium die Verhängung von Freiheitsstrafen von jeweils<br />
6 Jahren und 6 Monaten wegen „Grenzschleusung“ und von 2 Jahren und 10<br />
Monaten wegen „staatsfeindlicher Hetze“ vor. Am 9.5.1995 sprach das LG<br />
Magdeburg den Bf in einem Strafverfahren von dem Vorwurf der Rechtsbeugung<br />
frei. Der Senat des Anwaltsgerichtshofes von Sachsen-Anhalt bestätigte<br />
am 14.3.1996 die Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung des Bf.<br />
Der Senat für Anwaltssachen des BGH wies die hiergegen gerichtete<br />
Klage des Bf am 4.2.1997 zurück; nach Auffassung des Senats lag ein beachtlicher<br />
Verstoß gegen § 1 Abs. 2 RNPG vor, wenn der Anwalt in seiner<br />
früheren Funktion als Richter die Bestimmungen des DDR-Strafgesetzbuches<br />
oder der DDR-Strafprozessordnung exzessiv ausgelegt oder eine menschenverachtende<br />
Verfolgung des Betroffenen betrieben hatte, auch wenn<br />
die Grenze der Rechtsbeugung hierbei nicht überschritten wurde. Im konkreten<br />
Fall war der Senat der Ansicht, dass der Bf über Jahre in seiner gehobenen<br />
Funktion als Kammerpräsident freiwillig an Entscheidungen mitgewirkt<br />
hat, die, jedenfalls in der Gesamtschau, Ausdruck von Menschenverachtung<br />
waren und gegen die Rechtstaatlichkeit verstießen. Insbesondere, so der Senat,<br />
wandte der Bf Gesetze an, die gegen den Rechtsstaat, die Verfassung<br />
der DDR und Internationale Abkommen, deren Mitgliedsstaat die DDR war,<br />
verstießen, in allen Fällen fanden die Verhandlungen unter Ausschluss der<br />
Öffentlichkeit in einer Art Geheimverfahren statt und es wurden schwere<br />
Freiheitsstrafen gegenüber Bürgern verhängt, die lediglich die DDR hatten<br />
verlassen wollen. Ihre persönliche und gesellschaftliche Existenz wurde dadurch<br />
häufig zerstört. Der Senat beurteilt diese Vorwürfe auch heute als<br />
unverändert gültig, da der Bf die Menschenrechte in schwerwiegender Weise<br />
über Jahre im Rahmen einer politischen Strafjustiz verletzt und so den staatlichen<br />
Unterdrückungsapparat stark unterstützt habe. Ein Absehen von Sanktionen<br />
gegenüber dem Bf zöge Unverständnis nach sich, nicht nur seitens<br />
der Opfer, sondern auch seitens der Gesamtbevölkerung und könne das Vertrauen<br />
der Rechtssuchenden in die Integrität des Berufes Rechtsanwalt erschüttern,<br />
vor allem das Rechtssuchender aus der früheren DDR (für die die<br />
politische Strafjustiz noch eine schmerzhafte Erinnerung berge). Schließlich<br />
l<br />
sah der Senat auch die Zeitspanne von 6 Jahren, in der der Bf den Beruf als<br />
Rechtsanwalt beanstandungsfrei ausgeübt habe, als zu kurz an, um dem<br />
Interesse des Bf an der Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber<br />
dem öffentlichen Interesse an der Integrität des Anwaltstandes den Vorrang<br />
einzuräumen.<br />
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde des Bf am 28.5.1997<br />
nicht zur Entscheidung an. Es verwies auf seine Rspr., wonach der Widerruf<br />
der Anwaltszulassung von in der DDR als Rechtsanwälten tätig gewesenen<br />
Juristen gem. § 1 Abs. 2 RNPG verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn<br />
sie wegen einer Beteiligung an eklatanten Unrechtshandlungen des SED-Regimes<br />
nicht vertrauenswürdig und damit eine Belastung für eine rechtsstaatliche<br />
Rechtspflege sind. Ferner sah das BVerfG es von Verfassungs wegen<br />
als nicht zu beanstanden an, dass der BGH bei der Auslegung des hier einschlägigen<br />
§ 1 Abs. 2 RNPG die Befassung mit politischem Strafrecht für<br />
sich genommen als nicht ausreichend erachtete, sondern auf die konkrete<br />
Rechtsanwendung und dabei auf die exzessive Auslegung und Anwendung<br />
der damals geltenden Vorschriften zu Ungunsten der Angeklagten abgestellt<br />
hatte. Zu dem Vorbringen des Bf, die Gerichte hätten nicht ausreichend berücksichtigt,<br />
unter welchen Bedingungen der Justizapparat in der ehemaligen<br />
DDR funktioniert habe und es für ihn nicht möglich gewesen sei, sich damals<br />
anders zu verhalten, verwies das BVerfG darauf, dies sei vor den Fachgerichten<br />
nicht substantiiert dargelegt worden, insbesondere hätte dargelegt<br />
werden müssen, unter welchen konkreten Umständen es zu seiner Zuständigkeit<br />
für politische Strafverfahren gekommen sei, ob und unter welchen Bedingungen<br />
er sich ihr hätte entziehen können und welche Folgen es für ihn<br />
gehabt hätte, wenn er von der üblichen Strafpraxis zugunsten der Angeklagten<br />
abgewichen wäre.<br />
Am 13.8.1997 erhob der Bf Beschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskommission.<br />
Er rügte, die Rücknahme seiner Rechtsanwaltszulassung<br />
verletze sein Eigentumsrecht (Art. 1 des 1. ZP zur EMRK) und das<br />
Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK). Insbesondere sei der Eingriff angesichts<br />
der verstrichenen Zeit unverhältnismäßig und die Maßnahme, die<br />
dem Rachebedürfnis einer Minderheit entspräche und zur Vernichtung seiner<br />
Existenz führe, nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt. Die (mit 7<br />
Richtern besetzte) Vierte Kammer des EGMR verneinte in ihrer Entscheidung<br />
v. 2.11.1999 einstimmig eine Konventionsverletzung und erklärte die<br />
Beschwerde für unzulässig (Art. 35 Abs. 3 EMRK).<br />
Aus den Gründen: I. Verletzung von Art. 1 des 1. ZP<br />
Der Gerichtshof erinnert an seine bisherige Rspr., wonach<br />
Art. 1 des 1. ZP im wesentlichen das Recht auf Eigentum gewährleistet<br />
(...) und „drei unterscheidbare Vorschriften“ enthält: die im<br />
ersten Satz des ersten Absatzes niedergelegte Regel ist allgemeiner<br />
Natur und formuliert das Prinzip der Achtung des Eigentums; die<br />
zweite Regel, im zweiten Satz enthalten, erfasst Eigentumsentziehungen<br />
und macht diese von gewissen Bedingungen abhängig, die<br />
im zweiten Absatz niedergelegte dritte Regel befasst sich u. a. mit<br />
dem Recht der Mitgliedstaaten, die Eigentumsnutzung im Einklang<br />
mit dem Allgemeininteresse zu regeln und Gesetze, die sie zu diesem<br />
Zweck für erforderlich halten, zu erlassen (...). Es handelt sich<br />
danach nicht um unzusammenhängende Regelungen: die zweite<br />
und die dritte Regel behandeln einzelne Beispiele von Eingriffen<br />
in das Eigentumsrecht, daher sind sie im Lichte des allgemeinen<br />
Grundsatzes, der in der ersten Regel enthalten ist, auszulegen (...)<br />
(s. z. B. die Urt. Tre Traktörer AB g. Schweden v. 7.7.1989, Serie<br />
A n 159, S. 21 - 22, § 54 und Fredin g. Schweden v. 18.2.1991, Serie<br />
A n 192, § 51 und die Entscheidung Olbertz g. Deutschland v.<br />
25.5.1999, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).<br />
Im konkreten Fall bejaht der Gerichtshof die Anwendbarkeit<br />
von Art. 1 des 1. ZP: durch die Eröffnung und den Aufbau<br />
seiner Anwaltskanzlei hat sich der Bf einen Mandantenstamm<br />
geschaffen; dieser stellt einen Vermögenswert und damit Eigentum<br />
i. S. d. Art. 1 dar.<br />
Ferner nimmt der Gerichtshof einen Eingriff in das Eigentumsrecht<br />
an: die Rücknahme der Anwaltszulassung des Bf, der seine<br />
Kanzlei schließen musste, hat unweigerlich zu einem Verlust von<br />
Mandanten und Einkünften geführt; dieser Eingriff ist als Regelung<br />
der Eigentumsnutzung zu werten, die unter Abs. 2 des Art. 1 des<br />
1. ZP zu prüfen ist (s., mutatis mutandis, die bereits zitierten Urteile<br />
Tre Traktörer und Fredin, S. 22, § 55 und S. 15, § 47, sowie die<br />
oben zitierte Entscheidung Olbertz). Der Tatsache, dass der Bf<br />
durch ein Organ der DDR – auf die die Konvention nicht anwendbar<br />
ist – als Anwalt zugelassen wurde, misst der Gerichtshof in die-
748<br />
l<br />
sem Zusammenhang keine Bedeutung zu, da die Rücknahme auf<br />
Entscheidungen von Gerichten der Bundesrepublik zurückgeht, die<br />
der EMRK angehört. Gleichzeitig betont der Gerichtshof, dass die<br />
Gültigkeit von Zulassungen durch die frühere DDR durch den Einigungsvertrag<br />
(Art. 19) bestimmten Bedingungen unterworfen<br />
wurde, als deren konkrete Ausfüllung das RNPG anzusehen ist.<br />
Zur Rechtmäßigkeit des Eingriffs stellt der Gerichtshof zunächst<br />
darauf ab, dass sich die Rücknahme auf § 1 Abs. 2 des RNPG<br />
stützt. Die Auslegung dieser Vorschrift durch den Senat für Anwaltssachen<br />
beim BGH und durch das BVerfG sieht der Gerichtshof<br />
nicht als willkürlich an; er ruft insoweit in Erinnerung, dass er<br />
in Bezug auf nationales Recht nur über einen begrenzten Überprüfungsspielraum<br />
verfügt und es in erster Linie Aufgabe der nationalen<br />
Instanzen ist, die nationalen Gesetze auszulegen und anzuwenden<br />
(s. das genannte Urteil Tre Traktörer, S. 23, § 58). In Bezug<br />
auf die Zweckmäßigkeit des Eingriffs ist der Gerichtshof der Ansicht,<br />
dass mit dem Eingriff ein Allgemeininteresse verfolgt wurde.<br />
Insbesondere erschien es für die Bundesrepublik legitim, nach der<br />
Wiedervereinigung im nachhinein das Verhalten von Personen zu<br />
überprüfen, die den Beruf eines Rechtsanwalts, Notars oder ehrenamtlichen<br />
Richters ausüben durften und von denen, kraft der Art<br />
ihrer Aufgaben als Organe der Justiz und Garanten des Rechtsstaates,<br />
eine besonders hohe Integrität sowie Moral zu fordern war.<br />
Diese Überprüfungen zielten damit auch auf den Schutz der Öffentlichkeit<br />
ab, indem sie die Integrität und Moral gerade von Personen,<br />
die den Rechtsanwaltsberuf ausüben, sicherstellen sollten.<br />
Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs führt der Gerichtshof<br />
aus, diese liege nach seiner Rechtsprechung vor, wenn die<br />
Voraussetzung eines gerechten Ausgleichs zwischen den Erfordernissen<br />
des Allgemeininteresses der Gesellschaft und den Erfordernissen<br />
der Bewahrung der Grundrechte des Einzelnen erfüllt ist;<br />
eine Verhältnismäßigkeit muss hiernach zwischen den angewandten<br />
Mitteln und dem zu erreichenden Zweck bestehen. Im konkreten<br />
Fall erkennt der Gerichtshof zunächst an, dass der Eingriff für den<br />
Bf, der seine Kanzlei aufgeben musste, einen gewissen Schweregrad<br />
aufweist. Die Frage, ob der Bf den innerstaatlichen Rechtsweg<br />
i. S. d. Art. 35 EMRK erschöpft hat, wozu gehört, die entsprechenden<br />
Beschwerdepunkte bereits den national zuständigen Organen<br />
vorgelegt zu haben (s. Urt. Cardot g. Frankreich v. 19.3.1991, Serie<br />
A n 200, S. 18, § 33), lässt der Gerichtshof dahingestellt. Denn er<br />
kommt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall ein verhältnismäßiger<br />
Eingriff im Vergleich zum erstrebten Zweck vorliegt: noch<br />
einmal hält der Gerichtshof die gänzlich außergewöhnliche Zeitspanne<br />
des Umbruchs in der Geschichte Deutschlands fest, in deren<br />
Zusammenhang die Rücknahme der Zulassung steht. Die Bundesrepublik,<br />
so der Gerichtshof, wollte die Gültigkeit der Rechtsanwaltszulassungen,<br />
die die frühere DDR gewährt hatte, bestimmten<br />
Bedingungen unterwerfen, wie sie insbesondere in Art. 19 EV aufgestellt<br />
wurden, um so sicherzustellen, dass Rechtsanwälte in der<br />
früheren DDR dieselben Kriterien erfüllen wie sie an die Rechtsanwälte<br />
in der Bundesrepublik gestellt werden. Ziel des 1992 erlassenen<br />
RNPG war es daher, im nachhinein das Verhalten von Personen<br />
zu überprüfen, von denen aufgrund der Funktion, die sie in<br />
einem Rechtsstaat innehaben, eine besonders hohe Integrität und<br />
Moral zu fordern ist. Weiter hebt der Gerichtshof hervor, dass die<br />
nationalen Gerichte die dem Bf vorgeworfenen Tatsachen eingehend<br />
geprüft haben, bevor sie zu dem Schluss kamen, dass er sich<br />
durch sein Verhalten, das offensichtlich gegen die Gerechtigkeit<br />
verstieß, als für den Anwaltsberuf unwürdig erwiesen hat, auch<br />
wenn er sich keiner Rechtsbeugung schuldig gemacht hat. Insbesondere<br />
stellten die Gerichte darauf ab, dass der Bf als Vorsitzender<br />
einer Strafkammer jahrelang eine gehobene Funktion innehatte<br />
und in dieser Zeit gewichtige Freiheitsstrafen gegenüber Bürgern<br />
aussprach, die lediglich die frühere DDR verlassen wollten und<br />
Kontakt zu Organisationen in der Bundesrepublik hergestellt hatten;<br />
dies zudem quasi in Geheimverfahren, unter Ausschluss der<br />
Öffentlichkeit. Schließlich wogen die Gerichte das Interesse des Bf,<br />
nach sechs Jahren der Zulassung seinen Beruf weiter auszuüben<br />
und die Notwendigkeit gegeneinander ab, das Vertrauen der Rechtssuchenden<br />
– insbesondere das derjenigen in der früheren DDR – in<br />
den Anwaltsstand zu bewahren, bevor sie ein überwiegendes<br />
öffentliches Interesse bejahten. Der Gerichtshof ist der Ansicht,<br />
dass die dem Bf auferlegte Belastung sich am Allgemeininteresse<br />
der Gesellschaft messen lassen muss, angesichts des besonderes<br />
Kontextes, in dem seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wie<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
auch die Rücknahme seiner Zulassung stattfand. Denn die Staaten<br />
genießen insoweit einen Ermessenspielraum (s. mutatis mutandis,<br />
Urteil Tre Traktörer, S. 24, § 62 und die Entscheidung Olbertz,<br />
s. o.). Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte und vor allem<br />
den besonderen Umständen aufgrund der Wiedervereinigung<br />
kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass der Bekl Staat seinen<br />
Ermessensspielraum nicht überschritten hat und er es mit Blick auf<br />
die verfolgten objektiven legitimen Ziele nicht versäumt hat, einen<br />
gerechten Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen des<br />
Bf und dem Allgemeininteresse der deutschen Gesellschaft vorzunehmen.<br />
Folglich ist dieser Beschwerdepunkt gemäß Art. 35 Abs. 3 der<br />
Konvention offensichtlich unbegründet.<br />
II. Verletzung von Art. 14 EMRK<br />
Zur vom Bf angeführten politischen Diskriminierung sieht der<br />
Gerichtshof unter Verweis auf seine Ausführungen zu Art 1 des 1.<br />
ZP keine eigenständige Frage gegeben, die unter dem Aspekt der<br />
Diskriminierung zu prüfen wäre. Auch insoweit wird die Beschwerde<br />
als offensichtlich unbegründet abgewiesen.<br />
Übersetzt und bearbeitet von Rechtsanwältin Dr. Michaela<br />
Wittinger z. Zt. Greffe de la Cour, EGME, Straßburg<br />
Anm.: Zum Verfahren vor dem EGMR und den Änderungen<br />
durch das 11. Reformprotokoll: Schlette, ZaöRV, 1996, 905-976; zu<br />
Art. 1 des 1. ZP in der Rspr. Straßburgs Fiedler, EuGRZ 1996,<br />
354-357; zum „unselbständigen“ Charakter des Art. 14: Frowein/<br />
Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 14, Rdnr. 2 f. u. 9;<br />
Wittinger, Familien und Frauen im regionalen Menschenrechtsschutz,<br />
Baden-Baden 1999, S. 159 - 162; zu den Bestrebungen, ein<br />
autonomes, allg. Diskriminierungsverbot in die EMRK aufzunehmen<br />
s. den Entwurf des Protokolls Nr. <strong>12</strong> zur EMRK.<br />
BGB §§ 8<strong>12</strong> ff.; § 134; StGB § 203<br />
1.War der Erwerber vor der Übertragung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />
in der übertragenen Kanzlei nicht in irgendeiner Form<br />
beschäftigt, verstößt der Kanzleiübertragungsvertrag auch dann<br />
gegen § 134 BGB i.V. m. § 203 I Nr. 3 StGB, wenn derVeräußerer<br />
nach der Übergabe der Kanzlei als freier Mitarbeiter<br />
des Erwerbers tätig ist; die Begründung einer „Außensozietät“<br />
ändert an dieser Rechtsfolge nichts.<br />
2. Ist die Rückabwicklung eines gesetzwidrigen Vertrages nicht<br />
über § 817 S 2 BGB ausgeschlossen, haften beide Vertragspartner<br />
für die Rückabwicklung gem. § 819 II BGB analog.<br />
OLG München, Urt. v. 5.5.2000 – 23 U 6086/99<br />
Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rechtsfolgen aus einem<br />
zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrag über eine Anwaltskanzlei.<br />
Der Kl, der expandieren wollte, kam Ende 1998 über einen Vermittler<br />
an den Bekl, der seit Jahren als Alleininhaber eine Anwaltskanzlei in M betrieb.<br />
Der Bekl beschäftigte als freie Mitarbeiter die ganztags arbeitenden<br />
Rechtsanwälte V und T sowie eine halbtags arbeitende Rechtsanwältin; eine<br />
weitere Rechtsanwältin war bei ihm geringfügig beschäftigt. Diesen freien<br />
Mitarbeitern wurde vom Bekl jeweils 1/3 der selbst in der Kanzlei erarbeiteten<br />
Umsätze ausbezahlt und zwar sowohl für eigene als auch für vom Bekl<br />
zugewiesene Mandate. Die Kanzleiräume waren von der F Grundbesitz<br />
GmbH & Co., M, angemietet; der Mietvertrag sah eine Laufzeit bis<br />
31.10.2000 vor. Zwischen dem <strong>12</strong>.11.1998 und dem 20.11.1998 kam es zu<br />
mehreren Telefonaten und Besprechungen der Parteien, deren Inhalt im einzelnen<br />
zwischen den Parteien umstritten ist. Bei den Gesprächen wurde dem<br />
Kl eine von der Firma O Treuhand Steuerberatungs GmbH M erstellte Gewinnermittlung<br />
für 1996 sowie von der Buchhaltung des Bekl erstellte vorläufige<br />
Einnahmen-Überschussrechnungen für 1996, 1997 sowie das erste<br />
Halbjahr 1998 vorgelegt. Aus diesen Überschussrechnungen ist im einzelnen<br />
ersichtlich, welche Umsätze durch die einzelnen Rechtsanwälte erwirtschaftet<br />
worden sind. Der Bekl erklärte dem Kl, er wolle die Kanzlei bis<br />
31.<strong>12</strong>.1998 veräußern, damit er vor der Gesetzesänderung zum 1.1.1999 den<br />
Veräußerungsgewinn noch zum halben Steuersatz versteuern könne. Weiter<br />
teilte er dem Kl mit, dass Rechtsanwalt V zum 31.<strong>12</strong>.1998 die Kanzlei verlasse,<br />
und zu einem späteren Zeitpunkt, aber noch vor Vertragsschluss, dass<br />
auch Rechtsanwalt T die Kanzlei zum 31.<strong>12</strong>.1998 verlassen werde.<br />
Am 23.11.1998 schlossen die Parteien dann einen „Kaufvertrag über<br />
eine Anwaltskanzlei“, in welchem u. a. folgende Vereinbarungen enthalten<br />
sind: § 1 Kaufgegenstand; b) Den mit der Kanzlei verbundenen sogenannten<br />
good will, insbesondere den Mandantenstamm, ... ; § 2; 1. Der Kaufpreis für<br />
die Kanzlei beträgt 1.05 Mio DM (später abgeändert auf 1,14 Mio DM), § 3
AnwBl <strong>12</strong>/2000 749<br />
Rechtsprechung l<br />
Außenverhältnis und Innenverhältnis: 1. Die Parteien sind sich darüber einig,<br />
dass ab 1.1.1999 bis 31.3.1999 im Außenverhältnis nur deswegen eine<br />
Außensozietät begründet wird, um den Mandantenstamm auf den Erwerber<br />
überzuleiten. Die Außensozietät führt auf Wunsch des Erwerbers bis auf<br />
dessen Widerruf ... den Namen Rechtsanwälte B, S, und Kollegen. 2. Im Innenverhältnis<br />
ist jedoch ab dem Stichtag der Übergabe der Erwerber Alleininhaber<br />
der Kanzlei mit allen sich hieraus ergebenden Rechten und Pflichten.<br />
3. Vom 1.1.1999 bis 31.3.1999 (später abgeändert auf 31.<strong>12</strong>.1999) wird<br />
der Veräußerer dem Erwerber weiterhin in uneingeschränktem Umfang als<br />
anwaltlicher freier Mitarbeiter zur Verfügung stehen, und zwar mit dem Ziel<br />
der Mandatsüberleitung auf den Erwerber. § 8 Mandantendaten; 2. Da die<br />
Parteien im Außenverhältnis vorübergehend eine Außensozietät begründen,<br />
gehen sie davon aus, dass eine Zustimmung der Mandanten zur Übertragung<br />
der Mandatsverhältnisse und zu dem Zugriff des Erwerbers auf die Mandantendaten<br />
und Mandatsakten nicht erforderlich ist. 3. Im Innenverhältnis wird<br />
der Erwerber jedoch mit dem Stichtag der Übergabe Eigentümer der Mandantendaten<br />
und Mandatsakten. 4. Soweit sich die Zustimmung der Mandanten<br />
zur Verwendung der Mandantendaten und Mandatsakten als erforderlich<br />
erweisen sollte, wird das Eigentum hieran vom Veräußerer lediglich aufschiebend<br />
bedingt an den Erwerber übertragen; <strong>12</strong> Schlussbestimmungen; 4.<br />
Falls einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sind, so wird hierdurch<br />
die Wirksamkeit im übrigen nicht berührt. Dies gilt insbesondere auch<br />
für eine etwaige Unwirksamkeit von § 8. Die Vertragsteile werden die ungültigen<br />
Bestimmung durch eine Regelung ersetzen, die dem wirtschaftlichen<br />
und rechtlichen Zweck der ungültigen Regelung möglichst nahe<br />
komme.<br />
Aus den Gründen: Beide Berufungen sind zulässig (§§ 511 ff.<br />
ZPO). Die Berufung des Bekl ist nicht begründet, die Berufung des<br />
Kl nur zum Teil. Der Tenor des landgerichtlichen Urteils war insoweit<br />
neu zu fassen, dass er eine Zug-um-Zug-Vollstreckung ermöglicht<br />
und einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Die Berufung des<br />
Kl hatte insoweit Erfolg, als er die Feststellung des Annahmeverzuges<br />
des Bekl begehrt hat.<br />
I. Die Berufung des Bekl ist nicht begründet. Der Bekl ist gem.<br />
§ 8<strong>12</strong> Abs. 1 1. Alternative BGB dazu verpflichtet, den durch den<br />
Kl angezahlten Kaufpreisbetrag in Höhe von 787.500 DM an den<br />
Kl zurückzuzahlen.<br />
1. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom<br />
20.11.1998 verstößt gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB und ist damit<br />
gem. § 134 BGB nichtig, § 203 StGB ist ein Verbotsgesetz im Sinn<br />
von § 134 BGB (Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl. 2000, § 134<br />
Rdnr. 22a; BGHZ 116, 268, 271; BGH NJW 1995, 2025 ff. und<br />
NJW 1999, 1404 ff.). § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt die unbefugte<br />
Offenbarung eines fremden Geheimnisses unter Strafe, sei es, dass<br />
es sich um ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis<br />
handelt oder um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis.<br />
Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist die Sicherstellung<br />
des informationellen Selbstbestimmungsrechts derjenigen Personen,<br />
die sich dem in § 203 StGB aufgezählten Personenkreis anvertrauen.<br />
Auch wenn sich § 203 StGB nur an diesen Personenkreis<br />
wendet, also ein Sonderdelikt und damit nur ein einseitiges<br />
Verbotsgesetz im Sinn von § 134 BGB darstellt, führt dies dennoch<br />
zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages, weil sonst das gesetzgeberische<br />
Ziel – Vermeidung eines gesetzwidrigen Zustandes – nicht<br />
erreicht werden könnte.<br />
Seit der Entscheidung des BVerfG – NJW 1984, 419 – ist das<br />
sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Recht des Einzelnen auf informationelle<br />
Bestimmung nicht nur anerkannt, sondern auch insoweit<br />
umrissen worden, dass personenbezogene Daten besonders zu<br />
schützen sind. Das Grundrecht des Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG gewährleistet<br />
demnach die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich<br />
selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten<br />
zu bestimmen. Es ist daher Aufgabe des Rechtsanwalts, die Zustimmung<br />
seiner Mandanten zu einer Weitergabe derartiger Daten<br />
in eindeutiger und unmissverständlicher Weise einzuholen. Zwar<br />
enthalten die Mandatsakten eines Rechtsanwalts regelmäßig nicht<br />
in demjenigen Maße intime Einzelheiten wie z. B. Behandlungsunterlagen<br />
eines Arztes, doch sind sensible Daten – wie beispielsweise<br />
im Bereich von Scheidungsangelegenheiten oder sonstigen<br />
Familien- oder Erbrechtsstreitigkeiten, aber auch im Bereich von<br />
Geschäfts- und Dienstgeheimnissen – durchaus häufig. So hat der<br />
BGH in NJW 1995, 2026 ff. für Rechtsanwaltskanzleien und in<br />
NJW 1996, 2087 ff. für Steuerberaterkanzleien entschieden, dass<br />
sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft bei<br />
Kanzleiübertragungen unwirksam sind, wenn die Mandanten der<br />
Übergabe der sie betreffenden Mandatsakten nicht zugestimmt<br />
haben. Zwar erfüllt in diesen Fällen das Verpflichtungsgeschäft<br />
nicht den objektiven Tatbestand des § 203 StGB, weil im Kaufvertrag<br />
selbst kein Geheimnis offenbart wird, doch führt die Zielsetzung<br />
des Verbotsgesetzes gegen das Erfüllungsgeschäft dazu, dass<br />
grundsätzlich auch das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft<br />
gem. § 134 BGB nichtig ist – BGH NJW 1995, 2026, 2027. Da es<br />
sich bei § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB um eine dem Schutz eines<br />
höchstpersönlichen Rechtsgutes dienende Strafvorschrift handelt,<br />
bedarf es auch nicht eines bewussten Verstoßes beider Vertragsparteien<br />
gegen das Verbotsgesetz – BGHZ 116, 268, 277; BGH NJW<br />
1995, 2026, 2027.<br />
Eine ausdrückliche Einwilligung der Mandanten des Bekl in die<br />
Aktenübergabe an den Kl lag weder beim Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes<br />
am 20.11.1998 noch bei der faktischen Übergabe<br />
der Kanzlei am 4.1.1999 vor. Durch die Übertragung der Kanzlei<br />
auf den Kl, der bis zum Zeitpunkt der Übergabe der Kanzlei als<br />
Dritter gegenüberstand, sind die Geheimnisse, die die Mandanten<br />
dem Bekl anvertraut hatten, ohne ihr Zutun an den Kl, und damit<br />
an einen Dritten, weitergegeben worden. Es kann insoweit auch<br />
nicht von einer konkludenten Einwilligung der Mandanten ausgegangen<br />
werden. Zwar ist die frühere Rechtsprechung grundsätzlich<br />
von einer konkludenten Einwilligung der Mandanten ausgegangen,<br />
weil die Fortführung der Kanzlei oder einer Praxis in ihrem Interesse<br />
liegen sollte, doch widerspricht diese Rechtsprechung dem<br />
Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Mandanten, der<br />
selber bestimmen darf, wem er seine Daten anvertrauen möchte<br />
und wem nicht. Da dem Mandanten die Entscheidungsbefugnis zusteht,<br />
muss er vor der Weitergabe seiner Daten, und damit vor der<br />
Weitergabe der Mandatsakten, die Möglichkeit haben, die Vor- und<br />
Nachteile dieser Weitergabe zu überprüfen und zu durchdenken.<br />
2. Der Nichtigkeit des Kaufvertrages steht auch nicht die in<br />
Nr. 3.3 getroffene vertragliche Regelung entgegen, dass der Bekl<br />
als freier Mitarbeiter zum Zwecke der Mandatsüberleitung in der<br />
Kanzlei des Kl weiter mitarbeiten sollte.<br />
Der Bekl hat sich darauf berufen, dass durch diese Regelung<br />
eine sogenannte sanfte Kanzleiübernahme stattfinden sollte, die<br />
keinen Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB darstelle. Er ist der<br />
Auffassung, da er als freier Mitarbeiter in der Kanzlei geblieben<br />
sei, sei die von der Rechtsprechung geforderte Kontinuität und konkludente<br />
Einwilligung der Mandanten in die Übertragung der sie<br />
betreffenden Akten gewahrt. Der BGH hat es in NJW 1995, 2025,<br />
2026 für zulässig angesehen, dass angestellte rechtskundige Mitarbeiter<br />
die Angelegenheiten des Rechtsanwalts besorgen. In ZIP<br />
2000, 515, 516 ist letztmals durch den BGH bestätigt worden, dass<br />
ein Mandant, der eine aus mehreren Anwälten bestehende Sozietät<br />
mit einem Mandat beauftragt, konkludent durch diese Beauftragung<br />
seine Einwilligung dahin erteilt, dass alle an der Sozietät beteiligten<br />
Anwälte den Fall bearbeiten können; die Aufnahme neuer<br />
Sozien in eine Gesellschaft ist nach BGH NJW 1994, 257 kein Verstoß<br />
gegen § 203 StGB, weil sich das bereits angenommene Mandat<br />
regelmäßig auf sie erstreckt. Deshalb ist auch die Aufnahme<br />
neuer Sozien, eine Anwaltsfusion oder die Kanzleiveräußerung an<br />
einen bereits in der Kanzlei mitarbeitenden Rechtsanwalt kein Geheimnisverrat<br />
– LG Darmstadt, NJW 1994, 2962. Der Grund für<br />
diese Rechtsprechung liegt darin, dass ein Mandant, der eine Sozietät<br />
und damit mehrere Rechtsanwälte mit der Bearbeitung beauftragt,<br />
damit einverstanden ist, dass die anvertrauten Geheimnisse<br />
untereinander ausgetauscht werden. Bei der Beschäftigung freier<br />
Mitarbeiter ohne Vorliegen eines Sozietätsverhältnisses muss der<br />
Mandant ebenfalls damit rechnen und darin einwilligen, dass das<br />
Mandat arbeitsteilig und damit auch durch Mitarbeiter erledigt<br />
wird. Er weiß in allen diesen Fällen bei der Mandatserteilung, dass<br />
seine persönlichen Daten von mehreren Personen zur Kenntnis genommen<br />
werden.<br />
Bei der Aufnahme eines neuen Mitarbeiters, eines Sozius oder<br />
einer Kanzleifusion, bei der mehrere Rechtsanwälte ihre Kanzleien<br />
zusammenlegen, weiß der Mandant bei der Mandatserteilung allerdings<br />
nicht, dass seine persönlichen Daten außer den ihm bekannten<br />
Rechtsanwälten, sei es als Sozien, sei es als Mitarbeiter, weiteren<br />
neu hinzukommenden Rechtsanwälten bekannt werden. Es<br />
bleibt aber derjenige Rechtsanwalt, dem der Mandant seine persönlichen<br />
Daten anvertraut hat, weiter verantwortlich in der Kanzlei.<br />
Der Mandant kann daher auch in diesen Fällen darauf vertrauen,<br />
dass dieser Rechtsanwalt seine Daten nur dann und nur unter den<br />
Umständen weitergeben wird, die die Rechte des Mandanten schüt-
750<br />
l<br />
zen. Wenn aber der Rechtsanwalt, welchem der Mandant ursprünglich<br />
seine Geheimnisse anvertraut hat, als Verantwortlicher aus der<br />
Kanzlei ausscheidet, hat der Mandant diese Gewähr nicht mehr,<br />
weil derjenige Vertragspartner ausscheidet, der dafür vertraglich<br />
nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Pflicht übernommen hat.<br />
Auf dieser Linie hat der BGH in seiner Entscheidung NJW 1995,<br />
2026, 2027 eine Fallgestaltung, in welcher der Erwerber zwar zum<br />
amtlichen Vertreter des Veräußerers bestellt worden war, aber vorher<br />
nicht in der Kanzlei tätig war, als nicht ausreichend angesehen,<br />
weil die Befugnisse eines amtlichen bestellten Vertreters im Gegensatz<br />
zu einem Alleininhaber durch Dauer und Zweck der Aufgabe<br />
begrenzt sind. Aus diesem Grund kann auch eine vertragliche<br />
Bestimmung, nach welcher der Bekl als freier Mitarbeiter in der<br />
Kanzlei weiterarbeiten sollte, zu keinem anderen Ergebnis führen.<br />
Nach dem Wortlaut des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages<br />
sollte der Bekl als derjenige Rechtsanwalt, dem die Mandanten<br />
ihre Geheimnisse anvertraut hatten, die Kanzlei und die Akten<br />
vollständig an den Kl übergeben. Es war damit nicht mehr gewährleistet,<br />
dass der Bekl nach dem Vertragswortlaut die Befugnis haben<br />
würde, alleine über die Mandantenakten zu befinden. Vielmehr<br />
hatte die alleinige Verfügungsbefugnis nun der Kl, der ohne weiteres<br />
auf die Mandantenakten Zugriff nehmen konnte. Darin liegt<br />
auch der Unterschied zu den Kanzleifusionsverträgen oder den<br />
Sozius-Aufnahmeverträgen. In diesen Fällen ist nämlich die Entscheidungsbefugnis<br />
des ursprünglichen Rechtsanwalts immer noch<br />
erhalten, da er keine abhängige Stellung einnimmt, so dass der<br />
Mandantenschutz grundsätzlich gewährleistet ist. Ob nach außen<br />
eine Sozietät vorgetäuscht ist, die den inneren Verhältnissen nicht<br />
entspricht, kann demgegenüber keine Rolle spielen. Durch den<br />
Briefkopf wurde zwar bei den Mandanten der Eindruck erweckt,<br />
dass die aufgeführten Rechtsanwälte sich zu einer Sozietät – also<br />
zu einer BGB-Gesellschaft – zusammengeschlossen hatten, doch<br />
entsprach dieser Rechtsschein nicht der Wirklichkeit, da der Kl<br />
Alleininhaber werden sollte. Für die Frage, ob die Mandanteninteressen<br />
und der Schutz ihrer persönlichen Daten ausreichend gewahrt<br />
sind, kommt es aber auf die tatsächliche Verfügungsbefugnis<br />
und nicht auf eine vorgetäuschte Verfügungsbefugnis an, mag diese<br />
auch haftungsmäßig zu Konsequenzen führen. Darum kommt es<br />
auch nicht darauf an, ob der Übertragende den Erwerber eine<br />
Sekunde oder eine Minute vor Kanzleiübertragung als Mitarbeiter<br />
oder Sozius aufnehmen könnte, denn auch diese Fallgestaltung<br />
würde der Senat genauso wie die streitgegenständliche Vertragsgestaltung<br />
als Umgehungsgeschäft ansehen, weil bei allen diesen<br />
Varianten der Schutz des Mandanten nicht gewährleistet ist, sondern<br />
durch nicht in seinem Interesse liegende Vertragskonstruktionen<br />
umgangen wird.<br />
3. Die Klausel 3.3 ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass<br />
eine Übergabe der Mandantenakten nur insoweit an den Kl erfolgen<br />
sollte, wie der Bekl durch seine Mitarbeit eine Überleitung erzielt<br />
hatte. Bei einem derartigen Regelungsgehalt wäre das informationelle<br />
Selbstbestimmungsrecht der Mandanten nicht verletzt,<br />
weil dann sichergestellt ist, dass ohne Zustimmung der Mandanten<br />
zu einer Bearbeitung ihrer Fälle durch einen anderen Rechtsanwalt<br />
eine Weitergabe der sie betreffenden Akten und damit auch der sie<br />
betreffenden Daten nicht erfolgt, siehe BGH NJW 1999, 1404,<br />
1406. Der streitgegenständliche Kaufvertrag enthält eine solche<br />
ausdrückliche Klausel nicht. Eine Auslegung der Nr. 3.3 in diese<br />
Richtung ist ebenfalls nicht möglich, weil eine solche Auslegung<br />
dem restlichen Vertragsinhalt widersprechen würde. Denn Kaufgegenstand<br />
ist ausdrücklich der Mandantenstamm, § 1b, der Kaufpreis<br />
in Höhe von 900.000 DM – § 2.2 – betrifft diese immateriellen<br />
Vermögensgegenstände und gem. § 3.2 ist im Innenverhältnis<br />
der Kl ab Stichtag Alleininhaber der Kanzlei und damit auch<br />
alleine zugriffsberechtigt und weisungsbefugt bezüglich der<br />
Mandantenakten. Dies ist nochmals unter § 8.2 ausdrücklich mit<br />
der Formulierung „der Erwerber wird ab Stichtag ... Eigentümer<br />
der Mandantendaten und Mandatsakten“ klargestellt. Außerdem<br />
stellen die Parteien an dieser Stelle fest, dass eine Zustimmung der<br />
Mandanten zur Übertragung der Mandatsverhältnisse und für den<br />
Zugriff des Kl auf die Mandatsdaten und Mandatsakten nicht erforderlich<br />
ist, er also jederzeit Zugriff auf die Daten nehmen kann.<br />
Eine Auslegung der Worte in § 3.3 „mit dem Ziel der Mandatsüberleitung“<br />
in einen Regelungsgehalt, dass der Kl nur dann auf<br />
die Mandatsakten zugreifen darf, wenn die Mandanten zugestimmt<br />
haben, würde in diametralem Widerspruch zu allen anderen vertraglichen<br />
Regelungen stehen und damit dem Willen der Parteien<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
bei Vertragsschluss auch nicht entsprechen. Eine solche Auslegung<br />
konnte vor allem den Willen des Bekl nicht treffen, da er aus steuerlichen<br />
Gründen seine Kanzlei bis 31.<strong>12</strong>.1998 vollständig aufgeben<br />
musste. Eine Regelung, dass Mandantenakten nur unter bestimmten<br />
Umständen an den Kl übertragen werden konnten, kann<br />
damit nicht von ihm gewollt gewesen sein. Für den steuerlichen<br />
Vorteil war die völlige Übertragung der Kanzlei erforderlich. Der<br />
Bekl kann sich nicht gegenüber der Steuerforderung darauf berufen,<br />
dass er die Kanzlei völlig aufgegeben habe, und gegenüber<br />
den Zivilgerichten, dass er die Kanzlei nicht vollständig aufgegeben<br />
habe. Wenn der Bekl den Steuervorteil haben wollte, war dieses<br />
widersprüchliche Verhalten nicht möglich.<br />
Es kommt hinzu, dass auch der objektive Wortlaut wenig für<br />
eine derart weitreichende Auslegung hergibt. So ist zu berücksichtigen,<br />
dass bei einer derartig weiten Auslegung die Gefahr drohen<br />
würde, dass der Vertrag wegen überhöhten Kaufpreises gem. § 138<br />
Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit ebenfalls nichtig wäre. Denn<br />
dann hätte der Kl für einen Gesamtbetrag von 900.000 DM letztlich<br />
nur die Chance erworben, eine noch unbestimmte Anzahl von<br />
Mandatsakten zu erhalten. Auch die Klausel 8.4 führt aus den angegebenen<br />
Gründen nicht zur Wirksamkeit des Vertrages. Einerseits<br />
würde die aufschiebend bedingte Eigentumsübertragung der<br />
Intention des Bekl widersprechen, die Steuervorteile zu erlangen;<br />
andererseits ändert die aufschiebend bedingte Übereignung weder<br />
etwas an der faktischen Zugriffsmöglichkeit des Kl auf die Mandantenakten<br />
– die solange gegeben ist, wie das Zustimmungserfordernis<br />
der Mandanten von den Parteien nicht anerkannt worden<br />
ist – noch an der dann drohenden Rechtsfolge der Nichtigkeit wegen<br />
§ 138 I BGB, da wiederum eine weit überhöhte Zahlung stattgefunden<br />
hätte.<br />
4. Die Neuregelung des § 49b Abs. 4 S. 1 BRAO steht diesem<br />
Ergebnis nicht entgegen.<br />
Zwar regelt diese Vorschrift, dass im Gegensatz zu der früheren<br />
Rechtsprechung eine Abtretung von Honorarforderungen von einem<br />
Rechtsanwalt an einen anderen Rechtsanwalt ohne Zustimmung<br />
der Mandanten möglich und wirksam ist. § 49b BRAO regelt<br />
aber nur den Fall der Honorarabtretung. Im Gegensatz zum<br />
LG Baden-Baden, NJW-RR 1998, 202 ff. ist der Senat der Auffassung,<br />
dass diese Vorschrift nicht auf den Vorgang der Übergabe der<br />
gesamten Kanzlei und damit der Mandantenakten übertragen werden<br />
kann. Aus § 49b Abs. 4 BRAO kann zwar der Grundgedanke<br />
entnommen werden, dass die Übertragung auf einen Vertragspartner,<br />
der seinerseits der Schweigepflicht unterliegt, einer Forderungsabtretung<br />
nicht entgegengesetzt werden kann. Der Geltendmachung<br />
der Forderung durch den Abtretungsempfänger ist im<br />
Regelfall auch die Einsicht in die Mandatsakten immanent. Doch<br />
im Gegensatz zu der Übergabe der Mandantenakten setzt der Mandant,<br />
der seine Rechnung nicht bezahlt, selbst einen Verursachungsbeitrag<br />
zur Abtretung der ihm gegenüber bestehenden Forderung.<br />
Er ist damit weniger schutzwürdig als ein Mandant, der<br />
einen Rechtsanwalt zur Beratung aufsucht. Auch wird zur Geltendmachung<br />
der Forderung nicht ein derart tiefer Blick in die Mandatsakten<br />
erforderlich sein wie zur weiteren Beratung eines Mandanten,<br />
der einen Prozess führen oder bei einem Vertragsschluss<br />
beraten werden will. Auch wenn der Rechtsanwalt, dem die Kanzlei<br />
übertragen wird, gleichfalls der Verschwiegenheitspflicht unterliegt,<br />
ist es doch Sache des Mandanten, sich demjenigen Geheimnisträger<br />
anzuvertrauen, den er für geeignet hält. Es geht nicht nur<br />
darum, dass die Verschwiegenheit auf jeden Fall gewahrt ist, sondern<br />
darum, dass der betreffende Mandant darüber bestimmen<br />
kann, welchem Verschwiegenheitsverpflichteten er sich anvertrauen<br />
will und welchem nicht. Mögen auch alle Ärzte bzw. Rechtsanwälte<br />
zur Verschwiegenheit verpflichtet sein, so will man sich<br />
doch nicht jedem gleichermaßen anvertrauen.<br />
5. Die salvatorische Klausel des § <strong>12</strong>.4 des Vertrages führt hier<br />
nicht dazu, dass der restliche Vertrag wirksam ist. Die Einigung<br />
über die Übertragung der Mandantenakten betrifft den eigentlichen<br />
Vertragsgegenstand; dies zeigt schon die Höhe des darauf anzurechnenden<br />
Kaufpreises. Trotz des Wortlautes der Klausel kann daher<br />
nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Rest<br />
des Vertrages gewollt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass der<br />
Hauptinhalt des Vertrages – die Übertragung des Mandantenstammes<br />
– nichtig ist. Denn der Erwerb des Mobiliars etc. hatte nur<br />
dann einen Sinn, wenn in den Räumen und mit der Einrichtung<br />
auch die Anwaltskanzlei in dem bestehenden Mandatsumfang
AnwBl <strong>12</strong>/2000 751<br />
Rechtsprechung l<br />
betrieben werden konnte. Weder der Kl noch der Bekl hätten ein<br />
Interesse an diesem verbleibenden Rumpfvertrag: der Kl könnte<br />
ohne Mandantenakten die Kanzlei nicht betreiben und der Bekl<br />
könnte den von ihm angestrebten Steuervorteil nicht erreichen.<br />
6. Der Bekl kann der Rückabwicklung des Kaufvertrages auch<br />
nicht § 242 BGB entgegenhalten. Selbst wenn der Kl für einen<br />
Zeitraum von sechs Monaten und der Bekl bis heute von der Wirksamkeit<br />
des Vertrages ausgegangen sein sollten und der Kl – was<br />
allerdings bestritten ist – die vorformulierten Vertragsbestimmungen<br />
zur Verfügung gestellt haben sollte, ist eine Einwendung gem.<br />
§ 242 BGB für den Bekl nicht möglich. Zum einen würde damit<br />
ein Rechtsgeschäft als wirksam behandelt werden müssen, welches<br />
nicht zum Schutz der Parteien, sondern zum Schutz Dritter nichtig<br />
ist, und zum anderen trägt nicht der Kl alleine die Verantwortung<br />
für die Unwirksamkeit. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die<br />
Nichtigkeit des Vertrages von niemandem geltend gemacht worden<br />
wäre, wenn die Kanzlei so gelaufen wäre, wie sich der Kl dies vorgestellt<br />
hatte. Das liegt aber daran, dass über § 203 StGB Rechte<br />
Dritter und nicht Rechte der Vertragsparteien geschützt werden. In<br />
diesen Fällen kann eine Berufung auf § 242 BGB nur dann möglich<br />
sein, wenn trotz des leerlaufenden Schutzes Dritter aufgrund<br />
eines extrem treuwidrigen Verhaltens einer Partei ein Festhalten am<br />
Vertrag nicht akzeptabel wäre. Davon kann hier keine Rede sein.<br />
7. Der Bereicherungsanspruch des Kl ist auch nicht deshalb<br />
ausgeschlossen, weil die Kanzlei in dem Zustand, in welchem sie<br />
ihm am 4.1.1999 übergeben worden ist, nicht mehr existiert. Da<br />
der Vertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig<br />
ist, ist er über § 8<strong>12</strong> BGB rückabzuwickeln. Die Rückabwicklung<br />
ist nicht gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Zwar haben beide<br />
Parteien gegen das gesetzliche Verbot verstoßen, die Verweigerung<br />
der Rückabwicklung würde aber bedeuten, dass der gesetzwidrige<br />
Zustand, der nicht die Vertragsparteien, sondern Dritte schützen<br />
will, aufrechterhalten würde.<br />
Der Kl, dem derselbe Gesetzesverstoß vorzuwerfen ist wie dem<br />
Bekl und der sich ab Juli 1999 selbst auf die Unwirksamkeit des<br />
Vertrages berufen hat, haftet dem Bekl gegenüber für die Rückgabe<br />
der Kanzlei gem. §§ 818 Abs. 2, 819 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Zwar<br />
greift § 819 Abs. 2 BGB grundsätzlich nur dann ein, wenn der Gesetzesverstoß<br />
nur den Empfänger trifft. Bei beiderseitigem Verstoß,<br />
bei welchem § 817 S. 2 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist,<br />
wird § 819 Abs. 2 BGB entsprechend angewendet. Da die Sanktion<br />
des § 817 S. 2 BGB ausscheidet, kann die Sanktion bei beiderseitigem<br />
Gesetzesverstoß nur darin bestehen, dass möglichst derjenige<br />
Zustand wiederhergestellt wird, der vor dem gesetzeswidrigen Vertrag<br />
bestand. Das bedeutet, dass beide Parteien dem jeweiligen<br />
Vertragspartner verschärft gem. § 819 Abs. 2 BGB haften, siehe<br />
Münchener Kommentar – Wieb, 2. Aufl., § 819 Rdnr. <strong>12</strong>. Die verschärfte<br />
Haftung trifft damit auch den Kl. Ist der Kl daher nicht<br />
mehr dazu in der Lage, die Kanzlei und die damit verbundenen<br />
Gegenstände zurückzugeben, muss er über § 818 Abs. 2 BGB<br />
Wertersatz leisten. Wenn also beide Vertragspartner verschärft haften,<br />
um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, kann die<br />
Rückabwicklung nicht ausgeschlossen sein, weil keine der gesetzwidrig<br />
handelnden Vertragsparteien Gefahr läuft, ihre Ansprüche<br />
zu verlieren. Eine Verurteilung zur Rückabwicklung ist deshalb<br />
möglich, siehe BGH ZIP 2000, 460.<br />
8. Der Antrag des Bekl, die dem Kl zur Sicherung der Zwangsvollstreckung<br />
erlaubte Stellung einer Bankbürgschaft dahingehend<br />
abzuändern, dass statt der D entweder eine der drei Großbanken<br />
oder eine Bank, deren Bonität durch öffentliche Sicherheit gesichert<br />
ist, die Bürgschaft zu stellen habe, war zurückzuweisen.<br />
Sinn der Sicherheitsleistung ist es, einen möglichen Schadensersatzanspruch<br />
des Vollstreckungsschuldners gegen den Vollstrekkungsgläubiger<br />
bei einer Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen<br />
Entscheidung zu sichern, §§ 717 Abs. 2, 709, 108 ZPO.<br />
Deshalb sieht § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO in erster Linie als Sicherheit<br />
die Hinterlegung in Geld oder Wertpapieren vor. Eine Bürgschaftserklärung<br />
kann nur dann dieselbe Sicherheit bieten wie eine Hinterlegung,<br />
wenn die Bürgschaftserklärung von derselben Qualität<br />
ist, der Vollstreckungsschuldner also davon ausgehen kann, dass<br />
das Vermögen der Bank auf jeden Fall die Summe der Sicherheitsleistung<br />
abdeckt. Gem. § 239 Abs. 1 BGB ist ein Bürge dann tauglich,<br />
wenn er ein der Höhe der zu leistenden Sicherheit angemessenes<br />
Vermögen besitzt. Großbanken, Sparkassen und auch Volksban-<br />
ken sollten daher von vornherein zu dem Kreis geeigneter Bürgen<br />
zählen, siehe Palandt-Heinrichs, § 239 Rdnr. 1; Thomas-Putzo,<br />
ZPO, 22. Aufl. 2000, § 108 Rdnr. 10. Aus dem Gesetzeszweck ist<br />
aber eine Beschränkung in dieser Hinsicht nicht erforderlich. Ausreichend<br />
ist, dass eine ausreichende Vollstreckbarkeit in das Vermögen<br />
der Bank sichergestellt ist, siehe Baumbach-Lauterbach-<br />
Hartmann, 58. Aufl. 2000, § 108 Rdnr. 7; Zöller-Herget, ZPO,<br />
21. Aufl., § 108 Rdnr. 7. Anhaltspunkte dafür, dass das Vermögen<br />
von D die Vollstreckung wegen eines etwaigen Schadensersatzanspruches,<br />
der zwar hoch, aber nicht extrem hoch ist, nicht ermöglichen<br />
würde, liegen nicht vor und sind vom Bekl auch nicht<br />
vorgetragen worden.<br />
II. Berufung des Kl<br />
Die Berufung des Kl war insoweit zurückzuweisen, als er sich<br />
gegen die Zug-um-Zug-Verurteilung wendet und er eine unbedingte<br />
Verurteilung des Bekl erreichen will.<br />
1. Durch die Nichtigkeit des Vertrages ist der Kl nicht von seiner<br />
eigenen Pflicht zur Rückabwicklung des Vertrages befreit worden.<br />
Der Bekl ist grundsätzlich zur Ausübung seines Zurückbehaltungsrechtes<br />
bis zur Rückgabe der zur Kanzlei gehörenden<br />
Gegenstände berechtigt, weil der Kl insoweit, auch wenn die<br />
Gegenstände nicht mehr vorhanden sein sollten, gem. §§ 818<br />
Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet. Der Kl kann sich nicht<br />
gem. § 818 Abs. 3 auf eine Entreicherung berufen. Er selbst hat<br />
sich bereits im Juli 1999 auf die Unwirksamkeit des Kaufvertrages<br />
berufen, er ist also ab diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass<br />
er die Kanzlei an den Bekl zurückzugeben hatte. Diese Rückabwicklung<br />
kann entgegen der Ansicht des Kl nicht nach der Saldotheorie<br />
erfolgen. Die Anwendung der Saldotheorie würde dazu<br />
führen, dass im Endergebnis der gesetzwidrige Zustand beibehalten<br />
würde, nämlich der Kl die ihm ohne Zustimmung der Mandanten<br />
überlassenen Mandatsakten weiter behalten und nur der überschießende<br />
Betrag nach einer Gesamtverrechnung vom Bekl zurückfordern<br />
könnte. Dieses Ergebnis würde dem Gesetzeszweck, dem<br />
Schutz der Dritten, der nicht am Prozess beteiligten Mandanten,<br />
zuwiderlaufen. Es muss also insoweit eine Rückabwicklung in Natur,<br />
also nach der Zwei-Kondiktionen-Theorie erfolgen. Da sich der<br />
Bekl auch auf seine Rückgewähransprüche berufen hat und er insoweit<br />
sein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB geltend gemacht<br />
hat, konnte nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung ausgesprochen werden.<br />
2. Insoweit wurde der Tenor des landgerichtlichen Urteils allerdings<br />
in Ziffer II. neu gefasst, da er in der vorliegenden Form nicht<br />
vollstreckungsfähig war. Der Bekl hat als derjenige, der sich auf<br />
das Zurückbehaltungsrecht beruft, die Darlegungs- und Substantiierungslast<br />
zu tragen. Dieser Verpflichtung ist der Bekl in seinen Berufungsschriftsätzen<br />
nachgekommen. Dementsprechend steht ihm<br />
ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der in seinen Schriftsätzen<br />
aufgeführten Gegenstände zu. Ob und inwieweit der Kl im jetzigen<br />
Zeitpunkt noch eine Herausgabe dieser Gegenstände bewirken<br />
kann, ist unerheblich. Eine Verurteilung des Kl wäre gemäß der<br />
Rechtsprechung – siehe letztmals BGH ZIP 2000, 460 ebenfalls<br />
möglich, weil er verschärft haftet.<br />
Das Zurückbehaltungsrecht des Bekl ist auch nicht dadurch<br />
ausgeschlossen, dass der Kl den Vertrag zusätzlich wegen arglistiger<br />
Täuschung gem. § <strong>12</strong>3 BGB angefochten hat. Zum einen hat<br />
der Senat schon Zweifel an der arglistigen Täuschung. Denn unbestritten<br />
hat der Bekl das Ausscheiden beider Rechtsanwälte jedenfalls<br />
vor Vertragsunterzeichnung erklärt, alle Umsatzzahlen und<br />
Auswertungen lagen auf dem Tisch, aus denen sich nicht nur die<br />
monatlichen Betriebsergebnisse, sondern auch die Umsatzanteile<br />
der ausscheidenden Rechtsanwälte T und V ergaben. Der Kl wusste<br />
also mit Ausnahme der – bestrittenen – Tatsache, wie viele Mandate<br />
die Rechtsanwälte V und T bei ihrem Ausscheiden mitnehmen<br />
würden, über die Verhältnisse der Kanzlei Bescheid. Des weiteren<br />
widersprechen sich die Angaben des Kl zu den Mandaten, die die<br />
beiden ausscheidenden Rechtsanwälte mitgenommen haben sollen.<br />
Während im Anfechtungsschreiben vom Juli 1999 noch von 249<br />
Mandaten die Rede ist, ist diese Zahl im Laufe des Verfahrens auf<br />
2/3 der gesamten Aktenzahl angestiegen. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen,<br />
dass dem Kl bekannt sein musste, dass freie Mitarbeiter<br />
üblicherweise „ihre eigenen“ Mandanten mitnehmen können<br />
bzw. die Mandanten entsprechend angeschrieben werden.<br />
Aber selbst wenn eine arglistige Täuschung in diesem Punkt<br />
vorliegen sollte, würde der Kl nur dann von einer Rückgabe der
752<br />
l<br />
übertragenen Kanzlei befreit werden, wenn ihn kein Verschulden<br />
am Untergang der Kanzlei treffen würde. Dies ist schon deshalb<br />
zweifelhaft, weil der Bekl nach dem Vertragswortlaut schon nicht<br />
dazu verpflichtet war, seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der<br />
Kanzlei zu stellen, so dass der Kl jetzt nicht im Widerspruch zum<br />
Vertragswortlaut die alleinige Verantwortung auf den Bekl abschieben<br />
kann. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Vertrag bereits<br />
wegen Gesetzesverstoßes nichtig ist. Dass zusätzlich möglicherweise<br />
eine arglistige Täuschung vorliegt, kann nicht zur Befreiung<br />
von der Rückabwicklung führen, da am Gesetzesverstoß der Kl genauso<br />
wie der Bekl beteiligt war, sondern höchstens dazu, dass<br />
möglicherweise zusätzliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht<br />
werden können. Soweit der Kl hier Schadensforderungen<br />
vorgetragen hat, konnten diese wegen des völlig unzureichend substantiierten<br />
Vortrags nicht berücksichtigt werden.<br />
3. Die Zug-um-Zug-Verurteilung ist auch nicht dadurch ausgeschlossen,<br />
dass sich der Bekl hinsichtlich der Rücknahme der<br />
Kanzlei im Annahmeverzug befindet. Der Annahmeverzug führt<br />
nur zu einer Vollstreckungserleichterung gem. § 274 Abs. 2 BGB,<br />
nicht aber zur Aufhebung eines Zurückbehaltungsrechts, siehe<br />
BGHZ 90, 354, 358; 116, 244, 248.<br />
4. Auf Antrag des Kl war aber festzustellen, dass sich der Bekl<br />
mit seiner Verpflichtung, die Rechtsanwaltskanzlei zurückzunehmen,<br />
in Annahmeverzug befindet.<br />
Ein unzulässiger Berufungsangriff liegt in diesem Antrag des<br />
Kl nicht, weil die beantragte Feststellung, die eine Vollstreckung<br />
aus dem Urteil ohne weiteres Leistungsangebot ermöglichen soll,<br />
im Hauptberufungsantrag des Kl auf Beseitigung der Zug-um-Zug-<br />
Verpflichtung bereits als minus enthalten ist, § 264 Nr. 2 ZPO. Es<br />
liegt also keine Klageerweiterung, sondern ein eingeschränkter<br />
Klageantrag vor.<br />
Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag,<br />
weil die Feststellung des Annahmeverzuges im Urteilstenor die vorläufige<br />
Vollstreckung aus dem Urteil ohne nochmaliges Angebot<br />
der Leistung des Vollstreckungsgläubigers gem. § 756 Abs. 1 ZPO<br />
ermöglicht. Wegen der Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages<br />
waren beide Parteien zur Rückabwicklung verpflichtet; der Kl hatte<br />
dem Bekl den Besitz an den zur Kanzlei gehörenden Gegenständen<br />
und Akten wieder zu verschaffen. Solange der Kl dem Bekl diese<br />
Besitzeinräumung nicht angeboten hat, durfte der Bekl gem. § 273<br />
BGB die Rückzahlung der angezahlten Kaufpreisrate zurückhalten.<br />
Der Bekl befindet sich aber seit 17.<strong>12</strong>.1999 mit seiner Rücknahmepflicht<br />
in Annahmeverzug, § 293 BGB. Der Kl hat den Bekl<br />
mehrfach dazu aufgefordert, die Kanzlei zurückzunehmen. Da der<br />
Bekl wegen der Nichtigkeit sowohl des Verpflichtungs- als auch<br />
des Erfüllungsgeschäftes Eigentümer der Kanzleigegenstände und<br />
Mandatsakten geblieben war, genügte für die Besitzeinräumung<br />
gem. § 294 BGB ein Angebot in Form eines wörtlichen Angebotes<br />
gem. § 295 BGB, weil zum Wiederergreifen des Besitzes eine<br />
Handlung des Bekl erforderlich war. Allerdings musste ein solches<br />
Angebot der geschuldeten Leistung entsprechen und konkret sein.<br />
Durch das Schreiben vom 13.7.1999 der Prozessbevollmächtigten<br />
des Kl ist der Bekl noch nicht in Annahmeverzug geraten, da mit<br />
diesem Schreiben der Bekl zwar zur Rückzahlung von 787.500<br />
DM aufgefordert worden ist sowie zur Freistellung von allen<br />
monatlichen Kanzleikosten über 20.000 DM, ein Angebot zur Gesamtrückgabe<br />
der Kanzlei in diesem Schreiben aber gerade nicht<br />
erblickt werden kann, wie schon die eingeschränkte Freistellungsforderung<br />
zeigt. Erst im nächsten Schreiben vom 10.<strong>12</strong>.1999 ist<br />
eine konkrete Aufforderung zur Rücknahme der Rechtsanwaltskanzlei<br />
enthalten. Unter Zustellung der Prozessbürgschaft hat der<br />
Kl in diesem Schreiben dem Bekl die Rückgabe der Kanzlei angeboten<br />
und den Bekl zur Nennung eines Übergabetermins aufgefordert.<br />
Die Rückgabe der Kanzlei entsprechend diesem Schreiben<br />
hat der Bekl dadurch abgelehnt, dass er einerseits die Kanzlei am<br />
Wochenende 18.<strong>12</strong>./19.<strong>12</strong>.1999 verlassen und durch seinen Prozessbevollmächtigten<br />
mit Schreiben vom 20.<strong>12</strong>.1999 keinen Übergabetermin<br />
benannt hat, sondern den Kl zur Weiterbearbeitung der<br />
Mandate aufgefordert und die Mandanten durch Rundschreiben<br />
darüber informiert hat, dass er sich aus der Tagesarbeit der Kanzlei<br />
zurückziehen werde. Das weitere Angebot vom 20.1.2000 war damit<br />
nicht mehr erforderlich, weil der Bekl durch den Auszug aus<br />
der Kanzlei deutlich gemacht hatte, dass er zu einer Rücknahme<br />
der Kanzlei nicht willens war.<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
5. Der Annahmeverzug des Bekl ist auch nicht gem. § 297<br />
BGB deshalb ausgeschlossen, weil die Vermieterin der Kanzleiräume<br />
am 13.<strong>12</strong>.1999 wegen der offenen Mietforderungen ihr Vermieterpfandrecht<br />
gem. § 559 BGB ausgeübt hat. Gem. § 559 BGB<br />
besteht das Vermieterpfandrecht nur an den vom Mieter eingebrachten<br />
Sachen, die in seinem Eigentum stehen. Da wegen der<br />
Nichtigkeit auch des dinglichen Geschäfts aber der Bekl Eigentümer<br />
der Kanzleigegenstände geblieben war, konnte die Vermieterin<br />
kein Pfandrecht an den Gegenständen erwerben. An den Mitarbeiterverträgen<br />
und an dem good will der Kanzlei konnte schon<br />
deshalb kein Vermieterpfandrecht entstehen, weil es sich insoweit<br />
um keine Sachen im Sinn des § 90 BGB handelt.<br />
Die Vermieterin konnte auch nicht gutgläubig ein Vermieterpfandrecht<br />
erwerben. Das Vermieterpfandrecht ist ein besitzloses<br />
gesetzliches Pfandrecht, auf welches die Bestimmungen über<br />
rechtsgeschäftliche Pfandrechte, §§ <strong>12</strong>57 ff. BGB, anzuwenden<br />
sind mit Ausnahme derjenigen Bestimmungen, die den unmittelbaren<br />
Besitz des Pfandgläubigers voraussetzen. Daraus folgt, dass<br />
ein gutgläubiger Erwerb eines Vermieterpfandrechts an nicht dem<br />
Mieter gehörenden Sachen durch den Vermieter über §§ <strong>12</strong>57,<br />
<strong>12</strong>07 BGB nicht möglich ist, siehe Palandt-Putzo, § 559 Rdnr. 1.<br />
§ <strong>12</strong>07 BGB ist auch nicht analog anwendbar – Münchener Kommentar<br />
– Voelskow, 3. Aufl., § 559 Rdnr. 27. Es fehlt an dem durch<br />
den unmittelbaren Besitz des Pfandgläubigers entstehenden Tatbestand<br />
für einen gutgläubigen Erwerb.<br />
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156<br />
ZPO war nicht erforderlich. Zum einen ist der private Brief der<br />
nicht am Verfahren beteiligten Frau Dr. K für den Prozessverlauf<br />
völlig unerheblich, zum anderen enthielt der nicht nachgelassene<br />
Schriftsatz des Kl vom 29.3.2000 keine neuen Tatsachen, da zwischen<br />
den Parteien unstreitig war, dass aufgrund des mit der Vermieterin<br />
geschlossenen gerichtlichen Vergleichs die Kanzleiräume<br />
bis Ende März 2000 zu räumen waren.<br />
Mitgeteilt von Richterin am OLG Maria Vavra, München<br />
BGB § 202 Abs. 1, §§ 205, 675; BRAO § 51a. F.<br />
Wird ein Anspruch des Mandanten gegen einen Dritten wegen<br />
Verjährung abgewiesen, enthält die Mitteilung des Rechtsanwalts<br />
an den Mandanten, er werde das Urteil schon deshalb<br />
mit der Berufung anfechten, weil sich daraus ein Schadensersatzanspruch<br />
gegen ihn ergeben könnte, für sich allein kein<br />
Angebot auf Abschluss eines die Verjährung des Regressanspruchs<br />
hemmenden Stillhalteabkommens.<br />
BGH, Urt. v. 6.7.2000 – IX ZR 134/99<br />
Aus den Gründen: II. ... Die Annahme des Berufungsgerichts,<br />
der Erblasser und der Bekl hätten anlässlich des Telefonats vom<br />
9.1.1991 ein (weiteres) Stillhalteabkommen vereinbart, wird von<br />
der Revision unter Hinweis auf angeblich übergangenen Prozessstoff<br />
(§ 286 ZPO) gerügt. Die Berechtigung dieser Rüge kann dahinstehen.<br />
Denn durch das Stillhalteabkommen vom 9.1.1991 allein<br />
wäre die Verjährungsfrist nicht in ausreichendem Maße<br />
gehemmt worden. Ggf. hätte sich die Verjährungsfrist lediglich um<br />
den Zeitraum zwischen dem 9.1.1991 und dem 25.3.1992, mithin<br />
um 441 Tage, bis zum 15.11.1993 verlängert. Bei Klageeinreichung<br />
am 23.<strong>12</strong>.1993 war dieser Termin versäumt. Zur Unterbrechung<br />
der Verjährung wäre die Klage nur geeignet gewesen, wenn<br />
der Erblasser und der Bekl schon im Jahre 1990 ein erstes Stillhalteabkommen<br />
verabredet gehabt hätten, dessen Wirkungen sich mit<br />
denen des weiteren Stillhalteabkommens vom 9.1.1991 hätten „addieren“<br />
lassen.<br />
2. Für ein früheres – vom Berufungsgericht auf Juni/Juli 1990<br />
datiertes –Stillhalteabkommen fehlen die Voraussetzungen.<br />
a) Ein verjährungshemmendes (§§ 202 Abs. 1, 205 BGB) Stillhalteabkommen<br />
ist nur anzunehmen, wenn der Schuldner aufgrund<br />
einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung berechtigt sein soll, vorübergehend<br />
die Leistung zu verweigern, und der Gläubiger sich<br />
umgekehrt der Möglichkeit begeben hat, seine Ansprüche jederzeit<br />
weiterzuverfolgen (BGH, Urt. v. 14.11.1991 – IX ZR 31/91, NJW<br />
1992, 836; v. 5.11.1992 – IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320, 1323;<br />
v. 23.4.1998 – III ZR 7/97, NJW 1998, 2274, 2277; v. 16.<strong>12</strong>.1998 –<br />
VIII ZR 197/97, NJW 1999, 1022, 1023; v. 27.1.1999 – XII ZR 113/
AnwBl <strong>12</strong>/2000 753<br />
Rechtsprechung l<br />
97, NJW 1999,1101, 1103). Eine solche Vereinbarung kann z. B.<br />
vorliegen, wenn im Einvernehmen zwischen Gläubiger und<br />
Schuldner die Auseinandersetzung über den Schadensersatzanspruch<br />
zurückgestellt werden soll bis zur Beendigung eines Rechtsstreits<br />
(BGH, Urt. v. 5.11.1992 und 23.4.1998, jeweils aaO), bis<br />
zum Abschluss eines Versuchs zur Schadensbeseitigung (BGH,<br />
Urt. v. 31.3.1960 – III ZR 159/58, LM § 202 BGB Nr. 5; v.<br />
16.<strong>12</strong>.1998 aaO) oder bis zur Erreichung „eines aussagekräftigeren<br />
Stadiums der Schadensentwicklung“ (BGH, Urt. v. 7.1.1986 – VI<br />
ZR 203/84, NJW 1986, 1337, 1338).<br />
b) Zwar kann ein Stillhalteabkommen auch stillschweigend getroffen<br />
werden. Indes fehlt es im vorliegenden Fall, an einem äußeren<br />
Verhalten, das als Ausdruck einer solchen einvernehmlichen<br />
Entschließung gedeutet werden könnte.<br />
Das Berufungsgericht hat – insbesondere mit Rücksicht auf den<br />
Inhalt des Schreibens vom 29.6.1990 – die Auffassung vertreten,<br />
die Einlegung der Berufung beinhalte eine Vereinbarung dahin, die<br />
Auseinandersetzung über einen Ersatzanspruch bis zur Beendigung<br />
des Zugewinnausgleichsprozesses zurückzustellen, was auch im<br />
Interesse beider Parteien gelegen habe.<br />
Die Auslegung von Willenserklärungen – hier der Erklärung<br />
des Bekl, er werde für den Erblasser Berufung einlegen, und das<br />
stillschweigende Gewährenlassen durch den Erblasser – ist revisionsrechtlich<br />
daraufhin nachprüfbar, ob gesetzliche oder allgemein<br />
anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze<br />
verletzt sind und der Tatrichter den Prozessstoff ausgeschöpft hat<br />
(st. Rspr.).<br />
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den Erklärungen<br />
einen Sinn gegeben, der in deren Wortlaut keinen Niederschlag findet.<br />
Das Berufungsgericht hat keine konkreten Anhaltspunkte für<br />
einen weitergehenden, für den Gegner erkennbaren Erklärungswillen<br />
aufgezeigt. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Mitteilung<br />
des Bekl an den Erblasser, er halte das Urteil des AG Westerstede<br />
für falsch und werde es schon deshalb mit der Berufung angreifen,<br />
weil sich daraus für ihn eine Haftung ergeben könne, enthielt weder<br />
dem Wortlaut noch ihrem erkennbaren Sinne nach die an den<br />
Erblasser gerichtete Bitte oder Anregung, mit der Geltendmachung<br />
seiner Regressforderungen so lange zuzuwarten, bis zumindest<br />
über die Berufung entschieden sei. Dem Erblasser wurde vielmehr<br />
die Entscheidung, wie er mit dem ihm möglicherweise zustehenden<br />
Schadensersatzanspruch weiter verfuhr, offengelassen. Der vorliegende<br />
Fall unterscheidet sich von dem am 31.3.1960 (aaO) entschiedenen.<br />
Dort hatte der Schuldner durch die Inanspruchnahme<br />
eines Dritten versucht, den Schaden zu beseitigen, und den Gläubiger<br />
„um Verständnis für diese unverschuldet eingetretene Veränderung<br />
in der Sach- und Rechtslage“ sowie darum gebeten, bei der<br />
Beseitigung der Schwierigkeiten „in fairer Weise“ mitzuhelfen.<br />
Hier hat Rechtsanwalt B in dem Schreiben vom 29.6.1990 nicht<br />
einmal den Versuch unternommen darzutun, dass ein Zurückstellen<br />
der Auseinandersetzung über diese Ersatzansprüche den Interessen<br />
beider Seiten dienlich sei, oder in sonstiger Weise ein Entgegenkommen<br />
des Erblassers gewünscht. Dieser musste deswegen nicht<br />
auf den Gedanken kommen, er dürfe, wenn er sich mit der Einlegung<br />
der Berufung einverstanden erkläre, den Bekl vorläufig<br />
nicht in Anspruch nehmen.<br />
Anhaltspunkte für das Gegenteil lassen sich auch nicht dem<br />
nachfolgenden Schriftwechsel und dem vorgetragenen Inhalt der<br />
späteren Telefonate entnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.1997 – IX<br />
ZR 164/96, WM 1997, 2305, 2306).<br />
Die vom Berufungsgericht unterlassene Auslegung darf der<br />
Senat selbst vornehmen, weil weitere tatsächliche Feststellungen<br />
insoweit nicht in Betracht kommen.<br />
Fehlt es bereits an einem Angebot des Bekl zum Abschluss<br />
eines „pactum de non petendo“, kann der Umstand, dass der Erblasser<br />
die Einlegung und Durchführung der Berufung dem Bekl<br />
nicht untersagte, auch nicht als Annahme verstanden werden.<br />
III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen<br />
Gründen als richtig (§ 563 ZPO).<br />
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen,<br />
dass der Zugewinnausgleichsanspruch, dessen Geltendmachung dem<br />
Bekl aufgetragen war, am 1.9.1989 verjährte. Das wird von keiner<br />
der Parteien bezweifelt. Für den Schadenseintritt i. S. d. § 51<br />
BRAO a. F. möchte die Revisionserwiderung allerdings auf den<br />
Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung abstellen, mit welcher<br />
der Zugewinnausgleichsanspruch wegen Verjährung abgewiesen<br />
wurde; sie beruft sich dazu auf das Senatsurt. v. 9.6.1992 (IX ZR<br />
50/91, NJW 1992, 2828, 2829). Diese Argumentation geht fehl.<br />
Zum einen hat der Senat diese Rechtsprechung aufgegeben. Er<br />
geht nunmehr davon aus, dass der durch fehlerhaftes Prozessverhalten<br />
eines Rechtsanwalts verursachte Schaden in der Regel bereits<br />
mit der ersten nachteiligen Gerichtsentscheidung eintritt (Urt.<br />
v. <strong>12</strong>.2.1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787 f.). Zum anderen<br />
kommt es hier nicht auf Gerichtsentscheidungen an, weil kein fehlerhaftes<br />
Prozessverhalten in Rede steht. Lässt ein Rechtsanwalt,<br />
wie hier, einen (streitigen) Anspruch seines Auftraggebers gegen<br />
einen Dritten verjähren, so entsteht der Schaden bereits mit dem<br />
Ablauf der Verjährungsfrist, nicht erst mit der Erhebung der Verjährungseinrede<br />
durch die Gegenseite (BGH, Urt. v. 14. 6.1994 –<br />
IX ZR 204/93, NJW 1994, 2822, 2823 f.; Beschl. v. 14.3.1996 –<br />
IX ZR 196/95, BGHR BRAO § 51 a. F. – Verjährungsbeginn 3)<br />
und auch nicht mit auf der Verjährungseinrede beruhenden<br />
Gerichtsentscheidungen.<br />
2. Eine Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis<br />
(§ 208 BGB) hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend verneint.<br />
Insofern ist für eine Verjährungsunterbrechung ein tatsächliches<br />
Verhalten gegenüber dem Gläubiger erforderlich, aus dem sich das<br />
Bewusstsein des Schuldners von dem Bestehen des gegen ihn erhobenen<br />
Anspruchs – wenigstens dem Grunde nach – klar und unzweideutig<br />
ergibt und das deswegen das Vertrauen des Gläubigers<br />
begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist<br />
alsbald auf Verjährung berufen wird (BGHZ 58, 103,<br />
104; BGH,Urt.v.21.11.1996 – IX ZR 159/95, WM 1997, 330, 332).<br />
Die Revisionserwiderung nimmt die tatrichterlichen Feststellungen<br />
hin. Danach hat der Bekl sich nicht zum Ersatz eines Schadens bereit<br />
erklärt, sondern lediglich einen Fehler eingeräumt und angekündigt,<br />
er werde den Sachverhalt seiner Haftpflichtversicherung<br />
unterbreiten. Das reicht für ein Anerkenntnis nicht aus (vgl. OLG<br />
Hamm MDR 1990, 547).<br />
3. Eine Hemmung der Verjährung in entsprechender Anwendung<br />
des § 852 Abs. 2 BGB hat das Berufungsgericht mit Recht<br />
nicht in Betracht gezogen (vgl. BGH, Urt. v. 29.2.1996 – IX ZR<br />
180/95, WM 1996, 1106, 1107).<br />
4. Der Berufung auf die Verjährung steht nicht der Einwand<br />
unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Selbst wenn der Bekl den<br />
Erblasser zunächst von der Einklagung der Regressforderung abgehalten<br />
hätte, wäre jenem der Arglisteinwand nicht erhalten geblieben.<br />
Denn nach Wegfall des Umstands, aus dem der Kl die unzulässige<br />
Rechtsausübung herleitet, verblieb noch genügend Zeit, den<br />
Anspruch gerichtlich geltend zu machen (vgl. dazu BGH, Urt. v.<br />
26.2.1985 – VI ZR 144/83, NJW 1985, 1151, 1152; v. 29.2.1996 –<br />
IX ZR 180/95, aaO S.1108). Nachdem der Bekl dem Erblasser mit<br />
Schreiben vom 25.3.1992 mitgeteilt hatte, dass für eine außergerichtliche<br />
Regulierung kein Raum sei, verblieben dem – bereits<br />
durch den Kl vertretenen – Erblasser, wenn die Verjährung bis dahin<br />
nicht gehemmt war, noch fünf Monate, um die Klage zu erheben.<br />
5. Da der Kl bereits vor Ablauf der Primärverjährung eingeschaltet<br />
war, ist dem Berufungsgericht auch darin zuzustimmen,<br />
dass die Verjährung nicht auf der Verletzung sekundärer Pflichten<br />
beruht.<br />
IV. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1<br />
ZPO). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat selbst entscheiden<br />
(§ 565 Abs. 3 Ziff. 1 ZPO) und die Berufung zurückweisen.<br />
BGB § 654<br />
Zur Frage der Verwirkung des Anspruchs einer Gesellschaft bürgerlichen<br />
Rechts auf Vermittlungsmaklerprovision, wenn einer<br />
der Gesellschafter zugleich als Rechtsanwalt für die Gegenseite<br />
tätig geworden und dies nicht offengelegt worden ist.<br />
BGH, Urt. v. 8.6.2000 – III ZR 186/99<br />
Aus den Gründen: Die Revision ist nicht begründet.<br />
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der<br />
Maklervertrag zwischen der Immobiliengesellschaft bürgerlichen
754<br />
l<br />
Rechts R. & A. und dem Bekl nicht gegen das Verbot unerlaubter<br />
Rechtsberatung (Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG) verstoßen hat.<br />
a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Verstoß von<br />
vornherein bereits tatbestandsmäßig deswegen ausschied, weil einer<br />
der Gesellschafter, R, im fraglichen Zeitraum als Rechtsanwalt<br />
zugelassen war.<br />
b) Jedenfalls scheitert ein Verstoß daran, dass der Immobiliengesellschaft<br />
die Reprivatisierung des Grundstücks K.-straße 14 als<br />
möglicher Gegenstand der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten<br />
i. S. d. Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG nicht gegenüber dem Bekl obgelegen<br />
hat. In dem Maklervertrag war vielmehr eindeutig klargestellt,<br />
dass die Immobiliengesellschaft bei der Reprivatisierung<br />
im Auftrag der Verkäufer tätig wurde. Demnach haben beide Vorinstanzen<br />
zutreffend festgestellt, dass die Reprivatisierung keine<br />
Leistung war, die die Makler dem Bekl versprochen hatten, auch<br />
nicht als Inhalt der Vermittlung oder als Bedingung des Entstehens<br />
des Provisionsanspruchs. Auch die Revision nimmt ausdrücklich<br />
hin, dass die Immobiliengesellschaft in dem Vertrag gegenüber<br />
dem Bekl keine Verpflichtung eingegangen war, das Reprivatisierungsverfahren<br />
zu betreiben.<br />
c) Entgegen der Auffassung der Revision kann auch nicht davon<br />
ausgegangen werden, dass der Maklervertrag in einem<br />
„unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang“ mit der Rechtsbesorgung<br />
der Immobiliengesellschaft gegenüber den Verkäuferinnen<br />
gestanden habe. Das Gelingen der Reprivatisierung war zwar<br />
Voraussetzung für das Entstehen des Provisionsanspruchs. Ein<br />
rechtlicher Zusammenhang zwischen dem Zustandekommen des<br />
Maklervertrages und der Wirksamkeit der auf die Reprivatisierung<br />
gerichteten Vereinbarung zwischen den Maklern und der Verkäuferseite<br />
wurde dadurch indessen nicht geschaffen. Es bewendete vielmehr<br />
bei der jedem gewöhnlichen Maklervertrag zugrundeliegenden<br />
Konstellation, dass das Zustandekommen des Hauptvertrages<br />
Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf Maklerlohn<br />
ist, wobei hier lediglich als zusätzliche tatsächliche Voraussetzung<br />
die Reprivatisierung hinzukommen sollte.<br />
2. Der Maklervertrag ist auch nicht mit sonstigen Nichtigkeitsgründen<br />
behaftet. Der Umstand, dass der Gesellschafter R seinerzeit<br />
Rechtsanwalt gewesen war, hinderte das wirksame Zustandekommen<br />
des Vertrages nicht. Anders als für Notare gibt es keine<br />
gesetzliche Vorschrift, die eine makelnde Tätigkeit von Rechtsanwälten<br />
allgemein im Sinne von § 134 BGB verbietet (BGH, Urt.<br />
v. 31.10.1991 – IX ZR 303/90 = NJW 1992, 681, 682). Die ständige<br />
Ausübung des Berufs eines Maklers ist allerdings für einen<br />
Rechtsanwalt unzulässig (BGH aaO m. w. N.). Selbst wenn R indessen<br />
damals durch eine solche ständige Ausübung des Maklerberufs<br />
gegen anwaltliches Standesrecht verstoßen haben sollte, bewirkte<br />
dies nicht automatisch die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)<br />
aller von der Immobiliengesellschaft abgeschlossenen Maklerverträge.<br />
Denn nicht schon jeder Standesverstoß eines an eine Standesordnung<br />
gebundenen Vertragsteils macht das Rechtsgeschäft sittenwidrig;<br />
vielmehr kommt es stets auf alle Umstände des<br />
Einzelfalls an (Senatsurt. v. 18.3.1999 – III ZR 93/98 = NJW 1999,<br />
2360 = BGHR BGB § 138 Abs. 1 Architektenvertrag 2). Zwar hat<br />
der IX. Zivilsenat in seinem Urt. v. 31.10.1991 (aaO) die Sittenwidrigkeit<br />
des damals in Rede stehenden Maklervertrages mit der<br />
Erwägung verneint, der betroffene Rechtsanwalt sei lediglich in<br />
einem durch besondere Umstände geprägten Einzelfall als Makler<br />
tätig geworden. Daraus kann indessen nicht die Folgerung gezogen<br />
werden, dass sämtliche Maklerverträge einer auf diesem Gebiet gewerblich<br />
tätigen Personengesellschaft schon deswegen sittenwidrig<br />
sind, weil an dieser ein Rechtsanwalt als Mitglied beteiligt ist. Eine<br />
so weitreichende Sanktion stünde zu dem Ziel, die Wahrung des anwaltlichen<br />
Standesrechtes sicherzustellen, jedenfalls dann außer<br />
Verhältnis, wenn – wie hier – der Rechtsanwalt gegenüber dem<br />
Kunden (dem Bekl) allein in seiner Eigenschaft als Makler tätig<br />
wird (vgl. Staudinger/Sack, BGB 13. Bearb, 1996 § 138 Rdnr. 425);<br />
vielmehr stellt insoweit bereits die Bundesrechtsanwaltsordnung ein<br />
geeignetes und ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung (vgl.<br />
BGH, Beschl. v. 10.11.1975 – AnwZ (B) <strong>12</strong>/75 = LM BRAO § 7<br />
Ziffer 8 Nr. 31 m. w. N.). Der mögliche Standesverstoß wog daher<br />
nicht so schwer, als dass er die zivilrechtliche Gültigkeit des hier in<br />
Rede stehenden Maklergeschäfts hätte beeinträchtigen können.<br />
Ebenso wenig verstieß die Vereinbarung einer Maklerprovision<br />
gegen das für Rechtsanwälte geltende Verbot der Vereinbarung<br />
eines Erfolgshonorars, da der Gesellschafter R für den Bekl gerade<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
nicht als Anwalt, sondern ausschließlich als Makler tätig geworden<br />
war (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1991 aaO).<br />
3. Der Provisionsanspruch ist im vorliegenden Fall auch nicht<br />
nach § 654 BGB verwirkt.<br />
a) Es kann dahinstehen, ob die Immobiliengesellschaft wegen<br />
ihrer Beziehungen zur Verkäuferseite, insbesondere wegen der anwaltlichen<br />
Tätigkeit des Gesellschafters R für diese bei der Reprivatisierung<br />
der Grundstücke, dieser gegenüber die Stellung eines<br />
„Vertrauensmaklers“ gehabt hat. Selbst wenn man dies – abweichend<br />
von dem Berufungsgericht – bejahen würde, würde dieser<br />
Umstand für sich allein genommen noch keinen Fall verbotener<br />
Doppeltätigkeit i. S. d. § 654 BGB begründen. Denn nicht mit jeder<br />
vermittelnden Tätigkeit nach beiden Seiten verwirkt der Makler<br />
seinen Provisionsanspruch gewissermaßen „automatisch“. Entscheidend<br />
hierfür ist vielmehr, ob der Makler mit seiner Tätigkeit<br />
das Vertrauen und die Interessen seiner Auftraggeber verletzt. Dies<br />
ist etwa dann nicht der Fall, wenn er ihnen seine Tätigkeit für die<br />
jeweils andere Seite offen legt und sich darauf beschränkt, als „ehrlicher<br />
Makler“ zwischen ihren Interessen zu vermitteln (st. Rspr.;<br />
vgl. zuletzt Senatsurt. v. 11.11.1999 – III ZR160/98 = VersR2000,<br />
182, 183 m. zahlr. w. N.).<br />
b) In dem hier zu beurteilenden Fall hatte die Immobiliengesellschaft<br />
in dem schriftlichen Maklervertrag eindeutig und unmissverständlich<br />
klargestellt, dass sie im Auftrag der Verkäufer<br />
Immobilien reprivatisiere und von diesen beauftragt worden sei,<br />
diese Immobilien zum Verkauf zu bringen. Damit hatte die Immobiliengesellschaft<br />
dem Bekl insbesondere den wesentlichen Umstand<br />
offengelegt, dass sie beim Zustandekommen des Kaufs auch<br />
die Interessen der Verkäuferseite wahrnahm. Damit war sie ihrer<br />
Informationspflicht im vorbezeichneten Sinne hinreichend nachgekommen.<br />
Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, dass die<br />
Immobiliengesellschaft ihre Neutralitätspflicht als Doppelvermittlungsmaklerin<br />
nicht konkret verletzt habe, wird von der Revision<br />
ausdrücklich hingenommen.<br />
c) Auch eine sonstige schwere Treuepflichtverletzung, die eine<br />
Verwirkung des Provisionsanspruchs in analoger Anwendung des<br />
§ 654 BGB rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Revision<br />
erblickt eine solche insbesondere darin, dass die Immobiliengesellschaft<br />
– unstreitig – nicht offengelegt habe, dass eines ihrer Mitglieder<br />
Rechtsanwalt gewesen und als solcher für die Verkäuferseite<br />
tätig geworden sei. Der Senat hat bereits Zweifel, ob insoweit überhaupt<br />
eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Bekl bestanden hat.<br />
Dagegen spricht nämlich die Erwägung, dass die anwaltlichen Reprivatisierungsbemühungen<br />
des Gesellschafters R, eine sachgerechte<br />
Vermittlungstätigkeit der Immobiliengesellschaft für beide Seiten<br />
keineswegs von vornherein ausschlossen. Diese Frage braucht indessen<br />
nicht abschließend geklärt zu werden. Dem Berufungsgericht<br />
ist jedenfalls darin beizupflichten, dass ein Verstoß der Immobiliengesellschaft<br />
gegen eine etwaige Offenbarungspflicht nicht<br />
ein solches Gewicht hatte, dass er den Wegfall des Provisionsanspruchs<br />
(oder eine Anfechtbarkeit des Vertrages wegen arglistiger<br />
Täuschung) hätte begründen können. Zwar mag die Pflicht des<br />
Rechtsanwalts, die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen,<br />
gegenüber der Interessenwahrnehmungspflicht eines Maklers eine<br />
größere Intensität haben. Andererseits beschränkte sich die anwaltliche<br />
Tätigkeit des Gesellschafters R auf die Reprivatisierungsbemühungen<br />
und diente insoweit auch dem wohlverstandenen<br />
Interesse des Bekl, indem sie die Voraussetzungen für den Erwerb<br />
des Grundstücks schaffen sollte. Außerdem war der Umstand, dass<br />
und mit welcher Zielrichtung die Immobiliengesellschaft auch für<br />
die Verkäuferseite tätig wurde, in dem Vertrag offengelegt worden;<br />
das mögliche Informationsdefizit betraf dementsprechend nicht die<br />
Bindung als solche, sondern lediglich deren Intensität. Die Unvollständigkeit<br />
in diesem einen Punkt vermag vor dem Hintergrund der<br />
weiteren Feststellung, dass der Immobiliengesellschaft eine konkrete<br />
Verletzung der Neutralitätspflicht nicht vorgeworfen werden<br />
kann, den Bestand des Provisionsanspruchs nicht in Frage zu stellen.<br />
BGB §§ 826, 652, 675, 249; BGB §§ 138, 195, 196, 8<strong>12</strong>, BRAGO<br />
§3; BGB §§ 667, 675<br />
1. Bringt ein Rechtsanwalt seinen Mandanten in Kontakt zu<br />
einem Makler und veranlasst er diesen, für die Vermittlung
AnwBl <strong>12</strong>/2000 755<br />
Rechtsprechung l<br />
eines Geschäfts eine sittenwidrig überhöhte Provision zu nehmen<br />
und davon einen wesentlichen Teil an den Anwalt abzuführen,<br />
kann ein Anspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt<br />
aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet sein,<br />
wenn dieser ihn nicht rechtzeitig auf die Provisionsbeteiligung<br />
hingewiesen hat.<br />
2. Ein Schaden des Mandanten infolge einer überhöhten Maklerprovision<br />
ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil er trotz<br />
des unangemessenen Maklerhonorars einen höheren Kaufpreis<br />
erlangt hat, als er ihn ohne die Einschaltung dieses Maklers erzielt<br />
hätte. Vielmehr kommt es allein darauf an, wie der Mandant<br />
wirtschaftlich stände, wenn der Makler korrekt gehandelt<br />
hätte.<br />
3. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung eines<br />
anwaltlichen Pauschalhonorars wegen Sittenwidrigkeit nichtig<br />
ist.<br />
4. Der Anspruch des Mandanten auf Rückgewähr des zur Erfüllung<br />
einer sittenwidrigen Gebührenvereinbarung gezahlten Anwaltshonorars<br />
verjährt nicht in der kurzen Frist des § 196 BGB,<br />
sondern erst nach 30 Jahren.<br />
5. Erteilt der Anwalt dem Mandanten den Rat, ein ihm gehörendes<br />
Grundstück nicht an den zunächst vorgesehenen Erwerber<br />
zu veräußern, und vermittelt er in engem Zusammenhang damit<br />
den Kontakt zu einem Makler, der einen neuen Käufer suchen<br />
soll, hat der Anwalt eine ihm vom Makler ohne Kenntnis des<br />
Auftraggebers gewährte Provision an diesen herauszugeben.<br />
BGH, Urt. v. 30.5.2000 – IX ZR <strong>12</strong>1/99<br />
Zum Sachverhalt: Der Kl war Eigentümer eines 7.793 qm großen Baugrundstücks<br />
im Einzugsbereich des Flughafens München II. Über dieses<br />
Grundstück schloss er am 27.6.1988 mit einem Architekten einen Kaufvorvertrag<br />
zum Preise von 3,6 Mio DM. Der Kl hatte die beklagten Rechtsanwälte<br />
mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Auf ihren Rat hin<br />
erklärte der Kl im Jahre 1989 den Rücktritt vom Vertrag mit der Begründung,<br />
die vom Käufer zu leistenden Sicherheiten seien nicht hinreichend<br />
werthaltig.<br />
Nach dem Rücktritt vermittelten die Bekl dem Kl den Kontakt zur<br />
G.f.G. mbH (nachfolgend: GfG). Deren Geschäftsführer B benannte dem Kl<br />
die C Versicherungs AG als Interessentin. In die Vertragsbeziehungen zur C<br />
wurden die Bekl nicht eingeschaltet. Am 13.6.1989 der Kl das Grundstück<br />
an die Versicherungsgesellschaft für 7,5 Mio DM. In einer tags zuvor getroffenen<br />
Vereinbarung ermächtigte der Kl den Geschäftsführer der Maklerin,<br />
nach Auszahlung eines Kaufpreisteils von 5,1 Mio DM den Rest zur Abdekkung<br />
von Kosten, Gebühren und Vermittlungsansprüchen zu verwenden.<br />
800.000 DM von diesem Teil sollten zunächst festgelegt werden, um etwaige<br />
Abfindungsansprüche des früheren Käufers auszugleichen. Später erhielt der<br />
Kl von diesem Betrag weitere 575.000 DM; der Rest verblieb der Maklerin.<br />
Der Kl hat behauptet, die Bekl hätten ohne sein Wissen mit B für den Verkauf<br />
des Grundstücks eine Unterprovision in Höhe von 1.048.544,60 DM<br />
vereinbart und auch erhalten; sie hätten der GfG über diese Summe fingierte<br />
Rechnungen wegen angeblicher anwaltlicher Dienste erteilt. Der Kl hat die<br />
Auskehr dieser Provision wegen positiver Vertragsverletzung und aus unerlaubter<br />
Handlung verlangt.<br />
Die Bekl haben den Kl außerdem in einem Rechtsstreit als Korrespondenzanwälte<br />
vertreten, den die Ehefrau des ersten Kaufinteressenten aus<br />
abgetretenem Recht wegen des Rücktritts gegen den Kl geführt hat. Der Kl<br />
hat an die Bekl für diese Tätigkeit aufgrund mündlicher Vereinbarung<br />
228.000 DM entrichtet; die Bekl behaupten, mit diesem Betrag seien zugleich<br />
ihre Dienstleistungen in mehreren weiteren von dem Kl erteilten Aufträgen<br />
abgegolten. Der Kl ist der Auffassung, die Gebührenvereinbarung sei<br />
nach § 3 BRAO sowie wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, weil<br />
sie die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteige.<br />
Der Kl hat Zahlung von insgesamt 1.235.147,20 DM verlangt. Das LG<br />
hat ihm 820.544,60 DM hinsichtlich der Provision sowie 186.602,60 DM<br />
wegen Unwirksamkeit der Gebührenvereinbarung zugesprochen. Das Berufungsgericht<br />
hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision begehrt<br />
der Kl die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.<br />
Aus den Gründen: Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.<br />
I. Das Berufungsgericht hat vertragliche Schadensersatzansprüche<br />
wegen der Provisionszahlung zu Recht verneint. Die tatrichterliche<br />
Feststellung, dass die Bekl keinen Auftrag erhalten hatten, die<br />
Interessen des Kl bei Anbahnung des durch die GfG vermittelten<br />
Auftrags zu vertreten, nimmt die Revision hin. Ob aus dem Mandat,<br />
das die Rechtsbeziehung des Kl zum ersten Kaufinteressenten,<br />
betraf, nachwirkende Schutzpflichten bestanden, braucht nicht erör-<br />
tert zu werden; denn daraus herrührende Schadensersatzansprüche<br />
sind gem. § 51b BRAO verjährt. Der Schaden des Kl war spätestens<br />
eingetreten, als die Bekl am 7.11.1989 von der GfG den<br />
ersten Teil der Zahlung erhielten, die nach dem klägerischen Vorbringen<br />
zur Erfüllung der vereinbarten Provisionsbeteiligung geleistet<br />
wurde. Die Klage ist bei Gericht erst am 21.3.1996 eingegangen.<br />
Zu diesem Zeitpunkt war selbst eine eventuell in Gang<br />
gesetzte Sekundärverjährung abgelaufen.<br />
II. Das Berufungsgericht meint, dem Kl stehe wegen einer<br />
Provisionszahlung der Maklerin an die Bekl jedenfalls deshalb<br />
kein Anspruch aus unerlaubter Handlung zu, weil er nicht geschädigt<br />
sei. Der Vortrag mit der C Versicherung sei trotz der Provision<br />
und der an den ersten Käufer gezahlten Abfindung von 1,3 Mio<br />
DM für den Kl immer noch günstiger gewesen als das ursprünglich<br />
beabsichtigte Geschäft. Da die Bekl nicht verpflichtet gewesen seien,<br />
dem Kl ihre Provisionsabsprache mit der GfG zu offenbaren,<br />
fehle es auch an einem sittenwidrigen Handeln im Sinne von § 826<br />
BGB.<br />
Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision mit Erfolg.<br />
Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Vortrag des Kl richtig<br />
und die Aussage des Zeugen B glaubhaft ist. Auf dieser für die<br />
revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Grundlage ist der geltend<br />
gemachte Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 830, 840 Abs.<br />
1 BGB begründet.<br />
1. Die Provisionsvereinbarung des Kunden mit dem Makler ist<br />
sittenwidrig, wenn zwischen der Höhe der versprochenen Vergütung<br />
und der dafür zu erbringenden Leistung ein auffälliges<br />
Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, beispielsweise<br />
eine verwerfliche Gesinnung des Maklers oder eine<br />
Ausnutzung der schwierigen Lage des Geschäftspartners (BGHZ<br />
<strong>12</strong>5, 135, 137). Entsprechende Voraussetzungen sind im Streitfall<br />
gegeben.<br />
Kommt ein Kaufvertrag über ein Grundstück durch Vermittlung<br />
des Maklers zustande, steht ihm üblicherweise gegen die Partei, die<br />
ihn beauftragt hat, eine Provision zwischen 3 und 5% des Kaufpreises<br />
zu (vgl. BGHZ <strong>12</strong>5, 135, 139). Auf dieser Basis hätte sich im<br />
Streitfall bei einem Kaufpreis von 7,5 Mio DM ein Maklerhonorar<br />
von bis zu 375.000 DM ergeben. Der Kl hat jedoch an die GfG insgesamt<br />
1.825.000 DM abführen müssen; das sind rund 24% der<br />
Summe, die die Käuferin ihm schuldete, also etwa das Fünffache<br />
der im Regelfall üblichen Provision. Die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />
hat bei gegenseitigen Verträgen ein auffälliges Missverhältnis<br />
in der Regel bejaht, wenn der Preis knapp doppelt so hoch<br />
ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. für Kaufverträge BGH<br />
Urt. v. 18.1.1991 – V ZR 171/89, BGHR BGB § 138 Abs. 1 Missverhältnis<br />
3; v. 8.11.1991 – V ZR 260/90, NJW 1992, 899, 900; v.<br />
9.10.1996 – VII ZR 233/95, WM 1997, 230, 232; v. 26.11.1997 –<br />
VIII ZR 322/96, WM 1998, 932, 934 f.) oder der geforderte Zins<br />
den marktüblichen Zins um etwa 100% übersteigt (vgl. BGHZ<br />
110, 336, 338 ff. m. w. N.). Ob es gerechtfertigt ist, die Vereinbarung<br />
von Maklerprovisionen ebenso zu beurteilen, wenn die übliche<br />
Vergütung um 100% oder mehr überschritten wird (vgl. dazu<br />
Staudinger/Reuter BGB 13. Bearbeitung §§ 652, 653 Rdnr. 49 mit<br />
Beispielen aus der Rechtsprechung), braucht der Senat nicht zu<br />
entscheiden. Jedenfalls das Maklerhonorar, das der Kl an die GfG<br />
zu entrichten hatte, war der, Höhe nach völlig unangemessen.<br />
Zwar wurden mit dieser Summe nicht nur die Provisionsansprüche<br />
der Maklerin, sondern auch über das gewöhnliche Maß erheblich<br />
hinausgehende Aufwendungen durch echte zusätzliche Leistungen,<br />
die sie im Zusammenhang mit dem Verkauf des<br />
Grundstücks zu erbringen hatte, abgedeckt. Die Maklerin hat nach<br />
Angabe des Zeugen B eine Planung erstellen lassen, für die sie<br />
etwa 200.000 DM zu zahlen hatte und ohne die die Käuferin das<br />
Objekt nicht zu dem vereinbarten Preis erworben hätte. Selbst<br />
wenn man jedoch dem Makler deshalb nicht nur einen gesonderten<br />
Anspruch auf Erstattung dieser Auslagen (§ 652 Abs. 2 BGB) zubilligt,<br />
sondern darüber hinaus eine erhöhte Provision für angemessen<br />
erachtet, steht die Höhe des vereinbarten Honorars in grobem<br />
Missverhältnis zu der Leistung, die der Makler zu erbringen hatte.<br />
2. Ein auffälliges Missverhältnis legt den Schluss auf eine verwerfliche<br />
Gesinnung desjenigen nahe, der sich die überhöhte Vergütung<br />
hat versprechen lassen (BGHZ <strong>12</strong>5, 135, 140; BGH, Urt. v.<br />
8.11.1991, aaO; v. 26.11.November 1997, aaO). Im Streitfall wird<br />
diese Vermutung zudem durch konkrete Tatsachen erhärtet. Wie
756<br />
l<br />
der Zeuge B eingeräumt hat, war ihm damals bekannt, dass der Kl<br />
auf den Abschluss des Vertrages mit der C unbedingt angewiesen<br />
war, weil ihm die Gemeinde H eine Forderung für Erschließungskosten<br />
in Höhe von 250.000 DM angekündigt hatte, die er aus seinem<br />
sonstigen Vermögen nicht hätte begleichen können. Die Höhe<br />
der von B gestellten Forderung beruhte zudem entscheidend darauf,<br />
dass er nach der Beweiswürdigung des LG, die das Berufungsgericht<br />
als richtig unterstellt hat, an die Bekl eine Provision in<br />
Höhe von mehr als 10% des Kaufpreises zu leisten hatte, weil sie<br />
ihm den Kl als Kunden zugeführt hatten. Diese Absprache war<br />
dem Kl verheimlicht worden, der – wie den Beteiligten bewusst<br />
war – sich ansonsten nicht mit einem Maklerhonorar in dieser Größenordnung<br />
einverstanden erklärt hätte. Der Kl hat sich die Aussage<br />
des Zeugen zu eigen gemacht und damit ein sittenwidriges<br />
Verhalten des B im Zusammenhang mit dem Verkauf des Grundstücks<br />
schlüssig dargelegt.<br />
3. Dem Kl ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ein<br />
Schaden entstanden.<br />
a) Das Berufungsgericht vergleicht die Folgen der Provisionszahlung<br />
mit der finanziellen Lage, die sich für den Kl bei Durchführung<br />
des zunächst geschlossenen Vorvertrages ergeben hätte.<br />
Dieser Anknüpfungspunkt ist jedoch für die Beurteilung, ob er<br />
durch das sittenwidrige Handeln der Maklerin geschädigt wurde,<br />
rechtlich unerheblich. Der Eintritt eines Schadens ist nach der sogenannten<br />
Differenzhypothese grundsätzlich durch Vergleich der<br />
infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage<br />
mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben,<br />
hätte, zu beurteilen (BGHZ 98, 2<strong>12</strong>, 217; 99, 182, 196; BGH, Urt.<br />
v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304). Der Umstand,<br />
dass der Kl zuvor von der Vereinbarung mit einem anderen Interessenten<br />
zurückgetreten war, hat auf die der Maklerin zustehenden<br />
Rechte und die ihr obliegenden Pflichten keinen Einfluss. Die Entstehung<br />
eines Schadens ist daher nicht anders zu beurteilen, als<br />
wenn der Kl sich durch Vermittlung der Bekl sogleich an die GfG<br />
gewandt, also nicht zuvor mit einem Dritten Kaufverhandlungen<br />
geführt hätte. Die finanzielle Lage des Kl ist allein mit dem wirtschaftlichen<br />
Ergebnis zu vergleichen, das sich für ihn ergeben<br />
hätte, wenn B korrekt gehandelt, also nicht ein sittenwidriges<br />
Maklerhonorar verlangt und erhalten hätte.<br />
b) Der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung<br />
richtet sich allerdings auch dann in der Regel nur auf das negative<br />
Interesse, wenn zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger<br />
vertragliche Beziehungen bestanden haben (vgl. BGH, Urt. v.<br />
25.11.1997 – VI ZR 402/96, NJW 1998, 983, 984). Der Kl kann<br />
nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stände, wenn das haftungsbegründende<br />
Verhalten entfiele. An dieser Einschränkung<br />
scheitert jedoch der erhobene Anspruch nicht. Die unerlaubte<br />
Handlung des Geschäftsführers der Maklerin bestand allein darin,<br />
anstelle eines üblichen ein unangemessen hohes Honorar gefordert<br />
zu haben. Auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens ist davon<br />
auszugehen, dass ohne diese Pflichtverletzung der Vertrag mit<br />
der C Versicherung bei gleichzeitiger Vereinbarung einer üblichen<br />
Maklerprovision zustande gekommen wäre. Dem steht nicht entgegen,<br />
dass der Makler, der einen Vermittlungsauftrag erhält,<br />
grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zugunsten des Kunden Bemühungen<br />
zu unternehmen, die zum Abschluss des beabsichtigten<br />
Geschäftes führen, also, sofern er keinen Alleinauftrag erhalten<br />
hat, nicht rechtswidrig handelt, wenn er untätig bleibt. Hier hatte B<br />
bereits einen geeigneten Erwerber gefunden, als er mit dem Kl die<br />
gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtige Provision aushandelte. Schon für<br />
den folgenden Tag war die notarielle Beurkundung des Kaufvertrages<br />
vorgesehen. Zwar hat der Zeuge B erklärt, ohne seine Mitwirkung<br />
wäre der Vertrag nicht zustande gekommen. Ob daraus zu<br />
entnehmen ist, der Zeuge hätte den Vertrag auch noch zu diesem<br />
Zeitpunkt verhindert, wenn der Kl sich geweigert hätte, die geforderte<br />
Provision zu zahlen, kann dahingestellt bleiben. Hätte B das<br />
Geschäft bei Ablehnung der geforderten Provision scheitern lassen,<br />
hätte er vorsätzlich seine vertraglichen Pflichten, die Interessen<br />
des Kunden zu wahren, verletzt und darüber hinaus im Hinblick<br />
auf die Motive, die der überhöhten Provisionsforderung zugrunde<br />
lagen, sowie die ihm bekannten finanziellen Verpflichtungen des<br />
Kl gegenüber der Gemeinde H ebenfalls sittenwidrig gehandelt.<br />
c) Der Kl ist ungeachtet dessen geschädigt, dass ihm zu diesem<br />
Zeitpunkt noch kein Kaufpreisanspruch gegen die Versicherungsgesellschaft<br />
zustand. Diese hatte ihre Bereitschaft erklärt, das<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
Grundstück für 7,5 Mio DM zu erwerben. Auch der Verlust einer<br />
hinreichend konkreten tatsächlichen Erwerbsaussicht ist dem<br />
Betroffenen als entgangener Gewinn zu ersetzen; denn eine solche<br />
Position gehört zum rechtlich geschützten Vermögensbereich, sofern<br />
sie nicht durch Verstoß gegen die guten Sitten oder Verletzung<br />
eines gesetzlichen Verbots, das einen solchen Gewinn verhindern<br />
soll, erlangt worden ist (vgl. BGHZ 67, 119, <strong>12</strong>2; 75, 366, 368; 79,<br />
223, 231).<br />
4. Dem Geschäftsführer der Maklerin war es bewusst, dass er<br />
dem Kl durch sein Verhalten einen Teil des Kaufpreises vorenthielt,<br />
der diesem von Rechts wegen gebührte. Der Kl konnte daher<br />
von B jedenfalls zunächst gem. § 826 BGB verlangen, den Teil des<br />
Kaufpreises zu erstatten, der ihm infolge der sittenwidrig überhöhten<br />
Provision entzogen wurde. Ob dieser Anspruch durch die später<br />
mit dem Geschäftsführer der Maklerin getroffene Vereinbarung<br />
erloschen ist, hat für das Rechtsverhältnis des Kl zu den Bekl keine<br />
Bedeutung; denn nach seiner Darstellung diente diese Abrede nicht<br />
dazu, Ansprüche gegen die Bekl einzuschränken (§ 423 BGB; vgl.<br />
Senatsurt. v. 21.3.2000 – IX ZR 39/99, WM 2000, 1003, 1004).<br />
5. Der Kl behauptet, B habe in Absprache mit den Bekl so gehandelt,<br />
weil er sich mit ihnen geeinigt habe, an sie die Hälfte der<br />
mit dem Kl vereinbarten Provision weiterzuleiten. Trifft dies zu,<br />
haben sich die Bekl vorsätzlich an der unerlaubten Handlung des<br />
Geschäftsführers der Maklerin beteiligt und haften dem Kl gem.<br />
§ 830, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner, unabhängig davon,<br />
ob sie als Mittäter oder lediglich als Anstifter bzw. Gehilfen anzusehen<br />
sind.<br />
6. Die Ansprüche des Kl sind nicht gem. § 852 Abs. 1 BGB<br />
verjährt. Da die an die Maklerin gezahlte Vergütung auch deren besondere<br />
Aufwendungen in dieser Sache abgelten sollte und der Kl<br />
sich über deren Inhalt und Ausmaß bei Abschluss der Provisionsvereinbarung<br />
nicht informiert hat, kannte er zunächst nicht die Tatsachen,<br />
die einen Anspruch aus unerlaubter Handlung begründeten.<br />
Das insoweit erforderliche Wissen sowie den Hinweis auf eine<br />
Beteiligung der Bekl erhielt der Kl erst durch ein mit B am<br />
6.11.1995geführtesGespräch.<br />
III. Das Berufungsgericht meint, der Kl könne die Leistung auf<br />
die überhöhte Honorarforderung nicht gem. § 8<strong>12</strong> Abs. 1 S. 1 BGB<br />
teilweise zurückfordern. Der Kl habe nicht schlüssig und nachvollziehbar<br />
vorgetragen, dass die Gebührenvereinbarung gem. § 138<br />
Abs. 1 BGB nichtig sei. Im übrigen seien etwaige Rückforderungsansprüche<br />
in entsprechender Anwendung von § 196 Abs. 1 Nr. 16<br />
BGB verjährt. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht haltbar.<br />
1. Für die revisionsrechtliche Prüfung ist vom Vorbringen des Kl<br />
auszugehen, wonach mit der Honorarvereinbarung über 228.000 DM<br />
allein die Tätigkeit der Bekl im erstinstanzlichen Rechtsstreit gegen<br />
die Ehefrau des ersten Interessenten abgegolten werden sollte.<br />
Trifft die Behauptung des Kl zu, ist die Gebührenvereinbarung wegen<br />
Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.<br />
a) § 3 BRAGO sieht vor, unter welchen Voraussetzungen der<br />
Anwalt eine die gesetzlichen Gebühren übersteigende Vergütung<br />
verlangen und der Mandant die auf eine solche Forderung erbrachten<br />
Leistungen zurückfordern kann. Die Vorschrift schränkt jedoch<br />
den für alle Verträge zu beachtenden Geltungsbereich des § 138<br />
Abs. 1 BGB nicht ein. Eine übermäßig hohe Vergütung kann sittenwidrig<br />
und nichtig sein, wenn weitere Umstände hinzukommen<br />
(Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO 14. Aufl. § 3<br />
Rdnr. 15; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO 8. Aufl. § 3 Rdnr. 1,<br />
33). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen der Leistung<br />
des Anwalts und der Vergütung ein auffälliges Missverhältnis<br />
besteht und der Anwalt die Unterlegenheit des Mandanten bewusst<br />
zu seinem Vorteil ausgenutzt hat(Senatsurt. v. 23.2.1995 –<br />
IX ZR 29/94, NJW 1995, 1425, 1429).<br />
b) Der Streitwert des erstinstanzlichen Prozesses gegen die Ehefrau<br />
des ursprünglichen Vertragspartners betrug 3,75 Mio DM. Die<br />
Bekl waren in dieser Sache lediglich als Korrespondenzanwälte<br />
tätig. Eine volle Gebühr nach § 11, 31 BRAGO betrug damals<br />
14.189 DM. Der Kl geht selbst davon aus, dass vier Gebühren angefallen<br />
sind, drei im Prozess sowie die Korrespondenzgebühr.<br />
Unter Einbeziehung der Auslagen sowie der Mehrwertsteuer gelangt<br />
er zu einem Gesamtanspruch des Prozessbevollmächtigten<br />
und des Korrespondenzanwalts von 65.933,04 DM, dessen Berechnungsgrundlage<br />
die Bekl nicht bestritten haben. Aufgrund einer<br />
Gebührenteilungsabrede hatte der Kl an den Prozessbevollmächtig-
AnwBl <strong>12</strong>/2000 757<br />
Rechtsprechung l<br />
ten lediglich 24.535,65 DM zu entrichten; dieser Betrag ist bezahlt.<br />
Auf dieser rechtlichen Grundlage konnten die Beklagten vom Kl<br />
somit 65.933,04 DM – 24.535,65 DM = 41.397,39 DM verlangen.<br />
Sie haben jedoch ein Honorar vereinbart, das mehr als das Fünffache<br />
dieses Betrages ausmacht.<br />
c) Für die Beurteilung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen<br />
der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht,<br />
sind außer den gesetzlichen Gebühren vor allem Umfang<br />
und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit maßgeblich. Daneben<br />
können auch die Bedeutung der Sache für den Auftraggeber sowie<br />
dessen Einkommens- und Vermögenslage bedeutsam sein (vgl. § <strong>12</strong><br />
Abs. 1 BRAGO). Da die gesetzlichen Gebühren sich nach dem<br />
Gegenstandswert der Angelegenheit richten, kann bei Sachen mit<br />
niedrigen oder mittleren Streitwerten auch ein Honorar, das die gesetzlichen<br />
Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, im Einzelfall<br />
in angemessenem Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen<br />
Tätigkeit sowie ihrer Bedeutung für den Auftraggeber<br />
stehen.<br />
In dem Rechtsstreit, in dem die Bekl den Kl vertreten haben,<br />
entstanden jedoch infolge des Streitwerts hohe gesetzliche Gebühren.<br />
Nichts spricht dafür, dass die Tätigkeit der Bekl durch diese<br />
Gebühren nicht angemessen abgegolten wurde, zumal sie aufgrund<br />
der Gebührenteilungsabrede ohnehin dafür gesorgt hatten, dass sie<br />
2,5 der insgesamt anfallenden 4 vollen Gebühren behalten durften.<br />
Trotz der Bedeutung der Angelegenheit für den Kl stand danach<br />
ein Honorar von 228.000 DM in offensichtlich krassem Missverhältnis<br />
zur Leistung der Bekl.<br />
d) Bei Anwaltsdienstverträgen ist in der Regel ebenfalls davon<br />
auszugehen, dass das auffällige Missverhältnis den Schluss auf<br />
eine verwerfliche Gesinnung desjenigen rechtfertigt, der sich die<br />
überhöhte Vergütung hat zusagen lassen (vgl. dazu oben II 2 mit<br />
den dortigen Nachweisen). Umstände, die hier eine andere Beurteilung<br />
rechtfertigen, sind in dem für die Revision maßgeblichen Tatsachenvortrag<br />
nicht zu erkennen. Danach spricht vielmehr alles<br />
dafür, dass die Bekl die Unerfahrenheit des Kl im anwaltlichen<br />
Gebührenrecht dazu ausgenutzt haben, sich ein anstößig hohes<br />
Honorar zusagen und auszahlen zu lassen.<br />
2. Der Kl kann daher auf der Grundlage seines Tatsachenvortrags<br />
die gezahlte Vergütung, soweit sie über die gesetzlich geschuldete<br />
hinausgeht, als rechtsgrundlose Leistung nach § 8<strong>12</strong><br />
Abs. 1 S. 1 BGB zurückfordern. Dieser Anspruch verjährt gem.<br />
§ 195 BGB erst nach Ablauf von 30 Jahren; die Vorschrift des<br />
§ 196 Abs. 1 Nr. 15 und 16 BGB ist auf ihn nicht anzuwenden.<br />
a) Die Regelung des § 196 Abs. 1 BGB erfasst nicht nur die Erfüllungsansprüche<br />
der dort genannten Personengruppen. Sie erstreckt<br />
sich auch auf deren Ansprüche aus Geschäftsführung ohne<br />
Auftrag sowie ungerechtfertigter Bereicherung, wenn diese wirtschaftlich<br />
an die Stelle des Erfüllungsanspruchs treten und trotz<br />
des unterschiedlichen Rechtsgrundes eine wirtschaftlich enge Verknüpfung<br />
damit besteht (BGHZ 32, 13, 15; 48, <strong>12</strong>5, <strong>12</strong>7; 72, 229,<br />
233f.; BGH, Urt. v. 3.11.1988 – IX ZR 203/87, BGHR BGB § 196<br />
Abs. 1 Nr. 8, 9 Schadensersatzanspruch 1). Der Vorteil der kurzen<br />
Verjährungsfrist soll jedoch nur denen zugute kommen, die von<br />
den dort genannten Personen eine Leistung erhalten haben. Auf die<br />
daraus entstandenen Forderungen beschränkt sich die Wirkung der<br />
kurzen Verjährung. Die Vorschrift erfasst nicht das, gesamte Vertragsverhältnis<br />
(vgl. BGHZ 79, 89, 95). Derjenige, der die Vergütung<br />
für die Leistung wegen Nichtigkeit des Vertrages ohne<br />
Rechtsgrund erhalten hat, ist in seinem Vertrauen, die Leistung<br />
endgültig behalten zu dürfen, nicht schutzwürdig. Für den Rückforderungsanspruch<br />
des anderen Teils muss es daher bei der regelmäßigen<br />
Verjährungsfrist des § 195 BGB verbleiben.<br />
b) Diese Gesetzesauslegung steht nicht in Widerspruch dazu,<br />
dass der Anspruch des Kreditnehmers auf Rückzahlung geleisteter<br />
Zinsen und sonstiger Kreditkosten wegen Nichtigkeit des Darlehensvertrages<br />
gem. § 197 BGB in vier Jahren verjährt (vgl.<br />
BGHZ 98, 174, 179 ff). Dies beruht auf dem besonderen Schutzzweck<br />
der Norm, welcher verhindern soll, dass regelmäßig wiederkehrende<br />
Einzelforderungen sich im Laufe der Zeit zu einer nur<br />
noch schwer nachzuvollziehenden Summe ansammeln, die den<br />
Schuldner besonders belastet (BGHZ 98, 174, 184). Dies gilt auch<br />
für den Bereicherungsanspruch des Kreditnehmers; denn dieser<br />
wird ebenfalls nicht in einer Summe fällig, sondern erhöht sich mit<br />
jeder einzelnen Ratenzahlung (BGHZ 98, 174, 181). In der besonderen<br />
Struktur der Ansprüche, die § 197 BGB erfasst, liegt der<br />
wesentliche Unterschied zu den von § 196 BGB geregelten Sachverhalten.<br />
Diese Norm stellt entscheidend auf die berufliche und<br />
soziale Rollenverteilung ab (Canaris ZIP 1986, 273, 280; BGHZ<br />
98, 174, 184). Daher dürfen die von der Vorschrift erfassten Personengruppen<br />
daraus, dass sie ihre Forderungen nach relativ kurzer<br />
Zeit nicht mehr gegen den Vertragspartner durchsetzen können,<br />
keine verjährungsrechtlichen Vorteile ziehen, wenn sie selbst eine<br />
empfangene Leistung wegen Unwirksamkeit des Geschäfts herausgeben<br />
müssen.<br />
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Ansprüche<br />
des Mandanten auf Rückzahlung der den Rechtsanwälten geleisteten<br />
Vorschüsse ebenfalls in zwei Jahren verjähren (§ 196 Abs. 1<br />
Nr. 16 BGB). Der Gesetzgeber hat diese Regelung auf gem. § 17<br />
BRAGO erbrachte Leistungen beschränkt. Eine darüber hinausgehende<br />
Wirkung hätte er dadurch erreichen können, dass er Rückzahlungsansprüche<br />
der Mandanten ganz allgemein in § 196 Abs. 1<br />
Nr. 15 BGB einbezogen hätte. Da er indes davon abgesehen und<br />
ausdrücklich nur die Vorschusszahlungen der kurzen Verjährungsfrist<br />
unterworfen hat, ist die Nr. 16 BGB entsprechend ihrem Wortlaut<br />
eng auszulegen.<br />
IV. Das angefochtene Urteil ist daher insgesamt aufzuheben.<br />
Die Sache bedarf weiterer tatrichterlicher Aufklärung.<br />
1. Soweit es um Ansprüche wegen einer Provisionszahlung an<br />
die Bekl geht, kann die Klage auch aus einem rechtlichen Gesichtspunkt<br />
begründet sein, der vom Tatrichter offenbar nicht erkannt<br />
worden ist.<br />
a) Auf den Anwaltsvertrag findet gem. § 675 BGB auch die<br />
Bestimmung des § 667 BGB Anwendung. Der Anwalt hat dem<br />
Mandanten daher alles, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt,<br />
herauszugeben (BGHZ 109, 260, 264). Aus der Geschäftsbesorgung<br />
erlangt ist jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines<br />
inneren Zusammenhangs mit dem geführten Geschäft erhalten hat<br />
(BGH, Urt. v. 17.10.1991 – III ZR 352/89, NJW-RR 1992, 560,<br />
561). Dass die Zuwendung eines Dritten nach dessen Willen nicht<br />
für den Auftraggeber bestimmt war, steht dem Herausgabeanspruch<br />
nicht entgegen. § 667 BGB erfasst auch solche Zahlungen, weil sie<br />
die Gefahr begründen, dass der Dienstverpflichtete dadurch zum<br />
Nachteil seines Auftraggebers beeinflusst wird (BGHZ 39, 1, 2 f.;<br />
BGH, Urt. v. 1.4.1987 – IVa ZR 211/85, WM 1987, 781, 782; v.<br />
18.<strong>12</strong>.1990 – XI ZR 176/89, NJW 1991, <strong>12</strong>24). Deshalb muss<br />
etwa ein Steuerberater, der es übernommen hat, seinem Mandanten<br />
auch Vermögensanlageempfehlungen zu erteilen, eine ohne Kenntnis<br />
des Auftraggebers empfangene Provision an diesen auskehren<br />
(BGH, Urt. v. 1.4.1987, aaO; v. 18.<strong>12</strong>.1990, aaO).<br />
b) Möglicherweise besteht ein entsprechender innerer Zusammenhang<br />
zwischen dem Beratungsauftrag, den der Kl den Bekl<br />
erteilt hat, und der ihnen zugeflossenen Provision. Ein solcher<br />
Zusammenhang ist nicht schon deshalb auszuschließen, weil der<br />
Kl die Bekl nicht beauftragt hat, ihn auch bei dem Vertrag mit der<br />
vom Makler gefundenen neuen Käuferin zu beraten. Die Anspruchsvoraussetzungen<br />
können sich hier aus dem Verhalten ergeben,<br />
das die Bekl im Rahmen der Beratung des Kl gegenüber dem<br />
Erstinteressenten entfaltet haben. Sowohl die Aussage des Zeugen<br />
B als auch das Schreiben des Bekl zu 2 an die Rechtsanwälte Dr.<br />
Z und Partner vom 30.4.1995 – auf beides hat sich der Kl bezogen<br />
– können so zu verstehen sein, dass die Bekl die Empfehlung, das<br />
Grundstück nicht an den ursprünglichen Interessenten zu verkaufen,<br />
sondern vom Vorvertrag zurückzutreten, mit dem Hinweis auf<br />
die GfG oder deren Geschäftsführer verbunden und bereits in diesem<br />
Zusammenhang den Kontakt zwischen dem Kl und der Maklerin<br />
hergestellt haben. Diente die Verweisung des Kl an das Maklerunternehmen<br />
auch dazu, ihn davon zu überzeugen, dass es<br />
sachgerecht war, dem Vorschlag der Bekl zu folgen und sich von<br />
dem damaligen Vertragspartner zu trennen, ist ein enger innerer<br />
Zusammenhang zwischen dem Anwaltsdienstvertrag und der dem<br />
rechtlichen Berater von dem Dritten gezahlten Provision gegeben,<br />
der den Kl berechtigt, diese Zahlung gem. § 675, 667 BGB von<br />
den Bekl herauszuverlangen.
758<br />
l<br />
c) Der Anspruch aus § 667 BGB gegen den Anwalt unterliegt<br />
nicht der kurzen Verjährung nach § 51b BRAO, sondern verjährt<br />
gem. § 195 BGB erst nach 30 Jahren (BGH, Beschl. v. 16.1.1997 –<br />
IX ZR 340/95, BGHR BRAO § 51 a. F. Geltungsbereich 2; v.<br />
13.4.2000 – IX ZR 171/98).<br />
2. Die Bekl haben Provisionsvereinbarungen mit B bzw. der<br />
von ihm beherrschten GmbH bestritten und geltend gemacht, mit<br />
den ihnen zugeflossenen Zahlungen seien lediglich Vergütungsansprüche<br />
aus erteilten Mandaten ausgeglichen worden. Die Beweislast<br />
obliegt insoweit dem Kl. Das gilt für einen Schadensersatzanspruch<br />
aus § 826 BGB in gleicher Weise wie für einen<br />
Herausgabeanspruch nach § 667 BGB. Da es sich jedoch um Tatsachen<br />
handelt, die allein den Wahrnehmungsbereich der Bekl<br />
betreffen, müssen diese Inhalt und Umfang der angeblich ihnen<br />
erteilten Aufträge und die insoweit erbrachten Leistungen im einzelnen<br />
darlegen. Das bisherige Vorbringen ist in dieser Hinsicht zu<br />
allgemein gehalten und daher nicht geeignet, solche Vergütungsansprüche<br />
darzutun.<br />
3. Die Bekl haben weiter eingewandt, die Honorarvereinbarung<br />
mit dem Kl habe Leistungen aus anderen ihnen erteilten Aufträgen<br />
mitabgegolten.<br />
a) Entgegen der Meinung der Revision ist dieser Einwand nicht<br />
infolge eines Geständnisses nach §§ 288, 290 ZPO prozessual<br />
unbeachtlich.<br />
Der Kl hat in der Klageschrift vorgetragen, die Honorarvereinbarung<br />
habe sich nur auf die Tätigkeit der Bekl in erster Instanz<br />
des Rechtsstreits gegen die Ehefrau des ursprünglichen Kaufinteressenten<br />
bezogen, dabei aber zugleich erwähnt, der Bekl zu 2 habe<br />
schon außergerichtlich geltend gemacht, das Honorar betreffe auch<br />
andere Mandate. Die Bekl sind zwar auf diesen Punkt erstinstanzlich<br />
nicht eingegangen, sondern haben sich lediglich damit verteidigt,<br />
der Kl habe die Kostennote freiwillig und ohne Vorbehalt bezahlt.<br />
Im Hinblick darauf war zunächst die Behauptung des Kl<br />
unstreitig gestellt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Ein Geständnis ist in diesem<br />
Verhalten der Bekl jedoch nicht zu sehen. Das bloße Nichtbestreiten<br />
einer Tatsache ist grundsätzlich nicht bindend. Ihm kann nur<br />
dann ausnahmsweise Geständniswirkung zuerkannt werden, wenn<br />
es in Verbindung mit anderen Äußerungen hinreichend deutlich erkennen<br />
lässt, dass die Partei eine Tatsache außer Streit stellen will<br />
(Senatsurt. v. 7.7.1994 – IX ZR 115/93, NJW 1994, 3109). Das<br />
schriftsätzliche Vorbringen, auf das sich die Revision in diesem Zusammenhang<br />
beruft, bringt weder aus sich heraus noch im Zusammenhang<br />
mit den aus den Niederschriften ersichtlichen Erklärungen<br />
einen solchen Willen genügend deutlich zum Ausdruck.<br />
b) Auch in diesem Punkt wird das Berufungsgericht zu beachten<br />
haben, dass der Kl die tatsächlichen Voraussetzungen für eine<br />
sittenwidrig überhöhte Honorarvereinbarung zu beweisen hat, der<br />
bisherige Vortrag der Bekl indes für eine schlüssige Darlegung<br />
weiterer auf diese Weise abgegoltener Honoraransprüche bei weitem<br />
nicht ausreicht.<br />
WPO § 47 S. 2<br />
Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Leitung von<br />
Zweigniederlassungen eines vereidigten Buchprüfers hängt vor<br />
allem vom Geschäftsumfang ab.<br />
OVG NRW, Urt. v. 28.1.2000 – 4 A 3311/97<br />
Aus den Gründen: Der ablehnende Bescheid der Bekl erweist<br />
sich als rechtswidrig und verletzt den Kl in seinen Rechten. Die<br />
Bekl ist zwar nicht verpflichtet, die vom Kl beantragte unbefristete<br />
Ausnahmegenehmigung zu erteilen, weil die Sache nicht spruchreif<br />
ist. Sie ist aber verpflichtet, den Kl unter Beachtung der Rechtsauffassung<br />
des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO).<br />
Maßgeblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist § 47<br />
WPO in der seit dem 1.1.1995 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 36<br />
und Art. 4 des Gesetzes vom 15.7.1994, BGBl. I S. 1569). Diese<br />
Vorschrift, die gem. § 130 Abs. 1 S. 1 WPO auf vereidigte Buchprüfer<br />
entsprechende Anwendung findet, hat folgenden Wortlaut:<br />
„Zweigniederlassungen müssen jeweils von wenigstens einem<br />
Wirtschaftsprüfer geleitet werden, der seine berufliche Niederlassung<br />
am Ort der Zweigniederlassung hat. Für Zweigniederlassun-<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
gen von in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern kann die Wirtschaftsprüferkammer<br />
Ausnahmen zulassen.“<br />
Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung<br />
i. S. d. Art. <strong>12</strong> Abs. 1 S. 2 GG in Form eines repressiven<br />
Gebots mit Befreiungsvorbehalt.<br />
Die Voraussetzungen des § 47 S. 2 WPO für eine Befreiung<br />
vom Leitererfordernis des § 47 S. 1 WPO liegen vor. Der Kl unterhält<br />
neben seiner Hauptniederlassung in B eine Zweigniederlassung<br />
in A. Weil hier auch Prüfaufgaben i. S. d. § <strong>12</strong>9 Abs. 1 WPO<br />
durchgeführt werden, ist dies zwischen den Beteiligten nicht streitig.<br />
Der Kl ist des Weiteren auch in eigener Praxis tätig (vgl. dazu<br />
§ 3 WPO, der auf vereidigte Buchprüfer ebenfalls entsprechend anwendbar<br />
ist).<br />
Die Zulassung einer Ausnahme steht deshalb gem. § 47 S. 2<br />
WPO im Ermessen der beklagten Wirtschaftsprüferkammer. Diese<br />
hat gem. § 40 VwVfG ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der<br />
Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens<br />
einzuhalten. Ob das geschehen ist, haben die Gerichte gem.<br />
§ 114 S. 1 VwGO nachzuprüfen. Diese Prüfung ergibt, dass die<br />
Bekl von ihrem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung<br />
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.<br />
Der Zweck der in § 47 S. 2 WPO enthaltenen Ermächtigung<br />
geht dahin, Ausnahmen vor allem dann zuzulassen, wenn der Geschäftsumfang<br />
es erlaubt, dass ein Wirtschaftsprüfer neben seiner<br />
Niederlassung eine oder mehrere Zweigniederlassungen selbst leitet.<br />
Dies erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm,<br />
der Gesetzessystematik und der Zielrichtung des repressiven Gebots<br />
nach § 47 S. 1 WPO.<br />
Nach der bis zum 31.<strong>12</strong>.1994 geltenden Fassung des § 47 Abs. 1<br />
WPO (Bekanntmachung der Neufassung vom 5.11.1975, BGBl. I<br />
S. 2803 – WPO a. F.) durften Wirtschaftsprüfer neben ihrer Niederlassung<br />
nur eine weitere berufliche Niederlassung begründen (vgl.<br />
auch § 3 Abs. 2 WPO a. F.), wenn auch am Ort der weiteren Niederlassung<br />
ein dort ansässiger Wirtschaftsprüfer deren fachliche<br />
Leitung übernahm. Die Wirtschaftsprüferkammer konnte hiervon<br />
Ausnahmen zulassen. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften unterlagen<br />
bezüglich der Zahl ihrer Zweigniederlassungen keinen Beschränkungen.<br />
Ihre Zweigniederlassungen mussten nach § 47 Abs. 2<br />
WPO a. F. von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet werden.<br />
Dieser musste seinen Wohnsitz am Ort der Zweigniederlassung<br />
haben, wobei die Wirtschaftsprüferkammer ihm zur Vermeidung<br />
von Härten gestatten konnte, an einem anderen Ort zu<br />
wohnen. Im Interesse einer Deregulierung wurde mit der Neufassung<br />
des § 47 WPO die Begrenzung der Zahl der Zweigstellen bei<br />
Wirtschaftsprüfern aufgegeben. Sowohl bei Wirtschaftsprüfern als<br />
auch bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wird nur noch verlangt,<br />
dass der Leiter seine berufliche Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung<br />
hat. Ausnahmen vom Leitererfordernis sieht die<br />
Neufassung allerdings nur bei in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern,<br />
nicht aber bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
vor. Insgesamt verfolgt das Dritte Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung<br />
die Zielsetzung, die Leistungsfähigkeit der<br />
wirtschaftsprüfenden Berufe durch eine Auflockerung berufsrechtlicher<br />
Regelungen zu stärken, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />
vom 16.9.1993, BT-Drucks. <strong>12</strong>/5685 S. 1 (A).<br />
Dementsprechend heißt es in der Begründung der Bundesregierung<br />
zur Neufassung des § 47 WPO, Gesetzentwurf vom<br />
16.9.1993. aaO, S. 28: „Nicht verzichtet werden kann grundsätzlich<br />
darauf, daß jede Zweigniederlassung von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer<br />
geleitet werden muss, der seine berufliche Niederlassung<br />
am Ort der Zweigniederlassung hat. Wie bisher soll die Wirtschaftsprüferkammer<br />
aber für Zweigniederlassungen von in eigener<br />
Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern Ausnahmen zulassen können.<br />
Derartige Ausnahmen werden vor allem dann in Betracht kommen,<br />
wenn ein in Einzelpraxis tätiger Wirtschaftsprüfer oder eine aus<br />
wenigen Wirtschaftsprüfern bestehende Sozietät Zweigniederlassungen<br />
im Inland und ggf. auch im Ausland begründen will und<br />
der Geschäftsumfang es erlaubt, daß ein Wirtschaftsprüfer mehrere<br />
Zweigniederlassungen leitet. Diese Möglichkeit soll im Interesse<br />
der Wettbewerbsfähigkeit der Inhaber von Einzelpraxen und der<br />
Sozietäten erhalten bleiben.“<br />
Es steht außer Frage, dass nach dem Willen des Gesetzgebers<br />
die Zulassung von Ausnahmen maßgeblich vom konkreten<br />
Geschäftsumfang abhängen soll. Dem Gesichtspunkt der Wett-
AnwBl <strong>12</strong>/2000 759<br />
Rechtsprechung l<br />
bewerbsfähigkeit kommt demgegenüber – entgegen der Auffassung<br />
des VG – keine Bedeutung zu. Die entsprechende Passage in der<br />
Gesetzesbegründung will lediglich erläutern, weshalb auf der Tatbestandsseite<br />
der Norm bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften generell<br />
auf eine einzelfallbezogene Prüfung des Geschäftsumfangs<br />
verzichtet wird; sie besagt aber nicht, dass im Rahmen der Ermessensbetätigung,<br />
also auf der Rechtsfolgenseite, bei Einzelpraxen<br />
eine individuelle Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgen soll.<br />
Bestätigt wird dies durch die Systematik des Gesetzes und die<br />
Zielrichtung des gesetzlichen Gebots. Das in § 47 S. 1 WPO enthaltene<br />
Gebot, eine Zweigniederlassung nur mit einem qualifizierten<br />
Leiter zu unterhalten, ist Ausfluss der in § 3 Abs. 3 WPO enthaltenen<br />
Regelung. Danach dürfen Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
– entsprechendes gilt gem. § 130<br />
Abs. 1 S. 1 WPO für vereidigte Buchprüfer – Zweigniederlassungen<br />
„nach den Vorschriften dieses Gesetzes begründen“. Damit ist<br />
nichts anderes gemeint, als dass die Ausübung des Berufs von einer<br />
Zweigniederlassung aus grundsätzlich den gleichen Regeln unterliegt<br />
wie die berufliche Betätigung im Rahmen der Hauptniederlassung.<br />
Hier wie dort haben Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigte Buchprüfer<br />
ihren Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen, eigenverantwortlich<br />
und unparteiisch auszuüben (§ 43 Abs. 1 WPO).<br />
Insofern dient das Gebot in § 47 S. 1 WPO dazu, eine gewissenhafte<br />
und eigenverantwortliche Tätigkeit auch bei Begründung<br />
einer Zweigniederlassung zu gewährleisten. Dieser Schutzzweck<br />
steht folgerichtig bei der Zulassung von Ausnahmen gem. § 47 S.<br />
2 WPO im Vordergrund. Ist im Einzelfall in der Zweigniederlassung<br />
wegen des geringen Geschäftsumfangs eine gewissenhafte<br />
und eigenverantwortliche Tätigkeit auch ohne einen dort beruflich<br />
niedergelassenen qualifizierten Leiter sichergestellt, so besteht kein<br />
Grund, die Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Die Ausnahmeregelung<br />
des § 47 S. 2 WPO soll mithin die schematisierende<br />
Strenge des Gesetzes mildern und Härten und Schwierigkeiten begegnen,<br />
die sich ergeben können, wenn auf Grund der besonderen<br />
Umstände des jeweiligen Einzelfalles der Anwendungsbereich des<br />
Gesetzes und seine materielle Zielsetzung nicht miteinander übereinstimmen<br />
(Zum Sinn von Ausnahmegenehmigungen vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 18.<strong>12</strong>.1987 – 7 C 57.85 –, BVerwGE 78, 357, 360,<br />
und C 14.7.1972 – 4 C 69.70 –, BVerwGE 40, 268, 271).<br />
Insoweit unterscheidet sich diese Regelung von § 34 Abs. 2<br />
Steuerberatungsgesetz, der eine Ausnahme vom Leitererfordernis<br />
nicht (mehr) vorsieht.<br />
Den so umrissenen Zweck der Ermächtigung hat die Bekl bei<br />
ihrer Ermessensbetätigung außer Acht gelassen. Sie ist von vornherein<br />
davon ausgegangen, dass der in § 47 S. 2 WPO geregelte<br />
Ausnahmefall nur vorübergehender Natur sein könne und eine Verlängerung<br />
der Ausnahmegenehmigung über den 31.<strong>12</strong>.1996 hinaus<br />
deshalb nicht in Betracht komme. Der Frage, ob der Geschäftsumfang<br />
es erlaubt, dass der Kl die Zweigniederlassung in A selbst leitet,<br />
hat sie keine Bedeutung beigemessen und ist deshalb insoweit<br />
auch nicht in eine einzelfallbezogene Prüfung eingetreten. Dafür<br />
wäre es erforderlich gewesen, die Zahl der Geschäftsvorfälle und<br />
den Aufwand, der mit ihrer Abwicklung für den Kl verbunden ist,<br />
zu ermitteln. Geschäftsvorfälle sind in diesem Zusammenhang alle<br />
Tätigkeiten, durch die der Kl in der Haupt- und Zweigniederlassung,<br />
sei es als Rechtsbeistand, Steuerberater oder vereidigter<br />
Buchprüfer beruflich in Anspruch genommen wird. Denn seine gesamte<br />
berufliche Inanspruchnahme ist entscheidend für die Beurteilung<br />
der Frage, ob er die Zweigniederlassung in A gewissenhaft<br />
und eigenverantwortlich leiten kann. Weil dies nicht geschehen ist,<br />
hat die Bekl den Anspruch des Kl auf eine fehlerfreie Ermessensausübung<br />
verletzt.<br />
Das Ermessen der Bekl ist jedoch nicht in der Weise reduziert,<br />
dass sie gehalten wäre, dem Kl die begehrte unbefristete Erlaubnis<br />
zu erteilen. Ob der Geschäftsumfang eine Leitung der Zweigstelle<br />
durch den Kl zulässt, hat die Bekl bisher nicht aufgeklärt. Außerdem<br />
bedarf es, wenn diese Klärung erfolgt ist, einer Prognose hinsichtlich<br />
des zukünftigen Geschäftsumfangs. Den damit verbundenen<br />
Unwägbarkeiten kann die Bekl ggf. durch eine befristete<br />
Ausnahmegenehmigung, die verlängert werden kann, Rechnung<br />
tragen. In Betracht kommt ggf. aber auch die Erteilung einer unbefristeten<br />
Genehmigung verbunden mit einer Auflage, durch die<br />
in zeitlichen Abständen eine Überprüfung des Geschäftsumfangs<br />
sichergestellt ist.<br />
Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission der Richter<br />
des OVG NRW<br />
Gebührenrecht<br />
BRAGO § 27<br />
Für fotokopierte Anlagen zu den Schriftsätzen stehen dem<br />
Rechtsanwalt grundsätzlich besondere Schreibgebühren zu und<br />
diese Leistungen sind nicht durch die allgemeine Prozessgebühr<br />
abgegolten. (LS der Redaktion)<br />
LG Wuppertal, Kostenfestsetzungsbeschl. vom 25.5.2000 – 2 O 32/00<br />
Aus den Gründen: Die Festsetzung basiert auf dem Antrag der<br />
Bekl vom 30.3.2000. Die darin aufgeführten Kosten sind in voller<br />
Höhe entstanden und erstattungsfähig. Dies gilt insbesondere auch<br />
für die von der Kl bestrittenen Fotokopiekosten. Der unter dem<br />
18.4.2000 geäußerten Meinung, die Anlagen zu den Schriftsätzen<br />
seien mit der Prozessgebühr abgegolten, schließt sich das Gericht<br />
nicht an. Es ist vielmehr der Auffassung, dass dem Rechtsanwalt,<br />
für die Ablichtungen, die als Anlagen der bei Gericht eingereichten<br />
Schriftsätze und der für den Gegner bestimmten Ausfertigungen<br />
beigefügt sind, grundsätzlich besondere Schreibgebühren zustehen<br />
und diese Leistungen nicht durch die allgemeine Prozessgebühr abgegolten<br />
werden (vgl. auch Beschl. des OLG München v.<br />
1.7.1982 – 11 W 1537/82). Laut Brandenburgischem OLG (Beschl.<br />
v. 3.8.95 – 8 W 63/95) ist ferner ein „kleinlicher Maßstab“ bei der<br />
Beurteilung der Notwendigkeit der Kopiekosten „fehl am Platz“.<br />
Durch den Schriftsatz der Bekl vom 26.4.2000 ergibt sich die nähere<br />
Erläuterung über Art und Umfang der gefertigten Kopien. Die<br />
Notwendigkeit ihrer Fertigung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung<br />
wird ebenfalls bejaht.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Siegfried Bratke, Düsseldorf<br />
ZPO §§ 485, 494a II, BRAGO § 32 I, § 48<br />
Hat sich für den Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren<br />
ein Rechtsanwalt beteiligt, ohne einen Gegenantrag zu stellen<br />
oder einen Termin wahrzunehmen, entsteht für den Anwalt,<br />
wenn er in sonstiger Weise tätig geworden ist, die halbe Prozessgebühr<br />
des § 32 Abs. 1 BRAGO.<br />
Werden danach auch noch Anträge auf Fristsetzung nach<br />
§ 494a Abs. 1 bzw. auf Kostenausspruch nach § 494a Abs. 2 S. 1<br />
ZPO gestellt, entsteht eine zusätzliche 10/10-Prozessgebühr aus<br />
dem Kosteninteresse des erstattungsberechtigten Antragsgegners.<br />
OLG München, Beschl. v. 3.4.2000 – 11 W 1076/00<br />
Aus den Gründen: Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht<br />
eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu<br />
2) hat eingeschränkt Erfolg.<br />
1 Die anwaltlichen Vertreter der Antragsgegnerin zu 2) haben<br />
sich am 6.1.1997 bestellt und Akteneinsicht beantragt. Nachdem<br />
das Sachverständigengutachten vom 14.9.1998 eingegangen war,<br />
wurde es den Prozessbevollmächtigten zugestellt. Danach haben<br />
diese mit Schriftsatz vom 23.9.1998 nochmals Akteneinsicht beantragt.<br />
Weiterhin hat die Antragsgegnerin zu 2) unbestritten vorgetragen,<br />
dass das schriftliche Sachverständigengutachten von den<br />
Prozessbevollmächtigen überprüft und mit der Mandantin besprochen<br />
worden ist. Die für den Anfall der Prozessgebühr nach § 31<br />
Abs. 1 Nr. 1 BRAGO erforderliche auf den Streitfall gerichtete anwaltliche<br />
Tätigkeit kann nach Überzeugung des Senats damit nicht<br />
zweifelhaft sein. Allerdings gilt über § 48 BRAGO nicht nur § 31<br />
BRAGO, sondern auch § 32 BRAGO. Insofern hat das LG im<br />
Beschl. v. 24.9.1999 die Kommentarstelle (bei Geroldt/Schmidt –<br />
von Eicken, 14. Aufl., Rdnr. 5 zu § 48 BRAGO) missverstanden.<br />
Gemeint ist dort im Hinblick auf § 32 Abs. 1 BRAGO, dass die<br />
volle Prozessgebühr für den Anwalt des Gegners im selbständigen<br />
Beweisverfahren nur dann entsteht, wenn er einen Gegenantrag<br />
einreicht oder einen Termin im Beweisverfahren wahrgenommen<br />
hat. Endet der Auftrag des Antragsgegnervertreters, bevor er einen<br />
Antrag eingereicht oder einen Termin wahrgenommen hat, so<br />
entsteht für ihn die Prozessgebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO zur<br />
Hälfte (vgl. Geroldt/Schmidt aaO am Ende; siehe ferner<br />
Hansens, BRAGO, 8. Aufl., Rdnr. 2 und 7 zu § 48). Die Auffassung,<br />
dass unter den gegebenen Voraussetzungen auch die halbe
760<br />
l<br />
Prozessgebühr des § 32 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 1.062,50 DM<br />
nicht anfallen würde, hätte zur Folge, dass ein Antragsgegner, der<br />
sich im Beweisverfahren von einem Rechtsanwalt vertreten lässt,<br />
trotz einer ergangenen Kostengrundentscheidung entgegen § 91<br />
Abs. 2 S. 1 ZPO keine Kostenerstattung verlangen könnte.<br />
2. Entgegen der Ansicht des LG hat auch der Antrag der anwaltlichen<br />
Vertreter der Antragsgegnerin vom 16.4.1999 auf Fristsetzung<br />
zur Erhebung der Hauptsacheklage gebührenrechtliche Bedeutung.<br />
Zwar trifft es zu, dass das Beweisverfahren zu diesem<br />
Zeitpunkt längst abgeschlossen war. Darüber hinaus zielte der Antrag<br />
auf Fristsetzung ausweislich des Akteninhalts im Ergebnis nur<br />
auf die Ermöglichung und Erwirkung einer Kostenentscheidung<br />
nach § 494a Abs. 2 ZPO. Für diesen Fall hat der Senat entschieden<br />
(zur Veröffentlichung bestimmter Beschl. v. 28.3.2000 – 11 W<br />
1086/00 –), dass für die Stellung des Antrags allein keine erstattungsfähigen<br />
Gebühren anfallen, wenn im abgeschlossenen selbständigen<br />
Beweisverfahren noch keine Gebührenansprüche entstanden<br />
waren, so dass die anschließende anwaltliche Tätigkeit<br />
offensichtlich überflüssig war und einer Kostenfestsetzung damit<br />
der Rechtsgedanke von Treu und Glauben entgegensteht. Diese<br />
Überlegung gilt in der vorliegenden Sache nicht, weil hier – wie<br />
oben ausgeführt – bereits Gebührenansprüche durch die Tätigkeit<br />
im Beweisverfahren selbst ausgelöst worden waren. Durch die<br />
Anträge auf Fristsetzung und auf Erlass einer Kostenentscheidung<br />
erwuchsen den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 2)<br />
vielmehr soweit es sich um Sachanträge i. S. d. § 32 Abs. 1 ZPO<br />
handelte – jeweils eine volle (aufeinander zu verrechnende) 10/10<br />
Prozessgebühr (aus dem Kostenwert s. u.).<br />
Nach Meinung des Senats stellt der Antrag auf Fristsetzung zu<br />
Erhebung der Hauptsacheklage nach § 494a Abs. 1 ZPO genauso<br />
wie der entsprechende Antrag auf Fristsetzung nach § 926 Abs. 1,<br />
§ 942 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu Hansens aaO, Rdnr. 10 zu § 32) einen<br />
Sachantrag i. S. d. § 32 Abs. 1 BRAGO dar. Sachanträge im Sinne<br />
dieser Vorschrift sind Anträge, die sich auf Inhalt, Gegenstand und<br />
Wirkung der erbetenen Entscheidung beziehen (vgl. Senat, OLGR<br />
1994, <strong>12</strong>0 = JurBüro 1994, 603; Hansens aaO, Rdnr. 8 zu § 32).<br />
Der Antrag auf Fristsetzung ist allerdings nicht dazu tauglich,<br />
eine endgültige Klärung des Streitverhältnisses zwischen den Parteien<br />
zu erzwingen. Der Antragsteller wird durch die Fristsetzung<br />
nämlich – abgesehen davon, dass er ggf. eine Kostenentscheidung<br />
gem. § 494a Abs. 2 ZPO gegen sich hinnehmen muss – nicht zur<br />
Klageerhebung genötigt. Er kann diese auch nach Fristablauf jederzeit,<br />
ohne präkludiert zu sein, nachholen. Andererseits geht es<br />
nicht um den bloßen Verfahrensgang wie bei einem Aussetzungsantrag<br />
oder einer Bitte um Fristverlängerung, sondern darum, durch<br />
die Ermöglichung einer Kostenentscheidung gegen den Antragsteller<br />
den kostenmäßigen Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens<br />
zu erreichen (vgl. den erwähnten , Senatsbeschl. v. 28.3.2000).<br />
Damit bestimmt sich die durch die Antragstellung (Antrag auf<br />
Fristsetzung bzw. auf Kostenausspruch) erwachsene Prozessgebühr<br />
aus dem Kosteninteresse desjenigen Antragsgegners, dessen Kosten<br />
der Antragsteller nach § 494a Abs. 2 S. 1 ZPO zu tragen hat.<br />
Dies sind hier die 5/10 Prozessgebühr aus dem Gesamtwert des<br />
Verfahrens in Höhe von 1.062,50 DM, wie oben dargelegt, zuzüglich<br />
einer 10/10 Beweisgebühr von 2.<strong>12</strong>5 DM wegen der Entgegennahme<br />
und Überprüfung des Gutachtens. Auf diese von ihr ursprünglich<br />
beantragte und ihr abgesprochene Gebühr hat die<br />
Antragsgegnerin zu 2) ihre Beschwerde nicht gestützt. Da die Gebühr<br />
aber tatsächlich angefallen ist und zum Zeitpunkt des Entstehens<br />
der 10/10 Gebühr aus dem Kostenwert noch nicht abgesprochen<br />
war, muss sie bei der Ermittlung des Kostenwerts<br />
berücksichtigt werden, so dass die zusätzliche 10/10 Gebühr wegen<br />
der Antragstellung aus einem Wert von 3.187,50 DM zu entnehmen<br />
ist. Der Erstattungsanspruch der Antragsgegnerin zu 2) erhöht<br />
sich deswegen um 265 DM auf 1.327,50 DM.<br />
Mitgeteilt von RiOLG Dr. Rönnebeck, München<br />
BRAGO §§ 97, 99<br />
Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben, sondern<br />
an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97 BRAGO<br />
mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung in vollem<br />
Umfang anzurechnen ist. (LS der Redaktion)<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 18.11.99 – 1 Ws 717/99<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung<br />
Aus den Gründen: Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />
Die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO tritt nicht neben, sondern<br />
an die Stelle der Gebühren nach den §§ 83 ff., 97 BRAGO<br />
mit der Folge, dass eine bereits erfolgte Gebührenzahlung (hier:<br />
850 DM) in vollem Umfang anzurechnen ist. Dies gilt auch dann,<br />
wenn – wie vorliegend – nur für einen Teil des Revisionsverfahrens<br />
eine Pauschvergütung bewilligt wird. Ein entsprechender Ausspruch<br />
im Bewilligungsbeschluss ist nicht notwendig. Er hätte lediglich<br />
deklaratorischen Charakter und diente der Vermeidung von<br />
Missverständnissen.<br />
Die im angefochtenen Beschluss vorgenommene Teilanrechnung<br />
käme nur in Betracht, wenn § 86 BRAGO zwei Gebühren,<br />
nämlich eine für das schriftliche Revisionsverfahren und eine weitere<br />
für die Revisionshauptverhandlung vorsähe. Dies ist jedoch<br />
nicht der Fall.<br />
Anknüpfungstatbestand für die Gebühr nach § 86 Abs. 1<br />
BRAGO ist die Teilnahme des Verteidigers an der Revisionshauptver<br />
handlung, die mit dem Vortrag des Berichterstatters beginnt<br />
(§ 351 StPO). Ist der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt in sei ner<br />
Eigenschaft als Verteidiger im Sitzungssaal anwesend, hat er die<br />
Gebühr verdient. Dass er selbst etwas tut, ist nicht notwendig. Für<br />
die Entstehung des Gebührenanspruches ist es auch unerheblich,<br />
ob der Rechtsanwalt in dem vorangegangenen schriftlichen Teil des<br />
Revisionsverfahrens tätig geworden ist. Eine solche Tätigkeit hat<br />
bei einem Wahlverteidiger nur Bedeutung für die Bestimmung der<br />
Rahmengebühr nach § <strong>12</strong> BRAGO, während sie bei einem bestellten<br />
Verteidiger wegen der Berechnungsmethode nach § 97 Abs. 1<br />
BRAGO völlig unberücksichtigt bleibt.<br />
War der Verteidiger nur außerhalb der Revisionshauptverhandlung<br />
tätig oder findet eine solche nicht statt, wird die Gebühr<br />
nach § 86 Abs. 1 BRAGO um die Hälfte ermäßigt (§ 86 Abs. 3<br />
BRAGO).<br />
Aus dem Vorstehenden folgt, dass der gewählte oder bestellte<br />
Verteidiger im Revisionsverfahren immer nur eine Gebühr erhält,<br />
deren Höhe davon abhängt, ob er an der Revisionshauptverhandlung<br />
teilgenommen hat oder nicht. An die Stelle dieser Gebühr tritt<br />
die bewilligte Pauschvergütung (die sich im Einzelfall wegen der<br />
Zuständigkeitsregelung des § 99 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BRAGO und<br />
deren Auslegung durch den BGH [siehe BGHSt 23, 324] aus zwei<br />
Beträgen zusammensetzen kann). Demzufolge kann der Beschwerdegegner<br />
nur, wie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzt,<br />
die Differenz zwischen der Gebühr nach den §§ 86 Abs. 1,<br />
97 BRAGO und der bewilligten Pauschvergütung beanspruchen.<br />
Dieses nach Auffassung des Beschwerdegegners unbillige<br />
Ergebnis ist in der Struktur der §§ 86 Abs. 1, 97 Abs. 1 BRAGO<br />
begründet. Art und Umfang der Tätigkeit außerhalb der Revisionshauptverhandlung<br />
haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die<br />
Höhe der Vergütung des nach § 350 Abs. 3 StPo bestellten Verteidigers.<br />
Nur wenn das OLG im Rahmen seiner Zuständigkeit die<br />
Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 BRAGO zu prüfen hat, kann dieser<br />
Tätigkeit Bedeutung zukommen.<br />
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht<br />
erstattet (§ 98 Abs. 4 BRAGO).<br />
Mitgeteilt von VRiLG a. D. Rudolf Hilt, Mainz
AnwBl <strong>12</strong>/2000 761<br />
7 NACHSCHLAG<br />
In dieser, in lockerer Folge erscheinenden Spalte (zuletzt: AnwBl 1999, 239) veröffentlichen wir die Leitsätze<br />
einiger Entscheidungen, die zur Veröffentlichung in den beiden Vorjahren vorgesehen waren, zu deren Abdruck es<br />
jedoch vornehmlich aus Platzgründen nicht gekommen ist. Es handelt sich auch hier um beachtliches und<br />
hilfreiches Material. Die Leitsätze sind systematisch nach den Gruppen der Rechtsprechungsspalten im AnwBl<br />
sortiert. Der Volltext der Druckfahne kann unter der angegebenen Nummer des Leitsatzes mit dem Hinweis<br />
„Rechtsprechung Nachschlag“ bei der Redaktion gegen Zahlung von 10,– DM je Entscheidung angefordert werden.<br />
Die Redaktionsanschrift lautet:<br />
Deutscher Anwaltverein<br />
Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Littenstraße 11<br />
10179 Berlin<br />
Fax 030 – 726152-190<br />
Berufsrecht<br />
BGB § 675<br />
Zur haftungsausfüllenden Kausalität, wenn ein Rechtsanwalt, der<br />
einen Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess vertritt,<br />
seinen Mandanten nicht über den Kleinbetriebseinwand i. S. d.<br />
§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG belehrt.<br />
BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97<br />
R 943<br />
BRAO § 51b; BGB § 675<br />
1. Zum Beginn der Verjährung i. S. d. § 51b BRAO bei Versäumung<br />
der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
gem. § 72a ArbGG.<br />
2. Der Rechtsanwalt, der seinen Auftraggeber pflichtwidrig nicht<br />
auf einen möglichen Regressanspruch und dessen Verjährung<br />
hingewiesen hat, muss beweisen, dass der Mandant nicht belehrungsbedürftig<br />
war.<br />
3. Zur haftungsausfüllenden Kausalität für einen Regressanspruch<br />
gegen einen Rechtsanwalt, der die Frist zur Begründung<br />
der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72a ArbGG versäumt<br />
hat.<br />
BGH, Urt. v. 9.<strong>12</strong>.1999 – IX ZR <strong>12</strong>9/99<br />
R 895<br />
BGB § 675, §§ 280, 286 analog<br />
1. Der Rechtsanwalt hat den Mandanten im Gebrauchsmusterverletzungsprozeß<br />
und im Löschungsverfahren darüber aufzuklären,<br />
ob es tunlich ist, eine umfassende Neuheitsrecherche durchzuführen.<br />
2. Der Bezifferung des Schadensersatzanspruchs wegen unnötig<br />
entstandener Kosten steht nicht entgegen, daß Anspruch und<br />
Aufrechnungsanspruch aufgrund einer noch im Streit befindlichen<br />
Streitwertfestsetzung festgestellt sind. (LS der Red.)<br />
LG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.1998 – 4 O 15/98<br />
R 707<br />
RAVG Baden-Württemberg<br />
Ein in der Schweiz ansässiger und berufstätiger Buchprüfer, der<br />
in Baden-Württemberg als Rechtsanwalt zugelassen ist, hat nicht<br />
deshalb einen Anspruch auf Befreiung von der Mitgliedschaft im<br />
Versorgungswerk für Rechtsanwälte, weil er in der Schweiz<br />
pflichtversichert ist.<br />
VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.11.1999 – 9 S 2176/98<br />
R 935<br />
Prozeßkostenhilfe<br />
l<br />
GG Art. 3 Abs. 1; GKG § 58 Abs. 2 S. 2; ZPO §§ 114 ff.<br />
1. Die vom Gesetzgeber eingeräumte Prozeßkostenfreiheit muß<br />
der unbemittelten Partei, ungeachtet ihrer prozessualen Stellung<br />
als Kl oder Bekl zugute kommen. § 58 Abs. 2 S. 2 GKG ist entsprechend<br />
verfassungskonform auszulegen.<br />
2. Diese verfassungskonforme Auslegung bedingt eine Rückerstattungspflicht<br />
der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter<br />
Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem durch gerichtliche<br />
Entscheidung obsiegenden Kl, dessen Prozeßgegner PKH bewilligt<br />
worden ist. (LS der Red.)<br />
BVerfG, Erster Senat, 3. Kammer, Beschl. v. 23.6.99 – 1 BvR 984/89<br />
R 824<br />
ZPO §§ 114, 115, 119<br />
Wird eine ursprünglich zulässige und erfolgversprechende Klage<br />
nach Erfüllung zurückgenommen, so ist dies für die beantragte<br />
Prozesskostenhilfe unschädlich. Sie ist nachträglich jedenfalls<br />
dann zu bewilligen, wenn die Bewilligungsreife vor der Klagerücknahme<br />
gegeben war (im Anschluss an LAG Düsseldorf vom<br />
31.8.1989 JurBüro 1990, 98).<br />
LAG Köln, Beschl. v. 13.<strong>12</strong>.1999 – 6 Ta 304/99<br />
R 893<br />
BGB § 1922, § 1967 Abs. 1; ZPO § <strong>12</strong>2 Abs. 1 Nr. 1 a); GKG<br />
§54Nr.3<br />
War dem Erblasser ratenfreie Prozeßkostenhilfe bewilligt worden,<br />
und nehmen nach seinem Tod die Erben den Rechtsstreit<br />
nicht auf, so können sie – unabhängig von ihrer Vermögenssituation<br />
– nicht von der Landeskasse wegen der durch die Prozeßführung<br />
des Erblassers verursachten Kosten in Anspruch genommen<br />
werden.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1999 – 10 WF 1/99<br />
R 858<br />
BGB § 398; ZPO § 114; BRAGO § 6 Abs. 1, § <strong>12</strong>3, § <strong>12</strong>8<br />
Abs. 3, Abs. 4<br />
1. Ein Sozietätskollege des im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordneten<br />
Rechtsanwaltes ist im Festsetzungsverfahren des § <strong>12</strong>8<br />
BRAGO erinnerungs- und beschwerdebefugt, wenn dieser zuvor<br />
anläßlich seines Ausscheidens aus der Sozietät seinen Vergütungsanspruch<br />
gegen die Landeskasse an den Kollegen abgetreten hat.<br />
2. Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes, den<br />
neben der PKH-Partei in derselben Angelegenheit auch einen nicht<br />
unterstützungsbedürftigen Streitgenossen vertritt, ist nicht auf den<br />
Mehrvertretungszuschlag des § 6 Abs. 1 BRAGO beschränkt, sondern<br />
umfaßt die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei<br />
gem. § <strong>12</strong>3 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren (entgegen<br />
BGH NJW 1993, 1715 und Anschluß an OLG München NJW-RR<br />
1997, 191 und OLG Stuttgart JurBüro 1997, 200).<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.7.1997 – 10 W 86/97<br />
R 496
762<br />
l<br />
ArbGG, § 11a; ZPO §§ 114 ff.<br />
In dem Verfahren vor dem ArbG enthält ein Antrag auf Beiordnung<br />
eines Rechtsanwalts im Rahmen der Bewilligung von<br />
Prozeßkostenhilfe als „wesensgleiches minus“ einen Antrag auf<br />
Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 11a ArbGG.<br />
Scheitert der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe an<br />
den Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO, hat das ArbG auch<br />
ohne ausdrücklichen Antrag oder Klarstellung der Partei von<br />
Amts wegen zu prüfen, ob ihr ein Rechtsanwalt gem. § 11a<br />
ArbGG beigeordnet werden kann.<br />
LAG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.6.1997 – 2 Ta 42/97<br />
R 462<br />
Prozeßrecht<br />
BGB § 132<br />
1. Hat sich der Rechtsstreit zwischen Klageeinreichung und Klagezustellung<br />
erledigt, so kann der Kl Feststellung der entsprechenden<br />
Kostentragungspflicht des Bekl beantragen.<br />
2. Im Falle des Übergabeeinschreibens führt die Benachrichtigung<br />
des Empfängers über die Niederlegung des Schriftstücks bei der<br />
zuständigen Postanstalt nur dann zu dessen Zugang, wenn das<br />
Schriftstück von dem benachrichtigten Empfänger abgeholt wird.<br />
3. Der Zugang eines Schriftstückes trotz unterlassener Abholung<br />
kann nur dann fingiert werden, wenn sich aus dem Bestehen von<br />
besonderen Rechtsbeziehungen zwischen Absender und Empfänger<br />
ergibt, dass der Empfänger Schriftstücke, über deren Niederlegung<br />
er unterrichtet wird, abholen muss. Dazu reicht allein das<br />
Bestehen eines Mietvertrages nicht aus.<br />
LG Berlin, Urt. v. 30.11.1999 – 64 S 299/99<br />
R 933<br />
ZPO § 42<br />
Ein sachlich nicht gerechtfertigtes, ungewöhnlich aggressives<br />
Verhalten eines Richters gegenüber dem Prozessbevollmächtigten<br />
der Partei unter Verkürzung der Parteirechte kann einen Ablehnungsgrund<br />
darstellen.<br />
Zur Auswirkung der berechtigten und erfolgreichen Ablehnung eines<br />
Richters auf ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch der ablehnenden<br />
Partei in einem gleichzeitig anhängigen anderen Verfahren.<br />
Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 15.9.1999 – 1 W 14/99<br />
R 942<br />
EGGVG § 23; ZPO § 182<br />
1. Für die Kraftloserklärung eines im Rechtshilfeverkehr mit<br />
dem Ausland seitens einer deutschen Behörde ausgestellten Zustellungszeugnisses<br />
ist der Rechtsweg gem. § 23 EGGVG gegeben.<br />
2. Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung gem. § 182 ZPO setzt voraus,<br />
daß die Mitteilung über die Niederlegung in der Wohnung<br />
erfolgt ist, die der Zustellungsempfänger auch tatsächlich bewohnt.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.3.1997 – 3 V a 1/97<br />
R 340a<br />
ZPO § 887<br />
Die Verpflichtung zur Abrechnung über Betriebskosten ist eine<br />
vertretbare Handlung nach § 887 ZPO und somit nicht nach<br />
§ 888 ZPO durch Verhängung von Zwangsgeld zu vollstrecken.<br />
LG Berlin, Beschl. v. 23.11.1999 – 64 T 94/99<br />
R 932<br />
GVG § 185 Abs. 1; GKG § 8<br />
Es stellt keine unrichtige Sachbehandlung i. S. d. § 8 GKG dar,<br />
wenn das Gericht, das im Unwissen um die hinreichenden deutschen<br />
Sprachkenntnisse einer ausländischen Partei ist, für diese<br />
einen Dolmetscher zur mündlichen Verhandlung bestellt, sofern<br />
der Akteninhalt objektiv den Verdacht sprachlicher Schwierigkeiten<br />
der Partei nahe legt.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.5.1998 – 10 WF 4/98<br />
R 602<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Rechtsprechung Nachschlag<br />
GKG § <strong>12</strong>; ZPO §§ 3, 42, 47, 299<br />
1. Es besteht kein Anspruch auf Übersendung von Gerichtsakten<br />
zur Einsichtnahme in eine Rechtsanwaltskanzlei.<br />
2. Aus einem objektiven Verstoß gegen die Wartepflicht nach<br />
§ 47 ZPO ergibt sich noch nicht ohne weiteres ein Ablehnungsgrund<br />
im Sinne von § 42 ZPO.<br />
3. Zur Bemessung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren<br />
in Richterablehnungssachen.<br />
Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 13.7.1999 – 1 W 9/99<br />
R 944<br />
ZPO § 42; WEG § 43 Abs. 1; FGG § <strong>12</strong>; BGB § 222<br />
Im Wohnungseigentumsverfahren kann ein Richter grundsätzlich<br />
nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,<br />
wenn er bei der Erörterung von Schadensersatzansprüchen gegen<br />
den Verwalter auf eine mögliche Verjährung hinweist.<br />
BayObLG, Beschl. v. 24.2.1999 – 2Z BR 18/99<br />
R 691<br />
FGG § 22<br />
Muß aufgrund des „Journals“ der Faxstelle des Gerichts davon<br />
ausgegangen werden, daß das Empfängerfaxgerät zum fraglichen<br />
Zeitpunkt technisch in Ordnung und nicht durch den Empfang<br />
anderweitiger Nachrichten blockiert war, und ergibt sich deshalb<br />
neben der Möglichkeit einer vom Sendegerät nicht erkannten<br />
Übermittlungsstörung die nicht auszuschließende Möglichkeit<br />
einer Manipulation, so reicht die Vorlage des in Ablichtung überreichten<br />
Sendeberichts mit dem „O.K.-Vermerk“ zur Glaubhaftmachung<br />
der Absendung als Voraussetzung des unverschuldet<br />
nicht erfolgten Zugangs einer authentischen Beschwerdeschrift<br />
allein nicht aus.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.5.1999 – 3 Wx 53/99<br />
R 756<br />
ArbGG § 9 Abs. 5<br />
Wenn das Landesarbeitsgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist<br />
umzieht beginnt die Berufungsfrist (§ 66 I 1 ArbGG) nur, wenn<br />
in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils gem. § 9<br />
V 3 ArbGG die jeweilige Anschrift des LAG vor und nach dem<br />
Umzugstermin mitgeteilt wird.<br />
LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 8.<strong>12</strong>.1999 – 3 Sa 262/99<br />
R18<br />
ArbGG § 66 Abs. 1; ZPO § 519 Abs. 2; ZPO § 85 Abs. 2<br />
Ein Rechtsanwalt, der mit dem Diktat einer 28-seitigen Berufungsbegründung<br />
am letzten Tag der Begründungsfrist gegen<br />
17.30 Uhr beginnt in der Absicht, sie dem Berufungsgericht noch<br />
am gleichen Tag zuzufaxen, handelt nicht schuldlos i. S. v. § 233<br />
ZPO, wenn er erst gegen 23.45 Uhr mit dem Versuch der Übermittlung<br />
beginnt, damit aber erst nach 0.00 Uhr erfolgreich ist,<br />
weil das technisch intakte Empfangsgerät des Gerichts durch andere<br />
Übersender besetzt ist; es entschuldigt ihn nicht, wenn der<br />
späte Übersendungsversuch dadurch bedingt war, dass seine<br />
Schreibkraft infolge technischer Pannen erst gegen 23.00 Uhr<br />
mit der Durchführung der Schreibkorrekturen beginnen konnte<br />
und diese sich infolge weiterer Störungen bis 23.45 Uhr hinzogen,<br />
wenn der unkorrigierte Rohtext noch vor 23.00 Uhr fertiggestellt<br />
worden ist, als dessen erfolgreiche Fax-Übermittlung noch<br />
zu erwarten war.<br />
LAG Köln, Urt. v. 19.11.1999 – 11 Sa 706/99<br />
R 892<br />
VwGO § 40; StVollZG §§ 28, 30, 31, 33, 109, 110<br />
Für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Auskunft der<br />
Strafvollzugsbehörde über Maßnahmen zur Beschränkung des<br />
Postverkehrs von Gefangenen steht einem Dritten (hier: dem Absender<br />
von Postsendungen für den Gefangenen) der Verwaltungsrechtsweg<br />
offen, nicht dagegen der Rechtsweg zu den ordentlichen<br />
Gerichten (Strafvollstreckungskammern).<br />
VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 16.1.1997 – 10 S 1967/96<br />
R 432
AnwBl <strong>12</strong>/2000 763<br />
Rechtsprechung Nachschlag l<br />
VwGO § 67 Abs. 1 Satz 1<br />
1. Es spricht einiges dafür, daß der Vertretungszwang des § 67<br />
Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht für die Einlegung zulassungsfreier<br />
Beschwerden gilt.<br />
2. Auch wenn eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht zulässigerweise<br />
ohne anwaltliche Vertretung eingelegt werden kann,<br />
muß eine Rechtsmittelbelehrung nicht fehlerhaft sein, die für das<br />
weitere Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf einen<br />
dort bestehenden Vertretungszwang hinweist.<br />
OVG NW, Beschl. v. 24.6.1998 – 10 E 413/98<br />
R 7<strong>12</strong><br />
VwZG § 5 Abs. 2<br />
Als Nachweis der Zustellung reicht ein von einer Büroangestellten<br />
des Rechtsanwalts unterschriebenes Empfangsbekenntnis<br />
nicht.<br />
Hamburgisches OVG, Beschl. v. 24.9.1998 – OVG Bs VI <strong>12</strong>2/96<br />
R 810<br />
StGB §§ 185, 193<br />
Der Vorwurf der (objektiven) Willkür durch einen Verteidiger ist<br />
keine Beleidigung, wenn er im Rahmen einer sachgerechten Verteidigung<br />
erhoben wird.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1998 – 5 Ss 47/98 – 25/98 II<br />
R 565<br />
StPO § 140 Abs. 2<br />
Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 9.11.1999 – 2 Ws 331/99<br />
R 906<br />
StPO § 140 Abs. 2<br />
Zur Beurteilung der Frage, ob dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger<br />
beizuordnen ist, ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände<br />
erforderlich.<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 26.3.1997 – 2 Ss 308/97<br />
R 437<br />
StPO § 140 Abs. 2<br />
Die Schwere der Tat erfordert jedenfalls dann grundsätzlich die<br />
Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der Angekl nicht nur<br />
eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung,<br />
sondern darüber hinaus den Widerruf der Aussetzung<br />
der Vollstreckung mehrerer (Rest-)Freiheitsstrafen zu erwarten<br />
hat.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.6.1998 – 1 Ws 351/98<br />
R 647<br />
STPO §§ 141, 142, 143, 304<br />
1. Der Beschuldigte ist durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers<br />
nicht beschwert. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der<br />
Beschuldigte bereits vorher einen Wahlverteidiger beauftragt<br />
hatte und ein besonderer Anlass für die Bestellung eines Pflichtverteidigers<br />
neben dem Wahlverteidiger nicht besteht.<br />
2. Die ermessensfehlerfreie Bestellung eines Pflichtverteidigers<br />
ist nicht deshalb zurückzunehmen, weil nachträglich ein Wahlverteidiger<br />
beauftragt wird, wenn dies nur geschieht, um die Entbindung<br />
des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu<br />
erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle Pflichtverteidiger<br />
wird.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. vom 22.3.2000 – 1 Ws 219/00<br />
R 988<br />
StPO § 141, JGG § 57<br />
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger wirkt im Verfahren über<br />
die Aussetzung der Jugendstrafe gem. § 57 JGG fort.<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.3.1998 – 3 Ws 53/98<br />
R 564<br />
StPO §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5<br />
Einem Angekl, der krankheitsbedingt erhebliche Verständigungsschwierigkeiten<br />
hat und nahezu taubstumm ist, ist nach § 140<br />
Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger auch dann beizuordnen, wenn<br />
eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zu erwarten ist.<br />
Dies gilt umso mehr, wenn im Falle der Verurteilung eine Strafaussetzung<br />
zur Bewährung nicht in Betracht kommt und zusätzlich<br />
der Widerruf der Strafaussetzung in zwei weiteren Verfahren<br />
droht.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.9.1997 – 5 Ss 276/97 – 81/97 I<br />
R 480<br />
OWiG §§ 46, 60; StPO § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 338 Nr. 5<br />
Auch in OWiG-Verfahren ist bei Vorliegen der Voraussetzungen<br />
des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (mehrmonatiger Freiheitsentzug in<br />
anderer Sache) stets die Beiordnung eines Pflichtverteidigers<br />
erforderlich.<br />
OLG Köln, Beschl. v. 24.4.1998 – Ss 519/97 B – 366 B<br />
R 871<br />
impressum<br />
Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179<br />
Berlin (Mitte), Tel. 030/ 726152-0, Fax 030/726152-191, e-<br />
Mail: dav@anwaltverein.de. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher<br />
(v. i. S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers.<br />
Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft<br />
GmbH, Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 0228/<br />
91911-0, Fax 0228/ 9191<strong>12</strong>3; Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr.<br />
17532458, BLZ 38050000. Anzeigen: MD Medien Dienste<br />
GmbH, Ingrid Oestreich (v. i. S. d. P.), Baumweg 19, 60316 Frankfurt<br />
a. M., Tel. 069/943331-0, Fax 069/ 4990386. Technische<br />
Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />
Tel. 0201/86<strong>12</strong>208, Fax 0201/ 86<strong>12</strong>241. Erscheinungsweise:<br />
Monatlich zum Monatsanfang. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM<br />
(inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 18,– DM (inkl.<br />
MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis<br />
im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über jede<br />
Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat<br />
vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften:<br />
Für die Schriftleitung bestimmte Zuschriften sind nur an<br />
die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur<br />
bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-,<br />
Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch<br />
für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />
Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />
Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich<br />
der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />
w
<strong>764</strong><br />
3 e<br />
Da kommt Freude auf<br />
AnwBl <strong>12</strong>/2000<br />
Philipp Heinischs JURISTENKALENDER 2001 „JUSTIZTHEATER“ (66,– DM): Erleben Sie ergreifende Szenen, werden Sie Zeuge u. a. einer eindrucksvollen<br />
Regiearbeit, von Theaterblitz und -donner, von Kämpfen auf offener Bühne, einem verführerischen Schleiertanz oder von zu Herzen gehenden Gauklerszenen.<br />
In üppigem Großformat gehört der Kalender für die lebensfrohe Anwältin und den lebensfrohen Anwalt zum unverzichtbaren Inventar in Kanzlei und Büro.<br />
Ferner bestens geeignet für friedliche Weihnachtstage: der soeben erschienene 3. Band der Comicreihe: Wenzel und Sohn, Kanzlei für heikle Fälle in „Zäune,<br />
Zoff und falsche Zeugen“. (24,80 DM).<br />
Bestellungen bei RenoService GmbH, Mommsenstraße 34, 10629 Berlin (Fax: 030/32775599)<br />
Allen Lesern und Freunden des <strong>Anwaltsblatt</strong>es<br />
frohe Weihnachten, und ein gutes Jahr 2001!
XXVI<br />
4<br />
9 Nach einer Meldunug von ICANN,<br />
der Verwaltungsorganisation für internationale<br />
Internet-Domains vom<br />
3.10. ist die Vorbereitungsphase für<br />
die geplanten neuen Domainnamen<br />
nun beendet. Die zugelassenen Internet-Registries<br />
(registrars) werden ab<br />
Dezember mit der Umsetzung beginnen<br />
können. Die neuen Top-level-domains<br />
(TLDs) werden Interessenten<br />
voraussichtlich ab Anfang 2001 zur<br />
Verfügung stehen. Man kann davon<br />
ausgehen, daß dann eine starke Nachfrage<br />
einsetzen wird. Viele einschlägige<br />
Begriffe bei den bisherigen<br />
Domainnamen sind nämlich bereits<br />
vergeben und viele Interessenten<br />
mußten sich mit Namensabwandlungen<br />
bzw. weniger guten Begriffen begnügen.<br />
Zugespitzt hatte sich die<br />
Situation durch das sogenannte domain-grabbing,<br />
bei dem sich einige<br />
Nachfrager ganze Bündel von Domains<br />
„unter den Nagel gerissen“<br />
haben. So wird z. B. von kanadischen<br />
und US-amerikanischen Firmen wie<br />
Namezero berichtet, die sich sogar<br />
auf Vor- und Nachname lautende Domains<br />
deutscher Sportgrößen registrieren<br />
ließen und damit nun auf<br />
Ihre Homepage linken. Mit deutschem<br />
Namensrecht läßt sich derartiges<br />
leider nicht verhindern. Wie<br />
schon gemeldet wurde, können private<br />
Namens- bzw. Domainsstreitigkeiten<br />
allerdings seit <strong>12</strong>/99 auch per Beschwerde<br />
im Schlichtungsweg bei<br />
ICANN beigelegt werden. Die zugelassenen<br />
registrars werden dazu auf<br />
die „Uniform Domain Name Dispute<br />
Resolution Policy“ verpflichtet.<br />
Die neuen TLDs werden u. a. mit folgenden<br />
Endungen zur Verfügung stehen:<br />
.web, .inc, .kids, .shop, .store, .firm,<br />
.law, .biz, .nom, news, .site, .xxx, .tel,<br />
.sex.<br />
Weiter Informationen unter:<br />
http://www.newdomainsolutions.com<br />
(HIT)<br />
9 Eine Dokumentationslücke schließt<br />
das juristische Portal der Web-Jur@-<br />
AG, Hamburg, mit dem Angebot<br />
„Der Pranger“. Wer hat sich nicht<br />
Internet –Aktuell<br />
schon über Behörden, Gerichte oder<br />
Gesetze geärgert. Im Pranger, der als<br />
Newsforum umgesetzt wurde, kann<br />
jeder seine Ärgernisse zum besten<br />
geben und Ungerechtigkeiten, Unzulänglichkeiten<br />
und Willkür „anprangern“.<br />
Bei web-jur finden sich noch<br />
weitere nützliche Angebote rund um<br />
den juristischen Bereich, wie z. B.<br />
„Verträge und Tipps“. Wer eine komplette<br />
Anwaltshomepage veröffentlichen<br />
will kann dies dort zu günstigen<br />
Konditionen in Angriff nehmen<br />
oder er bucht kostenlos eine einfache<br />
Web-Visitenkarte (Frei-Paket). Das<br />
Frei-Paket enthält Name, Adresse,<br />
Telefon- und Fax-Nummer, eMail-<br />
Adresse. Das Standard-Paket, das<br />
auch die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten<br />
und Interssengebieten<br />
beinhaltet ist bis zum 30.6.2001<br />
ebenfalls kostenlos (danach laut Angabe<br />
DM 29,–).<br />
http://www.web-jur.de (HIT)<br />
9 Keine Neuigkeit, aber eine gute<br />
Zusammenstellung ist die Liste der<br />
Anwaltssuchdienste des Juristischen<br />
Internetprojekts Saarbrücken. Die<br />
Pioniere der juristischen Internet-<br />
Information haben zwischenzeitlich<br />
auch ihre Website etwas umgestaltet.<br />
Die Anwaltssuche führt etwa 20<br />
Links auf Verzeichnisse. Dem werbungsbewußten<br />
Anwalt wird eine gelegentliche<br />
Kontrolle seiner Präsenz<br />
in diesen geläufigen Verzeichnissen<br />
zu empfehlen sein. Unter diesen Verzeichnisdiensten<br />
gibt es allerdings<br />
auch sehr traurige Erscheinungen.<br />
Das ist z. B. der Fall, wenn deutschlandweit<br />
nur einige dutzend Anwälte<br />
aufgeführt sind. Überwiegend sind<br />
die Datenbanken aber gut bestückt<br />
und mit angemessenen Suchvorrichtungen<br />
versehen. Vollständig ist die<br />
Saarbrückener Liste indessen nicht.<br />
Fast jedes der regelmäßig neu auftauchenden<br />
juristischen Portale bietet<br />
eine Anwaltsdatenbank. Eventuell<br />
fehlt es noch am Angebot eines übergeordneten<br />
Eintragungsdienstes in all<br />
diese Verzeichnissse!<br />
http://www.jura.uni-sb.de/internet/<br />
anwaltssuche.html (HIT)<br />
9 Neu gestaltet erscheint die juristische<br />
Website des C.H. Beck-Verlages,<br />
München. Hervorzuheben<br />
ist die Einrichtung eines Online-<br />
Shops mit Suchmaschine. Die online<br />
bestellte Ware wird dann direkt<br />
zugesandt. Bezahlung erfolgt<br />
auf herkömmlichem Weg per<br />
Rechnung oder Bankeinzug. Äußerst<br />
nützlich ist der schon seit längerem<br />
online abrufbare aktuelle<br />
und projektierte Stand der Loseblattsammlungen.<br />
http://rsw.beck.de/ (HIT)<br />
9 Auch beim alteingesessenen Produzenten<br />
und Vermarkter juristischer<br />
Software, der soft-use GmbH<br />
& Co KG in Altenkirchen hat sich<br />
webseitig etwas getan. Die gesamte<br />
Homepage wurde einer Revision<br />
unterzogen und spiegelt nun<br />
auch den aktuellen Stand der Software<br />
wider. Die weitgehend noch<br />
in 16-Bit Delphi programmierte<br />
Software wurde in Tests der NJW-<br />
COR 11/99 im Preis-Leistungsverhältnis<br />
zum Sieger gekürt (u. a.<br />
die Programme Akten & Organisation,<br />
Forderung). Aktuelle Informationen<br />
verschickt das mittlerweile<br />
zur Haufe-Mediengruppe gehörende<br />
Unternehmen auf Wunsch<br />
auch als JUS-Letter per eMail. So<br />
berichten beispielsweise die softnews<br />
der KW 41 über ein vorliegendes<br />
Update zum Programm<br />
„Anwaltsrechner“. In KW 42 wurde<br />
auf das eröffnete Message-<br />
Board hingewiesen, das dem Gedankenaustausch<br />
mit dem Team<br />
von soft-use dienen soll.<br />
http://www.soft-use.de (HIT)<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />
Timm Hitzfeld, Augsburg (HIT)<br />
und Rechtsanwalt Udo Henke, DAV,<br />
Bonn (HEN).