Kapitel 3 Klassik, Neoklassik und Keynes - Stefan.Schleicher(a)wifo.at
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Die makroökonomische Analyse<br />
<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
Inhalte <strong>und</strong> Ideen der makroökonomischen Analyse<br />
1. Die makroökonomische Analyse<br />
1.1. Inhalt<br />
Die Makroökonomie betrachtet die Wirtschaft in einer breiten Perspektive: Die Produktion von<br />
Gütern <strong>und</strong> Diensten, das durch den Produktionsprozess anfallende Einkommen, die Beschäfti-<br />
gungssitu<strong>at</strong>ion, die Infl<strong>at</strong>ionsr<strong>at</strong>en, Geld <strong>und</strong> Zins, sowie die Verflechtungen mit der intern<strong>at</strong>io-<br />
nalen Wirtschaft.<br />
Sie befasst sich mit gesamtwirtschaftlichen Größen, die nach institutionellen Gesichtspunkten als<br />
Wirtschaftssubjekte (z.B. Haushalt, Unternehmen, Sta<strong>at</strong>) zusammengefasst werden oder als<br />
funktionelle Aggreg<strong>at</strong>e (z.B. Volkseinkommen, Konsum, Investition). Die Globalgrößen werden<br />
durch Aggreg<strong>at</strong>ion mikroökonomischer Größen gewonnen, wodurch sich die Analyse auf wenige<br />
Variable reduziert. Die Beziehungen zwischen den gesamtwirtschaftlichen Größen werden durch<br />
Makrorel<strong>at</strong>ionen zum Ausdruck gebracht.<br />
1.2. Zielsetzungen der makroökonomischen Analyse<br />
Entdecken von Kausalitäten (Wodurch wird wirtschaftliche Aktivität beeinflusst?)<br />
Beschreibung<br />
Erklärung<br />
Prognose (Welche Werte sind für die makroökonomischen Variablen zu erwarten?)<br />
Politikber<strong>at</strong>ung (Welche Effekte haben wirtschaftspolitische Instrumente?)<br />
Das Erfassen wirtschaftlicher Zusammenhänge <strong>und</strong> ihrer Einflussfaktoren bildet die Gr<strong>und</strong>lage<br />
der makroökonomischen Analyse.<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Die makroökonomische Analyse<br />
Jede Erklärung, Prognose <strong>und</strong> Politikber<strong>at</strong>ung setzt eine genaue Beschreibung, Abgrenzung <strong>und</strong><br />
Einordnung des Untersuchungsgegenstandes voraus, dies erfolgt in der volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnung. Ihre system<strong>at</strong>ische, ökonomisch-inhaltliche Erklärung ist dabei unverzichtbare<br />
Voraussetzung für eine wissenschaftliche Prognose, eine r<strong>at</strong>ionale Wirtschaftspolitik.<br />
Jeder Versuch etwas zu erklären, ist eine Theorie. Die Erklärung gesamtwirtschaftlicher Größen<br />
erfolgt in der Makroökonomik basierend auf einem System von Hypothesen über die Verhal-<br />
tensweisen von wirtschaftlich Handelnden (Wirtschaftssubjekte) <strong>und</strong> unter Beschränkung durch<br />
die Umwelt, in der diese Wirtschaftssubjekte agieren.<br />
1.3. Kontroversen<br />
Makroökonomie ist engstens verflochten mit der Wirtschaftspolitik <strong>und</strong> deshalb auch so heraus-<br />
fordernd <strong>und</strong> kontrovers: Als in England ein Beitritt zu Europäischen Gemeinschaft diskutiert<br />
wurde, druckte die Times einen Leserbrief mit 154 Unterschriften von Ökonomen, die den Bei-<br />
tritt ablehnten, <strong>und</strong> darauf einen weiteren mit den Unterschriften von 142 Ökonomen, die einem<br />
Beitritt positiv gegenüber standen. Reflektiert diese Anekdote die „Konfusion der Ökonomen“<br />
oder, wie es Business Week ausdrückte, „den intellektuellen Bankrott dieser Profession“?<br />
