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(573-628) (685,2 kB) - Anwaltsblatt

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DeutscherAnwaltVerein<br />

Beilage<br />

Das Berufsbild<br />

des<br />

Syndikusanwaltes<br />

11/97<br />

November<br />

DeutscherAnwalt<br />

Aus dem Inhalt<br />

G 11041<br />

Aufsätze<br />

Selbstverständnis des Syndikus (Braun) <strong>573</strong><br />

Abschied vom Einzelanwalt (Plaas) 578<br />

Wirtschaftsanwalt und Strafverteidiger (Görg) 593<br />

Meinung und Kritik<br />

Reform der Juristenausbildung 604<br />

Mitteilungen<br />

Einführung<br />

des<br />

Euro<br />

610<br />

Haftung: Viele Anwälte verderben den Brei 620<br />

Rechtsprechung<br />

BGH: Fristüberwachung in der Sozietät 622<br />

BayObLG: Betreuervergütung für Anwalt 625<br />

BVerfG: RA-Versorgungswerke 627<br />

DeutscherAnwaltVerlag


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Ludwig Koch<br />

Dr. Wolfgang Schiefer<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Aufsätze<br />

<strong>573</strong> Das Selbstverständnis des Syndikus<br />

– Aspekte moderner Anwaltstätigkeit im Unternehmen –<br />

Von Rechtsanwalt Frank Braun, Köln<br />

575 Zur Entstehung und Bedeutung des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2<br />

– Richterablehnung und Prozeßverschleppung –<br />

Von Ministerialrat Karl Kröpil, Hildesheim<br />

578 Abschied vom Einzelanwalt<br />

Von Rechtsanwalt Gerrit Plaas, Mengen<br />

582 Buchhinweis:<br />

Schiefer/Hocke: Marketing für Rechtsanwälte, 2. Aufl. (Buschbell)<br />

Anwaltstag 1997,Vorträge<br />

583 Leitthema 3: Aktuelle Probleme des Strafverfahrens<br />

– Offene Kommunikation im Strafverfahren –<br />

Offene Kommunikation in der Hauptverhandlung aus richterlicher<br />

Sicht<br />

Von Vors. Richter am Landgericht a. D. Günter Pohl, Essen<br />

586 – Kooperation des Strafverteidigers –<br />

Der Umweltanwalt und die Kooperation mit dem Strafverteidiger<br />

Von Rechtsanwalt Martin Beckmann, Münster<br />

591 Der Steueranwalt und die Kooperation mit dem Strafverteidiger<br />

Von Rechtsanwalt Rudolf Stahl, Köln<br />

593 Der Wirtschaftsanwalt und die Kooperation mit dem Strafverteidiger<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Hubert Görg, Köln<br />

597 Leitthema 1: Streitschlichtung – Anwaltssache<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung im Baurecht<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Franz Werner Wiesel, Essen<br />

598 Bericht über den Workshop Streitschlichtung im Verkehrsrecht<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />

601 Bericht über den Workshop Streitschlichtung im öffentlichen<br />

Recht<br />

Von Rechtsanwalt Mathias Preussner, Konstanz<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung im Versicherungsrecht<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

602 Thesen und Protokollnotizen zum Workshop Streitschlichtung im<br />

Wirtschaftsrecht<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach, Offenburg<br />

Meinung & Kritik<br />

604 Reform der Juristenausbildung<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Giselher Gralla, München<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

606 PR-Referat<br />

Von Rechtsanwältin Angelika Rüstow, Bonn<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 47<br />

November 1997<br />

b 11/97<br />

l<br />

609 DAV-Pressemitteilungen:<br />

– Anwaltssuche leichtgemacht<br />

– Homburger Tage 1997<br />

Buchhinweis:<br />

Handbuch für deutsch-internationale Beziehungen, Bd. 1 – Europa<br />

(Klein)<br />

Europa<br />

610 Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher<br />

Verwaltung – Bericht der Bundesregierung<br />

Von Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Bonn<br />

LL.M. – was ist das eigentlich?<br />

Von Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Bonn<br />

Mitteilungen<br />

611 Anwaltsforschung:<br />

Junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Wettbewerb<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe, Hannover und<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach<br />

614 Ausbildung:<br />

Praktische Studienzeit für Rechtsstudenten<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Hans Friedrichsmeier, Tübingen und<br />

Rechtsanwalt Horst Schmid, Reutlingen<br />

616 Berufsrecht:<br />

Zertifizierung und Verschwiegenheitspflicht<br />

Von Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter, Berlin<br />

618 Gebührenfragen:<br />

Die Neuberechnung der Gebühren nach Ablauf der Zwei-Jahres-<br />

Frist des § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO bei „Altmandaten“<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Kurt Mayer, Ellwangen<br />

619 Verzicht auf Verkehrsgebühr bei Gebührenteilung?<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Hans Kaiser, Karlsruhe<br />

620 Haftpflichtfragen<br />

Viele Anwälte verderben den Fall – wer haftet?<br />

Von Rechtsanwältin Antje Jungk,<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Rechtsprechung<br />

622<br />

(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />

Berufsrecht<br />

624 Gebührenrecht<br />

627 Aktuell: Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

<strong>628</strong> Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Service Seite IV<br />

DAV-Informationen Seite VI, VIII<br />

Internet-Aktuell Seite XXVI<br />

Qualität in der Kanzlei Seite XXIV


II<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

BGH, Beschl. v. 10.7.1997 – IX ZB 57/97<br />

ZPO § 233<br />

Von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen<br />

Rechtsanwälten hat grundsätzlich derjenige die<br />

Fristen zu überwachen, der beim zuständigen Gericht<br />

zugelassen ist. – S. 622<br />

BGH, Beschl. v. 27.5.1997 – VI ZB 10/97<br />

ZPO § 233<br />

Eine auf Vorfristenanordnung vorgelegte Sache muß<br />

nicht stets sofort bearbeitet werden. Sie kann zur<br />

Wiedervorlage am Tag des Fristablaufs zurückgegeben<br />

werden, wenn der Anwalt sich nach sorgfältiger<br />

Prüfung davon überzeugt hat, daß die Rechtsmittelbegründung<br />

oder ein (erster) Antrag auf Verlängerung<br />

der Begründungsfrist noch rechtzeitig bei Gericht eingereicht<br />

werden kann. – S. 622<br />

BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997 – 4 B 85/97<br />

VwGO § 60; ZPO § 85<br />

Ein Rechtsanwalt erfüllt nicht die ihm obliegende<br />

Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung des Ablaufs einer<br />

Rechtsmittelfrist, wenn er, statt das Datum der Zustellung<br />

der anzugreifenden Entscheidung festzustellen<br />

und danach die Frist zu berechnen, lediglich telefonisch<br />

bei der Geschäftsstelle des Gerichts anfragen<br />

läßt, wann die Frist ablaufe. – S. 623<br />

Gebührenrecht<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1997 – 10 W 27/97<br />

BRAGO § 13 Abs. 2, § 31 Abs. 1 Nr. 1; ZPO §§ 147,<br />

690, 696<br />

Macht ein Gläubiger im Mahnverfahren gleichzeitig<br />

Zahlungsansprüche gegen einen Schuldner und einen<br />

Bürgen mit einem einheitlichen Mahnbescheidsantrag<br />

geltend und werden dann nach Abgabe der Sache an<br />

das einheitlich zuständige Streitgericht dort aus durch<br />

den Kl nicht veranlaßten Gründen in bezug auf jeden<br />

Bekl gesonderte Verfahren eingetragen, die vor der<br />

mündlichen Verhandlung miteinander verbunden werden,<br />

so liegt nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit<br />

vor mit der Folge des Ausschlusses des Ansatzes<br />

einer doppelten Prozeßgebühr für den klägerischen<br />

Prozeßbevollmächtigten. – S. 624<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 5.2.1997 – 13 WF 1266/96<br />

BRAGO § 23 Abs. 1 S. 1 u. 3, § 122 Abs. 3; ZPO<br />

§ 624 Abs. 2<br />

Ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe i. S. v. § 23<br />

Abs. 1 S. 3 BRAGO ist anhängig, wenn in einer Ehesache<br />

vor Vergleichsabschluß um Erweiterung der<br />

Prozeßkostenhilfe ersucht wird.<br />

Auch hinsichtlich der in den Vergleich einbezogenen<br />

nicht anhängigen Gegenstände des § 122 Abs. 3<br />

BRAGO erhält der beigeordnete Rechtsanwalt dann<br />

nur eine 10/10 Vergleichsgebühr. – S. 624<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 9.12.1996 – 1 AR 151/96 Str<br />

BRAGO § 99<br />

Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe dem Pflichtverteidiger<br />

eine Pauschvergütung zu gewähren ist, sind<br />

nur dessen anwaltliche Tätigkeiten nach der Beiordnung<br />

zu berücksichtigen, dagegen nicht die zuvor als Wahlverteidiger<br />

erbrachten Leistungen. – S. 625<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.4.1997 – 5<br />

S 3153/96<br />

BRAGO §§ 114, 32, 31, 11<br />

Reicht der Rechtsanwalt des Gegners nach<br />

Rücknahme des Antrags, der Klage oder des Rechtsmittels<br />

einen Schriftsatz mit Anträgen bei Gericht<br />

ein, so erhält er die volle Prozeßgebühr, wenn er die<br />

erfolgte Rücknahme weder kannte noch kennen<br />

mußte. – S. 625<br />

BayObLG, Beschl. v. 15.1.1997 – 3Z BR 279/96<br />

BGB § 1836 Abs. 1<br />

1. Der Vergütung eines Rechtsanwalts für die Betreuung<br />

eines nicht mittellosen Betroffenen ist in der<br />

Regel ein Stundensatz von 200 DM einschließlich<br />

Mehrwertsteuer zugrunde zu legen.<br />

2. Im Einzelfall kann gemäß den für die Betreuervergütung<br />

allgemein geltenden Grundsätzen ein<br />

höherer oder auch niedrigerer Stundensatz gerechtfertigt<br />

sein. – S. 625<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v.<br />

26.8.1997 – 1 BvL1/94<br />

RAVG Bad. Württemberg, §§ 8, 9, 17; GG Art. 3<br />

Abs. 1, Art. 6 Abs. 1<br />

Zur beitragsfreien Anrechnung von Mutterschutzund<br />

Kindererziehungszeiten im Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

(LS der Redaktion) – S. 627


VI<br />

4<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Lesen Sie in diesem Heft auf Seite 606 bis 609:<br />

PR-Referat / DAV-Pressemitteilungen: Anwaltssuche leichtgemacht;<br />

Homburger Tage 1997<br />

Gebührenrecht in AGS Nr. 11/97 *<br />

9 Bischof: Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen zwischen<br />

den Instanzen durch den ersten Prozeßbevollmächtigten<br />

9 OLG Düsseldorf: Zur Höhe der Vergleichsgebühr bei PKH-<br />

Bewilligung<br />

9 LAG Hamburg: Berechnung des Gebührenstreitwertes bei einer<br />

Änderungskündigung<br />

9 OLG Köln: Rechtsschutzinteresse für Streitwertbeschwerde im<br />

selbständigen Beweisverfahren<br />

9 OLG Koblenz: Wert des Auskunftsanspruchs bei Stufenklage<br />

9 OLG Düsseldorf: 15/10-Vergleichsgebühr für noch nicht anhängige<br />

Folgesachen<br />

* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS) erscheint monatlich auf zwölf<br />

Seiten im Deutschen Anwaltverlag und wird hrsg. von RA Madert<br />

in Verbindung mit dem Gebührenrechtsausschuß des Deutschen Anwaltvereins<br />

unter ständiger Mitarbeit von RA Dr. Chemnitz und<br />

VRiKG a. D. von Eicken und der Schriftleitung des <strong>Anwaltsblatt</strong>es.<br />

Nähere Informationen und ein Probeabonnement erhalten Sie vom<br />

Deutschen Anwaltverlag in 53127 Bonn, Lengsdorfer Hauptstr. 75,<br />

Tel. 0228/91911-0.<br />

Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte<br />

Aufruf zur Weihnachtsspende 1997<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />

sehr geehrter Herr Kollege,<br />

mit unserem Aufruf zur Weihnachtsspende bitten wir Sie,<br />

uns bei unserem Vorhaben, den Hilfsbedürftigen unseres<br />

Berufsstandes zum bevorstehenden Fest eine kleine Freude<br />

zu bereiten, behilflich zu sein.<br />

Seit 1948 wird die Weihnachtsspenden-Sammlung veranstaltet,<br />

um Kolleginnen, Kollegen bzw. deren Hinterbliebene,<br />

die durch Alter, Krankheit oder aus ähnlichen Gründen<br />

berufsunfähig oder sonst unverschuldet in Not geraten sind,<br />

zumindestens zu Weihnachten finanziell zu unterstützen.<br />

Aufgrund Ihrer Großzügigkeit, für die wir Ihnen auch im<br />

Namen der Bedachten herzlich danken, verlief die Spendenaktion<br />

1996 sehr erfolgreich: Mit Ihrer Spende ermöglichten<br />

Sie es der Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte, insgesamt<br />

409479,34 DM auszukehren an 429 in Not geratene<br />

Kolleginnen, Kollegen und/oder deren Familien in 25 Kammerbezirken<br />

und somit spürbar zu helfen. Zudem konnten<br />

69 minderjährigen bzw. in Ausbildung befindlichen Kindern<br />

Buchwünsche erfüllt werden.<br />

Mit welcher Freude und Dankbarkeit Ihre Spende aufgenommen<br />

wird, zeigt der Auszug aus dem Schreiben der<br />

Ehefrau eines schwerkranken Kollegen:<br />

„Es ist für einen Menschen, der sich durch seine Krankheit<br />

aus der beruflichen Umwelt ausgestoßen fühlte, eine<br />

ganz große Freude zu wissen, daß seine früheren Kollegen<br />

und Freunde ihn nicht vergessen haben“.<br />

Jede Spende ist steuerabzugsfähig. Wenn Sie einen Betrag<br />

für einen wirklich guten Zweck – ganz gleich in welcher<br />

Höhe – zur Verfügung stellen wollen, überweisen Sie ihn<br />

bitte auf eines der folgenden Konten:<br />

Deutsche Bank Hamburg 0309906 (BLZ 200 700 00)<br />

Postbank Hamburg 47403-203 (BLZ 200 100 20)<br />

Bitte geben Sie Ihre Anschrift deutlich und vollständig an.<br />

Eine Spendenbescheinigung geht Ihnen unverzüglich zu.<br />

Abschließend noch eine Bitte: Sollte Ihnen im Kollegenkreis<br />

ein Notfall bekannt sein, informieren Sie uns. Wir<br />

helfen gern!<br />

Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte, Kl. Johannisstr. 6,<br />

20457 Hamburg, Tel.: 0 40 / 36 50 79, Fax: 0 40 /37 46 45<br />

DAV-Arbeitsgemeinschaften<br />

Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />

Veranstaltungen in Nov./Dez. 1997<br />

Termin/Ort: 28. und 29. November 1997, Leipzig<br />

Praxis der Strafverteidigung<br />

Referenten: Rechtsanwalt Martin Amelung,<br />

München<br />

Rechtsanwalt Lutz Lehmann, Halle<br />

Termin/Ort: 13. Dezember 1997, Mainz<br />

Aktuelle Rechtsprechung zum Strafverfahrensrecht<br />

und ihre Bedeutung<br />

für die Strafverteidigung<br />

Referenten: Rechtsanwalt Dr. Volkmar Mehle,<br />

Bonn<br />

Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Gillmeister,<br />

Freiburg<br />

Teilnehmergebühr: 250,– DM für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

und Referendare; 350,– DM für Nichtmitglieder<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und weitere Informationen:<br />

Veranstaltungsorganisation der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht des DAV, Hirschmannstraße 7, 53359 Rheinbach,<br />

Telefon: 0 22 26 / 91 20 91, FAX: 0 22 26 /91 20 95<br />

(Fortsetzung auf Seite VIII)


VIII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

Veranstaltungen im November1997<br />

Termin/Ort: 22. November 1997, Stuttgart<br />

Thema: Leasing und Drittfinanzierung von<br />

Kraftfahrzeugen<br />

– Probleme der verschiedenen<br />

Vertragsarten, insbesondere bei der<br />

Schadensregulierung –<br />

Referent: Rechtsanwalt Dr. Kurt Reinking, Köln<br />

Termine/Orte: 22. November 1997, Homburg (Saar)<br />

29. November 1997, Hagen<br />

Thema: Der Verkehrsstrafprozeß<br />

– Tägliche Probleme in der Praxis –<br />

Referent: Prof. Dr. Friedrich Dencker,<br />

Münster/Hannover<br />

Termin/Ort: 22. November 1997, Berlin<br />

Thema: Die Verkehrsrechtsschutzversicherung<br />

und gebührenrechtliche Probleme in<br />

der täglichen Praxis<br />

Referentin: Rechtsanwältin Erna-Maria Eichner,<br />

ADAC-Rechtsschutzversicherungs-AG,<br />

München<br />

Termin/Ort: 22. November 1997, Freiburg<br />

Thema: Fahrlässigkeit und<br />

Gefährdungshaftung<br />

– Typische Probleme des Haftungsgrundes<br />

in der Praxis –<br />

Referent: Richter am BGH Dr. Manfred Lepa,<br />

Bonn/Karlsruhe<br />

Termin/Ort: 22. November 1997, Nürnberg<br />

Thema: Der Verkehrsunfall in seinen<br />

versicherungsvertraglichen Folgen<br />

Referent: Richter am BGH Wolfgang Römer,<br />

Karlsruhe<br />

Teilnehmergebühr: 150,– DM für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft,<br />

des Forums Junge Rechtsanwälte und Referendare;<br />

250,– DM für Nichtmitglieder<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und weitere Informationen:<br />

Veranstaltungsorganisation der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im DAV, Hirschmannstr. 7, 53359 Rheinbach,<br />

Telefon: 0 22 26 /91 20 91, FAX: 0 22 26 /91 20 95<br />

AG Internationaler Rechtsverkehr<br />

Seminar am 5./6. Dezember 1997<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Internationaler Rechtsverkehr veranstaltet<br />

in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom<br />

AG ein Seminar zum Thema<br />

Telekommunikationsrecht in Europa – Der Anwalt auf<br />

dem Weg in die Informationsgesellschaft<br />

am: 5./6.12.1997<br />

in: Deutsche Telekom AG, Friedrich-<br />

Ebert-Allee 140, 53113 Bonn<br />

Programm:<br />

Im vorliegenden Seminar sollen sowohl die praktischen<br />

Aspekte der Telekommunikation als auch die rechtlichen<br />

Probleme dieses jungen Rechtsgebietes erörtert werden. Es<br />

werden insbesondere Probleme zur Vertragsgestaltung im<br />

Telekommunikationsbereich, zum Urheberrecht sowie zum<br />

Wettbewerbs- und Kartellrecht herausgearbeitet. Die Referenten<br />

sind alle in ihrer täglichen Praxis mit den Problemen<br />

des Telekommunikationsrechts befaßt.<br />

Die Veranstaltung wird ins Deutsche und Englische simultan<br />

übersetzt.<br />

Freitag, den 5. Dezember 1997<br />

11.00 Uhr Begrüßung durch die Veranstalter<br />

Telekommunikation heute und morgen<br />

11.30 – 12.00 Uhr Überblick über<br />

Telekommunikationsdienstleistungen<br />

im Zusammenspiel von<br />

Telekommunikation und Medien<br />

12.00 – 13.00 Uhr Der Anwalt auf dem Weg in die Informationsgesellschaft<br />

Neue Betätigungsfelder<br />

13.00 – 14.00 Uhr Mittagspause<br />

14.30 – 16.00 Uhr Rechtstatsachen – Das europäische und<br />

nationale Regelwerk zur Liberalisierung<br />

des Telekommunikationsmarktes<br />

16.30 – 17.00 Uhr Kaffeepause<br />

17.00 – 18.00 Uhr Vertragsgestaltung im<br />

Telekommunikationsbereich<br />

18.00 – 19.00 Uhr Präsentation der technischen<br />

Möglichkeiten und Empfang durch<br />

die<br />

Deutsche Telekom AG<br />

19.00 Uhr Bustransfer zum Günnewig<br />

Hotel Residence<br />

19.45 Uhr Bustransfer zum Abendessen<br />

Samstag, den 6. Dezember 1997<br />

9.00 – 10.30 Uhr Telekommunikation, Multi-Media und<br />

Lizenzen – Fakten und Perspektiven<br />

10.30 – 11.00 Uhr Kaffeepause<br />

11.00 – 12.30 Uhr Wettbewerbs- und Kartellrecht im<br />

Telekommunikationsbereich<br />

12.30 – 13.00 Uhr Abschließende Diskussion<br />

13.00 Uhr Ende der Veranstaltung<br />

Teilnehmergebühr: 700,– DM, für Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Internationaler Rechtsverkehr und des Jungen<br />

Forums 600,– DM.<br />

Anmeldung: AG Internationaler Rechtsverkehr,<br />

Deutsche Anwaltakademie, Frau Ruth Strack,<br />

Ellerstraße 48, D-53119 Bonn,<br />

Telefon: 02 28 / 9 83 66 33, Fax: 02 28 /983 66 67


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Ludwig Koch<br />

Dr. Wolfgang Schiefer<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 47 AQl November 1997<br />

Das Selbstverständnis des<br />

Syndikus 1<br />

– Aspekte moderner Anwaltstätigkeit im Unternehmen 2 –<br />

Rechtsanwalt und Syndikus Frank Braun, Köln<br />

1. Ausgangslage<br />

Der Syndikus ist der angestellte Anwalt im Unternehmen!<br />

Mit dieser lakonischen Feststellung könnte man es bewendet<br />

sein lassen, wenn der Begriff nicht für eine bedeutende<br />

Gruppe der deutschen Anwaltschaft, mit durchaus<br />

eigenem Selbstverständnis stünde. Zunächst handelt es sich<br />

in der Tat um eine deutsche Eigenheit, denn in einer ganzen<br />

Reihe unserer europäischen Nachbarstaaten 3 ist der angestellte<br />

Anwalt berufsrechtlich nicht vorgesehen. In Deutschland<br />

entwickelte sich dieser Aspekt des Anwaltsstandes in<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als in Unternehmen<br />

erstmals durch Arbeitsvertrag gebundene Anwälte tätig<br />

wurden 4 .<br />

2. Traditionelle Argumente<br />

Das Selbstverständnis des Syndikus gründet zu einem<br />

erheblichen Teil auf seine janusköpfige Sonderstellung.<br />

Zum einen ist der Syndikus (vollwertiger) Anwalt, der, wie<br />

jedes andere Kammermitglied, seiner freiberuflichen Tätigkeit<br />

nachgeht 5 . Der hierzu notwendige Freiraum wird durch<br />

die Syndikuserklärung geschaffen, die das Unternehmen abgibt<br />

und die von der zuständigen Anwaltskammer inhaltlich<br />

akzeptiert werden muß, um die Zulassung zu erlangen 6 .Die<br />

Formulierung 7 dieser Erklärung ermöglicht es dem Anwalt<br />

jederzeit ohne Beschränkungen, seinen anwaltlichen Verpflichtungen<br />

nachzukommen 8 . Dies gilt für die Wahrnehmung<br />

von Terminen ebenso wie die Erfüllung wichtiger<br />

Aufgaben im Rahmen seiner Kanzleiarbeit. Der Syndikus<br />

nimmt damit seine Position als Freiberufler und unabhängiges<br />

Organ der Rechtspflege 9 nach § 1 BRAO mit in das<br />

Unternehmen. Das Unternehmen akzeptiert diese besondere<br />

Position, die arbeitsrechtliche Weisungen im Kollisionsfalle<br />

einschränkt, jedenfalls aber eine Rangfolge der Pflichten<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen Anwaltvereins e. V.<br />

etabliert. Die hieraus resultierenden Besonderheiten im Arbeitnehmer-<br />

Arbeitgeberverhältnis führen nicht selten dazu,<br />

daß die Syndikuserklärung von Unternehmensseite als Privilegierung<br />

oder eine Art Beförderung angesehen wird 10 .<br />

Die leitenden juristischen Angestellten erhalten die Erklärung<br />

und dürfen sich Syndikus nennen. Einem weiteren Teil<br />

des juristischen Personals wird die Erklärung versagt. So<br />

bevorzugt man etwa im operativen Bereich einiger Versicherungen<br />

den Assessor und will nur in Ausnahmefällen<br />

die Anwaltsstellung akzeptieren11 . Auch bei der Personaleinstellung<br />

ist die Gewährung der Position des Syndikus regelmäßig<br />

Verhandlungsgegenstand zwischen Unternehmen<br />

und juristischem Bewerber.<br />

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich,<br />

daß die Sonderstellung des Syndikus auch Einfluß auf<br />

1 Sofern es sich um eine Frau handelt, spricht man von Syndika oder Syndikusanwältin.<br />

2 Syndikusanwälte gibt es auch in Verbänden, Vereinen und sonstigen Institutionen.<br />

Der Aufsatz beschränkt sich auf das Selbstverständnis der Syndici in der<br />

freien Wirtschaft. Eine Reihe der Aspekte gelten sicherlich auch für andere<br />

Bereiche.<br />

3 So ist der Syndikus etwa in Frankreich oder der Schweiz unbekannt. Vergl.<br />

hierzu: Kolvenbach, Die Rechtsstellung der Syndikus-Anwälte in der Europäischen<br />

Gemeinschaft AnwBl 87.211.<br />

4 Lindenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen<br />

Standesrechtes 2. Aufl. 1988 § 40 Rdnr. 5f.<br />

5 Es gibt keine Unterschiede zwischen Syndikus und (nur) freiberuflich tätigem<br />

Anwalt.<br />

6 Will sich ein Angestellter zur Anwaltschaft zulassen, so gibt er die Angestelltentätigkeit<br />

an. Sodann wird von der zuständigen Kammer regelmäßig die<br />

Syndikuserklärung verlangt. Eine Tätigkeit, die mit der Stellung als Anwalt<br />

unvereinbar ist, führt gemäß § 7 Nr. 8 BRAO zur Versagung der Zulassung. §<br />

14 Nr. 9 BRAO begründet die Widerrufsmöglichkeit. Über Änderungen muß<br />

der Rechtsanwalt der Kammer Auskunft geben, vergl. Feuerich/Braun Komm.<br />

zur BRAO 3. Aufl. § 7 Rdnr. 135.<br />

7 Die Kammer fordert eine Erklärung des Arbeitgebers, nach der der Syndikus<br />

das Recht hat, vorrangige Termine für seine Mandanten oder nach Anforderung<br />

der Gerichte wahrnehmen zu können, wobei es ihm gestattet sein muß,<br />

den Arbeitsplatz zu verlassen, ohne jeweils im Einzelfall dazu eine Erlaubnis<br />

einholen zu müssen.<br />

8 Vgl. Fußnote 7.<br />

9 Zur Stellung des Anwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege vgl.<br />

Feuerich/Braun § 1 Rdnr. 15ff.<br />

10 Gerade in größeren Unternehmen ist diese Sicht anzutreffen.<br />

11 Die Bezugnahme auf die Rechtsanwaltsstellung wird bei einigen großen deutschen<br />

Versicherungen nicht gerne gesehen. Dies mag indessen auch mit dem<br />

Umstand zusammenhängen, daß der operative Bereich bei Versicherungen, jedenfalls<br />

die Schadensabteilung, regelmäßig der Anwaltschaft widerstrebende<br />

Interessen verfolgt. Im Einzelfall ist es Ziel der Korrespondenz mit dem Anwalt,<br />

den Schaden für die Versicherung möglichst klein zu halten.


574<br />

l<br />

die inhaltliche Arbeit hat. Häufig kommt dem Syndikus<br />

eine besondere Vertrauensstellung im Unternehmen zu, die<br />

sich auch in einer beratenden Funktion mit Blick auf die<br />

Geschäftsleitung ausdrücken kann. Es wird von ihm eine<br />

besondere Verschwiegenheit erwartet. Letztendlich wünscht<br />

der Unternehmer die Einhaltung der Standesrichtlinien und<br />

Gesetze, die auch für den Anwalt bei der Abwicklung der<br />

Mandate gelten 12 . Dieses besondere Vertrauensverhältnis ist<br />

auch notwendig, da die Tätigkeit zwangsläufig dazu führt,<br />

daß der Syndikus Stärken aber auch Schwächen des Unternehmens<br />

in allen Facetten kennenlernt. Der Syndikus kann<br />

sich auch mit Blick auf seine anwaltliche Stellung deutlich<br />

besser verweigern, als es der Assessor kann, wenn die Unternehmensleitung<br />

juristisch unvertretbares Handeln beabsichtigt<br />

13 . Auch außerhalb von Extremsituationen führt die<br />

Stellung als Anwalt zu einem höheren Maß an Glaubwürdigkeit,<br />

nicht zuletzt bei den Mitarbeitern des Unternehmens.<br />

Die anwaltlich geprägte Situation hat allerdings auch<br />

ihre Grenze, die in § 46 Abs. 1 BRAO ihren Niederschlag<br />

findet. Danach darf der Rechtsanwalt für einen Auftraggeber,<br />

dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen<br />

Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur<br />

Verfügung stellt, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht<br />

in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden. §§ 46<br />

Abs. II und III ergänzen und präzisieren den Verbotstatbestand<br />

14 . § 46 Abs. 1 BRAO führt indessen nicht zu einem<br />

Vertretungsverbot. Der Syndikus kann vor Amts- und Arbeitsgerichten<br />

in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer und<br />

Vertreter des Unternehmens prozessieren und verhandeln –<br />

allerdings ohne dabei den „Talar des Rechtsanwaltes überzuziehen.“<br />

3. Ausgewählte Aspekte des modernen<br />

Selbstverständnisses<br />

Das moderne Selbstverständnis der Syndikusanwälte<br />

kann sich nicht darin erschöpfen, auf Standesgesichtspunkte<br />

zu verweisen. Es ist vielmehr erforderlich, den geänderten<br />

Anforderungen der Unternehmen Rechnung zu tragen,<br />

ohne gleichzeitig die traditionelle Basis zu verlieren. Einige<br />

Anforderungen, die zusammengenommen oder in wechselnden<br />

Konstellationen an den modernen Firmenanwalt gestellt<br />

werden, lassen sich auf drei Punkte focussieren:<br />

9 der Syndikus soll verstärkt wirtschaftlich denken und<br />

handeln,<br />

9 er erbringt im Unternehmen eine Service-Leistung,<br />

9 der Syndikus schafft Möglichkeiten, statt sie zu verhindern.<br />

Die erste Forderung ist zunächst nicht neu. Wirtschaftliches<br />

Verständnis gehört zu den Grundvoraussetzungen, die<br />

jeder entsprechend tätige Jurist mitbringen muß. Wenn<br />

diese Forderung heute mit Blick auf den Syndikus immer<br />

deutlicher wird, dann deshalb, weil nur ein solches Verständnis<br />

bei einem immer differenzierter werdenden wirtschaftlichen<br />

Umfeld zu effektiven Arbeitsergebnissen führt.<br />

Nur wenn sich ein Geschäft „rechnet“ lohnt es sich, darüber<br />

nachzudenken, ob und wie es juristisch durchführbar ist.<br />

Wird die Ausgangsfrage bereits negativ beantwortet, oder<br />

schlimmstenfalls nicht gestellt, wird die juristische Arbeit<br />

fehlinvestiert. Dabei wird die Ausgangsfrage nach der Wirtschaftlichkeit<br />

heute zunehmend unter Einbeziehung des Firmenjuristen<br />

zu beantworten sein. Das Dickicht von Gesetzen<br />

und Rechtsvorschriften 15 zwingt den Unternehmer dazu,<br />

bereits in einem frühen Stadium der Überlegungen hinsicht-<br />

AnwBl 11/97<br />

Aufsätze<br />

lich der Wirtschaftlichkeit eines Projektes den Syndikus<br />

einzuschalten. Häufig werden hierbei zunächst gesellschaftsrechtliche<br />

und steuerliche Fragen erörtert. Wie soll<br />

die neue Produktlinie angebunden werden? Soll eine neue<br />

Gesellschaft (in welcher Rechtsform?) gegründet werden?<br />

Unter Berücksichtigung internationalen Engagements stellt<br />

sich die Standortfrage, wobei Steuer- und Abgabenrecht die<br />

Investitionsentscheidung stark beeinflussen können 16 . Nach<br />

der Prüfung weiterer Rahmenbedingungen nähert sich die<br />

juristische Betrachtung dem Produkt und der Vermarktung.<br />

Patent- und Markenrecht, Wettbewerbs- und Handelsvertreterrecht<br />

stehen beispielhaft für eine Vielzahl der berührten<br />

Rechtsgebiete. In einem möglichst frühen Stadium gilt es<br />

auch, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, Risiken zu<br />

minimieren. Ein stärker werdendes Produkthaftungsrecht,<br />

die zunehmende Inanspruchnahme von Unternehmensführern<br />

durch die Managerhaftung 17 zeigen, wie wesentlich die<br />

Begutachtung dieses Aspektes für den Syndikus ist. Die<br />

Vielzahl der juristischen Berührungspunkte lassen den<br />

Schluß zu, daß die Frage der Wirtschaftlichkeit letztendlich<br />

schlüssig nur gemeinsam mit dem Syndikus beantwortet<br />

werden kann. Die angesprochenen Spezialgebiete werden<br />

im übrigen in den meisten Rechtsabteilungen, selbst in<br />

großen Unternehmen, nicht gänzlich abgearbeitet werden<br />

können. Der Syndikus benötigt seinen hochspezialisierten,<br />

freiberuflichen Kollegen, der, von der Rechtsabteilung beauftragt,<br />

ein juristisches Sonderproblem begutachtet und<br />

löst. Zusammengenommen führen diese Gegebenheiten<br />

dazu, den Anwalt im Unternehmen als juristischen Manager<br />

zu betrachten, der durchaus über den „juristischen Tellerrand“<br />

hinausblickt.<br />

Dies zeigt bereits, daß der Syndikus eine Serviceleistung<br />

erbringt. Er ist die „juristische Tankstelle“, an der die operativen<br />

Bereiche anfahren, Rat und Hilfe einholen, um ihre<br />

Aufgaben erfüllen zu können. Service bedeutet in diesem<br />

Kontext zunächst eine simple, juristische Frage einfach und<br />

verständlich beantworten! Bereits an dieser Hürde scheitern<br />

bis heute eine ganze Reihe von Anwälten 18 . Statt der einfachen<br />

Antwort wird eine tiefgehende juristische Auseinandersetzung<br />

geliefert; statt der Antwort ein entschiedenes „es<br />

kommt darauf an“ resümiert. Gerade dieses unsichere Bild<br />

darf der serviceorientierte Syndikus modernen Zuschnitts<br />

nicht hinterlassen. Die wesentliche Frage bei der Serviceleistung<br />

muß für ihn sein: Welche Auswirkungen 19 hat eine<br />

12 Im einzelnen ist insbesondere an folgendes zu denken: lnteressenvertretung,<br />

Sachlichkeit, vgl. Komm. Feuerich/Braun § 9 Rdnr. 7ff.<br />

13 Der Anwalt kann sich in Extremsituationen auf die Stellung als unabhängiges<br />

Organ der Rechtspflege nach § 1 BRAO berufen. Jeder Arbeitnehmer kann<br />

seine Mitwirkung am strafrechtlichen Handeln verweigern.<br />

14 Vgl. hierzu im ganzen Feuerich/Braun § 46 Rdnr. 1ff.<br />

15 Die genannte Gesetzesflut ist kaum noch überschaubar, insbesondere dann,<br />

wenn europarechtliche Normen eine Rolle spielen.<br />

16 Die dargestellte Problematik wird in der öffentlichen Diskussion unter dem<br />

Stichwort „Standortfrage Deutschland“ behandelt.<br />

17 Vgl. hierzu: Hübner, Managerhaftung Seite 1ff; in der Folge dieses Problembereiches<br />

wird zunehmend die Frage nach der Managerversicherung gestellt,<br />

zuletzt Dr. Tobias Lenz in einem Vortrag der Rechtsanwälte Dr. Graf von<br />

Westphalen und Modest zu den Möglichkeiten der Managerversicherung,<br />

Köln am 5.3.1996.<br />

18 Die Erörterung mit Nichtjuristen zeigt deutlich, daß hier ein erhebliches Manko<br />

bei den Anwälten generell gesehen wird.<br />

19 Auswirkungen können nicht nur juristischer Natur sein. Der Syndikus wird<br />

möglichst versuchen, jede nur denkbare Auswirkung im Unternehmen zu berücksichtigen.<br />

Hierzu bedarf es eines globalen Verständnisses der Ausgangsfrage.


AnwBl 11/97 575<br />

Aufsätze l<br />

bestimmte Antwort auf diese juristische Frage? Stellt der<br />

Anwalt im Unternehmen hierauf erhebliche Auswirkungen<br />

und ein großes Risikopotential fest, so erscheint es wirtschaftlich<br />

gerechtfertigt, mit entsprechend großem Einsatz<br />

eine differenzierte Lösung anzubieten und in genügender<br />

Weise auf die Unwägbarkeiten hinzuweisen. Letztendlich<br />

muß die Ausarbeitung aber mit einer klaren Empfehlung<br />

enden. Damit bringt der Syndikus zur Kenntnis, gemeinsam<br />

mit der anfragenden Abteilung, Verantwortung zu übernehmen.<br />

Die oben dargestellte, eher traditionelle Sicht der Syndikusstellung<br />

im Unternehmen führt nicht zwingend zur skizierten<br />

Serviceorientierung. Insgesamt sind Überlegungen<br />

in diesem Bereich für den Syndikus eher neu, was auch die<br />

erst beginnende Diskussion zur Frage des Qualitätsmanagement<br />

im Anwaltsbereich 20 etwa beredt zeigt.<br />

Die stetig zunehmende Normenflut und traditionell in<br />

der Bewertung eher zurückhaltende Syndici haben mit dazu<br />

beigetragen, daß eine weitere wesentliche Forderung an<br />

den Syndikus heute die ist, konstruktiv handeln zu wollen.<br />

Schon bei der Einstellung macht sich eine gewisse Angst<br />

der Unternehmen deutlich bemerkbar, keinesfalls einen<br />

„Verhinderungsjuristen“ 21 an Bord zu nehmen wollen. Jeder<br />

forensisch tätige Anwalt weiß, daß es einfacher ist, eine<br />

Klage an einem anspruchsbegründenden Detail scheitern zu<br />

lassen, statt alle gesetzlichen Merkmale tatbestandlich zu<br />

begründen und erforderlichenfalls zu beweisen. Dabei ist<br />

der Syndikus in der besseren Position. Häufiger geht es in<br />

seinem Arbeitsbereich darum, zukünftiges unternehmerisches<br />

Handeln zu ermöglichen. Stellt er fest, daß der<br />

gewünschte Weg juristisch nicht gangbar ist, so gilt es,<br />

gemeinsam mit den beteiligten Abteilungen des Unternehmens<br />

nach juristisch gangbaren Handlungsalternativen zu<br />

suchen.<br />

4. Ausblick<br />

Betrachtet man die dargestellte Situation, so wird deutlich,<br />

wo die Stärken und Schwächen des Syndikus heute<br />

liegen.<br />

Stark ist er im fachlichen Bereich. Selten hört man Forderungen<br />

nach einer mehr auf die Bedürfnisse der Unternehmen<br />

abgestimmten juristischen Ausrichtung22 . Insofern erfährt<br />

die Leistung des Unternehmensanwaltes weiterhin<br />

deutliche Anerkennung. Für das Selbstverständnis stellt sich<br />

hier allenfalls die Frage, ob der Trend Richtung vielseitig<br />

einsetzbarem Unternehmensanwalt geht oder eher der Spezialist<br />

im Unternehmen gesucht werden wird. Die Antwort<br />

wird auch von der Größe des einzelnen Unternehmens und<br />

der Größe der entsprechenden Rechtsabteilungen abhängig<br />

sein.<br />

Ein Problem wird indessen im häufig mangelnden wirtschaftlichen<br />

Verständnis gesehen.<br />

Das Selbstverständnis des Syndikus wandelt sich vor<br />

diesem Hintergrund und muß sich ändern, will er auch weiterhin<br />

in Konkurrenz mit Wirtschaftswissenschaftlern und<br />

anderen Berufsgruppen in den Unternehmen eine verantwortungsvolle<br />

Rolle spielen.<br />

Statt in erster Linie Anwalt oder Jurist zu sein, muß er<br />

Manager werden, der vor anwaltlichem Hintergrund mit juristischer<br />

Ausbildung denkt und handelt. Hierbei ist die Reihenfolge<br />

der Begriffe durchaus als Priorität zu verstehen,<br />

auch wenn nur die Teilbereiche gemeinsam ein sinnvolles<br />

Selbstverständnis des modernen Syndikus ergeben.<br />

20 Vgl. hierzu Kleine-Cosack NJW 94, 2249ff., Redeker NJW 95, 1241ff.<br />

21 Mit dieser Haltung der Unternehmen wird der Bewerber, wenn auch nicht in<br />

dieser Deutlichkeit, regelmäßig bei Gesprächen konfrontiert werden.<br />

22 Es könnte überlegt werden, in der Referendarzeit eine entsprechende Stage zu<br />

integrieren. In der Universitätsausbildung findet der wirtschaftliche Aspekt<br />

keinerlei Niederschlag. Die in der Vergangenheit noch obligatorische Übung<br />

in Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre, die im ersten oder zweiten Semester<br />

zu leisten war, ist ersatzlos gestrichen worden.<br />

Zur Entstehung und<br />

Bedeutung des § 26a Abs. 1<br />

Nr. 3 und Abs. 2 StPO<br />

– Richterablehnung und Prozeßverschleppung –<br />

Ministerialrat Karl Kröpil, Hildesheim<br />

1. Einführung<br />

§ 26a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StPO enthält expressis verbis nicht<br />

das Merkmal des Mißbrauchs wie § 241 Abs. 1 und § 138a Abs. 1<br />

Nr. 2 StPO. Diese Vorschrift beinhaltet aber nach herrschender<br />

Meinung 1 einen prozessualen Mißbrauchstatbestand. Diese Einschränkung<br />

belegt auch die Entstehungsgeschichte.<br />

2. Entwürfe 1894/1895<br />

In Artikel II § 26a des dem Reichstag unter dem 6. Dezember<br />

1894 vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Änderungen<br />

und Ergänzungen des GVG und der StPO, war eine Bestimmung<br />

vorgesehen, nach welcher der Vorsitzende befugt sein sollte, ein<br />

Ablehnungsgesuch als unzulässig zu verwerfen, wenn es in der offenbaren<br />

Absicht angebracht worden sei, das Verfahren zu verschleppen<br />

2 .<br />

In der Begründung 3 wird darauf hingewiesen, daß die gegenwärtigen<br />

Bestimmungen über Ablehnung von Gerichtspersonen<br />

vielfach zu Mißbräuchen geführt hätten. Nach § 27 Abs. 1 und<br />

§ 29 StPO habe ein Richter, gegen den ein Ablehnungsgesuch angebracht<br />

ist, in der Regel sofort auszuscheiden und sich weiterer<br />

Amtshandlungen zu enthalten. Dies gelte nach herrschender Meinung<br />

der Praxis auch dann, wenn das Gesuch offenbar unbegründet<br />

und lediglich zur Verschleppung der Sache angebracht sei, oder<br />

wenn es der in § 26 Abs. 2 StPO aufgeführten Voraussetzungen,<br />

nämlich der Angabe eines Ablehnungsgrundes und der Glaubhaftmachung,<br />

entbehre. Daher liegt es in der Hand des Angeschuldigten,<br />

durch mißbräuchliche Anbringung von unbegründeten Ablehnungsgesuchen<br />

das Gericht beschlußunfähig zu machen, dieses<br />

Verfahren nach Verwerfung seines Gesuchs zu wiederholen und so<br />

seine Aburteilung erheblich zu verzögern. Ein derartiger, das Ansehen<br />

der Rechtspflege auf das schwerste schädigender Unfug sei<br />

mehrfach vorgekommen. Daher wird Handlungsbedarf bejaht. Als<br />

der einfachste Weg erscheine es, den abgelehnten Richter, wie es<br />

die norwegische Strafprozeßordnung von 1887 4 anordne, grundsätzlich<br />

von der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht<br />

auszuschließen, vielmehr sein Ausscheiden von dem Ermessen des<br />

Gerichts abhängig zu machen. Dieser Weg wird jedoch schon mit<br />

Rücksicht auf die „peinliche Lage“, in welche er den abgelehnten<br />

Richter bringe, für nicht beschreitbar gehalten. Es empfehle sich<br />

vielmehr, zwischen der Prüfung der äußeren Erfordernisse des Ab-<br />

1 Zum Beispiel Rüping/Dornseiffer JZ 1977, 417, 418; Weber GA 1975, 289,<br />

297; Schäfer in LR 24. Auflage Einleitung Kapitel 10 Rdnr. 13; Pfeiffer in KK<br />

3. Auflage Einleitung Rdnr. 22a.<br />

2 Stenographische Berichte über Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 3. Session 1894/95 – 1. Anlagenband – Aktenstück Nr. 15 S. 55, 57.<br />

3 AaO, S. 73, 74.<br />

4 AaO, Aktenstück Nr. 15, Anlage D.


576<br />

l<br />

lehnungsgesuches (Rechtzeitigkeit, Angabe eines Ablehnungsgrundes,<br />

Glaubhaftmachung) und derjenigen seiner sachlichen Begründung<br />

zu unterscheiden. Bei der Prüfung der sachlichen Begründung<br />

solle es bei dem bestehenden Recht bleiben, da, der abgelehnte<br />

Richter bei dieser Entscheidung nicht mitzuwirken habe. Hinsichtlich<br />

der äußeren Erfordernisse wird dagegen die Befugnis dem Vorsitzenden<br />

übertragen und zwar in Anlehnung an das österreichische<br />

Recht 5 . Nach der Begründung erscheint es unbedenklich, dem<br />

Mangel der lediglich formalen Voraussetzungen des Antrags den<br />

Fall gleichzustellen, wenn das Ablehnungsgesuch in der offenbaren<br />

Absicht angebracht ist, nur das Verfahren zu verschleppen, und die<br />

Entscheidung auch über diese Frage in die Hand des Vorsitzenden<br />

zu legen. Denn bei dieser Entscheidung – so die Begründung – ist<br />

nicht in eine Prüfung der sachlichen Begründung des Antrags einzutreten,<br />

vielmehr hat sie sich auf die Feststellung zu beschränken,<br />

ob ein ernstliches Ablehnungsgesuch vorliegt, d. h. ob der Antragsteller<br />

in Wahrheit eine Befangenheit des abgelehnten Richters besorgt.<br />

Des weiteren wird darauf hingewiesen, daß schon aufgrund<br />

der bestehenden Rechtsordnung die Gerichte wie im Urteil des RG<br />

vom 3. Nov. 1884 RGSt 11, 224 die Auffassung vertreten, daß ein<br />

bereits früher angebrachtes und als unbegründet verworfenes Ablehnungsgesuch,<br />

wenn es ohne neue tatsächlichen Begründungen<br />

wiederholt werde, als unzulässig vom Gericht zurückgewiesen werden<br />

könne, ohne daß die Richter, gegen welche das Gesuch gerichtet<br />

ist, an der Beteiligung an diesem rein formellen Beschlusse gehindert<br />

seien. In der Begründung heißt es weiter, daß die Entscheidung<br />

dem Vorsitzenden auch nicht entzogen werden könne, wenn<br />

das Gesuch gegen ihn selbst gerichtet, sei, da sonst der Zweck des<br />

Gesetzes vereitelt werden könnte.<br />

In Übereinstimmung mit den hierzu gefaßten Beschlüssen der<br />

Reichstagskommission6 ist diese Bestimmung in dem dem Reichstag<br />

unter dem 13.12.1895 wiederholt vorgelegten Gesetzentwurf<br />

nur insoweit geändert worden, als die Entscheidung über das Vorliegen<br />

offenbarer Verschleppungsabsicht nicht dem Vorsitzenden,<br />

sondern dem Gericht mit der Maßgabe zugewiesen wurde, daß zur<br />

Verwerfung des Gesuches aus diesem Grunde Einstimmigkeit erforderlich<br />

sei 7 .<br />

Die Begründungen beider Entwürfe gingen übereinstimmend<br />

davon aus, daß die vorgeschlagene Änderung einem praktischen<br />

Bedürfnis der Rechtspflege entspreche, um dem nach dem geltenden<br />

Recht möglichen und tatsächlich auch vorkommenden Mißbrauch<br />

des Ablehnungsrechts entgegenzutreten 8 .<br />

Der Bericht der Reichstagskommission vom 20.4.1896 teilte<br />

diese Auffassung und nahm § 26a mit geringfügigen – hier nicht<br />

interessierenden – Änderungen einstimmig an9 . Eine neue Regierungsvorlage<br />

wollte die fakultative Ablehnung bei offenbarer Verschleppungstendenz<br />

zur obligatorischen machen. Nachdem von einem<br />

Kommissionsmitglied darauf hingewiesen war, daß es zur<br />

Schonung der etwaigen Empfindlichkeit des abgelehnten Richters<br />

richtiger sei, es bei der fakultativen Ablehnung zu belassen, wurde<br />

der Kommissionsbeschluß erster Lesung einstimmig angenommen.<br />

Danach lautet § 26 a wie folgt:<br />

Ist das Ablehnungsgesuch verspätet oder nicht unter Angabe<br />

und Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes eingebracht worden,<br />

so hat das Gericht mit Einschluß des abgelehnten Richters<br />

das Ablehnungsgesuch als unzulässig zu verwerfen. In gleicher<br />

Weise kann das Gericht das Gesuch verwerfen, wenn es einstimmig<br />

der Ansicht ist, daß dasseIbe offenbar nur in der Absicht, das<br />

Verfahren zu verschleppen, eingebracht ist10 .<br />

§ 26a wurde in der zweiten Beratung in der Fassung der Kommission<br />

ohne Debatte angenommen11 . In der dritten Beratung wurde<br />

§ 26a nicht mehr behandelt, vielmehr scheiterte der Gesetzentwurf<br />

aus anderen Gründen12 .<br />

3. StPÄG 1964<br />

§ 26a wurde erst durch Artikel 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung<br />

der StPO und des GVG vom 19.12.196413 – sog. StPÄG 1964<br />

– in die StPO eingefügt14 . Die Richterbezeichnungen in Absatz 2<br />

Satz 3 der heutigen Fassung entstammen Artikel 1 Nr. 5 des ersten<br />

Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom<br />

9.12.197415 .<br />

AnwBl 11/97<br />

Aufsätze<br />

Durch Artikel 5 Nr. 1 bis 3 des sog. StPÄG 196416 wurden weiterhin<br />

in §§ 23, 25, 26, 28 die Ausschließung und Ablehnung des<br />

Richters neu gestaltet.<br />

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum sog. StPÄG<br />

196417 hat dieser die Aufgabe u. a. hinsichtlich der Gestaltung auch<br />

des Hauptverfahrens den dringendsten Reformanliegen zu entsprechen18<br />

. Der Entwurf beschränkt sich nach der Begründung auf solche<br />

Änderungen, die sich organisch in das Gesamtgefüge des geltenden<br />

Strafverfahrensrechts einfügen und in ihrer Auswirkung<br />

überschaubar sind19 . Es wird in der Begründung darauf hingewiesen,<br />

daß in §§ 25 ff. wirksame Vorkehrungen dagegen eingebaut seien,<br />

das Ablehnungsrecht zum Schaden der Strafrechtspflege zu mißbrauchen20<br />

. Zur Unzulässigkeit der Ablehnung nach § 26a Abs. 1<br />

Nr. 3 wird angemerkt, daß das Gesetz bisher nicht ausdrücklich bestimmt<br />

habe, wann die Ablehnung als unzulässig verworfen werden<br />

kann und ob der abgelehnte Richter bei dieser Entscheidung mitwirken<br />

darf21 . Die Begründung nimmt Bezug auf die Rechtsprechung<br />

des Reichsgerichts22 und des Bundesgerichtshofs23 , welche die Zulässigkeit<br />

des im Entwurf vorgesehenen Verfahrens schon für das<br />

geltende Recht aus allgemeinen Grundsätzen gefolgert haben. Es<br />

wird jedoch für angemessen gehalten, diesen Fragenkreis, der von<br />

erheblicher praktischer Bedeutung sei, durch das Gesetz selbst zu<br />

entscheiden. Es wird für notwendig erachtet, eine Verwerfung der<br />

Ablehnung als unzulässig vorzusehen; wenn die Ablehnung offensichtlich<br />

nur in Verschleppungsabsicht angebracht wird. Die Begründung<br />

weist auf die entsprechende Vorschrift im Beweisrecht § 244<br />

Abs. 3 Satz 2 StPO hin. Des weiteren wird eine Verwerfung der Ablehnung<br />

als unzulässig, vorgeschlagen, wenn durch das Ablehnungsgesuch<br />

offensichtlich nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden.<br />

Beispielhaft werden Demonstrationszwecke genannt24 . Für<br />

diese Alternative, die als Oberbegriff für die erste Alternative angesehen<br />

werden kann25 , gibt es im Gegensatz zur Verschleppungsabsicht26<br />

keine feste und ständige Rechtsprechung und keinen vergleichbaren<br />

Vorgang in der Entwurfsgeschichte27 .<br />

Nach der Begründung ist § 26 Abs. 1 Nr. 3 nicht anwendbar,<br />

wenn mit der Ablehnung neben den angegebenen gleichzeitig auch<br />

andere Zwecke erstrebt werden28 .<br />

§ 26a gilt, worauf die Begründung unter Bezug auf die Fassung<br />

des Gesetzestextes hinweist, nur für die „Ablehnung eines Richters“,<br />

d. h. eines einzelnen Richters, nicht für die Ablehnung des<br />

5 AaO, Aktenstück Nr. 15, Anlage D.<br />

6 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 4. Session 1895/97 – 1. Band S. 307 (A).<br />

7 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 4. Session 1895/1897 – 1. Anlagenband – Aktenstück Nr. 73<br />

S. 341, 343, 358.<br />

8 Wie FN 2 und 3 und FN 7.<br />

9 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 4. Session – 1895/97 – 3. Anlagenband – Aktenstück Nr. 294<br />

S. 1577, 1620, 1621.<br />

10 AaO, S. 1621.<br />

11 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 4. Session – 1985/1897 – 5. Band S. 3237 (C), 3252 (B).<br />

12 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 9. Legislaturperiode<br />

– 4. Session – 1985/97 – Band 5 S. 3883 ff., 3911 ff., 3935 (D), es<br />

ging um die gerichtsverfassungsgesetzliche Frage der Besetzung der Strafkammer<br />

und die Berufung gegen Urteile der Strafkammer 1. Instanz, aaO, S. 3931.<br />

13 BGBl. I S. 1067.<br />

14 AaO, S. 1075.<br />

15 BGBl. I S. 3393.<br />

16 BGBl. I S. 1067,1074,1075.<br />

17 BT DRS IV 178 S. 15 ff.<br />

18 AaO, S. 15.<br />

19 AaO, S. 15, 16.<br />

20 AaO, S. 34.<br />

21 AaO, S. 35.<br />

22 Siehe z. B. RGSt 27, 175; 30, 273, 274, 275; 56, 49; für den Zivilprozeß: RG<br />

JW 1901, 397 Nr. 6 und 1904, 64 Nr. 28.<br />

23 Siehe z. B. Urteil des BGH vom 21.1.1954 – 5. StR 825/92; BGH MDR 1955,<br />

271.<br />

24 Wie FN 17 S. 35.<br />

25 Wendisch LR StPO u. GVG, 24. Auflage § 26a Rdnr. 22.<br />

26 RGSt 30, 273 m. w. N.<br />

27 Wie FN 25.<br />

28 Wie FN 24.


AnwBl 11/97 577<br />

Aufsätze l<br />

Gerichts oder eines seiner Spruchkörper als solchen. Derartige Gesuche<br />

sind nach der Begründung 29 vom Gericht in seiner gewöhnlichen<br />

Besetzung zu verwerfen. Diese Frage wird als durch die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung geklärt bezeichnet 30 . Um Mißbräuchen entgegen<br />

zu wirken, entscheidet das Gericht nach § 26a Abs. 2 S. 1, ohne<br />

daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Es wird unter Hinweis auf<br />

die Regelung in § 25, wonach der abgelehnte Richter an der Entscheidung<br />

nicht teilnehmen darf, betont, daß eine solche Verfahrensweise<br />

auch für unzulässige Ablehnungsgesuche „Mißbräuchen Tür und Tor“<br />

öffneten, da die Tätigkeit des Gerichts durch den Angeklagten immer<br />

wieder lahm gelegt werden könnte.<br />

Im Interesse einer geordneten Strafrechtspflege sei schon aufgrund<br />

des geltenden Rechts die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

dem entgegengetreten 31 . Der Entwurf will die von der Rechtsprechung<br />

entwickelten Grundsätze durch eine ausdrückliche Vorschrift<br />

festlegen. Die Regelung in Abs. 2 S. 3 32 wird dem Beschuldigten<br />

die Möglichkeit genommen, durch unzulässige Ablehnungsgesuche<br />

das Gericht beschlußunfähig zu machen, das gleiche Verfahren<br />

nach Erledigung des Antrags zu wiederholen und auf diese Weise<br />

dem Verfahren Hindernisse in den Weg zu legen 33 .<br />

Der Mißbrauchstatbestand in § 26a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 hat<br />

weder in der Formulierung der Voraussetzungen noch in der Verfahrensweise<br />

eine Veränderung erfahren. Sowohl die in Bezug genommene<br />

Rechtsprechung als auch die Begründung machen deutlich,<br />

daß es sich um einen Mißbrauchstatbestand handelt und diese<br />

Regelung hinsichtlich der Erfolglosigkeit des Ablehnungsantrages<br />

nur deklaratorische Bedeutung hat, da von einem allgemeinen Mißbrauchsverbot<br />

ausgegangen wird. Gründe der Praktikabilität haben<br />

den Gesetzgeber zu dieser Regelung veranlaßt.<br />

4. Aktueller Änderungsvorschlag<br />

Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der<br />

Rechtspflege (Strafrechtlicher Bereich) 34 fügt durch Artikel 2 Nr. 3<br />

den bisher in Absatz 1 enthaltenen Kriterien der Unzulässigkeit die<br />

offensichtliche Unbegründetheit der Ablehnung hinzu 35 .<br />

5. Zum Begriff der Verfahrensverschleppung<br />

i. S.v. § 26a Abs. 1 Nr. 3<br />

5.1 Die übliche Definition der Verfahrensverschleppung lautet:<br />

Verschleppungsabsicht liegt vor, wenn der Antragsteller nur eine<br />

Verzögerung der Hauptverhandlung bezweckt. Das muß offensichtlich,<br />

also ohne weitere Nachforschung feststellbar sein 36 .<br />

5.2 Obwohl der Gesetzeswortlaut die Absicht der Verfahrensverschleppung<br />

nicht ausdrücklich enthält, wird diese zu Recht angenommen.<br />

Die subjektive Seite ist dem § 26a Abs. 1 Nr. 3 durch<br />

die Formulierung „verfolgt werden sollen“ zu entnehmen. Verschleppungsabsicht<br />

ist nicht allein aus der Häufung der Anträge zu<br />

folgern, sondern der Antragsteller muß wissen, daß er nur das Entscheidungsverfahren,<br />

auf das es ihm ankommt, und nicht das Ausscheiden<br />

des Richters, auf das es ihm nicht ankommt, erreichen<br />

kann 37 . Verschleppungsabsicht ist danach gegeben, wenn der Antragsteller<br />

eine das Verfahren verzögernde Entscheidung, aber gar<br />

nicht das Ausscheiden des abgelehnten Richters, somit keine Entscheidung<br />

in der Sache, erstrebt.<br />

5.3 Die Formulierung „nur verschleppt“ bedeutet, daß die Voraussetzungen<br />

der Ablehnung nicht vorliegen, wenn ein weiterer zulässiger<br />

Zweck erstrebt wird 38 . Wenn die Ablehnung des Richters<br />

begründet sein kann, ist die Absicht, daß das Verfahren nur verschleppt<br />

werden soll, nicht gegeben 39 . Sollte der Antragsteller<br />

gleichwohl nur die Absicht der Verschleppung haben, fehlt es an<br />

der erforderlichen „Offensichtlichkeit“.<br />

5.4 Offensichtlichkeit bedeutet, daß keine Zweifel bestehen 40 .<br />

Zweifel bestehen nicht; wenn die Nur-Verschleppungsabsicht ohne<br />

weitere Nachforschungen feststellbar ist 41 . Offensichtlichkeit ist zu<br />

bejahen, wenn der Ablehnende zu erkennen gibt, daß ihm das Ausscheiden<br />

des Richters selbst dann gleichgültig ist, wenn sein Ablehnungsgesuch<br />

begründet ist 42 .<br />

5.5 Eine gute und umfassende Definition gibt der 5. Strafsenat<br />

im Urteil vom 17.12.1954 43 , also längst vor Aufnahme des § 26a in<br />

die StPO durch das sog. StPÄG 1964 44 : „Die Verwerfung aus dem<br />

Gesichtspunkt der Verschleppungsabsicht ist nur da gerechtfertigt,<br />

wo die Nichternstlichkeit der Ablehnung und die ausschließliche<br />

Absicht der Verschleppung keinem Zweifel unterliegen kann. Von<br />

einer zweifelsfreien, ausschließlichen Verschleppungsabsicht kann<br />

aber dann keine Rede sein, wenn ein Antragsteller befürchtet, ein<br />

Gericht sei deshalb nicht mehr unbefangen, weil er vor ihm schon<br />

ein oder mehrere Male als Angeklagter gestanden hatte. Denn bei<br />

einem Laien wird ein solcher Zweifel meist sehr naheliegen, so<br />

daß ein entsprechendes Ablehnungsgesuch von ihm im allgemeinen<br />

durchaus ernst gemeint und keineswegs nur zum Scheine vorgebracht<br />

sein wird“.<br />

6. Zum Begriff der verfahrensfremden Zwecke<br />

i. S.v. § 26a Abs. 1 Nr. 3<br />

6.1 Diese zweite Alternative des Mißbrauchstatbestandes wird<br />

als Oberbegriff im Vergleich zur ersten Alternative der Verfahrensverschleppung<br />

angesehen 45 .<br />

6.2 Die Norm selbst gibt keine weiteren Anhaltspunkte für die<br />

Definition der verfahrensfremden Zwecke. Es muß daher von den<br />

Zwecken des Strafverfahrens ausgegangen werden. Im Strafprozeß<br />

soll eine materiell richtige, justizförmige und Rechtsfrieden schaffende<br />

Entscheidung46 getroffen werden. Danach sind die Zwecke,<br />

die diesen Postulaten nicht dienen oder gar widersprechen verfahrensfremd.<br />

Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft Demonstrationszwecke<br />

47 . Die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke ist gegeben,<br />

wenn die Besorgnis der Befangenheit nur vorgeschoben wird,<br />

um in der Form eines Ablehnungsantrages zu demonstrieren48 . Das<br />

Ausdrücken der Verachtung der Rechtspflege oder des grundsätzlichen<br />

Mißtrauens in die Rechtspflege 49 sowie die Verunglimpfung<br />

des abgelehnten Richters50 in Form eines Ablehnungsantrages werden<br />

nicht von den Verfahrenszielen gedeckt und sind daher als verfahrensfremd<br />

zu bezeichnen 51 .<br />

6.3 Die Darstellung zur subjektiven Seite 52 , zur Exklusivität<br />

des verfolgten Zwecks 53 und zur Offensichtlichkeit 54 gelten auch<br />

für die zweite Alternative. Ergänzend ist zur subjektiven Seite anzumerken,<br />

daß allein aus der objektiven Verzögerung die durch die<br />

Antragstellung und Bescheidung55 entsteht, nicht geschlossen wer-<br />

29 Wie FN 24.<br />

30 Siehe z. B. RGSt 27, 175; 56, 49 ff. m. w. N.; Bay. ObL St 18, 32, 37; bezüglich<br />

des Zivilprozesses RG JW 1901, 397 Nr. 6 und 1904, 64 Nr. 28; schon in<br />

den Motiven (Hahn 1. 90) wurde eine Vorschrift über die Ablehnung eines<br />

Gerichts für überflüssig erachtet, weil klar sei, daß sich die Ablehnung immer<br />

nur gegen einzelne Richter wenden könne.<br />

31 Siehe RGSt 30, 273 m. w. N.<br />

32 Jetzige Fassung durch Artikel 1, 5 des ersten StVRG vom 9.12.1974 – BGBI.<br />

I 3393.<br />

33 Siehe 2. und FN 7 zu früheren Entwürfen.<br />

34 BR DRS 633/95.<br />

35 Zur Begründung siehe weiter aaO, S. 30, 31.<br />

36 Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Auflage § 26a Rdnr. 6; siehe auch Wendisch<br />

LR StPO und GVG 24. Auflage § 26a Rdnr. 20, 21; Paulus KMR StPO<br />

8. Auflage, 11. Ergänzungslieferung § 26a Rdnr. 7, 8.<br />

37 Wendisch aaO, Rdnr. 20; Paulus aaO Rdnr. 7.<br />

38 So auch die Gesetzesbegründung BT DRS IV 178 S. 35; siehe auch 3; Wendisch<br />

aaO, Rdnr. 20.<br />

39 Wendisch, wie FN 36; Bay. ObLG VRS 44, 206.<br />

40 Wendisch aaO, Rdnr. 21.<br />

41 Pfeiffer KK StPO 3. Auflage § 26a Rdnr. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner wie<br />

FN 36; Paulus wie FN 36 Rdnr. 8.<br />

42 Wendisch wie FN 36, Rdnr. 21.<br />

43 5StR 567/54 bei Dallinger MDR 1954, 271; zur früheren Rechtsprechung siehe<br />

auch RGSt 11, Z4; 30, 273; 56, 49; RG JW 1901, 397; RG LZ 1918, 284;<br />

BayObLST 18, 35.<br />

44 Siehe 3. und FN 13, 14.<br />

45 Wendisch, wie FN 36 Rdnr. 22.<br />

46 Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Auflage § 1 B II Rdnr. 3.<br />

47 BT DRS IV 178 S. 35.<br />

48 KG GA 1974, 220.<br />

49 OLG Koblenz MDR 1977, 425 = GA 1977, 184 f.<br />

50 KG JR 1966, 229, 230.<br />

51 Siehe auch die Bespiele von Weiss AnwBl 1981, 321, 325, die allerdings auch<br />

die erste Alternative erfüllen können.<br />

52 Siehe 5.2.<br />

53 Siehe 5.3.<br />

54 Siehe 5.4.<br />

55 Siehe §§ 26a Abs. 2, 28 Abs. 2, 34; 35 Abs. 1 S. 1, 274; 35 Abs. 2 S. 1 StPO.


578<br />

l<br />

den kann, nur verfahrensfremde Zwecke werden verfolgt. Die Wiederholung<br />

abgelehnter Anträge ohne Veränderung der Sachlage lassen<br />

diesen Schluß allerdings zu. Aus der Feststellung, der Ablehnungsantrag<br />

enthält objektiv einen verfahrensfremden Zweck, wird<br />

zumindest in der Regel auf die Bejahung der subjektiven Seite geschlossen<br />

werden können. Es dürfte wohl auszuschließen sein, daß<br />

ein Verfahrensbeteiligter die Ablehnung eines Richters zwar objektiv<br />

zu verfahrensfremden Zwecken beantragt, ohne aber dies auch<br />

in Kenntnis und mit dem entsprechenden Willen zu tun.<br />

7. Bedenken gegen die Mißbrauchsvorschrift und Stellungnahme<br />

Gegen die weit gefaßte und mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe<br />

enthaltende Mißbrauchsvorschrift werden Bedenken erhoben<br />

56 .<br />

7.1 Die Entscheidung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters<br />

berge die Gefahr, daß bei der Abwägung der Interessen des<br />

Beschuldigten gegenüber den öffentlichen Interessen, dem Wunsch<br />

des ungestörten Verfahrensfortgangs der Vorrang eingeräumt werde<br />

57 .<br />

Diese Gefahr muß zwar gesehen und sorgfältig untersucht werden,<br />

ob sie sich in der Justizpraxis verwirklicht. Aber da bislang<br />

hierzu Untersuchungen den Mißbrauch der Vorschrift durch die<br />

Gerichte nicht belegen, dürfte die Kritik gegen die weit gefaßte<br />

und mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe enthaltende Mißbrauchsvorschrift<br />

insoweit nicht gerechtfertigt sein. Die zweite Alternative<br />

(verfahrensfremde Zwecke) könnte Grundlage für eine allgemeine<br />

gesetzliche Mißbrauchsklausel sein 58 . Nach den bisherigen rechtstatsächlichen<br />

