Inseln, auf die niemand will - Marina.ch
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www.alcatrazalumni.org<br />
LifestyLe<br />
<strong>Inseln</strong>, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>niemand</strong> <strong>will</strong><br />
Aus der Ferne wirken sie meist ruhig und bes<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> – do<strong>ch</strong> sie sind es ni<strong>ch</strong>t: es sind Sträflings- und<br />
Verbannungsinseln. Und es gibt heute no<strong>ch</strong> viele davon.<br />
TexT : Corinne nusskern<br />
Gefängnisinseln faszinieren. sie bieten stoff<br />
für Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten und Gerü<strong>ch</strong>te. Berühmte<br />
namen tragen zum besonderen ruf der<br />
Gefängnisse mit den Mauern aus Wasser bei.<br />
Man denke nur an den roman «Der Graf von<br />
Monte Christo» oder ganz real: napoleon.<br />
Der korsis<strong>ch</strong>e Feldherr und selbsternannte<br />
kaiser wurde mal <strong>auf</strong> <strong>die</strong> insel elba, mal <strong>auf</strong><br />
st. Helena verbannt. Der berühmteste inselhäftling<br />
neueren Datums: nelson Mandela.<br />
Weltweit gibt es immer no<strong>ch</strong> eine ganze<br />
reihe von inseln, <strong>die</strong> als Gefängnis <strong>die</strong>nen –<br />
<strong>auf</strong> vielen wurde der «Betrieb» allerdings<br />
eingestellt. Auf ihnen sonnen si<strong>ch</strong> heute<br />
Touristen, <strong>die</strong> meist ni<strong>ch</strong>ts von der dunklen<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ihres Ferienpara<strong>die</strong>ses ahnen.<br />
62<br />
etli<strong>ch</strong>e <strong>die</strong>ser eilande liegen in Grie<strong>ch</strong>enland.<br />
Auf der kykladeninsel Makronisos wurden<br />
während des Bürgerkrieges 1946-49 Widerständler<br />
gefoltert: etwa Mikis Theodorakis,<br />
komponist, s<strong>ch</strong>riftsteller und Politiker. er<br />
wurde zwei Mal lebendig begraben ebenso<br />
traurig ist <strong>die</strong> Vergangenheit der sporadeninsel<br />
Leros. einst Leprastation, mutierte sie ab 1947<br />
zu einem indoktrinationslager für <strong>die</strong> kinder<br />
von Partisanen. Während der Militärdiktatur<br />
1967–74 befand si<strong>ch</strong> <strong>auf</strong> Leros ein berü<strong>ch</strong>tigtes<br />
internierungslager für Gegner der Junta.<br />
Die sieben Edelsteine der Venus<br />
Mär<strong>ch</strong>enhaft dagegen beginnt <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der sieben inseln des toskanis<strong>ch</strong>en Ar<strong>ch</strong>ipels<br />
in italien: Als <strong>die</strong> tyrrhenis<strong>ch</strong>e Venus aus dem<br />
Meer <strong>auf</strong>tau<strong>ch</strong>te, soll sie dabei sieben<br />
edelsteine ihres Diadems verloren haben – das<br />
war <strong>die</strong> Geburt der inseln elba, Gorgona,<br />
Capraia, Pianosa, Montecristo, Giglio und<br />
Giannutri. Hier ist das Mär<strong>ch</strong>en aber au<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>on zu ende, denn vier der bei seglern beliebten<br />
Ziele waren oder sind no<strong>ch</strong> heute Gefängnisinseln:<br />
Auf elba wurde 1858 das Fort<br />
san Giacomo in Porto Longone in ein Gefängnis<br />
umgewandelt. es ist no<strong>ch</strong> heute in Betrieb.<br />
«i<strong>ch</strong> gehe na<strong>ch</strong> Porto Longone» ist eine italienis<strong>ch</strong>e<br />
redewendung <strong>die</strong> besagt, dass man ins<br />
Gefängnis muss – sehr zum Ärger des lokalen<br />
Tourismusbüros. so wurde das städt<strong>ch</strong>en 1947<br />