In der T<strong>at</strong> macht die Makroökonomie auf den ersten Blick einen eher zerrütteten Eindruck.<br />
Dennoch scheint mir eine Verteidigung der Relevanz von makroökonomischen Analysen nicht<br />
erforderlich. Die zunehmende Verflechtung von wirtschaftlicher Aktivität lässt jeden Konsu-<br />
menten <strong>und</strong> jeden Unternehmer die Abhängigkeit seiner wirtschaftlichen Entscheidungen nicht<br />
nur von n<strong>at</strong>ionalen, sondern in zunehmenden Ausmaß – gerade in einer kleinen offenen Wirt-<br />
schaft wie Österreich – auch von intern<strong>at</strong>ionalen ökonomischen Vorgängen erfahren. Unter der<br />
Oberfläche der Konflikte zwischen Monetarismus <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong>ianismus verbirgt sich ein umfang-<br />
reiches Instrumentarium für ökonomische Analysen, dessen Brauchbarkeit <strong>und</strong> Notwendigkeit in<br />
den täglichen wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen, vom Konsumenten über Unternehmer<br />
bis zum Finanzminister, unbestritten ist.<br />
Allerdings soll nicht übersehen werden, dass sich gerade in der Makroökonomie eine Neuorien-<br />
tierung über die Mechanismen <strong>und</strong> Zielvorstellungen wirtschaftlichen Handelns abzuzeichnen<br />
beginnt. Die klassischen (angebotsorientierten) <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong>ianischen (nachfrageorientierten)<br />
Paradigmen scheinen für viele aktuelle krisenhafte Phänomene einen zu geringen Erklärungswert<br />
zu haben. Vor allem die Umwelt-, Rohstoff- <strong>und</strong> Energiefragen werden der Diskussion der An-<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Die makroökonomische Analyse<br />
gebotssitu<strong>at</strong>ion einer Wirtschaft mehr Gewicht verleihen als es in der makroökonomischen A-<br />
nalyse bisher der Fall war.<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
2. Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
2.1. Die <strong>Klassik</strong>er<br />
Die Klassische Theorie entstand parallel zur Industriellen Revolution in England. Sie h<strong>at</strong> ihre<br />
Wurzeln in der englischen Moralphilosophie <strong>und</strong> der n<strong>at</strong>urrechtlich geprägten Gesellschaftslehre<br />
der schottischen Aufklärung des 18. Jh. So findet sich bei Adam SMITH (1723-1790) die Vor-<br />
stellung eines seinen Selbstinteressen folgenden Individuums. Gleichzeitig stellen gesellschaftli-<br />
che Institutionen (Priv<strong>at</strong>eigentum, Handlungsfreiheit, vollständige Inform<strong>at</strong>ion, Preismechanis-<br />
mus) sicher, dass mit der Verfolgung von Priv<strong>at</strong>interesse das Gemeinwohl optimiert oder geför-<br />
dert wird.<br />
Die „unsichtbare Hand“, der Preismechanismus, führt trotz oder gerade wegen der eigennützigen<br />
<strong>und</strong> individualistischen Handlungsweisen der einzelnen zu einer Koordin<strong>at</strong>ion ihrer Wirtschafts-<br />
pläne. Dahinter steht die Vorstellung einer n<strong>at</strong>ürlichen Ordnung, der sich die gegebene Ordnung<br />
möglichst annähern sollte.<br />
Überaus wichtig ist die daraus fließende Forderung an den Sta<strong>at</strong>, sich aus dem Wirtschaftsleben<br />
möglichst herauszuhalten, eine Vorstellung, die F. Lasalle später als „Nachtwächtersta<strong>at</strong>“ ver-<br />
spottete. Dem Sta<strong>at</strong> sollten vor allem zwei Funktionen verbleiben, nämlich die Verantwortung<br />