Erkenntnissen ist davon auszugehen, daß die Gerichte<br />

die Vorschrift zutreffend anwenden. Da eine Anfechtung der Entscheidung<br />

möglich ist 59 , ist auch der Abbau von Schutzpositionen<br />

des Beschuldigten nicht zu befürchten. Wenn die Mißbrauchsvorschrift<br />

zutreffend angewandt wird, kann es zu keinem Verlust oder<br />

Abbau von Schutzpositionen kommen, denn diese Mißbrauchsvorschrift<br />

greift ebenso wie andere Mißbrauchsregelungen 60 nicht in<br />

geschützte Rechte eines am Verfahren Beteiligten ein, denn<br />

Rechtspositionen, die Mißbrauch gewähren, gibt es nicht.<br />

7.2 Des weiteren wird dieser Mißbrauchsvorschrift keine Bedeutung<br />

beigemessen, da es kaum nachweisbar sei, daß offensichtlich<br />

das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde<br />

Zwecke verfolgt werden 61 . Da es sich bei dieser Mißbrauchsvorschrift<br />

um eine Ausnahmeregelung handelt, spricht die schwierige<br />

Nachweisbarkeit nicht gegen die Notwendigkeit des Gesetzes. Allerdings<br />

würde die Anwendung in der Praxis erleichtert, wenn<br />

nicht an subjektive Elemente, sondern an objektiv erkennbares<br />

mißbräuchliches Verhalten angeknüpft würde 62 .<br />

7.3 Unabhängig von der schwierigen Beweissituation wird darauf<br />

hingewiesen, daß die erste Alternative wegen der Konzentrationsmaxime<br />

in § 25 Abs. 1 S. 2 StPO und der Verpflichtung, Ablehnungsgründe,<br />

die erst nach dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 S. 1<br />

StPO eintreten oder bekannt werden, unverzüglich vorzubringen<br />

und glaubhaft zu machen (§ 25 Abs. 2 StPO), im Hinblick auf die<br />

in § 26a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO geregelten Ablehnungsgründe<br />

kaum Anwendung finden könnte 63 . Dem ist zuzustimmen.<br />

7.4 Im übrigen könnte auf die erste Alternative auch wegen der<br />

zweiten Alternative verzichtet werden, wenn diese die erste Alternative<br />

– wie vertreten wird 64 – mit umfaßt.<br />

Die Annahme, daß es sich bei der Prozeßverschleppung (erste<br />

Alternative) um einen Unterfall der verfahrensfremden Zwecke<br />

(zweite Alternative) handelt, wird in der Kommentarliteratur nicht<br />

begründet. Sie ist aber aus folgenden Erwägungen zutreffend. Der<br />

Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung ist zwar in der StPO nicht<br />

ausdrücklich enthalten, aber er liegt mehreren Vorschriften 65 zugrunde<br />

und ist in Artikel 5 Abs. 3 S. 3, Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK 66<br />

und Artikel 14 Abs. 3c IPBPR 67 festgelegt. Wenn das Beschleunigungsgebot<br />

auch in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten<br />

dient, wie den eben genannten Vorschriften deutlich zu entnehmen<br />

ist, so liegt es doch auch im öffentlichen Interesse, das Verfahren,<br />

insbesondere Strafprozesse, in angemessener Zeit durchgeführt<br />

werden 68 . Die Beschleunigung dient dem Postulat, eine materiell<br />

richtige Entscheidung zu treffen 69 , da ihr eine wahrheitssichernde<br />

Funktion zukommt 70 . Folgt man dieser Überlegung, so ist die Prozeßverschleppung<br />

als den anerkannten Verfahrenszwecken nicht<br />

dienend oder gar widersprechend zu qualifizieren. Daraus folgt,<br />

AnwBl 11/97<br />

Aufsätze<br />

daß die Prozeßverschleppung zutreffend als Unterfall der Verfolgung<br />

von verfahrensfremden Zwecken angesehen wird.<br />

Unabhängig davon, ob man der Überlegung unter 7.3 folgt,<br />

kann aus dem eben dargelegten auf die erste Alternative verzichtet<br />

werden, ohne daß der Anwendungsbereich dieser Mißbrauchsvorschrift<br />

eingeschränkt wird.<br />

56 Wendisch wie FN 36 Rdnr. 4; Deckers AnwBl 1981, 316, 319.<br />

57 Wendisch wie FN 56.<br />

58 Zur Schaffung einer allgemeinen Mißbrauchsklausel Rebmann DRiZ 1979,<br />

363, 369; NStZ 1984, 241, Ablehnend: Meyer JR 1980, 218, 219, 220; Scheffler<br />

JR 1993, 170, 171; Strate STV 1990, 393; J. Schulz StV 1991, 362; Weber<br />

GA 1975, 289, 299, 300; Vogel NJW 1978, 1217; Schlüchter das Strafverfahren<br />

2. Auflage S. 591 unter 552.2., siehe neuerdings Kröpil ZRP 1997, 9 ff.<br />

59 Zur sofortigen Beschwerde § 28 StPO, zur Revision § 338 Nr. 3 StPO.<br />

60 Wie z. B. §§ 241 Abs. 1, 138a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 2,137 Abs. 1 S. 2, 138b,<br />

231a, b, 36a Abs. 1 Nr. 3, 244 Abs. 3 S. 2, 245 Abs. 2 S. 3, 266 Abs. 3 S. 1<br />

StPO.<br />

61 Wendisch FN 36 Rdnr. 21, 23 Deckers AnwBl 316, 319; Weiss AnwBl 1981,<br />

321, 325.<br />

62 Siehe auch Weber GA 1975, 289, 297.<br />

63 Wendisch wie FN 36 Rdnr. 21.<br />

64 Siehe 6.1 und Wendisch wie FN 36 Rdnr. 22.<br />

65 Wie z. B. §§ 115, 121,122, 128, 129, 163 Abs. 2 S. 1, 229, 260 Abs. 1, 268<br />

Abs. 3, 275 StPO.<br />

66 Gesetz über die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />

vom 7. August 1952, BGBl. II S. <strong>685</strong>.<br />

67 Gesetz zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über Bürgerliche<br />

und Politische Rechte vom 15. November 1973, BGBl. II. S. 1533.<br />

68 Gollwitzer LR 24. Auflage, 31. Lieferung: MRK, IPBPR Artikel 6 MRK, Artikel<br />

14 IPBPR Rdnr. 79: Pfeiffer KK 3. Auflage Einleitung Rdnr. 11.<br />

69 Siehe 6.2.<br />

70 BVerfGE 57, 250, 280 = NJW 1981, 1719, 1723.<br />

Abschied vom Einzelanwalt?*<br />

Rechtsanwalt Gerrit Plaas, Mengen<br />

1. „Totgesagte leben lang“<br />

Die Diskussion um das Berufsrecht will nicht enden und<br />

hat die Gemüter vor allem im Bereich der Werbung erhitzt.<br />

Nach dem hinreichend bekannten Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes1<br />

hatte das bisherige Standes-Berufsrecht<br />

weitgehend seine Grundlagen verloren.<br />

In seinem seinerzeitigen Artikel „Abschied vom Einzelanwalt“<br />

2 hatte der Verfasser gewisse Entwicklungen in der<br />

Anwaltschaft befürchtet, die inzwischen nicht nur eingetreten<br />

sind, sondern die Befürchtungen sogar noch übertroffen<br />

haben.<br />

Für den sog. „Einzelkämpfer“, deren es 1988 noch über<br />

60 % der Anwaltschaft waren – ähnlich wie auch heute<br />

noch –, wird für die Zukunft nichts Gutes verheißen, da es<br />

ihnen angeblich an Spezialisierungsmöglichkeiten fehle.<br />

Behauptet wird insbesondere, daß diverse Rechtsgebiete inzwischen<br />

dermaßen komplex und übergreifend geworden<br />

* In Anknüpfung an die Veröffentlichung „Abschied vom Einzelanwalt?“ von<br />

Plaas in AnwBl 1988, 557 ff. Das Manuskript wurde im Sommer 1996 (also<br />

noch vor der Verabschiedung der Berufsordnung RA) abgeschlossen.<br />

1 BVerfG Beschluß vom 14.7.1987 = AnwBl 87, 598.<br />

2 AnwBl 88, 559.


AnwBl 11/97 579<br />

Aufsätze l<br />

seien, daß eine sachgerechte, zumal den wachsenden Spezialmaterien<br />

gerecht werdende Beratung durch Einzelkanzleien<br />

nicht mehr gewährleistet sei.<br />

Pressestimmen im Zusammenhang mit dem 48. Deutschen<br />

Anwaltstag zufolge, sind damit die Tage des Einzelanwaltes<br />

gezählt 3 .<br />

Verständliche Ängste haben sich z. B. bei alteingesessenen<br />

Kollegen breitgemacht, die Fachanwaltsbezeichnungen<br />

vom Briefkopf nehmen, weil befürchtet wird, daß diese<br />

Spezialisierung für den Betreffenden wirtschaftlich „tödlich“<br />

enden könnte 4 .<br />

Diese neue „Perversion des Fachanwaltes“ wäre einer<br />

eigenen Würdigung wert.<br />

Mittlere und Großkanzleien in den wirtschaftlichen Zentren<br />

und an den internationalen Metropolen formieren sich<br />

indessen weiter zu einem Hochspezialistentum, bei gleichzeitigem<br />

Streben nach Organisationsformen internationalen<br />

Standards (z. B. Durchsetzung einer Anwalts GmbH 5 .<br />

Auf Verzerrungen in der Haftungsfrage zwischen solchen<br />

beschränkt haftenden Anwaltsgesellschaften und dem<br />

Einzelanwalt, der weiterhin mit seinem gesamten Privatvermögen<br />

für Fehler einzustehen hat, will ich an dieser Stelle<br />

nicht weiter eingehen.<br />

Man hat somit den Eindruck, als ob die Kollegen „der<br />

höheren Etage“ zu einem unnachahmlichen Höhenflug abheben,<br />

der künftig Anwaltsjuristen in Kategorien verschiedenen<br />

Standards einordnen wird.<br />

Dies wäre im Grunde für den gutsituierten Einzelanwalt<br />

noch erträglich, dessen unbeschadet muß bestritten werden,<br />

daß der Einzelanwalt und mit ihm im Prinzip auch die<br />

kleine Sozietät in dieser veränderten Anwaltslandschaft<br />

von morgen ihren Platz nicht mehr besäße.<br />

Der Verfasser sieht keine Entwicklung bzw. Veränderung,<br />

die es verbieten würde, künftig als Einzelanwalt mit<br />

Erfolg tätig zu sein und möchte allen Kollegen, die erklärte<br />

„Einzelkämpfer“ sind, Mut machen sich nicht beirren zu<br />

lassen.<br />

Die breite Bevölkerung benötigt jetzt und in der Zukunft<br />

den mit den wesentlichen Alltagsmaterien vertrauten Anwalt<br />

ihrer, fast möchte man aus der Praxis heraus sagen „familiären<br />

Umgebung“. Über Formen der Weiterverweisung<br />

an spezialisierte Großkanzleien mag man nachdenken 6 .<br />

Das Modell Allgemeinarzt – Facharzt/Klinik – ist unbestritten<br />

und bedingt auch auf die Anwaltschaft übertragbar 7 .<br />

Es erscheint allerdings fraglich, ob sich ein Überweisungssystem<br />

zwischen dem Anwalt im ländlichen Raum<br />

und den Spezialisten in den Zentren ähnlich wie in der Ärzteschaft<br />

schaffen läßt.<br />

Auffällig sind in diesem Zusammenhang deutliche Unterschiedlichkeiten<br />

in der Preiskalkulation. Während sich in<br />

den Kleinstädten die Anwälte in örtlicher Konkurrenz mühsam<br />

an die BRAGO zu halten versuchen, ist es in den Zentren<br />

bereits weitgehend in Großkanzleien üblich geworden,<br />

auf der Basis von Stundensätzen zwischen DM 300,00 und<br />

DM 500,00 und mehr zu arbeiten.<br />

Einzelanwälte und kleine Kanzleien haben wirtschaftliche<br />

Probleme, derartige Forderungen gegenüber ihren Klienten<br />

durchzusetzen, seien sie inzwischen auch gesetzlich<br />

zulässig und wirtschaftlich wünschenswert.<br />

In der Praxis werden Kollegen aus Kleinkanzleien zu einer<br />

Art „Zubringerdienst“ degradiert, ohne daß es indessen<br />

zu einer nachhaltigen und für den Klienten nützlichen Zusammenarbeit<br />

käme.<br />

Dabei fragt sich am Ende noch, wer den eventuellen,<br />

prozessualen Mißerfolg auszubaden hat (Zitat des Verfassers:<br />

„Wie sag ich’s dem Patienten und erhält ihn doch als<br />

zahlenden Klienten“).<br />

Im Bereich der Vergütung zeigt sich aber, daß Interessen<br />

und Möglichkeiten in der Anwaltschaft in ihren unterschiedlichen<br />

Strukturen bereits heute erheblich auseinanderlaufen.<br />

Freilich gibt es auch hochqualifizierte und<br />

angesehene Ärzte, die es sich leisten können ausschließlich<br />

Privatpatienten zu teuren Honoraren zu Diensten zu sein.<br />

Auf diesem Hintergrund ist auch nichts einzuwenden, wenn<br />

besondere Spezialisten in Großkanzleien überdurchschnittlich<br />

gut verdienen.<br />

Organisationsformen aber in einer Art vertikalen „Verweisungssystem“<br />

werden so kaum funktionieren. Kontakte<br />

zwischen Anwälten haben schon immer bestanden und<br />

Möglichkeiten geschaffen, in besonderen Fällen versiertere<br />

Kollegen einzuschalten, was weder unrühmlich noch wirtschaftlich<br />

nachteilig gewesen ist.<br />

Es fragt sich, ob insoweit überhaupt Handlungsbedarf<br />

besteht.<br />

Der Verfasser hält demgegenüber für viel bedrohlicher,<br />

daß in den nächsten Jahren eine („wohl nicht ganz ungewollte“)<br />

Umstrukturierung der Mandatsflüsse stattfindet,<br />

die vielen Kollegen als Einzelanwälten oder auch kleineren<br />

Kanzleien die Existenz zumindest schwerer machen wird.<br />

Denn die großen Kanzleien befinden sich derzeit noch<br />

in einem Expansionsboom des internationalen Wettbewerbes<br />

und werden dort irgendwann ihre Grenzen im europäischen<br />

oder internationalen Markt finden. Die Folge daraus<br />

könnte sein, daß sich deren Interesse dann verstärkt dem<br />

nationalen Dienstleistungsmarkt zuwendet, indem in neuen<br />

Organisationsformen Dienstleistungsschienen über mittlere<br />

bis in kleine Zentren entwickelt werden. In Österreich, wo<br />

es das Lokalisationsprinzip nicht gibt, haben sich von jeher<br />

schon Strukturen herausgebildet, in denen zumindest Prozeßtermine<br />

in entlegenen Gerichten von Großkanzleien aus<br />

den Zentren selbst wahrgenommen werden.<br />

Der Druck „von oben“ könnte dann in der Weise weitergegeben<br />

werden, daß Kanzleien mittleren Zuschnittes möglicherweise<br />

zwangsläufig veranlaßt werden, ihre Aktivitäten<br />

„auf dem Land“ und in Kleinstädten zu forcieren.<br />

Dabei müssen Einzelanwälte und kleine Sozietäten auf<br />

dem Lande die Aufhebung der Lokalisation im Grunde genommen<br />

nicht fürchten, haben sie doch in den vergangenen<br />

Jahren und Jahrzehnten nur Gebührenanteile durch die Vergabe<br />

notwendiger Mandate eingebüßt.<br />

Als bedauerlich bleibt allerdings festzustellen, daß der<br />

Wettbewerbskampf in der Anwaltschaft zugenommen hat<br />

im Verhältnis zu berufsfremden Branchen wie ebenso in<br />

der Kollegenschaft selbst. Dieser Kampf wird um so härter,<br />

desto mehr er sogleich über Werbung betrieben werden soll.<br />

Der sein Wissen ständig kontrollierende Einzelanwalt ist im<br />

Grunde genommen kein schlechterer Berater der rechtssuchenden<br />

Bevölkerung als sein Kollege in einer Sozietät<br />

oder Großkanzlei, nur sind die Möglichkeiten fachlicher<br />

Spezialisierungen naturgemäß begrenzter. Je mehr eine<br />

3 Zitat Kölner Stadtanzeiger vom 17.6.1995/Südwestpresse Ulm vom 30.5.1995.<br />

4 Kilger AnwBl 96, 11.<br />

5 BayObLG. Beschl. 24.9.1994 (Az: 3 Z BR 115/94).<br />

6 Kilger AnwBl 96, 11.<br />

7 Zitat Koch „Sonderspiegel“ zum 48. Deutschen Anwaltstag S. 32/Verf. AnwBl<br />

88, 559.


580<br />

l<br />

Kanzlei expandiert, um so mehr Fachanwälte und sonstige<br />

Spezialisten wird sie anbieten können. Vervielfältigt über<br />

entsprechend aggressive Werbeaussagen in den Medien,<br />

werden damit Möglichkeiten geschaffen, welche die Kleinkanzlei<br />

nicht kompensieren kann. Gegen Wettbewerb als<br />

solchen innerhalb der Anwaltschaft ist nichts einzuwenden,<br />

der Wettbewerb muß aber fair bleiben, es darf weder ein<br />

gnadenloser Verdrängungswettbewerb zwischen großen und<br />

kleinen Kanzleien entstehen, noch darf die Situation einer<br />

Wettbewerbsverzerrung dadurch geschaffen werden, daß<br />

unterschiedliche Haftungssysteme und insbesondere Werbung<br />

in bestimmten Umfängen erlaubt werden, die praktisch<br />

nur finanzstarken Kanzleien vorbehalten bleiben.<br />

Vermieden werden soll vor allen Dingen auch, daß sich<br />

verschiedene Formen der Umgehung des „Zweigstellenverbotes“<br />

breitmachen.<br />

Das Plazieren von „Alibi-Sozii“ in benachbarten Landgerichtsbezirken<br />

wird durch die Aufhebung der Lokalisation<br />

ab dem Jahre 2000 ohnehin nicht mehr interessant sein.<br />

Interlokal oder interurban dagegen wäre die Errichtung von<br />

gegenseitigen Zweigstellen ebenfalls blanker Unsinn, also<br />

reine Verteuerung der Betriebskosten mit „Null-Effekt“.<br />

In der Diskussion um die neue Berufsordnung und den<br />

hierzu amtlichen Mitteilungen bisher, vermißt der Verfasser<br />

allerdings Kautelen, welche die Umgehung des „Zweigstellenverbotes“<br />

sicherstellen.<br />

Die Regelungen der §§ 27, 28 BRAO verbieten die Errichtung<br />

einer Zweigstelle. Praktisch umgangen wird dieses<br />

Verbot schon dadurch, daß größere Kanzleien in den Nachbarstädten<br />

einen Sozius plazieren, der lediglich formal als<br />

dort ansässiger Kollege erscheint. Wie Briefköpfe und<br />

Praxisschilder beweisen, liegt das Werbeinteresse darin, an<br />

anderen Orten zugleich auch die volle Bandbreite der „Spezialisten“<br />

präsent zu haben und Klienten dadurch anzuwerben.<br />

Wer prüft nach, in welcher Kanzlei welche Klienten<br />

empfangen werden oder welcher Anwalt dort berät?<br />

Würde man dies als unabänderlichen Trend im übrigen<br />

angesehen haben, so würde die anwaltliche Existenz<br />

schlechthin in der Zukunft überhaupt nur noch eingebunden<br />

in einer größeren Organisationsform möglich sein.<br />

Damit würde auch ein Stück Freiheit in der Berufsausübung<br />

verloren gehen, nämlich sich für ein eigenständiges<br />

Erwerbsleben zu entscheiden. Wie zu beobachten ist und<br />

von dem amerikanischen Filmemacher Woody Allen in einem<br />

seiner besten Filme der amerikanischen Gesellschaftskritik<br />

anschaulich beschrieben worden ist, verkommen<br />

diese Art von „angestellten Anwälten“ in Mammutkanzleien<br />

nicht selten zu gestreßten und neurotischen „Fachidioten“,<br />

die ihren Beruf ohne Therapeuten irgendwann nicht<br />

mehr ausüben können.<br />

Den Ausweg aus diesem Dilemma wird letztlich der<br />

Klient aufzeigen d. h., ob er auch weiterhin seinem örtlichen,<br />

vertrauten „Allgemeinanwalt“ die Treue halten will<br />

oder sich künftig gänzlich am Leitbild von Großkanzleien,<br />

die ihre Dienstleistungen über Werbung transportieren wollen,<br />

orientieren wird.<br />

2. Die „Werbeschlacht“ hat begonnen<br />

Als besonders bedrohliches Problem für den Einzelanwalt<br />

hat sich inzwischen das vom Verfasser vorausgesehene<br />

Dilemma um die Werbung entwickelt, so daß man leider inzwischen<br />

mit Fug und Recht von einer regelrechten „Werbeschlacht“<br />

sprechen kann. Die Anwaltskammern landauf,<br />

AnwBl 11/97<br />

Aufsätze<br />

landab, haben sich in einen kaum noch überschaubaren<br />

Clinch mit den Gerichten eingelassen und versuchen offenbar<br />

zu retten, was noch zu retten ist.<br />

Die unübersehbare Fülle von obergerichtlichen Entscheidungen<br />

zum Thema erlaubter Werbung und einzelnen<br />

Werbemaßnahmen kann hier nicht aufgearbeitet werden.<br />

Der Verfasser verfolgt die Entwicklung seit Jahren und<br />

stellt fest, daß inzwischen weder wettbewerbswidrig noch<br />

standeswidrig ist, Werbeaussagen auf Kanzleischildern,<br />

Briefköpfen oder Hausprospekten vorzunehmen, sofern sie<br />

keine aufdringliche Reklame enthalten und nicht auf die<br />

Bewerbung des einzelnen Klienten ausgerichtet sind 8 .<br />

Auch die hochglanzgeprägten, von Selbstdarstellung<br />

strotzenden Hausprospekte großer Kanzleien, bei denen<br />

keine Kosten und Mühen gescheut werden, charakterisieren<br />

den Kampf der national und international operierenden Anwaltschaft<br />

deutlich. Dieser Werbeaufwand war auch vorauszusehen<br />

und kann sicherlich von Einzelanwälten und<br />

Kleinkanzleien nicht bewerkstelligt werden. Allerdings<br />

mehren sich auch in den letzten Jahren verstärkt die verschiedensten<br />

Anzeigen in der örtlichen Tagespresse, in denen<br />

mit Tätigkeitsschwerpunkten, Interessenschwerpunkten<br />

usw. geworben wird.<br />

Jede Veränderung in einer Kanzlei, die früher nur zu einer<br />

bescheidenen Hinweisanzeige geführt hätte, wird nicht<br />

selten heute benutzt, die ganze Palette der betreffenden Sozietät<br />

mit ihrem besonderen „Spezialistentum“ dem breiten<br />

Publikum in der Presse darzustellen.<br />

Gestärkt wurde den Werbewilligen der Rücken durch<br />

wiederholte Entscheidungen der Obergerichte, welche verschiedene<br />

Formen der Werbung inzwischen tolerieren.<br />

Demnach kann man (fast etwas ironisch) unterscheiden,<br />

daß erlaubt sein sollen,<br />

– die Werbung mit Interessenschwerpunkten für den Anfänger<br />

– die Werbung mit Tätigkeitsschwerpunkten für den Fortgeschrittenen<br />

– nach Vorstellung der Anwaltskammern und der Anwaltsvereine<br />

die Werbung mit dem Fachanwalt als dem<br />

„Meister seines Faches“.<br />

Diese Rechnung geht jedoch nicht auf.<br />

Denn wie eingangs beschrieben, müssen Fachanwälte<br />

z. T. um ihre Existenz wieder fürchten und aufgrund der<br />

verschiedensten Werbeformen drohen die herkömmlichen<br />

Fachanwaltschaften durch konkurrierende Werbeaussagen<br />

zu verwässern 9 .<br />

Demgegenüber ist zu beobachten, daß sich immer mehr<br />

Arbeitsgemeinschaften im Deutschen Anwaltsverein bilden<br />

und die Flut der selbsternannten oder herausgebildeten<br />

Fachgebiete nicht abreißen will.<br />

Seit neuestem kommt auch noch die Diskussion um das<br />

Zertifikat „ISO 9000“ hinzu, wonach künftig auch noch mit<br />

organisatorischen Qualitätsstandards geworben werden<br />

soll. 10<br />

8 Beispielhaft: BGH EBE 96, 71/BVerfG BRAK-Mitt. 92, 61/VBerfG. BRAK-<br />

Mitt. 95, 81/BVerfG. BRAK-Mitt. 95, 83 (Briefkopf und Kanzleischild), BGH-<br />

NJW 90, 1739/Bad.Württ. EGH AnwBl 90, 158/auch Vernissage OLG Hamm<br />

NJW RR 90, 1133.<br />

9 Beitrag Netzband 92, 811 „Fachgebiet Verwaltungsrecht“.<br />

10 Erstes Prüfsiegel für Münchner Sozietät Zirngibl, Quelle: Pressemitteilung der<br />

Landesgewerbeanstalt Bayern v. 8.3.1996. Kritisch: Naurer/Krämer in AnwBl<br />

96, 73.


AnwBl 11/97 581<br />

Aufsätze l<br />

Das neue Berufsordnungsrecht mag nach Auffassung<br />

des Verfassers noch besser als in den bisherigen Entwürfen<br />

festlegen und unterscheiden, in welchem Umfang Werbung<br />

künftig erlaubt sein soll. Berufsanfänger haben keine Tätigkeitsschwerpunkte,<br />

weshalb derartige Selbsteinschätzungen<br />

für das rechtssuchende Publikum eher irreführend und im<br />

übrigen unzulässig sein sollen 11 .<br />

Vor allen Dingen muß in einem neuen Berufsrecht vermieden<br />

werden, daß Tatbestände geschaffen werden, die<br />

Einzelkanzleien und kleine Sozietäten dadurch benachteiligen,<br />

daß Werbeformen erlaubt werden, derer sich nur Sozietäten<br />

größeren Zuschnittes bedienen können.<br />

Mit Recht ist vielfach gefordert worden, daß der Beruf<br />

des Rechtsanwaltes als Stand besonderer Art nicht völlig<br />

den Gesetzen der gewerblichen Wirtschaft untergeordnet<br />

werden kann; keinesfalls darf das Dilemma mit der alten<br />

Volksweisheit enden: „Wer nicht wirbt, der stirbt.“<br />

Außerdem befürchtet der Verfasser, daß dann, wenn Akquisition<br />

künftig weitgehend über Werbung betrieben werden<br />

soll, dann in unerträglicher Weise und in Anlehnung<br />

zur gewerblichen Wirtschaft auch ein Preiskampf die Folge<br />

sein könnte. Preisverzerrungen im Verhältnis zwischen kleinen<br />

und Großkanzleien sind eingangs bereits beschrieben<br />

worden. Anwaltliche Leistung ist letztendlich immer erfolgsorientiert<br />

und muß sich im besten Sinne des Wortes in<br />

erster Linie über positive Propaganda „verkaufen lassen“.<br />

Lediglich zur sachlichen und vertretbaren Orientierung<br />

des rechtssuchenden Publikums erscheint es sinnvoll und<br />

erlaubt, Formen der Werbung zuzulassen. Die betreffenden<br />

Entwürfe und Kommentierungen zur neuen Berufsordnung<br />

allerdings sind nach Auffassung des Verfassers eher mißverständlich<br />

bzw. in der Zukunft wiederum in erheblichem<br />

Umfange auslegungsbedürftig, wenn dort von „Interessenschwerpunkten“<br />

die Rede ist 12 .<br />

Grundsätzlich werden Korrekturen einer übertriebenen<br />

Werbung durch den Markt selbst erfolgen, indem unrühmliche<br />

und falsche Selbsteinschätzungen letztlich zu Negativwerbung<br />

und Haftung führen würden. Insoweit wird sicherlich<br />

im „Erdrutsch des Werbewahnsinns“ auch wieder ein<br />

Selbstreinigungsprozeß stattfinden.<br />

Die Aufblähung der ohnehin schon teuren Betriebsausgaben<br />

verbunden mit der Notwendigkeit mit dieser „Werbeschlacht“<br />

mithalten zu müssen, wäre zudem ein Tatbestand,<br />

der zum „Sterben der Kleinkanzleien“ auf längere Sicht<br />

beitragen könnte.<br />

Dies kann nicht im Interesse der gesamten Anwaltschaft<br />

liegen.<br />

Die Aussagen zu § 59b Abs. II Ziff. 3 im Entwurf erscheinen<br />

mir hierzu nicht genügend geklärt und differenziert.<br />

Bisher soll vermieden werden, daß<br />

– irreführend geworben wird<br />

– keine Rundfunk- u. Fernsehwerbung betrieben wird<br />

Der Verfasser vermißt jedoch ein Verbot der Werbung in<br />

den Printmedien. Bei welchen Anlässen soll geworben werden<br />

und mit welchem Umfang?<br />

Soll jeder Anlaß (Eintritt/Austritt eines Kollegen, Standortwechsel,<br />

Änderung der Telefonnummer, letztlich Renovierung<br />

des Hauses, Einstellung einer Angestellten usw.<br />

oder Werbung mit der Aussage „Neuorientierung: jetzt Tätigkeitsschwerpunkt<br />

Arbeitsrecht ...“) entsprechende Zeitungsanzeigen<br />

rechtfertigen?<br />

Sollen hochglanzbedruckte „Hausprospekte“ möglich<br />

und üblich werden, und soll dieser Streit wiederum einer<br />

endlosen Kasuistik späterer Gerichtsentscheidungen vorbehalten<br />

bleiben?<br />

Welche Kategorien sollen in der Werbung aufgestellt<br />

werden, „Tätigkeitsschwerpunkte, Schwerpunkttätigkeiten,<br />

Interessenschwerpunkte, Arbeitsgebiete, Fachgebiete oder<br />

nur schlicht und einfach der Hinweis auf die Zugehörigkeit<br />

zu einer bestimmten Arbeitsgemeinschaft des Deutschen<br />

Anwaltsvereins?<br />

Letzteres hielte der Verfasser übrigens für die ehrlichste<br />

Antwort auf die Frage nach der zulässigen Selbstdarstellung<br />

im Kampf um den Klienten. Verständlich ist, daß nicht<br />

grundsätzlich vom Begriff des Fachanwaltes abzurücken ist<br />

und dieser auch nicht durch konkurrierende Bezeichnungen<br />

verwässern darf. Praktisch ist dies jedoch schon eingetreten,<br />

etwa durch Bezeichnungen wie „Fachgebiet Verwaltungsrecht“<br />

oder im Bereich des kommenden Fachanwaltes<br />

für Familienrecht bei Bezeichnungen wie „Tätigkeitsschwerpunkt<br />

Familienrecht“ u. ä. Formen.<br />

Aus diesem Dilemma scheint kein Ausweg herauszuführen,<br />

es sei denn, es werden wie erwähnt, klarere Vorgaben<br />

aufgestellt, die einer hoffnungslosen Kasuistik späterer Gerichtsentscheidungen<br />

vorbauen.<br />

Immerhin ist die Angabe der Zugehörigkeit zu einer Arbeitsgemeinschaft,<br />

derer sich innerhalb des Deutschen Anwaltsvereines<br />

inzwischen zahlreiche gebildet haben, durchaus<br />

ein praktikabler Weg diskreter Werbung, der nichts<br />

Reklamehaftes und Prätentiöses beinhaltet, sondern für das<br />

rechtssuchende Publikum informativ und seriös erscheint.<br />

Wer auf die Zugehörigkeit einer Arbeitsgemeinschaft<br />

hinweist, führt niemals irre und demonstriert auch keine<br />

übertriebene Selbsteinschätzung.<br />

Sonstige Bezeichnungen insbesondere Tätigkeitsschwerpunkte<br />

oder Interessenschwerpunkte erscheinen wiederum<br />

in sich Aussagen gradueller Unterschiede zu beinhalten, indem<br />

der Begriff Tätigkeitsschwerpunkt beispielsweise impliziert,<br />

daß der Betreffende bereits seit längerer Zeit auf<br />

diesem Gebiet speziell arbeitet. Für einen Berufsanfänger<br />

soll sich diese Form daher ohnehin verbieten 13 .<br />

Deshalb dürfte die Verwendung dererlei Begriffe beim<br />

Publikum eher zur Verwirrung denn zur Orientierung beitragen.<br />

Der Verfasser versteht den Entwurf dahin, daß die Verwendung<br />

des Begriffes „Interessenschwerpunkt“ ein Oberbegriff<br />

sein soll. Über die Einheitlichkeit solcher Fachgebietsaussagen<br />

müßte aber nochmals nachgedacht werden<br />

mit dem Ziel klarerer Grenzen und Differenzierungen.<br />

Dabei erscheint dem Verfasser die Verwendung des Hinweises<br />

auf bestimmten Arbeitsgemeinschaften sachdienlich<br />

zu sein, weil allein die Arbeitsgemeinschaften i. d. R. Gewähr<br />

dafür bieten, daß eine entsprechende Fortbildung und<br />

spezielle Orientierung erfolgt.<br />

Ein bis zwei Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr sollten<br />

Standard sein, was allerdings die Frage einer möglichen<br />

Kontrolle aufwirft.<br />

Man wird dies de lege ferenda allerdings nicht regeln<br />

und noch weniger sanktionieren können, aber zum Qualitätsstandard<br />

im Sinne einer „Sollvorschrift“ erheben kön-<br />

11 OLG Frankfurt, Urt. v. 25.1.1996 - Az: 6 U 150/05.<br />

12 Diskussionsentwurf der Berufsordnung AnwBl 4/95 Beilage 337.<br />

13 Vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 25.1.1996 Az: 6 U 650/95.


582<br />

l<br />

nen; möglicherweise auch mit der Konsequenz, daß zumindest<br />

im Mißbrauchsfalle, wenn die Zugehörigkeit zu einer<br />

Arbeitsgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes nur auf<br />

dem „Papier“ steht, dann satzungsgemäß Ausschluß aus<br />

dieser Arbeitsgemeinschaft droht.<br />

Der Verfasser hält im übrigen diesen Qualitätsstandard<br />

für weit bedeutender als Zertifikate über den organisatorischen<br />

Qualitätsstand einer Kanzlei.<br />

Ein sinnvoller Werbeaufwand liegt grundsätzlich in der<br />

Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen. Entsprechend<br />

der persönlichen Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten<br />

müssen neben der gesteigerten Fachlektüre 1-2 Fortbildungsveranstaltungen<br />

nämlich pro Jahr als Standard gelten.<br />

Wer dann etwa 3 „Tätigkeitsschwerpunkte“ auf seine<br />

Fahnen schreibt, muß sich klarmachen, daß dies dann bis<br />

zu 6 Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr bedeutet; bei<br />

einer Sozietät mit drei Partnern mithin 18 Teilnahmen mit<br />

einem geschätzten Aufwand von 15000 DM bis 20000 DM.<br />

Das Publikum hingegen wird aus der Zugehörigkeit zu<br />

einer solchen Arbeitsgemeinschaft jedenfalls den „erlaubten“<br />

Schluß ziehen, daß der betreffende Anwalt in den aufgeführten<br />

Rechtsgebieten eine speziellere Fortbildung betreibt.<br />

Unterbunden und besser als bisher geregelt werden muß<br />

jedoch unbedingt, daß Werbung niemals zu einer unangemessenen<br />

Häufigkeit verbunden mit nichtigen Anlässen<br />

führt.<br />

Wir erhalten dadurch zwar in der Anwaltschaft insgesamt<br />

eine strengere Einbindung in Organisationen der Fortbildung<br />

als bisher, was aber dem Verfasser sinnvoller erscheint<br />

als der Wildwuchs verschiedenster Werbeformen.<br />

Wer es für richtig hält, mag entsprechende Hinweise auf<br />

Briefbögen, Kanzleischild oder vergleichbaren Werbeträgern<br />

anbringen, reine und sich wiederholende Imagewerbung<br />

als solche muß strikt unterbunden bleiben.<br />

Buchhinweis<br />

Schiefer /Hocke: Marketing für Rechtsanwälte,<br />

2. überarbeitete Auflage, Deutscher Anwaltverlag, Bonn 1996,<br />

148 S., geb., 58,– DM<br />

Das jetzt in 2. Auflage vorliegende Werk gliedert sich in die<br />

Kapitel:<br />

– Marketing für anwaltliche Dienstleistungen<br />

– Strategische Bedeutung des Berufsbildes<br />

– Wie entwickelt der Anwalt einen Marketing-Plan? und<br />

– Marketing-Instrumente.<br />

Schon im ersten Kapitel „Marketing für anwaltliche Dienstleistungen“<br />

ist die Marktsituation dargestellt und der Begriff „Marketing“<br />

eingehend und vorstellbar dargestellt, ergänzt durch eine<br />

Übersicht (S. 17) der für anwaltliches Marketing möglichen Kontakte.<br />

Im zweiten Kapitel wird das Thema „Marketing für Rechtsanwälte“<br />

dargestellt unter Berücksichtigung der strategischen Bedeutung<br />

des Berufsbildes, nämlich die Akzeptanz des Berufsbildes<br />

des Anwaltes beim Klienten. Die – strategischen – Vorzüge des anwaltlichen<br />

Berufsbildes, nämlich Verschwiegenheitspflicht und das<br />

Verbot der Interessenkollision, werden von den Autoren als besondere<br />

Chancen des Angebotes anwaltlicher Dienstleistungen dargestellt<br />

gegenüber sonstigen Institutionen, die keiner berufsgesetzlichen<br />

Geheimhaltungspflicht unterliegen. Das Herausarbeiten dieser<br />

strategischen Vorteile des Anwaltsberufs zeigt, daß es den Autoren<br />

AnwBl 11/97<br />

Aufsätze<br />

darum geht, aufzuzeigen, daß „Marketing für Rechtsanwälte“ etwas<br />

anderes ist als die Werbung für ein Handelsprodukt, nämlich<br />

die Darstellung einer berufsspezifischen, d. h. anwaltlichen,<br />

Dienstleistung.<br />

Wie durch den Anwalt, und zwar differenziert für den Anwalt<br />

als Generalist oder Spezialist, als Einzelanwalt oder für eine große<br />

Sozietät, Marketing zu betreiben ist, wird dann im dritten Kapitel<br />

behandelt: „Wie entwickelt der Anwalt einen Marketing-Plan?“. In<br />

diesem Kapitel wird aufgezeigt, wie der Anwalt, ausgehend von<br />

der Analyse seines eigenen Leistungspotentials über Marktforschung<br />

und Marktsegmentierung, Ziele und Vorgaben definieren<br />

kann, um in seiner beruflichen Tätigkeit erfolgreich zu sein, sowohl<br />

hinsichtlich des Gewinnens neuer Mandate und Kontakte als<br />

auch unter dem Gesichtspunkt der Expansion unter Qualitäts- und<br />

Ertragsgesichtspunkten. Behandelt wird der im Jahre 1987 veröffentlichte<br />

Marktforschungsbericht der Prognos AG und der Infratest<br />

Kommunikationsforschung über die „Inanspruchnahme anwaltlicher<br />

Dienstleistungen“ sowie die Hommerich-Studie von 1988<br />

über „Anwaltschaft und Expansionsdruck“. Über die allgemeinen<br />

Marktforschungsstudien hinaus werden dem Anwalt Vorschläge<br />

für eine praktische Umsetzung gemacht anhand von Checklisten,<br />

z. B. zur Mandantenbefragung mit praktischen Checklisten (S. 35<br />

ff.).<br />

Über die Anregung für die Entwicklung eines Marketing-Planes<br />

hinaus werden im Kapitel „Marketing-Instrumente“ Anregungen<br />

gegeben, wie der Anwalt – sei es als „Einzelkämpfer“ oder<br />

eingebunden in ein Team – Marketingziele umsetzen kann. Schon<br />

die diesem Kapitel vorangestellte Übersicht (S. 53) zeigt, wie vielfältig<br />

die Möglichkeiten sind, die ein Anwalt hat (ohne es zu wissen),<br />

sein Leistungspotential an den Mandanten zu bringen über<br />

Darstellung der Spezialisierung (Fachgebietsspezialisierung, Problembereichsspezialisierung<br />

und Klientenspezialisierung). Es wird<br />

aufgezeigt, welche – bisher nicht bewußten – Möglichkeiten bestehen,<br />

Mandate und Mandanten zu pflegen durch Serviceleistungen<br />

und Nachsorge eines Mandates, z. B. im Bereich des Verkehrsstrafrechtes<br />

durch Beratung und Vertretung bei Wiedererlangung<br />

der Fahrerlaubnis, im Familienrecht durch aktuelle Beratung und<br />

Entwicklung der Unterhaltsansprüche, z. B. im Bereich des Vertragsrechtes<br />

durch Beratung zu langfristigen Verträgen und evtl.<br />

notwendigen Fortentwicklungen oder durch jeweils aktuelle Überprüfung<br />

allgemeiner Geschäftsbedingungen der Mandantschaft. In<br />

diesem Zusammenhang wird auch aufgezeigt die bisher noch wenig<br />

bewußte und genutzte Möglichkeit der „Problembereichsspezialisierung“<br />

(S. 64). Die Problembereichsspezialisierung orientiert<br />

sich an Zusammenhängen, also im Baurecht z. B. Erwerb, Bebauung<br />

und Nutzung von Grundstücken oder z. B. im Versicherungsrecht<br />

durch Beratung zum Thema Versicherungsmanagement, beginnend<br />

mit der Beratung zu sinnvollen Versicherungspolicen,<br />

etwa zum Produkthaftungs- oder Umwelthaftungsrecht, bis hin zur<br />

Geltendmachung von Versicherungsleistungen. Selbstverständlich<br />

ist eingehend behandelt das Thema Outsourcing und die sich hieraus<br />

ergebenden Chancen bis hin zur kooperativen Arbeit zwischen<br />

Kollegen mit anderer fachlicher Kompetenz. Herausgestellt wird<br />

auch die Notwendigkeit der Einbeziehung der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter in das Marketingkonzept sowie die notwendige<br />

Motivation des Personals zur Identifikation mit der Praxis als wichtiges<br />

Marketinginstrument.<br />

Jeder Kollege und jede Kanzlei, die sich durch richtig verstandenes,<br />

qualitatives Marketing fortentwickelt und bei der Klientel<br />

besser ankommen möchte, kommt schneller und sicher ans Ziel<br />

über Information und Orientierung durch das auf diesem Gebiet<br />

führende Werk von Schiefer/Hocke zum Thema „Marketing für<br />

Rechtsanwälte“. Bei der Empfehlung des Werkes fühlt man sich an<br />

die Erfahrung erinnert, daß „nicht jeder das Rad neu erfinden<br />

muß“, also eigene Marketingideen entwickeln muß. Das zitierte<br />

Werk bietet Informationen zum Einstieg in das Thema „Marketing<br />

für Rechtsanwälte“ und gibt Orientierung über Marketing für anwaltliche<br />

Dienstleistungen, strategische Bedeutung des Berufsbildes,<br />

die Entwicklung eines Marketing-Planes und mögliche Marketing-Instrumente.<br />

Konzept und Inhalt des Buches versprechen, daß das Werk von<br />

Schiefer /Hocke „Marketing für Rechtsanwälte“ sich als Standardwerk<br />

entwickeln wird.<br />

Rechtsanwalt Hans Buschbell, Düren


AnwBl 11/97 583<br />

Leitthema 3: Aktuelle Probleme des<br />

Strafverfahrens<br />

– Offene Kommunikation im Strafverfahren –<br />

(Forts. aus AnwBl 10/1997, 544)<br />

Im Anschluß an die Dokumentation in den Heften 8+9/97<br />

und 10/97, S. 538 des <strong>Anwaltsblatt</strong>es setzen wir in diesem<br />

Heft die Erörterung der aktuellen Probleme des Strafverfahrens<br />

mit einem richterlichen Beitrag zur offenen Kommunikation<br />

im Strafverfahren fort und schließen sie ab mit<br />

Abhandlungen zu den Kooperationen des Strafverteidigers<br />

mit anderen Rechtsexperten.<br />

Offene Kommunikation in der<br />

Hauptverhandlung aus richterlicher Sicht<br />

Vors. Richter am LG a.D. Günter Pohl, Essen<br />

Wenn aus richterlicher Sicht über die offene Kommunikation<br />

(OK) nachgedacht werden soll, müßte die Überschrift eigentlich<br />

lauten:<br />

„Die ganz normale Hauptverhandlung“.<br />

Denn der Richter hat nichts zu verbergen: Er hat mit dem Eröffnungsbeschluß<br />

kundgetan, der Angeklagte sei hinreichend verdächtig,<br />

habe also eher mit der Verurteilung als mit dem Freispruch<br />

zu rechnen. Weicht der Eröffnungsbeschluß nach oben oder<br />

nach unten von der Anklage ab, wird noch deutlicher, worauf sich<br />

die Beteiligten anfänglich einzustellen haben. Ist ein Haftbefehl erlassen<br />

worden, kann insbesondere die Verteidigung erkennen, wie<br />

schwerwiegend der Vorwurf eingeschätzt wird. Aus der Liste der<br />

für erforderlich gehaltenen Beweismittel schließlich ist zu ersehen,<br />

auf welchem Wege das Gericht die Wahrheit erforschen will, insbesondere<br />

dann, wenn zuvor nach §§ 201, 202, 219 oder 221 StPO<br />

verfahren worden war.<br />

Diese Vorentscheidungen haben für ihre Adressaten natürlich<br />

nur dann einen hinlänglichen Informationswert, wenn sie handwerklich<br />

solide und professionell zustande gekommen sind. Die<br />

Anklage und die Akten 1 müssen formell und inhaltlich überprüft<br />

und für tauglich befunden oder ergänzt worden sein. Hat der Richter<br />

hingegen nicht nach § 203 StPO, sondern auf Verdacht 2 eröffnet,<br />

ist er zur OK nur bedingt fähig. Entweder wird er bestrebt<br />

sein, den nun einmal vorhandenen Eröffnungsbeschluß zu halten<br />

und jede offene Erörterung scheuen, oder er wird der Versuchung<br />

erliegen, erkannte Fehler im Wege der Verständigung ungeschehen<br />

zu machen. Es ist überhaupt zumeist ein Zeichen von mangelndem<br />

Vertrauen in die Sache oder in die eigenen Fähigkeiten, wenn der<br />

Richter zur OK nicht bereit ist. Derjenige, der in aller Ruhe davon<br />

ausgeht, daß der Verdacht sich zur Gewißheit verdichten oder aber<br />

verflüchtigen kann, derjenige, für den innerlich die Unschuldsvermutung<br />

trotz noch so dringenden Verdachts Ausgangspunkt bleibt<br />

der kann sich in aller Regel gar keine andere Hauptverhandlung<br />

vorstellen, als die der OK.<br />

Wer freilich nach Soester Recht 3 als grisgrimmiger Löwe zu<br />

Gericht sitzt oder als seelenloser Bürokrat – von dem man auch<br />

noch sagen muß, er sei an sich ein glänzender Jurist – sich hinter<br />

seinen Akten verschanzt, braucht mit der OK gar nicht erst zu beginnen.<br />

Er nämlich bringt die notwendigen richterlichen Voraussetzungen<br />

nicht mit, die Tröndle 4 so beschrieben hat:<br />

Es ist oberstes Gebot für den rechten Umgang mit den anderen<br />

Verfahrensbeteiligten, daß der Richter im Gerichtssaal eine Atmo-<br />

l<br />

sphäre schafft, in der alle Verfahrensbeteiligten Vertrauen fassen<br />

und zur Überzeugung kommen, daß das Gericht jeden Verfahrensbeteiligten<br />

als Persönlichkeit ganz ernst nimmt, den Sachverhalt<br />

unvoreingenommen, gründlich und gewissenhaft prüft und gerecht<br />

und menschlich entscheidet.<br />

Der Richter allein trägt die Verantwortung für die OK. Er hat<br />

sie zu ermöglichen und zu garantieren. Er hat alle Prozeßbeteiligten<br />

gleichzubehandeln. Er hat allen angestrebten Zielen und ihren Verfechtern<br />

gleichermaßen Respekt zu bekunden: Respekt dem Staatsanwalt<br />

und seinem Vorhaben, dem Strafanspruch des Staates Geltung<br />

zu verschaffen. Respekt aber auch dem Willen der Verteidigung,<br />

den Angriff der Anklage abzuwehren 5 . Der Richter hat von<br />

vornherein Gelassenheit, Geduld und Offenheit aber auch Festigkeit<br />

zu zeigen und darf sich nicht von der Reaktion des einen oder<br />

anderen abhängig machen. Von ihm wird also eigentlich nichts Besonderes<br />

erwartet, nur, daß er sein Richteramt wie ein Richter versieht.<br />

Dabei hat er die Sitzung weder als Weihehandlung aufzuziehen,<br />

noch zu einer lockeren Zusammenkunft mit beliebigem Verlauf<br />

und Ende verkommen zu lassen. Sein Harmoniebedürfnis darf ihn<br />

nicht vergessen machen, daß die Hauptverhandlung ein Ort ist, in<br />

dem Konflikte ausgetragen werden. Seine Macht hat der Richter<br />

nur dann spürbar werden zu lassen, wenn es unumgänglich ist und<br />

immer nur in den Grenzen der Notwendigkeit. Dem Angeklagten,<br />

den Nebenklägern, den Zeugen hat er das Gefühl, ausgeliefert zu<br />

sein, zu nehmen. Denen, die Pflichten zu erfüllen und Rechte wahrzunehmen<br />

haben, hat er – zur rechten Zeit – hierzu Raum und Gelegenheit<br />

zu geben. Das alles darf jedoch nicht vergönnungsweise,<br />

gleichsam nach Gutsherrenart gesehen, andererseits aber auch nicht<br />

den Charakter von Gefälligkeiten annenehmen, damit nicht einmal<br />

der Anschein entstehen kann, es würden Gegendienste erwartet.<br />

Das alles sind banale Selbstverständlichkeiten. Aber gerade sie<br />

sind die Voraussetzungen für eine gedeihliche OK. Sie schaffen die<br />

Basis, von der aus der Richter seine Sicht der Dinge glaubwürdig<br />

entwickeln kann. Von der aus er schon frühzeitig den Angeklagten<br />

ermutigen kann, sich zu öffnen oder von der aus er Befürchtungen<br />

zerstreuen, Erwartungen dämpfen oder Verhärtungen beseitigen<br />

kann. Wenn sich der Angeklagte vor einer (zu vollstreckenden) hohen<br />

Strafe nicht mehr zu fürchten braucht, wird er vielleicht darauf<br />

verzichten, sein Heil in Beweisanträgen mit ungewissem Ausgang<br />

zu suchen. Wird ihm ganz offen dargestellt, seine Erwartungen seien<br />

zu hoch gespannt, kann er sich auch hierauf einstellen: Entweder<br />

begnügt er sich mit dem Spatz in der Hand oder er hält nach besseren<br />

Argumenten oder weiteren Beweismitteln Ausschau; jedenfalls<br />

aber weiß er, woran er ist und kann seine Verteidigung entsprechend<br />

einrichten. Der Richter wird es nicht bei einseitigen Erklärungen<br />

bewenden lassen; er wird alle Beteiligten ermuntern, ihr<br />

Wort zu machen. Nicht endlos und nicht für die Galerie, sondern<br />

konzentriert auf das zu erreichende Ziel. Weil es aber Fälle gibt, in<br />

denen beim Angeklagten nicht genügend Durchblick erwartet werden<br />

oder wo er aus anderen Gründen kein ebenbürtiger Gesprächspartner<br />

sein kann, wird der sorgfältige Richter, wenn sich eine interaktive<br />

OK als möglich und zweckmäßig abzeichnet, schon im<br />

Zwischenverfahren bedenken müssen, ob dem Angeklagten nicht<br />

allein aus diesem Grunde ein Verteidiger zur Seite zu stellen wäre.<br />

1 Kleinknecht/Meyer-Goßner Rdnr. 1 zu § 203 StPO.<br />

2 Laut Duden, Deutsches Universalwörterbuch 1989: ohne es genau zu wissen;<br />

Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1991: aufs Geratewohl, ohne genau zu wissen,<br />

ob es richtig ist, etwas probieren.<br />

3 Zitiert nach Liermann: Richter Schreiber Advokaten.<br />

4 DRiZ 1970, 213: „Über den Umgang des Richters mit den anderen Verfahrensbeteiligten“<br />

insgesamt vor allem jungen Richtern, aber auch Staatsanwälten<br />

und, zur Ermutigung, jungen Anwälten zur Lektüre empfohlen.<br />

5 BGH 5, 334; ausführlich: Pohl „Praxis des Strafrichters Rdnr. 22 ff.


584<br />

l<br />

Die richterliche OK ist mit Anstand und Würde durchzufahren.<br />

Sie muß frei sein von Rechthaberei einerseits und andererseits von<br />

Anbiederung. Sie muß den Beteiligten und dem Publikum den<br />

sicheren Eindruck vermitteln, gerade mit der offenen Verhandlung<br />

erfülle das Gericht seine gesetzlichen Pflichten. Und in der Tat genügt<br />

die OK stets der richterlichen Fürsorgepflicht und zumeist<br />

auch der Aufklärungspflicht. Denn in der Arbeitsatmosphäre, die<br />

durch die OK entsteht, lassen sich in der Mehrzahl der Fälle bessere<br />

Ergebnisse erzielen, als wenn alle Beteiligten sich hinter Barrikaden<br />

verschanzen.<br />

Der Richter eröffnet die OK nach der Belehrung des Angeklagten<br />

gemäß § 243 Abs. 4 StPO, indem er erklärt, wie die Beweislage<br />

einzuschätzen sei, wie sie sich voraussichtlich entwickeln werde<br />

und welche Konsequenzen die Verteidigung hieraus ziehen könne.<br />

Er wendet sich dabei an den Verteidiger. Wenn die Beweislage erdrückend<br />

ist (und dies zu bleiben den Anschein erweckt), kann auf<br />

die Wohltat des Geständnisses hingewiesen werden. Haben die Beweise<br />

gerade eben zur Eröffnung ausgereicht oder hängt die Verurteilung<br />

(auch) von einem einzelnen Beweismittel ab, das noch<br />

nicht sicher genug eingeschätzt werden kann, so hat dies der Richter<br />

kenntlich zu machen. Immer hat er nicht nur den Verteidiger<br />

zur Stellungnahme zu bewegen, sondern auch die Staatsanwaltschaft<br />

(und den Nebenklägervertreter) einzuladen, sich an der Erörterung<br />

zu beteiligen.<br />

Schon in dieser frühen Phase – noch vor Beginn der Beweisaufnahme<br />

im engeren Sinne – kann ein Problem auftauchen, das sich<br />

während der weiteren Hauptverhandlung immer wieder stellen<br />

mag: Darf der Richter die OK soweit treiben, daß er dem Anwalt<br />

und gar, an ihm vorbei, dem Angeklagten erklärt, die gewählte Verteidigungsart<br />

sei nicht zweckmäßig, nicht angemessen, nach der<br />

Aktenlage sinnlos oder dem Angeklagten eher schädlich? Darf<br />

sich der Richter aktiv in die Verteidigung einmischen? Es ist ihm<br />

natürlich nicht versagt, seinen Standpunkt darzulegen, alternative<br />

Prognosen abzugeben und Wechselbezüglichkeiten aufzuzeigen.<br />

Welchen Weg die Verteidigung schließlich wählt, bleibt allein ihrer<br />

vom Gericht zu respektierenden Entscheidung vorbehalten. Nur<br />

dort, wo – in krassen Ausnahmefällen – die Fürsorgepflicht des<br />

Richters gefordert wäre, kann oder genauer: muß eingegriffen werden.<br />

Die Rechtsprechung, die zur Ablösung eines offensichtlich<br />

völlig unfähigen Verteidigers oder eines solchen, der seine Pflicht<br />

offensichtlich grob verletzt 6 , ergangen ist, liefert hier verwertbare<br />

Anhaltspunkte dafür, wann richterliche Intervention geboten und<br />

unter welchen Umständen und in welchen Grenzen sie zulässig<br />

wäre. Zu denken ist hier an den völlig unerfahrenen, der Sache<br />

nicht gewachsenen Anwalt oder an den, der aus irgendwelchen<br />

sachfremden Erwägungen die Interessen seines Mandanten offensichtlich<br />

hintenanstellt. Die vom Richter praktizierte OK ist in<br />

solchen Fällen darauf auszurichten, zunächst zu versuchen, den<br />

Verteidigungsanspruch des Angeklagten sicherzustellen, ohne daß<br />

Personen ausgetauscht werden müßten. Bei diesen Bemühungen<br />

muß der Richter freilich immer für Gegenargumente offen bleiben<br />

und die Möglichkeit eigener Fehleinschätzung 7 im Auge behalten.<br />

Für richterlichen Hochmut und richterliche Besserwisserei ist namentlich<br />

hier kein Platz.<br />

Dies gilt auch und gerade dann, wenn der Verteidiger an der<br />

OK nicht teilnehmen mag oder wenn er einen anderen Standpunkt<br />

einnimmt als Gericht und/oder Staatsanwaltschaft. Denn zur OK<br />

gehört auch, daß man offen unterschiedliche Standpunkte bezieht<br />

und versucht, ihnen Geltung zu verschaffen. Und ebenso wie der<br />

Richter (mit aller Zurückhaltung) Unangenehmes äußern darf, gehört<br />

es zum Begriff der OK aus richterlicher Sicht, daß auch die<br />

anderen Verfahrensbeteiligten sich in aller Offenheit erklären und<br />

Kritik üben. Die OK ist nämlich nicht notwendig die Vorstufe späterer<br />

Verständigung. Sie kann nur darauf hinauslaufen. Und der<br />

Richter muß zu OK selbst dann bereit sein, wenn bei der Verteidigung<br />

die Neigung zum Konflikt besteht.<br />

Die OK erstreckt sich über die gesamte Hauptverhandlung. Immer<br />

wieder kann – von wem auch immer – von Aussage zu Aussage,<br />

von Dokument zu Dokument, von Gutachten zu Gutachten darauf<br />

hingewiesen werden, die Sachlage oder die Rechtslage habe<br />

sich nun verändert. Einer anderen Vorschrift als der des § 257<br />

StPO bedarf es hierzu nicht 8 . Wer wirklich OK betreiben will,<br />

braucht auch nicht darauf zu warten, daß irgendwann einmal das<br />

Schuldinterlokut eingeführt wird. Und die OK schließt nicht aus,<br />

daß voneinander abweichende Standpunkte mit Nachdruck vertre-<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

ten werden. Der Richter freilich wird stets versuchen mit Hilfe der<br />

OK die Sache zu fördern, zu straffen und zu einem angemessenen<br />

Ergebnis zu führen. Er wird beispielsweise den bisher schweigenden<br />

oder bestreitenden Angeklagten nach dieser oder jener Aussage<br />

fragen, ob er sich nun anders verhalten wolle. Er wird – besonders<br />

bevor er Kinder oder Gewaltopfer aufruft – fragen, ob man denen<br />

die Aussage nicht ersparen könne. Er wird dem Staatsanwalt bedeuten,<br />

es sei zweckmäßig, Teile der AnkIage nach § 154 StPO zu behandeln<br />

oder sich von den Maximalvorstellungen der Anklage zu<br />

trennen und so weiter. Auf diese Weise kann die OK dazu beitragen,<br />

das zu vermeiden, was Stefan König 9 zutreffend so bezeichnet<br />

hat:<br />

Mißverständnisse infolge unklaren Verhaltens<br />

Mißverständnisse infolge verweigerter oder unterlassener<br />

Aufklärung/Offenlegung<br />

Konflikte infolge von Mißverständnissen<br />

Oberste Maxime der richterlichen OK ist deren absolute Verläßlichkeit.<br />

Alle Beteiligten müssen auf das Wort des Richters uneingeschränkt<br />

vertrauen können. Deshalb ist folgendes unabdingbar:<br />

1. Die richterlichen Äußerungen sind zunächst immer unter<br />

dem ausdrücklichen Vorbehalt weiterer Entwicklung zu machen.<br />

Das gilt allein wegen der richterlichen Pflicht, bis zum letzten<br />

Wort des Angeklagten unentschieden zu sein. Aber auch, weil<br />

schon für die sich anschließende Erörterung sichergestellt sein<br />

muß, daß keiner der Beteiligten von einer definitiven Beurteilung<br />

ausgehen kann.<br />

2. Wenn der Vorsitzende sich noch nicht mit den Beisitzern verständigt<br />

hat, muß er seine Erklärung als allein auf seiner vorläufigen<br />

Beurteilung beruhend kenntlich machen.<br />

Das ist nur in eindeutigen Fällen oder dort entbehrlich, wo die<br />

Beisitzer pantomimisch oder in anderer Weise Zustimmung signalisiert<br />

haben.<br />

3. Grundlegende Erklärungen sollten nur nach vorheriger Zwischenberatung<br />

abgegeben und auch so mitgeteilt werden.<br />

Diese Beratung schuldet der Vorsitzende seinen Beisitzern und<br />

allen übrigen Prozeßbeteiligten auch. Und solche Beratungen müssen<br />

mindestens so sorgfältig und gewissenhaft und umfassend geführt<br />

werden, wie die Schlußberatung. Denn gerade hier werden<br />

Weichen gestellt. Und es wäre mehr als nur peinlich, wenn die Erklärung<br />

des Gerichts durch nichts anderes als aufgrund einer erst<br />

am Ende ordnungsgemäß geführten Beratung zurückgenommen<br />

werden müßte.<br />

4. Erklärungen, die nach einer solchen Verständigung des Gerichts<br />

oder erkennbar in dessen Namen abgegeben werden, müssen<br />

in ihrer Bestandskraft näher erläutert werden.<br />

Während es zumindest für erfahrene Verteidiger leichter zu erkennen<br />

ist, daß Äußerungen allein des Vorsitzenden von Haus aus<br />

eher vorläufig sind, gewinnen Gerichtserklärungen schon durch die<br />

voraufgegangene Beratung den Charakter des quasi Endgültigen.<br />

Deshalb ist das Gericht verpflichtet, allen Beteiligten verläßlich erkennbar<br />

zu machen, von welcher weiteren Entwicklung der Bestand<br />

der Erklärung abhängt. Dabei ist es dem Gericht dringend zu<br />

empfehlen, sowohl den Vorgang, daß das Gericht sich nach Beratung<br />

geäußert hat als auch den Inhalt der Äußerung selbst gemäß<br />

§ 273 Abs. 3 StPO zu protokollieren.<br />

5. Es sind immer alle Beteiligten auch wirklich zu beteiligen.<br />

Das ist an sich selbstverständlich. Alle Äußerungen, die in der<br />

Hauptverhandlung gemacht werden, sind für alle bestimmt, die hö-<br />

6 Kleinknecht/Meyer-Goßner Einleitung Rdnr. 162 und Rdnr. 4 zu § 143 StPO<br />

m. w. N.<br />

7 Zum Beispiel infolge eigener Unerfahrenheit!<br />

8 Die halbherzigen Einschränkungen, die KK-Mayr (Rdnr. 4) und Meyer-Goßner<br />

(Rdnr. 8) jeweils zu § 257 StPO rnachen, sind durch die Praxis der OK überholt.<br />

9 AnwBl 1997, 94.


AnwBl 11/97 585<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

ren können. Und alle sind eingeladen, sich zu beteiligen. Das ist<br />

freilich nicht immer so einfach wie es den Anschein hat. Gibt es<br />

nur einen Angeklagten, gibt es keine Probleme. Und solange die<br />

OK sich in einseitigen Erklärungen des Gerichts erschöpft, auch<br />

dann nicht, wenn mehrere Angeklagte vorhanden sind. Aber wenn<br />

Prozeßerklärungen erwartet werden, wenn Geständigen Aussichten<br />

gemacht werden, wenn das Verhalten des einen notwendig die<br />

Lage des anderen Angeklagten verändern würde, dann ist richterliche<br />

Kunst gefordert. Nehmen wir einen Fall der schweren Kriminalität<br />

mit mehreren Angeklagten und einer hohen aber sehr unterschiedlichen<br />

Straferwartung. Wann soll sich das Gericht erklären?<br />

Welchen der Angeklagten wann ansprechen? Welche weitere EntwickIung,<br />

welches mögliche Ende unter welchen Voraussetzungen<br />

skizzieren? Muß den Verteidigern Gelegenheit gegeben werden,<br />

sich zu beraten?<br />

Der Verteidiger, der sich der vom Richter veranstalteten OK gegenübersieht,<br />

darf sich nicht verblüffen lassen. Gerade dann nicht,<br />

wenn er, vorgewarnt, eine schneidige Verhandlungführung erwartet<br />

hat und jetzt gleichsam menschliche Töne vernimmt. Die OK des<br />

Richters entspringt nämlich nur scheinbar einem übermächtigen<br />

Harmoniebedürfnis. Der Angeklagte bleibt gefährdet und der Verteidigungsauftrag<br />

bleibt unverändert.<br />

Auch beim Verteidiger setzt die OK beste Vorbereitung voraus.<br />

Vor allem aber muß der Verteidiger genau zuhören und sich mit<br />

Ungenauigkeiten und Unschärfen nicht zufriedengeben. Ein Richter,<br />

der sich berechtigtem Verlangen nach Präzisierung verweigerte,<br />

betriebe eine Kommunikation der offenen Hintertür. Aus der Sicht<br />

des Verteidigers ist die richterliche OK ein Angebot zur (teilweisen)<br />

Verständigung. Denn sie enthält zumeist neben dem Hinweis<br />

auf die Sicht der Dinge den Vorschlag, die Verteidigung entsprechend<br />

einzurichten. Das entspricht zwar nicht der Großen Verständigung,<br />

die Schmidt-Hieber einstmals in einer immer noch lesenswerten<br />

Schrift10 propagierte und dann11 gleichsam als Zauberlehrling<br />

polemisch in Frage stellte. Aber der Verzicht auf weitere<br />

Beweisaufnahme, beispielsweise, weil das Gericht eine Bewährungsstrafe<br />

in Aussicht gestellt hat (mehr braucht Ihr Mandant<br />

nicht zu befürchten) ist jedenfalls eine Kleine Verständigung. Aber<br />

auch hier hat der Richter klare Erklärungen abzugeben (... mehr<br />

braucht Ihr Mandant ohnehin nicht zu beachten oder ... bei Geständnis<br />

nicht zu beachten). Tut er das nicht, muß der Verteidiger<br />

darauf hinwirken. Und er wird immer abzuwägen haben, ob er wenigstens<br />

anregen soll, die Erklärungen zu protokollieren.<br />

Der Richter hat die OK auch dann fortzusetzen, wenn sie von<br />

der Verteidigung nicht mitgetragen wird. Immer hat er den Adressaten<br />

eine angemessene Denkpause zu geben. Wenn er gar zu besonders<br />

fairem Verhalten neigt, sollte er sein Angebot mit der Zusage<br />

abschließen, erstens werde die Ablehnung nicht zu einer Verschärfung<br />

der Prozeßsituation führen und zweitens werde das Gericht allein<br />

die Tatsache, daß der Angeklagte den Vorschlag des Gerichts<br />

in Erwägung gezogen habe, nicht als Beweis gegen ihn verwerten.<br />

Die richterliche OK ist nicht nur und nicht einmal in erster Linie<br />

ein Mittel, mit dem rasche Lösungen gefunden werden sollen,<br />

mit dem man Zeit und Geld sparen kann. Sie ist auch nicht nur darauf<br />

ausgerichtet, ein äquivalentes Verhalten der Adressaten oder<br />

gar eine Verständigung zu erreichen. Sie trägt ihren Wert in sich<br />

selbst, soll vor allem das Verfahren transparent machen und einen<br />

möglichst hohen Grad von Akzeptanz bei möglichst vielen Beteiligten<br />

anstreben. Die OK des Gerichts soll den Angeklagten, den<br />

Verteidigern, der Staatsanwaltschaft, den Geschädigten, den Nebenklägern,<br />

den Zeugen, den Sachverständigen und nicht zuletzt<br />

der Öffentlichkeit sichtbar machen, weshalb so und nicht anders<br />

verfahren wird, worauf sich die jeweilige Auffassung des Gerichts<br />

gründet, wodurch und in welchen Grenzen sie sich noch ändern<br />

und zu welchem Ergebnis sie führen könnte.<br />

Der Autor war 30 Jahre lang Strafrichter. Er hat die Anfänge<br />

der offenen Verhandlung und deren positive Fortentwicklung miterlebt<br />

und in täglicher Praxis mitgestaltet. Inzwischen wird man<br />

sagen können, daß eine redliche, von allen mitgetragene, fruchtbare<br />

OK häufiger anzutreffen ist, als Presseberichte, polemisch-larmoryante<br />

Beiträge in Verbandszeitschriften und törichte Urteile 12 befürchten<br />

lassen.<br />

Man sollte andererseits aber die Augen nicht davor verschließen,<br />

daß es auch Fälle gibt, in denen keiner der Beteiligten OK betreiben,<br />

um nicht zu sagen: wagen kann. Zu denken ist an Verfahren<br />

aus dein Bereich der organisierten Kriminalität zumal mit<br />

internationaler Beteiligung, an Verfahren mit ernsthaften Gefährdungen<br />

für alle Beteiligten, an prekäre Beweislagen mit nicht vorhersehbarer<br />

Entwicklung, mit Zeugenschutzproblemen und anderen<br />

außerhalb liegenden Zumutungen. Aber das sind sowohl quantitativ<br />

als auch qualitativ Ausnahmen.<br />

Und das in der Bereitschaft zur OK enthaltene Harmoniebedürfnis<br />

darf nicht die – wenigen – Fälle vergessen lassen, in denen<br />

richterliches Fehlverhalten Konfliktverteidigung regelrecht herausfordert<br />

oder in denen, andersherum, die Absicht des Richters, offen<br />

zu kommunizieren, in den ritualisierten Ouvertüren der Verteidigung<br />

erstirbt.<br />

Wenn freilich der Deutsche Anwaltstag unter der Überschrift<br />

Aktuelle Probleme des Strafverfahrens gerade nicht zur Diskussion<br />

über Konfliktverteidigung aufruft, sondern einen Strafrichter um<br />

seine Meinung zur OK fragt, dann wird man – in Frankfurt –<br />

Goethes Faust zitieren dürfen:<br />

Vernunft fängt wieder an zu sprechen und Hoffnung wieder an<br />

zu blühn 13 .<br />

Zusammenfassung in Thesen:<br />

1. Die offene Kommunikation ist eine besondere Form des<br />

fairen Verfahrens. Sie setzt richterliche Kunst und Respekt aller<br />

Beteiligten voreinander voraus.<br />

2. Der Richter hat durch seine Verhandlungsführung dafür zu<br />

sorgen, daß eine offene Kommunikation möglich wird.<br />

3. Die offene Kommunikation kann Vertrauen schaffen, Zeit<br />

und Geld sparen und zu Ergebnissen führen, die für alle Beteiligten<br />

befriedigend sind.<br />

4. Die offene Kommunikation kann zur Akzeptanz beim Angeklagten<br />

sowie bei allen weiteren Beteiligten führen und der Wiederherstellung<br />

des Rechtsfriedens dienen.<br />

5. Die offene Kommunikation kann Ausgangspunkt einer Verständigung<br />

sein.<br />

6. Die offene Kommunikation ist vom Richter auch dort zu ermöglichen<br />

und durchzuhalten, wo sie von den übrigen Prozeßbeteiligten<br />

nicht mitgetragen oder erwidert wird.<br />

7. Die offene Kommunikation muß – ohne daß sie als Drohung<br />

ausgestattet werden darf! – auch Tatsachen oder Beurteilungen umfassen,<br />

die dem jeweiligen Adressaten unangenehm sind.<br />

8. Der Richter muß immer sichtbar machen, daß er sich immer<br />

unter dem Vorbehalt weiterer Entwicklung offenbart.<br />

9. Der Vorsitzende hat sich vor wesentlichen Erklärungen entweder<br />

zuvor mit den Beisitzern und Schöffen zu beraten oder erkennbar<br />

zu machen, daß er zunächst nur eine eigene Einschätzung<br />

vorträgt.<br />

10. Die Ablehnung einzelner Prozeßbeteiligter, an offener<br />

Kommunikation teilzunehmen oder sie durchzuhalten, darf nicht<br />

zur Verschärfung der Prozeßsituation führen.<br />

11. Es gibt Verfahren, in denen eine offene Kommunikation<br />

nicht oder nicht von vornherein oder dann im Verlaufe der HV<br />

nicht mehr möglich ist.<br />

12. Offene Kommunikation findet häufiger statt als schneidige<br />

Verhandlungsführung und Konfliktverteidigung.<br />

10 Verständigung im Strafverfahren 1986.<br />

11 Spiegel 38/1993.<br />

12 LG Wiesbaden NJW 1995, 409 mit kritischen Anmerkungen von Asbrock<br />

StV 1995, 5.<br />

13 Faust Erster Teil Studierzimmer.


586<br />

l<br />

Leitthema 3: Aktuelle Probleme des<br />

Strafverfahrens – Kooperationen des<br />

Strafverteidigers –<br />

Der Umweltanwalt und die<br />

Kooperation mit dem Strafverteidiger 1<br />

Rechtsanwalt Dr. Martin Beckmann,<br />

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster<br />

A. Einführung<br />

Eine Zusammenarbeit zwischen Strafverteidigern und Umweltanwälten,<br />

das heißt Anwälten, die überwiegend im Bereich des<br />

Umweltrechts tätig sind, kann unterschiedliche Anlässe haben. Der<br />

Strafverteidiger kann sich bei der Verteidigung seines Mandanten<br />

gegen den Vorwurf einer Umweltstraftat der speziellen Rechtskenntnisse<br />

eines umweltrechtlich versierten Kollegen bedienen<br />

wollen. Das kann dann sinnvoll sein, wenn es wegen der Verwaltungsakzessorietät<br />

der Umweltstraftat auf den Umfang verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten, auf die Auslegung umweltrechtlicher<br />

Blankettbegriffe oder auf die Auslegung des Inhalts einer umweltrechtlichen<br />

Erlaubnis oder ihrer Nebenbestimmungen oder auf die<br />

Rechtswirksamkeit einer Genehmigung, einer ordnungsrechtlichen<br />

Verfügung oder eines sonstigen Verwaltungsaktes ankommt. Umgekehrt<br />

wird der Umweltanwalt zum Wohle seines Mandanten die<br />

Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Strafverteidiger insbesondere<br />

dann suchen, wenn es um den Schutz der Verfahrensrechte eines<br />

Mandanten in einem Strafverfahren geht, wenn es auf Fragen von<br />

Vorsatz und Fahrlässigkeit, von Tatbestands- oder Verbotsirrtümern<br />

oder der Strafzumessung entscheidend ankommt. Nicht zuletzt bietet<br />

sich die Zusammenarbeit an, wenn zusätzlich oder ausschließlich<br />

Straftatbestände außerhalb des 28. Abschnittes des StGB zum<br />

Umweltstrafrecht verfolgt werden.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen Strafverteidigern und Umweltanwälten<br />

hat Zukunft, denn die Bedeutung des Umweltstrafrechts<br />

wächst schneller als Erfahrung von Umweltanwälten im Strafprozeß.<br />

Kollegen, die das Umweltrecht und das Strafrecht gleichermaßen<br />

beherrschen und über ausreichende Erfahrungen im Strafprozeß<br />

und in Verwaltungsverfahren gleichermaßen verfügen, sind selten.<br />

In den Medien wird das Umweltstrafrecht zwar von spektakulären<br />

Müllverschiebungen in die Dritte Welt oder nach Osteuropa,<br />

von illegal deponiertem Autoschrott, von wild abgestellten Giftfässern<br />

an Autobahnraststätten oder von illegalen Gewässereinleitungen<br />

großer Industrieunternehmen beherrscht. Organisierte, wirtschaftlich<br />

orientierte und skrupellose Umweltkriminalität gibt es<br />

selbstverständlich. So schlimm sie ist, bleibt sie allerdings vermutlich<br />

eher die Ausnahme. Der Alltag des Umweltstrafrechts dürfte<br />

zumeist weniger spektakulär sein. Zumindest die Verwirklichung<br />

des objektiven Tatbestandes von Umweltstraftaten zum Beispiel im<br />

Bereich der ungenehmigten Abfallbeseitigung oder des ungenehmigten<br />

Betriebes von Anlagen dürfte häufiger durch die Unbestimmtheit<br />

vieler umweltrechtlicher Gesetzesbegriffe und die fehlende<br />

Eindeutigkeit von umweltrechtlichen Zulassungsbescheiden,<br />

deren Mißachtung strafrechtlich sanktioniert werden kann, als<br />

durch eine bewußt genutzte kriminelle Energie verursacht werden.<br />

Für die Zusammenarbeit zwischen Strafverteidiger und Umweltanwälten<br />

ist von den Umweltstraftaten wohl nur eine Spitze eines<br />

Eisberges geeignet. Ein Großteil der Umweltstraftaten bleibt<br />

unentdeckt, von den aufgedeckten Straftaten dürfte die überwiegende<br />

Zahl der Bagatellkriminalität zuzuordnen sein, die schon mangels<br />

wirtschaftlicher Bedeutung eine Zusammenarbeit von mehreren<br />

Anwälten kaum rechtfertigen kann. Der Landwirt, der durch<br />

eine übermäßige Düngung den Boden oder das Gewässer unbefugt<br />

verunreinigt, wird sich regelmäßig kaum zu seiner Verteidigung neben<br />

einem Strafverteidiger noch einen Umweltanwalt bestellen<br />

wollen oder können. Gleiches gilt bekanntlich auch für denjenigen,<br />

der Abfälle wird in der Landschaft abgelagert hat.<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

Das Dunkelfeld unentdeckter Umweltstraftaten wird bedeutend<br />

größer eingeschätzt als der Umfang der entdeckten Straftaten. 2<br />

Diese Erkenntnis teilt das Umweltstrafrecht vermutlich mit dem<br />

Steuerstrafrecht. Angesichts der Kompliziertheit des Umweltrechtes,<br />

des Umfanges der verwaltungsrechtlichen Pflichten können<br />

vermutlich viele Unternehmen ihre Betriebe nicht dauerhaft ohne<br />

jegliche Strafrechtsrisiken betreiben. Im Jahre 1995 wurden in der<br />

Bundesrepublik 35.643 Straftaten gegen die Umwelt festgestellt.<br />

Dabei handelte es sich ganz überwiegend, nämlich in 31.694 Fällen,<br />

das sind 88,9 %, um Straftaten aus dem Bereich der umweltgefährdenden<br />

Abfallbeseitigung und um Fälle der unbefugten Gewässerverschmutzung.<br />

Mit einer Aufklärungsquote von 60,9 % blieben<br />

zwar 13.936 Vergehen ungeahndet. Immerhin wurden 21.707 Umweltdelikte<br />

im Jahre 1995 aufgeklärt. Gemessen daran ist die Zahl<br />

der strafrechtlichen Verurteilungen relativ gering. Im Jahre 1994<br />

kam es immerhin zu mehr als 2.000 Verurteilungen. Dabei wurden<br />

ganz überwiegend Geldstrafen ausgesprochen, in gut 100 Fällen<br />

kam es im Jahre 1994 zur Verhängung von Freiheitsstrafen. Wohl<br />

immer noch werden überwiegend eine Vielzahl von Bagatellverstößen<br />

verfolgt, während die Strafverfolgung erheblicher Umweltbeeinträchtigungen<br />

industrieller Nutzungen oder wirtschaftlich<br />

motivierter, organisierter Umweltkriminalität durch Aufklärungshindernisse<br />

erschwert wird. 3 Soweit der Versuch der Aufklärung<br />

eine umfassende und zeitaufwendige Recherche der Ermittlungsbehörden<br />

durch Aktenbeschlagnahme, Zeugenvernehmungen, Durchsuchungen<br />

etc. voraussetzt, wird sie unabhängig vom Ausgang des<br />

Verfahrens zu einer großen Belastung für die betreffenden Unternehmen<br />

und ihre Mitarbeiter.<br />

Für die Zusammenarbeit zwischen den Strafverteidigern und<br />

dem Umweltanwalt spricht nicht zuletzt ein eher psychologisches<br />

Argument:<br />

Der typische Umweltstraftäter ist nicht derjenige, der bei Nacht<br />

und Nebel an einer Autobahnraststätte die schon erwähnte Wagenladung<br />

mit Giftmüllfässern ablädt. Vielmehr handelt es sich nach<br />

empirischen Untersuchungen bei dem typischen Umweltstraftäter<br />

eher um eine klassische Führungskraft der Wirtschaft. Er war bislang<br />

kriminalpolizeilich unauffällig (89 %), verfügt über ein regelmäßiges,<br />

meist gehobenes Einkommen und eine überdurchschnittliche<br />

Schul- und Berufsausbildung, ist verheiratet (81 %), zwischen<br />

40 und 60 Jahren alt, männlich (98 %) und deutsch (87 %). 4 Wird<br />

ein in dieser Weise Charakterisierter beschuldigt und einem Enteignungsverfahren<br />

ausgesetzt, dann bedeutet dies einen zumeist tiefgreifenden<br />

Einschnitt in das Privat- und Berufsleben. In einer solchen<br />

Situation bedarf es der bestmöglichen Verteidigung, die neben<br />

dem Strafverteidiger eben möglicherweise noch eine Unterstützung<br />

durch einen Umweltanwalt voraussetzt.<br />

Die bei der Eröffnung eines Strafverfahrens wegen des Verdachts<br />

der Begehung von Umweltdelikten unerläßliche Zusammenarbeit<br />

zwischen Strafverteidigern und Umweltanwälten möchte ich<br />

im nachfolgenden damit beginnen, zunächst aus der Sicht eines<br />

Umweltanwaltes über die Bedeutung des Umweltstrafrechts für<br />

den Umweltanwalt und über Erfahrungen insbesondere aus staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungsverfahren zu berichten, um gestützt darauf<br />

einige Thesen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit<br />

zwischen Strafverteidigern und Umweltanwälten zu machen.<br />

B. Bedeutung des Umweltstrafrechtes für den Umweltanwalt<br />

Für den Umweltanwalt hat das Umweltstrafrecht nicht erst dann<br />

Bedeutung, wenn der Staatsanwalt das Büro oder die Wohnung seines<br />

Mandanten durchsucht. Vielmehr ist das Umweltstrafrecht we-<br />

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages, den der Verfasser auf dem 49. Deutschen<br />

Anwaltstag in Frankfurt am 9.5.1997, zum Leitthema 3 „Aktuelle Probleme<br />

des Strafverfahrens – Die Kooperation zwischen dem Strafverteidiger<br />

und dem Wirtschafts-, Steuer- und Umweltanwalt“ gehalten hat.<br />

2 Hoch, Die Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts aus der Sicht der Umweltverwaltung<br />

und Strafverfolgung. Freiburg 1994, S. 505: Wittkämper/Wulff-<br />

Nienhüser, Umweltkriminalität heute und morgen, Wiesbaden 1987; Hümbs-<br />

Krusche/Krusche, Die strafrechtliche Erfassung von Umweltbeeinträchtigungen,<br />

Stuttgart 1982.<br />

3 Schönke/Schröder-Cramer, Kommentar zum StGB, 25. Aufl., München 1997,<br />

Vorbem. 2 zu §§ 324 ff.<br />

4 Siehe Horst/Grothmann, Umweltschutzrecht, in: BJU - Umweltberater, Loseblatt,<br />

Stand: April 1995, Kapitel 6, 3.1, S. 4.


AnwBl 11/97 587<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

gen seiner Verwaltungsakzessorietät schon bei der Beratung und<br />

Vertretung in Rechtsstreitigkeiten um den Umfang verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten zu berücksichtigen. Das Umweltstrafrecht ist<br />

ein wichtiges Thema für den Umweltanwalt auch deshalb, weil<br />

Unternehmensinhaber und Unternehmensleitungen ein großes Interesse<br />

daran haben, ihre Unternehmen und Betriebe so zu organisieren,<br />

daß die erwähnten Strafrechtsrisiken verringert oder sogar<br />

vermieden werden. Schließlich ist auch bei der Delegation umweltrechtlicher<br />

Pflichten innerhalb und außerhalb eines Unternehmens<br />

zu berücksichtigen, in welchem Umfang trotz der Delegation strafrechtliche<br />

Verantwortung erhalten bleibt. In manchen Fällen wollen<br />

Mandanten vorsorglich über allgemeine Verhaltensregeln für<br />

den Fall staatsanwaltlicher Ermittlungen beraten werden.<br />

I. Folgen der Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts<br />

Ende 1994 ist in der Fassung des 2. Umweltkriminalitätsgesetzes<br />

5 ein neues Umweltstrafrecht in Kraft getreten. Es hat den Regelungsumfang<br />

des bis dahin geltenden Umweltstrafrechts im 28.<br />

Abschnitt des Strafgesetzbuches erweitert und die Strafandrohungen<br />

zum Teil erheblich heraufgesetzt. Neu geschaffen wurde insbesondere<br />

der Straftatbestand der Bodenverunreinigung in § 324a<br />

StGB, aus der ehemals gemeinsamen Vorschrift über die Luftverunreinigung<br />

und die Lärmverursachung wurden zwei getrennte und<br />

voneinander unabhängige Bestimmungen gebildet (§§ 325, 325a<br />

StGB 1994). Der Tatbestand der schweren Umweltgefährdung ist<br />

in § 330 StGB umgestaltet worden.<br />

Bei der Novellierung des Umweltstrafrechtes ist zum Anknüpfungspunkt<br />

für die Strafbarkeit in einer ganzen Reihe von Umweltstraftatbeständen<br />

die „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“<br />

geworden. Sie ist Voraussetzung für die Strafbarkeit bei der<br />

9 Bodenverunreinigung,<br />

9 Luftverunreinigung,<br />

9 Verursachung von Lärm, Erschütterungen und nicht ionisierenden<br />

Strahlen,<br />

9 umweltgefährdenden Abfallbeseitigung,<br />

9 bei dem unerlaubten Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen<br />

gefährlichen Stoffen und Gütern und<br />

9 bei der besonders schweren Umweltfährdung.<br />

Aber auch bei den Tatbeständen der Gewässerverunreinigung<br />

und dem unerlaubten Betreiben von Anlagen kommt es für die<br />

Strafbarkeit auf verwaltungsrechtliche Vorgaben an, weil sich erst<br />

aus dem Verwaltungsrecht ergibt, ob eine Gewässerverunreinigung<br />

unbefugt ist und weil sich die Frage nach der Genehmigungsbedürftigkeit<br />

eines Anlagenbetriebes ebenfalls nach verwaltungsbzw.<br />

umweltrechtlichen Bestimmungen richtet.<br />

Der Grundsatz des Umweltstrafrechtes, daß strafrechtlich nicht<br />

verboten sein kann, was verwaltungsrechtlich ausdrücklich erlaubt<br />

worden ist, gilt allerdings nicht uneingeschränkt. 6 § 330d Nr. 5<br />

StGB sieht vor, daß als ein Handeln ohne die erforderliche öffentlich-rechtliche<br />

Zulassung auch ein Handeln aufgrund einer Drohung,<br />

Bestechung, Kollusion oder durch unrichtige oder unvollständige<br />

Angaben erschlichenen Genehmigung gilt. Eine verwaltungsrechtliche<br />

Pflicht im Sinne von § 330d StGB, deren<br />

Verletzung in einer Vielzahl von Umweltstraftatbeständen Voraussetzung<br />

für die Straftat ist, ist eine Pflicht, die sich aus einer<br />

Rechtsvorschrift, einer gerichtlichen Entscheidung, einem vollziehbaren<br />

Verwaltungsakt, einer vollziehbaren Auflage oder einem öffentlich-rechtlichen<br />

Vertrag ergibt, soweit die Pflicht auch durch<br />

Verwaltungsakt hätte auferlegt werden können. 7<br />

1. Mangelnde Bestimmtheit des Umweltstrafrechts<br />

Ob ein Verhalten strafbar ist, kann der betroffene Bürger oder<br />

das im Umweltbereich tätige Unternehmen nicht allein durch einen<br />

Blick in das Strafgesetzbuch oder durch Lektüre eines an ihn adressierten<br />

Verwaltungsaktes erkennen. Er muß vielmehr grundsätzlich<br />

die einschlägigen verwaltungsrechtlichen Gesetze und Rechtsverordnungen<br />

kennen und diese unter die Umweltstraftatbestände subsumieren<br />

können.<br />

Die sehr weite Anknüpfung an verwaltungsrechtliche Pflichten<br />

begründet berechtigte Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit<br />

der Umweltstraftatbestände, zumal die umweltrechtlichen Bestimmungen,<br />

deren Beachtung bei der Beurteilung der Strafbarkeit des<br />

Handelns zu berücksichtigen sind, ihrerseits in hohem Maße unbestimmt<br />

sind. 8 Das gilt nach meiner Auffassung trotz der Entscheidung<br />

des Bundesverfassungsgerichts zur hinreichenden Bestimmtheit<br />

von § 327 Absatz 2 Nr. 1 StGB zum unerlaubten Betreiben<br />

von Anlagen. 9<br />

Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts ist für die<br />

handelnden Akteure im Umweltbereich angesichts der Regelungsvielfalt,<br />

der starken Dynamik der Rechtsentwicklung im deutschen<br />

und europäischen Umweltrecht und der gerade im Sinne dieser Dynamisierung<br />

gesetzlicher Pflichten sehr offen formulierten Gesetzesbegriffe<br />

mit Unsicherheiten und Risiken verbunden. Die Beachtung<br />

aller verwaltungsrechtlichen Pflichten, deren Mißachtung<br />

strafrechtlich verfolgt wird, ist ohne einen Umweltanwalt in zahlreichen<br />

Fällen kaum noch möglich oder gerät ohne ihn jedenfalls<br />

zur Glückssache. So ernährte die rechtliche Abgrenzung des Abfalls<br />

von Wirtschaftsgütern oder Reststoffen den Umweltanwalt in<br />

der Vergangenheit redlich. Nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts-<br />

und Abfallgesetzes im Oktober 1996 sind es die Abgrenzungen<br />

von Abfällen und Produkten, zwischen Abfallverwertung<br />

und Abfallbeseitigung, der Umfang der Pflicht von Abfallbesitzern<br />

und Abfallerzeugern, ihre Abfälle den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern<br />

überlassen zu müssen, oder Einzelheiten des neu<br />

gestalteten Abfallüberwachungsrechtes, die den Umweltanwalt in<br />

Atem halten.<br />

Zur Illustration sei auf ein durchaus häufiges Beispiel für die<br />

Überlagerung umweltrechtlicher und strafrechtlicher Probleme aus<br />

der Praxis verwiesen: Ein Privatmann erbt ein in Ostdeutschland gelegenes<br />

Grundstück, auf dem gegen den Willen des Erblassers über<br />

viele Jahre eine Lackfabrik betrieben wurde. Die Lackfabrik wurde<br />

von einem volkseigenen Betrieb geführt. Sie hinterließ in einer Vielzahl<br />

von Tonnen Lackschlämme, Sonderabfälle und<br />

Fabrikationsrückstände. Der Grundstückseigentümer wird von der<br />

zuständigen Ordnungsbehörde als Zustandsverantwortlicher für die<br />

Beseitigung der Stoffe in Anspruch genommen, weil von den Stoffen<br />

Gefahren für das Grundwasser drohen und der ehemalige VEB<br />

sich weigert, die Stoffe zu beseitigen. Da der Grundstückseigentümer<br />

nicht bereit ist, den Aufwand für die Beseitigung der Abfälle in<br />

Höhe von 500.000,– DM zu tragen und die Störerauswahl durch die<br />

Behörde für ermessensfehlerhaft hält, zieht er gegen die Ordnungsverfügung<br />

vor das Verwaltungsgericht. Auch wenn nach seiner Ansicht<br />

die Aussichten, den Verwaltungsprozeß zu gewinnen, und die<br />

Behörde zu veranlassen, gegen den Verursacher der Umweltgefahr<br />

einzuschreiten, nicht schlecht stehen, stellt sich für den Grundstückseigentümer<br />

die Frage, ob er den Verwaltungsprozeß über eine<br />

Dauer von mehreren Jahren überhaupt führen kann. Denn wenn den<br />

Grundstückseigentümer aufgrund seiner Zustandsverantwortung eine<br />

Garantenstellung trifft, dann könnte ihm das Unterlassen der Beseitigung<br />

der Abfälle den Vorwurf einer unbefugten Gewässerverunreinigung,<br />

einer Bodenverunreinigung oder einer ungenehmigten Abfallablagerung<br />

eintragen. Was soll der Umweltanwalt dem Mandanten<br />

raten? Muß er auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz wegen<br />

der strafrechtlichen Risiken verzichten? 10<br />

2. Keine verbindliche Klärung verwaltungsrechtlicher Pflichten<br />

Neben der Unbestimmtheit zahlreicher Blankettbegriffe des<br />

Umweltrechtes leiden die Akteure des Umweltrechtes, das heißt<br />

Unternehmen, Verbände, Behörden und Umweltanwälte darunter,<br />

daß umstrittene Rechtsfragen bei der Anwendung und Auslegung<br />

des Umweltrechts in angemessener Zeit verbindlich kaum zu klären<br />

sind. Ist der Genehmigungsinhaber zum Beispiel in Zweifel darüber,<br />

ob die ihm erteilte Genehmigung ein bestimmtes Verfahren<br />

5 Vom 27.6.1994. BGBl. I. S. 1440.<br />

6 Lackner, Kommentar zum StGB, 21. Auflage, München 1995, vor § 324<br />

Rdnr. 3; zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts siehe zum Beispiel<br />

Fritsch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht,<br />

1993; Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des<br />

Umweltstrafrechts, 1985; Breuer, JZ 1994, 1077 ff.<br />

7 Paetzold, Die Neuregelung rechtsmißbräuchlich erlangter Genehmigungen<br />

durch § 330d StGB, NStZ 1996, 170 ff.<br />

8 Siehe dazu Michalke, Das neue Umweltstrafrecht, Wistra 1996, 73 f.; Kloepfer/Vierhaus,<br />

Umweltstrafrecht, Rdnr. 26. ff.<br />

9 BVerfG, Beschluß vom 6.5.1987 – 2 BvL 11/85 –, E 75, 329 ff.<br />

10 Siehe dazu auch Schmitz, „Wilde Müllablagerungen und strafrechtliche Garantenstellung<br />

des Grundstückseigentümers, NJW 1993, 1167.


588<br />

l<br />

noch deckt, wird er bei Nachfrage bei seiner zuständigen Genehmigungsbehörde<br />

häufig keine verbindliche Antwort bekommen. Dabei<br />

ist zu berücksichtigen, daß eine Anlage nicht nur dann ohne<br />

die erforderliche Genehmigung betrieben wird, wenn diese nicht<br />

erteilt oder aufgehoben, bzw. erloschen ist, sondern auch dann,<br />

wenn eine mit der Genehmigung verbundene Nebenbestimmung<br />

mißachtet wird. 11<br />

a) Entscheidungskompetenz der Überwachungsbehörden<br />

Die Bedrohung durch das Umweltstrafrecht lähmt die Entscheidungsfreude<br />

und Kooperationsbereitschaft der Überwachungs- und<br />

Genehmigungsbehörden. Anlagenbetreiber und sonstige Unternehmen,<br />

die umweltrelevant tätig sind, sind auf eine Kooperation mit<br />

Genehmigungs- und Überwachungsbehörden dringend angewiesen.<br />

Das hat mit kollusivem Zusammenwirken, Kumpanei oder Kollaboration<br />

zwischen Behörden und Unternehmen regelmäßig nichts<br />

zu tun. 12 Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht ist keine Erfindung<br />

von Rechtswissenschaftlern, sondern ein Gebot der Praxis.<br />

Angesichts der Zeitabläufe und letztlich auch wegen der fehlenden<br />

Kompetenz lassen sich umweltrechtliche Genehmigungen zwar<br />

theoretisch mit Verpflichtungsklagen bei den Verwaltungsgerichten<br />

einklagen. Praktisch scheidet dieser Rechtsschutz angesichts eines<br />

mehrjährigen Verfahrens jedoch aus. In der Wirtschaft wird die<br />

Musik nach einem schnelleren Takt geschlagen.<br />

Zu einem kooperativen oder informellen Verwaltungshandeln<br />

ist der zuständige Genehmigungs- oder Aufsichtsbeamte kaum bereit,<br />

wenn er befürchten muß, daß ihm am Ende noch eine Teilnahme<br />

an einem strafrechtsrelevanten Vorgang vorgeworfen wird. Das<br />

kann bereits dann der Fall sein, wenn der Behördenmitarbeiter dem<br />

Anlagenbetreiber bestätigt, daß eine Änderung des Betriebes der<br />

Anlage wegen ihrer Unwesentlichkeit keiner Genehmigung bedarf<br />

oder wenn er feststellt, daß eine befristete wasserrechtliche Erlaubnis<br />

ausläuft, eine bereits seit langem beantragte Verlängerung der<br />

Erlaubnis aber wegen mangelnder Personalkapazität der Behörde<br />

nicht mehr fristgerecht erteilt werden kann. Eine passive, behördliche<br />

Duldung der befristet unerlaubten Gewässerbenutzung schützt<br />

bekanntlich nicht ohne weiteres vor Strafe. 13 Bei Zweifeln über<br />

den Inhalt und Umfang einer erteilten Genehmigung wird die Behörde<br />

den Genehmigungsinhaber bei Änderung der Betriebsweise<br />

deshalb auffordern, einen Änderungs- oder Erweiterungsantrag zu<br />

stellen, über den dann in einem Genehmigungsverfahren entschieden<br />

werden kann. Das Verfahren kann je nach Verfahrensart trotz<br />

aller Beschleunigungsintitiativen auf allen Ebenen monatelang, in<br />

Extremfällen sogar Jahre dauern.<br />

b) Versagen des Verwaltungsrechtsschutzes<br />

Wird ohne hinreichenden Grund von der Genehmigungsbehörde<br />

nicht entschieden und rät der Umweltanwalt zur Erhebung einer<br />

Untätigkeitsklage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht, dann<br />

wird die Untätigkeit der Genehmigungsbehörde mit einer Untätigkeit<br />

des Verwaltungsgerichts fortgesetzt. Es ist deshalb häufig nicht<br />

eine befürchtete mangelnde Genehmigungsfähigkeit einer Verfahrensänderung<br />

oder einer Kapazitätserweiterung, die den Genehmigungsinhaber<br />

vor einem förmlichen Genehmigungsantrag zurückschrecken<br />

läßt, sondern die zu erwartende Verfahrensdauer, ein<br />

mögliches negatives Echo in den Medien oder der politische Widerstand<br />

vor Ort.<br />

c) Keine verbindliche Klärung durch den Umweltanwalt<br />

Ist eine Klärung des Umfangs verwaltungsrechtlicher Pflichten<br />

mit den Genehmigungsbehörden und den Verwaltungsgerichten<br />

zeitgerecht nicht zu erreichen, bleibt das Unternehmen oder aber<br />

auch die öffentlich-rechtliche Körperschaft auf die Beratung durch<br />

den Umweltanwalt angewiesen. Im Unterschied zu Entscheidungen<br />

der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichte sind Ratschläge<br />

eines Umweltanwaltes nicht der Bestands- oder Rechtskraft<br />

fähig. Bei rechtlich umstrittenen Fragen über den Umfang<br />

verwaltungsrechtlicher Pflichten kann der Rat des Umweltanwaltes<br />

das Risiko einer Mißachtung derartiger Pflichten zwar verringern,<br />

jedoch nicht ausschließen, der Umweltanwalt muß sich in manchen<br />

Fällen sogar in Acht nehmen. Dient seine Stellungnahme doch womöglich<br />

unausgesprochen dazu, im Falle strafrechtlicher Ermittlungen<br />

den Nachweis zu führen, daß die verwaltungsrechtlichen<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

Pflichten beachtet wurden oder doch zumindest versichern zu können,<br />

daß angesichts der Auskunft eines spezialisierten Umweltanwaltes<br />

alle Pflichten eingehalten wurden, so daß jedenfalls der subjektive<br />

Tatbestand nicht erfüllt sei. Die Erkundigung bei einem<br />

Hausjuristen oder dem das Unternehmen beratenden Anwalt muß<br />

trotz entsprechender Auskunft nicht immer zur Unvermeidbarkeit<br />

eines möglichen Verbotsirrtums führen, insbesondere dann nicht,<br />

wenn die zuständige Überwachungsbehörde – im Widerspruch zu<br />

der Auskunft des eigenen Juristen – den Betroffenen wiederholt<br />

auf Unzulänglichkeiten des Anlagenbetriebes hingewiesen hat und<br />

schon gar nicht, wenn der Anwalt wider besseres Wissen eine Gefälligkeitsauskunft<br />

gibt. 14<br />

3. Nachweis- und Dokumentationspflichten<br />

Abfallerzeuger, Entsorger, Gewässerbenutzer und Anlagenbetreiber<br />

gehen im Umweltrecht angesichts sehr unbestimmter und<br />

nur schwer verständlicher Regelwerke einen schmalen Grat. Sie<br />

müssen in weiten Bereichen über Nachweispflichten, die Führung<br />

von Nachweisbüchern, Betriebstagebüchern, mit Emissionserklärungen,<br />

regelmäßigen Messungen und Beprobungen, im Rahmen<br />

von Emissionsfernüberwachungssystemen etc. kontinuierlich Rechenschaft<br />

über ihre Unternehmenstätigkeiten ablegen. Umweltinformationsansprüche,<br />

die jedermann ohne Nachweis eines sachlichen<br />

Grund berechtigen, Einsicht in die umweltrelevanten Unterlagen<br />

des Unternehmens bei den Behörden zu nehmen, tun ein übriges,<br />

um mögliche Abweichungen des genehmigten Betriebes<br />

offenzulegen und zu dokumentieren. Nicht zuletzt sind Anlaß für<br />

staatsanwaltliche Ermittlungen in 50 % der Ermittlungsverfahren<br />

Anzeigen, die von Mitarbeitern im Unternehmen selbst erstattet<br />

werden. Bestätigt sich im Laufe staatsanwaltlicher Ermittlungen<br />

der Anfangsverdacht nicht, so besteht angesichts der Weite der<br />

Straftatbestände für die Ermittler jedenfalls regelmäßig die berechtigte<br />

Hoffnung, aus der Fülle der auswertbaren Verwaltungsvorgänge,<br />

Aktenablagen des Unternehmens, zu vernehmender Zeugen etc.<br />

eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Einzelfall<br />

nachzuweisen oder zu konstruieren. Als besonders gute Quelle gelten<br />

für Ermittler vermutlich ehemalige Mitarbeiter, die in Unfrieden<br />

aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Ich schließe nicht<br />

aus, daß Ermittlungsbehörden das ins Kalkül ziehen.<br />

II.Vermeidung von Strafrechtsrisiken<br />

Neben dem strafrechtlichen Risiko einer Fehlinterpretation verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten muß ein Hauptaugenmerk der Unternehmen<br />

darauf gerichtet sein, bei ihrer Organisation und Betriebsführung<br />

strafrechtliche Risiken zu verringern, wenn schon nicht<br />

vollständig zu vermeiden. Besonders relevant werden die strafrechtlichen<br />

Risiken im Bereich des Umweltstrafrechts bei der Delegation<br />

von verwaltungsrechtlichen Pflichten innerhalb und außerhalb des<br />

Unternehmens sowie bei der Übernahme von Unternehmen. Auch<br />

insoweit wächst der Beratungsbedarf.<br />

1. Vermeidung von Organisationsmängeln im Unternehmen<br />

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln auf allen Hierarchieebenen<br />

eines Unternehmens. Sie möchten allerdings in erster Linie<br />

nicht die Handlanger, sondern die eigentlich Verantwortlichen ermitteln.<br />

Es ist deshalb von großer Bedeutung für das Unternehmen,<br />

von vornherein Organisationsfehler zu vermeiden, die den Vorwurf<br />

einer Umweltstraftat rechtfertigen könnten. Jeder Mitarbeiter muß<br />

wissen, für welchen Bereich er die öffentlich-rechtliche aber auch<br />

die strafrechtliche Verantwortung übernehmen muß. Alle Verantwortlichen<br />

müssen wissen, daß eine Delegation von Verantwortung<br />

nie vollständig von der strafrechtlichen Verantwortung entlastet,<br />

11 Schönke/Schröder-Stree, StGB, § 325 Rdnr. 9.<br />

12 Siehe dazu Breuer, Verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Umweltschutz,<br />

JZ 1994, 1077 (1085); Bohne, in: Dokumentation zur 7. Fachtagung der Gesellschaft<br />

für Umweltrecht, Berlin 1983, S. 148 f.<br />

13 Siehe zur behördlichen Duldung rechtswidrigen Verhaltens Kloepfer/Vierhaus,<br />

Umweltstrafrecht, Rdnr. 38 ff.; Hermes/Wieland, Die staatliche Duldung<br />

rechtswidrigen Verhaltens, 1988; Heider, Die Bedeutung der behördlichen<br />

Duldung im Umweltstrafrecht, 1994; Rogall. Die Duldung im Umweltstrafrecht,<br />

NJW 1995, 922.<br />

14 Michalke, Umweltstrafsachen, Heidelberg 1991, S. 45; Franzheim, Umweltstrafrecht,<br />

S. 76.


AnwBl 11/97 589<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

sondern weiterhin Aufsichts- und Weisungsbefugnisse sowie Informationsrechte<br />

auch wahrgenommen werden müssen. Ein Organisationsverschulden<br />

kann zum Beispiel vorliegen, wenn die mit bestimmten,<br />

potentiell umweltgefährdenden Aufgaben betrauten Mitarbeiter<br />

überfordert waren und deshalb bei ihrer Aufgabenerfüllung<br />

eine Umweltstraftat begangen haben. Die Delegation von Aufgaben<br />

entlastet insoweit nicht vollständig von den verwaltungsrechtlichen<br />

Pflichten, deren Verletzung zu strafrechtlichen Folgen führen<br />

kann. Sie schafft vielmehr verschiedene Ebenen der Verantwortung,<br />

die strafrechtlich gesondert hinsichtlich ihrer Verantwortungsanteile<br />

gewürdigt werden. 15<br />

Ein ehemaliger Strafverfolger formuliert dazu wie folgt: Durch<br />

die Existenz des Umweltstrafrechts und seiner Anwendung in der<br />

Praxis durch die Strafverfolgungsbehörden seien Verantwortliche<br />

der Industrie dazu gebracht worden, alles zu tun, um Betriebsstörungen<br />

mit negativen Folgen für die Umwelt zu vermeiden. Die<br />

Verantwortlichen in den Unternehmen hätten eine panische Angst<br />

davor, in Umweltstrafverfahren verstrickt zu werden oder sich gar<br />

auf der Anklagebank verantworten zu müssen. Dieser präventive<br />

Erfolg des Umweltstrafrechts und seines Vollzuges schlage sich in<br />

keiner Statistik nieder, sei jedoch sehr effizient. 16<br />

2. Strafrechtsrisiken bei der Delegation von Pflichten<br />

Bei der Beauftragung eines Unternehmens mit der Entsorgung<br />

von Sonderabfällen hat der BGH den Geschäftsführer einer Firma<br />

wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung gemäß § 326 StGB<br />

zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er ein von einem<br />

Sachverständigen empfohlenes Unternehmen mit der Entsorgung<br />

von quecksilberhaltigem Abfall (Saatgutbeize) beauftragt hatte<br />

und dieses Unternehmen den Abfall jedoch nicht vereinbarungsgemäß<br />

entsorgte, sondern illegal nach Polen verkaufte, wo er in einem<br />

Hühnerstall abbestellt wurde. 17 Nach der Rechtsprechung des BGH<br />

genügt der Auftraggeber seiner Beseitigungspflicht nicht dadurch,<br />

daß er mit der Entsorgung ein Unternehmen betraut, das überhaupt<br />

Abfallbeseitigung betreibt und Mitglied eines entsprechenden<br />

Unternehmensverbandes ist. Den Abfallerzeuger trifft eine weitergehende<br />

Erkundigungspflicht. Er hat sich davon zu überzeugen, ob<br />

das in Aussicht genommene Unternehmen zu der angebotenen<br />

Abfallentsorgung tatsächlich imstande und rechtlich befugt ist. 18<br />

Strafrechtsrisiken bestehen somit nicht nur bei der unternehmensinternen<br />

Delegation von Verantwortlichkeiten, sondern auch<br />

bei der Beauftragung Dritter mit der Erfüllung verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten.<br />

3. Umweltstrafrecht beim Unternehmenskauf<br />

Die strafrechtliche Verantwortung ist besonders schwer bei der<br />

Übernahme von Unternehmen zu kalkulieren. Entspricht zum Beispiel<br />

bei dem Kauf eines Unternehmens der laufende Betrieb nicht<br />

den gesetzlichen oder genehmigungsrechtlichen Anforderungen,<br />

dann kann mit Übergang des Besitzes auch die strafrechtliche Verantwortung<br />

auf den neuen Inhaber übergehen. Das gleiche kann<br />

bei im Zeitpunkt des Kaufes nicht erkannten Altlasten geschehen.<br />

Stellt der Erwerber nach Besitzübergang eine das Grundwasser<br />

oder den Boden verunreinigende Altlast fest, dann kann er sich<br />

zivilrechtlich um die Rückabwicklung des Vertrages oder um<br />

Gewährleistungsrechte, öffentlich-rechtlich um die Abwehr von<br />

Ordnungsverfügungen bemühen. Ob er zwischenzeitlich bis zur<br />

Entscheidung in diesen zivilrechtlichen und/oder verwaltungsgerichtlichen<br />

Streitverfahren allerdings das strafrechtliche Risiko tragen<br />

will oder kann, ist eine davon zu trennende Frage, die die in<br />

dem erwerbenden Unternehmen Verantwortlichen persönlich beantworten<br />

müssen. Zur Vermeidung derartiger Risiken muß sich der<br />

Erwerber sehr genau über die umweltrechtliche und genehmigungsrechtliche<br />

Situation des Betriebes vergewissern. Der Umweltanwalt<br />

kann ihm dabei wichtige Dienste leisten.<br />

C. Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />

Eine Zusammenarbeit zwischen Strafverteidigern und Umweltanwälten<br />

wird sich regelmäßig im Vorfeld strafrechtlicher Ermittlungen<br />

nicht anbieten. Die Beratung umweltrechtlicher Streitfragen<br />

wird vermutlich die Domäne eines Umweltanwaltes bleiben, auch<br />

wenn wegen der möglichen Verletzung verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten auch strafrechtliche Risiken bestehen. Das gleiche gilt für<br />

die Beratung zur Organisation von Unternehmen und Betrieben<br />

mit dem Ziel der Vermeidung von Strafrechtsrisiken oder bei dem<br />

Kauf von Unternehmen. Selbst eine vorsorgliche Beratung zu Verhaltensregeln<br />

für den Fall, daß die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung<br />

von Geschäftsräumen oder eine Beschlagnahme von Geschäftsakten<br />

veranlaßt, braucht keine Zusammenarbeit mit dem<br />

Strafverteidiger. Möchte der Strafverteidiger auch auf diesen Beratungsfeldern<br />

tätig werden, wird er selbst zum „Umweltanwalt“.<br />

Unersetzlich kann dagegen die Zusammenarbeit zwischen dem<br />

Strafverteidiger und dem Umweltanwalt für den Beschuldigten werden,<br />

wenn ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden ist. Obwohl<br />

eine Kooperation zwischen Strafverteidiger und Umweltanwalt im<br />

Sinne einer effektiven Verteidigung angezeigt sein mag, ist die Zusammenarbeit<br />

für den Umweltanwalt, der die Interessen eines im<br />

Umweltbereich tätigen Unternehmens, Verbandes vertritt oder eine<br />

Behörde berät, nicht selbstverständlich. Geht man davon aus, daß<br />

der Umweltanwalt dazu berufen ist, durch seine Beratung zum Umfang<br />

der verwaltungsrechtlichen Pflichten die Begehung von Straftaten<br />

möglichst zu verhindern, dann ist es nicht selbstverständlich, daß<br />

der Umweltanwalt zum Schutze eines Mitarbeiters des Unternehmens,<br />

der unter Verletzung seiner Pflichten möglicherweise straffällig<br />

geworden ist, mit dessen Verteidiger zusammenarbeitet.<br />

Auch dazu ein kurzes Beispiel: Ein Unternehmen kauft ein anderes<br />

Unternehmen, das eine Müllverbrennungsanlage betreibt.<br />

Dem Inhaber des erwerbenden Unternehmen offenbart ein Mitarbeiter<br />

des übernommenen Unternehmens, daß die Verbrennungsanlage<br />

in der Vergangenheit unter Mißachtung einer Reihe von Nebenbestimmungen<br />

der für den Betrieb erteilten Genehmigung<br />

betrieben worden ist. Der Unternehmensinhaber bedankt sich nicht<br />

für das entgegengebrachte Vertrauen, sondern beauftragt seinen<br />

Umweltanwalt, durch Befragung der Mitarbeiter, Prüfung der Genehmigungen<br />

und Sichtung vorhandener Unterlagen die Strafrechtsrelevanz<br />

des Vorgangs zu klären und gegebenenfalls Anzeige<br />

bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten und dabei zu helfen, die Genehmigungskonformität<br />

des laufenden Betriebes unverzüglich herzustellen.<br />

Die Reaktion des Unternehmers ist nach meiner Auffassung die<br />

einzig richtige, um von vornherein einen Verdacht der Beteiligung,<br />

Duldung oder eines strafrechtlich relevanten Unterlassens der Unternehmensleitung<br />

zu vermeiden. Das Unternehmen legt insoweit<br />

keinen gesteigerten Wert auf eine Kooperation zwischen seinem<br />

Umweltanwalt und dem Strafverteidiger seines nach eigenem Bekunden<br />

straffällig gewordenen Mitarbeiters. Vielmehr wird sich<br />

das Unternehmen zum Erhalt der persönlichen Zuverlässigkeit voraussichtlich<br />

so schnell wie möglich von dem unzuverlässigen Mitarbeiter<br />

trennen. Etwas anderes gilt selbstverständlich dann, wenn<br />

Mitarbeiter oder Führungskräfte zu Unrecht in den Verdacht einer<br />

Umweltstraftat geraten. Dann wird das Unternehmen auch mit Hilfe<br />

seines Umweltanwaltes und dessen Zusammenarbeit mit einem<br />

Strafverteidiger alles tun, um den Mitarbeiter vor der Strafverfolgung<br />

zu schützen.<br />

I. Einschaltung des Umweltanwaltes durch den Strafverteidiger<br />

Bei der Zusammenarbeit im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen<br />

ist zu unterscheiden. Schaltet der Strafverteidiger zur Beurteilung<br />

des objektiven Umweltstraftatbestandes einen umweltrechtlich<br />

bewanderten Kollegen ein, so wird dieser in einer Hilfsfunktion<br />

eingesetzt, die im wesentlichen unproblematisch ist. Interessenkollisionen,<br />

wie sie leicht bestehen können, wenn der Umweltanwalt<br />

ein Unternehmen berät, das zum Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen<br />

wird, treten kaum auf.<br />

1. Federführung durch den Strafverteidiger<br />

Bei der Zusammenarbeit bringen der Umweltanwalt und der<br />

Strafverteidiger unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen ein.<br />

Die Stärken des Strafverteidigers liegen in seiner Kenntnis des<br />

15 Siehe dazu Horst/Grothmann, Umweltstrafrecht, in BJU – Umweltschutzbrater,<br />

Kapitel 6.3.1., S. 10.<br />

16 Franzheim, Umweltstrafrecht, Köln u. a. 1991, S. 5.<br />

17 BGH, Urt. vom 2.3.1994 – 2 StR 604/93 –, NJW 1994, 1744.<br />

18 BGH, Urt. vom 2.3.1994 – 2 StR 604/93 –, NJW 1994, 1744; siehe dazu auch<br />

Hecker, Umweltstrafrecht: das Risiko des Entsorgungspflichtigen bei der Beauftragung<br />

ungeeigneter Dritter. MDR 1995. 757 ff.


590<br />

l<br />

Strafverfahrensrechts und seiner Verfahrenspraxis. Außerdem ist er<br />

in der Beurteilung des subjektiven Tatbestandes (Vorsatz und Fahrlässigkeit),<br />

der strafrechtsrelevanten Irrtümer, der Fragen nach Täterschaft<br />

und Teilnahme sowie der Strafzumessung kompetenter als<br />

der Umweltanwalt. Nicht zuletzt können Umweltstraftaten im Zusammenhang<br />

mit allgemeinen Strafdelikten, etwa Urkundenfälschungen,<br />

Betrugsdelikten oder sogar einer Körperverletzung stehen,<br />

die eindeutig zur Domäne des Strafverteidigers gehören.<br />

Die Federführung in der Zusammenarbeit nach Eröffnung des<br />

Vorverfahrens sollte der Strafverteidiger übernehmen. Er sollte auch<br />

die Korrespondenz mit den Ermittlungsbehörden führen. Seine Aufgabe<br />

ist die Entwicklung der Verteidigungsstrategie, die eventuell erforderliche<br />

Koordinierung mehrerer Verteidiger bei unterschiedlichen<br />

Beschuldigten und die spätere Verteidigung in der Hauptverhandlung,<br />

soweit ein solche eröffnet wird. Auch die Wahrung des Rechtsschutzes<br />

gegen Zwangsmaßnahmen, das heißt gegen Beschlagnahmen,<br />

Durchsuchungen, Verhaftungen etc. und die Einlegung von Rechtsmitteln<br />

sind eindeutig Aufgaben des Strafverteidigers.<br />

2. Hilfestellung des Umweltanwaltes<br />

Die Stärken des Umweltanwaltes sind Konsequenz der Verwaltungsakzessorietät<br />

des Umweltstrafrechts. Die Beurteilung des objektiven<br />

Tatbestandes der Umweltstraftaten setzt regelmäßig solide<br />

Kenntnisse des Umweltrechtes und des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechtes<br />

sowie Erfahrungen im Umgang mit den Umweltbehörden<br />

voraus.<br />

Die Zuarbeit des Umweltanwaltes vor allem im Vorverfahren ist<br />

wichtig mit dem Ziel, einen für die Anklageerhebung notwendigen<br />

hinreichenden Tatverdacht durch Klärung der verwaltungsrechtlichen<br />

Pflichten auszuräumen. Unterstützen kann der Umweltanwalt<br />

den Strafverteidiger bei der Einsicht in die Ermittlungsakten, weil<br />

dem Umweltanwalt aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse die<br />

umweltrechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge leichter<br />

zugänglich sind. Die Mitwirkung des Umweltanwaltes ist insbesondere<br />

bei der Abfassung einer Verteidigungsschrift zu verwaltungsrechtlichen<br />

Vorfragen geboten. Diese Verteidigungsschrift kann<br />

möglicherweise auch in der Form einer Firmenstellungnahme verfaßt<br />

werden. 19 Dabei kann es um die Auslegung unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe oder um Rechtswirksamkeit von Untersagungsverfügungen,<br />

Stillegungsverfügungen oder nachträglichen Anordnungen<br />

gehen. Häufig ist auch der Inhalt erteilter Genehmigungen nicht eindeutig,<br />

nicht zuletzt deshalb, weil sie erst bei genauer Lektüre der<br />

der Genehmigung zugrunde liegenden Antragsunterlagen verständlich<br />

werden. Auch die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen<br />

und Klagen kann zweifelhaft sein, wenn zum Beispiel Bedenken gegen<br />

ihre Zulässigkeit bestehen oder wenn belastende Nebenbestimmungen<br />

einer Genehmigung isoliert angefochten werden. Soweit der<br />

Umweltanwalt das betroffene Unternehmen dauerhaft berät, kann er<br />

dem Strafverteidiger möglicherweise auch unternehmenspolitische<br />

und wirtschaftliche Hintergründe schneller verdeutlichen und das<br />

von ihm bei dem Unternehmen erworbene Vertrauen für den Erfolg<br />

der Zusammenarbeit einsetzen. Nicht zuletzt kann er im Wege des<br />

Verwaltungsrechtsschutzes parallel zu bereits eingeleiteten Strafverfahren<br />

versuchen, eine Klärung des Umfanges verwaltungsrechtlicher<br />

Pflichten herbeizuführen.<br />

II. Zusammenarbeit auf Initiative des Umweltanwaltes<br />

Sucht der Strafverteidiger bei der Beurteilung des Umfanges<br />

der verwaltungsrechtlichen Pflichten seines Mandanten die Unterstützung<br />

durch einen Umweltanwalt, ist die Zusammenarbeit regelmäßig<br />

unproblematisch, weil sich der Umweltanwalt als Zuarbeiter<br />

des federführenden Strafverteidigers ganz der Verteidigung des von<br />

dem Strafverteidiger vertretenen Mandanten widmen kann. Schwieriger<br />

kann die Zusammenarbeit werden, wenn der Umweltanwalt<br />

die Zusammenarbeit mit einem Strafverteidiger sucht, weil gegen<br />

Inhaber oder Mitarbeiter eines von ihm umweltrechtlich beratenen<br />

Unternehmens wegen des Verdachtes einer Umweltstraftat ermittelt<br />

wird. Eine solche Initiative des Umweltanwaltes dürfte in der überwiegenden<br />

Zahl der Fälle Anlaß für eine Zusammenarbeit zwischen<br />

dem Strafverteidiger und dem Umweltanwalt sein. Die Interessenlage<br />

zwischen dem Strafverteidiger und dem Umweltanwalt<br />

kann dabei weitgehend identisch sein; es können aber auch durchaus<br />

Interessenkonflikte von Anfang an vorhanden sein oder sich im<br />

Laufe der Zusammenarbeit entwickeln.<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

1. Vermeidung von Interessenkollisionen<br />

Während es dem Strafverteidiger ausschließlich um die Verteidigung<br />

seines Mandanten geht, ist die Hauptaufgabe des von einem<br />

Unternehmen beauftragten Umweltanwaltes, den Schaden des Ermittlungsverfahrens<br />

von dem Unternehmen abzuwenden oder doch<br />

möglichst gering zu halten. Soweit die Schadensbegrenzung am<br />

besten durch eine Einstellung des Verfahrens oder einen Freispruch<br />

gegen Verantwortliche des Unternehmens zu erreichen ist, gibt es<br />

offenkundig keinen Interessenwiderspruch. Das wird regelmäßig<br />

bei einem Strafvorwurf gegen leitende Mitarbeiter, etwa dem Vorstand<br />

einer AG oder GmbH, oder gegen den Unternehmensinhaber<br />

persönlich oder bei einem strafrechtlich relevanten, aber auf Weisungen<br />

der Unternehmensleitung beruhenden Verhalten von Mitarbeitern<br />

der Fall sein. Bei der Mißachtung umweltrechtlicher<br />

Pflichten durch Mitarbeiter eines Unternehmens, die nicht von<br />

Weisungen der Unternehmensleitung gedeckt oder von ihr geduldet<br />

worden sind, kann dagegen eine Zusammenarbeit zwischen dem<br />

Verteidiger des Mitarbeiters und dem das Unternehmen vertretenden<br />

Firmenanwalt sogar unmöglich werden. Das Interesse des Unternehmens<br />

wird vermutlich dahin gehen, sich möglichst unverzüglich<br />

von dem Mitarbeiter zu trennen.<br />

Bei der Strafverfolgung drohen nicht nur die Bestrafung der<br />

überführten Täter, sondern auch die Gewinnabschöpfung, der Imageverlust<br />

und die Gefährdung der für den Anlagenbetrieb erforderlichen<br />

persönlichen Zuverlässigkeit oder auch zum Beispiel der<br />

Entzug der Qualifikation als Entsorgungsfachbetrieb, die abfallrechtlich<br />

zu einigen wesentlichen Privilegierungen von Entsorgungsunternehmen<br />

führt. Der Schaden eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens<br />

gegen Mitarbeiter eines Unternehmens wegen<br />

des Verdachtes einer Umweltstraftat ist zumindest teilweise sogar<br />

vom Ausgang des Strafverfahrens unabhängig. Ermittlungsverfahren<br />

führen durch Aktenbeschlagnahme, Durchsuchungen und Zeugen-<br />

und Beschuldigtenvernehmungen zu erheblichen Beeinträchtigungen<br />

der Arbeitsabläufe. Sie sind bei ihrem Bekanntwerden in<br />

der Öffentlichkeit und bei den Kunden und Geschäftspartnern unabhängig<br />

von ihrem Ausgang extrem ruf- und zumeist auch umsatzschädigend.<br />

Ermittlungsverfahren wirken außerdem demotivierend<br />

für Mitarbeiter und Führungskräfte und erschweren ihre<br />

Identifikation mit dem Unternehmen.<br />

Der Umweltanwalt wird, wenn er im Auftrage des Unternehmens<br />

arbeitet, deshalb auf eine möglichst schnelle Aufklärung<br />

drängen; er wird zur Vermeidung weiterer, publikumswirksamer<br />

Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa der Durchsuchung der Geschäftsräume<br />

oder der Beschlagnahme von Unterlagen von Kunden<br />

oder Geschäftspartnern zur (bedingten) Kooperationsbereitschaft<br />

mit den Ermittlungsbehörden neigen. Der Umweltanwalt möchte –<br />

soweit verwaltungsrechtliche Vorfragen für den Straftatbestand relevant<br />

sind – so schnell wie möglich in eine rechtliche Erörterung<br />

über diese Vorfragen mit den Ermittlungsbehörden einzutreten.<br />

Aus Sicht des Strafverteidigers dürfte dagegen eine Einlassung regelmäßig<br />

erst nach Einsicht in die Ermittlungsakten mit einem<br />

Zwischenbericht, das heißt nach vorläufigem Abschluß der Ermittlungen,<br />

sinnvoll sein.<br />

2. Form der Zusammenarbeit<br />

Von der klaren Definition der Interessen wird auch die konkrete<br />

Form der Zusammenarbeit zwischen dem Strafverteidiger und dem<br />

Umweltanwalt abhängen. Die Beteiligten müssen entscheiden, ob<br />

der Umweltanwalt sich als weiteren Verteidiger neben dem Strafverteidiger<br />

bestellen kann und soll. Das hat den Vorteil, daß auch<br />

ihm die Rechte eines Verteidigers zustehen, insbesondere das Recht<br />

zur Anwesenheit bei richterlichen Untersuchungshandlungen und<br />

bei der Beschuldigtenvernehmung durch die Staatsanwaltschaft.<br />

Die Bestellung als Verteidiger bringt den Umweltanwalt allerdings<br />

schnell in den Konflikt zwischen den Interessen des Unternehmens<br />

und dem gebotenen Schutz des beschuldigten Mandanten. Da eine<br />

Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch einen gemeinschaftlichen<br />

Verteidiger gemäß § 146 StPO unzulässig ist, ist der Umweltanwalt<br />

durch die Bestellung zum Verteidiger eines Mitarbeiters auf<br />

die Wahrung der Verteidigungsinteressen dieses Mitarbeiters be-<br />

19 Siehe dazu Michalke, Umweltstrafsachen, Rdnr. 245.


AnwBl 11/97 591<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

schränkt. Regelmäßig ist in Umweltstrafverfahren die Zurechnung<br />

der strafrechtlichen Verantwortung zu unterschiedlichen Hierarchieebenen<br />

des Unternehmens eine wesentliche Frage. Im Laufe<br />

des Verfahrens kann sich zum Beispiel sehr schnell herausstellen,<br />

daß zwar nicht den von dem Strafverteidiger vertretenen Mitarbeiter,<br />

möglicherweise aber dessen Vorgesetzten die strafrechtliche<br />

Verantwortung trifft.<br />

Für den Umweltanwalt stellt sich nicht zuletzt ganz allgemein<br />

das Problem, daß er von Erkenntnissen aus seiner Zusammenarbeit<br />

mit dem Strafverteidiger keinen Gebrauch zum Schutze von Unternehmensinteressen<br />

machen kann. Die im Rahmen eines Ermittlungsverfahren<br />

festgestellten Mängel müssen jedoch unabhängig<br />

davon, ob sie einen Straftatbestand oder nur einen Bußgeldtatbestand<br />

erfüllen, ob eine Bestrafung mangels Vorsatz oder Fahrlässigkeit<br />

des Mitarbeiters ausscheidet, möglicherweise zu organisatorischen<br />

Konsequenzen für das Unternehmen führen. Das setzt eine<br />

Unterrichtung der Unternehmensleitung voraus.<br />

Der Steueranwalt und die Kooperation<br />

mit dem Strafverteidiger<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht Rudolf Stahl,<br />

Köln<br />

1. Wer sich geschäftsmäßig mit Steuerrecht befaßt, wird auch<br />

mit strafrechtlichen Fragen konfrontiert. Dies ist immer dann der<br />

Fall, wenn der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Raum steht.<br />

Steuerhinterziehung ist Teil des Steueralltags geworden. Wie geht<br />

der Steueranwalt damit um?<br />

2. Mit Steuersachen sind insbesondere die steuerberatenden Berufe<br />

befaßt. Der Steuerzahler pflegt für die Wahrnehmung seiner<br />

laufenden Steuerangelegenheiten, insbesondere zur Erstellung der<br />

Jahresabschlüsse und der Steuererklärungen, einen Steuerberater zu<br />

beauftragen, seltener hingegen einen Rechtsanwalt, obwohl Rechtsanwälte<br />

nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 StBerG zur umfassenden geschäftsmäßigen<br />

Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind.<br />

Ein Steuerberater darf als Verteidiger fungieren, solange die<br />

Finanzbehörde das Strafverfahren selbst durchführt, im übrigen<br />

kann er die Verteidigung nur gemeinsam mit einem Rechtsanwalt<br />

oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule führen,<br />

vgl. § 392 AO 1 . Steuerberater neigen jedoch dazu, die Strafverteidigung<br />

nicht zu übernehmen, zum einen, weil ihnen die Materie<br />

des Strafrechts schon von der Ausbildung her eher fremd ist, zum<br />

anderen, weil ihnen wegen der ständigen Beratung des betroffenen<br />

Mandanten, der ihnen eventuell unzutreffende Informationen gegeben<br />

hatte, die erforderliche Distanz fehlt.<br />

3. Das Arbeitsgebiet des Steueranwalts ist – obwohl er als Spezialist<br />

gilt – überaus breit und vielschichtig 2 . Der Begriff des<br />

„Steueranwalts“ ist daher diffus und bedarf zumindest der groben<br />

Kategorisierung.<br />

9 Es gibt Steueranwälte, die wie Steuerberater in der laufenden<br />

Steuerberatung tätig sind, d. h. sie fertigen Jahresabschlüsse sowie<br />

Steuererklärungen an, prüfen Steuerbescheide und begleiten<br />

steuerliche Außenprüfungen der Finanzbehörden im Betrieb<br />

des Mandanten. Ich nenne diese Gruppe „Steuerberatungsanwälte“.<br />

9 Eine weitere Kategorie gehört mehr zu den Wirtschafts- und<br />

Vertragsanwälten: Diese sind mit gestaltender Steuerberatung<br />

befaßt, z. B. bei der Abfassung von Gesellschaftsverträgen,<br />

Unternehmensveräußerungen, Fusionen, Umwandlungen,<br />

grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen, vorweggenommenen<br />

Erbfolgen, Testamenten usw.; auch die Erstellung steuerrechtlicher<br />

Gutachten gehört zu ihrem Aufgabengebiet. Ich<br />

nenne diese Gruppe „Steuergestaltungsanwälte“.<br />

9 Als weitere Gruppe sind Anwälte zu nennen, die Steuerverfahren<br />

führen, von der fallweisen Unterstützung in Betriebs- und<br />

Steuerfahndungsprüfungen, über Einspruchs-, Klage- bis hin zu<br />

Revisionsverfahren. Diese Gruppe könnte man als „Steuerstreitanwälte“<br />

bezeichnen 3 .<br />

4. Alle Gruppen von Steueranwälten können mit unterschiedlichsten<br />

(steuer-)strafrechtlich relevanten Fragen konfrontiert werden.<br />

Ich führe nachfolgend für die einzelnen Gruppen einige typische<br />

Standardsituationen auf:<br />

a) Während einer laufenden Betriebsprüfung „gesteht“ der<br />

Mandant seinem Berater, daß er Schmiergeldzahlungen, deren<br />

Empfänger er aus verständlichen Gründen nicht der Finanzbehörde<br />

benennen will, auf der Grundlage von ihm erstellter (Schein-)Rechnungen<br />

gebucht hat. Der Betriebsprüfer steht kurz vor der Schöpfung<br />

eines Anfangsverdachts. – Hier stellen sich dem Steueranwalt<br />

diverse strafrechtliche Fragen:<br />

– Schmiergeldzahlungen sind seit dem Veranlagungszeitraum<br />

1996 4 nicht abzugsfähige Betriebsausgaben, falls wegen der Zuwendung<br />

oder des Empfangs eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt<br />

oder das Verfahren nach §§ 153 –154c StPO eingestellt worden<br />

ist, vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG 5 . Die Finanzbehörde<br />

teilt Verdachtstatsachen der Staatsanwaltschaft mit, vgl. § 4 Abs. 5<br />

Satz 1 Nr. 10 Satz 2 EStG.<br />

Wird der Empfänger nicht benannt, kommt es für die Strafbarkeit<br />

wegen Ertragsteuerhinterziehung darauf an, ob das Finanzamt<br />

bei zutreffenden Angaben des Steuerpflichtigen den Betriebsausgabenabzug<br />

ohne die Forderung der Empfängerbenennung zugelassen<br />

hätte 6 . Umsatzsteuerlich ist ein Abrechnungsbeleg verwendet worden,<br />

der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt; denn er weist nicht<br />

den richtigen leistenden Unternehmer aus 7 .<br />

Eine Selbstanzeige ist im Rahmen der Prüfungsanordnung, d. h.<br />

im Hinblick auf die dort genannten Steuerarten und Zeiträume ausgeschlossen,<br />

vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO, andererseits aber kann<br />

für nicht betroffene Zeiträume die Selbstanzeige noch erstattet werden<br />

8 .<br />

Die Urkundenfälschung kann wegen des Steuergeheimnisses<br />

strafrechtlich nicht verfolgt werden, wenn diese dem Betriebsprüfer<br />

offenbart wird, bevor er dem Steuerpflichtigen die Einleitung<br />

des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben hat, vgl. § 30 Abs. 2 Nr.<br />

1a, Abs. 4 Nr. 4a, 2. Halbsatz AO 9 .<br />

Richtiges Handeln, das allerdings die rechtzeitige Einschaltung<br />

eines strafrechtlich versierten Kollegen voraussetzt, kann im vorliegenden<br />

Fall den strafrechtlichen Schaden ganz erheblich begrenzen.<br />

b) Steuerberater und Steuerberatungsanwälte sind angesichts der<br />

Bankendurchsuchungen der Steuerfahndungsstellen im Zusammenhang<br />

mit Geldtransfers nach Luxemburg zunehmend mit<br />

Selbstanzeigeberatungen befaßt 10 . Selbstanzeigen sind für die Mandanten<br />

keineswegs immer attraktiv. Sie lösen oft Lawinen aus: Die<br />

Herkunft der Gelder kann zu immensen Steuernachzahlungen führen,<br />

wenn diese z. B. aus Schwarzumsätzen stammen. Zudem muß<br />

1 Zur Problematik siehe Blumers, in: Kohlmann (Hrsg.) Strafverfolgung und<br />

Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, Bd. 6 der Schriftenreihe der Deutschen<br />

Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. DStJG), 1983, S. 307 (314 ff.).<br />

2 Siehe dazu Crezelius, Vom Beruf des Juristen für das Steuerrecht, Jahrbuch<br />

der Fachanwälte für Steuerrecht 1990/1991, 13 ff., ders., „Der Steuerjurist der<br />

Zukunft und die Universitäten, in: Vogelgesang (Hrsg.), Perspektiven der Finanzverwaltung,<br />

1992, 146 ff:; Rabe, Anwalt und Wirtschaft, in: Festschrift<br />

W. Oppenhoff, 1985, 299 ff.; Leissle, Plädoyer pro Fachanwalt für Wirtschaftsrecht,<br />

AnwBl 1988, 607; Schlütter, Anforderungen und Tätigkeitsbereiche<br />

des Anwalts in Steuersachen, AnwBl. 1987, 379 ff.; Felix, Der Steuerjurist<br />

der Zukunft aus der Sicht der steuerberatenden Berufe, in: Vogelgesang<br />

(Hrsg.), Perspektiven der Finanzverwaltung 1992, 179 ff.<br />

3 Die Beratungsleistungen der steuerberatenden Berufe werden im fachlichen<br />

Sprachgebrauch eingeteilt in „Steuerdeklarationsberatung, Steuergestaltungsberatung<br />

und Steuerrechtsdurchsetzungsberatung“, vgl. Rose, StBJB 1969/70,<br />

31, 36; ders., Einführung in den Beruf des Steuerberaters, 1989, 38 f.; Seer,<br />

in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 15. Aufl. 1996, § 22 Rdnr. 164.<br />

4 BGBl. 1995 I, 1250.<br />

5 Siehe dazu Müller-Franken, StuW 1997, 3; Müssener, IWB Fach 2, 1205<br />

(1997); Madauß, DB 1996, 637.<br />

6 BGH, Beschluß 3 StR 472/89 vom 26.1.1990, wistra 1990, 232; Meine, wistra<br />

1991, 127, 129; Gribbohm-Utech, NStZ 1990, 209, 210.<br />

7 Siehe dazu Fritsch, UR 1996, 317.<br />

8 BGH, Beschluß 3 StR 465/87 vom 15.1.1988, wistra 1988, 151.<br />

9 Nach Blesinger, wistra 1991, 239 (242), soll die Offenbarung erlaubt sein,<br />

weil es sich bei der Urkundenfälschung um vorsätzlich falsche Angaben des<br />

Betroffenen handelt (§ 30 Abs. 5 AO); aA Spörlein, Steuerstrafrecht von A bis<br />

Z, „Steuergeheimnis“, Rdnr. 3 (Dez. 1991). Der Buchungsbeleg ist m. E.<br />

keine „Angabe“, d. h. keine Erklärung; dies ist vielmehr die Buchung selbst.<br />

10 Siehe Streck/Mack, BB 1995, 2137; Stahl, Kölner Steuerdialog (KÖSDI)<br />

1996, 10849, 10854 ff.