kurzerhand umget<strong>auf</strong>t: Porto Azurro. klingt –<br />
touristis<strong>ch</strong> ge sehen – liebli<strong>ch</strong>er. nordwestli<strong>ch</strong><br />
von elba liegt Capraia, eine vulkanis<strong>ch</strong>e insel,<br />
<strong>die</strong> ab 1873 hundert Jahre lang eine landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
strafkolonie beherbergte. Au<strong>ch</strong><br />
marina.<strong>ch</strong> april 11<br />
südli<strong>ch</strong> von elba, <strong>auf</strong> der insel Pianosa befand<br />
si<strong>ch</strong> ab 1858 eine strafkolonie, später ein<br />
Ho<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>erheits gefängnis. Hierhin wurde 1932<br />
der spätere italienis<strong>ch</strong>e staatspräsident sandro<br />
Pertini verbannt . Der letzte Mafiosos wurde<br />
hier 65 Jahre später inhaftiert. 1998 s<strong>ch</strong>loss das<br />
Gefängnis. Gorgona, <strong>die</strong> nördli<strong>ch</strong>ste insel des<br />
Ar<strong>ch</strong>ipels, beherbergt seit 1869 eine straf<br />
anstalt. Die heute no<strong>ch</strong> etwa 70 verbliebenen<br />
Häftlinge können si<strong>ch</strong> relativ frei bewegen, sogar<br />
Touristen dürfen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> insel. Trotzdem hält<br />
si<strong>ch</strong> der Übername «italienis<strong>ch</strong>es Château d’if»<br />
hart näckig. Das e<strong>ch</strong>te Château d’if liegt direkt<br />
vor Marseille <strong>auf</strong> einem markanten kalkfelsen.<br />
Das Fort <strong>die</strong>nte ab dem 16. Jahrhundert als<br />
Gefängnis für staatsgefangene, Aufständis<strong>ch</strong>e<br />
oder Protestanten – je na<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>er Lage.<br />
seit 1890 wird <strong>die</strong> insel touristis<strong>ch</strong> genutzt.<br />
april 11 marina.<strong>ch</strong><br />
Nautis<strong>ch</strong>e Ziele mit Ver<br />
gangenheit: Au<strong>ch</strong> im Mittel<br />
meer <strong>die</strong>nten idyllis<strong>ch</strong>e <strong>Inseln</strong><br />
als flu<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>ere Gefängnisse.<br />
Titos Gulag mitten in Jugoslawien<br />
Fröhli<strong>ch</strong> geht es heute <strong>auf</strong> der kroatis<strong>ch</strong>en<br />
insel rab zu, einem beliebten Ferienziel in der<br />
Adria. kaum ein urlauber weiss, dass nahe<br />
der orts<strong>ch</strong>aft kampor von 1942-43 ein<br />
italie nis<strong>ch</strong>es konzentrationslager stand, in<br />
dem etwa 1200 Mens<strong>ch</strong>en starben. Grausames<br />
ereignete si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>auf</strong> der Adria-insel<br />
Goli otok, einem kleinen segelpara<strong>die</strong>s zwis<strong>ch</strong>en<br />
dem Festland und der insel rab. na<strong>ch</strong><br />
dem Bru<strong>ch</strong> mit stalin erri<strong>ch</strong>tete Jugoslawiens<br />
Präsident Tito 1949 hier ein Verbannungslager<br />
für Anhänger stalins, später für sämtli<strong>ch</strong>e<br />
systemgegner. Die na<strong>ch</strong>barinsel sveti Gugur<br />
war das Pendant für Frauen. Gefangene<br />
mussten steine klopfen und sie sinnlos von<br />
A na<strong>ch</strong> B und wieder zurück s<strong>ch</strong>leppen. oder<br />
sie mussten im Ho<strong>ch</strong>sommer mit ihrem<br />
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Al Capone war einer der<br />
prominentesten Insassen des<br />
1963 ges<strong>ch</strong>lossenen Gefängnisses<br />
Alcatraz.<br />
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körper fris<strong>ch</strong> gepflanzten kiefersetzlingen<br />
stundenlang s<strong>ch</strong>atten spenden. erst 1988,<br />
zwei Jahre vor dem Zerfall Jugoslawiens,<br />
s<strong>ch</strong>loss man <strong>die</strong> inselgefängnisse für Männer<br />
und Frauen, in denen etwa 4000 Mens<strong>ch</strong>en<br />
ihr Leben verloren hatten.<br />
Au<strong>ch</strong> im norden europas gibts im Meer oder<br />
in Flüssen inseln, <strong>die</strong> als Gefängnisse <strong>die</strong>nten.<br />
Zum Beispiel das 1880 eröffnete stockholmer<br />
Zentralgefängnis <strong>auf</strong> der insel Långholmen.<br />
Hier fand 1910 <strong>die</strong> letzte Hinri<strong>ch</strong>tung<br />
in s<strong>ch</strong>weden statt. Trotz der s<strong>ch</strong>liessung im<br />
Jahre 1975 kennt jeder s<strong>ch</strong>wede <strong>die</strong> redewendung<br />
«skaka galler på Långholmen».<br />
Übersetzt: Gitter s<strong>ch</strong>ütteln <strong>auf</strong> Långholmen.<br />
Da hat Hahnöfersand, eine elbe-insel bei<br />
Hamburg, einen besseren ruf. 1911 s<strong>ch</strong>ütteten<br />
Gefangene s<strong>ch</strong>lick <strong>auf</strong>, um <strong>die</strong> insel nutzbar<br />
zu ma<strong>ch</strong>en. es gibt hier no<strong>ch</strong> heute eine<br />
Jugendstrafanstalt und ein Frauengefängnis.<br />
Im Land der grossen Freiheit<br />
Das wohl berühmteste Gefängnis der Welt ist<br />
umgeben von zwei kilometern kaltem Wasser:<br />
Alcatraz. sein bekanntester Häftling war der<br />
berü<strong>ch</strong>tigte Chef der Chicagoer unterwelt. Al<br />
Capone wurde 1939 na<strong>ch</strong> fünf Jahren wegen<br />
guter Führung vorzeitig entlassen. Querulanten<br />
aus anderen Gefängnissen wurden <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />
insel in der Bu<strong>ch</strong>t von san Francisco gebra<strong>ch</strong>t,<br />
um Flu<strong>ch</strong>t, Gewalt und selbstmord zu verhindern.<br />
resozialisierung stand ni<strong>ch</strong>t <strong>auf</strong> dem<br />
Programm. 18 bis 23 stunden verbra<strong>ch</strong>ten <strong>die</strong><br />
Häftlinge tägli<strong>ch</strong> in 1,5 x 2,75 Meter kleinen<br />
Zellen, Zeitungen, radio und Fernsehen waren<br />
verboten. Dafür verfügte Alcatraz als einziges<br />
us-Gefängnis über Warmwasser-Dus<strong>ch</strong>en.<br />
ni<strong>ch</strong>t etwa um den insassen Wellness zu<br />
bieten, sondern damit sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t an kaltes<br />
Wasser gewöhnten – so sollte <strong>die</strong> Flu<strong>ch</strong>t aussi<strong>ch</strong>tsloser<br />
s<strong>ch</strong>einen. Alcatraz galt als ausbru<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>er,<br />
denno<strong>ch</strong> gab es vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Versu<strong>ch</strong>e. 1962 gruben si<strong>ch</strong> drei Männer dur<strong>ch</strong><br />
den brü<strong>ch</strong>igen Mörtel und flohen via<br />
Lüftungss<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>t. Die Polizei fand später an<br />
Land ein aus regenmänteln gebasteltes<br />
s<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong>boot. ob <strong>die</strong> Flu<strong>ch</strong>t tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gelungen<br />
ist oder <strong>die</strong> Männer opfer der starken<br />
strömung wurden? Lei<strong>ch</strong>en wurden keine gefunden<br />
und der viellei<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong>e Ausbru<strong>ch</strong><br />
gilt bis heute als grosser Coup. 1963<br />
wurde Alcatraz von Justizminister robert F.<br />
kennedy ges<strong>ch</strong>lossen.<br />
Beim Wort Guantanamo denkt <strong>niemand</strong> an<br />
<strong>die</strong> kaffee- und kakaoplantagen im osten<br />
der kubanis<strong>ch</strong>en insel, sondern an den Flottenstützpunkt<br />
der us navy mit den Gefangenenlagern<br />
Camp x-ray, Camp Delta und<br />
Camp e<strong>ch</strong>o. sie wurden kurz na<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>lägen<br />
vom 11. september 2001 erri<strong>ch</strong>tet.<br />
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Von der Gefängnisinsel ins<br />
hö<strong>ch</strong>ste Amt Südafrikas:<br />
Nobelpreisträger Nelson<br />
Mandela beim Besu<strong>ch</strong> seiner<br />
ehemaligen Zelle.<br />
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Mehr als tausend Mens<strong>ch</strong>en unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />
nationalität wurden seither als mutmassli<strong>ch</strong>e<br />
Terroristen gefangen gehalten und<br />
gefoltert. Als «illegale kämpfer» stünden ihnen<br />
keine kriegsgefangenen-re<strong>ch</strong>te zu, behauptete<br />
<strong>die</strong> Bush-regierung und ignorierte<br />
internationale Proteste. 2009 verspra<strong>ch</strong><br />
Bush’s na<strong>ch</strong>folger Barack obama das Lager<br />
zu s<strong>ch</strong>liessen. Do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> immer sind <strong>auf</strong> der<br />
insel etwa 170 Gefangene inhaftiert.<br />
Robben Island –<br />
Mandelas zweites Zuhause<br />
Der erste, der <strong>die</strong> südafrikanis<strong>ch</strong>e insel betrat,<br />
war 1497 der portugiesis<strong>ch</strong>e seefahrer<br />
Vasco da Gama. Dana<strong>ch</strong> hörte man ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr viel vom knapp zwölf kilometer vor<br />
kapstadt liegenden eiland, das mal als<br />
strafkolonie, dann als Lager für Aussätzige<br />
oder als Militärbasis <strong>die</strong>nte. Bekannt wurde<br />
<strong>die</strong> insel 1963, als ein friedfertiger kämpfer<br />
der Anti-Apartheid-Bewegung wegen<br />
Anstiftung zum streik und illegalem Verlassen<br />
des Landes hier im kerker landete:<br />
nelson Mandela. insgesamt lebte er 18<br />
Jahre lang <strong>auf</strong> robben island, 13 Jahre davon<br />
s<strong>ch</strong>uftete er in einem kalksteinbru<strong>ch</strong>. seine<br />
einzelzelle mass 4 m 2 . Briefe wurden zensuriert,<br />
und oft warteten <strong>die</strong> insassen bis zu<br />
zwei Jahre <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Be<strong>will</strong>igung zum empfang<br />
von Besu<strong>ch</strong>ern. und spra<strong>ch</strong> jemand mit<br />
seinem Besu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Afrikaans – <strong>die</strong> spra<strong>ch</strong>e<br />
der weissen Minderheit – wurde <strong>die</strong><br />
Besu<strong>ch</strong>szeit <strong>will</strong>kürli<strong>ch</strong> beendet. erst dur<strong>ch</strong><br />
Hungerstreiks und öffentli<strong>ch</strong>en Druck<br />
verbesserten si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Haftbedingungen der<br />
Gefangenen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Mandela’s initiative hin<br />
an der universität Fernkurse belegen durften<br />
– «Mandela university» nannten <strong>die</strong><br />
Häftlinge <strong>die</strong> Gefängnisinsel. Am 11. Februar<br />
1990 kam Mandela frei, drei Jahre später<br />
erhielt er den Friedensnobelpreis und wurde<br />
1994 der erste s<strong>ch</strong>warze, demokratis<strong>ch</strong> gewählte<br />
Präsident von südafrika. und<br />
robben island wurde 1997 zum natur- und<br />
nationaldenkmal.<br />
marina.<strong>ch</strong> april 11