für die innere <strong>und</strong> äußere Sicherheit sowie die Schaffung eines geeigneten Rechtssystems mit<br />
Handelsfreiheit <strong>und</strong> Garantie des Priv<strong>at</strong>eigentums.<br />
Es wäre falsch zu behaupten, dass die <strong>Klassik</strong>er ihr Augenmerk vor allem auf das Allok<strong>at</strong>ions-<br />
problem richteten, ihr Hauptinteresse galt vielmehr Erklärungszielen, wie den bereits diskutier-<br />
ten volkswirtschaftlichen Überschuss. Die Hauptprobleme der <strong>Klassik</strong>er waren die Entstehung<br />
dieses Überschusses, seine Verteilung auf verschiedene Bevölkerungsklassen <strong>und</strong> seine wahl-<br />
weise Verwendung auf „Luxuskonsum“ oder „Ersparnis“ (=Investition). Diesem letzten Prob-<br />
lem, wir würden es heute wachstumstheoretisch nennen, schenkten die <strong>Klassik</strong>er besondere<br />
Aufmerksamkeit. Ihre Symp<strong>at</strong>hie galt klar der zweiten Verwendungsaltern<strong>at</strong>ive, weil das<br />
Wachstum des Kapitalstocks langfristig den „Wohlstand der N<strong>at</strong>ionen“ mehrt.<br />
Jean Baptiste SAY (1767-1832) gab der Klassischen Theorie eine sehr viel stärker n<strong>at</strong>urrechtli-<br />
che F<strong>und</strong>ierung. Was bei SMITH wirtschaftliche Konsequenzen gesellschaftlicher Institutionen<br />
waren, sind bei SAY „n<strong>at</strong>ürliche“ Gesetze. Auf SAY geht auch die eindeutige Zuordnung von<br />
Lohn, Zins <strong>und</strong> Rente auf Arbeiter, Kapitalisten <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>besitzer zurück, sowie die Erweite-<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
rung der Klassifik<strong>at</strong>ion um Unternehmer <strong>und</strong> unternehmerischen Gewinn. Der Versuch, die dy-<br />
namischen Aspekte der SMITHschen Theorie mit den Begriffen Angebot <strong>und</strong> Nachfrage zu er-<br />
fassen, führte zum sog. SAYschen Theorem, wonach ein jedes Angebot sich seine Nachfrage<br />
schafft.<br />
Für David RICARDO (1767-1832) war der Zusammenhang zwischen Einkommensverteilung<br />
<strong>und</strong> Wachstum das zentrale Problem der ökonomischen Theorie. Ausgehend von einem Ertrags-<br />
gesetz, das bei begrenzter Bodenfläche fallende Grenzerträge aufweist, zeigte er, dass in einer<br />
wachsenden Wirtschaft die reale Profitr<strong>at</strong>e des Kapitals, <strong>und</strong> damit der wichtigste Anreiz zu Ak-<br />
kumul<strong>at</strong>ion, fallen muss. RICARDO tr<strong>at</strong> für die Abschaffung der Kornzölle ein <strong>und</strong> forderte<br />
freien Außenhandel, der nach seiner Analyse nicht erst bei Unterschieden in den absoluten, son-<br />
dern schon in kompar<strong>at</strong>iven Kosten vorteilhaft war. Seine Analyse der langfristigen Entwicklung<br />
der Einkommensverteilung <strong>und</strong> der Tendenz zu säkularer Stagn<strong>at</strong>ion wurden fester Bestandteil<br />
der Klassischen Theorie.<br />
Herausragende Ökonomen der Klassischen Epoche sind neben SMITH selbst vor allem Thomas<br />
MALTHUS (1766-1834), gleichzeitig erster bedeutender Bevölkerungsökonom <strong>und</strong> Stagn<strong>at</strong>i-<br />
onstheoretiker, J. Baptiste SAY (1767-1832), ein französischer Anhänger der Smithschen Lehre,<br />
der sich vor allem durch ihre System<strong>at</strong>isierung <strong>und</strong> Popularisierung hervort<strong>at</strong>, David RICARDO<br />
(1772-1832), Vertreter der Arbeitswertlehre <strong>und</strong> besonders an Verteilungsfragen interessiert <strong>und</strong><br />
John Stuart MILL (1806-1873), der große Philosoph <strong>und</strong> System<strong>at</strong>iker, der die Klassische Lehre<br />
in ihrer Vollendung darlegte.<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
2.2. Die <strong>Neoklassik</strong>er<br />
Die bedeutsamste Innov<strong>at</strong>ion der <strong>Neoklassik</strong> war der Marginalismus als Oberbegriff für jene<br />
Grenzbetrachtungen, die in Wortbildungen wie „Grenznutzen“ oder „Grenzkosten“ ihren Nie-<br />
derschlag finden. Mit dem marginalistischen Ans<strong>at</strong>z wurde es möglich, ökonomische Verhal-<br />
tensweisen auf individuelle Optimierungskalküle zurückzuführen. War die Klassische Theorie<br />
eher makroökonomisch angelegt, das heißt, befasste sie sich mehr mit dem Verhalten ganzer<br />
Bevölkerungsgruppen (Kapitalisten, Gr<strong>und</strong>eigentümer <strong>und</strong> Arbeiter), so stellte die <strong>Neoklassik</strong><br />
gleichsam ein „universelles Individuum“ in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Der Wirtschaftspro-<br />
zess wurde nun mikroökonomisch, also ausgehend vom individuellen Verhalten, beschrieben.<br />
Die <strong>Klassik</strong>er sahen den Wert eines Gutes durch die Kosten seiner Produktion bestimmt. Dem-<br />
gegenüber gingen die frühen <strong>Neoklassik</strong>er davon aus, dass der Preis, den die Nachfrager für ein<br />
bestimmtes Gut zu zahlen bereit seien, <strong>und</strong> somit zugleich sein Marktpreis, durch den Grenznut-<br />
zen diese Gutes determiniert werde. Es handelt sich hier um eine subjektive Wertlehre im Unter-<br />
schied zur Klassischen objektiven Wertlehre.<br />
Das zentrale Anliegen der <strong>Klassik</strong> war die Erklärung der Entstehung, Verteilung <strong>und</strong> Verwen-<br />
dung eines volkswirtschaftlichen Überschusses, das sogenannte Allok<strong>at</strong>ionsproblem stand im<br />
Mittelpunkt Neoklassischen Interesses: Nach welchen Gesetzen werden gegebene knappe Res-<br />
sourcen auf altern<strong>at</strong>ive Verwendungsmöglichkeiten verteilt? Das Ergebnis lautete, dass sich die<br />
Struktur des Angebotes über den Mechanismus der rel<strong>at</strong>iven Preise der Nachfragestruktur an-<br />
passt <strong>und</strong> zugleich eine in gewissem Sinne optimale Allok<strong>at</strong>ion erreicht wird.<br />
Betrachtete die <strong>Klassik</strong> das volkswirtschaftliche Geschehen im Zeitablauf, also die Gesetzmä-<br />
ßigkeiten des langfristigen Wachstums (dynamische Analyse), so griff die <strong>Neoklassik</strong> einen<br />
Zeitpunkt heraus <strong>und</strong> analysierte die Allok<strong>at</strong>ion in diesem Zeitpunkt (st<strong>at</strong>ische Analyse). Das<br />
Hauptinteresse verlagerte sich von der Wachstums- zur Preistheorie.<br />
Am Beginn der Neoklassischen Periode finden wir drei Autoren, die unabhängig voneinander<br />
<strong>und</strong> fast gleichzeitig die „marginalistische Revolution“ einleiteten, es sind dies der Brite William<br />
Stanly JEVONS, der Österreicher Carl MENGER <strong>und</strong> der Franzose Léon WALRAS. Kernstück<br />
ihrer Schriften ist der Begriff des Grenznutzens, verstanden als der auf den Verbrauch einer<br />
letzten kleinen Gütereinheit entfallende Nutzen.<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
In geschichtlicher Abgrenzung findet die <strong>Neoklassik</strong> mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges,<br />
spätestens aber um die Mitte der dreißiger Jahre ihr Ende. Die <strong>Neoklassik</strong> fließt jedoch auch<br />
heute in viele Modelle <strong>und</strong> Theorien ein.<br />
2.3. <strong>Keynes</strong> <strong>und</strong> seine Nachfolger<br />
John Maynard <strong>Keynes</strong> (1883-1946) ging es darum, eine Erklärung für die mit der Weltwirt-<br />
schaftskrise der Zwischenkriegszeit einhergehende Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> gleichzeitig eine theore-<br />
tische Begründung für seine wirtschaftspolitischen Vorschläge, die auf eine aktive Fiskalpolitik<br />
hinausliefen, zu finden. Zu diesem Zweck suchte er nachzuweisen, dass das von der Klassischen<br />
<strong>und</strong> der Neoklassischen Theorie behauptete SAYsche Theorem in einer dezentralen Marktwirt-<br />
schaft nicht gilt. Kern seiner Analyse ist der Nachweis, dass der Ausgleich von gesamtwirt-<br />
schaftlicher Nachfrage <strong>und</strong> dem gesamtwirtschaftlichen Angebot ein Produktionsniveau impli-<br />
ziert, das nicht zu Vollbeschäftigung führt.<br />
KEYNES hob auch hervor, dass die Geldpolitik nicht immer in der Lage ist, einen Multiplika-<br />
torprozess auszulösen, der die Beschäftigung erhöht. Verb<strong>und</strong>en mit der Überlegung, dass auch<br />
der Versuch, über eine Senkung des Nominallohnniveaus Vollbeschäftigung herbeizuführen, am<br />
Widerstand der Gewerkschaften scheitert, ergibt sich daraus die mögliche Existenz eines Unter-<br />
beschäftigungsgleichgewichtes, das weder autom<strong>at</strong>isch noch mit geldpolitischen Mitteln besei-<br />
tigt werden kann. Infolgedessen muss nach KEYNES die Fiskalpolitik für eine hinreichend gro-<br />
ße effektive Nachfrage sorgen, selbst auf die Gefahr hin, dass dadurch das Preisniveau erhöht<br />
wird. Denn dadurch würde nur das Reallohnniveau gesenkt <strong>und</strong> so die Beschäftigung erhöht.<br />
Scheiterte die Ökonomie der <strong>Klassik</strong>er an der Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre, wofür<br />
eine neue Erklärung die <strong>Keynes</strong>sche Theorie anbot, so wurde diese wiederum in den sechziger<br />
Jahren von den Überlegungen des Monetarismus herausgefordert, als es galt, die verstärkten In-<br />
fl<strong>at</strong>ionserfahrungen seit dieser Zeit zu interpretieren.<br />
Das neue Interesse an der Funktion der Geldpolitik in der Wirtschaft in den letzten Jahren geht<br />
von den USA aus <strong>und</strong> h<strong>at</strong> zwei Wurzeln. Erstens entstanden unter Milton Friedman eine Reihe<br />
von empirischen Untersuchungen, die für die USA auf eine starke <strong>und</strong> stabile Beziehung zwi-<br />
schen der Geldmenge <strong>und</strong> dem realen Brutto-Sozialprodukt hinweisen. Zweitens stieß man auf<br />
die Grenzen der Fiskalpolitik, nicht in deren prinzipieller Wirksamkeit, wohl aber in der legisla-<br />
tiven Implement<strong>at</strong>ion (eingeführte Subventionen sind politisch schwer wieder absetzbar).<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
Die monetaristische Gegenrevolution<br />
Bezüglich der Ursachen für Instabilitäten meinen die Monetaristen, dass die priv<strong>at</strong>e Wirtschaft<br />
im wesentlichen stabil ist <strong>und</strong> durch strenge Regelmechanismen für die Politik des öffentlichen<br />
Sektors gegen Störungen geschützt werden muss. <strong>Keynes</strong>ianer sehen dagegen im Nachfragever-<br />
halten des priv<strong>at</strong>en Sektors die Ursachen vieler Instabilitäten, die nach deren Ansicht der öffent-<br />
liche Sektor durch diskretionäre geld- <strong>und</strong> fiskalpolitische Maßnahmen stabilisieren soll.<br />
Der wesentlichste Unterschied in den theoretischen Konzepten der beiden Gruppierungen liegt<br />
jedoch in den Auffassungen über den Transmissionsmechanismus von monetären Impulsen auf<br />
den realen Sektor.<br />
Die <strong>Keynes</strong>ianer sind gr<strong>und</strong>sätzlich optimistischer, was die kurzfristige Steuerungsmöglichkeit<br />
der Wirtschaft betrifft, <strong>und</strong> betrachten diskretionäre geld- <strong>und</strong> fiskalpolitische Maßnahmen als<br />
Möglichkeit, die Wirtschaft näher dem Vollbeschäftigungsniveau zu bringen. Zu korrigieren ist<br />
jedoch die oft vertretene Meinung, dass eine aktive Stabilisierungspolitik einen großen öffentli-<br />
chen Sektor benötigt, da auch bei einem rel<strong>at</strong>iv kleinen Anteil des öffentlichen Sektors an der<br />
Gesamtwirtschaft über Steuerreduktionen Nachfrageimpulse ausgelöst werden können. Die De-<br />
b<strong>at</strong>te über den Sta<strong>at</strong>santeil ist also nicht notwendigerweise verb<strong>und</strong>en mit der Auseinanderset-<br />
zung um eine aktive Stabilisierungspolitik.<br />
Hervorstechendstes Merkmal einer monetaristisch konzipierten Wirtschaftspolitik ist die Emp-<br />
fehlung, den Selbstheilungskräften der Wirtschaft <strong>und</strong> autom<strong>at</strong>ischen Stabilis<strong>at</strong>oren bei der Be-<br />
kämpfung von Rezession <strong>und</strong> Infl<strong>at</strong>ion zu vertrauen. St<strong>at</strong>t diskretionärer geld- <strong>und</strong> fiskalpoliti-<br />
scher Maßnahmen empfehlen die Monetaristen Regelmechanismen für die Geld- <strong>und</strong> Fiskalpoli-<br />
tik. Für die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger bedeutet dies, dass Geld- <strong>und</strong> Fiskalpoli-<br />
tik nach angekündigten Leitlinien, unabhängig von den aktuellen Ereignissen, betrieben werden<br />
soll.<br />
Hervorgehoben wird dabei die Aufgabe der Geldpolitik, das Geldangebot in einem festen Pro-<br />
zents<strong>at</strong>z expandieren zu lassen. Dieser Regelmechanismus soll die Stabilisierung des Zinsni-<br />
veaus durch das Geldangebot ablösen, wodurch nach Meinung der Monetaristen wegen der<br />
Schwankungen der Geldmenge destabilisierende Effekte auf die Wirtschaft ausgehen.<br />
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<strong>Kapitel</strong> 3<br />
<strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong> Personen <strong>und</strong> Paradigmen<br />
Was spricht für <strong>und</strong> was spricht gegen eine solche passive Stabilisierungspolitik nach Regelme-<br />
chanismen? Bei allen unseren Modellanalysen haben wir immer Anpassungsprozesse entdeckt,<br />
die die Wirtschaft aus Ungleichgewichtspositionen wieder in eine Gleichgewichtsposition steu-<br />
ern. Wären diese stabilisierenden Selbstheilungskräfte einer Wirtschaft schnell wirksam, dann<br />
gäbe es nur wenige Argumente für eine aktive Stabilisierungspolitik. Während viele Monetaris-<br />
ten t<strong>at</strong>sächlich zu dieser Ansicht neigen, scheint die Mehrheit der Ökonomen doch die Meinung<br />
zu vertreten, dass diese Anpassungsmechanismen eher langsam <strong>und</strong> unverlässlich ablaufen, auch<br />
wenn sie durch autom<strong>at</strong>ische Stabilis<strong>at</strong>oren unterstützt werden, was wiederum für eine aktive<br />
Stabilisierungspolitik spricht.<br />
Da die Wirtschaft auf den Eins<strong>at</strong>z von wirtschaftspolitischen Instrumenten nur mit beträchtlichen<br />
Verzögerungen (Entscheidungs- <strong>und</strong> Reaktionslags) reagiert, <strong>und</strong> die genaue Wirkung der In-<br />
strumente auch schwer abschätzbar ist, ziehen die Monetaristen den Schluss, dass von einer akti-<br />
ven Stabilisierungspolitik eher destabilisierende Wirkungen ausgehen. Beispielsweise könnte<br />
etwa eine in einer Rezessionsphase getroffene Entscheidung über einen expansiven Instrumen-<br />
teneins<strong>at</strong>z erst beim nächsten Konjunkturgipfel voll wirksam werden <strong>und</strong> somit eine uner-<br />
wünschte Wirkung zeigen.<br />
Die verzögerte Wirkung von wirtschaftspolitischen Instrumenten stellt offensichtlich erhöhte<br />
Anforderungen an die Genauigkeit von Wirtschaftsprognosen, um Zeitpunkt <strong>und</strong> Dosierung der<br />
Instrumente besser steuern zu können. Die diesbezüglich eher enttäuschenden Erfahrungen der<br />
letzten Jahre scheinen wieder den Anhängern von passiven Regelmechanismen Recht zu geben.<br />
Obwohl also die Ansichten über eine diskretionäre Stabilisierungspolitik kontrovers sind, kann<br />
doch ein weitgehender Konsens in der Auffassung gef<strong>und</strong>en werden, dass diskretionäre Maß-<br />
nahmen nur bei ausgeprägten Abweichungen vom Gleichgewicht ergriffen werden sollen, nicht<br />
jedoch bei rel<strong>at</strong>iv geringen Störungen in der Nachfrage, <strong>und</strong> dass eine Verstetigung der Geld-<br />
<strong>und</strong> Fiskalpolitik anzustreben ist.<br />
3-9
Makroökonomik I <strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
3. Methodologische Anmerkungen<br />
3.1. Theorien <strong>und</strong> Modelle<br />
Die Volkswirtschaftslehre befasst sich mit den Tätigkeiten des einzelnen, der Gesellschaft <strong>und</strong><br />
des Sta<strong>at</strong>es, soweit sie mit der Gewinnung <strong>und</strong> dem Verbrauch von knappen Gütern zusammen-<br />
hängen. Von Anfang an standen drei Ziele im Vordergr<strong>und</strong>, nämlich das Erklärungsziel, das<br />
Vorhersageziel <strong>und</strong> das Gestaltungsziel. Zur Erreichung dieser drei Ziele bedient sich die<br />
Volkswirtschaftslehre der Empirie <strong>und</strong> der Theorie. Unter einer Theorie versteht man ein System<br />
von Definitionen, Bedingungen (Prämissen) <strong>und</strong> Aussagen (Hypothesen). Man unterscheidet drei<br />
Theorietypen:<br />
Klassifik<strong>at</strong>orische Theorien versuchen, verschiedene Komponenten der wirtschaftlichen<br />
Realität begrifflich zu fassen, zu definieren. Im nächsten Schritt kann die Wirklichkeit mit<br />
Hilfe dieses Begriffssystems beschrieben werden. Ein Beispiel dafür ist die Marktformenleh-<br />
re, die bestimmte Markttypen (Monopol, Oligopol etc.) definiert, welche zur Beschreibung<br />
t<strong>at</strong>sächlicher Märkte verwendet werden können.<br />
Nomologische Theorien decken gesetzesmäßige Zusammenhänge auf. Eine nomologische<br />
Theorie ist etwa die Newtonsche Gravit<strong>at</strong>ionstheorie.<br />
Entscheidungslogische Theorien befassen sich mit bestimmten menschlichen Verhaltens-<br />
weisen. Dabei unterscheidet man wiederum deskriptive <strong>und</strong> präskriptive Theorien. Eine de-<br />
skriptive Theorie unterstellt zum Beispiel r<strong>at</strong>ionales Verhalten der Wirtschaftssubjekte <strong>und</strong><br />
untersucht die sich daraus ergebenden Folgen. Präskriptive Theorien beschränken sich dem-<br />
gegenüber nicht auf die Analyse, sondern empfehlen bestimmte Verhaltensweisen.<br />
Zur Erreichung der drei obengenannten Ziele muss jede Theorie eine der Realität ähnliche<br />
Struktur aufweisen. Um ein Beispiel aus der Physik zu nehmen, lässt sich über den S<strong>at</strong>z<br />
„Alle schweren Körper fallen zu Boden.“<br />
sagen, dass er mit den beobachtbaren T<strong>at</strong>sachen gut übereinstimmt. Derartige Gesetze findet<br />
man durch Induktion. Viele besondere Beobachtungen führen dabei zu einem allgemeinen S<strong>at</strong>z.<br />
Die Induktion ist demnach die Verdichtung von Einzelt<strong>at</strong>sachen zu einem Gesetz.<br />
3-10
Makroökonomik I <strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
Die Wissenschaft bedient sich neben der Induktion auch deren logischem Gegenstück, der De-<br />
duktion. Die Deduktion ist der logische Schluss von einem allgemeinen S<strong>at</strong>z auf einen besonde-<br />
ren. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass man zwingend schließen kann auf:<br />
„Dieser schwere Körper fällt zu Boden.“<br />
Ein Wirtschaftsmodell<br />
Die vielleicht erste Einsicht des Ökonomen ist, dass das volkswirtschaftliche Geschehen chao-<br />
tisch <strong>und</strong> geradezu <strong>und</strong>urchdringlich erscheint. Deshalb entwickelt er zunächst ein überschauba-<br />
res, stark vereinfachendes Abbild der Realität: ein Modell. Durch Verfeinerung desselben kann<br />
er anschließend versuchen, zu immer besseren Beschreibungen der Wirklichkeit zu gelangen.<br />
Ein Modell soll diejenigen Aspekte der Wirklichkeit herausgreifen, welche gerade als relevant<br />
erachtet werden <strong>und</strong> alles übrige vernachlässigen. Deshalb darf das Modell nicht nur von der<br />
Realität abstrahieren, sondern dies ist seine ureigene Aufgabe.<br />
Ein Wirtschaftsmodell ist im Prinzip folgendermaßen aufgebaut:<br />
Definitionen<br />
der Wirtschaftssubjekte <strong>und</strong> –objekte sowie der Institutionen, man unterscheidet dabei exo-<br />
gene Variable, die für das Modell gegeben sind, <strong>und</strong> endogene Variable (im Modell be-<br />
stimmt).<br />
Prämissen<br />
Dies ist die Menge aller vorausgesetzten, das heißt unbewiesenen Sätze. Darunter fallen die<br />
Axiome (unbewiesene allgemeine Gesetze) <strong>und</strong> die Postul<strong>at</strong>e (spezielle Forderungen).<br />
Empirische Gesetze<br />
Empirische Gesetze sind qualit<strong>at</strong>ive oder quantit<strong>at</strong>ive Beziehungen, die zuvor durch empiri-<br />
sche Messungen, zum Beispiel St<strong>at</strong>istiken, gef<strong>und</strong>en wurden.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Im Rahmen der Deduktion werden die eigentlichen Ergebnisse abgeleitet. Diese nennt man<br />
Theoreme (bewiesene Gesetze) oder Implik<strong>at</strong>ionen bzw. Konklusionen (logisch abgeleitete<br />
Schlussfolgerungen).<br />
3-11
Makroökonomik I <strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
Bei Betrachtung dieser idealtypischen Modellstruktur ist dem Leser vielleicht die Ähnlichkeit<br />
von Modellen <strong>und</strong> Theorien aufgefallen, <strong>und</strong> in der T<strong>at</strong> sind Modelle ein Hilfsmittel der Theo-<br />
riebildung. Insofern ist auch eine strikte Trennung der beiden nicht möglich.<br />
3.2. Gleichgewicht, