28.07.2013 Aufrufe

Aurora Luque Gedichte Hölderlins Turm Du ahnst die erneuerten ...

Aurora Luque Gedichte Hölderlins Turm Du ahnst die erneuerten ...

Aurora Luque Gedichte Hölderlins Turm Du ahnst die erneuerten ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Aurora</strong> <strong>Luque</strong><br />

<strong>Gedichte</strong><br />

<strong>Hölderlins</strong> <strong>Turm</strong><br />

<strong>Du</strong> <strong>ahnst</strong> <strong>die</strong> <strong>erneuerten</strong> Düfte<br />

Der Wind trägt sie herbei<br />

Im Tanzschritt<br />

Unendlich und rein.<br />

<strong>Du</strong> <strong>ahnst</strong> <strong>die</strong> Frische der Keime<br />

Der Saft bringt sie zum Treiben<br />

Im Tempo eines Allegro<br />

Himmlisch, unhörbar.<br />

<strong>Du</strong> <strong>ahnst</strong> <strong>die</strong> Schönheit im Wasser<br />

Geht <strong>die</strong> Sonne unter:<br />

Harfe überströmend<br />

In lichtvollen Akkorden.<br />

<strong>Du</strong> <strong>ahnst</strong> <strong>die</strong> unverhoffte Zärtlichkeit<br />

Die durch den Sinn geht<br />

Und gleich einer Stimme vollkommen<br />

Den Tag eines Menschen verändert.<br />

Hybris<br />

(Deutsch von Valérie Lawitschka)<br />

Auf dem Gipfel, das Nichts.<br />

Doch alles wagt man für den Gipfel<br />

der Liebe oder der Kunst.<br />

Probleme der Synchronisation<br />

In einen gelungenen Film, wenn das Drehbuch gut ist<br />

und <strong>die</strong> Schauspieler mit Würde <strong>die</strong> Helden spielen,<br />

kerbt <strong>die</strong> Zeit Streifen, löscht<br />

nach und nach den Fokus und<br />

das Tonband reiβt.<br />

Immer ein Gefühl von zerfetzter Leinwand<br />

von mangelhaftem Leben.<br />

Wie verletzlich der Film ist,<br />

den wir in <strong>die</strong>sen Stunden zu drehen wünschen,<br />

für eine heimliche, private Vorfürung


auf der inneren Leinwand der Augenlider,<br />

Ein abgeschmackter, sittsamer Ton<br />

van amerikanischer Nacht<br />

im aufleuchtenden Begehren,<br />

nicht einmal der Braunton<br />

der schmerzlosen Vergangenheit stellt sich ein.<br />

Traum von Regenmanteln<br />

auf feucht schimmernden Straβen,<br />

schwellende Lippen, fast<br />

schwarz, vom Saal aus gesehen. ]ugendzeit,<br />

brüchiger Zelluloidstreifen,<br />

mittelmäβiges Drehbuch,<br />

Probleme der Synchronisation?<br />

Interieur<br />

Ich unterhalte mich lebhaft mit meinen Träumen.<br />

Lade sie ein, sich von der Nacht zu trennen,<br />

und sie, in Nebelkleidern, setzen sich<br />

mit mir an den papierbedeckten Tisch.<br />

Ich frage sie nach ihrer Syntax,<br />

weil sie, wenn ich Semantik sage, mir böse sind.<br />

Heute empfing aus ihren Händen ich<br />

ein prächtiges Fragment von dir,<br />

wie eine Juninacht in Gil de Biedma,<br />

ein Herbst von Keats, oder der Sorbetgeschmack<br />

der alten Sonntagvormittage.<br />

Eau de parfum<br />

Aus der Kindheit, der <strong>Du</strong>ft<br />

nach Moos in den Kanälen, nach Lehm, nach Brombeeren,<br />

und <strong>die</strong> gewaltige Kraft es zu erinnern.<br />

Vom Meer, <strong>die</strong> letzte Spur<br />

der letzten angespülten Welle,<br />

vor ihrer Rückkehr, uns zu überzeugen,<br />

daβ es keine Meerjungfrauen gibt.<br />

Aus der Nacht, <strong>die</strong> sanften Schleier<br />

eines italienischen Parfums<br />

das noch in Mode ist.


Von deinem Körper, das Aroma<br />

des Buchs der Abenteuer,<br />

erneut gelesen; doch auch von Oleander,<br />

betrüibt und glühend.<br />

Es duftet nach verbranntem Leben.<br />

Terrasse<br />

Einverstanden: Schon gibt es keine Visionäre mehr,<br />

Liebesexzesse sind nicht gefragt<br />

- auch nicht das schmückende Beiwort-<br />

und es ist lächerlich, von Meerjungfrauen zu reden.<br />

Der Dichter macht sich fort vom Gedicht. Inzwischen<br />

nimmt er Kaffee ein oder mit Freunden ein Sonnenbad,<br />

fährt mit dem Taxi hinunter ans Meer und <strong>die</strong> Metapher<br />

entkleidet sich nackt und schlank in den Wellen.<br />

Die Lesart vom Korper<br />

Einen Körper auferwecken,<br />

der im Gedächtnis erscheint:<br />

aufnimmt das Erinnern den Halbgott<br />

und das Vergessen den Wind.<br />

Tastsinn: Bericht<br />

einer brauchbaren Theogonie:<br />

Nymphen im Speichel, Botschaften<br />

der Iris im Blut, Angriffe<br />

der Amazonen, welche Allegorien<br />

erhoffen wir vom Feuer, <strong>die</strong> höchste<br />

Wahrnehmung der Haut.<br />

Der geliebte Körper ist nie<br />

nur der Körper allein.<br />

Gentlemen,<br />

setzen wir unsere Reise fort,<br />

viele Anker unter Spiegel der Ägäis<br />

YORGOS SEFERIS


Theatertod<br />

Wenn der Tod mit seinem Mantel käme<br />

und seinem Totenschädel,<br />

ein italienischer Carnevalstod, schlank,<br />

mit gelben Knochen aus gezackter Seide,<br />

Theatertod, der um Mitternacht,<br />

vielleicht von Ingmar Bergman der, IIIustration vielleicht<br />

vom Text der Dança;<br />

der wo den Dichter an der Schulter faβt<br />

und leise flüstert ihm <strong>die</strong> Elegie,<br />

hochmütiger Verführer, Fragment<br />

des Schattens,<br />

des ersehnten.<br />

Gel<br />

Das Handtuch nehmen. Barfuβ gehen. Der Schwamm,<br />

gelb und porös, auf einem schamlosen Markt für Touristen<br />

auf der Insel Hydra erstanden, so zart unter dem taglichen<br />

Wasserstrahl, viele Monate später, im Exil.<br />

Plötzlich bringt mir das Gel - seine milchige Klarheit,<br />

<strong>die</strong> genaue Konsistenz - das mythische Sperma<br />

des verstörenden Urleibs von Uranus in den Sinn;<br />

ein Kräuseln der Wellen aus der Tiefe des Meeres<br />

und eine Göttin streift<br />

den Rest eines anderen Schaums von den Schultern.<br />

Eine sehr unzeitgemäβe Erregung durchfährt mich,<br />

ein schmerzlicher Pulsschlag, rasend und ohne Sinn,<br />

für das Meer. Allein für das Meer. Ich suche eine Dosis<br />

Ersatzmeer.<br />

Wie aber könnte ich mich entgiften.<br />

Ich bin für mein Leben<br />

an eine Droge gefesselt: Griechenland.<br />

Notizbuch des Schiffbrüchigen<br />

Es wacht das Vergessen<br />

über dem dunklen Schlamm aus Zeit.<br />

Dort ist <strong>die</strong> Liebe Verbündete des Schiffbruchs.<br />

Wesen aus dem Abgrund<br />

fressen sie auf. Verstümmelungen des Körpers<br />

durch <strong>die</strong> eigenen Wunsche.<br />

Eine Verwandlung wartet ungeduldig<br />

unter der Oberfläche der Gegenwart.<br />

Zeit trag' ich in Händen um zu entmachten<br />

<strong>die</strong> Verschmähung des Gestern. Das Meer trinkt vom Meer<br />

So nährt der Tod vom Grund aus <strong>die</strong> Spiegel.


Angewandte Literatur<br />

Immer beruhigten mich Reisen irgendwohin<br />

unter einem vagen literarischen Vorwand:<br />

Das Grab Leonores oder van Hölderlin,<br />

<strong>die</strong> Quelle Arethusa, das edle Mytilene,<br />

ein delikater Wein, <strong>die</strong> nahen Sirenen,<br />

und irgend ein lebender, allzu ferner Dichter<br />

-<strong>die</strong>se Reisen, <strong>die</strong> sich nie wiederholen,<br />

denn man verschwendet auch <strong>die</strong> <strong>Gedichte</strong>.<br />

Beinahe hab' ich das Leben vergeudet, indem ich es<br />

anwandte auf <strong>die</strong> Literatur und ihre Fetische,<br />

trügerisch und vergeblich,<br />

auf das fremde Amulett,<br />

welche kühn <strong>die</strong> Worte verhüllen.<br />

In einer griechisch-orthodoxen Kirche in Wien<br />

Unruhig ist <strong>die</strong> Pracht <strong>die</strong>ser Kirchen.<br />

Halbdunkel umhüllt antikes Gold,<br />

aus der Stille steigt das Gemurmel<br />

stockender Psalmen und Gebete auf,<br />

<strong>die</strong> machtigen Heiligen und ihre Gesichter,<br />

<strong>die</strong> eine Ekstase qualt,<br />

Weihrauch und zuckende Kerzen<br />

mit ihren Honiglichtern<br />

vor der Bilderwand.<br />

Ich denke an das Gedicht<br />

von Kavafis, <strong>die</strong> leuchtenden oder van ihm mit<br />

kräftigen Lungen gerade gelöschten Altarkerzen.<br />

Meine Kerzen sind keine Reihe von Tagen: es sind Wünsche,<br />

ausgelöscht ohne Ordnung oder Erwartung,<br />

oder in den kommenden,<br />

hoffentlich schönen und freundlichen Tagen<br />

brennend - Wünsche, <strong>die</strong>ser andere Kalender.<br />

lch wiederhole einen alten, unvermeidlichen Brauch.<br />

In Gotteshäusern oder Kapellen, in einem sehr verworrenen Glauben<br />

-Sankt Therapius auf Lesbos, Sankt Saturius von Soria,<br />

<strong>die</strong> winzige Kapelle von Rézimno,<br />

Santa María in San Sebastian,<br />

<strong>die</strong> duftende Einsiedelei von Narila,<br />

Wien, oder Sankt Franziskus in Liubliana -<br />

in allen Kirchen lasse ich zweifelnd einige Münzen zurück,<br />

nehme eine bescheidene Kerze


und erfinde dem Gott der Wünsche, wenn es ihn gibt,<br />

heuchlerisch und rituell, ein ketzerisches, heilsames Gebet.<br />

Sonnenblumen vom Karlsplatz<br />

<strong>Du</strong> sonnst dich in alten ausgestorbenen Sprachen.<br />

Ne scitis neque <strong>die</strong>m neque horam.<br />

<strong>Du</strong> wirst den gewaltigen Torso eines Kentauren<br />

reiten, seine wollüstigen Schultern, auftauchend<br />

über dem Strauβ Sonnenblumen.<br />

Die Sonne wird Schuld sein: Sie wird Pferde,<br />

feuchte Muskeln und brennbare Schultern schmelzen.<br />

<strong>Du</strong> wirst den feurigen Rücken des Kentauren reiten...<br />

Deutsch von Marie-Thérèse Kerschbaumer<br />

<strong>Aurora</strong> <strong>Luque</strong><br />

Eros als Einwohner Arka<strong>die</strong>ns<br />

(Originaltitel: Eros, inquilino de la Arcadia)<br />

Fragmento<br />

Nähern wir uns Arka<strong>die</strong>n noch einmal an der Hand Vergils. Dort, in den<br />

Gefilden der zehnten Ekloge der Bucolica begegnen wir seinem Freund<br />

Cornelius Gallus, Dichter und Liebhaber, der davon träumt, in einer waldigen<br />

Klause von seinen Liebesabenteuern zu genesen. Gallus liebt Lykoris, <strong>die</strong> ihn<br />

verschmäht. Der Dichter beklagt seine unerwiederte Liebe. Lorbeerbäume,<br />

Felsen, Schafherden und selbst <strong>die</strong> Götter empfinden für den Schmerz von<br />

Gallus. Apollo, Sylvanus der Waldgott, der seine Blütenstengel und<br />

gigantischen Lilien schüttelt und Pan, das Gesicht mit dem Saft von<br />

Waldbeeren beträufelt, alle versuchen ihn zu trösten. In den Bucolica, <strong>die</strong><br />

Hymnen Arka<strong>die</strong>ns, erscheinen immer <strong>die</strong> bekannten Elemente: Die<br />

Waldlandschaft, Inbegriff des gelobten einsamen Lebens, Gesang, Liebe,<br />

Mythos und als Schlußformel <strong>die</strong> Abenddämmerung mit ihren symbolischen<br />

Schatten.<br />

Der Gesang übt eine unwiderstehliche Macht auf <strong>die</strong> Geschöpfe der Natur<br />

aus. Für den leidenden Dichter ist der Gesang remedium amoris und besitzt<br />

heilende Kräfte. Die bukolische Liebe ist auf ein unerreichbares Objekt<br />

gerichtet und deshalb <strong>die</strong> Liebe der Dichter aller Zeiten. Die erreichbare Liebe


eignet sich, wie wir alle wissen, nicht für <strong>die</strong> Dichtung: Sie eignet sich<br />

bestenfalls für das Leben.<br />

Meine These ist, Arka<strong>die</strong>n wurde erfunden als neutraler Ort des Dialogs aller<br />

Komplizen der Leidenschaft: Die Götter, <strong>die</strong> Liebenden, <strong>die</strong> sanfte Natur, <strong>die</strong><br />

auf ihre Weise zu lauschen und zu sprechen weiß. Arka<strong>die</strong>n, das Territorium<br />

des ersten, unmittelbaren Gesangs. Der arkadische Dichter besingt <strong>die</strong> Macht<br />

der Liebe. Viele Liebesgedichte von einst und jetzt setzen ein wiedererfundenes<br />

Mikroarka<strong>die</strong>n, voraus. Ich behaupte, es gibt einen unabgeschlossenen<br />

Arka<strong>die</strong>nzyklus. Was will ich damit sagen. Längst wurde der Tod der<br />

Schäferdichtung in den Erscheinungsformen der Renaissance, des Barock und<br />

des achtzehnten Jahrhunderts verkündet: Deren süßlich artifiziellen Ideale<br />

gestatten keine Wiederkehr. Im Gegensatz zur Schäferlyrik ist <strong>die</strong> arkadische<br />

Dichtung nicht nur nicht veraltet, sie erfreut sich gegenwärtig einer gewissen<br />

Vitalität. Wir leben unter ähnlichen Bedinungen, <strong>die</strong> einst Theokrit und Vergil<br />

veranlaßten, ihre jeweiligen Parallelwelten arkadischer Utopie zu konstruieren,<br />

zu formulieren und zu bewohnen. Wie sie erleben wir Widerwillen und fliehen<br />

Stadt und Megapolis. Ökologische Sehnsüchte können als eine sentimentalintellektuelle<br />

Wiederauflage des Arkadischen gesehen werden, ohne <strong>die</strong><br />

formalistischen Zwänge der klassischen Theorien <strong>die</strong>ses Genres.<br />

[…]<br />

Deutsch von Marie-Thérèse Kerschbaumer

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!