Das Neue RVG - Fluch oder Segen? - Anwaltsblatt
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AnwBl 5/2004 277<br />
INTERVIEW<br />
<strong>Das</strong> <strong>RVG</strong> bringt deutliche<br />
Erhöhungen für die Anwaltschaft<br />
Interview mit DAV-Vizepräsident Rembert Brieske über<br />
den Wegfall der Beweisgebühr, die neuen Anrechnungsvorschriften<br />
und die Zukunft des <strong>RVG</strong><br />
<strong>Fluch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Segen</strong> ¼ das Ende der<br />
BRAGO ist besiegelt. Zum 1. Juli<br />
2004wird das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
(<strong>RVG</strong>) in Kraft treten.<br />
Der Bundesrat hat dem Gesetz am<br />
12.3.2004zugestimmt. <strong>Das</strong> <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
hat das <strong>RVG</strong> im März-Heft<br />
(AnwBl 2004, 129) ausführlich vorgestellt.<br />
Mit dem <strong>RVG</strong> bleibt wenig<br />
wie es war. Mit einer Ausnahme: Die<br />
Gebührentabelle. Ist das <strong>RVG</strong> trotzdem<br />
ein gutes Geschäft für die Anwaltschaft?<br />
<strong>Das</strong> <strong>Anwaltsblatt</strong> fragte DAV-<br />
Vizepräsident Rembert Brieske. Der<br />
Rechtsanwalt und Notar aus Bremen<br />
hat für den DAV die Verhandlungen<br />
mit dem Bundesjustizministerium und<br />
den im Bundestag vertretenen Fraktionen<br />
geführt.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: <strong>Das</strong> Kostenm<strong>oder</strong>nisierungsgesetz<br />
und damit das <strong>RVG</strong><br />
steht demnächst im Bundesgesetzblatt.<br />
Ist das eine gute Nachricht für die Anwaltschaft?<br />
Brieske: <strong>Das</strong> ist eine gute Nachricht.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Warum?<br />
Brieske: Es gibt eine deutliche Erhöhung<br />
von Anwaltsgebühren in fast<br />
jedem Rechtsgebiet ¼ und das ist immer<br />
eine gute Nachricht. Es gibt einen<br />
Weg zu einer vernünftigeren Gebührenordnung.<br />
Auch das ist eine gute<br />
Nachricht.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: In der Anwaltschaft<br />
hat das Gesetzgebungsverfahren keine<br />
bloße Freude ausgelöst. Es gab viel<br />
Kritik. So ist eine lineare Erhöhung<br />
gefordert worden. Tatsächlich kommt<br />
jetzt eine Strukturreform. Unter anderem<br />
wird die Beweisgebühr abgeschafft.<br />
Trotzdem ein Erfolg?<br />
Brieske: Es wird nicht die Beweisgebühr<br />
abgeschafft, sondern es wird<br />
ein Gebührensystem durch ein neues<br />
Gebührensystem ersetzt. Dieses neue<br />
System ist der Anwaltschaft seit gut<br />
10 Jahren bekannt. Der Vorschlag eines<br />
Gebührensystems ohne Beweisge-<br />
bühr ist uralt. Den DAV-Vorschlag für<br />
ein neues Gebührensystem finden Sie<br />
seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre<br />
im <strong>Anwaltsblatt</strong>.<br />
<strong>Das</strong> Grundproblem ist: Welches<br />
Vergütungssystemen kann ich jemandem<br />
verkaufen, der nicht geborener<br />
Anwalt ist, sondern geborener Marktteilnehmer<br />
auf der anderen Seite. Die<br />
zweite Frage lautet: Wie kann ich ein<br />
Gebührensystem aufbauen, bei dem es<br />
nicht in jedem zweiten <strong>oder</strong> dritten<br />
Kostenfestsetzungsverfahren zu Streit<br />
um Grundsatzfragen kommt. Die Beweisgebühr<br />
war eine dieser Gebühren,<br />
bei der es unendlich viel unproduktive<br />
Rechtssprechung gab. Es gibt keinen<br />
Beruf, der am Ende seiner Tätigkeit einen<br />
solchen Abrechnungsstress wie die<br />
Anwälte hat.<br />
Schauen Sie auf die Anzahl der<br />
Rechtsstreitigkeiten im Kostenfestsetzungsverfahren.<br />
Wenn Sie sich ansehen,<br />
wie viele Streitfragen der Bundesgerichtshof<br />
seit dem 1.1.2002<br />
entscheiden musste, wenn sie wissen,<br />
dass Landgerichte und Oberlandesgerichte<br />
trotz Entscheidungen des<br />
BGH meinen, sie müssten noch einmal<br />
gelehrte Ausführungen machen: Was<br />
ist das für ein Vergütungssystem, an<br />
dem sich Dogmatiker delektieren? Es<br />
geht ganz schlicht um die Bezahlung<br />
einer vorangegangenen Tätigkeit. Ein<br />
solches System muss einfach sein. <strong>Das</strong><br />
ist der Fall beim <strong>RVG</strong>. Die Kommentatoren<br />
des <strong>RVG</strong> stellen fest, dass ein<br />
Problem nach dem anderen, das sie<br />
aus der BRAGO kannten, mit dem<br />
<strong>RVG</strong> gelöst worden ist.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Dafür kommen neue<br />
Probleme. Wir haben Rahmengebühren.<br />
Wann wird sich eingespielt haben,<br />
welche Rahmensätze angemessen sind,<br />
was eine umfangreiche, was eine<br />
schwierige Angelegenheit ist?<br />
Brieske: Wenn ich sehe, wie viele<br />
Bücher die Verlage aus Anlass des<br />
<strong>RVG</strong> auf den Markt bringen, kann das<br />
Jahre dauern. Streit wird es bei<br />
Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses<br />
MN<br />
M DAV-Vizepräsident Rembert Brieske hat<br />
für den DAV die Verhandlungen zum <strong>RVG</strong><br />
geführt.<br />
geben. <strong>Das</strong> sind die Geschäftsgebühren.<br />
Da stellt sich die Fragen, was ist<br />
umfangreich <strong>oder</strong> schwierig. Hier fangen<br />
die Kommentatoren schon an, die<br />
Probleme zu suchen statt erst einmal<br />
die Regelung mit ihren Chancen darzustellen.<br />
<strong>Das</strong> Ziel der Vereinfachung<br />
werden wir nicht in dem Maße erreichen,<br />
wie wir es uns gewünscht hatten.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Noch einmal die Beweisgebühr:<br />
Was raten Sie denn jetzt<br />
dem Baurechtler, der immer viele Beweisgebühren<br />
abgerechnet hat? Was<br />
soll der Familienrechtler machen, der<br />
regelmäßig mit der Beweisgebühr gerechnet<br />
hat?<br />
Brieske: Ganz einfach. Ich will es<br />
am Baurechtler erläutern. Unser Baurechtler<br />
ist zunächst vorgerichtlich tätig.<br />
Zukünftig hat er einen Gebührenrahmen<br />
von 0,5 bis 2,5. <strong>Das</strong> gilt auch,<br />
wenn er keine Besprechung führt. Bausachen<br />
sind regelmäßig umfangreich<br />
<strong>oder</strong> schwierig. Die Geschäftsgebühr,<br />
die bisher bei ihm angefallen ist, ist<br />
auf die Prozessgebühr eines nachfolgenden<br />
Prozesses immer angerechnet<br />
worden. <strong>Das</strong> ändert sich. Die wird jetzt<br />
nur noch zur Hälfte, maximal zu 0,75,<br />
angerechnet. Der Rest ist anrechnungsfrei,<br />
auch wenn er keine Besprechung<br />
geführt hat.<br />
Wenn noch kein Prozess anhängig<br />
ist, läuft regelmäßig ein selbstständiges<br />
Beweisverfahren. Im selbstständigen<br />
Beweisverfahren bekommt unser<br />
Baurechtler eine 1,3-Verfahrensgebühr<br />
sowie eine 1,2-Terminsgebühr, wenn er
278<br />
l<br />
an dem Termin beim Sachverständigen<br />
auch nur teilweise teilnimmt. Bisher<br />
wurden die Gebühren des selbstständigen<br />
Beweisverfahrens auf die Gebühren<br />
des nachfolgenden Prozessverfahrens<br />
in vollem Umfang angerechnet.<br />
<strong>Das</strong> gilt in Zukunft nur noch für die<br />
Verfahrensgebühr.<br />
Nun kommt unser Baurechtler in<br />
die Situation, dass er im selbstständigen<br />
Beweisverfahren einen Vergleich<br />
abschließt, eine Einigung. Dann bekommt<br />
er in Zukunft eine 1,5-Einigungsgebühr<br />
statt bisher 1,0. Wenn<br />
ihm eine Einigung nicht gelingt, dann<br />
kommt er ins gerichtliche Verfahren.<br />
Es entsteht eine weitere anrechnungsfreie<br />
Terminsgebühr.<br />
Oder anders herum: Nehmen Sie<br />
1,2-Gebühren aus dem Termin des Gerichtsverfahrens,<br />
2,5-Gebühren aus<br />
dem selbstständigen Beweisverfahren,<br />
dann sind Sie bei 3,7-Gebühren plus<br />
der anrechnungsfreien Geschäftsgebühr<br />
über 0,75 hinaus aus der vorgerichtlichen<br />
Tätigkeit. Wir sind regelmäßig<br />
über 4,25-Gebühren. Wir sind<br />
häufig sogar bei 5,0 Gebühren. Bisher<br />
waren es 30/10 für Verfahrens-, Termins-<br />
und Beweisgebühr.<br />
Wenn der Baurechtler nicht merkt,<br />
dass das deutlich mehr ist als bisher,<br />
dann soll er das Rechtsgebiet wechseln.<br />
Sie können kein Baurecht machen,<br />
ohne rechnen zu können.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Geht es den Familienrechtlern<br />
auch besser als vorher?<br />
Brieske: Vorweg: Die Beweisgebühr<br />
war zur Zeit des alten Scheidungsrechts,<br />
als über die Eheverfehlung<br />
mit Zeugen Beweis erhoben<br />
werden musste, verständlich. Seit dem<br />
neuen Eherecht in den 70er-Jahren<br />
konnte keinem mehr erklärt werden,<br />
warum der Anwalt eine Gebühr erhält,<br />
nur weil er in dem Moment anwesend<br />
ist, in dem der Richter fragt: Wollen<br />
Welche Gebührentatbestände<br />
gibt es im <strong>RVG</strong>?<br />
<strong>Das</strong> <strong>RVG</strong> vereinfacht das Gebührenrecht.<br />
Außerhalb des Strafrechts<br />
kennt das <strong>RVG</strong> im Wesentlichen nur<br />
noch fünf Gebührentatbestände:<br />
9 Geschäftsgebühr<br />
9 Verfahrensgebühr (die frühere<br />
Prozessgebühr)<br />
9 Terminsgebühr<br />
9 Einigungsgebühr<br />
9 Beratungsgebühr<br />
sie die Ehe nicht mehr miteinander<br />
fortsetzen?<br />
Auch für die Familienrechtler wird<br />
es im Ergebnis eine deutliche Erhöhung<br />
geben. Sie bekommen im Scheidungsverfahren<br />
2,5-Gebühren, also<br />
eine 1,3-Verfahrens- und eine 1,2-Terminsgebühr.<br />
Dann kommen die Verfahren<br />
außerhalb der Scheidung, z. B. wegen<br />
Unterhalt. Bei diesen Verfahren<br />
gab es regelmäßig keine Beweisaufnahme.<br />
Sie bekamen bisher 20/10-Gebühren,<br />
jetzt sind es 2,5. In Zugewinnausgleichsverfahren<br />
haben die<br />
Kollegen teilweise Beweisaufnahmen<br />
gehabt, teilweise nicht.<br />
Nun kommen wir zu unseren Verfahren,<br />
die bisher nach § 118 BRAGO<br />
abgerechnet wurden, also die isolierten<br />
FGG-Verfahren wie elterliche Sorge.<br />
Da haben die Kollegen, je nach Großzügigkeit<br />
des Gerichts, wie auch in<br />
den PKH-Sachen, 5/10 bis 10/10 Gebühren<br />
bekommen. Ich kenne eine<br />
ganze Reihe von Gerichten, bei denen<br />
bekamen sie nur 5/10 <strong>oder</strong> gerade<br />
¹<strong>Das</strong> <strong>RVG</strong> strebt an, dass<br />
zwischen Anwalt und<br />
Mandant viel offener<br />
über die Frage der<br />
Honorierung gesprochen<br />
wird. <strong>Das</strong> wird auch nötig<br />
sein, weil ab 2006 die<br />
Vergütungsregelung für<br />
die außergerichtliche<br />
Beratung wegfallen<br />
wird.ª<br />
7,5/10. Selbst wenn ich dann Geschäfts-<br />
und Besprechungsgebühr addiere,<br />
war es nie mehr als 15/10. Jetzt<br />
bekommen sie 2,5-Gebühren. Die Anwälte<br />
bekommen diese Gebühren auch<br />
im Rechtsmittel. <strong>Das</strong> ist ebenfalls neu.<br />
Und dann sollten die Kollegen an die<br />
Geschäftsgebühr in der vorgerichtlichen<br />
Tätigkeit denken. In Zugewinnausgleichsverfahren<br />
erfolgt vorher regelmäßig<br />
eine Besprechung. Diese<br />
Verfahren sind umfangreich <strong>oder</strong><br />
schwierig. Bei einer 2,0-Gebühr bleiben<br />
1,25-Gebühren anrechnungsfrei.<br />
Plus 2,5-Gebühren aus dem Gerichtsverfahren,<br />
liegen die Kollegen bei<br />
3,75-Gebühren.<br />
Ich hoffe, dass unsere Familienrechtler<br />
rechnen können. Wenn Sie die<br />
verschiedenen Verfahren zusammen<br />
nehmen, gibt es eine deutliche Erhöhung.<br />
AnwBl 5/2004<br />
Interview<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Gibt es andere Beispiele<br />
für deutliche Erhöhungen?<br />
Brieske: Auch beim Forderungseinzug<br />
rechnet sich das <strong>RVG</strong>. Sie haben<br />
erst die Geschäftsgebühr. Nehmen Sie<br />
an, es ist eine einfache Sache. Wir haben<br />
jedenfalls eine Gebühr um 0,8 bis<br />
1,1. Die Hälfte davon ist anrechnungsfrei.<br />
Bei jedem weiteren Verfahren haben<br />
sie 2,5 Gebühren. Wenn es mit einem<br />
Versäumnisurteil endet, dann<br />
haben sie auf jeden Fall 1,8-Gebühren.<br />
18/10 plus die anrechnungsfreie Hälfte<br />
aus dem vorgerichtlichen Verfahren<br />
gegenüber bisher 15/10.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Der Charme des <strong>RVG</strong><br />
liegt in den Anrechnungsvorschriften<br />
...<br />
Brieske: Ja, natürlich.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Soll das heißen, dass<br />
es nur Gewinner in der Anwaltschaft<br />
gibt?<br />
Brieske: Nein. Eine bestimmte<br />
Gruppe von Kollegen gehört zu den<br />
Verlierern. Es sind die Kollegen, die in<br />
ihrer Kanzlei ausschließlich<br />
auf Beklagtenseite in Ge-<br />
richtsverfahren tätig sind,<br />
in denen es regelmäßig<br />
eine Beweisaufnahme gibt,<br />
und die nicht vorgerichtlich<br />
tätig werden. <strong>Das</strong> sind<br />
Arzthaftungsfälle und Verkehrsunfälle.<br />
Der Kollege<br />
ist nur auf der beklagten<br />
Seite tätig und er wird von<br />
dem Versicherer beauftragt,<br />
nachdem die Klage eingereicht<br />
worden ist. Es fällt<br />
keine Geschäftsgebühr an.<br />
Die Kollegen, die eine solche<br />
Monostruktur haben,<br />
sind extrem selten. Denn regelmäßig<br />
haben sie neben diesen Mandaten der<br />
Versicherer, andere Mandate <strong>oder</strong> sie<br />
haben Kollegen in der Kanzlei mit anderen<br />
Mandaten.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: <strong>Das</strong> entscheidende<br />
für den Erfolg des <strong>RVG</strong> wird sein,<br />
dass der Mandant am Ende das neue<br />
Vergütungssystem akzeptiert.<br />
Brieske: Ich habe einen Traum, wie<br />
sich das Ganze entwickeln könnte. <strong>Das</strong><br />
<strong>RVG</strong> strebt an, dass zwischen Anwalt<br />
und Mandant viel offener über die Frage<br />
der Honorierung gesprochen wird.<br />
<strong>Das</strong> wird auch nötig sein, weil ab 2006<br />
die Vergütungsregelung für die außergerichtliche<br />
Beratung wegfallen wird.<br />
Wenn ich mir vorstelle, dass die Kollegen<br />
jetzt anfangen über Gebühren offener<br />
mit Mandanten zu reden, dann<br />
müsste sich viel Stress vermeiden lassen.<br />
Sie können von vornherein sagen,
AnwBl 5/2004 279<br />
Interview l<br />
das ist eine umfangreiche <strong>oder</strong> schwierige<br />
Sachen, in diesem Gebührenrahmen<br />
bewegen wir uns und das kostet<br />
es am Ende.<br />
Ich habe eine interessante Beobachtung<br />
gemacht, wenn ich Kollegen berate.<br />
Ich frage sie, was ist ihnen die<br />
Sache wert. Eine Reihe von Kollegen<br />
waren bei dieser Frage sehr hilflos,<br />
und das ist das Spiegelbild zu ihrer eigenen<br />
Hilflosigkeit gegenüber ihren<br />
Mandanten, über die angemessene Vergütung<br />
offen zu reden. Wir werden<br />
sehen, dass auf dem Markt der Rechtsberatung<br />
zunehmend Honorarvereinbarungen<br />
abgeschlossen werden. Zunächst<br />
im außergerichtlichen Bereich.<br />
Und dann natürlich bei den Kollegen,<br />
die Mandate mit Streitwerten über 30<br />
Millionen Euro haben. <strong>Das</strong> ist die<br />
Wertkappungsgrenze. <strong>Das</strong> <strong>RVG</strong> hilft<br />
diesen Kollegen nur bedingt. Die Regelung<br />
in Nr. 7007 des Vergütungsverzeichnisses<br />
zur Erstattung der Versicherungsprämie<br />
hat ihre praktischen<br />
Schwierigkeiten. Wir werden alle lernen,<br />
mit den Mandanten über Geld zu<br />
reden.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Kappungsgrenze<br />
ist eine Kröte, die die Anwaltschaft<br />
schlucken musste?<br />
Brieske: Ja. Die Diskussionsvorschläge<br />
der Kappungsgrenze sahen<br />
viel schlimmer aus, nämlich 30 Mill.<br />
pro Mandat. Die Kommission hatte<br />
vorgeschlagen, 30 <strong>oder</strong> 50 Millionen<br />
Euro pro Gegenstand. Jetzt heißt es im<br />
Gesetz 30 Millionen pro Angelegenheit,<br />
aber auch mit bestimmten Ergänzungen,<br />
wenn sich die Erhöhung z. B.<br />
dadurch ergibt, dass es mehrere Auftraggeber<br />
gibt. Aber letztlich war der<br />
Anlass für diese Diskussion nicht sehr<br />
erfreulich. Es ging um Verfahren, bei<br />
denen sich die öffentliche Hand nachträglich<br />
über die hohen Gebühren beklagt<br />
hat. Ich halte das Ganze auch<br />
nicht für klug. Es werden dem Staat<br />
Gerichtsgebühren entgehen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Eine weitere Kröte<br />
sind die Regelstreitwerte im Asyl- und<br />
Ausländerrecht. <strong>Das</strong> System ist nicht<br />
stimmig, wie der Kommentar im<br />
März-Heft des <strong>Anwaltsblatt</strong>s belegt.<br />
Brieske: Die Kollegen aus dem<br />
Ausländer- und Asylrecht haben Recht.<br />
<strong>Das</strong> ist eine völlig unangemessene Regelung.<br />
Statt einer Verbesserung ist<br />
eine Verschlechterung eingetreten.<br />
Über die politischen Gründe, die dazu<br />
geführt haben, brauchen wir nicht zu<br />
spekulieren. Sie liegen auf der Hand.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ab 2006 wird das<br />
<strong>RVG</strong> nicht mehr für die außergerichtli-<br />
che Beratung gelten. Dann gibt es auf<br />
jeden Fall einen Bereich, in dem sich<br />
der Anwalt nicht mehr auf das <strong>RVG</strong><br />
verlassen kann.<br />
Brieske: <strong>Das</strong> ist ein grundsätzliches<br />
Missverständnis mit dem <strong>RVG</strong> <strong>oder</strong><br />
früher der BRAGO. <strong>Das</strong> war eine Reglementierung<br />
dessen, was der Anwalt<br />
verlangen durfte. Und zwar nach oben.<br />
<strong>Das</strong> ist ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit.<br />
Erlebt worden ist die<br />
Wie hoch ist die Geschäftsgebührnach<br />
Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses?<br />
<strong>Das</strong> Vergütungsverzeichnis des <strong>RVG</strong><br />
sieht in Nr. 2400 für die Geschäftsgebühr<br />
einen Rahmen von 0,5 bis<br />
2,5 vor. Eine Gebühr von mehr als<br />
1,3 kann nach dem Vergütungsverzeichnis<br />
nur gefordert werden, wenn<br />
die Tätigkeit umfangreich <strong>oder</strong><br />
schwierig war. Diese Schwelle ist<br />
kein zweiter Gebührenrahmen. Die<br />
Höhe der Geschäftsgebühr wird wie<br />
folgt bestimmt:<br />
9 In einem ersten Schritt ist die angemessene<br />
Gebühr zu ermitteln.<br />
<strong>Das</strong> erfolgt nach § 14 <strong>RVG</strong>. Bei<br />
Rahmengebühren bestimmt der<br />
Anwalt die Gebühr unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände des<br />
Falles. Dazu gehören vor allem<br />
Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung<br />
der Angelegenheit.<br />
9 Der Anwalt muss nun prüfen, ob<br />
die Sache umfangreich <strong>oder</strong><br />
schwierig war.<br />
9 Ist die Sache schwierig <strong>oder</strong> umfangreich,<br />
ist die angemessene Gebühr<br />
zu verlangen. Nicht erforderlich<br />
ist, dass die Sache sowohl<br />
schwierig als auch umfangreich<br />
ist.<br />
9 Ist die Sache weder schwierig noch<br />
umfangreich, ist die Gebühr auf<br />
1,3 begrenzt.<br />
BRAGO als ein System, das einem<br />
jede Diskussion mit dem Mandanten<br />
ersparte. Wenn dieses System zusammen<br />
mit der heute aus § 49 b BRAO<br />
abgeleiteten Regelung gesehen wird,<br />
dass der Anwalt im gerichtlichen Verfahren<br />
keine geringere Gebühr nehmen<br />
darf, gibt das subjektiv ein Gefühl von<br />
Sicherheit. <strong>Das</strong> ist aber kein Gemeinwohlgut,<br />
um ein Gebührensystem zu<br />
rechtfertigen. Weshalb darf der Anwalt<br />
nicht geringere als diese Gebühren<br />
<strong>oder</strong> höhere als diese Gebühren ab-<br />
rechnen? Wo ist das Gemeinwohlinteresse,<br />
bestimmte Anforderungen an<br />
eine Honorarvereinbarung zu stellen?<br />
Jeder andere Beruf darf einen schriftlichen<br />
Vertrag unter viel leichteren Voraussetzungen<br />
abschließen. <strong>Das</strong> sind<br />
Verwerfungen, die wir aufarbeiten<br />
müssen. Einer diese Schritte ist es,<br />
dass im Bereich der Beratung zwischen<br />
Anwalt und Mandant über das<br />
Honorar gesprochen werden muss.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: <strong>Das</strong> <strong>RVG</strong> schafft eine<br />
neue Struktur. Der Anwalt muss sich<br />
mit der neuen Struktur auseinander<br />
setzen. Er muss sein Geschäftsmodell<br />
überprüfen und er muss lernen, über<br />
das Honorar mit seinem Mandanten zu<br />
sprechen. Glauben Sie, dass das derzeit<br />
viele Anwälte noch nicht können?<br />
Brieske: Ich traue den Kollegen das<br />
zu. Aber ich habe erlebt, dass es nicht<br />
einfach ist, Anwälte zur Freiheit zu<br />
tragen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Gibt es noch Nachbesserungsbedarf<br />
beim <strong>RVG</strong>?<br />
Brieske: Ja. Die im Augenblick<br />
spannendeste Frage ist, ob es in den<br />
nächsten Jahren und Jahrzehnten noch<br />
gesetzliche Gebührenregelungen geben<br />
wird. Diese Frage entscheidet sich<br />
nicht in Berlin. Sie entscheidet sich<br />
zunächst nur in Brüssel. Mit dem vorgelegten<br />
Entwurf einer Rahmenrichtlinie<br />
für Dienstleistungen beginnt eine<br />
Entwicklung, die wir sehr sorgfältig<br />
betrachten müssen. Auch in dem zweitem<br />
Monti-Bericht wird das Thema<br />
von Mindest- und Höchstpreisen angesprochen.<br />
Die EU-Kommission wird<br />
jede wettbewerbsbeschränkende Regelung<br />
kritisch prüfen. Es wird auf jeden<br />
Fall unendlich schwer, noch etwas im<br />
Bereich des Vergütungsrechts zu erreichen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Anwaltsgebühren<br />
sind vor dem <strong>RVG</strong> zuletzt 1994 erhöht<br />
worden. Wie lange müssen die Anwälte<br />
auf die nächste Erhöhung der<br />
Vergütung warten?<br />
Brieske: Meine prophetischen Gaben<br />
halten sich sehr in Grenzen. Ich<br />
kann Ihnen diese Frage nicht beantworten.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Vielen Dank für das<br />
Gespräch.<br />
<strong>Das</strong> Gespräch führte Rechtsanwalt<br />
Dr. Nicolas Lührig, Berlin.