592<br />

l<br />

mit Steuernacherhebungen über mindestens 10 Jahre gerechnet werden,<br />

zuzüglich nicht abzugsfähiger Hinterziehungszinsen. Letztlich ist<br />

für die Entscheidung des Mandanten die Prognose wesentlich, was<br />

ihn realistischerweise strafrechtlich erwartet, wenn die Tat – ohne<br />

Selbstanzeige – entdeckt wird. Konkrete Angaben dazu kann der<br />

Strafverteidiger machen, der die „Tarife“ und Strafusancen der örtlichen<br />

Straf- und Bußgeldsachenstellen, Staatsanwaltschaften und<br />

Amtsrichter für Steuerstrafsachen sowie der Strafkammern aus langer<br />

Erfahrung kennt. Diese sind regional höchst unterschiedlich. Der Rat<br />

aus berufenem Munde hat erhöhtes Gewicht.<br />

c) Der Steuerberater oder Steuerberatungsanwalt kann selbst<br />

Opfer der Strafverfolgung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />

des Mandanten werden. Die Bilder in den Medien, in denen der<br />

Berater neben seinem Mandanten auf der Anklagebank sitzt, sind<br />

durchaus geläufig. Ich muß nicht betonen, daß ein solcher Vorwurf<br />

das Fundament der Berufstätigkeit erschüttert.<br />

Erfährt der Berater nachträglich, daß sein Mandant Steuern aufgrund<br />

von Steuererklärungen verkürzt hat, die er, der Berater, nach<br />

Angaben und Belegen des Mandanten vorbereitet hat, trifft den<br />

Berater keine Pflicht, diese Steuererklärungen nach § 153 AO zu<br />

berichtigen. Dies gilt auch für vom Berater unterschriebene Steueranmeldungen<br />

11 . Erst recht ist er nicht gehalten, den Mandanten zur<br />

Selbstanzeige zu bewegen 12 . In der Regel wird die Gutgläubigkeit<br />

des Beraters geschützt. So billigt der BGH dem Steuerberater, der<br />

Betriebsausgaben ohne Rechnung im Jahresabschluß angesetzt<br />

hatte, Gutgläubigkeit zu, wenn der Mandant ausdrücklich versichert<br />

hatte, er könne die Rechnungen auf eventuelle Anforderung<br />

des Finanzamts vorlegen 13 . Allerdings drohen dem Berater insbesondere<br />

in folgenden Situationen strafrechtliche Gefahren:<br />

– Ist die Veranlagung noch nicht erfolgt, befindet sich die Steuerhinterziehung<br />

also noch im Versuchsstadium, besteht die Gefahr<br />

der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die auch durch bloße psychische<br />

Unterstützung geleistet werden kann, indem der Berater den<br />

Täter in seinem Tatentschluß bestärkt und ihm ein erhöhtes Gefühl<br />

der Sicherheit vermittelt. Die bloße Kenntnisnahme von der Steuerhinterziehung<br />

ist jedoch keine Beihilfe 14 .<br />

Ist die Veranlagung bereits durchgeführt, kommt Begünstigung<br />

(§ 257 StGB) und Strafvereitelung (§ 258 StGB) in Betracht. Die<br />

Begünstigung einer Steuerhinterziehung stellt eine Steuerstraftat<br />

nach § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO dar, die von den Finanzbehörden mitverfolgt<br />

wird, vgl. § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO. Dagegen steht dem Finanzamt<br />

bei Strafvereitelung keine Ermittlungskompetenz zu. Der<br />

Vorgang ist dann zwingend an die Staatsanwaltschaft abzugeben.<br />

Ein steuerunehrlicher Mandant birgt für den Berater, der davon<br />

Kenntnis hat, erhöhte strafrechtliche Gefahren:<br />

– Kann er für den Mandanten künftig Steuererklärungen anfertigen?<br />

Mit Sicherheit darf er nicht wissentlich oder unter billigender<br />

Inkaufnahme an unrichtigen Steuererklärungen mitwirken.<br />

– Kann er den Mandanten in der Betriebsprüfung für Zeiträume<br />

betreuen, von denen der Berater – nachträglich – erfahren hat, daß<br />

die Steuererklärungen unrichtig sind? Auch dies ist zu verneinen 15 .<br />

Hier benötigt der Berater selbst die fachliche – und distanzierte<br />

– Beratung des Strafrechts-Kollegen.<br />

d) Steuergestaltungsanwälte haben die Reduzierung der Steuerbelastung<br />

im Visier. Es ist die Kunst, durch entsprechende Gestaltung<br />

der Verhältnisse zu niedrigeren Steuerbelastungen zu gelangen,<br />

oder diese ganz zu vermeiden. Steuerrechtlich muß eine<br />

Kollision mit § 42 AO (Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten)<br />

vermieden werden und bei Verträgen unter Angehörigen<br />

sowie nahestehenden Personen und Gesellschaften muß<br />

die Fremdvergleichbarkeit gewährleistet sein. Die Steuerfahndungsstellen<br />

ermitteln zunehmend wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen<br />

Verstoßes gegen § 42 AO.<br />

– Strafrechtlich unproblematisch ist z. B. der Erwerb eines Unternehmens<br />

in Form von GmbH-Anteilen mit anschließender formwechselnder<br />

Umwandlung in eine GmbH & Co KG, um den Kaufpreis<br />

abschreiben zu können 16 .<br />

– Strafrechtlich relevant ist hingegen die Bezeichnung einer Honorarzahlung<br />

als zinsloses Darlehen, wenn der Nachweis gelingt,<br />

daß dieses nur zum Schein ein Darlehen sein sollte. In diesem Falle<br />

kann die Nichtversteuerung als Honorar eine Steuerhinterziehung<br />

sein 17 . Nicht nur das Steuerrecht kennt also die wirtschaftliche Betrachtungsweise.<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

– Steuerstrafrechtlich relevant kann die Einschaltung von Briefkastenfirmen<br />

zur Gewinnverlagerung in Steueroasenländer sein. So<br />

soll zwar bei Gewinnverlagerung auf eine Domizilgesellschaft in<br />

einer Steueroase ein Mißbrauchstatbestand (§ 42 AO) mit festen<br />

Konturen gegeben sein, der den strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen<br />

genügt und daher auch steuerstrafrechtlich relevant<br />

ist 18 . Andererseits muß der volle Nachweis der Umgehungsabsicht<br />

geführt werden 19 . Insoweit verneinte das OLG Düsseldorf 20 die Absicht<br />

einer Steuerumgehung bei Zwischenvermietung. – In diese<br />

Kategorie fällt auch die Zwischenschaltung von sog. Künstlergesellschaften<br />

21 . Die Einschaltung ausländischer Finanzierungsgesellschaften<br />

bei Konzernfinanzierungen ist in der Regel kein Gestaltungsmißbrauch<br />

22 und erst recht keine Steuerhinterziehung 23 .Die<br />

Steuerumgehung durch Einschaltung von Domizilgesellschaften in<br />

Steueroasenländern setzt die gesellschaftsrechtliche Beherrschung<br />

durch den Täter voraus. Diesen Beweis muß die Strafverfolgungsbehörde<br />

führen. Der Umkehr der Beweislast bei Auslandsbeziehungen<br />

nach § 90 Abs. 2 AO gilt im Strafverfahren nicht 24 . Selbst<br />

wenn die Beherrschung besteht, kann u. U. die „Domizilgesellschaft“<br />

die Funktion einer geschäftsleitenden Holding haben, so<br />

daß § 42 AO nicht einschlägig ist 25 . Die Strafverfolgungsbehörde<br />

muß beweisen, daß die Domizilgesellschaft keine eigene – anerkennenswerte<br />

– Geschäftstätigkeit verfolgt und auch nicht vollständig<br />

von Ausländern beherrscht wird. Der Mitteilung des Bundesamtes<br />

für Finanzen, daß es sich bei einer Gesellschaft um eine reine<br />

Briefkastenfirma handelt, kommt strafrechtlich keine Bedeutung<br />

zu 26 .<br />

Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie verzahnt eine<br />

strafrechtliche und steuerrechtliche Argumentation sein kann. Die<br />

optimale Verteidigung im Steuerstrafverfahren muß aus den Arsenalen<br />

des Strafverteidigers und des Steueranwalts schöpfen.<br />

e) Der Steuerstreitanwalt ist – wenn er Betriebsprüfungen begleitet<br />

– gelegentlich hautnah dem Zugriff der Steuerfahndung ausgesetzt.<br />

Betriebsprüfungen können in Steuerfahndungsaktionen umschlagen,<br />

wenn der Betriebsprüfer seine Fahnder-Kollegen davon<br />

überzeugen kann, daß der Steuerfall mit Mitteln der Abgabenordnung<br />

nicht aufgeklärt werden kann, z. B. bei ungeklärten Vermögenszuwächsen<br />

(= Verdacht auf Schwarzumsätze) oder ungeklärtem<br />

Vermögensschwund (= Verdacht der unversteuerten Geldanlage<br />

im Ausland). Es kommt dann zur Durchsuchung, bei der der<br />

Mandant – naheliegenderweise – seinen Steuerverfahrensanwalt<br />

um Beistand bittet.<br />

Während der Durchsuchung sind die Verteidigungsmöglichkeiten<br />

sehr gering. Rechtsbehelfe gegen die Durchsuchungsanordnung<br />

sind, wenn die Durchsuchung abgeschlossen ist (nach Durchsicht<br />

der Papiere 27 wegen prozessualer Überholung unzulässig. Jedoch<br />

können sich aus unrechtmäßigen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen<br />

Verwertungsverbote im Straf- und auch im Besteuerungsverfahren<br />

ergeben 28 . Ein steuerrechtliches Verwertungsverbot<br />

11 Achenbach, Stbg. 1996, 299.<br />

12 BGH, Beschluß 5 StR 412/95 vom 20.12.1995, wistra 1996, 184.<br />

13 BGH, Urteil 3 StR 251/88 vom 18.4.1990, HFR 1991, 304.<br />

14 BGH, Beschluß 5 StR 412/95 vom 20.12.1995 (Fn. 9).<br />

15 Es liegt Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor, BGH, Beschluß 5 StR 212/93<br />

vom 7.7.1993, wistra 1993, 302.<br />

16 Siehe dazu Korn, Kölner Steuerdialog (KÖSDI) 1995, 10273; BFH-Urteil I R<br />

55/95 vom 23.10.1996, DB 1997, 507.<br />

17 BGH, Urteil 3 StR 472/88 vom 12.4.1989, StRK § 370 AO R. 166.<br />

18 BGH, Urteil 3 StR 217/81 vom 27.1.1982, NStZ 1982, 206; BGH, Urteil 3<br />

StR 172/90 vom 25.7.1990, wistra 1991, 22; BGH, Beschluß 3 StR 55/90 vom<br />

30.5.1990, HFR 1991, 367; Spriegel/Schweiss, BB 1996, 1354; Gribbohm-<br />

Utech, NStZ 1990, 209.<br />

19 OLG Düsseldorf, Beschluß 3 Ws 512/88 vom 26.8.1988, wistra 1989, 72.<br />

20 AaO.<br />

21 Vogel, StuW 1996, 248.<br />

22 Ammelung-Schneider, IStR 1996, 501, 552.<br />

23 Siehe ferner Baranowski, IWB Fach 3a, 565; Schön, IStR 1996, Beihefter 2.<br />

24 BFH, Urteil I R 284-286/83 vom 1.7.1987, BFH/NV 1988, 12; BGH, Beschluß<br />

5 StR 134/94 vom 13.10.1994, wistra 1995, 67; Gribbohm-Utech, NStz<br />

1990, 209, 214.<br />

25 BFH, Urteil VIII R 54/93 vom 25.7.1995, BStBl. 1995 II, 794; I R 26/94 vom<br />

14.10.1997, BFH/NV 1989, 192.<br />

26 OLG Hamm, Beschluß 15 W 209/94 vom 18.8.1994, BB 1995, 446.<br />

27 OLG Karlsruhe, Beschluß 2 VAs 12/94 vom 28.9.1994, wistra 1994, 358.<br />

28 Siehe Krekeler, NStZ 1993, 263.


AnwBl 11/97 593<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

setzt jedoch die erfolgreiche Durchführung eines Beschwerdeverfahrens<br />

nach § 304 StPO voraus 29 . Hier können sich die Arbeitsbereiche<br />

des Steueranwalts und des Strafverteidigers sinnvoll ergänzen.<br />

f) Die Steuerfahndung ermittelt nicht nur den strafrechtlich relevanten<br />

Sachverhalt, sie stellt auch die Besteuerungsgrundlagen<br />

für die Steuerfestsetzungen zusammen, § 208 Abs. 1 Nr. 2 und 3<br />

AO. Im Besteuerungsverfahren sind sog. tatsächliche Verständigungen<br />

zulässig, wenn der Sachverhalt nicht oder nur schwierig zu ermitteln<br />

ist 30 . Auch das Strafverfahren kennt die Verständigung 31 .<br />

Wegen der Wechselwirkung derartiger Verständigungen auf die Besteuerungsgrundlagen<br />

und die strafrechtlichen Sanktionen (auch im<br />

Sinne des „do ut des“) ist die Kooperation von Steueranwalt und<br />

Strafverteidiger unbedingt ratsam.<br />

5. Kooperationsfelder<br />

a) Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren können<br />

nicht isoliert voneinander betrieben werden, da dieselben Sachverhalte<br />

betroffen sind. Angaben zur Sache im Besteuerungsverfahren<br />

sind zugleich strafrechtlich verwertbare Einlassungen und umgekehrt.<br />

b) Steuerstrafverfahren gehen mit der Festsetzung und Beitreibung<br />

der verkürzten Steuern einher. Steuerbescheide mit mitunter<br />

ruinösen Nachforderungen sind schnell erlassen. Ein Rechtsbehelf<br />

hindert die Zahlungspflicht nicht, es sei denn, es wird Aussetzung<br />

der Vollziehung gewährt (§ 361 AO; § 69 FGO), wobei auch eine<br />

Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung zur wirtschaftlichen<br />

Strangulation des Betroffenen führen kann. Der Betroffene<br />

kann also bereits finanziell ruiniert sein, bevor es zur<br />

strafrechtlichen Ahndung kommt. Effektive Steuerstrafverteidigung<br />

umfaßt daher auch die steuer(verfahrens)rechtliche Abwehr oder<br />

Eindämmung der Steuernachzahlungen zur Vermeidung der „wirtschaftlichen<br />

Todesstrafe“.<br />

c) Steuerstrafverfahren mit (Gefahr der) Untersuchungshaft, Fälle<br />

mit allgemeinem – gewichtigem – strafrechtlichem Einschlag, Fälle<br />

mit der Gefahr der Verurteilung zu einer nicht bewährungsfähigen<br />

Freiheitsstrafe, Strafkammersachen und Verfahrensrevisionen gehören<br />

federführend in die Hände des Strafverteidigers. In Fällen, bei<br />

denen die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung<br />

droht, wird deren Abwehr für den Mandanten absolut vorrangig,<br />

während ansonsten für ihn die Reduzierung der nachzuzahlenden<br />

Steuer erfahrungsgemäß im Vordergrund steht. So kann es absolut<br />

richtig sein, auf Anraten des Strafverteidigers steuerliche Positionen<br />

aufzugeben, um der Haftstrafe zu entgehen oder auch nur um ruinöse<br />

Ermittlungen bei Kunden und Lieferanten einzuschränken.<br />

Es kommt folgendes hinzu: Selbst wenn der Steueranwalt über<br />

einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um derartige<br />

Mandate sachgerecht zu bearbeiten, ist sein Arbeitsablauf auf derartige<br />

Mandate nicht zugeschnitten. Verhaftete Mandanten müssen<br />

häufig aufgesucht und betreut werden; Strafkammertermine sind<br />

oft nicht überschaubar. Der Praxiszuschnitt des Steueranwalts und<br />

derjenige des Strafverteidigers ist in der Regel zu unterschiedlich,<br />

als daß sich beides gleichgewichtig miteinander vereinbaren ließe.<br />

d) Der erfolgreiche Kampf an der Steuerfront kann das Strafverfahren<br />

günstig beeinflussen. Der Angriff gegen den materiellen<br />

Steueranspruch mit den unterschiedlichen steuer- und strafrechtlichen<br />

Auswirkungen, auch mit den unterschiedlichen Beweislasten,<br />

ist das optimale Kooperationsgebiet zwischen Strafverteidiger und<br />

Steueranwalt 32 .<br />

e) Die gemeinsame Verteidigung auch in der Hauptverhandlung<br />

durch Strafverteidiger und Steueranwalt hat sich schon in vielen –<br />

auch spektakulären – Fällen als optimal erwiesen, vorausgesetzt,<br />

die „Chemie“ stimmt 33 .<br />

29 BFH, Beschluß X B 18/91 vom 10.3.1992, BFH/NV 1992, 367; FG Hamburg,<br />

Urteil V 268/93 vom 9.1.1986, EFG 1986, 244 (rkr.).<br />

30 BFH, Urteil XI R 43-45/89 vom 13.12.1995, BStBl. 1996 II, 232.<br />

31 BVerfG, Beschluß 2 BvR 1133/86 vom 27.1.1987, wistra 1987, 134; BGH 3<br />

StR 252/88 vom 18.4.1990, NJW 1990, 1924.<br />

32 Vgl. auch Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 5. Aufl. 1983, Tz. 998.<br />

33 Hamm, Strafverteidigung – Kampf oder Kuschelkurs?, NJW 1997, 1288, mit<br />

dem zutreffenden Hinweis, daß ein solches Gespann den reinen Strafjuristen<br />

auf der Justizseite fachlich überlegen sein kann; siehe auch Streck, Die Steuerfahndung,<br />

3. Aufl. 1996, Rdnr. 89; zur Problematik der Verteidigermehrheit<br />

siehe Rüping, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 392 AO Rdnr. 22<br />

(Mai 1996).<br />

Der Wirtschaftsanwalt und die<br />

Kooperation mit dem Strafverteidiger<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Hubert Görg, Köln<br />

I. „Wirtschaftsanwalt“ und Wirtschaftsstrafrecht<br />

1. Im Geleitwort zur ersten Auflage seines „Wirtschaftsstrafrechts“<br />

beglückwünschte Weinmann den Herausgeber Müller-Gugenberger<br />

vor 10 Jahren, daß es erstmals gelungen sei, „das weite,<br />

endlos scheinende Gebiet der Straftaten in der Wirtschaft und gegen<br />

die Wirtschaft systematisch abzugrenzen und ... zu analysieren“<br />

1 .<br />

Seither gibt es weitere erfolgreiche Bemühungen um das Fachgebiet<br />

2 und mit der wistra – schon seit 1981 – eine eigene Zeitschrift,<br />

die das Wirtschaftsstrafrecht zu ihren Schwerpunkten zählt.<br />

Den Fachleuten sind das Selbstverständlichkeiten. Für den von<br />

außen hinzugerufenen „Wirtschaftsanwalt“ gibt es nennenswerte<br />

Lerneffekte.<br />

Selbst in der ganz unbefangenen Öffentlichkeit spiegelt sich die<br />

gewachsene Bedeutung und die zunehmende Aufmerksamkeit für<br />

das Rechtsgebiet wieder. Die spektakulären Fälle der letzten Jahre,<br />

denken wir an Jürgen Schneider oder an Balsam/Procedo, können<br />

es an Publizität mit prominenten Steuerstrafverfahren und selbst<br />

mit klassischen Kriminalfällen aufnehmen. Das Wirtschaftsstrafrecht<br />

gewinnt offenkundig zunehmende Bedeutung.<br />

2. Im Vergleich zum „Wirtschaftsanwalt“, was immer das sein<br />

mag, hat der Strafverteidiger den großen Vorzug eines klaren<br />

„Feindbilds“, den er weithin mit den Kollegen aus den Bereichen<br />

des Steuerrechts und auch des Umweltrechts teilt. In der großen<br />

Mehrzahl der Fälle geht es darum, dem staatlichen Strafanspruch,<br />

dem Fiskus und/oder den Ordnungsbehörden zu wehren. Steuerrechtler<br />

und Strafrechtler, häufig auch Umweltrechtler und Strafrechtler<br />

befinden sich in einem Zustand tendenzieller Harmonie.<br />

Für den Wirtschaftsanwalt ist das viel seltener so.<br />

In dem schon zitierten Geleitwort hat Weinmann zu Recht von<br />

Straftaten in der Wirtschaft und gegen die Wirtschaft gesprochen.<br />

Der typische Wirtschaftsanwalt steht mit seiner Mandantschaft<br />

häufig auf der Seite des Geschädigten. Die Unschuldsvermutung<br />

zugunsten des Beschuldigten oder Angeklagten teilt er seltener als<br />

das Interesse an einer Wiedergutmachung von Schäden.<br />

Die Konkursverwaltung gehört immer noch zu den klassischen<br />

Bereichen anwaltlicher Tätigkeit. Weil das so ist und mir dieses<br />

Gebiet durchaus naheliegt, gebe ich Ihnen die unterschiedlichen<br />

Wertungen zu bedenken, die mit der folgenden Statistik verbunden<br />

werden können:<br />

80 % bis 90 % aller Insolvenzen sollen nach der strafrechtlichen<br />

Literatur 3 mit kriminellen Verhaltensweisen einhergehen. Wie<br />

Sie wissen, sind die Konkursgerichte nach den Vorschriften über<br />

„Mitteilungen in Zivilsachen“ verpflichtet, die Staatsanwaltschaften<br />

von sich aus über Konkurseröffnungen und den Verlauf der<br />

Konkursverfahren zu unterrichten. Diese sogenannte MiZi ist in rd.<br />

70 % aller Fälle auslösendes Moment staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen<br />

4 .<br />

Statistisch führten diese Ermittlungen während der letzten 10<br />

Jahre in den alten Bundesländern in immerhin rd. 25 % aller Kon-<br />

1 Wirtschaftsstrafrecht, jetzt 2. Auflage, Münster 1992.<br />

2 Z. B. Achenbach/Wannemacher, Beraterhandbuch zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht,<br />

Herne/Berlin 1997; Müller/Wabnitz Wirtschaftskriminalität, 3. Aufl.,<br />

München 1993.<br />

3 Müller/Wabnitz, Wirtschaftskriminalität, 3. Aufl. 1993, S. 123.<br />

4 Vgl. die in der Forschungsreihe des BKA erschienene Untersuchung von Bora/<br />

Liebl/Poerting/Risch, Polizeiliche Bearbeitung von lnsolvenzkriminalität, 1992,<br />

S. 79. In den dort untersuchten Fällen entstand das strafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />

in 68,76 % aller Fälle durch eine MiZi. Die Autoren vermuten, daß<br />

der Anteil der durch eine MiZi ausgelösten Verfahren in der Praxis oft noch<br />

höher ist.


594<br />

l<br />

kurse zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Beteiligten 5 . Die<br />

Zahl der Fälle, in denen es zu einer Verurteilung nach den Konkurstatbeständen<br />

kommt, ist demgegenüber verschwindend klein.<br />

1995 waren es – je nach Zählweise – 4 % bis 7 % der Insolvenzen<br />

6 . Eine der Ursachen für die kleine Zahl der Verurteilungen ist<br />

sicher die große Leistung der Wirtschaftsstrafverteidiger. Wer aus<br />

der Sicht des sogenannten Wirtschaftsanwalts über die Kooperation<br />

mit seinen strafrechtskundigen Kollegen sprechen soll, muß sich<br />

wohl mit solchem Zwiespalt abfinden.<br />

3. Mein Vortrag soll in drei weiteren knappen Abschnitten die<br />

Multivalenz von Kooperationsmöglichkeiten widerspiegeln. Auf<br />

ein paar Bemerkungen zur Zusammenarbeit mit dem Strafverteidiger<br />

folgen einige Sätze zu den Fällen, in denen der Rat des Kollegen<br />

in eigener Sache wichtig ist, und schließlich wenige kurze<br />

Ausführungen zur Beiziehung des Verfahrensexperten zur offensiven,<br />

gegen einen möglichen Täter gerichteten Rechtsverfolgung.<br />

Dabei ist die Auswahl des Stoffs durch die verfügbare Zeit und<br />

durch den Zufall mitbestimmt.<br />

II. Kooperation im Wirtschaftsstrafverfahren<br />

1. Wegen der besonderen Komplexität vieler Wirtschaftsstrafverfahren<br />

hat der Gesetzgeber sie in § 74c) GVG den Wirtschaftsstrafkammern<br />

bei den Landgerichten zugewiesen und zugleich<br />

Schwerpunktstaatsanwaltschaften für die Wirtschaftskriminalität<br />

gebildet. Diese Spezialisierung auf Seiten der Justizbehörden und<br />

die personelle Ausstattung der Schwerpunktstaatsanwaltschaften<br />

mit Wirtschaftsfachleuten birgt tendenziell die Gefahr eines Ungleichgewichts<br />

zu Lasten des Mandanten. Das ist jedenfalls eine in<br />

der Literatur u. a. von Krekeler geäußerte Befürchtung 7 . Krekeler<br />

wiederum verschweigt, daß die Spezialisierung der Strafverfolgungsbehörden<br />

auch eine Folge der Spezialisierung der Anwälte<br />

sein kann. Immerhin spricht viel dafür, unter dem Gesichtspunkt<br />

der „Waffengleichheit“ den Strafverteidigern, die nicht über spezielle<br />

eigene Kenntnisse verfügen, die Hinzuziehung eines zivilistischen<br />

Experten zu empfehlen.<br />

In den hier in Frage kommenden Fällen übt der „Wirtschaftsanwalt“<br />

eine ergänzende Funktion aus. Ich will ein paar Beispiele<br />

aufgreifen:<br />

Die Aufstellung falscher Bilanzen ist für die zuständigen Organmitglieder<br />

juristischer Personen nach § 331 HGB, unter Umständen<br />

aber auch nach § 400 AktG oder § 82 GmbHG, strafbar.<br />

Wann eine Bilanz richtig und wann sie falsch ist, läßt sich nicht<br />

mit mathematischer Genauigkeit feststellen. Die Kenntnisse der beteiligten<br />

Personen zum Zeitpunkt der Aufstellung und ihre Erwartungen<br />

über zukünftige Entwicklungen haben maßgeblichen Einfluß<br />

auf Bewertungen und Rückstellungen. Bilanzen, die sich im<br />

Lichte späterer Erkenntnisse als objektiv falsch herausstellen, können<br />

im Rechtssinn gleichwohl richtig sein und damit auch im handelsrechtlichen<br />

Sinn bestandskräftig bleiben. Die zivilistische Literatur<br />

zu diesem Thema ist kaum übersehbar 8 . Dem sogenannten<br />

Wirtschaftsanwalt kann es leichter fallen, die fachliche Grundlage<br />

für eine Verteidigung zu legen.<br />

In komplizierten Fällen gibt es für die Kooperation zwischen<br />

Strafverteidiger und Wirtschaftsanwalt neben der supplementären<br />

Funktion der Kenntnisse auch ganz praktische Gesichtspunkte. Die<br />

mit dem Wirtschaftsrecht befaßten Praxen haben gelegentlich<br />

Hilfskräfte, die sie für Ermittlungsarbeiten einsetzen können und<br />

über die typische Strafverteidiger nicht verfügen.<br />

Bewertungsfragen spielen auch bei den Konkurstatbeständen<br />

der §§ 283 bis 283d) StGB eine zentrale Rolle. Dabei geht es, bis<br />

auf den Ausnahmefall des § 283b) StGB, durchgehend um die Frage<br />

der Überschuldung, der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit<br />

9 . Die Unternehmenskrise kann nicht einfach der handelsrechtlichen<br />

Rechnungslegung entnommen werden. Es bedarf<br />

einer gesonderten Überschuldungs- oder Liquiditätsberechnung.<br />

Dabei geht die überwiegende Auffassung im Strafrecht, die vom<br />

Gesetzgeber in der Begründung der neuen InsO 10 bestätigt wurde,<br />

davon aus, daß grundsätzlich dieselben betriebswirtschaftlichen<br />

Methoden anwendbar sind, die auch zur Bestimmung der Konkursgründe<br />

verwendet werden 11 . Ist der Wirtschaftsanwalt auch als<br />

Konkursverwalter oder Gutachter für das Konkursgericht tätig, so<br />

verfügt er sicher gelegentlich über einen gewissen Erfahrungsvorsprung.<br />

Diese Erfahrungen des Wirtschaftsanwaltes können dem<br />

Strafverteidiger helfen, die Annahme einer schon länger bestehen-<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

den Unternehmenskrise durch die Staatsanwaltschaft substantiiert<br />

anzugreifen.<br />

Wiederum gibt es einen praktischen Aspekt: Wenn der Vorwurf<br />

einer Bankrotthandlung in der Unternehmenskrise entkräftet werden<br />

soll, erfordert das im Regelfall die Sichtung der Handelsbücher<br />

und Geschäftsunterlagen. Ist ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren<br />

schon anhängig, hat die Staatsanwaltschaft häufig Geschäftsunterlagen<br />

beschlagnahmt und zumeist auch in ihre Räume überführt.<br />

Der Strafverteidiger ist nach § 147 Abs. 1 und Abs. 4 StPO berechtigt,<br />

in die beschlagnahmten Akten in den Räumen der Staatsanwaltschaft<br />

oder in seinen eigenen Geschäftsräumen Einsicht zu<br />

nehmen. Dies kann sich als sehr mühsam erweisen, wenn die in der<br />

Unternehmenskrise ohnehin nicht mehr sonderlich systematisch<br />

und gründlich geführten Unterlagen ohne erkennbare Ordnung in<br />

Kisten verpackt wurden 12 . Ein Wirtschaftsanwalt und seine Hilfskräfte<br />

wissen gelegentlich besser als ein nicht spezialisierter Strafverteidiger,<br />

wie und wonach zu suchen ist. Verfahrensrechtlich ist<br />

5 Diese Quote ergibt sich aus nachfolgender Übersicht des Verhältnisses von<br />

Konkursen und abgeschlossenen Ermittlungen der Polizeibehörden in<br />

Konkursdetikten in den alten Bundesländern.<br />

Jahr Insolvenzen Konkursdelikte Quote<br />

1985 18876 3881 21 %<br />

1986 18842 4279 23 %<br />

1987 17589 4327 25 %<br />

1988 15936 3866 24 %<br />

1989 14643 3608 25 %<br />

1990 13271 3083 23 %<br />

1991 12922 3103 24 %<br />

1992 14117 3038 22 %<br />

1993 17537 3282 19 %<br />

1994 20092 4245 21 %<br />

1995 21714 5585 26 %<br />

Die Werte bis 1990 wurden der Untersuchung von Bora/Liebl/Poerting/Risch,<br />

aaO, S. 29, entnommen. Die angegebene Anzahl der lnsolvenzen beruht auf<br />

den Angaben des Statistischen Bundesamtes, die Anzahl der Konkursdelikte<br />

auf der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes. In die Konkursdelikte<br />

wurden Straftaten nach §§ 283 – 283d StGB (Gruppe 5600 der<br />

Polizeilichen Kriminalstatistik), § 84 GmbHG und §§ 130b, 177a HGB (Gruppe<br />

7121/7122 der Polizeilichen Kriminalstatistik) aufgenommen. Die Werte ab<br />

1991 basieren auf einer eigenen Zusammenstellung der angegebenen Primärquellen.<br />

Zu beachten ist, daß bei der ausgewiesenen Anzahl der Konkursdelikte<br />

solche Verfahren nicht enthalten sind, die allein von den Schwerpunktstaatsanwaltschaften<br />

bearbeitet wurden. (Vgl. Bora/Liebl/Poerting/Risch, aaO, S. 23).<br />

6 In 1995 kam es im alten Bundesgebiet (einschließlich Berlin) in nur 836 Fällen<br />

zu einer Verurteilung nach §§ 283 ff. StGB (vgl. Statistisches Bundesamt,<br />

Rechtspflege – Strafverfolgung 1995, Fachserie 10, Reihe 3, S. 28). Dies entspricht<br />

3,9 % der Insolvenzen in 1995. Hinzu kommen <strong>685</strong> Verurteilungen<br />

nach den Straftatbeständen des GmbHG. Legt man die in der Polizeilichen<br />

Kriminalstatistik ausgewiesenen Anteile der einzelnen Straftatbestände des<br />

GmbHG an den polizeilichen Ermittlungen in Straftaten des GmbHG zugrunde,<br />

so ist davon auszugehen, daß auch diese Verurteilungen zum ganz überwiegenden<br />

Teil auf den Straftatbestand des § 84 GmbHG entfallen.<br />

7 Wistra 1983, S. 43 f.<br />

8 Vgl. etwa Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung der Unternehmung,<br />

6. Aufl. 1997, § 256 AktG Rdnr. 40 ff.; W. Müller, in Festschrift für Quack,<br />

1991, S. 359 ff.; Schedlbauer, DB 1992, 2097 ff. jeweils m. w. N.<br />

9 Zur Deliktsstruktur der Konkursstraftatbestände vgl. Weyand, Konkursdelikte,<br />

3. Aufl. 1997, S. 27 und ausführlich Tiedemann, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl.<br />

1996, Vor § 283 StGB, Rdnr. 86 ff. Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit<br />

sind auch die entscheidenden Merkmale der Konkursverschleppung nach § 84<br />

GmbHG. Die nachfolgenden Ausführungen können daher auf die Konkursverschleppung<br />

nach § 84 GmbHG, die wegen des fehlenden Erfordernisses einer<br />

Bankrotthandlung in der strafrechtlichen Praxis als Auffangtatbestand fungiert,<br />

übertragen werden.<br />

10 Begründung des Regierungsentwurfes zu § 22 InsO, abgedruckt in: Balz/<br />

Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 1995, S. 91. Ausführlich zum Einfluß<br />

der Insolvenzrechtsreform auch die Konkursstraftatbestände Uhlenbruck,<br />

wistra 1996, S. 1 ff.<br />

11 Vgl. Bieneck, in: Mueller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 1992,<br />

§ 63 Rdnr. 6 ff. (S. 1364 ff.) und insbes. Fußnote 30 (Seite 1370); Weyand, in:<br />

Achenbach/Wannemacher, Beraterhandbuch zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht,<br />

1997, § 23 II (Konkursverschleppung), Rdnr. 121 ff.; ähnlich Tiedemann,<br />

aaO, Vor § 283 Rdnr. 125 ff., 147 ff.; insbes. 141, der darauf abstellt,<br />

ob alle ernsthaft vertretenen betriebswirtschaftlichen Methoden zur Annahme<br />

der Unternehmenskrise führen. Ausführlich unter Berücksichtigung der<br />

Insolvenzrechtsreform auch Uhlenbruck, wistra 1996, S. 1 ff. speziell zur<br />

Zahlungsunfähigkeit Hartung, wistra 1997, 1 ff.<br />

12 Literatur und Rechtsprechung nehmen an, daß diese Situation den Strafverteidiger<br />

sogar berechtigt, bei der Wahrnehmung seines Einsichtnahmerechts den<br />

Beschuldigten selbst hinzuzuziehen. Vgl. Krekeler, wistra 1983, S. 43 (47).


AnwBl 11/97 595<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

das kein Problem, weil das Einsichtsrecht nach § 147 StPO nicht<br />

an die Person des Strafverteidigers gebunden ist, sondern auch von<br />

dessen Mitarbeitern oder Sachverständigen wahrgenommen werden<br />

kann 13 .<br />

Ähnliche Erwägungen wie für das Merkmal der Unternehmenskrise<br />

sind bei den Konkursdelikten auch für das Tatbestandsmerkmal<br />

der Bankrotthandlung einschlägig. Die §§ 283 bis 283d) StGB<br />

sind von dem gesetzgeberischen Gedanken getragen, daß gegen die<br />

Grundsätze ordnungsgemäßen Wirtschaftens verstoßen wurde 14 .<br />

Auch hier fällt es dem Wirtschaftsanwalt oft leichter als dem Strafverteidiger,<br />

Argumente zu finden, die eine von der Staatsanwaltschaft<br />

angegriffene Verhaltensweise als kaufmännisch noch vertretbar<br />

erscheinen lassen.<br />

Derartige Konstellationen sind natürlich auch außerhalb der<br />

Konkursdelikte denkbar, z. B. bei den Straftatbeständen im Umfeld<br />

der Unternehmensgründung (Stichwort: Liberierungserklärung)<br />

oder bei der Abwicklung laufender Geschäfte (Stichworte: Innenprovision<br />

15 , Prospektangaben im Zusammenhang mit dem Tatbestand<br />

des § 264a) StGB).<br />

In allen genannten Fällen wird die Rolle des Wirtschaftsanwalts<br />

über eine unterstützende Funktion nicht hinausgehen. Die<br />

Festlegung des taktischen Verhaltens gegenüber den Strafverfolgungsbehörden<br />

und auch der späteren Prozeßstrategie muß allein<br />

beim Strafverteidiger bleiben.<br />

2. Eine eher gleichgewichtige Rolle kommt dem Wirtschaftsanwalt<br />

zu, wenn Zivil- und Strafverfahren sich parallel gegen denselben<br />

Mandanten richten. Der strafrechtliche Aspekt ist hier für den<br />

Bevollmächtigten im Zivilprozeß gleich von Beginn an häufig von<br />

entscheidender Bedeutung, wenn es etwa darum geht, ob aus behaupteten<br />

Straftatbeständen Arrestgründe abgeleitet werden können<br />

16 . Die Arrestierung wesentlicher Teile des Betriebsvermögens<br />

kann einen Beschuldigten lange vor der Entscheidung über den<br />

Gegenstand des Vorwurfs zur Aufgabe zwingen.<br />

In zivil- wie auch in strafrechtlicher Sicht kann es gleichermaßen<br />

darauf ankommen, ob sich bestimmte Geschäfte bei wirtschaftlicher<br />

Betrachtung und Zugrundelegung der Sorgfalt eines<br />

ordentlichen Geschäftsführers noch im Rahmen des zulässigen Ermessensspielraums<br />

hielten 17 . Die Ausfüllung dieses Merkmals<br />

hängt von der tatsächlichen Einschätzung der Gerichte ab. Deshalb<br />

kann es sinnvoll sein, die Prozeßtaktik so aufeinander abzustimmen,<br />

daß nach Möglichkeit zuerst das Verfahren abgeschlossen<br />

wird, von dem die wohlwollendere Beurteilung zu erwarten ist.<br />

Dies wird wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ häufig das<br />

Strafverfahren sein.<br />

Es gibt allerdings auch Fallgestaltungen, bei denen die umgekehrte<br />

Reihenfolge angezeigt ist. Das ist dann der Fall, wenn die<br />

Strafgerichte sich nicht an die zivilrechtlichen Maßstäbe der Untreue<br />

halten. Wenn ein Geschäftsführer auf Weisung aller Gesellschafter<br />

verdeckte Gewinnausschüttungen oder riskante Geschäfte<br />

vorgenommen hat, ist er damit nach § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG<br />

entlastet, sofern das Stammkapital nicht angegriffen wurde 18 .<br />

Dagegen soll nach Ansicht der Rechtsprechung die Zustimmung<br />

der Gesellschafter den Geschäftsführer nicht ohne weiteres<br />

von seiner strafrechtlichen Verantwortung entlasten. Da als Schutzgut<br />

der Untreue nicht das Gesellschaftervermögen, sondern auch<br />

der Bestand der Gesellschaft gesehen wird, soll es darauf ankommen,<br />

ob eine Gefährdung des Unternehmens eintritt. Eine strafbare<br />

Untreue soll daher auch dann vorliegen, wenn dem Unternehmen<br />

mit Zustimmung der Gesellschafter in existenzbedrohender Weise<br />

Gegenstände oder Liquidität entzogen werden 19 . Damit überschreitet<br />

das Strafrecht – ausnahmsweise – die zivilrechtlichen Haftungsmaßstäbe<br />

20 . Diese dogmatisch bedenkliche Beurteilung der Gesellschafterzustimmung<br />

beinhaltet bei parallel verlaufenden Straf- und<br />

Zivilverfahren die Gefahr, daß über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m.<br />

§ 266 StGB eine Haftung des Geschäftsführers drohen kann, die<br />

aus allein zivilrechtlicher Sicht nicht gesehen würde 21 . Dies läßt es<br />

für die prozeßtaktischen Erwägungen einer Kooperation zwischen<br />

Wirtschaftsanwalt und Strafverteidiger in solchen Fällen angezeigt<br />

erscheinen, eine rechtskräftige Entscheidung des Zivilgerichts noch<br />

vor Entscheidung des Strafgerichts über eine Strafbarkeit nach<br />

§ 266 StGB anzustreben.<br />

3. Wenn sich der Zivilprozeß gegen eine Handelsgesellschaft<br />

richtet, das Strafverfahren natürlichermaßen aber gegen einzelne<br />

Gesellschafter oder Organmitglieder, entsteht eine Konfliktsituati-<br />

on. In der Mehrzahl der Fälle wird sie dadurch gelöst, daß der traditionelle<br />

Anwalt des Unternehmens zum Gegner des Geschäftsführers<br />

wird oder werden muß, eine Kooperation also aus solchem<br />

Grund nicht zustande kommen kann.<br />

Noch problematischer ist die Lage des „Hausanwalts“, wenn<br />

zwischen den Gesellschaftern Streit über den Geschäftsführer oder<br />

die Geschäftsführung entsteht. Obwohl der Schadensersatzanspruch<br />

aus § 43 GmbHG der GmbH zusteht und auch nur die Gesellschaft<br />

klagebefugt ist, nimmt die Rechtsprechung in solchen Fällen ausnahmsweise<br />

eine eigene Klagebefugnis der Gesellschafterminderheit<br />

an. Lehnt die Gesellschaftermehrheit eine Klageerhebung gegen<br />

den Geschäftsführer ab, soll die Gesellschafterminderheit ähnlich<br />

der actio pro socio im Personengesellschaftsrecht berechtigt<br />

sein, den Geschäftsführer auf Ersatz des Schadens an die Gesellschaft<br />

in Anspruch zu nehmen 22 .<br />

Strengt die Gesellschafterminderheit nun neben der zivilrechtlichen<br />

Schadensersatzklage zugleich strafrechtliche Ermittlungen gegen<br />

den Geschäftsführer wegen Untreue nach § 266 StGB an, so<br />

kann sich hieraus eine für die Gesellschaft unangenehme Situation<br />

ergeben:<br />

Verbleibt der Geschäftsführer mit Unterstützung der Gesellschaftermehrheit<br />

trotz des Untreuevorwurfs im Amt, so wird die<br />

Staatsanwaltschaft aus Beweissicherungsgründen selten umhinkommen,<br />

Teile der Geschäftsunterlagen zu beschlagnahmen. Hierdurch<br />

wird die Geschäftstätigkeit des Unternehmens beeinträchtigt.<br />

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es der Staatsanwaltschaft<br />

in einer solche Lage zwar, den Betroffenen die Geschäftsunterlagen<br />

wieder zur Verfügung zu stellen, soweit sie nicht<br />

zu Beweiszwecken erforderlich sind 23 . Und auch dann, wenn eine<br />

Aushändigung aus Beweisgründen ausscheidet, ist davon auszugehen,<br />

daß aus dem Recht auf Einsichtnahme in Beweisstücke nach<br />

§ 147 Abs. 4 StPO ein Anspruch auf Überlassung von Fotokopien<br />

der Beweisstücke resultiert 24 . Wie diese Rechte aber durchzusetzen<br />

sind, vermag ein Strafverteidiger meist besser zu beurteilen als der<br />

Berater der Handelsgesellschaft.<br />

Die Beispiele ungetreuer Geschäftsführung zeigen, daß sich bei<br />

durchaus ähnlichen Sachverhalten sehr verschiedene Formen der<br />

Kooperation, aber auch der Hindernisse für eine solche Kooperation<br />

bis zur Vertretung kontroverser Interessen ergeben können. Auf<br />

die offensive Kooperation zwischen Wirtschaftsanwalt und Strafrechtsexperten<br />

komme ich zurück. In den typischen Fällen gleichgelagerter<br />

Interessen ist keinem der beiden Spezialisten von vornherein<br />

eine dominierende Rolle zugewiesen.<br />

4. Schließlich möchte ich die wirtschaftsrechtliche Beratung<br />

nicht auslassen, die sich der Hilfe des Experten bedienen sollte, sobald<br />

die Grenzen des eigenen Fachs überschritten werden. Das ist<br />

13 Vgl. Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. 1989, § 147 Rdnr. 113;<br />

Schäfer, NStZ 1984, S. 203 (205 f.) und aus der Rechtsprechung jüngst etwa<br />

Brandenburgisches OLG, StV 1996, S. 7 (8 f.).<br />

14 Vgl. Tiedemann, aaO, Vor § 283 Rdnr. 101 ff.<br />

15 Vgl. Gallandi, wistra 1996, 323 ff.<br />

16 Vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 55. Aufl., München 1997, § 917,<br />

Rdnr. 5 m. w. N.<br />

17 Vgl. für die strafrechtliche Wertung Kohlmann, aaO, vor § 82, Rdnr. 240;<br />

Seier, in: Achenbach/Wannemacher, Beraterhandbuch zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht,<br />

1997, § 21 II (Untreue), Rdnr. 225 ff.; BGH, wistra 1982,<br />

148 (150) und für die zivilrechtliche Seite Mertens, in: Hachenburg, GmbHG,<br />

8. Aufl. 1997, § 43, Rdnr. 27 jeweils m. w. N.<br />

18 Vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl. 1996, § 43, Rdnr. 22;<br />

Mertens, aaO, § 43, Rdnr. 69 ff.<br />

19 Vgl. BGHSt 35, 333 (336 f.); BGH NStZ 1995, 185 (186) und für den früheren<br />

§ 81a GmbHG schon BGHSt 3, 23 (25); Schäfer, GmbHR 1993, S. 780<br />

(789); Seier, aaO, § 21 II (Untreue), Rdnr. 229; Gribbohm, ZGR 1990, S. 1<br />

(2, 8 ff.); zur zeitweise sogar noch deutlich weitergehenden Rechtsprechung<br />

vgl. BGHSt 34, 379 (384 ff.) mit kritischer Besprechung von Vonnemann,<br />

GmbHR 1988, S. 329 ff.<br />

20 Vgl. Seier, aaO, § 21 II (Untreue), Rdnr. 229; Arloth, NStZ 1990, 570 (572<br />

ff.) und ausführlich Fleck, ZGR 1990, S. 31 ff. und Gribbohm, ZGR 1990, S. 1<br />

(26 ff.), mit Vorschlägen zur Angleichung auf zivilrechtlicher und strafrechtlicher<br />

Seite.<br />

21 So auch Zöllner, aaO, § 43, Rdnr. 7.<br />

22 Vgl. BGH, WM 1982, S. 928 f.; Hueck, in: Baumbach/Hueck, aaO, § 13,<br />

Rdnr. 32; Hüffer, in: Hachenburg, aaO, § 46, Rdnr. 109 ff. m. w. N.<br />

23 Vgl. Koch, wistra 1983, S. 63 ff.; Krekeler, wistra 1983, S. 43 (45).<br />

24 Vgl. Lüderssen, in: Loewe/Rosenberg, aaO, § 147, Rdnr. 117; Krekeler, wistra<br />

1983, S. 43 (47).


596<br />

l<br />

in einer zunehmend großen Zahl von Fällen so, wenn etwa beurteilt<br />

werden muß, ob und welche Provisionszahlungen im In- oder Ausland<br />

noch zulässig oder schon unzulässig sind. Je spezieller freilich<br />

die Materie wird, desto früher endet die Kooperation in der beratenden<br />

anwaltlichen Tätigkeit. Das ist deshalb so, weil vielfach die<br />

objektive Strafbarkeit der Bewährung des ordnungspolitisch Gewollten<br />

dient und mithin nur die Folge wirtschaftsrechtlich inkompetenter<br />

Beratung ist. Der Wirtschaftsanwalt, der beispielsweise zu<br />

Fragen des Wertpapierhandelsrechts gehört wird, sollte zugleich<br />

wissen, wo die Grenzen der Strafbarkeit oder zu den – hier besonders<br />

schmerzhaften – Ordnungswidrigkeiten verlaufen.<br />

In ähnlicher Weise gilt das übrigens für die zuletzt zu behandelnden<br />

Fälle, in denen „Wirtschaftsanwalt“ und Strafverteidiger<br />

zur Abwehr oder Wiedergutmachung wirtschaftlichen Schadens<br />

kooperieren. In diesen Fällen kann es durchaus sein, daß der Anwalt<br />

auf der Gegenseite nach gemeinsamer Überzeugung die Grenzen<br />

des rechtlich Zulässigen überschritten hat.<br />

III. Beratungsbedarf des „Wirtschaftsanwalts“<br />

Vom konkursverwaltenden Wirtschaftsanwalt ist schon die<br />

Rede gewesen. Über die Zahl der Strafverfahren, die sich gegen<br />

Konkursverwalter persönlich richten, habe ich leider kein statistisches<br />

Material. Vermutlich ist sie größer, als es für unseren Berufsstand<br />

wünschenswert wäre. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen,<br />

daß eine „Js-Nummer“ durchaus auch von Gläubigern dazu benutzt<br />

werden kann, Pressionen zu versuchen.<br />

Ein außerordentlich heißes Pflaster ist der Bereich der außergerichtlichen<br />

Sanierungen, weil hier sehr häufig die gesetzlichen<br />

Konkursantragspflichten nicht eingehalten werden können und der<br />

Berater des potentiellen Gemeinschuldners sorgfältig darauf achten<br />

muß, nicht selbst strafrechtliche (und zivilrechtliche) Risiken einzugehen<br />

25 .<br />

In beiden Fällen sollte sich der Wirtschaftsanwalt rechtzeitig<br />

um einen eigenen – und hinreichend unabhängigen – strafrechtlichen<br />

Berater bemühen, damit die nötigen Entscheidungen nicht<br />

vom Wunschdenken bestimmt werden.<br />

IV. „Offensive“ Kooperation mit dem Experten des<br />

Strafverfahrensrechts<br />

Die klassischen Fälle für eine Unterstützung des sogenannten<br />

Wirtschaftsanwalts durch den Strafverteidiger, der hier besser als<br />

Experte des Strafverfahrensrechts angesprochen wird, sind die<br />

Straftatbestände des UWG, also beispielsweise strafbare Werbung<br />

nach § 4 UWG, die Bestechung von Angestellten nach § 12 UWG,<br />

die geschäftliche Verleumdung nach § 15 UWG oder der Verrat<br />

von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen nach § 17 UWG. Nach<br />

§ 22 UWG werden diese Taten in den meisten Fällen nur auf Antrag<br />

verfolgt, der, wo immer die Bedeutung der Sache das rechtfertigt,<br />

von einem Spezialisten bearbeitet werden sollte. Einen wesentlichen<br />

Fall, in dem die Strafverfolgungsbehörden ein<br />

öffentliches Interesse erwogen haben, haben wir in der jüngsten<br />

Auseinandersetzung zwischen General Motors und Volkswagen gesehen.<br />

Er zeigt sehr anschaulich, wie auf beiden Seiten anwaltliche<br />

Hilfe vonnöten sein kann und möglicherweise sogar auf beiden<br />

Seiten in Kooperation von Wirtschafts- und Strafrechtsexperten.<br />

In der offensiven Kooperation dominiert meist der Wirtschaftsanwalt.<br />

Ansatzpunkt sind dabei vor allem die Informationsrechte<br />

im Strafverfahren. Die Versuchung, solche Rechte auszunutzen,<br />

um zivilrechtliche Ansprüche effektiv durchzusetzen, liegt nahe.<br />

Gelingt es beispielsweise, die Staatsanwaltschaft durch eine<br />

fundierte Strafanzeige zur Durchsuchung der Geschäftsräume des<br />

Konkurrenten und Beschlagnahme von Unterlagen zu veranlassen,<br />

so lassen sich die zivilrechtlich erforderlichen Beweismittel häufig<br />

auf diese Weise beschaffen. § 406e) Abs. 1 StPO sieht vor, daß<br />

dem Rechtsanwalt des durch eine Straftat in seinen Rechten Verletzten<br />

Einsicht in die beschlagnahmten Akten zu gewähren ist,<br />

wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht. Das ist nach Nummer<br />

185 Abs. 3 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren<br />

(RiStBV) dann der Fall, wenn die Einsicht der Prüfung möglicher<br />

bürgerlich-rechtlicher Ansprüche dient.<br />

Die Nutzung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsergebnisse ist<br />

allerdings nicht ohne rechtliche Probleme. Da durch die Einsicht in<br />

beschlagnahmte Unterlagen in das Recht des Beschuldigten auf in-<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

formationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird 26 , nehmen Teile<br />

der strafrechtlichen Literatur an, daß ein Einsichtsrecht nach<br />

§ 406e) StPO nicht zu einer Ausforschung des Beschuldigten führen<br />

dürfe 27 . Daraus wird teilweise gefolgert, daß der Verletzte sein<br />

rechtliches Interesse an der Einsichtnahme im einzelnen so substantiiert<br />

darlegen müsse, daß der Staatsanwaltschaft die Prüfung<br />

der Verhältnismäßigkeit möglich sei 28 .<br />

Gelegentlich ist die Rechtsprechung dazu übergegangen, Dritten,<br />

die nicht als Verletzte im Sinne von § 406e) StPO anzusehen<br />

sind, trotz möglicher zivilrechtlicher Interessen ein Einsichtnahmerecht<br />

zu verweigern. Nummer 185 RiStBV sei als gesetzliche<br />

Grundlage für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

nicht geeignet 29 . Nach Ansicht des OLG Frankfurt<br />

soll einem Konkursverwalter der Einblick in die Strafakten gegen<br />

den Gemeinschuldner zu verwehren sein 30 . Dagegen hat das OLG<br />

Hamm 31 mit einer, wie ich finde, richtigen Begründung im Balsam/Procedo-Fall<br />

dem Konkursverwalter Einsicht sogar in die Ermittlungsakten<br />

gegen die beteiligten Wirtschaftsprüfer gewährt.<br />

Eine ähnliche Interessenlage ergibt sich, wenn Vorstände oder<br />

Geschäftsführer von abhängig konzernierten Gesellschaften oder<br />

selbst Arbeitnehmer in den Verdacht der Untreue geraten. Hier ist<br />

dann häufig nicht das eigentliche Dienst- oder Arbeitsverhältnis<br />

das Thema und auch nicht notwendig der Schadenersatzanspruch<br />

gegenüber dem mutmaßlichen Täter. Wirtschaftlich viel interessanter<br />

kann es sein, Schadenersatz von den kooperierenden Dritten zu<br />

verlangen und dafür der Strafverfolgungsakten habhaft zu werden.<br />

In einem Fall, in dem es um einen großen Geldbetrag ging, hat das<br />

Landgericht Köln trotz eines positiven Votums der Staatsanwaltschaft<br />

drei Ersuchen um Akteneinsicht nach § 406e) Abs. 4 StPO<br />

nicht einmal beantwortet. Das mitwirkende und das geschädigte<br />

Unternehmen haben sich später verglichen. Auf diese Weise bin<br />

ich selbst dem Regreß entgangen, der damit hätte begründet werden<br />

können, daß ich nicht rechtzeitig einen Experten des Strafverfahrensrechts<br />

hinzugezogen hatte.<br />

Hoffentlich um die Rechtssicherheit zu erhöhen hat der Gesetzgeber<br />

im Dezember 1996 den Entwurf für ein Gesetz zur Änderung<br />

und Ergänzung des Strafverfahrensrechts vorgelegt 32 . In einem<br />

neu zu schaffenden § 475 StPO soll vorgesehen werden, daß<br />

(ähnlich Nr. 185 Abs. 3 RiStBV) einem Anwalt für Privatpersonen<br />

dann ein Einsichtsrecht zu gewähren ist, wenn ein berechtigtes Interesse<br />

nachgewiesen wird. Das Gesetzgebungsverfahren ist, soweit<br />

ich weiß, bisher nicht abgeschlossen.<br />

Resümee<br />

Als Resümee meiner Überlegungen bleibt festzuhalten, daß in<br />

der Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Situationen auftreten<br />

kann, die eine Zusammenarbeit von Wirtschaftsanwalt und Strafverteidiger<br />

sinnvoll machen. Welche Rolle der Wirtschaftsanwalt in<br />

einer solchen Kooperation inne hat, hängt von der Situation und<br />

den zu lösenden rechtlichen oder tatsächlichen Fragen ab. Sie reicht<br />

von einer nur unterstützenden Rolle im isolierten Wirtschaftsstrafverfahren<br />

über die eines gleichberechtigten Partners in der „defensiven“<br />

Kooperation bis hin zum dominierenden Teil beim Einsatz<br />

strafverfahrensrechtlicher Informationsrechte im Rahmen einer „offensiven“<br />

Kooperation. Die anhand typischer Situationen dargestellte<br />

Rollenverteilung hat die Schwächen, die Typisierungsversuchen<br />

allgemein immanent sind. Wie die Rollenverteilung in der<br />

Praxis aussieht, hängt mehr von den beteiligten Personen als der<br />

hier zugrunde gelegten Aufteilung ab. Wie wenige andere Berufe<br />

ist der unsere – glücklicherweise – durch die Individualität seiner<br />

Angehörigen bestimmt.<br />

25 Vgl. Baumgarte, wistra 1992, 41 ff.<br />

26 Hierzu ausführlich Lüderssen, NStZ 1987, S. 249 ff.<br />

27 Vgl. insbes. Otto, GA 1989, S. 289 (301 ff.); ähnlich Kleinknecht/Meyer,<br />

StPO, 42. Aufl. 1995, § 406e Rdnr. 3.<br />

28 So insbes. Otto, GA 1989, S. 289 (301 ff.); ähnlich Hilger, NStZ 1984, S. 541<br />

f. gegen diese Ansicht etwa Sieber, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 757<br />

(772 f.).<br />

29 Vgl. OLG Frankfurt, StV 1996, 308, ähnlich schon AG Wolfrathshausen, NStZ<br />

1994, 505 mit Anmerkung von Peglau, NStZ 1995, 100.<br />

30 Vgl. OLG Frankfurt, StV 1996, 308; anderer Ansicht aber OLG Hamm, wistra<br />

1997, 39.<br />

31 OLG Hamm, wistra 1997, 39 f.<br />

32 Vgl. BR-Drucks. 961/96 vom 20.12.1996.


AnwBl 11/97 597<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

Leitthema 1: Streitschlichtung – Anwaltssache<br />

Die Erörterung des Themas „Streitschlichtung – Anwaltssache“<br />

auf dem Anwaltstag war sehr ergiebig. Im Anschluß<br />

an die generellen Darlegungen in Heft 10/97, S.<br />

520 des <strong>Anwaltsblatt</strong>es folgen hier Berichte, welche die<br />

Bedeutung der außergerichtlichen Streitschlichtung in einzelnen<br />

Rechtsgebieten betrachten.<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung<br />

im Baurecht *<br />

Rechtsanwalt und Notar Franz W. Wiesel, Essen<br />

Unter den Oberbegriffen:<br />

– Ist Schlichtung im Bauvertragsrechtsbereich möglich?<br />

– Vor- uns Nachteile einer Schlichtung<br />

– Anwälte als Schlichter in baubezogenen Vertragsverhältnissen<br />

wurde teils übereinstimmend, teils konträr unter reger<br />

Beteiligung aller Anwesenden einschließlich des US-Kollegen<br />

Peter Grilli/Florida lebhaft diskutiert. Das Ergebnis gab<br />

der Leiter des Workshops, Kollege Peter Oppler/München,<br />

im Plenum bekannt.<br />

Ist Schlichtung im Bauvertragsrecht möglich?<br />

Grundsätzlich wurde die Streitschlichtung in bauvertragsrechtlichen<br />

Angelegenheiten nicht nur für möglich,<br />

sondern für erforderlich erachtet. Dabei spielte der Aspekt<br />

der Verfahrensverkürzung eine nicht unwesentliche Rolle.<br />

Betont wurde von den Workshop-Teilnehmern das Erfordernis<br />

der Schaffung von Vertragsgrundlagen und als eine<br />

Voraussetzung der Aspekt der Freiwilligkeit der Durchführung<br />

der Schlichtung. Eine ganz bedeutende Funktion des<br />

Schlichtungsverfahrens sahen die Teilnehmer in der unmittelbaren,<br />

auch baubegleitend und auch zur Teil-Problemausräumung,<br />

erfolgenden Streitbeilegung. Dabei wurden<br />

gleichzeitig die Abstufungen freiwilliger außergerichtlicher<br />

Konfliktregelung durch offenes Verhandeln, Schlichtung<br />

oder Mediation erörtert.<br />

Ein derzeit noch vorhandenes, gravierendes, bei Verträgen<br />

mit Beteiligung der öffentlichen Hand als Auftraggeber<br />

eine Schlichtung verhinderndes Problem sahen die Teilnehmer<br />

darin, daß die Bereitschaft, Entscheidungswillen und<br />

Entscheidungskompetenz zu praktizieren, ohne immer mit<br />

zumindest einem Auge nach dem Rechnungshof „schielen“<br />

zu müssen, stärker als bisher eröffnet angeregt werden muß.<br />

Die bisherige gesetzliche Regelung, die die ministerielle Zustimmung<br />

zu Vergleichsabschlüssen für die öffentliche Hand<br />

als Auftraggeber vorsieht, soll, wie Herr Kollege Steffen<br />

Kraus/München berichtete, durch eine im Entwurf vorliegende<br />

Regelung ersetzt werden, nach der es dieser Zustimmung<br />

zu Vergleichsabschlüssen nicht mehr bedarf. Dies würde für<br />

die Zukunft positive Entwicklungen auch hinsichtlich außergerichtlicher<br />

Streitbeilegung mit Beteiligung öffentlicher<br />

Auftraggeber wahrscheinlicher machen.<br />

Vor- und Nachteile einer Schlichtung<br />

Den Schwerpunkt der Bedeutung der Schlichtung sahen<br />

die Workshop-Teilnehmer in der Befriedungsfunktion und<br />

in der Befriedigungsfunktion, die die Schlichtung haben<br />

könne, ebenso wie in einer ökonomisch sinnvollen Mini-<br />

mierung des Streitumfangs auch dann, wenn durch eine<br />

Schlichtung keine vollständige Problemlösung erfolge.<br />

Wichtige Aspekte waren in diesem Zusammenhang die<br />

Möglichkeit zukunftsorientierter Ergebnisse und Zwischenergebnisse,<br />

eine objektive Vermittlungsfunktion, die Erziehung<br />

zu verantwortungsbewußter Beurteilung und die Bedeutung<br />

der Schlichtung auch im Hinblick auf Kooperationsgewinne<br />

für die streitbeteiligten Parteien.<br />

Von besonderem Vorteil könnte nach übereinstimmender<br />

Ansicht sein, wenn der Schlichter bereits zu einem sehr frühen<br />

Zeitpunkt der Vertragsbeziehungen für mögliche Fälle<br />

der Schlichtung von den Vertragsparteien benannt wird und<br />

gegebenenfalls baubegleitend für rechtliche Beratung im<br />

Sinne der Schlichtung zur Verfügung steht.<br />

Unter ertrags- und ergebnisorientierten Gesichtspunkten<br />

wurde die reine Mediation für den Baubereich als weniger<br />

geeignet angesehen. Betont wurde, daß im Bauvertragsrechtsbereich<br />

eine interessengerechte Schlichtung nicht losgelöst<br />

vom Recht erfolgen könne.<br />

Anwälte als Schlichter in baubezogenen<br />

Vertragsverhältnissen<br />

Der Anwalt sollte nicht allein in der Funktion als neutraler<br />

Schlichter am Bau tätig werden. Eine nicht unwesentliche<br />

Aufgabe der auf diesem Rechtsgebiet tätigen Anwälte<br />

sahen die Beteiligten darin, auf die im Baubereich tätigen<br />

Mandanten erziehend dahin einzuwirken, Streitpunkte mit<br />

baubeteiligten Vertragspartnern unter ergebnisorientierten<br />

Gesichtspunkten zu minimieren.<br />

Der Anwalt als Schlichter könne hier wahrscheinlich in<br />

der Regel nicht ein reiner Mediator sein. Er könne seine<br />

Funktion in Bausachen effektiver als Schlichter mit mediativer<br />

Ausrichtung ausüben.<br />

Einigkeit bestand darüber, daß neben der rein rechtlichen<br />

Vorbildung notwendigerweise eine Sonder-Ausbildung<br />

und Fortbildung im Bereich der Verhandlungsführung erforderlich<br />

sei, um den Anforderungen an einen Schlichter ausreichend<br />

gerecht werden zu können. Eine lediglich zweijährige<br />

Berufserfahrung selbst bei überwiegender Tätigkeit<br />

im bauvertragsrechtlichen Bereich wurde nicht als hinreichend<br />

angesehen.<br />

Solange entsprechende Aus- und Fortbildungsinstitutionen<br />

nicht bestehen, die speziell auf die Tätigkeit des Bauschlichters<br />

ausgerichtet sind und so lange, wie verbindliche<br />

Richtlinien hierfür nicht aufgestellt sind, sollte zumindest<br />

Wert darauf gelegt werden, daß Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte<br />

der als Bauschlichter vorgesehenen Anwälte<br />

im bauvertragsrechtlichen Bereich lägen.<br />

Zukünftig müßten die Anforderungen dahin gehen,<br />

durch Aus- und Fortbildung, die zu überprüfen seien, eine<br />

ausreichende Qualifikation als Schlichter zu erreichen und<br />

aufrecht zu erhalten. Dies sei nur mit erheblicher Berufserfahrung<br />

einerseits und erlernter Verhandlungsfähigkeit andererseits<br />

zu erreichen.<br />

* Veranstaltung am 10.5.1997 in Frankfurt/M. unter der Leitung von Rechtsanwalt<br />

Peter Michael Oppler, München, im Rahmen des Leitthema 1 „Streitschlichtung<br />

– Anwaltssache“ des 49. Deutschen Anwaltstages 1997.


598<br />

l<br />

Selbst bekanntermaßen im Bauvertragsrechtsbereich seit<br />

Jahren tätige Kollegen bestätigten, daß sie ihr eigenes Verhandlungsverhalten<br />

aufgrund der Teilnahme an entsprechenden<br />

Fortbildungsveranstaltungen (z. B. bei Seminaren<br />

des Kollegen Dr. Ponschab) geändert hätten und zum Teil<br />

zur Verhandlungsführung eine völlig neue Einstellung bekommen<br />

hätten<br />

Es bedarf also auch wesentlich der Eigenerziehung des<br />

Anwaltes als Schlichter.<br />

Die Differenzierung der Ausbildung mit Vorgabe von<br />

Standards wurde als erforderlich angesehen, insbesondere im<br />

Hinblick auf die gegebene Wesensverschiedenheit von Mediation/Schlichtung.<br />

Die Akzeptanz von Rechtsanwälten als<br />

Schlichtern werde im wesentlichen davon abhängen, daß der<br />

Anwalt über entsprechendes Know-how verfüge. Hierfür sei<br />

in jedem Fall eine Vorbildung von zwei Jahren zu wenig. Erforderlich<br />

seien darüber hinaus zumindest Grundkenntnisse<br />

der Baubetriebslehre, technischer Grundbegriffe etc.<br />

Für die Befähigung zur Tätigkeit als Schlichter seien Zulassungs-<br />

und Weiterbildungsvoraussetzungen zu schaffen.<br />

Es wurde vorgeschlagen anzuregen, beim DAV einen<br />

Schlichtungsausschuß für Bauvertragsangelegenheiten (gegebenenfalls<br />

im Rahmen der existierenden Arbeitsgemeinschaft)<br />

zu installieren.<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung<br />

im Verkehrsrecht *<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Georg Greißinger, Hildesheim<br />

Streitschlichtung ist der Ausgleich von Interessen, eine<br />

dem Verkehrsrechtsanwalt keineswegs fremde Tätigkeit. Er<br />

praktiziert sie zur Vermeidung von Prozessen in seiner täglichen<br />

Schadensregulierungspraxis, indem er im Beratungsgespräch<br />

mit seinem Mandanten auch die Position des Anspruchsgegners<br />

und damit abzuklären versucht, was außergerichtlich<br />

machbar ist.<br />

I. Gegenstand anwaltlicher Streitschlichtung<br />

Im Verkehrsrecht kann Gegenstand der Streitschlichtung<br />

nur die Auseinandersetzung zwischen Geschädigtem einerseits<br />

und Schädiger bzw. seinem Versicherer andererseits<br />

sein. Zwar werden ca. 98 % aller Schadensfälle im Kraftfahrzeughaftpflichtbereich<br />

gütlich erledigt, doch belasten<br />

die verbleibenden nur 2 % die Gerichte erheblich, zumal<br />

die absolute Zahl hoch ist und die Prozesse häufig, gerade<br />

auch bei Körperschäden, komplex sind.<br />

Eine Streitschlichtung im Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

ist kaum denkbar, sieht man von den Fällen<br />

eines Täter-Opferausgleichs ab. Der hoheitliche Strafbzw.<br />

Ahndungsanspruch – auch wenn das Opportunitätsprinzip<br />

gilt – kann wohl kaum geschlichtet werden.<br />

Ungeeignet für eine Streitschlichtung erscheint auch eine<br />

verkehrsverwaltungsrechtliche Auseinandersetzung, wenngleich<br />

anwaltliche Tätigkeit auch hier durchaus dazu führen<br />

kann, daß belastende Verwaltungsakte, die angefochten<br />

sind, zurückgenommen oder geändert werden.<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

II. Grenzen der Streitschlichtung<br />

Wenn, wie gesagt, 98 % aller Unfallschadensregulierungen<br />

außergerichtlich erledigt, also nur 2 % streitig entschieden<br />

werden, dürfte der Anteil mit Streitwerten von bis zu<br />

1000 DM so gering sein, daß eine obligatorische Streitschlichtung<br />

kaum in Frage kommt; denn die Versicherer<br />

streiten in aller Regel nur um mittlere und höhere Werte.<br />

Demgegenüber kann eine freiwillige Streitbeilegung oder<br />

eine solche nach Zuweisung durch das angerufene Gericht<br />

(vgl. Ponschab AnwBl 1997, 150) in der Praxis durchaus<br />

für beide Seiten von Interesse sein. Zu denken ist an<br />

Rechtsstreitigkeiten, die rechtlicher Prüfung nach Beweiserhebung<br />

durch Sachverständigengutachten bedürfen (vgl.<br />

Ponschab aaO), z. B. Restwertermittlung und fiktive Abrechnung.<br />

Die Schlichtung muß schneller und kostengünstiger<br />

als ein Rechtsstreit sein.<br />

III. Mittel der Streitschlichtung<br />

Zu fragen ist nach den Mitteln der Streitschlichtung.<br />

Hier könnte sich die Mediation anbieten. Sie ist eigenverantwortliche<br />

Konfliktbehandlung auf der Grundlage der<br />

Privatautonomie der Parteien, der Versuch, gegenläufige Interessen<br />

unter Einschaltung eines Helfers – eben eines Mediators<br />

– auszugleichen. Seine Aufgabe ist es, Barrieren, an<br />

denen Verhandlungen über Interessen scheitern, zu beseitigen<br />

(Breidenbach AnwBl 1997, 137). Das ist sehr zeitaufwendig,<br />

kann es zumindest sein.<br />

In der verkehrsrechtlichen Schadensregulierung erscheint<br />

ein solches Verfahren nur in wenigen Bereichen geeignet<br />

und erforderlich, z. B. bei der Bemessung von<br />

Schmerzensgeld (Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion)<br />

oder der Abfindung von auch künftigen Ansprüchen.<br />

Bei Konflikten zwischen Geschädigtem und Schädiger<br />

bzw. seinem Versicherer geht es in aller Regel um die<br />

schnelle und kostengünstige Durchsetzung oder Abwehr<br />

von konkreten Ansprüchen, also darum, ob und in welcher<br />

Höhe z. B. Nutzungsausfall, merkantiler Minderwert, Reparaturkosten,<br />

Haushaltsführungsschäden u. a. m. zuzubilligen<br />

sind oder etwa Abzüge für ersparte Eigenkosten zu machen<br />

sind. Mediative Mittel und Elemente sind also wohl nur am<br />

Rande gefragt, eher Entscheidungshilfen von Fachleuten,<br />

eben Verkehrsrechtlern. Hierzu hat der spezialisierte<br />

Rechtsanwalt mindestens dieselbe Kompetenz wie ein nicht<br />

spezialisierter Richter am Land- oder Amtsgericht.<br />

IV. Ziel der Streitschlichtung<br />

Angestrebt wird eine Streitbeilegung ohne Urteil durch<br />

Vereinbarung der Parteien.<br />

Aufgabe des Schlichters ist es, durch Erörterung der<br />

Sach- und Rechtslage, Anregungen und Vorschlage eine<br />

Verständigung zu versuchen. Das ist insbesondere auch<br />

durch vermittelnde Lösungen möglich, während in streitigen<br />

Verfahren nur zugunsten oder zu Lasten einer Partei entschieden<br />

werden kann (Ponschab AnwBl 1997, 149).<br />

* Veranstaltung am 10.5.1997 in Frankfurt/M. unter der Leitung des Autors im<br />

Rahmen des Leitthema 1 „Streitschlichtung – Anwaltssache“ des 49. Deutschen<br />

Anwaltstages 1997.


AnwBl 11/97 599<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

Im Einverständnis mit den Parteien sollte der Schlichter<br />

befugt sein, auch freibeweisliche Erhebungen anzustellen,<br />

z. B. Auskünfte oder Sachverständigengutachten einzuholen,<br />

nicht jedoch formell Beweis zu erheben. Zu denken ist<br />

an eine Regelung wie im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren<br />

(§ 118 Abs. 2 S. 2 ZPO). Werden hierdurch Kosten verursacht,<br />

kann dies nur nach Abstimmung mit den Parteien<br />

geschehen. Zu beachten ist, daß Wahrheitsfindung nicht unbedingt<br />

das Ziel ist, sondern Interessenausgleich.<br />

V. Die Schlichter und ihre Qualifikation<br />

Die Schlichter müssen unabhängig und ohne Beziehungen<br />

zu den Parteien sein, die Zweifel an ihrer Unbefangenheit<br />

rechtfertigen. Jede Seite sollte das Recht haben, innerhalb<br />

bestimmter Fristen Einwendungen gegen die Person<br />

des Schlichters zu erheben.<br />

Verkehrsrechtliche Schlichter sollten Rechtsanwälte<br />

sein, die mindestens 3 Jahre als Rechtsanwälte zugelassen<br />

sind und über verkehrsrechtliche Berufserfahrung in der<br />

Weise verfügen, daß sie das Verkehrsrecht als Tätigkeitsschwerpunkt<br />

zu bezeichnen befugt sind.<br />

Zu fordern ist außerdem eine Schlichterausbildung, die<br />

das nötige Rüstzeug vermitteln soll. Der Schlichter muß in<br />

der Lage sein, die Parteien zum Zuhören zu bewegen.<br />

VI.Verfahren<br />

1. Im Verfahren muß die Parteimaxime gelten; anderes<br />

wäre mit außergerichtlicher Streitschlichtung unvereinbar.<br />

2. Das Verfahren darf nicht öffentlich sein.<br />

3. Der Schlichter muß befugt sein, das Verfahren nach<br />

seinem Ermessen mündlich oder schriftlich unter Berücksichtigung<br />

der Wünsche der Parteien zu gestalten.<br />

4. Zur Beweiserhebung gilt das oben Gesagte.<br />

5. Das Schlichtungsverfahren sollte den Lauf der Verjährungsfrist<br />

unterbrechen.<br />

6. Da gegenüber herkömmlichen Verfahren ein Beschleunigungseffekt<br />

gewünscht ist, ist zu empfehlen, die<br />

Schlichtung 3 Monate nach Einleitung des Verfahrens als<br />

gescheitert anzusehen, wenn keine Vereinbarung zustande<br />

gekommen ist. Anderes sollte nur dann gelten, wenn Parteien<br />

das übereinstimmend wünschen, z. B. weil ein Sachverständigengutachten<br />

aussteht.<br />

7. Endet das Verfahren mit einer den Streit beilegenden<br />

Vereinbarung, so ist diese zugleich Vollstreckungstitel gemäß<br />

§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.<br />

8. Im Falle der obligatorischen Streitschlichtung ist Zulässigkeitsvoraussetzung<br />

für ein ordentliches Gerichtsverfahren<br />

die Mitteilung des Schlichters über das Scheitern<br />

des Verfahrens.<br />

9. Der Schlichter muß der Schweigepflicht unterliegen<br />

und als Zeuge ausscheiden.<br />

10. Die Schlichtungsstellen sind zweckmäßigerweise bei<br />

den Amtsgerichten einzurichten. Die Zuständigkeitsbestimmungen<br />

der ZPO sollten entsprechend anwendbar sein.<br />

Durch Schlichterlisten kann der „gesetzliche Schlichter“<br />

gewährleistet werden.<br />

VII. Kosten des Verfahrens<br />

Beim rechtsuchenden Publikum gibt es im Falle der obligatorischen<br />

Streitschlichtung betreffend die Kosten keine<br />

Akzeptanzprobleme, eben weil sie obligatorisch ist. Hier<br />

geht es vielmehr darum, eine Kostenregelung zu finden, die<br />

vom Gesetzgeber als angemessen angesehen wird und für<br />

die beteiligten Rechtsanwälte, sei es als Schlichter oder Bevollmächtigte,<br />

annehmbar erscheint; anders bei der freiwilligen<br />

außergerichtlichen Konfliktbeilegung. Wenn sie erfolgreich<br />

sein soll, muß sie für das rechtsuchende<br />

Publikum auch kostenmäßig akzeptabel sein.<br />

1. Gebühren für Bevollmächtigte<br />

Zwei Alternativen bieten sich an.<br />

Die erste besteht darin, die Gebühren nach den Grundsätzen<br />

des § 65 BRAGO zu bemessen. Danach erhält der<br />

Rechtsanwalt eine volle Gebühr für die Tätigkeit und im<br />

Falle der Einigung eine weitere volle Gebühr. § 23 BRAGO<br />

ist abbedungen.<br />

Eine solche Lösung erforderte eine Ergänzung des § 65<br />

BRAGO.<br />

Die zweite Alternative ist eine Bemessung nach § 118<br />

BRAGO.<br />

Danach erhält der Rechtsanwalt in der Regel die Geschäfts-<br />

und die Besprechungsgebühr von je 7,5/10 und im<br />

Falle der Einigung die 15/10-Vergleichsgebuhr, also die<br />

vollen Gebühren.<br />

Ein Vergleich beider Kostenrechnungen zeigt, daß die<br />

Alternative § 118 BRAGO zwar die für die Anwaltschaft<br />

günstigere ist, aber wohl kaum durchsetzbar erscheint.<br />

Hiernach ist die Anbindung des Schlichtungsverfahrens an<br />

§ 65 BRAGO zu empfehlen.<br />

Zu klären ist noch folgendes: In den meisten Fallen anwaltlicher<br />

Vertretung wird der Bevollmächtigte bereits vor<br />

Beginn des Schlichtungsverfahrens tätig gewesen sein, wodurch<br />

Gebühren gemäß § 118 als Geschäfts- und häufig<br />

auch als Besprechungsgebühr angefallen sind. Sie müssen<br />

auf die Schlichtungskosten zumindest teilweise – zu denken<br />

ist an die Hälfte – anrechenbar sein, ebenfalls um der Akzeptanz<br />

einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung willen.<br />

2. Hilfe für minderbemittelte Parteien<br />

Obligatorische und freiwillige Streitbeilegung macht nur<br />

dann Sinn, wenn sie auch minderbemittelten Parteien zugänglich<br />

ist. Als Alternativen bieten sich die Prozeßkostenhilfe<br />

und die Beratungshilfe an.<br />

Von der Rechtssystematik her muß die außergerichtliche<br />

Konfliktbeilegung beratungshilfefähig sein. In der Beratungshilfe<br />

werden gemäß § 132 BRAGO streitwertunabhängige<br />

Gebühren gezahlt, dies auch dann, wenn die „normalen<br />

Gebühren“ oder die nach der Prozeßkostenhilfetabelle<br />

geringer sind. Bei erfolgreicher Schlichtung erhält der<br />

Rechtsanwalt folgende Beratungshilfegebühren:<br />

1. Vertretungsgebühr gem. § 132<br />

Abs. 2 BRAGO 100,00 DM<br />

2. Vergleichsgebühr gem. § 132<br />

Abs. 3 BRAGO 200,00 DM<br />

3. Kostenpauschale gem. § 26 BRAGO 40,00 DM<br />

4. Mehrwertsteuer 15 % 51,00 DM<br />

391,00 DM<br />

Um mit „normalen Gebühren“ in etwa auf denselben<br />

Betrag zu kommen, muß der Vorgang einen Streitwert von<br />

mehr als 1 800 DM haben.<br />

Die Festgebühren des § 132 BRAGO, unabhängig vom<br />

Streitwert, sind vom Gesetzgeber bewußt eingeführt wor-


600<br />

l<br />

den, wohl auch, um bis zu einem gewissen Grade die doch<br />

recht niedrige Vergütung bei hohen Werten auszugleichen.<br />

Zumal eine gebührenmäßige Unterscheidung zwischen obligatorischer<br />

und freiwilliger Streitschlichtung nicht vertretbar<br />

erscheint, ist nicht einzusehen, warum dort anderes gelten<br />

soll. Strukturelle Grunde sprechen keineswegs dagegen;<br />

vielmehr ist die außergerichtliche Streitbeilegung eben kein<br />

gerichtliches Verfahren.<br />

Gerade dann, wenn bereits für die außergerichtliche Vertretung<br />

Beratungshilfe bewilligt war, ist der nahtlose Übergang<br />

in das Schlichtungsverfahren durchaus akzeptabel.<br />

Die Beratungshilfebewilligung für ein Schlichtungsverfahren<br />

mußte allerdings auch die anteiligen Kosten für den<br />

Schlichter umfassen.<br />

3. Kostenerstattung<br />

Eine formelle Kostenerstattung kann es im verkehrsrechtlichen<br />

Schlichtungsverfahren nicht geben. Gerade sie<br />

kann freilich ein materiellrechtlicher Anspruch sein.<br />

4. Gebühren für den Schlichter<br />

Da die Schlichtertätigkeit Anwaltstätigkeit ist, erscheint<br />

die Forderung berechtigt, Schlichter und Bevollmächtigte<br />

gleichzubehandeln, ihnen also dieselbe Vergütung zuzugestehen<br />

(vgl. Henssler AnwBl 1997, 129).<br />

Dies ist aber zumindest für die obligatorische Streitschlichtung<br />

nicht praktikabel und durchsetzbar, so daß die<br />

Schlichtervergütung pauschaliert werden sollte. Bei der<br />

freiwilligen Streitschlichtung empfiehlt sich, diese nach<br />

Streitwerten abzustufen, wenn auch die Tätigkeit pauschaliert<br />

abgegolten wird.<br />

VIII. Marketing des Schlichtungsverfahrens<br />

Insoweit es um obligatorische Streitschlichtung geht,<br />

wird es Aufgabe der Justiz sein, möglicherweise mit anwaltlicher<br />

Unterstützung, für Aufklärung der rechtsuchenden<br />

Bevölkerung zu sorgen, sie über Sinn und Zweck zu informieren.<br />

Hier geht es ausschließlich um die Entlastung<br />

der Gerichte von Bagatellverfahren, also um staatliche Interessen.<br />

Anders ist die Interessenlage bei der freiwilligen außergerichtlichen<br />

Streitschlichtung. Der rechtsuchenden Bevölkerung<br />

muß sie zur gerichtlichen Auseinandersetzung als<br />

eine attraktive Alternative angeboten werden, die zeitsparend<br />

und kostengünstiger zumindest sein kann.<br />

Der Deutsche Anwaltverein sollte, unter Einbeziehung<br />

seiner Landesverbände und der örtlichen Anwaltvereine,<br />

gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer eine Marketing-Strategie<br />

entwickeln, die auch finanziell abzusichern<br />

ist. Zu denken ist an Plakatwerbung, Sendungen in Rundfunk<br />

und Fernsehen, Zeitungsartikel, Aufklärungsbroschüren<br />

und Handzettel. Nicht zu vergessen ist auch die Werbung<br />

nach innen, um die Akzeptanz innerhalb der<br />

Anwaltschaft zu gewährleisten.<br />

IX. Zusammenfassung und Konsequenzen für die<br />

Schlichtungsverfahrensordnung<br />

Aus der nachstehenden Zusammenfassung ergeben sich<br />

für die Verfahrensordnung folgende Grundsätze:<br />

1. Gegenstand der Streitschlichtung im verkehrsrechtlichen<br />

Bereich ist die Auseinandersetzung zwischen Geschä-<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

digtem einerseits und Kfz-Schädiger bzw. KH-Versicherer<br />

andererseits.<br />

2. Ziel des Schlichtungsverfahrens ist eine Streitbeilegung<br />

ohne Urteil durch Vereinbarung der Parteien im Wege<br />

des Interessenausgleichs.<br />

3. Aufgabe des Schlichters ist es, durch Erörterung der<br />

Sach- und Rechtslage, Anregungen und Vorschlage eine<br />

Verständigung zu versuchen und die zu treffende Vereinbarung<br />

zu formulieren bzw. bei negativem Ausgang des Verfahrens<br />

das Scheitern der Schlichtung zu bescheinigen.<br />

4. Schlichter sind Rechtsanwälte, die mindestens 3 Jahre<br />

zugelassen sind und über verkehrsrechtliche Berufserfahrung<br />

in der Weise verfügen, daß sie das Verkehrsrecht als<br />

Tätigkeitsschwerpunkt zu bezeichnen befugt sind. Sie sollten<br />

zudem eine Zusatzausbildung im Konfliktmanagement<br />

haben.<br />

5. Schlichter müssen unabhängig sein und können wie<br />

Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,<br />

dies binnen bestimmter Fristen nach Eingang des<br />

Schlichtungsbegehrens.<br />

Der Schlichter ist als Rechtsanwalt tätig und zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtet.<br />

6. a) Für das Verfahren gilt die Parteimaxime.<br />

b) Das Verfahren wird nach dem Ermessen des Schlichters<br />

gestaltet und mündlich oder schriftlich durchgeführt.<br />

c) Das Verfahren ist nicht öffentlich.<br />

d) Im Einverständnis mit den Parteien kann der Schlichter<br />

freibeweisliche Erhebungen anstellen, z. B. Auskünfte<br />

oder Sachverständigengutachten einholen, nicht jedoch formell<br />

Beweis erheben. Werden hierdurch Kosten verursacht,<br />

geschieht dies nur nach Abstimmung mit den Parteien.<br />

e) Die Schlichtung ist gescheitert, wenn sie langer als<br />

3 Monate dauert, es sei denn, die Parteien wünschen übereinstimmend<br />

eine Verlängerung.<br />

f) Die Schlichtungsstellen werden bei den Amtsgerichten<br />

eingerichtet. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich<br />

nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung.<br />

g) Das Schlichtungsverfahren unterbricht den Lauf der<br />

Verjährungsfrist.<br />

h) Die streitbeilegende Vereinbarung ist Vollstreckungstitel<br />

gemäß § 794 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO.<br />

7. a) Anwaltliche Parteivertreter erhalten Gebühren entsprechend<br />

§ 65 BRAGO, Schlichter werden pauschal vergütet.<br />

b) Dasselbe gilt für den Schlichter.<br />

c) Das Schlichtungsverfahren ist beratungshilfefähig.<br />

d) Eine Kostenerstattung findet nicht statt.<br />

8. In die ZPO ist eine Zuweisungsklausel aufzunehmen.<br />

Die Arbeitsgruppe Verkehrsrecht hat folgende Thesen<br />

erarbeitet:<br />

Obgleich 98 % aller KH-Schadensfälle außergerichtlich<br />

erledigt werden, ist Streitschlichtung auch im Verkehrsrecht<br />

notwendig; denn die absoluten Zahlen belegen eine<br />

erhebliche Belastung der Gerichte mit langwierigen und<br />

kostspieligen Verfahren. Im einzelnen:<br />

1. Verkehrsrechtliche Prozesse mit Streitwerten bis zu<br />

1 000 DM gibt es wenig, so daß, wenn es bei dieser Wertgrenze<br />

bleibt, die obligatorische Streitschlichtung im Gegensatz<br />

zur freiwilligen die Justiz kaum entlasten wird.


AnwBl 11/97 601<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

Deshalb sollte es eine Streitschlichtung auch durch Zuweisung<br />

geben.<br />

2. Sowohl beim Geschädigten als auch bei den Schädigern<br />

und ihren Versicherern wird es Akzeptanzprobleme<br />

geben. Schlichtung wird nur dann angenommen, wenn sie<br />

schneller und kostengünstiger als das streitige Verfahren<br />

ist. Marketing ist deshalb dringend nötig. Insoweit sind der<br />

Deutsche Anwaltverein mit seinen Landesverbänden und<br />

örtlichen Vereinen sowie die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

und die regionalen Rechtsanwaltskammern gefordert.<br />

3. Rechtsanwälte sind geeignete Schlichter. Sie sollten<br />

jedoch über eine mindestens dreijährige Berufserfahrung<br />

mit Tätigkeitsschwerpunkt Verkehrsrecht haben, dazu eine<br />

Zusatzausbildung im Konfliktmanagement; denn auch im<br />

Verkehrsrecht gibt es Situationen und Konstellationen, die<br />

Interessenausgleich mit mediativen Mitteln erfordern.<br />

4. Der Schlichter soll berechtigt sein, Erhebungen anzustellen,<br />

in etwa nach den Grundsätzen, die im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren<br />

gelten (§ 118 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

5. Die Schlichtung darf grundsätzlich nicht langer als<br />

3 Monate dauern; ausgenommen, die Parteien sind mit<br />

einer Fortsetzung einverstanden, so z. B. wenn noch die<br />

Äußerung eines Sachverständigen eingeholt werden soll.<br />

6. Die Schlichterkosten sind, angepaßt an den Wert, zu<br />

pauschalieren.<br />

7. Eine Kostenerstattung gibt es nicht, es sei denn, die<br />

Kosten gehören zum Schaden. Bei Scheitern der Schlichtung<br />

sind die Schlichterkosten von jeder Partei zur Hälfte<br />

zu tragen.<br />

8. Die Schlichtung muß, schon aus rechtssystematischen<br />

Gründen, beratungshilfefähig sein, da es sich um ein<br />

außergerichtliches Verfahren, unabhängig von den Erfolgsaussichten,<br />

handelt. Freilich sollten bei höheren Werten,<br />

abweichend von § 132 BRAGO, auch die Pauschalgebühren<br />

gestaffelt werden.<br />

9. Es muß der „gesetzliche Schlichter“ gewährleistet<br />

werden.<br />

10. Schlichtungs- und Zuweisungsstelle sollte das Amtsgericht<br />

sein.<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung<br />

im öffentlichen Recht *<br />

Rechtsanwalt Mathias Preussner, Konstanz<br />

Inwieweit hat fakultative Schlichtung unter Beteiligung von<br />

Anwälten im öffentlichen Recht ihren Platz? Mit dieser Frage beschäftigte<br />

sich ein kleinerer Kreis von Anwälten, Verwaltungsrichtern,<br />

Referendaren und Studenten in einer der am Samstag,<br />

10.5.1997 auf dem Deutschen Anwaltstag angebotenen Arbeitsgruppe.<br />

Die Bestandsaufnahme machte deutlich, daß Anwälte an<br />

öffentlich-rechtlichen Schlichtungsverfahren nur in Ausnahmefällen<br />

beteiligt sind. Dieser Bereich ist (noch) in festen Händen einer<br />

Reihe von Instituten, die soziologisch, betriebswirtschaftlich und<br />

psychologisch ausgerichtet sind. Tatsächlich stößt die Einschaltung<br />

von Anwälten als Schlichter in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten<br />

auf massive Vorbehalte.<br />

Bisher beschränkte sich die Schlichtertätigkeit im öffentlichen<br />

Recht in erster Linie auf umweltrelevante Großverfahren. Die<br />

Gründe für den beobachteten Mangel der Akzeptanz der Schlichtung<br />

im öffentlichen Recht sind vielfältig. Eine wesentliche Rolle<br />

spielt das Über/Unterordnungsverhältnis im Bereich der hoheitlichen<br />

Verwaltung. Hier verträgt sich der Schlichtungsgedanke nur<br />

schlecht mit dem Selbstverständnis der Verwaltung. Hinzu kommt<br />

fehlendes Selbstvertrauen der Entscheidungsträger, die häufig befürchten,<br />

im Kompromißweg erzielte Lösungen seien gegenüber<br />

höherrangigen Instanzen und Prüfungsinstitutionen nur schwer zu<br />

vermitteln. Zudem werden öffentlich-rechtliche Streitigkeiten häufig<br />

durch ihre Multipolarität geprägt: Es treffen nicht die Interessen<br />

zweier Beteiligter aufeinander, sondern es sind die Belange einer<br />

ganzen Reihe von direkt oder indirekt Betroffenen zu<br />

koordinieren. Mit der Zahl der Beteiligten vervielfältigt sich das<br />

Konfliktpotential und erschwert den Interessenausgleich.<br />

Alle Beteiligten der Arbeitsgruppe waren sich jedoch darüber<br />

einig, daß dieser Ist-Zustand die Einschaltung von Schlichtern<br />

nicht ausschließe, sondern im Gegenteil in einzelnen Bereichen gerade<br />

fordere, um neue Wege zur Konfliktbewältigung möglichst<br />

vor Durchführung verwaltungsgerichtlicher Verfahren zu gehen.<br />

In Betracht kommen vor allem die in engerem oder weiterem<br />

Sinne mit Planung verbundenen Verwaltungsverfahren. Auch bei<br />

Dreieckskonflikten (Nachbarklage) und bei Beteiligung mehrerer<br />

Behörden mit divergierenden Auffassungen biete sich die Einschaltung<br />

eines Schlichters an.<br />

Darüber hinaus sollte, so wurde von verschiedenen Beteiligten<br />

betont, der Einsatz mediativer Techniken auch im Bereich der gebundenen<br />

Verwaltung erprobt werden.<br />

Entgegen bisheriger Praxis sei der Anwalt als Schlichter auch<br />

im öffentlichen Recht geeignet. Allerdings müsse der als Schlichter<br />

tätige Anwalt – dies war einhellige Meinung – zusätzliche Qualifikationen<br />

erwerben. Kommunikationstechniken müßten ebenso<br />

erlernt werden wie spezifische technische Kenntnisse in den jeweiligen<br />

Einsatzbereichen. Das breite Spektrum von Sachgebieten, die<br />

zum Bereich des öffentlichen Rechtes gehören, schließt es nahezu<br />

aus, daß ein anwaltschaftlicher Schlichter in allen öffentlich-rechtlichen<br />

Materien gleicherweise zu Hause sein könne. Spezialisierung<br />

dürfte hier unumgänglich sein.<br />

Um den Befürchtungen der Kollegen die Spitze zu nehmen,<br />

daß der eingeschaltete Schlichter schnell zum Konkurrenten des<br />

Parteianwaltes werde und in der Zukunft Mandate abziehen könnte,<br />

wurde vorgeschlagen, daß ein eigenes Berufsbild des „unabhängigen<br />

und unparteiischen Schlichters“ geschaffen werde. Dieser<br />

„hauptberufliche“ Schlichter sollte daneben keine eigenen Mandate<br />

führen und damit Konkurrenzschutzgedanken von vorne herein<br />

ausschließen. Die Einführung eines „Fachanwaltes für Mediation“<br />

wurde dagegen einhellig abgelehnt.<br />

Der Verfasser bedankt sich auf diesem Wege bei allen Teilnehmern<br />

nochmals für die fruchtbare und engagierte Diskussion des<br />

Workshops.<br />

Bericht über den Workshop Streitschlichtung<br />

im Versicherungsrecht *<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

An der Diskussion im Workshop beteiligten sich neben Rechtsanwälten<br />

Vertreter<br />

– aus der Versicherungswirtschaft,<br />

– des Gesamtverbandes der Versicherer<br />

– des Justizministeriums,<br />

– eines Instituts für Mediation<br />

– der Presse.<br />

In der Diskussion wurde deutlich, daß alle Gesprächsteilnehmer<br />

auch und vor allem im Versicherungsrecht Schlichtung/Mediation<br />

für sinnvoll und erforderlich halten.<br />

* Workshop auf dem Anwaltstag in Frankfurt am 10.5.1997 unter Leitung des<br />

Autors und im Rahmen des Leitthema 1 „Streitschlichtung – Anwaltssache“.


602<br />

l<br />

Das Versicherungsrecht eignet sich bereits deshalb für eine<br />

außergerichtliche Konfliktbewältigung, weil Versicherungsverträge<br />

meist langfristig angelegt sind und sowohl Versicherungsnehmer<br />

als auch Versicherer an einer Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses<br />

auch nach einem Konflikt interessiert sind.<br />

Einigkeit bestand darüber, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />

zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern dann<br />

nicht mehr möglich ist, wenn Konflikte vor Gericht – oft durch<br />

mehrere Instanzen – ausgetragen werden. Es kommt hinzu, daß ein<br />

Versicherer, der sich auf Obliegenheitsverletzungen beruft, die vor<br />

Eintritt eines Versicherungsfalles begangen werden, den Vertrag innerhalb<br />

von einem Monat kündigen muß, wenn die Obliegenheitsverletzung<br />

zur Leistungsfreiheit führen soll.<br />

Alle Diskussionsteilnehmer waren übereinstimmend der Auffassung,<br />

daß nur ein Schlichter mit hoher Sachkompetenz und sicherem<br />

Verhandlungsgeschick eine erfolgreiche Schlichtung durchführen<br />

kann.<br />

Die Vertreter der Versicherungswirtschaft hatten erhebliche Bedenken<br />

gegen anwaltliche Schlichter, da sie der Überzeugung sind,<br />

daß Rechtsanwälte immer „Verbraucheranwälte“ seien, die ihre<br />

Aufgabe darin sehen, die Ansprüche von Versicherungsnehmern<br />

nahezu um jeden Preis gegen die Versicherer durchzusetzen.<br />

Auf Skepsis stieß der Hinweis, daß Rechtsanwälte unabhängiges<br />

Organ der Rechtspflege sind und kraft ihrer Befähigung zum<br />

Richteramt auch durchaus objektiv urteilen können. Ein Teilnehmer<br />

wies darauf hin, daß die insoweit geäußerten Bedenken auch auf<br />

Richter zutreffen würden, die, wenn sie einmal selbst schlechte Erfahrungen<br />

mit Versicherungen gemacht hätten, ebenfalls voreingenommen<br />

sein könnten.<br />

Die Arbeitsgruppe war einhellig der Auffassung, daß eine<br />

Schlichtung nicht für alle Konfliktparteien und alle Meinungsverschiedenheiten<br />

möglich sei, so daß Schlichtung/Mediation nur fakultativ<br />

angeboten werden solle.<br />

Die Diskussion befaßte sich insbesondere mit den Kosten der<br />

Schlichtung, die von den Vertretern der Versicherungen als zusätzliche<br />

Belastung angesehen wurden. Dem wurde entgegengehalten,<br />

daß eine erfolgreiche Schlichtung gegenüber einem durch mehrere<br />

Instanzen geführten Rechtsstreit erheblich kostengünstiger sei, so<br />

daß allenfalls bei einer erfolglosen Schlichtung zusätzliche Kosten<br />

anfallen könnten.<br />

Im Ergebnis sei Schlichtung/Mediation kostengünstiger, zumindestens<br />

kostenneutral.<br />

Trotz aller geäußerten Bedenken bestand Einigkeit darüber, daß<br />

zumindestens ein Modellversuch durchgeführt werden sollte, zumal<br />

Schlichtung/Mediation im Ausland, insbesondere in den Vereinigten<br />

Staaten, auch im Bereich der Versicherungswirtschaft praktiziert<br />

werde.<br />

Die Befürworter der Schlichtung wiesen darauf hin, daß es bei<br />

der ordentlichen Gerichtsbarkeit oft vom Zufall (Geschäftsverteilungsplan)<br />

abhänge, welches Gericht sich mit einer oft sehr komplizierten<br />

Materie zu befassen habe. Demgegenüber verfüge die<br />

Anwaltschaft über hohe Fachkompetenz auf allen Rechtsgebieten,<br />

so daß für die jeweils zu entscheidende Rechtsfrage auch ein Spezialist<br />

als Schiedsrichter zur Verfügung stehen könnte.<br />

Das Ergebnis des Workshops läßt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

1. Mediation/Schlichtung ist eine sinnvolle Alternative zur ordentlichen<br />

Gerichtsbarkeit.<br />

2. Nur Rechtsanwälte mit hoher Sachkompetenz, Berufserfahrung<br />

und Verhandlungsgeschick sollten als Schlichter eingesetzt werden.<br />

3. Mediation/Schlichtung soll nicht zwingend, sondern nur fakultativ<br />

angeboten werden, da es Konfliktstoffe und Konfliktparteien<br />

gibt, für die eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht<br />

möglich ist.<br />

4. Soweit eine gesetzliche Schlichtung vorgeschrieben wird, muß<br />

diese durch eine freiwillige Schlichtung obsolet werden, weitere<br />

Verzögerungen vermieden werden.<br />

5. Schlichter/Mediatoren aus der Anwaltschaft müssen in jeder<br />

Hinsicht unabhängig sein und sollten vor oder nach einer<br />

Schlichtung keine der Konfliktparteien beraten oder vertreten.<br />

6. Für die Schlichtung soll Anwaltszwang vorgeschrieben werden,<br />

um eine zügige Durchführung des Verfahrens zu gewährleisten<br />

und Querulanten abzuschrecken.<br />

Thesen und Protokollnotizen zum Workshop<br />

Streitschlichtung im Wirtschaftsrecht *<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach, Offenburg<br />

AnwBl 11/97<br />

Anwaltstag 1997<br />

1. Grundvoraussetzungen einer Schlichtung<br />

These: Verlangen Mandanten im wirtschaftsrechtlichen Bereich<br />

nach einer „kaufmännischen Lösung“ eines Konflikts, so offenbaren<br />

sie zugleich, daß eine der Grundvoraussetzungen für erfolgreiche<br />

Schichtung gegeben ist. Kaufleute wollen i. d. R. keine rein<br />

juristische Lösung und sie haben eine Abneigung gegen das<br />

Rechtsförmliche und das Unverständliche, das Formelhafte. Der<br />

Kaufmann denkt prinzipiell lieber in Alternativen als in Positionen.<br />

Deshalb ist ein wissenschaftliches Grundprinzip mediativen<br />

Verhandelns und Schlichtens erfüllt (vergleiche Professor Fritjof<br />

Haft), nämlich<br />

weg von rein juristischen Verhandlungsversuchen, die ihre Begründung<br />

aus der Vergangenheit schöpfen, hin zur kaufmännischen<br />

„Bazarmethode“ des Leben und Leben-Lassens. Letztere bedeutet<br />

eine Aktivierung des verinnerlichten Prinzips der Reziprozität<br />

(Gebe ich dir etwas, so wirst du dich veranlaßt sehen, mir auch etwas<br />

zu geben.)<br />

Der Problem-, Zeit- und Kostendruck bringt von selbst neue<br />

Verfahrenslösungen außerhalb des geltenden Verfahrensrechts.<br />

Entscheidend sind:<br />

Ermitteln, woher der Konflikt kommt. Herstellen einer Gesprächsbereitschaft.<br />

Vermeide eine Verengung des Konflikts auf<br />

dem bloßen „juristischen Streitgegenstand“. Dazu gehören phantasievolle<br />

Überlegungen, wie der Kuchen des Streitgegenstandes vergrößert<br />

werden kann.<br />

2.Vorbildung und Ausbildung des Schlichters<br />

These: Es ist eine lange und sorgfältige Schulung des Schlichters<br />

in Verhandlungsführung, Schlichtungstechnik, aber auch praktische<br />

Hospitation erforderlich. Es müssen gegeben sein einerseits<br />

Sachkompetenz in dem Gegenstand des Konflikts (ohne daß der<br />

Schlichter zugleich Sachverständiger sein müßte) und andererseits<br />

Verhandlungs- oder Verfahrenskompetenz. Erforderlich ist auch<br />

eine Qualitätskontrolle.<br />

Ein wesentliches Manko der bisherigen juristischen Ausbildung<br />

ist das Fehlen einer Schulung in Verhandlungsführung. Der herkömmliche<br />

Jurist ist nicht der geborene Verhandler, er ist lernfähig,<br />

vertiefte Kenntnisse in Psychologie, Fragetechnik und Verhandlungsführung<br />

zu erwerben. Unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen<br />

wirtschaftlichen Schlichtung ist die Fähigkeit zu wirtschaftlicher<br />

Betrachtung, sind betriebswirtschaftliche Kenntnisse,<br />

die Fähigkeit, inwieweit gerade die Doppelfunktion des Anwaltsnotars,<br />

gewissermaßen mit dessen gelebter wirtschaftlicher Lebenserfahrung<br />

und dessen Unparteilichkeit ihn besonders zum Schlichter<br />

in wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten prädestiniert.<br />

Die Beschäftigung mit Schlichtung und mediativen Techniken<br />

sei weniger das Erwerben von Wissen, als Auseinandersetzungen<br />

* Workshop auf dem Anwaltstag in Frankfurt am 10.5.1997 unter Leitung des<br />

Autors und im Rahmen des Leitthema 1 „Streitschlichtung – Anwaltssache“.


AnwBl 11/97 603<br />

Anwaltstag 1997 l<br />

mit einer neuen Haltung zur Berufsausübung. Auch langjährige anwaltliche<br />

Berufserfahrung allein befähige noch nicht zum Schlichter.<br />

Fähigkeit und Bereitschaft zu interdisziplinärer Arbeitsweise<br />

sei erforderlich. Die IHK München/Augsburg hält eine Schulung<br />

in Schlichtungstechniken und praktischen Erfahrungen hierbei für<br />

unerläßlich, die bloße anwaltliche Berufserfahrung reiche nicht<br />

aus, wenngleich spezialisierte Fachkenntnisse (Schlichtungsfachabteilungen)<br />

vorteilhafter seien.<br />

Offen bleibt die Frage, wer in der Lage ist, die Ausbildung zu<br />

gewährleisten.<br />

3.Verfahrenselemente<br />

a) Notwendigkeit von Beweisaufnahmen<br />

These: Grundsätzlich keine Notwendigkeit. Die Parteien sollen<br />

alle ihre Sachverhaltspositionen, die sie für wichtig halten, grundsätzlich<br />

vorher geklärt und schriftlich dokumentiert haben. Notfalls<br />

deshalb vorher außergerichtliche Beweiserhebung oder Privatgutachten.<br />

Die nicht geklärten, offenen Beweisfragen gehen oftmals auf<br />

sensible Punkte zurück, die eine Partei nicht offenlegen will, weil<br />

sie fürchtet, dies könne der Gegner ausschlachten. Solche Reserven<br />

müssen dann über vertrauliche Einzelgespräche vom Schlichter<br />

aufgenommen und je nach Zustimmung verwertet werden. Sie sind<br />

dann aber auch Gegenstand eines „Realitätstests“ durch den<br />

Schlichter.<br />

Haben solche Reserven ein zu starkes Gewicht und einen zu<br />

großen Umfang, sollte eine Schlichtung besser gelassen werden.<br />

Die Beweisaufnahme sollte nur auf Wunsch der Parteien erfolgen,<br />

sollte nicht mehr als eine Option sein. Denkbar sei die Hinzuziehung<br />

eines Experten zur Sitzung, der den erkennbaren Sachverhalt<br />

vorläufig bewertet und den Parteien Richtungen aufzeigt.<br />

Unsicherheit im Sachverhalt sei mitunter ein wesentliches Element,<br />

Verständigungsbereitschaft herbeizuführen.<br />

b) Kosten des Schlichtungsverfahrens<br />

These: Wer von der Schlichtung erhöhte Qualität und bessere<br />

Ergebnisse als durch Gerichtsverfahren erwartet, muß die folgerichtig<br />

erforderliche Kompetenz und Fähigkeit des Schlichters angemessen<br />

bezahlen. Das ist nur über Stundenhonorare denkbar.<br />

(Voraushinweis auf Diskussionspunkt Marketing des Schlichtungsverfahrens:<br />

Gegebenenfalls kommt in Betracht, einen deutlichen<br />

und plakativen Kosteneinsparungsanreiz zu geben, indem man<br />

von Wertstufen ausgeht, die dann aber bestimmten Zeitvorgaben zugeordnet<br />

sind. Beispiel: Schlichtungsmodell der RAK Köln).<br />

Unternehmen achten im allgemeinen weniger auf die Verfahrenskosten<br />

als auf die Schnelligkeit und Verläßlichkeit einer Streitbeilegung.<br />

Einwände gegen die Vereinbarung von Stundenhonoraren<br />

wurden nicht vorgebracht.<br />

c) Verfahrensdauer und Beschleunigungseffekte gegenüber<br />

herkömmlichen Streitverfahren<br />

These: Feste Zeitvorgaben empfehlen sich grundsätzlich nicht<br />

in Schlichtungsordnungen, weil sie dem Prinzip der Freiwilligkeit<br />

widersprechen. Andererseits empfiehlt es sich, in der Schlichtungsvereinbarung<br />

gegebenenfalls zeitliche Vorstellungen einer der Parteien<br />

oder beider Parteien niederzulegen. Grundsätzlich wird der<br />

Schlichter darauf bedacht sein, das Schlichtungsverfahren nach Abschluß<br />

der Vorbereitungsphase (Einreichung von Schriftsätzen, Aktenstudium,<br />

Ladungen) so zügig wie irgend möglich durchzuführen<br />

und das Interesse der Parteien am Fortgang der Verhandlungen<br />

wachzuhalten. Das schließt notwendige Pausen zur Rücksprache<br />

und zur Überlegung nicht aus. Grundsätzlich sind die in gerichtlichen<br />

Verfahren einschließlich ihrer Vorbereitungszeit bislang<br />

gewohnten Erledigungszeiten in der Schlichtung sehr deutlich zu<br />

unterschreiten.<br />

4. Marketing des Schlichtungsverfahrens, der Schlichtungsidee,<br />

denkbare Anwendungsfälle<br />

These: Ad-hoc-Schlichtungen sind dann besonders schwer in<br />

Gang zu bringen, wenn die Parteien sich bereits im üblichen Positionenkrieg<br />

ineinander verbissen haben und dann eigentlich nur<br />

noch der Weg zu Gericht bleibt. Wie kann die in der Regel falsch<br />

verstandene taktische Überlegung überwunden werden, durch Verzögerung<br />

oder Obstruktion die eigene Position verbessern zu können?<br />

Am besten geschieht dies durch vorsorgende Vertragsgestaltung,<br />

sowohl durch Einführung von Schlichtungsklauseln als Vorstufe<br />

zu einem Schiedsgerichts- oder ordentlichen Verfahren, als<br />

auch durch Aufnahme von Spannungs- und Verhandlungsklauseln<br />

bei sensiblen, oft der Veränderung unterliegenden Sachverhalten.<br />

Haben die Parteien nämlich einen vertraglichen Ansatzpunkt dafür,<br />

sich zusammensetzen zu müssen, ist der erste Schritt zu einem<br />

Schlichtungsgespräch schon getan. Dieses „Marketing“ ist also ureigenste<br />

Aufgabe des beratenden und gestaltenden Anwalts.<br />

Für eine notwendige Ad-hoc-Schlichtung ist es wohl die beste<br />

Marketingmaßnahme, wenn bereits erfolgreiche Modelle praktiziert<br />

worden sind. Deshalb sind verstärkte Experimente notwendig.<br />

Wie unter dem Stichwort Kosten schon erwähnt, könnte mit<br />

einer Verteuerung des ordentlichen Rechtswegs gearbeitet werden,<br />

alternativ mit einer Anrechnungsregel für die Kosten anerkannter<br />

Schlichtungsstellen auf die Gerichtskosten, was auch einen Justizentlastungseffekt<br />

haben könnte.<br />

Da Schlichtung nicht Aufgabe des entscheidenden Richters sein<br />

kann (ohne daß ihm der Einsatz mediativer Mittel zur Herbeiführung<br />

des Vergleichs versagt wäre) sollte die gesetzgeberische Möglichkeit<br />

eröffnet werden, geeignete Rechtsstreite im Vorfeld an<br />

geeignete Schlichtungsstellen zu verweisen (Auflage eines Schlichtungsversuchs).<br />

Die Verbreitung der Schlichtungsidee ist vor allem wichtig auch<br />

auf Verbandsebene, um den im Geschäftsleben beteiligten Hierarchien<br />

bzw. Geschäftsführern die Vorteile der Vermittlung und Schlichtung<br />

nahezubringen, zumindest aber die Notwendigkeit verstärkter Kommunikation<br />

untereinander, verbunden mit der Erkenntnis, daß es für<br />

alternative Lösungsmöglichkeiten auch geeignete Berater gibt.<br />

Beispiele für geeignete Anwendungsfälle:<br />

Mediation im Arbeitsrecht bzw. Mediation innerhalb des Betriebes,<br />

durch freiberufliche Mediatoren zur Formalisierung arbeitsrechtlicher<br />

Konflikte bzw. zur Förderung innerbetrieblicher<br />

Kommunikation (verhandeln innerhalb des Betriebes). Solche<br />

Strukturen sind oftmals notwendig geworden durch den Wegfall<br />

mittlerer Hierarchien infolge lean management (praktiziert bereits<br />

z. B. in einem Berliner Großbetrieb der tabakverarbeitenden Industrie<br />

und z. B. bei Siemens).<br />

Schlichtung oder Mediation im Bereich sanierungsbedürftiger<br />

Unternehmen oder außergerichtliche Vergleichsvereinbarungen unter<br />

Einbeziehung aller tangierter Interessen von der Arbeitnehmerseite<br />

über die Lieferantenseite bis zu den Banken. Wegen der engen<br />

Fristen der Insolvenzordnung/Konkursordnung ist dies nur bei<br />

rechtzeitiger Einleitung denkbar.<br />

Der Bereich internationaler Großanlagenverträge oder Industrieanlagenverträge.<br />

Hier kann nicht ein für allemal auf den Zeitpunkt<br />

des Vertragsabschlusses abgestellt werden. Sachverhalte sind<br />

im Fluß, verändern sich und bedingen deshalb längere Verhandlungsphasen<br />

oder Nachverhandlungen, formalisierte Abnahme- und<br />

Nachbesserungsprozeduren. Gerichtliche Konflikte in diesen Bereichen<br />

wären kostenmäßig praktisch nicht mehr zu erfassen und arbeitstechnisch<br />

für alle Beteiligten nicht zu bewältigen.<br />

Schlichtung im gewerblichen Rechtsschutz. Hier gibt es für den<br />

Bereich des geistigen Eigentums Schlichtungsordnungen der<br />

WIPO (World Intellectual Property Organisation) für den Bereich<br />

des Unlauteren Wettbewerbs die Einigungsstellen der IHK.<br />

5. Diskussion einer Schlichtungsverfahrensordnung anhand des<br />

DAV-Vorschlages für eine Kooperation mit den Industrie- und<br />

Handelskammern<br />

These: Das Schlichtungspotential, das bereits von den Rechtsabteilungen<br />

und Fachberatungsabteilungen der IHK’s in die Praxis<br />

umgesetzt wurde, sollte ergänzt und erweitert werden um die Kompetenz<br />

erfahrener anwaltlicher Schlichter mit dem Ziel, flächendekkend<br />

spezialisierte Fachschlichtungen anbieten zu können.


604<br />

9<br />

Reform der Juristenausbildung*<br />

Rechtsanwalt Dr. jur. Giselher Gralla, München<br />

1. Juristenausbildung ist und war stets reformbedürftig. Einen<br />

permanenten Reformauftrag für den Hochschulbereich enthält § 8<br />

HRG: Inhalt und Form des Studiums sind im Hinblick auf die Bedürfnisse<br />

der beruflichen Praxis und die notwendigen Veränderungen<br />

in der Berufswelt zu überprüfen und weiter zu entwickeln.<br />

Dies gilt mutatis mutandis auch für den Vorbereitungsdienst, der<br />

im Mittelpunkt des Reforminteresses steht.<br />

Die aktuelle Reformdiskussion unterscheidet zwischen den Bedürfnissen<br />

der beruflichen Praxis sowie Veränderungen der Berufswelt<br />

einerseits und Interessen der öffentlichen Haushalte sowie<br />

den Interessen der Anwaltschaft an der Beschränkung des<br />

Neuzugangs andererseits nur unzureichend.<br />

Soll Gegenwart nicht auf Kosten der Zukunft saniert werden,<br />

so dürfen leere Kassen oder volle Boote nicht Motive für Juristenausbildungsreformen<br />

sein. Es darf nicht bona fide ignoriert werden,<br />

worauf Gneist vor 130 Jahren in seiner Schrift zur „Freien<br />

Advokatur“ zutreffend schon hingewiesen hat, „daß der nächste<br />

Interessent nicht gerade der Sachverständige für Reformfragen<br />

ist“.<br />

2. Reformvorschläge und -überlegungen aus dem Schoße der<br />

Staatsverwaltungen lassen ohne Hehl erkennen, daß Interessen<br />

der Haushaltssanierung und Ausgabenminderung im Vordergrund<br />

stehen. Die Justizminister unterliegen dem faktischen Zwang zur<br />

Solidarität mit ihren Regierungen, die die Priorität der Haushaltsinteressen<br />

anordnen. Das ist bedauerlich, weil wichtiger fachlicher<br />

Erfahrungsschatz der staatlichen Rechtspflegeorgane dadurch<br />

nicht nutzbar gemacht werden kann.<br />

Die Gewöhnung der Öffentlichkeit an Ressourcenargumente<br />

für politisches Handeln überlagert jede ernstzunehmende Sachdebatte<br />

über Reformen. Vorgesehene Ausgabenkürzungen in der Juristenausbildung<br />

sind willkürliche politische Verteilungsentscheidungen,<br />

denen eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht zugrunde liegt.<br />

Kosten der Juristenausbildung sind Zukunftsinvestitionen, die zigfach<br />

in die Staatshaushalte zurückfließen. Wer vernünftig wirtschaftet,<br />

müßte das sehen – ja, müßte!<br />

Notwendig sind bildungsökonomische Überlegungen, also<br />

Überlegungen zur Rationalisierung und Optimierung der Lernund<br />

Bildungsabläufe sowohl im bisher favorisierten Bereich der<br />

funktionsspezifischen Qualifikationen als auch im verstärkt in den<br />

Vordergrund tretenden Bereich der persönlichen Kompetenzen des<br />

künftigen Rechtsanwalts.<br />

Bildungsökonomische Überlegungen statt Kostenverteilungsüberlegungen<br />

läßt die Reformdebatte auf allen Seiten vermissen<br />

3. Zentrales Reizwort der Reformdebatte ist der Einheitsjurist,<br />

der gemeinsame Vorbereitungsdienst aller volljuristischen Berufe<br />

in Deutschland. Unter Ausbildungsreformatoren der Anwaltschaft<br />

gehört seit Jahrzehnten bis zum heutigen Tag zum guten Ton und<br />

zum Kennzeichen der Fortschrittlichkeit, die Abschaffung des Einheitsjuristen<br />

und die Einführung eines separaten Vorbereitungsdienstes<br />

für Rechtsanwälte durch Rechtsanwälte zu fordern. Wer<br />

den gemeinsamen Vorbereitungsdienst aller volljuristischen Zielberufe<br />

abschafft, schafft die volljuristische Ausbildung der Rechtsanwälte<br />

ab. Soll an der volljuristischen Ausbildung festgehalten<br />

werden, so ist gerade für Rechtsanwälte (und weniger für künftige<br />

Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsjuristen) die rechtspraktische<br />

Ausbildung im Rechtsanwendungsbereich der Zweiten und<br />

Dritten Staatsgewalt volljuristische Ausbildung schlechthin; sie<br />

rundet die rechtswissenschaftliche Vermittlung von Wahrheit und<br />

Werten durch Vermittlung des rechtspraktischen und taktischen<br />

Umgangs mit Wahrheit und Werten durch die staatlichen Gewaltträger<br />

zu einem Gesamtbild der Rechtswirklichkeit ab. Diese<br />

AnwBl 11/97<br />

justizzugewandte Abrundung ist unverzichtbarer Teil einer funktionsspezifischen<br />

Anwaltsausbildung, davon abgesehen, daß justizjuristische<br />

Fertigkeiten seit je zur Grundausstattung auch des<br />

Rechtsanwalts gehören und künftig noch mehr gehören werden.<br />

4. Auch in der volljuristischen Ausbildung kann nur Erreichbares<br />

erreicht und verfolgt werden. Die praktische Ausbildung im<br />

Vorbereitungsdienst vermittelte seit je und vermittelt erst recht unter<br />

den heutigen Bedingungen Grundkenntnisse und -fertigkeiten,<br />

die zur funktionsspezifischen Berufseingangsqualifikation für volljuristische<br />

Berufe gehören, nicht aber ausreichende Berufsausübungsqualifikation.<br />

Jede andere Erwartung, etwa die Erwartung<br />

des berufsfertigen Juristen, wäre illusionär. Expertenschätzungen<br />

zur Folge beträgt der Anteil des Lernens durch tägliche Lebensund<br />

Arbeitspraxis nicht weniger als 75 % der benötigten persönlichen<br />

Informations- und Erfahrungsverarbeitung (Lernen) sowie<br />

der benötigten Entwicklung innerer Anlagen zu wahrnehmbarer<br />

Kompetenz (Bildung). Dieser Erkenntnis tragen Staat und Wirtschaft<br />

– durch postassessoriale Weiterbildung unterstützend – in<br />

den verschiedenen Verwendungsbereichen von Volljuristen seit<br />

langem Rechnung. Nur in der Anwaltschaft scheint sich seit Abschaffung<br />

des Anwärter- und Probedienstes durch die BRAO 1959<br />

(§ 206 a. F.) gegen jede Einsicht und Erfahrung unausrottbar festgesetzt<br />

zu haben, daß die Anwaltsausbildung mit Bestehen des<br />

Zweiten Juristischen Staatsexamens beendet sein könnte.<br />

5. Zentrales Problem der Ausbildung (spolitik) in Deutschland<br />

ist die fehlende Abstimmung eines dirigistischen, genormten Bildungssystems<br />

mit einem marktwirtschaftlich orientierten Beschäftigungs-<br />

oder Tätigkeitssystem. Dieses Problem ist in der Juristenausbildung<br />

ein spezifisches Problem der Anwaltschaft, die kein<br />

genormtes Beschäftigungs- oder Tätigkeitssystem vorfindet, weder<br />

an Lehrstellen des Berufsanfängers in eingerichteten Anwaltsbüros,<br />

noch auf der freien Wildbahn. Gleichwohl haben sich Vorstellungen<br />

von spezifischer Anwaltsausbildung (im Vorbereitungsdienst)<br />

von Dirigismus und Normung eines virtuell voll einsatzfähigen<br />

Berufsanfängers nicht zu trennen vermocht, dem der Markt bei<br />

aller erzeugter und geförderter Statuserwartung auch nicht ein<br />

einziges Mandat sichert. Das marktwirtschaftliche Beschäftigungsund<br />

Tätigkeitssystem des Rechtsanwalts verlangt ein marktwirtschaftlich<br />

orientiertes Bildungssystem im Anwaltsfach, das neben<br />

die volljuristische Grundausbildung tritt, die das Universitätsstudium<br />

und der gemeinsame Vorbereitungsdienst für volljuristische Berufe<br />

vermitteln. Das Anwaltsfach ist nach aller Erfahrung keine<br />

spezifisch juristische Disziplin, sondern eine Kunst sui generis, für<br />

deren Vermittlung es ein verbindliches Curriculum nicht gibt.<br />

6. Die Bedeutung, die der Vermittlung von Kenntnissen und<br />

dem Bildungswert des geltenden Rechts in der deutschen Juristenausbildung<br />

gern beigemessen wird, muß überprüft werden. Zumal<br />

für die Anwaltsausbildung: Es muß zu denken geben, daß dort, wo<br />

wie in England, Anwaltsausbildung maßgebende Juristenausbildung<br />

ist, eine nur kurze theoretische Ausbildung im geltenden<br />

Recht für ausreichend gehalten und einer berufsfremden akademischen<br />

Bildung hoher Stellenwert beigemessen wird. Was früher als<br />

„studium generale“ eine Selbstverständlichkeit jeder universitären<br />

Ausbildung war und heute als „studium fundamentale“ verbindliches<br />

Nebenstudium (und als Promotionsfach!) in Deutschland<br />

nur an der Privat-Uni Witten ist, fügt sich widerspruchslos in das<br />

Bild der modernen Informations- und Lerngesellschaft ein, die<br />

* Beitrag des Verfassers zu der Podiumsdiskussion am 8.5.1997 unter Leitung<br />

von Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe, Hannover, am Eröffnungstag<br />

des 49. Deutschen Anwaltstages in Frankfurt am Main.


AnwBl 11/97 605<br />

Meinung & Kritik<br />

eine isolierte Betrachtung von Hochschule, praktischer Ausbildung<br />

und beruflicher Weiterbildung nicht zuläßt, persönliche<br />

Kompetenzbildung gleichberechtigt neben funktionsspezifische<br />

Qualifikation stellt und den Wert neuer technischer und sozialer<br />

Schlüsselqualifikationen wie den Umgang mit Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien als Basisqualifikation erkannt hat.<br />

Auch wer den gegenwärtigen Vorbereitungsdienst als einen Vorbereitungsdienst<br />

nur für Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte<br />

pp. und nicht als Vorbereitungsdienst auch für Rechtsanwälte gelten<br />

lassen will, wird einsehen müssen, daß der Vorbereitungsdienst<br />

dann auf jeden Fall modernstes, berufsfeldnahes „studium<br />

fundamentale“ auch für Rechtsanwälte sein kann.<br />

7. Der gemeinsame Vorbereitungsdienst für alle volljuristischen<br />

Berufe ist indes nicht nur wechselseitiges „studium fundamentale“,<br />

sondern unverzichtbarer Teil der Anwaltsausbildung. Seine Vorzüge<br />

sind unstreitig und unersetzbar. Tätigkeit vor Gericht und in<br />

gerichtlichen Verfahren wie in Verwaltungsverfahren ist trotz Veränderungen<br />

im Berufsbild des Rechtsanwalts wichtiger Bestandteil<br />

der Anwaltstätigkeit. Der künftige Anwalt muß während seiner<br />

Ausbildung Gelegenheit haben, den praktischen Gang von Entscheidungsfindungen<br />

in Straf-, Zivil-, Fachgerichts- und auch Verwaltungssachen<br />

sowie das praktische Geschehen im Beratungszimmer<br />

eines gerichtlichen Spruchkörpers kennenzulernen, mit der<br />

Bewertung anwaltlichen Handelns aus Richtersicht vertraut zu<br />

werden und die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Gerichten und<br />

Verwaltungen beurteilen zu lernen. Ebenso groß ist der Bildungsnutzen<br />

des Einblicks in Geschehensabläufe einer Rechtsanwaltskanzlei<br />

auch für künftige Richter und Staatsanwälte. Die gemeinsame<br />

Ausbildung der künftigen staatlichen und unabhängigen<br />

Rechtspflegeorgane baut Berührungsängste ab und fördert berufslebenslange<br />

Normalität bis hin zur Solidarität im Umgang der Beteiligten<br />

untereinander, die der Rechtspflege zugute kommen und<br />

der deutschen Einheitsjuristenausbildung weltweite Anerkennung<br />

und Bewunderung einbringen. Sie ist Vorbedingung für angemessene<br />

Qualität und Rationalität der gerichtlichen Rechtspflege. Die<br />

„Waffengleichheit“ der Ausbildung ist zentrale Frage der Akzeptanz<br />

der Rechtspflege durch den Rechtssuchenden, dem der Rechtsanwalt<br />

nicht als disponible Marotte der Rechtspflege, sondern als<br />

wichtige Errungenschaft einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen<br />

Ordnung beigegeben ist. Ohne Ausbildung „auf völlig gleicher<br />

Höhe mit dem Richteramt“ hielt schon Rudolf von Gneist in der<br />

zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts freie Advokatur im Interesse<br />

der Rechtspflege nicht denkbar. Mit Selbstverständlichkeit<br />

sind die Gesetzgeber der Rechtsanwaltsordnung von 1878 und der<br />

Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 von „Waffengleichheit“ in<br />

der Berufseingangsqualifikation ausgegangen. An diesem funktionsspezifischen<br />

Qualifikationsmerkmal des Rechtsanwalts zu rütteln,<br />

ist Sünde wider den Geist der Anwaltschaft und unseres Rechtsstaats.<br />

8. Ebenso wie die Haushaltsinteressen des Staates sind auch<br />

die Interessen der Anwaltschaft an Zugangsbeschränkungen<br />

schlechtestmögliche Ratgeber für Ausbildungsreformen. Der<br />

Wunsch, unerwünschte Verhältnisse abzuschaffen, kann den Blick<br />

auf die Notwendigkeit verstellen, die Ausbildung den veränderten<br />

Verhältnissen anzupassen.<br />

Als Totschlag-Argument wird die Überfüllung des Berufsstandes<br />

gehandelt. Was an der Überfüllung wirklich dran ist zu hinterfragen,<br />

kommt einer schwarzen Messe gleich. Fest steht, daß jedes<br />

geschützte Gewerbe Überfüllung behauptet, daß Überfüllung des<br />

Berufsstandes in der Anwaltschaft seit über 100 Jahren beklagt<br />

wird, daß keine wissenschaftlich abgesicherte Erhebung bekannt<br />

ist, die sagen könnte, in welcher Zahl und unter welchen Bedingungen<br />

die Gesellschaft Rechtsanwälte braucht und zu alimentieren<br />

bereit ist, für welche Dienstleistungen außerhalb des tradierten<br />

Anwaltsberufsfeldes in der dramatischen Umbruchs- und Herausforderungssituation,<br />

in der sich die Gesellschaft befindet, Tätigkeitsbedarf<br />

für Rechtsanwälte besteht oder geweckt werden muß,<br />

wo in der Gesellschaft konkurrierende alternative Ausgaben für<br />

Dienstleistungen gemacht werden, deren erwarteter und auch tatsächlicher<br />

Nutzen besser durch Dienstleistungen von Rechtsanwälten<br />

erzeugt werden kann. Es gibt deshalb keinen Grund, in der Zunahme<br />

der Zahl der Rechtsanwälte notwendig eine Zunahme auch<br />

der (bereits ausreichenden) Konkurrenz der Rechtsanwälte untereinander<br />

zu sehen.<br />

9. Anders als der freie Zugang zum Berufsstand ist der freie,<br />

ungehemmte Zugang zu den Ausbildungseinrichtungen zu bewerten,<br />

hier konkret zu den Juristischen Fakultäten der Hochschulen<br />

und zum Vorbereitungsdienst der Rechtsreferendare. Diese Einrichtungen<br />

sind offensichtlich auf Massenansturm nicht eingerichtet;<br />

die Ausbildungsergebnisse sind schlechter als sie wären, wenn<br />

die Studenten- und Referendarzahlen geringer wären. Defizite entstehen,<br />

weil Hochschulreife bescheinigt wird, obwohl sie nicht<br />

vorliegt, weil Hochschulabschlüsse akzeptiert werden, die unzureichende<br />

Voraussetzung für einen sinnvollen Vorbereitungsdienst<br />

sind, und weil Richteramtsunfähigen die Richteramtsbefähigung<br />

attestiert wird. Diese Defizite sind demographisch und bildungsund<br />

gesellschaftspolitisch determiniert; sie sind Ausdruck eines<br />

tiefgreifenden soziokulturellen Wandels; ihnen kann mit Mitteln<br />

einer Anwaltsausbildungsreform nicht beigekommen werden. Die<br />

Einsicht in Zwänge politischer Entscheidungen führt zur Einsicht<br />

auch in die Grenzen der Fürsorge für den schutzbedürftigen Verbraucher:<br />

Die Freiheit, daß jedermanns Tochter oder Sohn<br />

Rechtsanwalt werden und bis ins Greisenalter auch bleiben kann,<br />

hat ihren Preis in dem Risiko des Ratsuchenden, an den Ungeeigneten<br />

zu geraten. Das Risiko mag gering sein; es auszuräumen<br />

kann vernünftigerweise jedoch nicht Reformziel sein.<br />

10. Für die Anwaltschaft wirft, so lange erfolgversprechende<br />

Reformansätze nicht sichtbar sind oder nicht greifen, ein als beängstigend<br />

empfundenes Mißverhältnis von Mitgliederzahl und<br />

Nachfrage nach anwaltlichen Dienstleistungen zwei Fragen auf:<br />

– Was rechtfertigt es, bei Maßnahmen zur Reduzierung des<br />

Mitgliederbestandes allein an Zulassungshindernisse oder -erschwernisse<br />

statt auch an die Förderung einer freiwilligen oder<br />

gesetzlich geregelten Altershöchstgrenze für die Berufsausübung<br />

zu denken?<br />

– Was rechtfertigt die Annahme, daß das Tätigkeitsfeld der<br />

Rechtsanwälte quasi als insula beatorum vom Trend in der Wirtschaft,<br />

daß Arbeit ausgeht und Arbeitsplätze wegen Effizienzsteigerung<br />

drastisch eingespart werden können, auf Dauer verschont<br />

bleibt oder daß Forderungen der Gesellschaft und Politik, für bessere<br />

Verteilung der Arbeit unter den Berufsangehörigen zu sorgen,<br />

nicht auch an die Anwaltschaft gerichtet werden können? Kann die<br />

Verherrlichung des Anwaltsbildes als Bild des Tag- und Nachtarbeiters,<br />

der als erfolgreich gilt, wenn er größtmögliche Anteile<br />

am Auftragsmarkt an sich zieht, aufrechterhalten bleiben?


606<br />

l<br />

5 %<br />

PR-Referat<br />

1. Fernsehen<br />

Zum Thema „Beschleunigte Verfahren“ wurde Rechtsanwalt<br />

Norbert Gatzweiler, Köln, Mitglied des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im<br />

Deutschen Anwaltverein, am 17. August 1997 in der Sendung<br />

„ARD-Ratgeber Recht“ interviewt. Für die an Sonntagen<br />

jeweils um 17.00 Uhr ausgestrahlte Reihe benannte das<br />

Pressereferat zum Thema „Software-Piraterie“ Rechtsanwalt<br />

Rüdiger Deckers, Düsseldorf, Mitglied des Strafrechtsausschusses<br />

des Deutschen Anwaltvereins, als Ansprechpartner.<br />

Zum Thema „Tempofallen: Falsch gemessen – richtig<br />

abkassiert“ wurde Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />

Homburg/Saar, Mitglied des Vorstandes des Deutschen Anwaltvereins<br />

und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der<br />

Verkehrsrechts-Anwälte, am 18. August 1997 in der ARD-<br />

Sendung „FAKT“ interviewt. Gebhardt wurde zum Thema<br />

der in letzter Zeit in die Schlagzeilen geratenen Abstandsmessungen<br />

an Autobahnen am 10. September 1997 in der<br />

WDR-Fernsehsendung „Bonn am Rohr“ interviewt und beantwortete<br />

Fragen aus dem Bereich des Verkehrsrechts von<br />

Zuschauern.<br />

Am 8. September 1997 gab Rechtsanwalt Robert Erdrich,<br />

Bonn, der Vorsitzende des Bonner Anwaltvereins, zum<br />

Thema „Finderlohn“ am Bürgertelefon der WDR-Sendung<br />

„Aktuelle Stunde“ den Zuschauern eine Reihe von Tips.<br />

Der Redaktion der „Aktuellen Stunde“ wurde Rechtsanwalt<br />

Dr. Klaus E. Böhm, Düsseldorf, Vize-Präsident des Deutschen<br />

Anwaltvereins, zum Thema „Der teure Weg zum Anwalt“<br />

benannt.<br />

Für die ARD-Sendung „PLUSMINUS“ wurde zum Thema<br />

„Kraftfahrzeugschäden, Krankengeld, Berufsunfähigkeit<br />

und Haftpflichtversicherung“ Rechtsanwalt und Notar Dr.<br />

Georg Greißinger, Hildesheim, langjähriges Mitglied des<br />

Vorstandes des Deutschen Anwaltvereins, benannt. Die Ausstrahlung<br />

der Sendung erfolgte am 30. September 1997.<br />

Zum Thema „Fahrverbot statt Haftstrafe“ wurde Rechtsanwalt<br />

Norbert Gatzweiler, Köln, am 9. September 1997 in<br />

der WDR-Sendung „Aktuelle Stunde“ interviewt.<br />

Ein Beitrag der ARD-Sendung „PLUSMINUS“ am<br />

7. Oktober 1997 beschäftigte sich mit dem Thema „Steuerhinterziehung<br />

der Lebensversicherer“. Das Interview mit<br />

Rechtsanwalt Rolf Schwedhelm, Köln, dem Vorsitzenden<br />

der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht des Deutschen Anwaltvereins,<br />

wurde in dieser Sendung ausgestrahlt.<br />

Die „Tagesthemen“ am 9. Oktober 1997 strahlten zum<br />

Thema „Lauschangriff“ Auszüge aus einem Interview mit<br />

Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf, Frankfurt/Main,<br />

dem Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />

Anwaltvereins, aus. Auch im Text aus dem Off wurde die<br />

ablehnende Haltung des Deutschen Anwaltvereins zum<br />

„Großen Lauschangriff“ dargestellt.<br />

AnwBl 11/97<br />

II. Hörfunk<br />

Kempf gab zum Thema „Lauschangriff“ auch verschiedenen<br />

Hörfunksendern Interviews: Die „Deutsche Welle“<br />

sendete am 10. Oktober 1997 um 7.00 Uhr, „Radio Gong“,<br />

Nürnberg, strahlte ein Interview bereits am 9. Oktober 1997<br />

aus.<br />

Das Thema „Geldstrafe oder Führerscheinentzug“ beschäftigte<br />

den „Südwestfunk Baden-Baden“ in einem Interview<br />

mit Rüdiger Deckers, Mitglied des Strafrechtsausschusses<br />

des Deutschen Anwaltvereins, am 18. September<br />

1997. Auch Rechtsanwalt und Notar Günter Bandisch, Bremen,<br />

ebenfalls Mitglied des Strafrechtsausschusses des<br />

Deutschen Anwaltvereins, gab zu diesem Thema verschiedene<br />

Interviews: Am 9. September 1997 wurde im „Mittagsmagazin“<br />

von „WDR 2“ die Auffassung des Deutschen<br />

Anwaltvereins erläutert. Danach ist das Fahrverbot als Einzelmaßnahme<br />

nicht geeignet. Nur bei Delikten, die eine<br />

Anbindung an das Verkehrsrecht aufweisen, ist die Heraufstufung<br />

von der Neben- zur Hauptstrafe zu befürworten. Für<br />

nicht-verkehrsbezogene Straftaten erscheine, so Bandisch,<br />

der Ansatz leicht als Willkürmaßnahme. Ein weiteres Interview<br />

mit Bandisch strahlte der „Saarländische Rundfunk“<br />

in der Sendung „Infozeit“ am 9. September 1997 aus.<br />

Zur wieder anlaufenden Serie „Liebling Kreuzberg“ interviewte<br />

der „WDR“ für seine Sendung am 7. Oktober<br />

1997 den Kölner Strafverteidiger Richter II.<br />

Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt<br />

Felix Busse, Bonn, wurde für eine am 16. September<br />

1997 vom „Bayerischen Rundfunk“ ausgestrahlte Sendung<br />

mit dem Titel „Gesetzesflut – Gesetzeswut – wo sind die<br />

Grenzen des Staates?“ interviewt. Die Sendung wurde von<br />

„Bayern 2“ in der Zeit von 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr ausgestrahlt.<br />

In der Sendung „Infozeit“ des „Saarländischen Rundfunks“<br />

am 15. August 1997 nahm Rechtsanwalt Hans-Jürgen<br />

Gebhardt, Homburg/Saar, zur Forderung des TÜV<br />

nach der Einführung der 0,5 Promille-Grenze Stellung. Gebhardt<br />

stellte klar, daß Kinderunfälle in der Regel wenig<br />

mit Alkohol zu tun haben, weil Kinder sich nachts nicht<br />

auf der Autobahn befinden.<br />

Die Mitglieder der DAV-Ausschüsse und DAV-Arbeitsgemeinschaften<br />

sind in der Sendung „Infozeit“ viel gefragte<br />

Interviewpartner. Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied, Mitglied<br />

des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins,<br />

wurde für die Sendung am 16. August 1997 interviewt.<br />

Zur „Bekämpfung von Sexualdelikten“ wurde Rechtsanwalt<br />

Rüdiger Deckers, Düsseldorf, vom „Sender Freies Berlin“<br />

interviewt. Der Beitrag wurde am 8. September 1997<br />

in der Sendung „Multi Kulti“ ausgestrahlt.<br />

Zum „Sicherheitsnetz“ des Bundesinnenministers<br />

Kanther wurde der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses,<br />

Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf, Frankfurt/Main,<br />

am 10. September 1997 von „Radio ffh“ interviewt. Das Interview<br />

wurde am selben Tag in der „Magazin“-Sendung<br />

zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr ausgestrahlt.


AnwBl 11/97 607<br />

Aus der Arbeit des DAV l<br />

Zum Fall zweier auf Mallorca verhafteter sächsischer<br />

Lehrlinge wurde Rechtsanwalt Norbert Gatzweiler, Köln,<br />

vom „MDR“ Dresden am 29. Juli 1997 für eine Sendung<br />

zur aktuellen Landespolitik interviewt.<br />

Verbraucher-Tip des „Deutschlandfunks“ war in der<br />

Sendung „Wirtschaft am Mittag“ vom 7. Oktober 1997 das<br />

Thema „Rechtsanwaltshonorare“. Für den Deutschen Anwaltverein<br />

gab Rechtsanwalt Udo Henke, Geschäftsführer<br />

des Deutschen Anwaltvereins, die Tips.<br />

III. Print-Medien<br />

Das „Sicherheitsnetz“ beschäftigte auch den „Express“.<br />

In seiner Ausgabe vom 9. September 1997 veröffentlichte<br />

es ein Interview mit Rechtsanwalt und Notar Eberhard<br />

Kempf, Frankfurt/Main.<br />

Der „Tagesspiegel“ vom 28. Juli 1997 berichtete über<br />

die erste von der Berliner Justiz privatisierte Serviceleistung:<br />

Die vom Berliner Anwaltverein organisierte gemeinsame<br />

Briefannahmestelle. Dazu wurde der Vize-Präsident<br />

des Deutschen Anwaltvereins und Vorsitzende des Berliner<br />

Anwaltvereins, Rechtsanwalt und Notar Uwe Kärgel, interviewt.<br />

Der „Tagesspiegel“ vom 29. Juli 1997 war einer Falschinformation<br />

aufgesessen: Er berichtete, der Deutsche Anwaltverein<br />

werde sich, wenn er seinen Sitz von Bonn nach<br />

Berlin verlege, ein Haus mit dem Verband Beratender Ingenieure<br />

und dem Virchow-Bund der Ärzte teilen. Dies ist<br />

falsch. Richtig ist nur, daß der Deutsche Anwaltverein die<br />

Absicht hat, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen.<br />

Die Stellungnahme der Verkehrsrechts-Anwälte des<br />

Deutschen Anwaltvereins zum Thema der Freigabe von<br />

Einbahnstraßen für Radfahrer in beide Richtungen war Gegenstand<br />

eines Kurzbeitrages im Branchendienst „recht intern“<br />

vom 24. Juli 1997.<br />

Eine Presseerklärung, die der Deutsche Anwaltverein<br />

den örtlichen Anwaltvereinen zur Verfügung stellte, fand<br />

auch Eingang in die regionale Presse. So berichtete die<br />

„Süddeutsche Zeitung“ am 24. Juli 1997 im Lokalteil über<br />

die Warnung des Anwaltvereins Ebersberg vor befristeten<br />

Mietverträgen.<br />

Die Kritik der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte an der Nutzung<br />

der Einbahnstraßen für Radfahrer in beiden Richtungen<br />

war auch Gegenstand eines Artikels in der „Freien<br />

Presse“ am 2. August 1997.<br />

In einem Bericht von „recht intern“ am 13. August<br />

1997, der sich mit der Hauptverhandlungshaft beschäftigte,<br />

wurde der DAV damit zitiert, daß er die Hauptverhandlungshaft<br />

als „vorweggenommene Strafe“ bezeichnet hatte.<br />

Die Pressemitteilung des DAV zur Diskussion um Alternativen<br />

zur Haft vom 16. Juli 1997 (vgl. <strong>Anwaltsblatt</strong> 8+9/<br />

97) druckte die „NJW“ in ihrer 34. Ausgabe nach.<br />

Zum Thema „Streitschlichtung“ wurde die Position des<br />

Deutschen Anwaltvereins, der sich für die obligatorische<br />

Streitschlichtung unter der Voraussetzung, daß sie Anwälten<br />

vorbehalten bleibt, einsetzt, im „Handelsblatt“ am 22.<br />

August 1997 wiedergegeben.<br />

Zum Thema „Werbung“ wurde Rechtsanwalt Dr. Peter<br />

Hamacher, stellv. Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins<br />

und Schriftleiter des <strong>Anwaltsblatt</strong>es, am 12.<br />

August 1997 in dem in der Schweiz erscheinenden „Tagesanzeiger“<br />

zitiert.<br />

Das Thema „Juristenausbildung“ war Gegenstand eines<br />

ausführlichen Artikels im Handelsblatt vom 22. August<br />

1997, in dem Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe,<br />

Hannover, Vize-Präsident und Vorsitzender des Ausbildungsausschusses<br />

des Deutschen Anwaltvereins, mit den<br />

DAV-Positionen ausführlich zitiert wurde. Auch Rechtsanwältin<br />

Angelika Rüstow wurde als Sprecherin des Deutschen<br />

Anwaltvereins mit dessen Positionen zur Juristenausbildung<br />

zitiert.<br />

Unter der Überschrift „Flucht vor Kontrolle ist Beweisanzeichen“<br />

berichtete die „Freie Presse“ am 16. August<br />

1997 über den Pressedienst der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte.<br />

Zu „T-Online-Anzeigen im Internet“ wurde Rechtsanwalt<br />

Dr. Peter Hamacher vom „Hellweger Anzeiger“ am<br />

18. August 1997 zitiert.<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mietrecht des Deutschen Anwaltvereins<br />

wurden zu einem aus dem Jahre 1963 stammenden Urteil<br />

des BGH (AZ: VZR 8/62) zitiert, in dem die untrennbare<br />

körperliche Verbindung aller wesentlichen Vereinbarungen<br />

gefordert wurde. Dieses Urteil wird von Mietern offenbar<br />

verstärkt genutzt. Die Oberlandesgerichte Stuttgart, Düsseldorf<br />

und Berlin sollen inzwischen Entscheidungen gefällt<br />

haben, die das Risiko des Vermieters, Mieter wegen eines<br />

solchen Formfehlers zu verlieren, korrigiert haben.<br />

Nach der Einigung auf den „Großen Lauschangriff“ berichtete<br />

die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom<br />

30. August 1997 über die ablehnende Haltung des Deutschen<br />

Anwaltverein zu der beschlossenen Grundgesetzänderung.<br />

Am gleichen Tag wurde der Deutsche Anwaltvereins,<br />

ebenfalls in einem Leitartikel, zum selben Thema im<br />

„Tagesspiegel“ zitiert. Eine Meldung vom selben Tage berichtete,<br />

ebenfalls im „Tagesspiegel“, über die Reaktion des<br />

Deutschen Anwaltvereins zum Kompromiß zum „Großen<br />

Lauschangriff“. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ wies in<br />

einer Meldung vom selben Tage nochmals auf die DAV-Position<br />

hin. Die Presseerklärung des Deutschen Anwaltvereins<br />

zum Lauschangriff war am 29. August 1997 versandt<br />

worden. Sie ist abgedruckt in <strong>Anwaltsblatt</strong> 10/97.<br />

Als Vorsitzender der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte wurde<br />

DAV-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Gebhardt, Homburg/Saar,<br />

in der Zeitschrift „PLUS“ 9/97 zum Thema „Einspruch“<br />

zitiert.<br />

In der „Hannoverschen Allg. Zeitung“ wurde der Deutsche<br />

Anwaltverein mit der Kritik zitiert, „die Unverletzlichkeit<br />

der Wohnung werde durch den Lauschangriff weiter<br />

eingeschränkt, ohne daß die Notwendigkeit erwiesen<br />

sei. Eine richterliche Kontrolle sei nicht von vornherein gewährleistet.<br />

Bereits jetzt würden Telefone in Deutschland<br />

häufiger abgehört als in den USA“.<br />

Über die Anwaltssuchhilfe, die die DAV-Verkehrsrechts-<br />

Anwälte seit dem 1. Oktober 1997 im Internet anbieten,<br />

berichtete „recht intern“ in seiner Ausgabe vom 3. September<br />

1997.<br />

Der Vorsitzende des DAV-Strafrechtsausschusses,<br />

Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf, Frankfurt/Main,<br />

wurde auch in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 11. September<br />

1997 zum „Sicherheitsnetz“ mit der Aussage zitiert, „ein<br />

entschiedeneres Vorgehen gegen Alltagskriminalität könne<br />

nicht Kern der Verbrechensbekämpfung sein. Ladendiebstahl<br />

und Schwarzfahren hätten nichts mit organisierter<br />

Kriminalität zu tun“.<br />

Zum selben Thema wurde Kempf in der „Hannoverschen<br />

Allg. Zeitung“ vom 11. September 1997 zitiert. Auch<br />

die „FAZ“ vom 11. September 1997 berichtete über die


608<br />

l<br />

Auffassung des Deutschen Anwaltvereins. In der „taz“<br />

wurde der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des<br />

Deutschen Anwaltvereins am 11. September 1997 unter<br />

der Überschrift „Gegenwind für Kanther“ ebenfalls zitiert.<br />

Auch die „Frankfurter Rundschau“ vom selben Tag berichtete<br />

unter der Überschrift „Richter und Rechtsanwälte wehren<br />

sich gegen Kanther“ über den Standpunkt der beiden<br />

Berufsvertretungen.<br />

„Die Welt“ vom 11. September 1997 berichtete unter der<br />

Überschrift „Kritik an Kanthers Kriminalitätskonzept“ ebenfalls<br />

über die Auffassung des Deutschen Anwaltvereins.<br />

Schon am 9. September 1997 war in der „Süddeutschen Zeitung“<br />

ein Artikel zum Thema „Einsperren zur Vorbeugung“<br />

erschienen, in dem Kempf sich für Zurückhaltung bei der<br />

Verhängung von Sicherungsverwahrung aussprach.<br />

Kempf, der für den Deutschen Anwaltverein an der Anhörung<br />

im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zur<br />

Reform des Sexualstrafrechts teilnahm, wurde in „Der<br />

Welt“ vom 9. September 1997 mit der Kritik des Deutschen<br />

Anwaltvereins zitiert.<br />

Über das Thema „Sicherungsverwahrung“ berichtete<br />

„Die Welt“ am 9. September 1997 unter der Überschrift<br />

„Täter und Opfer“, in dem der Deutsche Anwaltverein damit<br />

zitiert wurde, daß er sich für die Wiederbelebung des<br />

Resolzialisierungsgedankens einsetze.<br />

Die „Streitschlichtung vor Gerichtsverfahren“ war Gegenstand<br />

eines am 9. September 1997 im „Handelsblatt“ erschienenen<br />

Artikels, in dem der Deutsche Anwaltverein<br />

mit seinem Modell zitiert wurde. Die „Außergerichtliche<br />

Streitschlichtung“ war auch Gegenstand einer Meldung in<br />

„recht intern“, Ausgabe vom 20. August 1997.<br />

Über den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, in<br />

dem die dem Deutschen Anwaltverein angehörenden<br />

örtlichen Anwaltvereine Mecklenburg-Vorpommerns vertreten<br />

sind, wurde im „Neubrandenburger Kurier“ vom<br />

26. August 1997 berichtet.<br />

Der am 16. September 1997 unter der Überschrift<br />

„Auch beim Anwalt sind Preisgespräche möglich“ in „Der<br />

Welt“ erschienene Artikel zitierte Rechtsanwältin Angelika<br />

Rüstow, als Geschäftsführerin für die Pressearbeit des DAV<br />

zuständig, falsch. Die Redaktion, der Korrekturen von<br />

Rüstow übersandt worden sind, hat sich mit einem Versehen<br />

beim Umbruch entschuldigt. Der Artikel ist, mit einer<br />

entsprechenden Anmerkung versehen, im Pressespiegel<br />

Nr. 41/97 nochmals veröffentlicht worden.<br />

„Wo Recht und Unordnung herrschen“ war die Überschrift<br />

eines am 13. September 1997 in der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ erschienenen Artikels. Rechtsanwalt und Notar<br />

Dr. Ulrich Stobbe, Hannover, DAV-Vize-Präsident und Vorsitzender<br />

des Ausbildungsausschusses des DAV, stellte die<br />

Thesen des DAV zur Juristenausbildung vor.<br />

Die Pressemitteilung des DAV zum Thema „Verwirrung<br />

um Doppelnamen von Kindern“ vom 16. Juli 1997 wurde<br />

von „MDR-Report“ am 5. September 1997 nachgedruckt.<br />

„Kranker Beifahrer – keine Entschuldigung für Temposünder“<br />

hieß die Überschrift in einem Artikel der „Freien<br />

Presse“ vom 6. September 1997, der eine Meldung des<br />

Pressedienstes der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte zum Gegenstand<br />

hatte.<br />

„Fahrverbot als Strafe ist umstritten“ hieß ein Artikel in<br />

der „taz“ vom 19. September 1997, in dem Rechtsanwalt<br />

Rüdiger Deckers, Düsseldorf, Mitglied des DAV-Strafrechts-<br />

AnwBl 11/97<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

ausschusses, mit der Position des Deutschen Anwaltvereins<br />

zitiert wurde.<br />

„Rechtsanwalt – verzweifelt gesucht“ hieß die Überschrift<br />

eines Artikels in der „Geldzeitung“ 10/97, in dem über die<br />

Anwaltsuche berichtet wird. Ein Hinweis auf das Anwaltsverzeichnis<br />

des Deutschen Anwaltvereins ist enthalten.<br />

„Auch Jurastudenten müssen auf die Referendarstelle<br />

warten“ berichtete die „Stuttgarter Zeitung“ vom 22. September<br />

1997 und zitierte in diesem Zusammenhang den<br />

Deutschen Anwaltverein.<br />

„Freie Fahrt für Radler“ hieß es in „ACE Lenkrad“ vom<br />

15. August 1997. Die Auffassung der DAV-Verkehrsrechts-<br />

Anwälte wurde in dem Beitrag zitiert.<br />

Mit der Überschrift „Geteilte Schuld nach Sturz“ berichtete<br />

der „Nordkurier“ am 15. September 1997 über einen<br />

Pressedienst der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte.<br />

Auch der „General Anzeiger“ druckte, und zwar am<br />

20. September 1997, einen Pressedienst der Verkehrsrechts-<br />

Anwälte nach. Gegenstand war ein Urteil des Amtsgerichts<br />

Dortmund (16. Januar 1997, AZ: 109 C 13217/96). Danach<br />

haftet ein Falschparker für einen Unfall, den er durch sein<br />

Fehlverhalten provoziert hat.<br />

Zum „Namensrecht“ berichtete die „Südwest Presse“<br />

am 26. September 1997 unter der Überschrift „Geschwister<br />

mit zweierlei Namen“. Gegenstand des Beitrages war ein<br />

Interview mit der Vorsitzenden des DAV-Familienrechtsausschusses<br />

und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht,<br />

Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß, Augsburg. Die<br />

DAV-Presseerklärung zum Thema war am 16. Juli 1997 erschienen.<br />

„Streitschlichtung bringt nur Nachteile“ hieß es in einem<br />

„FAZ“-Artikel vom 29. September 1997, in dem die gegenteilige<br />

Auffassung des Deutschen Anwaltvereins skizziert<br />

wurde.<br />

Auf den 49. Deutschen Anwaltstag in Frankfurt/Main,<br />

in dem das Thema „Streitschlichtung“ Gegenstand einer<br />

Vielzahl von Veranstaltungen war, blickte die „Stuttgarter<br />

Zeitung“ in einem Artikel vom 23. September 1997 zurück,<br />

der sich unter der Überschrift „Der Anwalt als Konfliktmanager“<br />

mit der Mediation als neues Aufgabenfeld befaßte.<br />

Über die Gründung der AdvoCert GmbH, einer Zertifizierungsgesellschaft<br />

für Rechtsanwälte, informierte eine<br />

Presseerklärung der AdvoCert vom 20. August 1997, die in<br />

der „NJW“ Nr. 38/97 nachgedruckt wurde. Die hundertprozentige<br />

Tochter der Deutscher Anwaltverlag & Institut der<br />

Anwaltschaft GmbH wurde unter Federführung des Deutschen<br />

Anwaltvereins gegründet.<br />

„Ein Anwalt auf 600 Berliner“ hieß es im „Tagesspiegel“<br />

vom 27. September 1997, in dem DAV-Vize-Präsident<br />

Rechtsanwalt und Notar Uwe Kärgel, der Vorsitzender des<br />

Berliner Anwaltvereins ist, zur Situation auf dem deutschen<br />

Anwaltsmarkt zitiert wurde.<br />

Die „Südwest Presse“ beschäftigte sich schon am 20.<br />

August 1997 unter dem Thema „Ein Jahr unter falschem<br />

Namen“ mit dem Namensrecht. Interviewpartnerin war<br />

Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß (siehe schon oben).<br />

In der „Badischen Rundschau“ vom 20. September 1997<br />

wurde Rechtsanwalt Rüdiger Deckers, Düsseldorf, Mitglied<br />

des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins,<br />

mit der DAV-Position zum Thema „Fahrverbot statt Haft“<br />

zitiert.


AnwBl 11/97 609<br />

Aus der Arbeit des DAV l<br />

In der Rubrik „Zur Sache“ der Wochenzeitung „Die Woche“<br />

wurde am 26. September 1997 gefragt „Haben Sie getötet?“.<br />

Es ging um sog. Lügendetektoren. Rechtsanwalt<br />

und Notar Eberhard Kempf, Strafrechtsexperte des Deutschen<br />

Anwaltvereins, äußerte sich skeptisch zu dem auch<br />

auf dem 49. Deutschen Anwaltstag in Frankfurt/Main diskutierten<br />

Lügendetektor. Wenn der Lügendetektor erst einmal<br />

zugelassen sei, so Kempf, sei die Freiwilligkeit solcher<br />

Tests in Frage gestellt.<br />

Im „Handwerk Magazin“ Nr. 10/97 hieß die Überschrift<br />

eines längeren Artikels „Besser schlichten statt prozessieren“.<br />

Zitiert wurde Rechtsanwalt Reiner Ponschab, der Vorsitzende<br />

des Ausschusses „Außergerichtliche Konfliktbeilegung<br />

des DAV“. Es wurde außerdem auf den Service vieler<br />

örtlicher Anwaltvereine, die bei der Anwaltsuche helfen,<br />

hingewiesen.<br />

Einen weiteren Pressedienst der DAV-Verkehrsrechts-<br />

Anwälte zitierte die „Freie Presse“ in ihrer Ausgabe vom<br />

27. September 1997 unter der Überschrift „Lebensfremdes<br />

Urteil“. Nach dem Urteil des OLG Brandenburg vom 13.<br />

Januar 1997 (AZ: 2 Ss (OWi) 102 B/96) war entschieden<br />

worden, daß ein Gericht gegen einen Autofahrer kein Fahrverbot<br />

mit dem Hinweis verhängen könne, er könne die<br />

26 Kilometer bis zu seinem Arbeitsplatz ja ohne weiteres<br />

auch mit dem Fahrrad zurücklegen.<br />

„Immer mehr Unfallopfer im Straßenverkehr fühlen sich<br />

von Versicherungen“ über den Tisch gezogen. Sie erzählen<br />

von Einschüchterungsversuchen“ berichtete die „Westdeutsche<br />

Allg. Zeitung“ am 30. September 1997 im Vorspann<br />

zu einem Artikel, in dem der Vorsitzende der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte,<br />

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />

Homburg/Saar, zum Thema des Regulierungsverhaltens der<br />

Versicherer zitiert wurde.<br />

Rechtsanwältin Angelika Rüstow, Bonn<br />

DAV-Pressemitteilungen<br />

Ab1. Oktober1997: Anwaltssuche leichtgemacht<br />

–DAV-Verkehrsrechts-Anwälte im Internet –<br />

Ob Führerscheinentzug, Flensburger Punkte, Probleme<br />

mit Versicherungen und Behörden oder Streitigkeiten aus<br />

Kauf- oder Leasingverträgen, in Verkehrssachen ist der<br />

frühzeitige Beistand eines Anwaltes besonders wichtig.<br />

Die gezielte Suche nach Anwälten mit Schwerpunkt<br />

Verkehrsrecht ist seit 1. Oktober 1997 viel leichter:<br />

Mit einem im Internet angebotenen Anwalts-Suchdienst<br />

helfen die Verkehrsrechts-Anwälte im DAV bei der Suche<br />

nach dem benötigten Anwalt. Die rund 4 000 Mitglieder<br />

zählende, für das Gebiet des Verkehrsrechts bundesweit<br />

größte Vereinigung von Anwälten hilft dem Verbraucher<br />

selbst in abgelegeneren Regionen in Wohnortnähe einen<br />

Anwalt für seine Probleme rund um das Verkehrsrecht zu<br />

finden. Neben Kanzlei-Adressen, Telefon- und Faxnummern<br />

enthält die Anwalts-Suchhilfe auch weiterführende<br />

Informationen über Anwälte und die Kanzleien.<br />

Die DAV-Verkehrsrechts-Anwälte verlangen für ihre Anwalts-Suchhilfe<br />

vom Verbraucher keine Gebühr.<br />

Die ab 1. Oktober 1997 für jeden Verkehrsteilnehmer<br />

wichtige Internet-Adresse lautet:<br />

http://www.recht-und-verkehr.de<br />

(Pressemitteilung des DAV Nr. 9/97 vom 17.10.1997)<br />

Homburger Tage 1997<br />

Anwaltliche Hilfe bei der Unfallregulierung zahlt sich<br />

aus<br />

Rechtsanwälte, Richter, Vertreter von Verbänden und<br />

der Versicherungswirtschaft, insgesamt rund 200 mit dem<br />

Verkehrs- und Versicherungsrecht befaßte spezialisierte Juristen,<br />

trafen sich an diesem Wochenende in Homburg/Saar<br />

zu den 17. Homburger Tagen, die alljährlich von der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins<br />

(DAV-Verkehrsrechts-Anwälte) veranstaltet werden.<br />

Die DAV-Verkehrsrechts-Anwälte sind zunehmend besorgt<br />

über Berichte von Klienten, sie würden von Versicherern<br />

aufgefordert, gegen das Versprechen einer schnellen<br />

Regulierung auf die Einschaltung eines Anwaltes Ihres Vertrauens<br />

zu verzichten. Der Vorsitzende der DAV-Verkehrsrechts-Anwälte,<br />

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt, betonte,<br />

daß jeder unfallbetroffene Bürger nach der Rechtsprechung<br />

Anspruch auf anwaltliche Vertretung hat.<br />

Ohnehin sei zu beobachten, daß anwaltlich vertretene Geschädigte<br />

regelmäßig höheren Ersatz erhielten. Der Verzicht<br />

auf anwaltliche Vertretung zahle sich also für den<br />

Bürger nicht aus. Unbegründetes Taktieren zahle sich im<br />

übrigen auch für die Versicherer nicht aus. Das zeige ein<br />

soeben veröffentlichtes Urteil (OLG Nürnberg, AZ 6 U<br />

3535/96). Die Tatsache, daß die Versicherung dem Unfallopfer<br />

eine Versicherungsleistung jahrelang schuldig geblieben<br />

war, nahm das Gericht zum Anlaß, dem Opfer ein wesentlich<br />

höheres Schmerzensgeld zuzusprechen.<br />

Gebhardt erklärte in einem Pressegespräch, die Fachtagung<br />

habe sich auch in diesem Jahr als Forum für den<br />

interdisziplinären Erfahrungs- und Gedankenaustausch bewährt,<br />

von dem im Ergebnis der in einen Unfall verwikkelte<br />

Bürger profitiere.<br />

Themen dieses Jahres waren: Spätschäden im Haftpflichtrecht,<br />

das Wiedereingliederungsmodell für Unfallverletzte<br />

der Bayerischen Rückversicherungs-AG und aktuelle<br />

Fragen aus der Personenversicherung.<br />

(Pressemitteilung des DAV Nr. 10/97 vom 18.10.1997)<br />

Buchhinweis<br />

Handbuch für deutsch-internationale Beziehungen, Band 1 –<br />

Europa, hrsg. von Burkhard Herbote in Zusammenarbeit mit<br />

dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, 2. Aufl., Stand<br />

1997, 415 S., 198,– DM.<br />

Das Handbuch ist in deutscher und englischer Sprache erschienen.<br />

Daneben gibt es Band 2, der sich mit Amerika und Afrika beschäftigt,<br />

und Band 3, der Asien und Ozeanien abdeckt.<br />

Das Handbuch enthält Hinweise über diplomatische und konsularische<br />

Vertretungen der Bundesrepubilik Deutschland in den jeweiligen<br />

Staaten bzw. der jeweiligen Staaten in der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Darüber hinaus gibt es Adressen von Parlamentariergruppen,<br />

Kulturinstituten, Wirtschaftsförderungsinstitutionen,<br />

Bankvertretungen, Fluggesellschaften, Fährdiensten, deutschsprachigen<br />

Zeitungen und Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, bilateralen<br />

Vereinigungen, politischen Stiftungen, Entwicklungszusammenarbeits-Institutionen,<br />

Menschenrechtsorganisationen, etc. Es<br />

sind jeweils die vollständigen Adressen inkl. der Telefon- und Fax-<br />

Nummern sowie ein Ansprechpartner genannt.<br />

Das Werk bietet einen nahezu umfassenden Überblick über alle<br />

wichtigen Institutionen in den europäischen Staaten, darunter auch<br />

denjenigen, die erst seit kurzem ihre Unabhängigkeit besitzen.<br />

Rechtsanwalt Andreas B. Klein, LL.M., Bonn


610<br />

EUROPA<br />

Einführung des Euro in Gesetzgebung und<br />

öffentlicher Verwaltung<br />

Bericht der Bundesregierung<br />

Ende April 1997 hat das Bundeskabinett den Bericht des<br />

im Bundesministerium der Finanzen angesiedelten Arbeitsstabes<br />

Wirtschaft- und Währungsunion zur Einführung des<br />

Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung gebilligt.<br />

Die grundlegenden Vorgaben für die Einführung des<br />

Euro werden durch zwei Verordnungen auf EU-Ebene festgelegt,<br />

die Bestandteil des Berichts sind.<br />

Auf dieser Basis stellt der Bericht dar, wie die Einführung<br />

des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung<br />

in Deutschland möglichst effizient und gleichzeitig für<br />

die Bürger überschaubar und verständlich durchgeführt<br />

werden kann.<br />

Erste Überlegungen innerhalb der Bundesregierung gehen<br />

in die Richtung, eine einheitliche Umstellung der öffentlichen<br />

Verwaltung zum 1. Januar 2002 vorzunehmen.<br />

Bereits vorher, ab dem 1.1.1999 ist der Euro die Währung<br />

der teilnehmenden Mitgliedsstaaten. Er wird während der<br />

„Übergangszeit“ allerdings auch in nationalen Währungseinheiten<br />

ausgedrückt. Nationales Währungsrecht gilt im<br />

übrigen während dieser Übergangszeit weiter. Erst mit dem<br />

1.1.2002 findet die allgemeine Umstellung auf die Euro-<br />

Einheit statt. Der Euro tritt dann auch an die Stelle der<br />

nationalen Währungseinheiten. In sämtlichen Rechtsakten<br />

(Gesetze, Verordnungen, private Verträge) gelten dann ohne<br />

weiteres Bezugnahmen auf Geldbeträge in nationaler Währung<br />

als Bezugnahmen auf Euro-Beträge.<br />

Für die Anwaltschaft ergibt sich insbesondere im Bereich<br />

des Gebührenrechtes eine Reihe von Fragen, die zu<br />

Auf- bzw. Abschlägen führen könnten. Es gibt Überlegungen<br />

im o. g. Ausschuß, vor dem Hintergrund des jetzigen<br />

Ecu-Kurses von 1,95879 DM (vom 8.4.1997) eine Neufestsetzung<br />

im Verhältnis von 1 Euro = 2 DM vorzuschlagen.<br />

Ziel der Neufestsetzung soll es sein, krumme Euro-Beträge<br />

zu vermeiden. Dies kann sowohl zu Einbußen als auch zu<br />

höheren Gebühren führen. Abschließend ist allerdings in<br />

dieser Hinsicht noch keine Regelung getroffen worden.<br />

Des weiteren tangiert der Bericht sämtliche Bereiche, in<br />

denen die Umstellung von Relevanz ist. Exemplarisch seien<br />

das Aktien- und Gesellschaftsrecht, das Bilanzrecht, das<br />

Steuerrecht und das Recht der Sozialversicherungen aufgeführt.<br />

Keinesfalls wird hier die Freiheit einzelner Unternehmen,<br />

schon früher zum Euro überzugehen, eingeengt. Vielmehr<br />

strebt die Bundesregierung an, gesetzliche Behinderungen<br />

der Euro-Verwendung innerhalb des Privatsektors<br />

zu beseitigen und dort die fakultative Verwendung des Euro<br />

zuzulassen. So wird z. B. die Möglichkeit geschaffen werden<br />

1. die Gründung bzw. Kapitalerhöhung von Aktiengesellschaften<br />

in Euro durchzuführen;<br />

2. Jahresabschlüsse der Unternehmen auch in Euro zu erstellen;<br />

3. das interne Rechnungswesen der Unternehmen in<br />

Euro zu führen;<br />

4. statistische Meldepflichten frühzeitig in Euro erfüllen<br />

zu können.<br />

Mit diesen „Zwischenberichten“ möchte die Bundesregierung<br />

die öffentliche Diskussion stimulieren, damit sobald<br />

wie möglich in einer weiteren Abstimmung endgültige<br />

Problemlösungen für die noch offenen Fragen gefunden<br />

werden können. Es sei noch angemerkt, daß die verschiedenen<br />

Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins<br />

sich mit diesem Thema intensiv beschäftigen und in<br />

naher Zukunft Stellungnahmen zu den verschiedenen Bereichen<br />

abgeben werden.<br />

Rechtsanwalt Andreas Klein, LL.M., Bonn<br />

LL.M. – was ist das eigentlich?<br />

AnwBl 11/97<br />

Einige haben ihn, viele kennen ihn, und keiner weiß,<br />

was dahinter steckt. Dies mag zwar übertrieben sein, es ist<br />

vielleicht dennoch angebracht, ein paar Worte über den akademischen<br />

Grad des LL.M. zu verlieren. Der LL.M, der<br />

nichts anderes bedeutet als Master of Laws, ist ein akademischer<br />

Grad, der im anglo-amerikanischen Rechtskreis erworben<br />

werden kann. Er sagt nicht unbedingt etwas über<br />

den Umstand aus, daß jemand im englischen oder amerikanischen<br />

Recht besonders bewandert ist, sondern lediglich<br />

etwas über die Fähigkeit eines Juristen, sich im Englischen<br />

sowohl schriftlich als auch mündlich in einer adäquaten Art<br />

und Weise zu äußern. Voraussetzung für die Erlangung des<br />

LL.M. sind ein abgeschlossenes juristisches Hochschulstudium<br />

und ausreichende Kenntnisse der englischen Sprache.<br />

Was der – in der Regel – Jungjurist während des LL.M.<br />

lernt, hängt von dem Programm der jeweiligen Universität<br />

ab. Der LL.M. ist sowohl in den USA als auch in Großbritannien<br />

eine Veranstaltung, die zum überwiegenden Teil<br />

von Ausländern besucht wird. Es gibt jedoch auch Briten<br />

wie Amerikaner, die diesen akademischen Grad erlangen;<br />

dies sind in der Regel solche, die eine wissenschaftliche<br />

Laufbahn einschlagen möchten.<br />

Erwähnenswert ist darüber hinaus der Umstand, daß für<br />

Ausländer auch in der Bundesrepublik die Möglichkeit besteht,<br />

einen LL.M. im deutschen Recht zu erlangen. Beispielhaft<br />

seien hier die Universitäten Bonn und Saarbrükken<br />

genannt, die ein solches Programm für ausländische<br />

Studenten anbieten. Schließlich sei angemerkt, daß die Kosten<br />

für einen Aufenthalt in Großbritannien erheblich unter<br />

denen liegen, die für ein Studium in den USA aufgewandt<br />

werden müssen. Dies liegt vor allem an den hohen Gebühren<br />

der amerikanischen Universitäten.<br />

Abschließend bleibt festzuhalten, daß das LL.M.-Studium<br />

sowohl in juristischer als auch in zwischenmenschlicher<br />

Hinsicht eine Horizonterweiterung darstellt, die für<br />

den angehenden Rechtsanwalt Richter oder Verwaltungsbeamten<br />

nur von Vorteil sein kann.<br />

Rechtsanwalt Andreas Klein LL.M., Bonn


AnwBl 11/97 611<br />

6<br />

Anwaltsforschung<br />

Junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

im Wettbewerb<br />

– Ergebnisse der Anwaltsforschung –<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe, Hannover, Vizepräsident<br />

und Vorsitzender des Ausschusses für Aus- und<br />

Fortbildung des Deutschen Anwaltvereins<br />

und Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach,<br />

Institut „Forschung für die Praxis“.<br />

Im Jahre 1996 haben 10.000 bis 11.000 Juristinnen und<br />

Juristen mit Bestehen des zweiten Staatsexamens die Befähigung<br />

zum Richteramt erworben. Nur etwa 10 % dieser<br />

Absolventen werden eine Stelle in Justiz oder Verwaltung<br />

finden. 15-20 % werden voraussichtlich in der Wirtschaft<br />

unterkommen. 75-80 % werden – ob dies ihrer Wunschvorstellung<br />

entspricht oder nicht – in den Beruf des Rechtsanwaltes<br />

einmünden, da ihnen anderenfalls Arbeitslosigkeit<br />

droht. Sie wagen sich damit auf einen – jedenfalls in den<br />

alten Bundesländern – stark umkämpften Dienstleistungsmarkt,<br />

auf dem heute rund 80.000 Rechtsanwälte untereinander<br />

und darüber hinaus mit Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern,<br />

Unternehmensberatern, Banken, Versicherungen<br />

und vielen anderen, die juristische Dienstleistungen anbieten,<br />

in hartem Wettbewerb stehen.<br />

Diese Situation wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern.<br />

Die Finanzhaushalte des Bundes, der Länder und der<br />

Gemeinden stehen weiterhin unter dem Zwang, die öffentlichen<br />

Ausgaben drastisch einzuschränken. Der Verringerung<br />

der Personalkosten durch Stellenabbau kommt dabei<br />

vorrangige Bedeutung zu. Der durch altersbedingten Abgang<br />

erhöhte Rekrutierungsbedarf, der für Justiz und Verwaltung<br />

vorausgesagt wird, wird die Verhältnisse auf absehbare<br />

Zeit nur marginal ändern. Die Zulassung zur<br />

Anwaltschaft ist folglich für die weit überwiegende Zahl<br />

der Absolventen der juristischen Ausbildung der einzige<br />

Weg oder Ausweg zur beruflichen Existenz. Dies gilt vor<br />

allem deswegen, weil sich viele junge Juristen den Weg in<br />

die Wirtschaft, etwa in nichtjuristische Managementpositionen,<br />

nicht zutrauen. Wie schon in den achtziger Jahren ist<br />

die Anwaltschaft damit zum Auffangbecken für junge Juristinnen<br />

und Juristen geworden.<br />

Die Anwaltschaft muß sich in einem Gesamtumfeld behaupten,<br />

das durch wachsende Verrechtlichung aller Lebensbereiche,<br />

einem sich ständig beschleunigenden wissenschaftlichen<br />

und technischen Fortschritt, dessen industrielle<br />

Umsetzung, die dynamische Entwicklung der Dienstleistungsmärkte<br />

sowie die fortschreitende Internationalisierung<br />

des Waren- und Rechtsverkehrs gekennzeichnet ist. Dieses<br />

Umfeld wirft für sie eine Reihe existentieller Probleme auf,<br />

die ihre in weiten Bereichen noch immer konservative Organisation<br />

und ihr vielfach noch an den Eigentümlichkeiten<br />

der Justiz orientiertes Leistungsangebot in Frage stellen:<br />

l<br />

– Ist die Anwaltschaft aufgrund ihrer Ausbildung ausreichend<br />

gerüstet, ein Dienstleistungsangebot zu gewährleisten,<br />

das der sich auf nationaler und internationaler Ebene<br />

ständig differenzierenden Nachfrage gerecht wird?<br />

– Verfügt sie über ein taugliches System beruflicher<br />

Fort- und Weiterbildung?<br />

– Ob und in welchem Grade erfordert die Nachfrage den<br />

spezialisierten Anwalt und wie kann die Anwaltschaft diesen<br />

Bedarf erfüllen?<br />

– Werden die herkömmlichen Organisationsformen anwaltlicher<br />

Dienstleistung der sich verändernden Nachfrage,<br />

insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des im Wachsen<br />

begriffenen grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs,<br />

noch gerecht oder welche Veränderungen sind geboten?<br />

– Wie kann die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen<br />

optimiert, sichergestellt und sichtbar gemacht werden?<br />

– Ermöglicht das Berufsrecht der Anwaltschaft die Anpassung<br />

an das Anforderungsprofil der modernen Dienstleistungsgesellschaft?<br />

Diese Fragen sind nicht Gegenstand akademischer Erörterung,<br />

sondern haben längst akute Handlungszwänge ausgelöst<br />

und einen grundlegenden Wandel eingeleitet. Die<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen anwaltlicher Tätigkeit haben<br />

sich bereits essentiell geändert. Mit dem Gesetz zur<br />

Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte<br />

vom 2.9.1994 (BGBl – I –, S. 2278) hat der<br />

Bundesgesetzgeber im Vollzug der grundlegenden Entscheidungen<br />

des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987<br />

(NJW 1988, 191 und 194 ff.) nicht nur ein verfassungskonformes<br />

Berufsrecht geschaffen, sondern auch der Anwaltschaft<br />

die Möglichkeit gegeben, durch eine freigewählte<br />

Satzungsversammlung im Rahmen der Ermächtigungsnorm<br />

des § 59b BRAGO eine zukunftsweisende Berufsordnung<br />

zu schaffen. Die Satzungsversammlung hat die Berufsordnung<br />

Ende November 1996 verabschiedet. Danach prägt<br />

nicht mehr allein der forensisch tätige Anwalt das anwaltliche<br />

Berufsbild. Die Berufsordnung sieht vielmehr eine<br />

zentrale Aufgabe des Anwalts auch darin, den Mandanten<br />

rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend<br />

zu begleiten. Sie spricht die Tätigkeit des Anwalts als<br />

Schlichter, Vermittler oder Mediator ausdrücklich an.<br />

Dem Rechtsanwalt stehen neue Organisationsformen<br />

zur Verfügung. Mit seiner Entscheidung vom 24.11.1994<br />

hat das BayObLG (NJW 1995, 199) die rechtsberatende<br />

GmbH im Grundsatz für zulässig erklärt. Das Bundesjustizministerium<br />

arbeitet an einem Entwurf zur Rechtsanwalts-<br />

GmbH. Mit dem am 1.7.1995 in Kraft getretenen Gesetz<br />

zur Schaffung von Partnerschaftsgesellschaften (BGBl – I –<br />

, 10744) ist eine auch der Anwaltschaft offenstehende neue<br />

registerfähige personenrechtliche Rechtsform zur gemeinsamen<br />

Berufsausübung geschaffen worden, die Teilrechtsfähigkeit<br />

besitzt und vertragliche Vereinbarungen zur Haftungsbeschränkung<br />

ermöglicht.<br />

Um die Spezialisierung und ihre Durchsetzung zu fördern,<br />

gestattet die Berufsordnung dem Rechtsanwalt, Interessen-<br />

oder Tätigkeitsschwerpunkte zu benennen. Sie hat<br />

die Palette der Fachanwaltschaften um die für Straf- und Familienrecht<br />

erweitert und die Fachanwaltsordnung sowie die


612<br />

l<br />

Fachanwaltsverfahrensordnung so umgestaltet, daß einerseits<br />

die Qualifikation des Fachanwalts gewährleistet bleibt,<br />

andererseits aber der Erwerb der Fachanwaltschaft nicht an<br />

schwer zu überwindenden Hürden scheitert.<br />

In der Deutschen Anwaltakademie und im Anwaltsinstitut<br />

verfügt die organisierte Anwaltschaft über zwei leistungsfähige<br />

Fort- und Weiterbildungseinrichtungen, deren<br />

Ausbildungsprogramm am Anforderungsprofil des Dienstleistungsmarktes<br />

ausgerichtet ist.<br />

Daß sich der Rechtsanwalt bei noch so guten juristischen<br />

oder unternehmerischen Fähigkeiten im Wettbewerb<br />

nur durchsetzen und behaupten kann, wenn es ihm gelingt,<br />

seine Mandanten dauerhaft zufriedenzustellen, hat die Diskussion<br />

darüber entfacht, ob das in der gewerblichen Wirtschaft<br />

längst verbreitete Konzept zur Optimierung der Qualität<br />

jedweder Leistung, „Total Quality Management“<br />

genannt, auch zur Optimierung der Qualität anwaltlicher<br />

Leistung taugt und umgesetzt werden kann. Dies wird eines<br />

der Leitthemen des 49. Deutschen Anwaltstages 1997 in<br />

Frankfurt/M. sein.<br />

Während also für die meisten der oben erwähnten existentiellen<br />

Probleme inzwischen schlüssige Lösungskonzepte<br />

verfügbar oder in Vorbereitung sind, ist ein Grundübel<br />

nach wie vor ungelöst:<br />

Die in den Anwaltsberuf drängenden jungen Juristinnen<br />

und Juristen sind trotz langer Ausbildung und, obwohl ihnen<br />

der Staat mit dem Zeugnis über das Bestehen des zweiten<br />

Staatsexamens die Befähigung zum Richteramt und damit<br />

die Befähigung zur Ausübung aller volljuristischen<br />

Berufe bescheinigt, auf keinen juristischen Beruf hinreichend<br />

vorbereitet. Vor allem aber sind sie nicht befähigt,<br />

den Anwaltsberuf selbständig auszuüben. Die unendliche<br />

Geschichte der Reform der Juristenausbildung wird derzeit<br />

wiederum fortgeschrieben. Dabei geht es vordringlich um<br />

die strukturelle Umgestaltung des Vorbereitungsdienstes<br />

eine vom DAV schon 1990 erhobene Forderung.<br />

Allen, die sich in der Mitte des Jurastudiums befinden<br />

oder in der Ausbildung weiter fortgeschritten sind, wird<br />

eine grundlegende Reform des Vorbereitungsdienstes, wenn<br />

sie denn kommt, nicht mehr helfen. Sie müssen ihr berufliches<br />

Schicksal selbst in die Hand nehmen und das beginnt<br />

damit, daß sie sich rechtzeitig mit dem Gedanken vertraut<br />

machen, ihre berufliche Existenz nur in der Anwaltschaft<br />

finden zu können.<br />

Die Ergebnisse der seit 1985 in der Bundesrepublik mit<br />

Hilfe des Bundesministers der Justiz, des Deutschen Anwaltvereins<br />

und der Bundesrechtsanwaltskammer intensivierten<br />

Anwaltsforschung ermöglichen dem Absolventen<br />

der juristischen Ausbildung eine fundierte Auseinandersetzung<br />

mit dem Beruf des Rechtsanwalts. Inzwischen liegen<br />

vor die Studien von PROGNOS/lnfratest zur „Inanspruchnahme<br />

anwaltlicher Leistungen“ und die durch das Institut<br />

FORSCHUNG FÜR DIE PRAXIS durchgeführte Untersuchung<br />

„Die Anwaltschaft unter Expansionsdruck – eine<br />

Analyse der Berufssituation junger Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte“. Eine weitere Untersuchung des Instituts<br />

für Freie Berufe zur außergerichtlichen Tätigkeit von<br />

Rechtsanwälten schloß sich an.<br />

Die Berufssituation junger Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte, die zwischen 1990 und 1996 zur Anwaltschaft<br />

zugelassen wurden, ist derzeit Gegenstand einer erneuten<br />

umfassenden empirischen Analyse, die durch das<br />

Institut der Anwaltschaft durchgeführt wird. Im Rahmen<br />

dieser Untersuchung, deren erste Ergebnisse noch 1997 vor-<br />

AnwBl 11/97<br />

Mitteilungen<br />

liegen werden, wurden ca. 5000 junge Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte mit einem umfassenden Fragebogen<br />

nach den Bedingungen und dem Verlauf ihres Einstiegs in<br />

den Anwaltsberuf befragt. Bereits die 1988 publizierte erste<br />

Untersuchung der Berufssituation junger Anwälte, deren<br />

zentrale Ergebnisse im folgenden zusammengefaßt werden,<br />

bietet nach wie vor dem Berufsanfänger wichtige Orientierungshilfen.<br />

Als erhebliches Einstiegshindernis in den Beruf ist von<br />

jungen Juristen der fehlende Praxisbezug der Ausbildung<br />

empfunden worden. Zwar ist das Prädikatsexamen für den<br />

Berufseinstieg von Juristen nach wie vor ein wichtiges Kriterium;<br />

in der Anwaltschaft hat die Examensnote jedoch in<br />

Relation zu anderen ausgewiesenen fachlichen Qualifikationen<br />

einen geringeren Stellenwert als etwa in der Justiz oder<br />

der öffentlichen Verwaltung. Allgemeine oder spezielle berufspraktische<br />

Erfahrungen im Berufsfeld des Anwalts oder<br />

in vergleichbaren Arbeitsbereichen sind von mehr als der<br />

Hälfte der befragten jungen Juristen, die über Bewerbungserfahrungen<br />

verfügen, als Gründe für ihren späteren Bewerbungserfolg<br />

genannt worden. Zwei Drittel der Bewerber<br />

stellen fest, daß fehlende betriebs- und volkswirtschaftliche<br />

Kenntnisse den Berufseinstieg erschweren. 22 % sehen in<br />

fehlenden wirtschafts- und steuerrechtlichen Kenntnissen<br />

erschwerende Bedingungen für den Berufseinstieg. Etwas<br />

unspezifisch verweist rund ein Drittel der befragten Bewerber<br />

darauf, daß die Justizorientierung und die Praxisferne<br />

der Juristenausbildung sich als Einstiegshemmnis in den<br />

Beruf erwiesen haben.<br />

So wichtig praxisbezogene Kenntnisse für einen Berufseinstieg<br />

in die Anwaltschaft sind, so vorteilhaft ist darüber<br />

hinaus die frühzeitige Kontaktaufnahme zu Rechtsanwälten<br />

und Entscheidungsträgern innerhalb dieser Berufsgruppe.<br />

Solche Kontakte dienen nicht nur dazu, erste Praxiserfahrungen<br />

zu sammeln; sie erleichtern auch die Bewerbung, zumal<br />

offene Stellen in Anwaltskanzleien z. B. aus Gründen<br />

der mit einer Personalauswahl verbundenen zeitlichen Belastung<br />

oder aus grundsätzlicher Abneigung gegen dieses<br />

Auswahlverfahren nur begrenzt öffentlich ausgeschrieben<br />

werden. Bis zu 25 % der Bewerber gaben an, ihre erste<br />

Stelle nach dem Examen über solche persönlichen Kontakte<br />

gefunden zu haben. Im Vergleich zu anderen Berufsfeldern<br />

liegt dieser Anteil in der Anwaltschaft besonders hoch, weil<br />

hier aufgrund vergleichsweise kleiner Unternehmensgrößen<br />

und hoher Anforderungen an das persönliche Vertrauensverhältnis<br />

unter den Mitarbeitern ein informeller Weg der Personalsuche<br />

favorisiert wird. Dabei werden die Bewerbungschancen<br />

deutlich verbessert, wenn der Bewerber eine<br />

Fremdsprache beherrscht, wirtschafts- oder betriebswirtschaftliche<br />

Grundkenntnisse und darüber hinaus Qualifikationen<br />

in einem Schwerpunktbereich durch ausgewiesene<br />

wissenschaftliche Leistung, z. B. Promotion, durch eine<br />

Spezialausbildung oder durch kompetente Ausbildung im<br />

Ausland nachweisen kann. Zu diesen Schwerpunktbereichen<br />

gehören insbesondere die verschiedenen Disziplinen des<br />

Wirtschaftsrechts, das Steuerrecht und das Arbeitsrecht.<br />

Die berufliche Situation junger Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte muß unter Berücksichtigung der unterschiedlichen<br />

Formen der Berufsausübung gesehen werden: Knapp<br />

50 % der jungen Rechtsanwälte arbeiten als Einzelanwälte,<br />

als Anwälte in Bürogemeinschaft oder als (Mit-) Gründer<br />

von Sozietäten in eigenen Büros. 9 % der befragten jungen<br />

Juristen haben die Chance gehabt, als Sozien in bereits bestehende<br />

Kanzleien einzutreten. Ebenfalls 9 % sind als


AnwBl 11/97 613<br />

Mitteilungen l<br />

Syndikusanwälte tätig. Der verbleibende Teil rekrutiert sich<br />

aus angestellten Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern.<br />

In der Phase der Neugründung ihrer Anwaltsbüros sind<br />

junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nach ihrer<br />

Selbsteinschätzung vor allem mit drei Grundproblemen<br />

konfrontiert:<br />

9 dem Problem einer rationalen Standortwahl und den<br />

hiermit verbundenen Investitionsentscheidungen;<br />

9 dem für alle beratenden Dienstleistungsberufe zentralen<br />

Problem des Aufbaus eines Mandantenstammes<br />

und<br />

9 dem Problem der Überwindung einer wirtschaftlichen<br />

Durststrecke in den ersten Jahren der Selbständigkeit.<br />

Insbesondere die erste Gründungsphase ist durch ein erhebliches<br />

Maß an Entscheidungsunsicherheit gekennzeichnet.<br />

Berufsanfänger haben – das zeigen die Befragungen in<br />

aller Deutlichkeit – große Probleme in der Einschätzung ihrer<br />

Marktchancen, die durch fehlende Sensibilität für die<br />

Bedürfnisse der künftigen Mandantschaft, vor allem aber<br />

durch fehlende Kenntnisse von ökonomischen Methoden<br />

und Verfahren der Standortwahl ausgelöst werden. Die Ursache<br />

könnte darin liegen, daß rund 50 % der Befragten angegeben<br />

haben, keinerlei Gründungsberatung in Anspruch<br />

genommen zu haben, deren Notwendigkeit zugleich jedoch<br />

von mehr als 80 % der Gründer neuer Kanzleien bejaht<br />

wurde.<br />

Die inzwischen vom Deutschen Anwaltverein und der<br />

Deutschen Anwaltakademie eingerichtete Gründungsberatung<br />

knüpft an die Defiziterfahrungen junger Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte an und thematisiert spezielle Fragen<br />

der Organisation und der technischen Ausstattung eines<br />

Anwaltsbüros, kaufmännische und steuerliche Fragen der<br />

Betriebsführung, spezielle Gründungshilfen und Finanzierungsfragen<br />

ebenso wie Probleme der Vorsorge gegen<br />

Alters- und Krankheitsrisiken, Fragen des Standes- und Berufsrechts,<br />

des anwaltlichen Gebührenrechts, des Prozeßkostenhilfe-<br />

und Beratungshilferechts, des Beiordnungsrechts<br />

nach der StPO oder dem PsychKG und nicht zuletzt der Anwaltshaftung.<br />

Der Berufsanfänger, der sich diesen Fragen<br />

gegenübersieht, ist nicht auf sich allein gestellt. Ihm wird<br />

vielmehr, insbesondere durch die Initiativen des DAV, eine<br />

reichhaltige Palette von Informationsmöglichkeiten geboten.<br />

Es sei hier nur beispielhaft verwiesen auf die Seminare der<br />

Deutschen Anwaltakademie und des gemeinnützigen Vereins<br />

Deutsche Anwaltakademie, die Foren für junge Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, auf die Fortbildungsprogramme<br />

örtlicher Anwaltvereine und die Veranstaltungen<br />

des Deutschen Anwaltinstituts als Fortbildungseinrichtung<br />

der Kammern.<br />

Das zweifellos zentrale Problem für junge Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, die neue Büros gründen und<br />

nicht aufgrund überdurchschnittlicher Ausbildungsleistungen<br />

die Chance haben, in bestehende Kanzleien einzutreten,<br />

besteht im Aufbau eines Mandantenstammes. Entscheidend<br />

ist hierbei das Kriterium, ob es den Berufsanfängern gelingt,<br />

ein berufsbezogenes Kontaktnetz aufzubauen, d. h.<br />

den Mandantenstamm über den Kreis der Verwandten,<br />

Freunde und Bekannten hinaus zu erweitern. Die Untersuchungen<br />

haben gezeigt, daß Anwaltsbüros, die überwiegend<br />

in privaten Kontaktnetzen agieren müssen, den wirtschaftlich<br />

geringsten Erfolg haben. Ähnliches gilt für Büros, die<br />

auf eher zufällige, in Quantität und Qualität stark differierende<br />

Laufkundschaft angewiesen sind.<br />

Der schrittweise Aufbau beruflicher Kontaktnetze, den<br />

die Gründer neuer Büros, anders als die Einsteiger in bereits<br />

bestehende Kanzleien, in einem mittelfristigen Prozeß<br />

bewältigen müssen, kann angesichts der Wettbewerbsbeschränkungen<br />

im Anwaltsberuf im wesentlichen nur gelingen<br />

durch die Auslösung von Schneeballeffekten im Sinne<br />

eines sich kontinuierlich vergrößernden Systems der Weiterempfehlung<br />

durch zufriedene Klienten. Die wichtigsten<br />

Voraussetzungen für den erfolgreichen Aufbau eines beruflichen<br />

Kontaktnetzes sind einmal hohe juristische Fachkompetenz<br />

und zum anderen eine unbedingte Serviceorientierung<br />

gegenüber dem Mandanten. Letztere findet aus der<br />

Sicht der befragten Kanzleigründer ihren Niederschlag in:<br />

– einer klientenfreundlichen, Hemmschwellen abbauenden<br />

Büroausstattung und -atmosphäre, die nicht die Distanz<br />

des Anwalts zum Ratsuchenden unterstreicht, sondern ein<br />

Klima begünstigt, in dem der Mandant seine Schwellenangst<br />

überwindet und Vertrauen faßt;<br />

– einer Optimierung organisatorischer Abläufe zugunsten<br />

des Mandanten, z. B. durch Vermeidung von Wartezeiten<br />

oder durch Vor-Ort-lnformation;<br />

– der sensiblen und umfassenden Erfassung der Probleme<br />

des Mandanten;<br />

– preiswertem Rechtsrat in Routine- oder „Allerweltsfällen“;<br />

– sorgfältiger, zügiger und ansprechender Arbeit;<br />

– der Gleichbehandlung von Klienten ohne Ansehen der<br />

Person und ihrer finanziellen Möglichkeiten und schließlich<br />

– der Pflege der Mandantenbeziehungen durch über das<br />

Einzelmandat hinausgehende Beachtung der beruflichen<br />

und privaten Lebenslage des Mandanten.<br />

Wer sich in der beschriebenen Weise auf den Anwaltsberuf<br />

vorbereitet, kann angesichts der gegebenen Konkurrenzbedingungen<br />

dennoch nicht die Erwartung haben, von<br />

Beginn an durch anwaltliche Tätigkeit eine sichere materielle<br />

Existenzgrundlage zu finden. Er wird vielmehr wie<br />

nahezu alle mittelständischen Unternehmensgründer eine<br />

Durststrecke überwinden müssen. Die Umsatzanalysen zeigen,<br />

daß die befragten Kanzleigründer im Durchschnitt<br />

kontinuierliche Umsatzsteigerungen während der ersten 5<br />

Jahre zu verzeichnen haben und daß sie nach dieser Durststrecke<br />

ihre Existenz aus der anwaltlichen Tätigkeit sichern<br />

können. Dieses Durchschnittsergebnis schließt schnelleren<br />

Berufserfolg, insbesondere bei gefragter Spezialisierung<br />

oder auch bei einschlägigen beruflichen Vorerfahrungen,<br />

ebensowenig aus. wie die Möglichkeit des Scheiterns während<br />

der ersten 5 Jahre.<br />

Die für den wirtschaftlichen Erfolg neugegründeter Anwaltsbüros<br />

entscheidenden Einflußfaktoren lassen sich in<br />

zwei Gruppen unterteilen: Unter dem Aspekt der individuellen<br />

Qualifikation der Gründer kann festgestellt werden,<br />

daß die Güte des Examens (ggf. mit anschließender Promotion),<br />

Auslandserfahrungen oder Berufserfahrungen vor<br />

Gründung des eigenen Büros die Umsatzhöhe eindeutig<br />

und signifikant positiv beeinflussen.<br />

Unter den marktbezogenen Umsatzdeterminanten kommt<br />

der „Wirtschaftsnähe“ der Büros zentrale Bedeutung zu: Je<br />

mehr gewerbliche Klienten beraten und vertreten werden,<br />

um so höher ist der Umsatz der Anwaltsbüros. Dementsprechend<br />

erfolgreich sind auch junge Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte, die sich als Spezialisten im Wirtschaftsoder<br />

Steuerrecht einstufen können oder denen es gelungen<br />

ist, mit Steuerberatern zu kooperieren. Darüber hinaus ist in


614<br />

l<br />

der Tendenz erkennbar, daß auch Spezialisten im Arbeitsrecht,<br />

insbesondere in Sozietäten, auf schnelleren wirtschaftlichen<br />

Erfolg hoffen können. Dies gilt nicht nur für<br />

Einsteiger in bereits bestehende Kanzleien, sondern auch<br />

für die Gründer neuer Büros. Es hat sich darüber hinaus gezeigt,<br />

daß auch angestellte Rechtsanwälte oder freie Mitarbeiter<br />

in Anwaltsbüros bessere Verdienstmöglichkeiten haben,<br />

wenn sie solche Qualifikationen vorweisen können.<br />

Allerdings muß auf einen bedeutsamen geschlechtsspezifischen<br />

Unterschied hingewiesen werden: Junge Rechtsanwältinnen,<br />

die eigene Büros gegründet haben, müssen erheblich<br />

größere wirtschaftliche Probleme meistern als ihre<br />

männlichen Kollegen. Der Grund scheint darin zu liegen,<br />

daß gewerbliche Klienten zu jungen Rechtsanwältinnen eher<br />

auf Distanz gehen, ein Umstand, der zeigt, daß der Durchsetzungsprozeß<br />

von Frauen in der gewerblichen Wirtschaft<br />

und dem Anwaltsberuf noch längst nicht abgeschlossen ist.<br />

Wer unter den gegebenen verschärften Konkurrenzbedingungen<br />

als Jurist seine berufliche Zukunft zu planen hat,<br />

sollte sich darüber im klaren sein, daß die gewachsene<br />

Konkurrenz erhöhte Ansprüche der Beschäftigerseite an die<br />

individuelle Kompetenz nach sich zieht. Den Signalen der<br />

Nachfrageseite sollte er, unbeirrt von Abschreckungsparolen,<br />

schon während der Ausbildung nachgehen. Insbesondere<br />

sollte, wer den Anwaltsberuf ergreift, dies nicht aus<br />

Verlegenheit tun. Der Einstieg in den Anwaltsberuf, einen<br />

Freien Beruf, der neben hoher Kompetenz auch überdurchschnittlich<br />

hohen persönlichen Einsatz verlangt, sollte erst<br />

nach Prüfung aller in Betracht kommenden beruflichen<br />

Alternativen erfolgen.<br />

Wer unter diesen Voraussetzungen Anwalt aus Überzeugung<br />

werden möchte, sollte diesen Schritt nach einer soliden<br />

Vorbereitung und in rationell geplanten Gründungsschriften<br />

vollziehen.<br />

Ausbildung<br />

Praktische Studienzeit für Rechtsstudenten<br />

In AnwBl 1995, 611 f. wurde das „Tübinger Modell‚<br />

zur Ausgestaltung der Praktischen Studienzeit für Rechtsstudenten<br />

in der Anwaltsstation vorgestellt.<br />

Zwischenzeitlich hat das erste geplante Gruppen-Praktikum<br />

stattgefunden in der Zeit vom 16.9. bis 12.10.1996.<br />

Hierüber ist im folgenden zu berichten:<br />

I.<br />

Ausgangsüberlegungen<br />

Im Sommer 1995 hat der Anwaltverein Tübingen e. V.<br />

einen Arbeitskreis eingerichtet, der sich mit Fragen der<br />

Ausbildung von Jura-Studenten und Rechtsreferendaren beschäftigen<br />

sollte. Diesem haben sich sehr rasch angeschlossen<br />

Vertreter des Anwaltvereins Hechingen e. V. und der<br />

Rechtsanwaltskammer Tübingen.<br />

Dieser Arbeitskreis entwickelte die Vorstellung, anstelle<br />

nur verbaler Kritik an der derzeitigen Juristenausbildung<br />

einen eigenen Beitrag zum praxisbezogenen Lernen von<br />

Studenten der Rechtswissenschaft zu leisten.<br />

So entstand die Idee, in den Semesterferien den Rechtsstudenten<br />

in Verbindung mit ihrer Ausbildung anläßlich<br />

AnwBl 11/97<br />

Mitteilungen<br />

eines Praktikums bei einem von ihnen selbst gewählten<br />

Ausbildungsanwalt ein ergänzendes Gruppen-Praktikum anzubieten.<br />

In weiteren Gesprächen mit dem Dekan und dem Studiendekan<br />

der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-<br />

Universität Tübingen wurde von dort diese Anregung aufgegriffen<br />

und sowohl konkrete Werbung für dieses Praktikum<br />

unter den Studenten als auch Hilfestellung, insbesondere<br />

bei der Zurverfügungstellung von Unterrichtsräumen<br />

in der Universität, zugesagt.<br />

II.<br />

Programm<br />

Nach § 6 Abs. 2 der Justizausbildungs- und Prüfungsordnung<br />

Baden-Württemberg (JAPrO Ba-Wü) soll die Praktische<br />

Studienzeit (beim Anwalt) die Bedeutung des Rechts<br />

im Rechtsleben veranschaulichen und das Verständnis für<br />

die sozialen Bedingungen und Auswirkungen des Rechts<br />

sowie das Verhältnis von materiellem Recht und Verfahrensrecht<br />

erleichtern.<br />

Auch im Anwaltspraktikum sollte demzufolge zentral<br />

die Ausbildung bei dem vom Studenten selbst gewählten<br />

und ausgesuchten Anwalt stehen.<br />

Dieser Ausbildung beim einzelnen Anwalt wurde ein<br />

theoretischer Unterricht in der ersten Ausbildungswoche<br />

vorangestellt, in dem jeweils 4 Unterrichtsstunden über folgende<br />

Themen referiert wurde:<br />

– Einführungsveranstaltung zum Berufsbild der Rechtsanwälte,<br />

BRAO und BRAGO, Berufs- und Standesrecht<br />

– Der Anwalt im Zivilrecht<br />

– Der Anwalt im Strafrecht<br />

– Der Anwalt im Öffentlichen Recht<br />

– Verhandeln statt Streiten. Die außergerichtliche Tätigkeit<br />

des Rechtsanwalts.<br />

In den restlichen Wochen des insgesamt einmonatigen<br />

Praktikums wurden neben der Tätigkeit beim Ausbildungsanwalt<br />

mit der Teilnehmergruppe Gerichtsverhandlungen<br />

besucht, die zum Teil durch Vorbesprechungen oder die<br />

Zurverfügungstellung von Aktenauszügen vorbereitet wurden.<br />

Beteiligte Richter und Anwälte standen in den Verhandlungspausen<br />

oder nach der Verhandlung den Studenten für<br />

Fragen zur Verfügung.<br />

So wurde ein Zivilprozeß beim Landgericht (Schadensersatzprozeß),<br />

ein Mordprozeß beim Schwurgericht (Indizienprozeß),<br />

ein Verhandlungstag mit Güteverhandlungen<br />

beim Arbeitsgericht und ein Verhandlungstag beim Sozialgericht<br />

besucht.<br />

Am Ende des begleiteten Teils des Praktikums stand<br />

eine Abschlußveranstaltung, in der die Studenten über ihre<br />

Erfahrungen während des Praktikums berichteten und konkrete<br />

Verbesserungsvorschläge machen konnten.<br />

Einige wenige Angaben der Teilnehmer wurden zur Effizienzkontrolle<br />

statistisch durch Fragebogen erfaßt und<br />

ausgewertet.<br />

III.<br />

Teilnehmer des Praktikums<br />

Am Praktikum haben insgesamt 15 Studentinnen und<br />

Studenten teilgenommen. Sie waren überwiegend im mittleren<br />

Teil ihrer universitären Ausbildung (4. – 6. Semester),


AnwBl 11/97 615<br />

Mitteilungen l<br />

zwei wohl unmittelbar vor dem 1. Staatsexamen stehend<br />

(10. Semester).<br />

Die überwiegende Anzahl der Studenten hatte bereits<br />

ein anderes Praktikum, meist ein gerichtliches Praktikum<br />

absolviert und äußerte schon vor Beginn des Praktikums<br />

bereits mehrheitlich, besonders am Berufsbild des Rechtsanwalts<br />

Interesse gefunden zu haben. Dies läßt den Schluß<br />

zu, daß es sich bei den Interessenten für das Praktikum<br />

überwiegend um solche Jura-Studenten handelte, die wohl<br />

eher einer praktischen Ergänzung ihres Studiums nachgehen<br />

wollten und hier auch die Mühen eines begleiteten und<br />

damit kontrollierten Ausbildungsabschnitts nicht scheuten.<br />

Sie erhofften sich vom Praktikum eine breitgefächerte<br />

Darstellung anwaltlicher Praxis, ergänzende Informationen<br />

zum Studium, eine Erleichterung der späteren Berufswahl,<br />

aber auch eine bessere Organisation der Praktischen Studienzeit.<br />

IV.<br />

Verlauf des Praktikums<br />

Das Interesse an den angebotenen Veranstaltungen war<br />

durchgängig vorhanden, allenfalls der Besuch des Sozialgerichts<br />

fand wegen der Fortsetzung der zuvor besuchten<br />

Schwurgerichtsverhandlung zur gleichen Zeit nur eine vergleichsweise<br />

geringe Beachtung.<br />

Die Durchführung des Praktikums erforderte jedoch einen<br />

nicht unerheblichen Zeitaufwand für die Betreuer.<br />

Zahlreiche Termine mußten abgestimmt, die Veranstaltungen<br />

mit den Referenten, Richtern und den beteiligten Anwälten<br />

abgeklärt werden. Daneben fallen nicht unerhebliche<br />

organisatorische Aufgaben an (Anfragen,<br />

Anmeldungen, Scheinvergabe usw.), die nur mit tatkräftiger<br />

Hilfe der Rechtsanwaltskammer Tübingen bewältigt werden<br />

konnten.<br />

Am Ende der praktischen Studienzeit wurden die Teilnehmer<br />

nach ihren Erfahrungen befragt. Sie äußerten sich<br />

über das Praktikum im Gruppenteil im Ergebnis sehr positiv.<br />

Bis auf eine Ausnahme erklärten sie, daß der Beruf des<br />

Rechtsanwalts nunmehr eher erstrebenswert für sie sei, er<br />

sei doch „lebensnaher“ als bisher gedacht und man habe<br />

nunmehr ein konkreteres Berufsbild.<br />

Mehrheitlich fanden die Studenten die Informationen im<br />

Gruppenteil wichtiger als die beim Ausbildungsanwalt gesammelten<br />

Erfahrungen. Besonders hervorgehoben wurde<br />

dabei der vermittelte offene Einblick in den Berufsstand<br />

des Anwalts, aber auch des Richters, die Erfahrung im unmittelbaren<br />

Umgang mit Menschen, auch aus psychologischer<br />

Sicht, sowohl auf Seiten der beteiligten Juristen als<br />

auch der Mandanten.<br />

Wichtig erschien den Praktikanten auch die Erfahrung,<br />

daß neben dem Streit die konstruktive Verhandlung und die<br />

gütliche Einigung besondere Bedeutung haben.<br />

Die Teilnehmer erachteten das Praktikum insgesamt als<br />

Gewinn für ihr Studium. So wurde das Interesse auch für weniger<br />

beachtete Teile der Ausbildung (etwa Prozeßrecht) geweckt,<br />

eine Anbindung von Theorie an die Praxis geschaffen<br />

und damit eine zusätzliche Motivation zum Lernen initiiert.<br />

Kritik fand vor allem die teilweise ungenügende Betreuung<br />

beim Ausbildungsanwalt. Während ein Teil der Studenten<br />

sich auch hier gut aufgehoben und betreut fand, meinte<br />

ein anderer Teil, ihrem Ausbilder eher lästig gewesen zu<br />

sein („Der wußte gar nicht, was er mit mir anfangen sollte“.<br />

„Ich mußte mich regelrecht aufdrängen, bis ich eine Akte<br />

zum Lesen bekam“.)<br />

Demzufolge wünschten sich die Studenten im Praktikum,<br />

noch mehr an praktischem Einblick im Vergleich zur<br />

vermittelten Theorie zu erhalten, mehr in Entscheidungsprozesse<br />

bei der Bearbeitung von Fällen aktiv einbezogen<br />

zu werden, und konkrete Fallbesprechungen einschließlich<br />

selbst zu fertigender juristischer Fallanalysen.<br />

Geäußert wurde auch der Wunsch, in diesem Teil der<br />

Ausbildung sowohl konkrete Angaben über Berufsmöglichkeiten<br />

und Berufschancen als Anwalt zu erlangen, als auch<br />

mehr von der unternehmerischen Seite der Anwaltstätigkeit<br />

zu erfahren.<br />

Abschließend wurden die Teilnehmer gebeten, die einzelnen<br />

Teile des Praktikums mit 6 Notenstufen von sehr gut<br />

(1) bis ungenügend (6) zu bewerten.<br />

Die Benotung des Praktikums war im Gruppenteil gut<br />

(1,8 für die Einführungsveranstaltungen, 1,7 für die begleiteten<br />

Gerichtsveranstaltungen), im Teil Ausbildung in der<br />

Anwaltskanzlei im Schnitt befriedigend (3,1).<br />

Die individuell geäußerten Meinungen spiegelten diese<br />

durchschnittlich erhaltene Analyse wider.<br />

V.<br />

Bewertung<br />

Das Praktikum kann im Ergebnis als ein wichtiger<br />

Schritt angesehen werden, bereits im Studium Berufsperspektiven<br />

zu vermitteln und durch Anreize aus der Praxis<br />

Motivation für ein qualifiziertes Studium mit entsprechendem<br />

Examen zu schaffen.<br />

Offensichtlich könnte (und muß!) nicht nur die Ausbildung<br />

beim einzelnen Anwalt im Praktikum erheblich verbessert<br />

und intensiviert werden, sondern es sollte auch im<br />

Gruppenteil eine weitere Praxisorientierung als Gegengewicht<br />

zur theoretischen Ausbildung an der Universität<br />

(etwa durch Rollenspiel, Fallbesprechungen usw.) erfolgen.<br />

Ziel des Gruppen-Praktikums war von Anfang an,<br />

– zum einen zu erreichen, daß die in der ersten Ausbildungswoche<br />

im theoretischen Unterricht vermittelten Informationen<br />

den teilnehmenden Studenten systematisch<br />

geordnet vermittelt werden und<br />

– zum anderen, den einzelnen Anwalt, der einen Praktikanten<br />

in die Ausbildung übernimmt, von der Vermittlung<br />

dieser Inhalte zu entlasten.<br />

Dieser angestrebte Erfolg ist weitgehend erreicht worden.<br />

Darüber hinaus werden konkrete Hinweise zur Durchführung<br />

des Praktikums an die jeweils ausbildenden Anwälte<br />

erarbeitet werden, um eine qualifizierte Ausbildung<br />

auch in diesem Bereich des Anwaltspraktikums in der<br />

Kanzlei des jeweils ausbildenden Anwalts zu erreichen.<br />

Auf jeden Fall ist von Seiten der Beteiligten, also der<br />

Anwaltvereine Tübingen und Hechingen, der Rechtsanwaltskammer<br />

Tübingen und der Universität Tübingen die<br />

Fortführung des vorstehend besprochenen „Tübinger Modells“<br />

zur Ausgestaltung der praktischen Studienzeit für<br />

Rechtsstudenten in der Anwaltsstation beschlossene Sache.<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans Friedrichsmeier, Tübingen und<br />

Rechtsanwalt Horst Schmid, Reutlingen


616<br />

l<br />

Berufsrecht<br />

Zertifizierung und<br />

Verschwiegenheitspflicht<br />

Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter, Berlin<br />

1. Einführung<br />

Qualitätsmanagement in Anwaltskanzleien – kaum ein<br />

Thema ist derzeit in der Anwaltschaft so aktuell wie dieses.<br />

Dabei geht es zum einen um die Frage, inwieweit die Einführung<br />

eines Qualitätsmanagementsystems nach Din EN<br />

ISO 9000 ff überhaupt auf eine Anwaltskanzlei anwendbar<br />

ist 1 und zum anderen darum, ob die Zertifizierung des Qualitätsmanagements<br />

mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />

vereinbar ist. Die folgenden Ausführungen sollen<br />

sich nur mit der letzteren Fragestellung beschäftigen, sind<br />

als „Gegenäußerung“ zu dem Aufsatz von Blümel 2 zu verstehen<br />

und ziehen gegen die „Bedenkenträger“ einiger<br />

Rechtsanwaltskammern zu Felde.<br />

2. Grundsätze anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht<br />

Ziel der Einführung des Qualitätsmanagementsystems ist<br />

die Sicherung und Steigerung der Ertragsfähigkeit durch<br />

Optimierung aller Geschäftsprozesse, um die Forderungen<br />

und Erwartungen der Mandanten zu erfüllen und um das<br />

Zertifikat als Nachweis für die Fähigkeit zu erhalten, Qualität<br />

effektiv zu managen 3 . In der Vergangenheit sind wiederholt<br />

Bedenken angemeldet worden, ob die Einsichtnahme<br />

des Auditor in die innere Organisation der Anwaltskanzlei<br />

vor der Zertifizierung mit der in § 43a Abs. 2 BRAO normierten<br />

anwaltlichen Pflicht der Verschwiegenheit vereinbar<br />

sei. So äußerte die Rechtsanwaltskammr Berlin die Ansicht,<br />

daß die Zertifizierung einer Rechtsanwaltskanzlei die anwaltliche<br />

Verschwiegenheitspflicht dann verletze, wenn die<br />

Mandanten der zertifizierenden Kanzlei den Rechtsanwalt<br />

von seiner Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Auditor<br />

nicht entbunden haben 4 . Die Mandanten seien darauf hinzuweisen,<br />

daß den im Rahmen der Zertifizierung tätigen Auditoren<br />

kein prozessuales Aussageverweigerungsrecht zustehe,<br />

auch wenn sie sich zur Verschwiegenheit verpflichtet<br />

hätten.<br />

Die anwaltliche Verschwiegenheit ist die tragende Säule<br />

des Anwaltsberufes und Basis des Vertrauensverhältnisses<br />

zwischen Anwalt und Mandant 5 . Sie beruht auf dem besonderen<br />

Treueverhältnis zum Mandanten, der sich nur unter<br />

diesem Schutz zur Wahrung seiner Rechte seinem Berater<br />

voll anvertrauen kann. Der Grundsatz der Verschwiegenheitspflicht<br />

ist im wesentlichen bereits in § 203 StGB enthalten<br />

bzw. ergibt sich aus dem Mandatsvertrag. Nach § 203<br />

StGB ist der Rechtsanwalt verpflichtet, nicht unbefugt fremde<br />

Geheimnisse, insbesondere ein zum persönlichen Betriebs-<br />

oder Geschäftsgeheimnis gehörenden Umstand, der<br />

ihm als Rechtsanwalt anvertraut oder bekannt geworden ist,<br />

zu offenbaren 6 . Der Grundsatz der Verschwiegenheitpflicht<br />

des Anwaltes nach § 43a Abs. 2 BRAO ist jedoch weitergehend<br />

und bezieht sich nicht nur auf Geheimnisse i. S. des<br />

§ 203 StGB. Von der Verschwiegenheitspflicht i. S. d. § 43a<br />

Abs. 2 BRAO werden alle Tatsachen umfaßt, die dem Anwalt<br />

in Ausübung seines Berufes bekannt geworden sind 7 .<br />

Darunter fällt selbst die Tatsache, daß der Rechtsanwalt ein<br />

bestimmtes Mandat übernommen hat, ohne daß nähere Einzelheiten<br />

bekannt werden 8 .<br />

AnwBl 11/97<br />

Mitteilungen<br />

3. Das Audit<br />

Das Audit findet in den Kanzleiräumen statt, wobei die<br />

Wirksamkeit des Managementsystems und dessen Umsetzung<br />

beurteilt werden. Es umfaßt die Begehung der einzelnen<br />

Kanzleiräume, die stichprobenartige Prüfung der Aktenführung,<br />

die Überprüfung diverser Arbeitsabläufe, wie<br />

Postein- und -ausgang, Fristenkontrolle und -überwachung,<br />

Anlage und Ablage von Akten, Aufbewahrung und Archivierung<br />

von Akten etc. Es soll hier davon ausgegangen<br />

werden, daß eventuell einem Auditor anläßlich der Zertifizierung<br />

Informationen zur Kenntnis gelangen, die unter die<br />

Verschwiegenheitspflicht des Anwalts fallen, obwohl dies<br />

nicht immer der Fall sein muß 9 .<br />

4. Der Auditor als berufsmäßiger Gehilfe<br />

gem. § 203 Abs. 3 StPO<br />

In der neuen Berufsordnung ergibt sich aus § 2 Abs. 4,<br />

daß der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter und alle sonstigen<br />

Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken,<br />

zur Verschwiegenheit ausdrücklich zu verpflichten und anzuhalten<br />

hat. Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei unterliegen<br />

als berufsmäßig tätige Gehilfen gem. § 203 Abs. 3<br />

StGB selbst der strafrechtlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht.<br />

Den Mitarbeitern einer Kanzlei steht als sogenannten<br />

Berufshelfern gem. § 53a StPO ein eigenes Zeugnisverweigerungsrecht<br />

zu. An dieser Stelle sei die Anmerkung<br />

gestattet, daß es ein prozessuales Aussageverweigerungsrecht,<br />

wie in dem recht oberflächlichen Bericht der<br />

Berliner Rechtsanwaltskammer 10 erwähnt, überhaupt nicht<br />

gibt. Gemeint sein könnte allenfalls ein Auskunftsverweigerungsrecht<br />

gem. § 55 StPO, welches allerdings hier nicht<br />

einschlägig sein dürfte.<br />

Die Weitergabe von Informationen an Kanzleimitarbeiter/Gehilfen<br />

i.S. des § 53 a StPO bzw. § 203 Abs 3 StGB<br />

stellt keinen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht<br />

des Anwalts dar – weder aus berufsrechtlicher noch aus<br />

strafrechtlicher Sicht.<br />

Zu den berufsmäßig tätigen Gehilfen gehören die Personen,<br />

die die Tätigkeit des Rechtsanwaltes unterstützen;<br />

diese Tätigkeit muß jedoch nicht notwendig ein Beruf<br />

sein 11 . Bereits anerkannt ist dies für die Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern,<br />

vereidigten Buchprüfern, Steuerberatern und<br />

Software-Spezialisten 12 . Ähnlich gelagert sind auch die<br />

Fälle, in denen Dienstleister auftreten, die nur zeitweise in<br />

1 Dafür: Steinbrück, Qualitätsmanagement in der Anwaltskanzlei, Berliner<br />

AnwBl 1997, Heft 3, S. 82ff; Streck, Kilger, Ehnert, Die Anwendbarkeit der<br />

Normen ISO 9004 Teil 2 (Leitfaden) und ISO 9001 (Zertifizierungsmodell)<br />

auf die Dienstleistung des Rechtsanwalts, AnwBl 1997, Heft 4, S. 190ff;<br />

Streck, Anwaltschaft und ISO 9000, MDR 1996, Heft 9 R 1.<br />

2 Blümel, Die anwaltschaftliche Verschwiegenheit im Zertifizierungsverfahren,<br />

BRAK-Mitt. 1997, Heft 2, S. 51ff.<br />

3 Steinbrück, aaO, S. 82.<br />

4 Berliner AnwBl 1997 Heft 3, S. 110.<br />

5 Henssler, Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994, 1817.<br />

6 Tröndle, StGB § 203 Rdnr. 34.<br />

7 Eylmann, in: Henssler/Prütting, BRAO, § 43a Rdnr. 27.<br />

8 Vgl. Tröndle, aaO, Rdnr. 3; Lackner, StGB § 203 Rdnr. 14.<br />

9 Streck, Kilger, Ehnert, aaO, S. 190 gehen davon aus, daß die Beurteilungskriterien<br />

für die Zertifizierung weitgehend ohne Einblick in die konkrete Akte<br />

und ohne Bekanntgabe des Namens des Mandanten oder Dritten überprüft<br />

werden können. ebenso: Streck, aaO, R 1, der der Auffassung ist, daß der formale<br />

Ablauf eines Beratungsbüros durch einen Fremdprüfer kontrolliert werden<br />

kann, ohne daß dieser auch nur eine konkrete Akte sieht.<br />

10 Berliner AnwBl, aaO.<br />

11 Tröndle, aaO, Rdnr. 11.<br />

12 Ebd. Rdnr. 16.


AnwBl 11/97 617<br />

Mitteilungen l<br />

der Kanzlei tätig werden. Zu denken ist hier an den externen<br />

Schreibservice, der in die Kanzlei kommt, um Schriftsätze<br />

abzuholen und abzutippen, EDV-Techniker, die zeitweise<br />

in der Kanzlei sind, um die Software auf den neusten<br />

Stand zu bringen sowie sonstiges Technik- und Wartungspersonal.<br />

Entgegen der Ansicht von Blümel 13 kann dem Auditor<br />

nicht schon allein deswegen die Gehilfeneigenschaft<br />

i.S. des § 203 Abs. 3 StGB abgesprochen werden, weil die<br />

Zertifizierung auf freiwilliger Basis erfolge und nicht zwingend<br />

vorgeschrieben sei. Zum Kreis der anwaltlichen Mitarbeiter<br />

sind nämlich auch solche Personen zu zählen, die<br />

innerhalb des beruflichen Wirkungskreises eines der<br />

Schweigepflicht unterliegenden Rechtsanwaltes eine auf<br />

dessen berufliche Tätigkeit bezogene unterstützende Tätigkeit<br />

ausüben 14 . Die Tätigkeit muß dabei lediglich in einem<br />

inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit des Rechtsanwaltes<br />

stehen. Die Tätigkeit des Auditors, mit dem Rechtsanwalt<br />

gemeinsam Schwachstellen innerhalb der Kanzlei<br />

ausfindig zu machen, dürfte als Hilfeleistung für die Berufstätigkeit<br />

des Rechtsanwalts zu werten sein. Streck, Kilger,<br />

Ehnert weisen im übrigen völlig zu Recht darauf hin, daß<br />

auch zertifizierte Krankenhäuser mit der Verschwiegenheitspflicht<br />

keine Probleme hatten 15 .<br />

5. Konkludentes Einverständnis<br />

Die Offenbarung eines Geheimnisses ist dann nicht unbefugt,<br />

wenn der Verfügungsberechtigte sein Einverständnis<br />

erklärt. Dieses Einverständnis kann ausdrücklich oder konkludent<br />

erklärt werden 16 . Durch die Mandatserteilung wird<br />

der Mandant in der Regel konkludent sein Einverständnis<br />

geben, daß neben dem Anwalt selbst auch das in der Kanzlei<br />

tätige Personal über bestimmte Angelegenheiten des<br />

Mandats Informationen erhält. Das kann allerdings nur<br />

dann gelten, wenn dies im Interesse des Mandanten liegt 17 .<br />

Hier ist weiter nach dem Umfang der Information zu differenzieren.<br />

Bezüglich des kompletten Akteninhalts sind die<br />

Anforderungen an ein konkludentes Einverständnis wesentlich<br />

höher, als die Tatsache, daß der Mandant überhaupt<br />

den Anwalt beauftragt hat. Die komplette Weitergabe der<br />

Akten an Dritte, beispielsweise beim Verkauf einer Arztpraxis<br />

18 oder Anwaltskanzlei 19 ist nicht mehr vom konkludenten<br />

Einverständnis gedeckt. Dies wird vor allem aus<br />

dem auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten<br />

informellen Selbstbestimmungsrecht und dem besonderen<br />

Schutzbedürfnis personenbezogener Daten hergeleitet 20 .<br />

Der BGH hat in seinem Urteil vom 11.12.1991 21 entschieden,<br />

daß ein stillschweigendes oder schlüssig erklärtes Einverständnis<br />

des Patienten mit der Weitergabe seiner Unterlagen<br />

in der Regel ausscheide. Die Weitergabe kompletter<br />

Behandlungsunterlagen an den Praxisübernehmer sei nicht<br />

üblich und selbstverständlich, daß die Inanspruchnahme einer<br />

ärztlichen Behandlung vernüftigerweise und mit Rücksicht<br />

auf die Verkehrssitte nicht der Zustimmung zu einer<br />

Übergabe an den Nachfolger verstanden werden könne.<br />

Auch wenn Praxisübernahmen häufig vorkämen und ein<br />

solches Verfahren auch allgemein bekannt sei, bedeutet<br />

nicht, daß der Patient ohne weiteres davon ausgehen müsse,<br />

der Arzt, den er aufsucht, werde später die Behandlungsunterlagen<br />

einem anderen Arzt ohne Rücksprache überlassen.<br />

Ein stillschweigendes Einverständnis könne auch dem<br />

Umstand, daß die Praxisübergaben üblicherweise durch<br />

Hinweise in den Wartezimmern und Behandlungsräumen<br />

sowie durch Anzeigen in der örtlichen Tagespresse bekannt<br />

gemacht werden, nicht entnommen werden 22 .<br />

Diese für die Übergabe von Arztpraxen von der Rechtsprechung<br />

entwickelten Grundsätze sind entsprechend auf<br />

Anwaltskanzleien anwendbar23 . Sie gelten aber nur, wenn<br />

bei Praxisverkauf der gesamte Akteninhalt weitergegeben<br />

wird. Es ist aber auch aus Sicht des Mandanten ein erheblicher<br />

Unterschied, ob eine komplette Akte – etwa mit Angaben,<br />

welche Geliebte mit welcher Summe testamentarisch<br />

berücksichtigt werden soll – weitergegeben wird oder ein<br />

Auditor abstrakt prüft, wann bei einer Akte der Antrag auf<br />

Kostendeckung bei der Rechtsschutzversicherung gestellt<br />

wurde.<br />

Insoweit ist das Heranziehen der Rechtsprechung zum<br />

Praxisverkauf bei Blümel irreführend, da ein anderer Sachverhalt<br />

zugrunde liegt.<br />

Keiner besonderen Zustimmung des Mandanten bedarf<br />

es übrigens dann, wenn innerhalb einer Arztpraxis oder<br />

Anwaltskanzlei lediglich ein Personalwechsel stattfindet.<br />

Die neuen Mitarbeiter unterliegen den Weisungen und der<br />

Aufsicht des Arztes oder Rechtsanwaltes, dem der Patient<br />

bzw. Mandant sein besonderes Vertrauen im Hinblick auf<br />

den Umgang mit seinen Unterlagen entgegengebracht hat.<br />

Hier erhält nämlich keine neue dritte Person die alleinige<br />

Verfügungsgewalt über die Unterlagen wie dies im Falle einer<br />

Praxis- oder Kanzleiübernahme der Fall wäre.<br />

6. Mutmaßliche Einwilligung<br />

Eine Offenbarung ist ferner dann befugt, wenn ein<br />

Rechtfertigungsgrund vorliegt. Einen solchen stellt die mutmaßliche<br />

Einwilligung dar 24 . Diese ist dann anzunehmen,<br />

wenn der Verfügungsberechtigte zwar gefragt werden<br />

könnte, jedoch ohne weiteres davon ausgegangen werden<br />

kann, daß er bereits darauf keinen Wert legt 25 . Die mutmaßliche<br />

Einwilligung ist jedoch – vor dem Hintergrund des<br />

Volkszählungsurteils des BVerfG26 – nur in engen Grenzen<br />

anzunehmen. Diese Grenzen hält Blümel jedoch bei der<br />

Zertifizierung einer Rechtsanwaltskanzlei für überschritten,<br />

so daß sie eine mutmaßliche Einwilligung ablehnt 27 . Blümel<br />

übersieht jedoch auch hierbei, daß zwischen der kompletten<br />

Übergabe von Akten an einen Dritten und der – lediglich<br />

abstrakten – Kenntnisnahme des Auditors von organisatorischen<br />

Vorgängen ein gradueller Unterschied besteht. Während<br />

bei der vollständigen Übergabe von Akten der gesamte<br />

Inhalt bekannt gegeben wird, erhält der Auditor lediglich einen<br />

Einblick in den organisatorischen Ablauf einer Akte 28 .<br />

13 Blümel, aaO, S. 54.<br />

14 Pfordte/Gotzens, Die Schweigepflicht von Mitarbeitern einer Anwaltskanzlei<br />

im Lichte der neuen Berufsordnung, BRAK-Mitt. 1997, Heft 2 S. 84.<br />

15 Streck, Kilger, Ehnert, aaO, S. 191. Vgl. auch Tröndle, aaO, Rdnr. 11, der<br />

auch der mithelfenden Ehefrau und einem organisatorisch und funktionell<br />

getrennten Rechenzentrum eines Krankenhauses die Gehilfeneigenschaft gem.<br />

§ 203 Abs. 3 StGB zubilligt.<br />

16 Lenkner in: Schönke/Schröder, StGB § 203 Rdnr. 24b.<br />

17 BGH NJW 1995, 2915.<br />

18 BGHZ 116, 274; NJW 1992, 737.<br />

19 BGH NJW 1995, 2915.<br />

20 BVerfG NJW 1984, 419 „Volkszählungsurteil“.<br />

21 BGH NJW 1992, 737, 739<br />

22 Ebd., S. 739.<br />

23 BGH ZIP 1995, 1016.<br />

24 Lenckner in: Schönke/Schröder, aaO, Rdnr. 27; so auch Blümel, aaO, S. 54.<br />

25 Ebd.<br />

26 BVerfG, NJW 1984, 419.<br />

27 Blümel, aaO, S. 54.<br />

28 Hiervon geht Blümel selbst auch aus, Blümel, aaO, S. 52.


618<br />

l<br />

Hierzu nimmt der BGH in seinen Urteil vom 11.12.1991<br />

bezüglich der Veräußerung einer Arztpraxis an, daß eine<br />

ausdrückliche Zustimmung dann nicht erforderlich ist, wenn<br />

lediglich bestimmte Einzelheiten oder deren Häufigkeit keinem<br />

identifizierbaren Patienten zugeordnet werden könne29 .<br />

Da diese Grundsätze auch auf Anwaltskanzleien anwendbar<br />

sind, dürfte das Vorgehen des Auditors daher grundsätzlich<br />

vom mutmaßlichen Einverständnis des Mandanten gedeckt<br />

sein, da zum einen eine Organisationskontrolle und -überwachung<br />

in seinem Interesse ist und er zum anderen mit<br />

dem sachgerechten Einsatz von Hilfskräften trotz einer damit<br />

verbundenen Weitergabe von Geheimnissen i.d.R. einverstanden<br />

ist. Der Mandant weiß, daß sich der Anwalt üblicherweise<br />

zur Erledigung des Auftrags seines Personals<br />

oder spezieller Hilfskräfte bedient30 . Bei Absturz des Computersystems<br />

und Einschaltung eines Computerexperten<br />

würde kein Anwalt auf die Idee kommen, von jedem einzelnen<br />

Mandanten ein Einverständnis einzuholen, obwohl hier<br />

der Sachverständige auch Informationen über interne Vorgänge<br />

und Akteninhalte erhält. Hier kann nämlich der Anwalt<br />

im Interesse der Mandanten an der schnellen und ordnungsgemäßen<br />

Führung der Rechtsanwaltskanzlei i.d.R.<br />

von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen. Eine andere<br />

Vorgehensweise würde unter Umständen die Kanzlei für<br />

Tage oder Wochen zum völligen Erliegen bringen, bis sämtliche<br />

Einverständniserklärungen beigebracht worden sind.<br />

Und wie würde es sich in dem Fall verhalten, daß lediglich<br />

ein einziger Mandant sein Einverständnis nicht erteilt? Die<br />

Hinzuziehung von technischem Fachpersonal – und so wird<br />

man auch den Auditor einstufen müssen – erscheint aus der<br />

Sicht des Mandanten für eine Rechtsanwaltskanzlei üblich<br />

und geradezu selbstverständlich.<br />

Auch liegt der Einsatz des Auditors im Ergebnis im<br />

Interesse des Mandanten, da durch diese Beratung die Qualität<br />

der Dienstleistung innerhalb der Anwaltskanzleien<br />

angehoben werden soll, was im Endeffekt dem Mandanten<br />

zugute kommt31 . Etwas differenzierter wird man die Frage<br />

allerdings betrachten müssen, wenn es um konkrete Akteninhalte<br />

einzelner Mandate geht. So ist die Hinzuziehung eines<br />

weiteren Anwalts, dem der komplette Akteninhalt offenbart<br />

werden soll, nur mit Zustimmung des Mandanten<br />

zulässig 32 . Der Großteil der Aufgaben, die durch den Auditor<br />

innerhalb einer Rechtsanwaltskanzlei wahrgenommen<br />

werden, dürfte allerdings aus den oben angeführten Gründen<br />

von der mutmaßlichen Einwilligung der Mandanten gedeckt<br />

sein, sofern der Auditor dementsprechend von dem<br />

Anwalt zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde.<br />

7. Zusammenfassung<br />

Somit dürfte feststehen, daß der Auditor eines Zertifizierungsverfahrens<br />

innerhalb einer Anwaltskanzlei als Gehilfe<br />

i.S. des § 53a StPO bzw. § 203 Abs. 3 StGB einzustufen<br />

ist. Die Weitergabe von abstrakten Informationen über die<br />

Kanzleiabläufe verstößt nicht gegen die Verschwiegenheitspflicht<br />

des Anwalts – weder aus berufsrechtlicher noch aus<br />

strafrechtlicher Sicht. Sie ist darüber hinaus von der mutmaßlichen<br />

Einwilligung des Mandanten gedeckt, sofern<br />

nicht komplette Akteninhalte weitergegeben werden. Dies<br />

gilt im übrigen unabhängig davon, ob der Auditor selbst<br />

Rechtsanwalt ist oder nicht.<br />

Es bleibt zu hoffen, daß den oberflächlichen Bemerkungen<br />

im Berliner <strong>Anwaltsblatt</strong> 33 keine abschreckende Wirkung<br />

zukommt. Wer sich zertifizieren lassen will, kann dies<br />

ohne Bedenken tun.<br />

AnwBl 11/97<br />

Mitteilungen<br />

29 AaO, S. 740.<br />

30 So auch: BGH, NJW 1995, 2915, 2916; Lackner in Schönke/Schröder, StGB<br />

§ 203 Rdnr. 24, 27.<br />

31 Fasel, Qualitätssicherung und anwaltliches Berufsrecht, BRAK-Mitt. 1997,<br />

Heft 2, S. 55.<br />

32 KG NJW 1992, 2771.<br />

33 Berliner AnwBl, aaO.<br />

Gebührenfragen<br />

Die Neuberechnung der Gebühren nach<br />

Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des § 13 Abs. 5 S.<br />

2 BRAGO bei „Altmandaten“<br />

1. Schon immer war es für den Anwalt recht ärgerlich,<br />

wenn ein gerichtliches oder außergerichtliches Verfahren,<br />

ohne zu einem endgültigen Abschluß gekommen zu sein, in<br />

Stillstand geraten war und nach Jahr und Tag plötzlich wieder<br />

angerufen wurde. Der Anwalt hatte längst abgerechnet.<br />

Jetzt mußte er sich erneut in die Materie einarbeiten, und<br />

§ 13 Abs. 5 BRAGO alter Fassung belehrte ihn dahin, daß<br />

seine Tätigkeit nunmehr kostenlos zu erfolgen habe, soweit<br />

die Gebühren in dieser Sache bereits zuvor verfallen waren.<br />

Schließlich, so das Gesetz, handle es sich hierbei um dieselbe<br />

Angelegenheit, in der er bereits früher tätig geworden<br />

sei, mit der Folge, daß die Gebühren eben nur einmal verfallen.<br />

Diesem Ärgernis hat das Kostenrechtsänderungsgesetz 1<br />

durch Anfügung des Satzes 2 an § 13 Abs. 5 BRAGO für<br />

die Zukunft weitgehend abgeholfen, indem nunmehr eine<br />

Kostenneuberechnung zugelassen wird, wenn seit vorausgegangener<br />

Erledigung des Auftrags 2 Kalenderjahre vergangen<br />

sind. Kalenderjahre müssen es sein, d. h. die Zwei-Jahres-Frist<br />

beginnt erst mit dem 1.1. des auf die Erledigung<br />

folgenden Kalenderjahres 2 (entsprechend der Regelung für<br />

die kurze Verjährung, § 201 BGB).<br />

2. Wann ein Auftrag „erledigt“ im Sinne von § 13 Abs. 5<br />

S. 2 BRAGO ist, sagt das Gesetz nicht. Einen Anhalt bietet<br />

§ 16 BRAGO (Fälligkeit der Anwaltsvergütung): In gerichtlichen<br />

Verfahren ist der faktische Stillstand des Prozesses<br />

maßgeblich (der nach Ablauf von 3 Monaten die Fälligkeit<br />

der Gebühren auslöst). Gleichgültig bleibt, ob das Verfahren<br />

ausgesetzt, das Ruhen des Verfahrens angeordnet oder der<br />

Prozeß lediglich nicht weiterbetrieben wurde. Bei außergerichtlicher<br />

Tätigkeit ist derjenige Zeitpunkt maßgeblich, ab<br />

dem der Anwalt, sei es kraft ausdrücklicher Weisung, sei es<br />

mit stillschweigender Billigung des Mandanten oder aus anderen<br />

Gründen keine Tätigkeit mehr in der Sache entwikkelt,<br />

ohne den Auftrag zum endgültigen Abschluß gebracht<br />

zu haben.<br />

Nun fordert die Übergangsvorschrift des § 134 Abs. 1<br />

BRAGO für die Vergütung des Anwalts generell, daß altes<br />

Recht anzuwenden sei, wenn der unbedingte Auftrag vor<br />

Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilt worden ist. Daraus<br />

folgert: Wurde der unbedingte Auftrag nach dem 1.7.1994<br />

1 Gesetz vom 24.6.1994, BGBl I 1325<br />

2 Worauf Gerold/Schmidt, 12. Aufl., § 13 Rdnr. 93 zu Recht hinweist.


AnwBl 11/97 619<br />

Mitteilungen l<br />

(Inkrafttreten der Neuregelung) erteilt und ist er noch im<br />

selben Jahr zum Stillstand geraten, so läuft die Zwei-Jahres-Frist<br />

am 31.12.1996 ab, mit der Folge, daß ab 1.1.1997<br />

der Auftrag, die Angelegenheit weiterzubetreiben, die Gebühren<br />

neu verfallen läßt. Die Anwendung des neuen<br />

Rechts ist sonach frühestens bei Wiederaufnahme der Tätigkeit<br />

ab 1.1.1997 möglich. Endigte oder endigt die Tätigkeit<br />

vor Erledigung des Auftrages nach dem Jahre 1994, so<br />

verschiebt sich der gebührenrechtlich relevante Zeitpunkt<br />

entsprechend um ein oder mehrere Kalenderjahre.<br />

3. Unklar bleibt die Situation bei Mandaten, die noch<br />

vor dem 1.7.1994 erteilt worden sind („Altmandate“).<br />

Nimmt man die Übergangsregelung wörtlich, so könnte in<br />

diesen Fällen die Neuregelung nie zur Anwendung gelangen,<br />

selbst dann nicht, wenn die Wiederaufnahme der Tätigkeit<br />

erst in Jahren, womöglich erst im kommenden Jahrtausend<br />

erfolgt. Dies kann nicht Sinn einer<br />

Übergangsregelung sein.<br />

Das Gesetz hebt auf den Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung<br />

ab und gewährt damit einen gewissen Vertrauensschutz<br />

während des Laufs eines Mandates. Zugleich<br />

erfülle die Übergangsregel eine Abgrenzungsfunktion. All<br />

dies ist sinnvoll. Doch gilt der Vertrauensschutz nicht uneingeschränkt:<br />

Geht ein Rechtsstreit in die Instanz, so ist<br />

für die Anwendung des neuen Rechts der Zeitpunkt der<br />

Einreichung des Rechtsmittels maßgeblich (§ 134 Abs. 1 S.<br />

2 BRAGO). Bezog sich das Mandat zunächst auf eine außergerichtliche<br />

Tätigkeit, so gilt im Falle der gerichtlichen<br />

Geltendmachung der Zeitpunkt der Klagerhebung als maßgeblich,<br />

und zwar auch dann, wenn diese von Anfang an<br />

ins Auge gefaßt, der Auftrag zur Klagerhebung jedoch nur<br />

unter der Bedingung des Scheiterns der außergerichtlichen<br />

Bemühungen erteilt war. 3<br />

Die Übergangsvorschrift des § 134 BRAGO gilt nun<br />

nicht speziell für das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994,<br />

sondern generell für Änderungen des Gebührenrechts<br />

(§ 134 Abs. 1 S. 3 BRAGO). Sie bedarf, soweit das mehrjährige<br />

Ruhen eines Mandats in Rede steht, einer ergänzenden<br />

Auslegung. Es kann schlicht nicht Sinn und Zweck des<br />

Übergangsrechtes sein, die alte Regelung des § 13 Abs. 5<br />

BRAGO auch in das kommende Jahrtausend hinüber zu retten.<br />

Weder gebietet dies der Vertrauensschutz, noch mangelt<br />

es an einem geeigneten, sich aus dem Gesetz abzuleitenden<br />

Abgrenzungskriterium: Wenn ein Altmandat nach<br />

dem 1.7.1994 im übrigen die vollen Voraussetzungen des<br />

§ 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO erfüllt, besteht kein Grund, die<br />

Neuregelung nicht zur Anwendung zu bringen. Der Zeitablauf<br />

davor muß allerdings dem Sinn der Übergangsregelung<br />

entsprechend unberücksichtigt bleiben.<br />

Beispiel: Ein Altmandat gerät bereits 1993 zum Stillstand.<br />

Die Zwei-Jahres-Frist beginnt jedoch erst ab 1.1.1995<br />

zu laufen, mit der Folge, daß eine Wiederaufnahme des<br />

Mandats nach dem 1.1.1997 die Gebühren neu erwachsen<br />

läßt. 4 War das Altmandat noch im Laufe des Jahres 1994<br />

oder später zum Stillstand gekommen, so gilt die Neuregelung<br />

bei erneuter Auftragserteilung schlicht nach Ablauf<br />

zweier Kalenderjahre entsprechend § 13 Abs. 5 S. 2 BRA-<br />

GO.<br />

Mit der sich aus Vorstehendem ergebenden Einschränkung<br />

muß sonach das neue Recht auch auf Altmandate Anwendung<br />

finden. Es widerspräche Sinn und Zweck des<br />

§ 134 BRAGO, der sich ja generell mit der jeweiligen Abgrenzung<br />

alten und neuen Rechts befaßt, durch Anklammern<br />

an den bloßen Wortlaut des Gesetzes die Anwendung<br />

des neuen Rechts speziell auf Fälle zu verhindern, die durch<br />

jahrelanges Ruhen eines Mandates charakterisiert sind<br />

Fazit:<br />

Die Regelung des § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO gilt für Altmandate<br />

mit der Einschränkung, daß die erneute Beauftragung<br />

nach dem 1.1.1997 erfolgt sein muß und seit Mandatsstillstand<br />

zwei Kalenderjahre verstrichen sind.<br />

Rechtsanwalt Dr. Kurt Mayer, Ellwangen<br />

3 Gerold/Schmidt aaO § 134 Rdnr. 7. Nur wenn der „unbedingte Auftrag“ zur<br />

Klagerhebung (§ 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO) vor Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />

erteilt war, gilt das neue Recht nicht. Vgl. OLG Koblenz<br />

NJW RR 1996/632 – MDR 1995/1173. Wie hier: Madert, AnwBl 1994, 305.<br />

Anders, wenn die Bedingung noch vor dem 1.7.1994 eingetreten war, so zufolge<br />

Ablaufs der dem Gegner außergerichtlich gesetzten Frist.<br />

4 Das bedeutet gleichzeitig, daß dann auch die neuen Gebührensätze gelten, was<br />

nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist dem Sinn des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />

entspricht.<br />

Verzicht auf Verkehrsgebühr bei<br />

Gebührenteilung?<br />

Seitdem die Gebührenteilung zwischen Prozeßbevollmächtigtem<br />

und Verkehrsanwalt für zulässig erachtet wird, gibt es<br />

den Streit darüber, ob die Verkehrsgebühr in die zu teilenden<br />

Gebühren immer einzustellen ist oder ob der Verkehrsanwalt<br />

vorschlagen und mit dem Prozeßbevollmächtigten vereinbaren<br />

darf, eine bei ihm anfallende Verkehrsgebühr nicht in die Teilung<br />

einzustellen, weil er diese Gebühr dem Mandanten vereinbarungsgemäß<br />

nicht berechnen kann. Viele kluge Köpfe<br />

haben sich darüber heiß geredet, viel Papier wurde mit tiefschürfenden<br />

Argumentationen gefüllt. § 22 der neuen Berufsordnung<br />

hilft nicht weiter, denn er gilt („in der Regel“) nur<br />

bei mangelnder anderweitiger Vereinbarung. Man verweist<br />

deshalb immer wieder auf § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO, wonach<br />

ein Verzicht auf die Berechnung entstandener Gebühren unzulässig<br />

ist. Dabei wird übersehen, daß dieses Verbot nur gilt,<br />

soweit die BRAGO „nichts anderes bestimmt“. Diese andere<br />

Bestimmung kann in Bezug auf unser Thema in § 3 Abs. 5<br />

BRAGO gefunden werden, wonach in außergerichtlichen Angelegenheiten<br />

der vereinbarte Verzicht auf die Geltendmachung<br />

einer entstandenen Gebühr zulässig ist. Ist diese Gesetzesbestimmung<br />

so zu lesen (und anders wird man sie wohl<br />

nicht verstehen können), daß ein Verzicht immer dann zulässig<br />

ist (natürlich immer unter der Prämisse angemessenen Verhältnisses<br />

zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko),<br />

wenn von ihm eine außergerichtliche Gebühr betroffen ist,<br />

dann kann der Verkehrsanwalt, der kraft Teilungsvereinbarung<br />

an den Gebühren des Prozeßbevollmächtigten beteiligt ist, auf<br />

die Geltendmachung einer Verkehrsgebühr verzichten, denn<br />

diese Gebühr ist eine außergerichtliche Gebühr (Hartmann<br />

KostG 27. Aufl. § 3 BRAGO Rdnr. 72). Damit wäre – dem<br />

einen zur Freud, dem anderen zum Leid – der ausufernde<br />

Streit auf sehr einfache Weise gelöst.<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans Kaiser, Karlsruhe


620<br />

l<br />

Haftpflichtfragen<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

Viele Anwälte verderben den Fall – wer haftet?<br />

Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, daß er<br />

die Verantwortung für ein Mißgeschick oder Fehlverhalten<br />

nicht gern auf sich nimmt. Selbst der Rechtsanwalt ist gemeinhin<br />

vor einer solcher Haltung nicht gefeit. Wird er<br />

also von seinem Mandanten in Regreß genommen, so wird<br />

– neben der Frage, ob überhaupt ein Fehler unterlaufen ist,<br />

immer auch geschaut, ob nicht jemand anderes die Verantwortung<br />

für den Schaden trägt. Zuweilen liegt es nahe, dem<br />

Mandanten zumindest ein Mitverschulden vorzuwerfen. Sofern<br />

jedoch sogar ein anderer Anwaltskollege mit derselben<br />

Angelegenheit befaßt war, stellt sich die Frage, ob nicht<br />

(auch) dieser mithaftet. Grundsätzlich kann eine positive<br />

Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages bereits entstehen,<br />

wenn der Rechtsanwalt nicht auf Umstände hinweist, die<br />

nur ganz am Rande mit seinem eigentlichen Mandat zusammenhängen.<br />

Insofern ist es im Einzelfall schwierig, die<br />

Aufgabenbereiche mehrerer gleichzeitig oder nacheinander<br />

mandatierter Anwälte abzugrenzen. Interessant ist dabei<br />

insbesondere auch die Problematik, inwieweit sich der Anwalt<br />

auf die Ordnungsmäßigkeit des Tätigwerdens des Kollegen<br />

verlassen darf, und ob damit gegebenenfalls eine Beschränkung<br />

des eigenen Prüfungsumfangs verbunden ist.<br />

Hierzu hat der BGH in der unten näher erläuterten Entscheidung<br />

vom 13.3.97 Stellung genommen.<br />

I. Gleichzeitig tätige Anwälte<br />

1. Unterbevollmächtigte<br />

Bei unterbevollmächtigten Rechtsanwälten (zumeist für<br />

die Prozeßvertretung vor dem Amtsgericht) ist zu unterscheiden,<br />

ob die Unterbevollmächtigung mit oder ohne Einverständnis<br />

des Mandanten erfolgte: letzterenfalls haftet der<br />

Hauptbevollmächtigte für das Verschulden des Unterbevollmächtigten<br />

gemäß § 278 BGB voll. Bei Unterbevollmächtigung<br />

mit Zustimmung des Mandanten sollte noch nach<br />

Seltmann, VersR 74, 97, der Hauptbevollmächtigte seine<br />

Haftung auf das Auswahlverschulden beschränken können.<br />

Dabei drängt sich allerdings die Frage auf, ob nicht jeder<br />

zugelassene Rechtsanwalt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße<br />

Auswahl entsprechen müßte, und ob damit<br />

eine Haftung für den Unterbevollmächtigten gänzlich entfällt.<br />

Ein Mandatsverhältnis besteht dann nur zwischen dem<br />

Unterbevollmächtigten und dem Mandanten, der Unterbevollmächtigte<br />

haftet entsprechend für die ihm hieraus erwachsenden<br />

Pflichten, die sich aus der Art der Unterbevollmächtigung<br />

ergeben.<br />

2. Prozeßbevollmächtigter und Verkehrsanwalt<br />

Die wohl häufigste Konstellation gleichzeitig tätiger Anwälte<br />

ist die Beauftragung eines Verkehrsanwalts und eines<br />

Prozeßbevollmächtigten, was zumeist dann der Fall ist,<br />

wenn der „Hausanwalt“ im konkreten Fall nicht beim zuständigen<br />

Gericht zugelassen ist. Die Haftungsverteilung<br />

zwischen Verkehrsanwalt und Prozeßbevollmächtigtem<br />

basiert im Grundsatz darauf, daß jeder der Rechtsanwälte<br />

einen eigenen Verantwortungsbereich hat (BGH NJW 88,<br />

1079). Im einzelnen lassen sich hieraus folgende Pflichten<br />

ableiten:<br />

AnwBl 11/97<br />

Mitteilungen<br />

a) Verkehrsanwalt<br />

Der Verkehrsanwalt ist derjenige, der den tatsächlichen<br />

Kontakt mit dem Mandanten hat. Er ist daher vorgerichtlich<br />

für die umfassende Aufklärung des Sachverhalts sowie für<br />

das Ergreifen anspruchserhaltender (z. B. Verjährungsunterbrechung)<br />

oder schadensmindernder (z. B. Anerkenntnis)<br />

Maßnahmen verantwortlich. Auch im laufenden Prozeß ist<br />

er derjenige, der für die Information des Mandanten und für<br />

die erforderliche Aufklärung durch den Mandanten sorgen<br />

muß (vgl. zur „Arbeitsteilung“ die vom OLG Frankfurt,<br />

MDR 81, 51 aufgestellten Grundsätze). Soweit der Mandant<br />

Entscheidungen treffen muß, z. B. über den Abschluß eines<br />

Vergleichs o. ä., muß er die für diese Entscheidung erforderliche<br />

Beratung leisten. Schließlich hat der Verkehrsanwalt<br />

als Mittelsmann zwischen Prozeßbevollmächtigtem und<br />

Mandant zu fungieren, d. h. er muß für fristgerechte Übermittlung<br />

sorgen und die jeweiligen Informationen weitergeben.<br />

Eine Überwachungspflicht hinsichtlich des Prozeßbevollmächtigten<br />

obliegt dem Verkehrsanwalt nicht, es sei<br />

denn, daß sich eine nicht ordnungsgemäße Prozeßführung<br />

aufdrängt (BGH NJW 88, 1079).<br />

b) Prozeßbevollmächtigter<br />

Der Prozeßbevollmächtigte ist für das Führen des Prozesses<br />

an sich, d. h. er ist jedenfalls dafür verantwortlich, daß alle<br />

gerichtlichen Fristen eingehalten werden und daß die Ansprüche<br />

des Mandanten durch geeigneten Vortrag bestmöglich<br />

durchgesetzt werden. Hierzu gehört es insbesondere auch,<br />

daß der Mandant (über den Verkehrsanwalt) auf eine etwa bestehende<br />

Gerichtspraxis, auf sich im Rechtsstreit entwickelnde<br />

relevante Rechtsfragen und deren Bedeutung sowie auf das<br />

Erfordernis weiterer Informationen und etwaiger prozeßrechtlicher<br />

Nachteile im Fall der Nichtbeibringung hinweisen<br />

muß. Am Ende der Instanz muß eine Belehrung über mögliche<br />

Rechtsmittel und deren Einlegungsfrist erfolgen.<br />

3. Insbesondere: Stempelanwalt<br />

Wer glaubt, daß immer derjenige die Verantwortung für einen<br />

Schriftsatz trägt, der ihn tatsächlich verfaßt, unterliegt einem<br />

Irrglauben: vielmehr ist es so, daß der Prozeßbevollmächtigte<br />

allein für den Inhalt der Schriftsätze verantwortlich<br />

ist, und zwar auch dann, wenn er nur als sogenannter „Stempelanwalt“<br />

agiert, d. h. die Schriftsätze faktisch vom Verkehrsanwalt<br />

verfaßt werden (BGH NJW-RR 90, 1241). Besonders<br />

mißlich ist diese Situation, wenn – wie häufig – der<br />

Schriftsatz erst 5 Minuten vor Büroschluß am Tag des Fristablaufs<br />

per Fax eintrifft, so daß in der Tat nur noch Zeit bleibt,<br />

den Stempel und die Unterschrift hinzuzufügen. Angesichts<br />

der Verantwortlichkeit für den Schriftsatz ist gleichwohl immer<br />

anzuraten, daß dem Korrespondenzanwalt eine kürzere<br />

Frist zur Übermittlung des Schriftsatzes gesetzt wird, damit<br />

dieser eingehend überprüft werden kann (insbesondere auf<br />

Schlüssigkeit, aber auch im Hinblick auf Hinweise oder aber<br />

Gepflogenheiten des Gerichts), und gegebenenfalls Veränderungen<br />

vorgenommenen werden können. In einem Beschluß<br />

vom 23.1.97 (NJW-RR 97, 824) hat der BGH dieses Verhältnis<br />

nochmals bestätigt und festgestellt, daß der Prozeßbevollmächtigte<br />

auch dann, wenn der Korrespondenzanwalt die<br />

Schriftsätze fertigt, zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist<br />

verpflichtet ist und entsprechend vor Ablauf der<br />

Frist nachzufragen hat, ob die Berufung begründet werden<br />

soll.<br />

II. Nacheinander tätige Anwälte<br />

Wird für die Rechtsmittelinstanz ein neuer Anwalt<br />

beauftragt, gilt im Prinzip dasselbe: Der Rechtsmittelanwalt<br />

ist ab Mandatsannahme allein verantwortlich für den Pro-


AnwBl 11/97 621<br />

Mitteilungen l<br />

zeßverlauf. Wird der erstinstanzliche Rechtsanwalt noch als<br />

Verkehrsanwalt tätig, so haftet er wie dieser. Ansonsten<br />

endet sein Mandat mit der Abgabe an den Rechtsmittelanwalt.<br />

Dabei muß er sowohl die Annahme des Mandats<br />

durch den Rechtsmittelanwalt überwachen, als auch das zutreffende<br />

Zustellungsdatum und/oder die Rechtsmittelfrist<br />

mitteilen (BGH NJW 88, 3020). Hat der erstinstanzliche<br />

dem zweitinstanzlichen Anwalt allerdings ein falsches Zustellungsdatum<br />

mitgeteilt, kommt eine Wiedereinsetzung<br />

grundsätzlich in Betracht. In einer neueren Entscheidung<br />

vom 22.1.97 (NJW-RR 97, 759) ging es um den Beginn der<br />

Wiedereinsetzungsfrist. Der zweitinstanzliche Anwalt hatte<br />

die Gerichtsakte zur Einsicht angefordert, zunächst aber<br />

nur kopieren lassen. Der BGH gesteht ihm dann zu, daß<br />

das Vorhandensein der Kopie in der Kanzlei alleine noch<br />

keine Überprüfungspflicht auslöst, so daß die Wiedereinsetzungsfrist<br />

erst später begann.<br />

III. Rettungspflichten<br />

Im Fall der Übernahme eines durch wen auch immer<br />

beendeten Mandats gibt es grundsätzlich keine Überschneidungen<br />

in der Verantwortlichkeit: jeder Rechtsanwalt haftet<br />

für den Zeitraum, in dem er tätig war. Ist einem zuvor oder<br />

gleichzeitig mandatierten Kollegen eine Pflichtverletzung<br />

unterlaufen, für die der andere eindeutig nicht einzustehen<br />

hat, so stellt sich gleichwohl die Frage, ob und inwieweit<br />

dem Fehler bei der weiteren Behandlung des Falles Rechnung<br />

zu tragen ist. Konkret geht es darum, ob der Fehler<br />

des anderen Anwalts erkannt werden muß, und ob Maßnahmen<br />

gegen den Kollegen ergriffen werden müssen.<br />

1. Vertrauen auf den Anwaltskollegen?<br />

In dem Fall, daß der zweite Anwalt dem selben Irrtum<br />

unterliegt, ist von einer Pflichtverletzung beider je in ihrem<br />

Verantwortungsbereich auszugehen. Grundsätzlich kommt<br />

dafür eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht. Das<br />

Versehen des zweiten Anwalts ist allerdings nur dann kausal<br />

für den Schaden, wenn sich der Kausalverlauf durch<br />

sein Tätigwerden ändert (BGH NJW\/ 93, 1779). Eine Unterbrechung<br />

des Kausalverlaufs wird nur angenommen,<br />

wenn „in ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den<br />

schadensträchtigen Geschehensablauf eingegriffen wird“<br />

(BGH NJW 93, 2797).<br />

Wird der zweite Anwalt gerade zu dem Zweck mandatiert,<br />

einen Fehler des ersten Anwalts zu beheben, wird ein<br />

Verschulden dabei der Partei zugerechnet, so z. B. wenn<br />

kein geeignetes Rechtsmittel eingelegt wird (BGH NJW<br />

94, 1211) oder wenn ein aussichtsloses Rechtsmittel nicht<br />

zurückgenommen wird (BGH NJW 94, 2822).<br />

2. Vorgehen gegen den Kollegen?<br />

Angesichts der kurzen Verjährungsfrist für Regreßansprüche<br />

gemäß § 51 b BRAO wird der zweite Anwalt immer<br />

sofort zu prüfen haben, ob Regreßansprüche gegen den<br />

zuvor befaßten Kollegen bestehen, und gegebenenfalls,<br />

wann diese zu verjähren drohen. Dies soll sogar dann gelten,<br />

wenn das Mandat nur die Vertretung in einem bestimmten<br />

Rechtsstreit umfaßt, jedoch für ihn ersichtlich ist, daß<br />

bei Verlust des Prozesses Ansprüche gegen einen Dritten<br />

(im entschiedenen Fall gegen den Steuerberater) in Betracht<br />

kämen, und der Auftraggeber insoweit nicht anderweitig beraten<br />

ist. Dabei darf sich der Anwalt grundsätzlich nicht<br />

darauf verlassen, daß ein Sekundäranspruch entsteht (BGH<br />

NJW 93, 2045). Praktisch heißt dies allerdings schon, daß<br />

bei Übernahme eines laufenden Mandats immer auch zu<br />

prüfen ist, ob Regreßansprüche gegen den vorherigen Anwalt<br />

bestehen, und wann diese gegebenenfalls verjähren.<br />

IV. Eingeschränktes Mandat<br />

Ein Sonderproblem in bezug auf die Pflicht zur Überprüfung<br />

der Richtigkeit des Handelns anderer befaßter Anwälte<br />

liegt in einer etwaigen Beschränkung des Mandats.<br />

Der häufigste Fall einer Mandatsbeschränkung wurde bereits<br />

besprochen: zwischen Prozeßbevollmächtigtem und<br />

Verkehrsanwalt herrscht grundsätzlich eine klare Aufgabenverteilung.<br />

Etwas anders stellte sich die Situation in dem bereits erwähnten<br />

vom BGH unlängst entschiedenen Fall (BGH U. v.<br />

13.3.97, NJW 97, 2168) dar: es ging dort um einen Amtshaftungsanspruch<br />

gegen eine kassenzahnärztliche Vereinigung.<br />

Der erste Anwalt des Klägers hatte mit der KZV ein<br />

Gespräch geführt, bei dem diese jedoch nur mitteilte, sie<br />

habe zu keinem Zeitpunkt Verhandlungsbereitschaft gezeigt.<br />

Es wurde sodann ein zweiter Anwalt mit der gerichtlichen<br />

Geltendmachung der Ansprüche beauftragt. Diesem<br />

wurden zwei Rechtsgutachten des ersten Anwalts überreicht,<br />

nach denen Verhandlungen stattgefunden hatten und<br />

Verjährung der Schadensersatzforderung noch nicht eingetreten<br />

sei. Nachdem die Klage tatsächlich wegen Verjährung<br />

erfolglos blieb, stellte sich die Frage einer anwaltlichen<br />

Pflichtverletzung des Prozeßbevollmächtigten: der<br />

BGH stellt hierzu fest, daß diesem grundsätzlich eine erschöpfende<br />

Beratungspflicht obliegt, die zu einem Abraten<br />

von der Klageerhebung hätte führen müssen. Grundsätzlich<br />

darf also der Rechtsanwalt „Vor-“ oder „Zuarbeiten“ von<br />

Kollegen nicht unbesehen übernehmen. Der BGH fragt<br />

dann allerdings, ob nicht möglicherweise nur ein beschränktes<br />

Mandat vorlag. Dies erfordere, daß der Mandant<br />

dem Rechtsanwalt eindeutig zu erkennen gibt, daß er seiner<br />

Hilfe nur in einer bestimmten Art, Richtung und Reichweite<br />

bedürfe. Davon zu unterscheiden ist nach dem BGH<br />

eine Weisung an den Rechtsanwalt, eine bestimmte Rechtsauffassung<br />

zugrunde zu legen: eine Weisung darf der<br />

Rechtsanwalt bekanntlich nicht blindlings befolgen, sondern<br />

er muß den Mandanten auf drohende Nachteile hinweisen.<br />

Ob es sich nun um ein eingeschränktes Mandat<br />

oder um eine Weisung handelt, muß laut BGH im Wege der<br />

Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ermittelt werden. Der zugrundeliegende<br />

Fall wurde wegen diesbezüglicher Unklarheiten<br />

zurückverwiesen. Falls ein unbeschränktes Mandat<br />

vorlag, müßte sich der Kläger nach Ansicht des BGH allerdings<br />

ein Mitverschulden wegen der unzutreffenden Gutachten<br />

zurechnen lassen.<br />

Für den Rechtsanwalt stellt sich allerdings die entscheidende<br />

Frage, wann er nun als sicher von einem eingeschränkten<br />

Mandat ausgehen kann. Angesichts der vom<br />

BGH aufgestellten Kriterien muß man hierzu feststellen:<br />

Im Zweifel nie! In jedem Fall ist anzuraten, daß eine etwaige<br />

Beschränkung des Mandats klar in der vertraglichen Vereinbarung<br />

mit dem Mandanten zum Ausdruck kommt.<br />

Festzuhalten bleibt, daß – von ganz wenigen Ausnahmefällen<br />

abgesehen – ein unbeschränktes Mandat anzunehmen<br />

ist, welches zu einer umfassenden Rechtsprüfung verpflichtet.<br />

Vorarbeiten eines Kollegen dürfen daher grundsätzlich<br />

nicht unbesehen übernommen werden. Die vorherige oder<br />

gleichzeitige Mandatierung eines Rechtsanwalts entbindet<br />

diesen also grundsätzlich nicht von seiner umfassenden<br />

Überprüfungspflicht, sondern vielmehr erweitert sich der<br />

Umfang der Beratungstätigkeit sogar noch auf die Überprüfung<br />

der Richtigkeit des Handelns des Kollegen und gegebenenfalls<br />

auf das Bestehen und die Verjährung von<br />

Regreßansprüchen.


622<br />

l<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

ZPO § 233<br />

Von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälten<br />

hat grundsätzlich derjenige die Fristen zu überwachen,<br />

der beim zuständigen Gericht zugelassen ist.<br />

BGH, Beschl. v. 10.7.1997 – IX ZB 57/97<br />

Aus den Gründen: Das gem. § 519b Abs. 2 ZPO zulässige<br />

Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Der Bekl hat zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs<br />

vorgetragen:<br />

Im Büro seines Prozeßbevollmächtigten habe der sachbearbeitende<br />

(nicht beim BerG zugelassene) Rechtsanwalt Dr. D. – weil<br />

sich die Fertigstellung der Berufungsbegründung hingezogen habe –<br />

am 14.2.1997, einem Freitag, einen Antrag auf Verlängerung der<br />

Berufungsbegründungsfrist um acht Wochen auf Band diktiert. Das<br />

Diktat habe mit der Anweisung geendet, den aufgrund des Diktats<br />

gefertigten Schriftsatz dem beim BerG zugelassenen Sozius Q. am<br />

18.2.1997 zur Unterschrift vorzulegen und sodann noch am selben<br />

Tage beim BerG einzureichen. Bei der Übergabe des Bandes mit<br />

der Akte an die Rechtsanwaltsgehilfin R. habe Rechtsanwalt Dr.<br />

D. die Anweisung nochmals – nunmehr unmittelbar – wiederholt.<br />

Am darauffolgenden Montag, dem 17.2.1997, habe Frau R. den<br />

diktierten Text zwar mittels eines PCs geschrieben. Sie habe aber<br />

den Ausdruck vergessen. Am nächsten Tag sei Frau R. die im Terminkalender<br />

notierte Frist aufgefallen und sie habe ihre Kollegin J.<br />

gefragt, was mit der Sache sei. Frau J. habe die Frage auf das erstinstanzliche<br />

Verfahren bezogen und geantwortet, die Sache sei erledigt.<br />

Daraufhin habe Frau R. – entgegen der geltenden Büroregelung,<br />

bei Zweifeln einen Rechtsanwalt zu konsultieren – die Frist<br />

im Terminkalender abgehakt, ohne weiteres zu veranlassen. Bei der<br />

abendlichen Kontrolle des Terminkalenders habe Rechtsanwalt Dr.<br />

D. angesichts des von Frau R. angebrachten „Hakens“ angenommen,<br />

daß der Schriftsatz, entsprechend seiner Anweisung, fristgerecht<br />

eingereicht worden sei. Erst am nächsten Tag, dem<br />

19.2.1997, habe Rechtsanwalt Dr. D. bei der Bearbeitung der Akte<br />

das Fehlen des Antrags auf Fristverlängerung festgestellt.<br />

2. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ein dem Bekl zuzurechnendes<br />

Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten an der Fristversäumung<br />

auszuschließen.<br />

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu<br />

den Aufgaben des Prozeßbevollmächtigten, dafür zu sorgen, daß<br />

ein fristgebundener Schriftsatz hergestellt wird und rechtzeitig bei<br />

dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß der Prozeßbevollmächtigte<br />

eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren.<br />

Er muß sicherstellen, daß die im Fristenkalender vermerkten Fristen<br />

erst gestrichen oder in anderer Weise als erledigt gekennzeichnet<br />

werden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, ein<br />

fristwahrender Schriftsatz also gefertigt und zumindest postfertig<br />

gemacht worden ist (BGH, Beschl. v. 18.10.1993 – II ZB 7/93,<br />

VersR 1994, 703; v. 8.12.1993 – XII ZB 155/93, BGHR ZPO § 233<br />

– Fristenkontrolle 31; v. 15.2.1995 – XII ZB 229/94, BGHR ZPO<br />

§ 233 – Fristenkontrolle 39; v. 14.3.1996 – III ZB 13/96, BGHR<br />

ZPO § 233 – Ausgangskontrolle 5). Dabei muß der Prozeßbevollmächtigte<br />

auch Vorkehrungen treffen, die geeignet sind, versehentliche<br />

Erledigungsvermerke im Fristenkalender zu verhindern<br />

(BGH, Beschl. v. 14.1.1993 – VII ZB 18/92, VersR 1993, 772 f; v.<br />

7.12.1993 – XI ZR 207/93, VersR 1994, 956; v. 14.3.1996 aaO).<br />

Eine Frist darf nur gestrichen werden, wenn die Person, die mit der<br />

Kontrolle betraut ist, sich anhand der Akte oder des postfertigen,<br />

die Frist erledigenden Schriftsatzes selbst vergewissert hat, daß<br />

zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Sie dazu anzuhalten,<br />

ist Sache des Prozeßbevollmächtigten selbst (BGH, Beschl. v.<br />

14.3.1996 aaO).<br />

AnwBl 11/97<br />

b) Nach dem Vorbringen in dem Wiedereinsetzungsgesuch ist<br />

diesen Obliegenheiten im vorliegenden Fall nicht genügt worden.<br />

Von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen<br />

Rechtsanwälten hat grundsätzlich derjenige die Fristen zu überwachen,<br />

der bei dem zuständigen Gericht zugelassen ist. Dies gilt<br />

nicht nur für die überörtliche Sozietät (vgl. dazu BGH, Beschl. v.<br />

24.3.1994 – I ZB 1/94, NJW 1994, 1878 f.), sondern allgemein. In<br />

diesem Falle oblag es Rechtsanwalt Q., die am 18.2.1997 ablaufende<br />

Berufungsbegründungsfrist zu überwachen. Was er zu diesem<br />

Zweck unternommen hat, läßt sich dem Vorbringen des Bekl nicht<br />

entnehmen. Falls dieses so zu verstehen ist, daß dem „sachbearbeitenden“<br />

Rechtsanwalt Dr. D. die Bearbeitung des Mandats auch im<br />

Hinblick auf die Fristen übertragen worden sei, scheitert die von<br />

dem Bekl begehrte Wiedereinsetzung daran, daß die büromäßige<br />

Organisation der Fristenüberwachung, derer sich Rechtsanwalt Dr.<br />

D. bedient hat, unzureichend war. Dieser Umstand ist dem Bekl<br />

ebenso zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO), wie wenn Rechtsanwalt Q.<br />

anstelle von Rechtsanwalt Dr. D. gehandelt hätte (vgl. BGH,<br />

Beschl. v. 19.1.1995 – III ZR 107/94, NJW 1995, 1841).<br />

In dem Wiedereinsetzungsgesuch ist das Versehen der Rechtsanwaltsgehilfin<br />

R. nur darin erblickt worden, daß sie die „geltende<br />

Büroregelung, bei Zweifeln einen Rechtsanwalt zu konsultieren“<br />

mißachtet habe. Aufgrund der – falschen – Auskunft ihrer Kollegin<br />

J. hatte Frau R. aber keine Zweifel (mehr). Aus der beschriebenen<br />

Büroregelung ergibt sich nichts dafür, daß die Anwaltsgehilfinnen<br />

verpflichtet waren, die Erledigung der Frist anhand der Akten oder<br />

des fristwahrenden Schriftsatzes zu überprüfen. Ist eine derartige<br />

Überprüfung nicht allgemein angeordnet, dürfen sich die Hilfspersonen<br />

vielmehr auf ihr Gedächtnis – oder dasjenige von Mitarbeitern<br />

– verlassen, liegt es nahe, daß die Fristenkontrolle unzuverlässig<br />

ist (vgl. BGH Beschl. v. 16.5.1997 – VI ZB 12/97 zVb).<br />

c) Allerdings hat der Bekl zur Begründung der sofortigen Beschwerde<br />

ausgeführt, im Büro seines Prozeßbevollmächtigten würden<br />

– entsprechend einer allgemein erteilten Weisung – Fristen erst<br />

„abgehakt“, wenn die fristwahrende Handlung erfolgt sei, z. B. der<br />

fristwahrende Schriftsatz sich bei der Post befinde. Selbst wenn<br />

dieser Vortrag noch als bloße Erläuterung unklarer oder Ergänzung<br />

unvollständiger Angaben berücksichtigt werden kann (vgl. dazu<br />

BGH, Beschl. v. 4.5.1994 – XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097, 2098;<br />

v. 21.3.1995 – VI ZB 5/95, VersR 1995, 933, 934; v. 6.5.1997 – VI<br />

ZB 12/97, zVb.), so rechtfertigt er keine andere Beurteilung. Auch<br />

der nachgeschobene Vortrag besagt nicht, daß der Rechtsanwaltsgehilfin<br />

R. ein „Abhaken“ aus der – eigenen oder fremden – Erinnerung<br />

heraus, also ohne Nachprüfung anhand der Akten, verboten<br />

war.<br />

ZPO § 233<br />

Eine auf Vorfristenanordnung vorgelegte Sache muß nicht stets<br />

sofort bearbeitet werden. Sie kann zur Wiedervorlage am Tag<br />

des Fristablaufs zurückgegeben werden, wenn der Anwalt sich<br />

nach sorgfältiger Prüfung davon überzeugt hat, daß die Rechtsmittelbegründung<br />

oder ein (erster) Antrag auf Verlängerung der<br />

Begründungsfrist noch rechtzeitig bei Gericht eingereicht werden<br />

kann.<br />

BGH, Beschl. v. 27.5.1997 – VI ZB 10/97<br />

Aus den Gründen: II. Die form- und fristgerecht eingelegte und<br />

auch sonst zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache<br />

Erfolg. Das OLG hat dem Bekl die beantragte Wiedereinsetzung in<br />

den vorigen Stand versagt. Die Fristversäumung beruht auf einem<br />

Versehen des Büropersonals seines Prozeßbevollmächtigten, das<br />

dem Bekl nicht zugerechnet werden kann.<br />

1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung<br />

gem. § 233 ZPO verneint, weil die Versäumung der<br />

Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden des Prozeßbe-


AnwBl 11/97 623<br />

Rechtsprechung l<br />

vollmächtigten beruhe (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Nichtvorlage der<br />

Akten am 15.10.1996 und die falsche Eintragung der Fristverlängerung<br />

beruhe zwar auf einem dem Anwalt nicht zurechenbaren<br />

Verschulden des Büropersonals. Ein dem Bekl zurechenbares Anwaltsverschulden<br />

liege jedoch darin, daß sein Prozeßbevollmächtigter<br />

nach Vorlage aufgrund der Vorfristen die Akten unbearbeitet<br />

in den Aktenschrank gegeben habe. Dadurch habe er jedenfalls am<br />

8.10.1996, nur eine Woche vor Ablauf der Begründungsfrist, die<br />

Warnfunktion der Vorfrist außer Acht gelassen und die durch diese<br />

bewirkte Sicherung selbst außer Kraft gesetzt. Er habe nicht darauf<br />

vertrauen dürfen, daß die unbearbeiteten Akten am 15.10.1996<br />

wieder vorgelegt werden würden.<br />

2. Das hält den Angriffen der sofortigen Beschwerde nicht<br />

stand.<br />

Ein Rechtsanwalt muß durch geeignete organisatorische Maßnahmen<br />

dafür Sorge tragen, daß Fristversäumnisse möglichst vermieden<br />

werden. Dazu gehört nach feststehender Rechtsprechung<br />

die allgemeine Anordnung, daß jedenfalls bei solchen Prozeßhandlungen,<br />

deren Vornahme nach ihrer Art mehr als nur einen geringfügigen<br />

Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, außer dem Datum<br />

des Fristablaufs auch noch eine Vorfrist zu vermerken ist. Sie soll<br />

bewirken, daß dem Rechtsanwalt durch rechtzeitige Vorlage der<br />

Akten auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen<br />

noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit<br />

verbleibt (vgl. BGH, Beschl. v. 6.7.1994 – VIII ZB 26/94 – VersR<br />

1994, 1325).<br />

Eine solche Vorfrist war hier notiert. Dem Prozeßbevollmächtigten<br />

des Bekl sind die Akten auch rechtzeitig vorgelegt worden.<br />

Der Bekl muß sich – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts<br />

– nicht als Verschulden anrechnen lassen, daß sein Prozeßbevollmächtigter<br />

die Akten wieder in den Aktenschrank hat zurückhängen<br />

lassen, ohne einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

zu stellen oder die Berufungsbegründung zu fertigen.<br />

Das<br />

Berufungsgericht läßt außer Acht, daß ein Rechtsmittelkläger<br />

grundsätzlich berechtigt ist, die Begründung seines Rechtsmittels<br />

bis zum letzten Tag der Frist hinauszuschieben (vgl. BGH, Urt. v.<br />

2.10.1991 – IV ZR 68/91 -VersR 1991, 1426 m. w. N.), wenn die<br />

Rechtsmittelbegründung oder ein (erster) Antrag auf Verlängerung<br />

der Begründungsfrist noch rechtzeitig bei Gericht eingereicht werden<br />

kann und die erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der<br />

Rechtsmittelbegründungsfrist getroffen werden. Die mit der Vorfristanordnung<br />

bezweckte Sicherung, dem Anwalt den für die Bearbeitung<br />

der Rechtsmittelbegründung erforderlichen Zeitraum zu<br />

gewährleisten (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11.7.1962 – VIII<br />

ZB 18/62 – VersR 1962, 838, 839; vom 24.5.1973 – III ZB 5/73 –<br />

VersR 1973, 840, 841; vom 9.6.1994 – 1 ZB 5/94 – VersR 1995,<br />

72, 73; vom 6.7.1994 – VIII ZB 26/94 – aaO), verlangt in einem<br />

solchen Fall keine sofortige Bearbeitung der Sache, sondern gestattet<br />

es, die Sache für den letzten Tag wieder auf Frist zu legen.<br />

Diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Der Prozeßbevollmächtigte<br />

des Bekl hat seinen Sitz am Ort des Berufungsgerichts<br />

und war bereits in erster Instanz tätig gewesen; die Berufungsbegründung<br />

betraf nur wenige Probleme und umfaßte in der schließlich<br />

eingereichten Form nur eine Seite, konnte also auch noch am<br />

letzten Tag der Frist gefertigt und eingereicht werden. Der Ablauf<br />

der Frist am 15.10.1996 war im Fristenkalender durch den Zusatz<br />

„ltg“ (d. h. letzter Tag) im Sinne einer „Genaufrist“ besonders hervorgehoben.<br />

Dies bedeutet, daß das Büropersonal zur Vorlage der<br />

Akten an diesem Tag verpflichtet war. Ausweislich der eidesstattlichen<br />

Versicherung der Angestellten S bestand in der Kanzlei überdies<br />

für das Büropersonal die Anweisung, den sachbearbeitenden<br />

Anwalt auf den Fristablauf anzusprechen. Wäre dies geschehen,<br />

dann wäre – davon ist nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang auszugehen<br />

– am 15.10.1996 entweder die Berufungsbegründung oder<br />

ein Antrag auf erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist<br />

bei Gericht eingereicht worden und eine Fristversäumung<br />

nicht eingetreten. Wenn dem Anwalt am Tage der „Genaufrist“ die<br />

Akten nicht vorgelegt worden sind, weil das Büropersonal die in<br />

anderer Sache bewilligte Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist<br />

irrtümlich auf die hier zu entscheidende Sache bezogen<br />

und die Genaufrist gestrichen hat, beruhte die Fristversäumung<br />

unter den gegebenen Umständen allein auf einem Verschulden<br />

des Büropersonals, das für die Wiedereinsetzung in den vorigen<br />

Stand ohne Belang ist (vgl. BGH, Beschl. v. 28.10.1993 – VII ZB<br />

22/93 – VersR 1994, 955 und vom 12.7.1984 – IVb ZB 43/84, 873,<br />

874).<br />

VwGO § 60; ZPO § 85<br />

Ein Rechtsanwalt erfüllt nicht die ihm obliegende Sorgfaltspflicht<br />

bei der Ermittlung des Ablaufs einer Rechtsmittelfrist,<br />

wenn er, statt das Datum der Zustellung der anzugreifenden<br />

Entscheidung festzustellen und danach die Frist zu berechnen,<br />

lediglich telefonisch bei der Geschäftsstelle des Gerichts anfragen<br />

läßt, wann die Frist ablaufe.<br />

BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997 – 4 B 85/97<br />

Aus den Gründen: Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht<br />

innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden.<br />

Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen die<br />

Nichtzulassung der Revision innerhalb von zwei Monaten nach der<br />

Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das angefochtene<br />

Urteil wurde den früheren Prozeßbevollmächtigten der Kl ausweislich<br />

des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses<br />

am 19.2.1997 zugestellt. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

endete am 21.4.1997, da der 19.4.1997 auf einen<br />

Samstag fiel. Die Beschwerdebegründungsschrift ging indes am<br />

22.4.1997 beim Berufungsgericht ein.<br />

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt<br />

nicht in Betracht. Die Kl waren an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist<br />

nicht ohne ihr Verschulden verhindert (§ 60 Abs. 1<br />

VwGO). Dahinstehen kann, ob sie persönlich ein Verschulden<br />

trifft. Jedenfalls müssen sie sich das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten<br />

zurechnen lassen (§ 173 VwGO in Verbindung mit<br />

§ 85 Abs. 2 ZPO).<br />

Die Fristversäumung beruhte auf einem Irrtum über den Fristenlauf.<br />

Dieser Irrtum hätte vermieden werden können, wenn die<br />

Begründungsfrist richtig berechnet worden wäre. Übernimmt ein<br />

Rechtsanwalt eine Prozeßvertretung, so ist die Wahrung der prozessualen<br />

Fristen eine seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine<br />

besondere Aufmerksamkeit widmen muß. Diese besondere Sorgfaltspflicht<br />

macht es erforderlich, daß er die Einhaltung der Fristen<br />

eigenverantwortlich überwacht. Die Beschwerdebegründungsfrist<br />

des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO gehört nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fristen, die ein Rechtsanwalt<br />

im allgemeinen selbst berechnen muß (vgl. BVerwG, Beschl.<br />

v. 10.12.1991 – BVerwG 5 B 125.91 – und vom 13.8.1994 –<br />

BVerwG 11 B 68.94 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nrn. 174 und<br />

189). Dies entspricht den Anforderungen anderer oberster Bundesgerichte<br />

an die Kontrolle von Rechtsmittelbegründungsfristen (vgl.<br />

BGH, Beschl. v. 13.1.1988 – IV a ZB 13/87 – NJW 1988, 2045,<br />

und vom 28.10.1993 – VII ZB 21/93 – NJW 1994, 459; BAG,<br />

Beschl. v. 16.11.1992 – 3 AZR 393/92 – NJW 1993, 1350). Dahinstehen<br />

kann, unter welchen Voraussetzungen die Überwachung<br />

solcher Fristen überhaupt übertragen werden kann. Überläßt der<br />

Rechtsanwalt die Überprüfung sorgfältig ausgesuchtem und gut geschultem<br />

Personal, so muß er jedenfalls durch geeignete allgemeine<br />

Anweisungen Vorkehrungen treffen, um eine zuverlässige<br />

Berechnung sicherzustellen und Fristversäumnisse zu vermeiden.<br />

Dies ist hier nicht geschehen. Aus den vorgelegten eidesstattlichen<br />

Versicherungen ergibt sich, daß die in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten<br />

beschäftigten Sekretärinnen bei der Geschäftsstelle<br />

des 5. Senats des Berufungsgerichts angerufen und sich „nach<br />

dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erkundigt“ haben.<br />

Die Frage nach dem Fristablauf war indes nicht geeignet, einer<br />

möglichen Fristversäumung vorzubeugen. Sie lief der Sache nach<br />

darauf hinaus, die Verantwortung für die richtige Fristberechnung<br />

auf den Geschäftsstellenbeamten abzuschieben. Um den Tag, an<br />

dem die Beschwerdebegründungsfrist ablief, selbst zu ermitteln<br />

oder durch erprobte Kanzleiangestellte ermitteln zu lassen, hatte<br />

der Prozeßbevollmächtigte, der die Kl in der Vorinstanz nicht vertreten<br />

hatte, Vorkehrungen zu treffen, die es ihm ermöglichten, sich<br />

Kenntnis davon zu verschaffen, wann das angefochtene Urteil dem<br />

früheren Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden war. Ihm stand<br />

es frei, sich zu diesem Zweck nicht an den früheren Prozeßbevoll-


624<br />

l<br />

mächtigten als die in dieser Hinsicht zuverlässigste Informationsquelle,<br />

sondern an die zuständige Geschäftsstelle des Berufungsgerichts<br />

zu wenden. Dort lag das Empfangsbekenntnis vor, das zweifelsfrei<br />

Auskunft über das Zustellungsdatum gab und dem<br />

Prozeßbevollmächtigten als ausreichende Grundlage für die Fristberechnung<br />

hätte dienen können, wenn es zum Gegenstand der telefonischen<br />

Anfrage aus seiner Kanzlei gemacht worden wäre. Erkundigten<br />

die Sekretärinnen sich nach ihren eigenen Aussagen<br />

nicht nach dem Tag der Zustellung, sondern nach dem Tag des Fristablaufs,<br />

so belegt dies, daß sie, was die richtige Fragestellung betraf,<br />

weder sachgerecht angewiesen waren noch über genügende eigene<br />

Erfahrung verfügten, um die Fristwahrung sicherzustellen.<br />

Mitgeteilt von Richter am BVerwG Prof. Dr. Dr. Jörg Berkemann,<br />

Berlin<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO 13 Abs. 2, § 31 Abs. 1 Nr. 1; ZPO §§ 147, 690, 696<br />

Macht ein Gläubiger im Mahnverfahren gleichzeitig Zahlungsansprüche<br />

gegen einen Schuldner und einen Bürgen mit einem<br />

einheitlichen Mahnbescheidsantrag geltend und werden dann<br />

nach Abgabe der Sache an das einheitlich zuständige Streitgericht<br />

dort aus durch den Kl nicht veranlaßten Gründen in bezug<br />

auf jeden Bekl gesonderte Verfahren eingetragen, die vor der<br />

mündlichen Verhandlung miteinander verbunden werden, so<br />

liegt nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor mit der Folge<br />

des Ausschlusses des Ansatzes einer doppelten Prozeßgebühr<br />

für den klägerischen Prozeßbevollmächtigten.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.1997 – 10 W 27/97<br />

Aus den Gründe: Die gemäß § 11 Abs. 2 S. 5 RpflG zulässige<br />

Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Rechtspfleger hat<br />

in der angefochtenen Entscheidung zu Recht davon abgesehen, die<br />

durch die Kl in ihrer anwaltlichen Kostennote vom 15.5.1996 zur<br />

Festsetzung angemeldete doppelte 10/10 Prozeßgebühr gemäß § 31<br />

Abs. 1 Nr. 1 BRAGO in Höhe von jeweils 1.105 DM gegen die<br />

Bekl festzusetzen. Deren Erstattungspflicht ist – neben den anderen<br />

unstreitigen Gebührenansätzen des klägerischen<br />

Bevollmächtigten – auf den Ausgleich einer einfachen Prozeßgebühr<br />

beschränkt. Entgegen der durch die Beschwerdeführerin vertretene<br />

Ansicht ergibt sich nichts anderes daraus, daß nach der Abgabe<br />

der Sache durch das AG Mayen als Mahngericht an das LG<br />

Düsseldorf als Prozeßgericht das Verfahren gegen die Beschwerdegegner<br />

zu 1) und 2) dort zunächst getrennt unter unterschiedlichen<br />

Aktenzeichen geführt wurde, ehe es durch Beschluß des LG vom<br />

23.10.1995 zu einer Verbindung der Sachen, zur gemeinsamen Verhandlung<br />

und Entscheidung kam.<br />

1. Nach § 13 Abs. 2 S. 1 BRAGO kann der Rechtsanwalt die<br />

Gebühren derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dieselbe<br />

Angelegenheit im Sinne dieser Vorschrift ist dann anzunehmen,<br />

wenn ein einheitlicher Auftrag vorliegt, der gleiche Rahmen bei<br />

der Verfolgung mehrerer Ansprüche eingehalten werden muß und<br />

zwischen einzelnen Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang<br />

besteht (Göttlich/Mümmler, BRAGO, 18. Auflage, Stichwort<br />

„Angelegenheit“). Danach ist im vorliegenden Fall davon<br />

auszugehen, daß die klageweise Durchsetzung der gegen den Beschwerdegegner<br />

zu 1) sowie gegen die Beschwerdegegnerin zu 2)<br />

gerichteten Zahlungsforderungen dieselbe Angelegenheit betraf.<br />

a. Die Beschwerdegegnerin zu 2) haftete vertraglich aus einer<br />

Leasingvereinbarung, wobei der Beschwerdegegner zu 1) die<br />

selbstschuldnerische Bürgschaft hinsichtlich aller sich aus dem Vertrag<br />

ergebenden Zahlungsverpflichtungen übernommen hatte. Die<br />

Beschwerdeführerin hatte als Kl ihren Prozeßbevollmächtigten mit<br />

der gleichzeitigen Durchsetzung der Zahlungsansprüche gegen die<br />

beiden Bekl im Mahnverfahren vor dem AG Mayen und für den<br />

Fall der Widerspruchseinlegung im streitigen Verfahren vor dem<br />

LG Düsseldorf beauftragt. Dies ergibt sich aus dem in Kopie zu<br />

den Akten gereichten Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides vom<br />

6.6.1995, in welchem beide Bekl als Antragsgegner bezeichnet<br />

sind, wobei zur Konkretisierung des Anspruchs differenziert ist<br />

AnwBl 11/97<br />

Rechtsprechung<br />

zwischen „Forderung aus Leasingvertrag“ (Bekl zu 2)) und „Forderung<br />

aus Bürgschaft“ (Bekl zu 1)).<br />

b. Im Gegensatz zu der Begründung der angefochtenen Entscheidung<br />

kann somit die Erstattungsfähigkeit der streitigen Prozeßgebühr<br />

nicht mit der Begründung abgelehnt werden, bei wirtschaftlicher<br />

Prozeßführung hätten zwei Verfahren vermieden<br />

werden können. Das Rechtsschutzbegehren der Kl war von vornherein<br />

auf die einheitliche und gleichzeitige Geltendmachung ihrer<br />

Zahlungsansprüche gegen beide Bekl in einem Mahn- sowie gegebenenfalls<br />

in einem anschließenden Streitverfahren gerichtet.<br />

Das Vorhandensein mehrerer Streitgenossen ändert nichts an<br />

der Einheit des gebührenrechtlichen Rechtszuges im Sinne des<br />

§ 13 Abs. 2 BRAGO (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Kommentar<br />

zur BRAGO, 12. Auflage, § 13, Rdnr. 44). Eine einzige<br />

Angelegenheit kann mehrere Gegenstände umfassen, wenn etwa in<br />

einem Prozeß mehrere Ansprüche verfolgt werden (Fraunholz in<br />

Riedel/Sußbauer, Kommentar zur BRAGO, 7. Aufl., § 13, Rdnr. 7).<br />

2. a. Der doppelte Ansatz einer Prozeßgebühr rechtfertigt sich<br />

nicht aus dem Umstand, daß aus durch die Beschwerdeführerin<br />

nicht veranlaßten und mehr zufälligen Gründen das Prozeßgericht<br />

die eingehende Sache zunächst in selbständige Verfahren gegen jeden<br />

Bekl auftrennte, ehe es noch vor dem Verhandlungstermin am<br />

7.12.1995 zu einer Prozeßverbindung kam. Zwar werden gewöhnlich<br />

durch einen nach § 147 ZPO ergangenen Beschluß verschiedene<br />

Angelegenheiten im Sinne des § 13 Abs. 1 BRAGO zu derselben<br />

Angelegenheit zusammengefaßt. Nach der Rechtsprechung<br />

des Senats darf sich diese Zusammenfassung auch nicht in gebührenrechtlicher<br />

Hinsicht zum Nachteil der Prozeßbevollmächtigten<br />

auswirken. Denn diese haben in aller Regel keinen Einfluß darauf,<br />

daß das Gericht durch eine Prozeßverbindung aus zuvor gebührenrechtlich<br />

verschiedenen Sachen nur eine Angelegenheit macht (Senat<br />

AnwBl 1978, 235).<br />

b. Diese Grundsätze sind allerdings auf den vorliegenden Fall<br />

nicht übertragbar. Denn die Kl hatte ihrem Düsseldorfer Prozeßbevollmächtigten<br />

nicht den Auftrag erteilt, die Zahlungsforderung<br />

aus dem Leasingvertrag gegen die Bekl zu 2) einerseits und den<br />

Zahlungsanspruch aus dem Bürgschaftsvertrag gegen den Bekl zu<br />

1) andererseits in unterschiedlichen Streitverfahren durchzusetzen.<br />

Gewollt war vielmehr von vornherein eine einheitliche Verhandlung<br />

und Entscheidung über alle klagegegenständlichen Ansprüche.<br />

Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem anspruchsbegründenden<br />

Schriftsatz der Kl vom 11.10.1995 zu dem Aktenzeichen 8 O<br />

272/95, in welchem sie gleich zu Beginn die Verbindung dieser<br />

Sache mit dem bei dem LG zu dem Aktenzeichen 8 O 289/95 geführten<br />

Verfahren beantragte. Nur dann, wenn durch gerichtlichen<br />

Beschluß getrennte Verhandlung angeordnet worden war und dadurch<br />

der Rechtsstreit in zwei Prozesse zerlegt worden ist, entstehen<br />

von der Trennung an auch getrennte Gebühren (Gerold/<br />

Schmidt/von Eicken/Madert aaO, § 13, Rdnr. 44). Diese Voraussetzungen<br />

sind hier indes nicht gegeben, da die Entstehung von zwei<br />

gesonderten Verfahren vor dem Prozeßgericht ihre Ursache in der<br />

dortigen Aktenbehandlung nach Abgabe der Sache durch Mahngericht<br />

hatte.<br />

BRAGO § 23 Abs. 1 S. 1 u. 3, § 122 Abs. 3; ZPO § 624 Abs. 2<br />

Ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe i. S.v. § 23 Abs. 1 S. 3<br />

BRAGO ist anhängig, wenn in einer Ehesache vor Vergleichsabschluß<br />

um Erweiterung der Prozeßkostenhilfe ersucht wird.<br />

Auch hinsichtlich der in den Vergleich einbezogenen nicht anhängigen<br />

Gegenstände des § 122 Abs. 3 BRAGO erhält der beigeordnete<br />

Rechtsanwalt dann nur eine 10/10 Vergleichsgebühr.<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 5.2.1997 – 13 WF 1266/96<br />

Aus den Gründen: Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige<br />

Beschwerde des Bezirksrevisors ist begründet. Der Prozeßbevollmächtigte<br />

des Antragsgegners hat vorliegend keinen Anspruch auf<br />

Festsetzung einer 15/10 Gebühr nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO<br />

für die Mitwirkung beim Abschluß eines Vergleichs.<br />

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes erhält der Rechtsanwalt<br />

nur die volle und nicht die erhöhte Vergleichsgebühr, „soweit<br />

über den Gegenstand des Vergleichs ein gerichtliches Verfahren<br />

anhängig ist“ oder „ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe


AnwBl 11/97 625<br />

Rechtsprechung l<br />

anhängig ist“, § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO. Dies war vorliegend in<br />

bezug auf die im Vergleich geregelten Folgesachen der Fall.<br />

Für beide Parteien hat das Gericht in der Sitzung vom<br />

28.6.1996 auf den ausdrücklich gestellten Antrag der Prozeßbevollmächtigten<br />

die bewilligte Prozeßkostenhilfe auf den noch abzuschließenden<br />

Vergleich erstreckt. Damit war insoweit ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />

anhängig gemacht worden und das Gericht<br />

gehalten, die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe<br />

auch im Hinblick auf die beabsichtigte Vereinbarung zu<br />

prüfen. Auf die Frage, in welchem Umfang das Gericht neben der<br />

Hilfsbedürftigkeit auch die grundsätzlich erforderliche Prüfung der<br />

Erfolgsaussicht vorgenommen hat, kommt es nicht an. Das Ausmaß<br />

der Inanspruchnahme des Gerichts ist kein geeigneter Prüfstein für<br />

die Frage, ob ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe bereits anhängig<br />

ist. Entscheidend ist allein, daß eine Prüfung in einem gerichtlichen<br />

Verfahren veranlaßt war und das Gericht insoweit durch<br />

die Parteien in Anspruch genommen worden ist. Damit ist der<br />

Gesetzeszweck des § 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, außergerichtliche<br />

Vergleiche zu fördern, nicht erreicht mit der Folge, daß die erhöhte<br />

Vergleichsgebühr nicht anfallen kann (so auch OLG Nürnberg, Jur-<br />

Büro 1996, 25; OLG Saarbrücken, MDR 96, 1193; LAG Köln,<br />

Rechtspfleger 96, 262; Mümmler, JurBüro 1996, 355, 356).<br />

Etwas anderes ergibt sich entgegen der vom AG vertretenen<br />

Auffassung auch nicht daraus, daß sich die Beiordnung eines<br />

Rechtsanwalts in einer Ehesache kraft Gesetz ohne weiteres auf<br />

den Abschluß eines Vergleichs über die in § 122 Abs. 3 BRAGO<br />

genannten Folgesachen erstreckt. Aufgrund dieser im Gesetz geregelten<br />

Erstreckung wird nämlich ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />

über die dort genannten Folgesachen nicht anhängig; das Gericht<br />

wird in diesen Fällen gerade nicht in Form einer Sachbesprechung<br />

oder Prüfung durch die Parteien in Anspruch genommen (vgl.<br />

OLG Nürnberg aaO; OLG Saarbrücken aaO; Beschl. des Senats v.<br />

19.9.1996 – 13 WF 871/96 – und – 13 WF 903/96 –).<br />

Der Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegners hat daher nur<br />

Anspruch auf Erstattung einer 10/10 Gebühr für den Abschloß des<br />

Vergleichs, so daß die Kosten auf die Beschwerde des Bezirksrevisors<br />

insgesamt in Übereinstimmung mit dem Kostenfestsetzungsbeschluß<br />

vom 16.7.1996 (gegen den zunächst der Prozeßbevollmächtigte<br />

Erinnerung eingelegt hatte) festzusetzen waren.<br />

Soweit auch der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerin<br />

„Beschwerde“ gegen den Kostenfestsetzungsantrag vom 23.7.1996<br />

eingelegt hat und eine Erhöhung der festgesetzten 10/10 Vergleichsgebühr<br />

auf 15/10 erstrebt, liegt eine Beschwerde gem.<br />

§ 128 Abs. 4 BRAGO, über die das OLG zu entscheiden hätte,<br />

noch nicht vor. Insoweit steht noch die Entscheidung des Richters<br />

über die Erinnerung aus.<br />

Mitgeteilt von Justizamtsrat Günter Müller, Koblenz<br />

BRAGO § 99<br />

Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe dem Pflichtverteidiger<br />

eine Pauschvergütung zu gewähren ist, sind nur dessen anwaltliche<br />

Tätigkeiten nach der Beiordnung zu berücksichtigen, dagegen<br />

nicht die zuvor als Wahlverteidiger erbrachten Leistungen.<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 9.12.1996 – 1 AR 151/96 Str<br />

Aus den Gründen: Dem Antrag des Pflichtverteidigers kann<br />

nur teilweise entsprochen werden.<br />

Der Bezirksrevisor weist in seiner Stellungnahme vom<br />

20.11.1996 zutreffend darauf hin, daß für die Prüfung, ob dem<br />

Pflichtverteidiger eine Pauschvergütung zu bewilligen ist, ausschließlich<br />

dessen anwaltliche Tätigkeit nach der Beiordnung zu<br />

berücksichtigen ist (vgl. auch KG Rpfleger 1994, 226). Die davor<br />

erbrachte Leistung bleibt für die Zuerkennung der Pauschvergütung<br />

unberücksichtigt, demnach also auch der als Wahlverteidiger erbrachte<br />

Arbeitsaufwand für die Einarbeitung in die umfangreiche<br />

und schwierige Sache. Deswegen kann die Tätigkeit des erst am<br />

27.11.1995 bestellten Antragstellers zum Pflichtverteidiger nicht<br />

mit der Tätigkeit der übrigen Pflichtverteidiger in Bezug auf diesen<br />

zugebilligte Pauschvergütungen verglichen werden, zumal die<br />

16 Termine, die nach der Pflichtverteidigerbestellung des Antragstellers<br />

stattfanden, alle von kurzer Dauer waren und durch die<br />

gesetzliche Gebühr abgegolten sind. Zu berücksichtigen allerdings<br />

ist die nach einem solchen umfangreichen Verfahren in die Zeit als<br />

Pflichtverteidiger fallende Tätigkeit des Rechtsanwalts für die abschließende<br />

Beurteilung des Verfahrens und die Vorbereitung auf<br />

den Schlußvortrag. Insofern ist die Zuerkennung einer Pauschvergütung<br />

noch gerechtfertigt. ...<br />

Auslagen und Mehrwertsteuer sind gesondert zu erstatten. Auf<br />

die Pauschvergütung sind die inzwischen aus der Staatskasse an<br />

den Pflichtverteidiger geleisteten Zahlungen in vollem Umfang anzurechnen.<br />

Mitgeteilt von Justizamtsrat Günter Müller, Koblenz<br />

BRAGO §§ 114, 32, 31, 11<br />

Reicht der Rechtsanwalt des Gegners nach Rücknahme des Antrags,<br />

der Klage oder des Rechtsmittels einen Schriftsatz mit Anträgen<br />

bei Gericht ein, so erhält er die volle Prozeßgebühr, wenn<br />

er die erfolgte Rücknahme weder kannte noch kennen mußte.<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.4.1997 – 5 S 3153/96<br />

Aus den Gründen: Die nach § 165 in Verb. mit § 151 VwGO<br />

zulässige Erinnerung ist begründet. Entgegen der Auffassung des<br />

Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und der Antragsteller gehören<br />

zu den erstattungsfähigen Kosten, die die Antragsteller nach Rücknahme<br />

ihrer Normenkontrollanträge am 6.12.1996 zu tragen haben<br />

(vgl. Senatsbeschluß vom 20.12.1996), auch die Gebühren und<br />

Auslagen der Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin (§ 162<br />

VwGO). Denn nach § 114 Abs. 1 und 2 in Verb. mit § 31 Abs. 1<br />

Nr. 1 und § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO ist eine Prozeßgebühr in<br />

Höhe von 13/10 entstanden, nachdem die von der Antragsgegnerin<br />

bestellten Rechtsanwälte mit Schriftsatz vom 5.12.1996, beim Verwaltungsgerichtshof<br />

eingegangen am 9.12.1996, Abweisung der<br />

Normenkontrollanträge beantragt hatten.<br />

Der Umstand, daß die Antragsteller ihre Normenkontrollanträge<br />

bereits am 6.12.1996 zurückgenommen hatten, ändert daran<br />

nichts und führt auch nicht zu einer Beendigung des Auftrages im<br />

Sinne des § 32 Abs. 1 BRAGO mit der Folge, daß nur eine halbe<br />

Prozeßgebühr anfällt. Denn nach der vorherrschenden Meinung in<br />

Literatur und Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, (vgl.<br />

Schneider, in: Kostenrechtsprechung, Anmerkung zu § 31 Ziff. 1<br />

Nr. 29; von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRA-<br />

GO, 11. Aufl., § 31 Rdnr. 18 und § 32 Rdnr. 5; Keller, in: Riedel/<br />

Sußbauer, BRAGO, 6. Aufl., § 31 Rdnr. 27 und § 32 Rdnr. 16;<br />

Hartmann, Kostengesetz, 27. Aufl., § 32 Rdnr. 34 und VGH Bad.-<br />

Württ., Beschl. v. 20.3.1997 – 3 S 155/97 – ohne Leitsatz, jeweils<br />

mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung) endet mit der<br />

Antragsrücknahme das gebührenrechtliche Grundverhältnis des<br />

gegnerischen Anwalts zu seinem Auftraggeber nicht ohne weiteres.<br />

Vielmehr gilt der Auftrag nach §§ 674, 675 BGB jedenfalls so lange<br />

als fortbestehend, bis der Rechtsanwalt von dem Erlöschen<br />

Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muß. Reicht also der<br />

Rechtsanwalt des Gegners nach Rücknahme des Antrags, der Klage<br />

oder des Rechtsmittels einen Schriftsatz mit Anträgen bei Gericht<br />

ein, so erhält er die volle Prozeßgebühr, wenn er die erfolgte<br />

Rücknahme weder kannte noch kennen mußte.<br />

Mitgeteilt von Richter am VGH G. Schefzik, Mannheim<br />

BGB § 1836 Abs. 1<br />

1. Der Vergütung eines Rechtsanwalts für die Betreuung eines<br />

nicht mittellosen Betroffenen ist in der Regel ein Stundensatz<br />

von 200 DM einschließlich Mehrwertsteuer zugrunde zu legen.<br />

2. Im Einzelfall kann gemäß den für die Betreuervergütung allgemein<br />

geltenden Grundsätzen ein höherer oder auch niedrigerer<br />

Stundensatz gerechtfertigt sein.<br />

BayObLG, Beschl. v. 15.1.1997 – 3Z BR 279/96<br />

Aus den Gründen: II. Die weitere Beschwerde ist zulässig und<br />

begründet.<br />

A. Das LG hat ausgeführt, der vom AG zugebilligte Stundensatz<br />

sei angemessen. Es sehe keine Veranlassung, seine im Beschl.<br />

v. 31.5.1996 dargelegte Rechtsauffassung zu ändern, daß einem anwaltlichen<br />

Berufsbetreuer bei einem vermögenden Betreuten ein


626<br />

l<br />

Regelstundensatz von 150 DM einschließlich Mehrwertsteuer zuzubilligen<br />

sei. Umstände, die eine Erhöhung des Stundensatzes<br />

rechtfertigen würden, lägen nicht vor, insbesondere sei das Vermögen<br />

der Betreuten von rund 90 000 DM kein Erhöhungsgrund.<br />

Mit seinem Beschl. v. 31.5.1996 (BtPrax 1996, 192 ff.), auf<br />

welchen Bezug genommen wird, kommt das LG zu folgendem Ergebnis:<br />

Für die Ermittlung des angemessenen Stundensatzes sei eine<br />

durchschnittliche Jahresarbeitszeit von 1 340 Stunden zugrundezulegen,<br />

womit der bei einem Selbständigen notwendige Risikozuschlag<br />

ausreichend berücksichtigt sei.<br />

Der Vergütungsanspruch eines Betreuers mit der Qualifikation<br />

eines Rechtsanwalts werde damit aufgrund folgender Schätzungsgrundlagen<br />

berechnet:<br />

Honorar 130 000,00 DM<br />

1/2 Verwaltungskraft BAT VI 30 135,00 DM<br />

sonstige Bürounkosten 14 900,00 DM<br />

Gesamtsumme: 175 035,00 DM<br />

Stundensatz: 175.035 : 1340 = 130,62 DM<br />

Hinzuzurechnen sei die Mehrwertsteuer in<br />

Höhe von 15% (19,59 DM), so daß der<br />

Stundensatz 150,21 DM<br />

gerundet 150,00 DM<br />

betrage.<br />

B. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung<br />

(§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.<br />

1. Ist – wie hier – der Betreuer Berufsbetreuer und der Betroffene<br />

nicht mittellos, hat der Betreuer Anspruch auf die Bewilligung<br />

einer angemessenen Vergütung (§ 1908i Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 1836 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB).<br />

a) Die Angemessenheit der dem Betreuer aus dem Vermögen<br />

des Betreuten zu bewilligenden Vergütung wird durch die Umstände<br />

des jeweiligen Falles, insbesondere durch die Größe des Vermögens<br />

bzw. des Nachlasses des Betreuten, die Erforderlichkeit besonderer<br />

Fachkenntnisse des Betreuers, die Bedeutung und die<br />

Schwierigkeit der dem Betreuer obliegenden Geschäfte, das sich<br />

hieraus ergebende Maß an Verantwortung und vor allem durch die<br />

vom Betreuer erbrachte Leistung bestimmt (vgl. BayObLGZ 1996,<br />

37/38 f. m. w. N.; BayObLG FamRZ 1996, 1166/1167, 1173/1174;<br />

KG FamRZ 1996, 227/228).<br />

b) Bei einem Berufsbetreuer bemißt sich die Vergütung nach<br />

dem Zeitaufwand und einem angemessenen Stundensatz (ständige<br />

Rechtsprechung; vgl. BayObLGZ 1995, 35/38; BayObLG FamRZ<br />

1996, 1173/1174).<br />

c) Bei der Schätzung des Stundensatzes (zur entsprechenden<br />

Anwendbarkeit von § 287 ZPO vgl. BayObLGZ 1995, 35/41;<br />

BayObLG JurBüro 1993, 49) kann sich das Gericht an die Honorare<br />

anlehnen, die allgemein in der Berufsgruppe, welcher der Betreuer<br />

angehört, bezahlt werden. Gibt es solche Vergleichsbeträge<br />

nicht, kann z. B. auf die Honorierung ähnlicher Berufsgruppen mit<br />

gleicher Ausbildung zurückgegriffen werden. Zu berücksichtigen<br />

sind auf jeden Fall auch die Bürokosten einschließlich Personalkosten<br />

und Mehrwertsteuer, wobei darauf abzustellen ist, welche Kosten<br />

Berufsbetreuer üblicherweise für ein Büro mittleren Zuschnitts<br />

aufwenden. Zu berücksichtigen ist ferner ein Risikozuschlag für<br />

freie Berufe. Im Ergebnis ist ein Stundensatz zuzubilligen, der gewährleistet,<br />

daß die Vergütung dem Berufsbetreuer über den Ersatz<br />

von Kosten hinaus ein angemessenes Honorar erbringt. Die in<br />

§ 1836 Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB angeführten Beträge stellen insoweit<br />

lediglich das Mindestmaß der Vergütung dar, begrenzen diese<br />

jedoch nicht nach oben (vgl. BayObLGZ 1995, 35; 1996, 37/39;<br />

KG BtPrax 1996, 184/186).<br />

d) Vom Gericht der weiteren Beschwerde kann eine Ermessensentscheidung<br />

nur auf Rechtsfehler überprüft werden (§ 27 Abs. 1<br />

FGG, § 550 ZPO). Ein solcher liegt vor, wenn das Tatgericht sich<br />

des ihm zustehenden Ermessens nicht bewußt war, von ungenügenden<br />

oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen<br />

ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen,<br />

der Bewertung relevanter Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde<br />

gelegt, gegen Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht<br />

beachtet, von seinem Ermessen einen dem Zweck der Ermächtigung<br />

nicht entsprechenden Gebrauch gemacht oder die gesetzlichen<br />

Grenzen des Ermessens überschritten hat (vgl. BGH NJW-<br />

AnwBl 11/97<br />

Rechtsprechung<br />

RR 1990, 1157; 1993, 795/796; BayObLGZ 1996, 37/39 und 1996,<br />

47/49, je m. w. N.).<br />

2. Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung<br />

des LG keinen Bestand haben kann. Sie ist nicht frei von<br />

Rechtsfehlern.<br />

a) Nicht zutreffend ist schon der Ausgangspunkt des LG, „nach<br />

der geänderten Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts“<br />

könne „ausschließlich das Honorar, das ein in Betreuungssachen<br />

tätiger Rechtsanwalt erhält, Grundlage für die Bemessung<br />

der Vergütung sein“. Dies entspricht nicht der<br />

Rechtsprechung des Senats. Nach dieser wird die Angemessenheit<br />

der Vergütung von Berufsbetreuern nämlich von den Honoraren bestimmt,<br />

die allgemein in der Berufsgruppe bezahlt werden, der der<br />

Betreuer angehört (BayObLGZ 1993, 323/324; 1995, 35; 1996, 37/<br />

39), hier also den Honoraren von Rechtsanwälten im allgemeinen.<br />

Wollte man die angemessene Vergütung für Rechtsanwälte als Berufsbetreuer<br />

nur an den Honoraren messen, die Rechtsanwälte als<br />

Berufsbetreuer erhalten, so würde der unbekannte, erst noch zu ermittelnde<br />

Wert zum Vergleichsmaßstab.<br />

b) Nicht gefolgt werden kann auch den Ausführungen des LG<br />

zur Schätzung der Bürokosten. Zutreffend geht es zwar davon aus,<br />

daß ein Rechtsanwalt in der Regel nur dann als Betreuer bestellt<br />

werde, wenn die Betreuung anwaltliche Tätigkeit erfordere. Dennoch<br />

orientiert es sich bei der Ermittlung der durchschnittlichen<br />

Bürokosten nicht an den für Rechtsanwälte, sondern an den für Berufsbetreuer<br />

ohne die Qualifikation eines Rechtsanwalts ermittelten<br />

Werten. Ihre Auffassung, die Bürounkosten seien für Berufsbetreuer<br />

mit und ohne der Qualifikation eines Rechtsanwalts gleich, obwohl<br />

ihnen regelmäßig unterschiedliche Aufgaben zugewiesen seien,<br />

begründet die Kammer nicht.<br />

c) Die Würdigung der Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer<br />

durch das LG begegnet ebenfalls rechtlichen Bedenken.<br />

Eine derartige Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer unterliegt<br />

wie ein Sachverständigengutachten der freien Beweiswürdigung<br />

(vgl. zur Würdigung von Sachverständigengutachten BGH<br />

NJW 1982, 2874; FamRZ 1983, 1220). Das Gericht kann von ihr<br />

abweichen, wenn es von ihrer Richtigkeit nicht überzeugt ist. Ist<br />

die Stellungnahme jedoch – wie hier – zu dem Zweck erholt worden,<br />

dem Gericht die ihm auf einem Spezialgebiet fehlenden<br />

Kenntnisse zu vermitteln, muß der Richter die Abweichung begründen<br />

und seine dazu erforderliche Sachkunde ausreichend darlegen<br />

(vgl. BGH NJW 1989, 2948 f. m. w. N.).<br />

Das hat das LG nicht beachtet. Es nimmt Bezug auf zahlreiche<br />

(wieviele?) Gespräche mit nicht näher benannten Rechtsanwälten,<br />

ohne darzulegen, warum seine Gesprächspartner als kompetentere<br />

Auskunftspersonen als die Rechtsanwaltskammer anzusehen sein<br />

sollen.<br />

3. Diese Mängel der landgerichtlichen Entscheidung führen zu<br />

deren Aufhebung. Sie zwingen aber nicht zur Zurückverweisung<br />

der Sache, da der Senat die erforderlichen Feststellungen selbst<br />

treffen und selbst in der Sache entscheiden kann (vgl. BGHZ 35,<br />

135/142 f.; BGH NJW 1996, 2581; BayObLGZ 1985, 63/66).<br />

Die Betreuerin kann die von ihr geforderte Vergütung von<br />

8000 DM (einschließlich Mehrwertsteuer) beanspruchen.<br />

Der dieser Vergütung zugrunde liegende Stundensatz von<br />

200 DM (einschließlich Mehrwertsteuer) hält sich im Rahmen der<br />

vom Senat in diesem Jahr bestätigten Stundensätze von 200 DM<br />

(FamRZ 1996, 1171) und 230 DM (BtPrax 1996, 151) und der<br />

Stundensätze, die in der Literatur vertreten werden (Traulsen/Fälster<br />

AnwBl 1982, 46/48: 221,68 DM; Knief AnwBl 1989, 258/262:<br />

175 DM – 495 DM; Franzen/Apel NJW 1988, 1059/1066: 164<br />

DM – 307 DM) und liegt deutlich unter dem Stundensatz von<br />

300 DM, der vom OLG Schleswig (FamRZ 1995, 46) dem KaG<br />

(BtPrax 1996, 184) und der Rechtsanwaltskammer (ähnlich Franzen<br />

NJW 1993, 438) für angemessen angesehen wird.<br />

Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme<br />

der Rechtsanwaltskammer daran fest, daß ein Stundensatz in der<br />

aufgezeigten Größenordnung von etwa 200 DM (einschließlich<br />

Mehrwertsteuer) in der Regel erforderlich aber auch ausreichend<br />

ist, um die Leistungen eines Rechtsanwalts als Berufsbetreuer angemessen<br />

zu vergüten.<br />

Nach den Erfahrungen der Rechtsanwaltskammer werden von<br />

Rechtsanwälten Stundenvergütungen von zum Teil erheblich über


AnwBl 11/97 627<br />

Rechtsprechung l<br />

400 DM vereinbart. Stundenvergütungen unter 200 DM kommen<br />

kaum vor. Diese Stundensätze können allerdings nur eingeschränkt<br />

als Vergleichsmaßstab für die Angemessenheit der Betreuervergütung<br />

herangezogen werden. Wie die unterschiedliche Höhe der Honorarvereinbarungen<br />

zeigt, hängt der Stundensatz entscheidend von<br />

der Art der Tätigkeit ab, die es zu honorieren gilt. Die Tätigkeit eines<br />

Rechtsanwalts, der die Aufgaben eines Betreuers übernimmt,<br />

wird nur in Ausnahmefällen mit den Tätigkeiten zu vergleichen<br />

sein, für welche die von der Rechtsanwaltskammer angegebenen<br />

höheren Stundensätze vereinbart zu werden pflegen. Die Betreuertätigkeit<br />

wird im allgemeinen eher zu den einfacheren Tätigkeiten<br />

gehören, die mit einem Stundensatz von etwa 200 DM (einschließlich<br />

Mehrwertsteuer) vergütet werden. Für einen Rechtsanwalt als<br />

Berufsbetreuer erscheint deshalb ein Regelstundensatz von 200 DM<br />

zuzüglich Mehrwertsteuer angemessen. Regelstundensatz bedeutet,<br />

daß er im Einzelfall bei begründetem Anlaß erhöht oder auch herabgesetzt<br />

werden kann.<br />

Dieser Stundensatz ermöglicht ein jährliches Einkommen von<br />

152000 DM, welches die Rechtsanwaltskammer zwar im Hinblick<br />

auf die davon zu zahlenden Kosten der Altersversorgung und der<br />

Krankenvorsorge als niedrig bezeichnet, seiner Berechnung aber zugrunde<br />

gelegt hat. Der Senat übernimmt diesen Betrag als Vergleichsgröße.<br />

Es gibt sicher nicht wenige Anwälte, deren Verdienst niedriger<br />

ist. Der Senat hält es aber nicht für angebracht, unterdurchschnittliche<br />

Einkommen als Vergleichsgröße heranzuziehen. Dies könnte dazu<br />

führen, daß sich gerade qualifizierte Anwälte nicht mehr als Betreuer<br />

zur Verfügung stellen. Möglichst niedrige Honorare für Rechtsanwälte<br />

in Betreuungssachen dienten somit nicht den Betroffenen.<br />

Für die Schätzung der Bürokosten hat der Senat ausgeführt<br />

(BayObLGZ 1996, 37/40): „Da Feststellungen zum üblichen Aufwand<br />

eines Berufsbetreuers in einem bestimmten Bezirk kaum zu<br />

treffen sein werden, kann für die Schätzung auch auf Modellrechnungen<br />

bezüglich des Unkostenanteils am Gesamtumsatz von<br />

Rechtsanwaltskanzleien (vgl. BVerfG NJW 1991, 557; Franzen/<br />

Apel NJW 1988, 1059 ff.) oder auf die vom Statistischen Bundesamt<br />

ermittelten Zahlen für Einzelpraxen von Rechtsanwälten ohne<br />

Einzelpraxen für Fachanwälte (Unternehmen und Arbeitsstätten<br />

Fachserie 2 Reihe 1.6.2 1991 S.24/25 und 30/31) zurückgegriffen<br />

werden. Hierbei muß dann aber berücksichtigt werden, daß bei einem<br />

Berufsbetreuer die Bürokosten niedriger sind (vgl. Seitz BtPrax<br />

1992, 82/86 Spalte 2; Knittel BtG § 1836 Rdnr. 16).“ Es sind Kosten<br />

von mindestens 50 % des Jahreshonorars ermittelt worden (Traulsen/Fölster<br />

AnwBl 1982, 46/48; Rabe AnwBl 1980, 269/270; Statistisches<br />

Bundesamt AnwBl 1982, 52/56: Kosten bei Einzelpraxen<br />

mit Einnahmen von 100000 DM – 250000 DM: 54,6 %). Der Senat<br />

geht davon aus, daß dieser Mindestunkostensatz bei einem als Betreuer<br />

tätigen Rechtsanwalt um etwa ein Drittel unterschritten wird,<br />

da dieser geringere Aufwendungen für Repräsentation und Klientenwerbung<br />

hat als ein reiner Zivilanwalt. Er hält einen Kostenanteil<br />

von etwa einem Drittel des Gesamteinkommens für realistisch. Um<br />

ein durchschnittliches Einkommen von 152000 DM tz erzielen, muß<br />

ein Rechtsanwalt demnach insgesamt 228000 DM einnehmen. Bei<br />

1340 Jahresarbeitsstunden (vgl. BayObLGZ 1996, 37/40) entspricht<br />

dies einem Stundensatz von 195,67 DM (einschließlich Mehrwertsteuer).<br />

Unter Berücksichtigung des Umstands, daß die Bürokosten,<br />

wie dargelegt, häufig höher angesetzt werden, erscheint es gerechtfertigt,<br />

von einem Regelstundensatz von 200 DM (einschließlich<br />

Mehrwertsteuer) für Rechtsanwälte auszugehen.<br />

Bei diesem Wert handelt es sich nur um einen Richtwert, für<br />

die Bemessung der Vergütung nach § 1836 Abs. 1 Satz 3 BGB<br />

(vgl. KG BtPrax 1996, 184/186). Er ist nur einer der für die<br />

Schätzung maßgeblichen Gesichtspunkte (BayObLGZ 1996, 37).<br />

Im Einzelfall kann gemäß den für alle Betreuer geltenden, oben<br />

dargelegten Grundsätzen ein höherer oder auch niedrigerer Stundensatz<br />

gerechtfertigt sein.<br />

Der Senat sieht demgemäß keinen Anlaß, die von der Beschwerdeführerin<br />

geforderte Vergütung zu kürzen. Sie erscheint<br />

hier angemessen. Ein Grund, den Regelstundensatz von 200 DM<br />

(einschließlich Mehrwertsteuer) zu erhöhen oder herabzusetzen,<br />

liegt nicht vor. Insbesondere ist ein solcher nicht durch das Vermögen<br />

der Betroffenen von rund 90000 DM gegeben.<br />

Mitgeteilt von Richter am BayObLG Johann Demharter, München<br />

Aktuell: Rechtsanwaltsversorgung<br />

RAVG Bad. Württemberg, §§ 8, 9, 17; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6<br />

Abs. 1<br />

Zur beitragsfreien Anrechnung von Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten<br />

im Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

(LS der Redaktion)<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 26.8.1997 – 1 BvL1/94<br />

Aus den Gründen: I. Gegenstand der Vorlage ist die Frage, ob<br />

§ 8 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 8 des<br />

Gesetzes über das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-<br />

Württemberg (Rechtsanwaltsversorgungsgesetz – RAVG) vom<br />

10. Dezember 1984 (GBl. S. 671) insoweit mit dem Grundgesetz<br />

vereinbar sind, als sie für angestellte Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen<br />

keine beitragsfreie Anrechnung von Mutterschutz- und<br />

Kindererziehungszeiten vorsehen und dies dem Satzunggeber des<br />

Versorgungswerks auch nicht gestatten.<br />

1. Das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz regelt die Einführung<br />

und die Grundzüge der Durchführung eines Versorgungswerks mit<br />

Pflichtmitgliedschaft für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in<br />

Baden-Württemberg. Es enthält unter anderem folgende Bestimmungen<br />

(wird ausgeführt):<br />

2. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist angestellte Rechtsanwältin<br />

in Baden-Württemberg. Gegen den Beitragsbescheid vom<br />

Oktober 1992, mit dem das Versorgungswerk die monatlich zu zahlenden<br />

Beiträge für den Zeitraum ab September 1992 auf der<br />

Grundlage des Vorjahreseinkommens festsetzte, wandte sich die<br />

Klägerin mit dem Argument, sie sei seit 27. September 1992 in<br />

Mutterschutz bzw. seit 21. Dezember 1992 im Erziehungsurlaub<br />

und deshalb beitragsfrei zu stellen. Gegen den Widerspruchsbescheid,<br />

mit dem die Beitragsforderung nur geringfügig herabgesetzt<br />

wurde, erhob sie Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe.<br />

3. Mit Beschluß vom 16. Dezember 1993 setzte das Verwaltungsgericht<br />

Karlsruhe das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG<br />

aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung<br />

vor, ob § 8 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1<br />

Nrn. 3 und 8 des RAVG mit dem Grundgesetz, insbesondere mit<br />

Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar sind. Das Gericht<br />

sieht sich an einer Entscheidung über die Klage gehindert, weil die<br />

angefochtenen Bescheide in Einklang mit den Regelungen der Versorgungswerke<br />

und des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes stünden,<br />

diese jedoch verfassungswidrig seien.<br />

a) Die Verfassung, insbesondere Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1<br />

GG verlangten die Gewährung von Beitragsfreiheit bei gleichzeitig<br />

fortgesetzter Anwartschaftsbegründung für die Zeiten, in denen<br />

Mitglieder wegen Mutterschutz und Erziehungsurlaub keiner Berufstätigkeit<br />

nachgingen. Dies gelte zumindest für angestellte<br />

Rechtsanwältinnen, die wegen Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk<br />

von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit seien.<br />

Der verfassungsrechtlich gebotene Familienlastenausgleich, als<br />

dessen Bestandteil der Bundesgesetzgeber die Berücksichtigung<br />

von Kindererziehung in der Rentenversicherung eingeführt habe,<br />

müsse auch die berufsständisch Versicherten einbeziehen.<br />

b) Die Satzung des Versorgungswerks sehe keine Beitragsfreiheit<br />

für Zeiten ohne Einkommen vor und differenziere auch nicht nach<br />

dem Grund für die Einkommenslosigkeit. Die Versorgungsanwartschaften<br />

richteten sich ausschließlich nach den eingezahlten Beiträgen.<br />

Mit der Beitragsfreiheit allein sei eine angemessene Honorierung<br />

der gesellschaftlich erwünschten Kindererziehung nicht zu<br />

erreichen, vielmehr müßten auch die entstehenden Versorgungslükken<br />

aufgefüllt werden. Eine derartige Regelung könne nicht ohne<br />

Beachtung der Satzung (die nicht dem Verwerfungsmonopol des<br />

Bundesverfassungsgerichts unterliege) direkt aus dem Gesetz entnommen<br />

werden. Denn das Gesetz selbst lasse hierfür keinen Raum.<br />

Aus den vorgelegten Normen ergebe sich, daß der Satzunggeber zu<br />

einer Beitragsreduzierung nur aus berufsimmanenten Gründen berechtigt<br />

und zu einer Beitragsermäßigung auf Null gar nicht legitimiert<br />

sei. Eine Begründung von Versorgungsanwartschaften durch<br />

Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten müsse ebenfalls ausdrücklich<br />

im Gesetz vorgesehen werden, um ihre Finanzierung zu<br />

regeln. Diese könne entweder durch einen Staatszuschuß erfolgen –<br />

den der Haushaltsgesetzgeber beschließen müsse – oder durch das


<strong>628</strong><br />

l<br />

Beitragsaufkommen der übrigen Mitglieder. Auch bei der zweiten<br />

Alternative gebiete Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit<br />

dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip eine gesetzgeberische<br />

Grundentscheidung, um dem Satzungsgeber die darin liegende<br />

Umverteilung zu ermöglichen. An dieser fehle es.<br />

II. Die Vorlage ist unzulässig.<br />

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2<br />

Satz 1 BVerfGG muß das vorlegende Gericht darlegen, daß seine<br />

Entscheidung von der Gültigkeit der vorgelegten Norm abhängt.<br />

Zudem muß es seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit<br />

der vorgelegten Normen begründen. Insbesondere hat das Gericht<br />

darzulegen, weshalb es von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen<br />

Auslegung überzeugt ist (vgl. BVerfGE 85, 329 ;<br />

86, 71 ; 90, 145 ; st. Rspr.). Lassen der Wortlaut, die<br />

Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen<br />

Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen<br />

zu, von denen eine mit der Verfassung vereinbar ist, so ist diese geboten<br />

(vgl. BVerfGE 83, 201 ; 88, 145 . Für eine<br />

Vorlage bleibt in diesem Fall mangels Entscheidungserheblichkeit<br />

kein Raum (vgl. VBerfGE 90, 145 ).<br />

2. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt die Vorlage<br />

nicht. Sie ist unzulässig, weil das vorlegende Gericht nicht hinreichend<br />

dargelegt hat, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

für das anhängige gerichtliche Verfahren unerläßlich ist<br />

und nicht durch verfassungskonforme Auslegung der in Frage stehenden<br />

Vorschriften vermieden werden kann. Das Verwaltungsgericht<br />

Karlsruhe hat die erforderlichen Bemühungen, durch eine verfassungskonforme<br />

Auslegung der vorgelegten Normen zu dem von<br />

ihm für verfassungsrechtlich gebotenen Inhalt des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes<br />

zu gelangen, nicht unternommen.<br />

a) Hierzu hätte zunächst ein Rückgriff auf die Gesetzgebungsmaterialien<br />

nahegelegen. Danach wollte der Gesetzgeber sich darauf<br />

beschränken, lediglich die wesentlichen Grundsätze des zu<br />

errichtenden Versorgungswerks zu regeln, die Einzelheiten – auch<br />

hinsichtlich der Weiterführung der Mitgliedschaft oder der Befreiung<br />

von der Beitragszahlung – jedoch dem Satzunggeber überlassen.<br />

Durch § 8 Abs. 1 RAVG, der auf die gesetzliche Rentenversicherung<br />

verweist, sollte sichergestellt werden, daß die Voraussetzungen<br />

für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

nach § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes – AVG –<br />

(heute § 6 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB<br />

VI –) erfüllt werden. Ausdrücklich sollte dem Satzunggeber<br />

eine flexible Anpassung an eine Änderung des Rechts ermöglicht<br />

werden (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs vom<br />

21. September 1984, LTDrucks 9/493).<br />

b) Im Anschluß daran hätte es nahegelegen, die Anpassungsbedürftigkeit<br />

des Satzungsrechts im Hinblick auf die rentenrechtliche<br />

Behandlung von Kindererziehungszeiten zu würdigen. So<br />

war bei Erlaß des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes im Jahre<br />

1964 der Bund gemäß Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes zur Einführung<br />

eines Mutterschaftsurlaubs vom 23. Juni 1979 (BGBl I S. 792) verpflichtet,<br />

die Beiträge zu übernehmen, die die Bezieherinnen von<br />

Mutterschaftsgeld an berufsständische Versorgungswerke zu zahlen<br />

hatten. Diese Verpflichtung ist inzwischen entfallen. Insgesamt<br />

kann eine Würdigung der weiteren Entwicklung, die die rentenrechtliche<br />

Behandlung von Kindererziehungszeiten und die Verteilung<br />

der Beitragslast in den Systemen der sozialen Sicherheit genommen<br />

hat, durchaus Anlaß für eine Auslegung des<br />

Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes geben, die der vom Gesetzgeber<br />

intendierten Öffnung des Satzungsrechts weiten Raum läßt.<br />

c) das Verwaltungsgericht hätte sich ferner damit auseinandersetzen<br />

müssen, in welchem Ausmaß das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />

eine Umverteilung unter den Mitgliedern zuläßt. Soweit in dem<br />

Vorlagebeschluß ausgeführt wird, daß es hierfür an gesetzlichen<br />

Grundlagen fehle, hat das Verwaltungsgericht sich nicht hinreichend<br />

genau mit dem gesetzlichen Regelwerk beschäftigt.<br />

aa) Schon mit den Vorschriften über die Hinterbliebenenversorgung<br />

ist im Gesetz eine Umverteilung zugunsten von Familienangehörigen<br />

angelegt. Danach werden Leistungen nicht ausschließlich<br />

in strenger Abhängigkeit von den eingezahlten Beiträgen erbracht.<br />

Denn diese Leistungen hängen nicht von der Höhe der Beiträge,<br />

sondern von der Zahl und dem Alter der Hinterbliebenen bei Tod<br />

des Mitgliedes ab. Nachdem die gesetzliche Rentenversicherung<br />

die familiäre Lage der Versicherten nicht nur im Todesfall, sondern<br />

AnwBl 11/97<br />

Rechtsprechung<br />

bereits bei der Erziehung von Kindern berücksichtigt (bei Mitgliedschaft,<br />

Pflichtbeitrag und Berücksichtigungszeit), war eine<br />

Prüfung geboten, ob der Zweck des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes,<br />

eine der Rentenversicherung gleichwertige Altersversorgung<br />

zu schaffen, den Satzunggeber auch zu dieser Art der Umverteilung<br />

ermächtigt. Dabei hätte das Verwaltungsgericht auf die<br />

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Anforderungen<br />

des § 7 Abs. 2 AVG zurückgreifen können (BSG, SozR 2400 § 7<br />

Nrn. 5 und 6; SozR 3-2940 § 7 Nr. 2).<br />

bb) Schließlich hätte das vorlegende Gericht aus auch anderen<br />

Umverteilungselementen der Satzung entnehmen können, daß die Ermächtigungsgrundlage<br />

nach dem Selbstverständnis des Satzunggebers<br />

insoweit keine absoluten Schranken enthält. Denn die Leistungshöhe<br />

richtet sich nicht nur nach Höhe und Zahl der geleisteten<br />

Beiträge; gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung werden vielmehr – je<br />

nach Eintrittsalter und unabhängig von der sonstigen Versicherungsdauer<br />

– bis zu acht Versicherungsjahre zusätzlich gutgebracht.<br />

cc) Auch kennt das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz in § 7<br />

Abs. 3 eine beitragslose Mitgliedschaft, die – in der Ausgestaltung<br />

der Satzung (§ 22 Abs. 3 Nr. 2) – rentensteigernd wirken kann. Zugleich<br />

ermächtigt § 7 Abs. 5 RAVG den Satzunggeber ausdrücklich<br />

dazu, Regelungen über die Weiterführung der Mitgliedschaft vorzusehen.<br />

Hiermit und den daraus für den Ausgangsfall folgenden<br />

Auslegungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat sich das vorlegende<br />

Gericht nicht beschäftigt.<br />

d) Hinsichtlich der Berücksichtigung der Einkommenslage der<br />

Versorgungswerksmitglieder hat das Verwaltungsgericht ebenfalls<br />

seine Behauptung, das Gesetz lasse eine Berücksichtigung derselben<br />

im wesentlichen nur bei Berufsanfängern zu, nicht hinlänglich<br />

begründet. Bereits die Regelung über die Beitragsberechnung bei<br />

Mitgliedern, die Leistungen bei Rehabilitation und Arbeitslosigkeit<br />

beziehen oder die zu Wehr- oder zivilem Ersatzdienst herangezogen<br />

werden (§ 13 Abs. 2 und 3 der Satzung) weist in Verbindung<br />

mit § 166 Nrn. 1 und 2, § 170 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 Buchstabe b<br />

SGB VI eher in eine andere Richtung.<br />

3. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den genannten Umständen<br />

nicht auseinandergesetzt. Angesichts dessen kann dahingestellt<br />

bleiben, ob es die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Normen<br />

hinreichend begründet hat. Ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens<br />

tatsächlich die Anrechnung von Beitragszeiten begehrt<br />

oder ob ihr Antrag auf die Freistellung von der Beitragspflicht beschränkt<br />

ist, wird vom Verwaltungsgericht im weiteren Verfahren<br />

aufzuklären sein. Dabei kann dann auch die am 1. Januar 1997 in<br />

Kraft getretene Rechtsänderung (§ 22a der Satzung in der Fassung<br />

vom 22. Juni 1995 ) in die Überlegungen<br />

einbezogen werden.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Hechingen<br />

impressum<br />

Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e. V., Adenauerallee 106, 53113 Bonn,<br />

Tel. 0228/2607-0, Fax 02 28/260746. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher (v. i.<br />

S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Verlag:<br />

Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Lengsdorfer<br />

Hauptstraße 75, 53127 Bonn; Konto: Postbank Essen Kto.-Nr. 85642-439,<br />

BLZ 36010043. Anzeigen: MD Medien Dienste GmbH, Rosemarie Schwarz<br />

und Ingrid Oestreich (v. i. S. d. P.), Baumweg 19, 60316 Frankfurt a. M., Tel.<br />

069/9433 31-0 Fax 069/4990386. Technische Herstellung: Hans Soldan<br />

GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen. Erscheinungsweise: Monatlich zur<br />

Monatsmitte. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten,<br />

Einzelpreis 18,– DM (inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins<br />

ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen:<br />

Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat<br />

vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die<br />

Schriftleitung bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers<br />

zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt.<br />

Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />

gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />

Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Verlages.<br />

ISSN 0171-7227.<br />

w


XXIV<br />

4<br />

Qualität in der Kanzlei – Tips und Informationen<br />

Wir möchten Sie in dieser Ausgabe<br />

über unseren Wettbewerb zur Förderung<br />

der Qualität in der Kanzlei, die<br />

Möglichkeit einer gezielten Kanzleianalyse,<br />

das Thema Verschwiegenheitspflicht<br />

bei der Zertifizierung sowie<br />

über das Seminarangebot zur<br />

Rubrik informieren.<br />

Prämierung der erfolgreichsten<br />

Verbesserungsvorschläge<br />

Das Institut der Anwaltschaft prämiert<br />

die besten Verbesserungsvorschläge<br />

zur Förderung der Qualität in der<br />

Kanzlei. Senden Sie eine kurze Beschreibung<br />

Ihrer erfolgreichsten Verbesserungsmaßnahmen<br />

an die Rubrik.<br />

Ein Beispiel: In einer Kanzlei konnten<br />

störende Anrufe bei den Anwälten<br />

reduziert werden. Dies gelang<br />

durch konsequente Rückrufe der Anwälte<br />

zu vereinbarten Terminen und<br />

eigene Anrufe bei den Mandanten in<br />

festgelegten Telefonblöcken. Daraus<br />

ergab sich weiterhin die Gelegenheit<br />

einer gezielteren Vorbereitung der<br />

Gespräche und der schnellere Zugriff<br />

auf die bereitliegenden Akten. Die<br />

Mandanten wurden über diese neue<br />

Vorgehensweise ausführlich informiert<br />

und zeigten überwiegend großes<br />

Verständnis, da auch sie in Gesprächen<br />

mit den Rechtsanwälten<br />

von der neuen Regelung profitierten.<br />

Der beste Tip wird jeden Monat<br />

veröffentlicht und mit einem Buchpreis<br />

aus dem Deutschen Anwaltverlag<br />

prämiert. Im nächsten Monat:<br />

Heidel/Pauly/Amend, AnwaltFormulare,Schriftsätze-Verträge-Erläuterungen,<br />

1. Auflage 1997, ca. 2.300 Seiten,<br />

gebunden, inklusive CD-ROM<br />

mit sämtlichen Schriftsatzmustern.<br />

Kanzlei-Check<br />

Der Kanzlei-Check ist eine vom<br />

Institut der Anwaltschaft entwikkelte,<br />

strukturierte Methode zur Analyse<br />

der wesentlichen Organisationsabläufe<br />

in der Kanzlei.<br />

Über den von der AdvoConsult erfolgreich<br />

durchgeführten Kanzlei-<br />

Check werden zunächst sämtliche<br />

Abläufe in der Kanzlei erfaßt und anschließend<br />

analysiert. Die Analyse<br />

erfolgt auf Basis eines bewährten Projektplans.<br />

Anhand einer individuellen<br />

Zusammenstellung aus über 200 Einzelfragen<br />

wird gemeinsam mit allen<br />

Mitarbeitern der Handlungsbedarf zur<br />

Steigerung der Qualität in der Kanzlei<br />

ausgearbeitet. Der AdvoConsult-Berater<br />

erstellt abschließend einen<br />

präzisen Analysebericht, in dem die<br />

wesentlichen Verbesserungsmöglichkeiten<br />

aufgezeigt werden.<br />

Anwaltliche<br />

Verschwiegenheitspflicht wahren<br />

Im Rahmen eines Zertifizierungsaudits<br />

vor Ort überprüft der Auditor<br />

stichprobenartig, ob die Kanzlei die<br />

Vorgaben ihres Qualitätsmanagementsystems<br />

bei der täglichen Arbeit berücksichtigt.<br />

Hierbei steht es dem Auditor<br />

frei, Einsicht in einzelne Akten<br />

zu nehmen oder die Anlage von<br />

Stammdaten in der EDV zu beobachten.<br />

Ohne Zweifel besteht daher die<br />

Möglichkeit, daß der Auditor Kenntnis<br />

von mandatsbezogenen Daten erlangt.<br />

Es stellt sich daher die Frage,<br />

wann, wie und in welchem Umfang<br />

die Zustimmung der Mandanten eingeholt<br />

werden sollte. Vorab ist klarzustellen,<br />

daß das Einverständnis der<br />

Mandanten ausschließlich für die<br />

Mandate eingeholt werden sollte, die<br />

nach Inkrafttreten des Qualitätsmanagementsystems<br />

angenommen<br />

werden. Denn der Auditor wird sinnvollerweise<br />

nur die Akten stichprobenartig<br />

überprüfen, die bereits<br />

entsprechend der Vorgaben des Qualitätsmanagementsystems<br />

angelegt worden<br />

sind. Es empfiehlt sich, das Einverständnis<br />

dieser Mandanten<br />

anläßlich der ersten Beratung durch<br />

den Rechtsanwalt einzuholen und in<br />

der Akte, z. B. auf dem Handaktenbogen,<br />

zu vermerken. Die Erfahrung<br />

zeigt, daß bis zu 95% der Mandanten<br />

ihr Einverständnis erteilen. Erteilt der<br />

Mandant sein Einverständnis nicht, ist<br />

dies ebenfalls in der Akte zu vermerken.<br />

Der Auditor wird diese Akten<br />

dann nicht in die stichprobenartige<br />

Überprüfung einbeziehen.<br />

Seminar Zukunft Anwaltskanzlei<br />

Die Deutsche Anwaltakademie veranstaltet<br />

am 29. November 1997 in<br />

Konstanz ein Tagesseminar mit dem<br />

Titel „Zukunft Anwaltskanzlei“. Das<br />

Seminar richtet sich an alle, die eine<br />

Zertifizierung ihrer Kanzlei nach den<br />

Qualitätsnormen DIN EN ISO<br />

9001 ff. anstreben. Der Geschäftsfüh-<br />

rer der AdvoCert Zertifizierungsgesellschaft<br />

für Rechtsanwälte mbH<br />

RA Dipl.-Inform. Dr. jur. Marcus<br />

Werner wird im Rahmen des Seminars<br />

einen Überblick über die erforderlichen<br />

Vorarbeiten und eine detaillierte<br />

Darstellung des Zertifizierungsverfahrens<br />

geben. Das lohnende<br />

Durchlaufen des Zertifizierungsverfahrens<br />

wird mit diesem Seminar<br />

sachgerecht vorbereitet.<br />

Großes Interesse für das Thema<br />

Qualität in der Kanzlei<br />

Die Deutsche Anwaltakademie veranstaltet<br />

in 57 Städten das Seminar „1x1<br />

Qualität in der Kanzlei“. An den bisherigen<br />

23 Veranstaltungen haben<br />

über 1.000 Rechtsanwälte teilgenommen.<br />

Für die restlichen Veranstaltungen<br />

liegen bereits über 800 Anmeldungen<br />

vor (Stand Sept. 1997).<br />

Anmeldungen für die Seminare „Zukunft<br />

Anwaltskanzlei“ und „1x1 Qualität<br />

in der Kanzlei“ nimmt die Deutsche<br />

Anwaltakademie unter der Telefonnummer:<br />

0228/983660 entgegen.<br />

Die moderne Anwaltskanzlei<br />

Das vom DAV-Ausschuß für Büroorganisation<br />

und -technik herausgegebene<br />

Buch „Die moderne Anwaltskanzlei“<br />

beinhaltet in der zweiten, im<br />

Deutschen Anwaltverlag gerade erschienenen<br />

Auflage jetzt auch einen<br />

Beitrag zum Qualitätsmanagement<br />

und zur Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen.<br />

In den nächsten Ausgaben<br />

Es werden u.a. folgende Beiträge erscheinen:<br />

– Die Methodik zur Einführung eines<br />

Qualitätsmanagementsystems<br />

– Arbeitsabläufe in der Kanzlei –<br />

Organisationshinweise für kleine,<br />

mittlere und große Kanzleien<br />

Wie ist die Rubrik zu erreichen?<br />

Mit Fragen, Anregungen oder Beiträgen<br />

wenden Sie sich bitte an:<br />

Institut der Anwaltschaft<br />

Christian Kamradt<br />

Lengsdorfer Hauptstraße 75<br />

53127 Bonn<br />

Telefon: 0228-91911-33<br />

Telefax: 0228-91911-99<br />

E-Mail: dav@edina.xnc.com


XXVI<br />

4<br />

9 Zahlen und Hintergründe zumThema<br />

„öffentliche Haushalte“ findet<br />

man auf der Homepage des Bundes der<br />

Steuerzahler. Besonders einprägsam ist<br />

die dort abgebildete Deutschlandkarte<br />

mit der Möglichkeit, grafisch unterstützt<br />

in die Verschuldungsstatistik der<br />

Bundesländer einzusteigen.<br />

Unter der Rubrik „Die meistens<br />

unglaublichen Fälle der Steuergeldverschwendung<br />

in Deutschland“ wird das<br />

Thema anhand von Einzelfällen weiter<br />

vertieft.<br />

http://www.steuerzahler.de (HIT)<br />

9 Bei Insolvenzen privater Haushalte<br />

kann es zur Versteigerung kommen.<br />

„Für Kurzentschlossene und Schnäppchenjäger<br />

sind die Zeiten so gut wie<br />

lange nicht mehr“ steht bei http://<br />

www.haus.de zu lesen. So rechnet man<br />

bis Ende 1997 mit bis zu 35.000 Versteigerungsterminen.<br />

So viel wurde<br />

seit 1987 nicht mehr umgesetzt.<br />

Die Informationen dort konzentrieren<br />

Internet –Aktuell<br />

sich auf Immobilienversteigerungen.<br />

Neben einer Versteigerungsstatistik<br />

wird auch der Immobilienkalender<br />

des Argetra-Verlages in Ratingen<br />

zitiert. Online waren auch einige<br />

Einzelobjekte abrufbar.<br />

http://www.haus.de/infothek/archiv/<br />

versteigerung.html<br />

Mehr mobiliarorientiert geht es beim<br />

Auktionshaus Haug in München zu.<br />

Auf den Terminkalender des Versteigerungshausses<br />

kann online zugegriffen<br />

werden. Gewerbeimmobilien<br />

sind ebenfalls im Angebot.<br />

http://www.astraeu.com/haug/<br />

home.de.html (HIT)<br />

9 Angaben über Konkurse und Vergleiche<br />

führt das „SHK Forum online“.<br />

Erfaßt werden neben aktuellen<br />

Eintragungen die Jahre 1996 sowie<br />

1995 (und älter). Eine umfangreichere<br />

Auflistung steht aber noch aus.<br />

http://www.datanorm.de/<br />

konkurse.htm (HIT)<br />

9 In der elektronischen Zeitschrift<br />

Netguide des Focus Verlages gibt es<br />

gut sortierte Informationen zum Bereich<br />

„Finanzen und Wirtschaft“.<br />

Sehr sinnvoll ist z. B. der „Anleger<br />

Warndienst“ mit aktuellen Daten zu<br />

Anlage-Betrügereien der letzten Jahre<br />

und den Namen der schwarzen<br />

Schafe. Zur Zeit der Recherche war<br />

die Übersicht unter<br />

http://netguide.de/C/C030/c030.htm<br />

zu erlangen. Das könnte schöner benannt<br />

werden – von der zentralen<br />

Adresse aus ist die Übersicht jedoch<br />

relativ leicht zu finden.<br />

Weitere Tips und Informationen bei<br />

Netguide:<br />

Analysen und Anlageempfehlungen<br />

des Berliner Bankhauses Gries und<br />

Heissel, Hamburger „Börsenbrief“,<br />

Optionsschein-Kalkulator (Aufgeld<br />

und Hebel aus Eckdaten online berechenbar),<br />

Bankleitzahlen, Fernost-<br />

Geschäfte, Bausparen (online-Berechnungen<br />

sowie Baupreise für 102<br />

deutsche Städte), Versteigerungen,<br />

Mietrecht, Firmendaten – Handelsregisterauskünfte.<br />

Der Link „Handelsregister“ führt zu<br />

weiteren Internet-Adressen von Datenbanken<br />

und Recherchediensten.<br />

Auch der Link „Aktien“ ist weiter<br />

aufgegliedert.<br />

http://netguide.de (HIT)<br />

9 Von der Anlage her überzeugend<br />

ist die Börsenkurs-Datenbank von<br />

Adrian Schwegler. Das Listing wichtiger<br />

europäische Börsen ist über einzelne<br />

Buttons abrufbar. Jedenfalls<br />

ältere Daten stehen derart als Index<br />

bereit (1996). Eine täglich aktualisierte<br />

Darstellung der Notierung ist<br />

angekündigt. Alle Angaben werden<br />

ohne Gewähr gegeben. „Börse<br />

Heute“ ist erreichbar unter:<br />

http://www.hamburg.netsurf.de/<br />

adrian.schwegler/boerse (HIT)<br />

9 Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten,<br />

Telefonauskunft in elektronischer<br />

Form zu erhalten. Die im Handel<br />

angebotenen CD-ROM sind<br />

mittlerweile preiswert und einfach zu<br />

bedienen. Noch preiswerter ist die<br />

kostenlose Internet-Telefonauskunft<br />

der Telekom. Das Antworteverhalten<br />

der „Teleauskunft 1188 Online“ ist<br />

entsprechend zögerlich.<br />

Die Auskunftseite ist über ein<br />

WWW-Formular bedienbar und steht<br />

in drei Sprachen zur Verfügung.<br />

http://www.teleauskunft188.de (HIT)

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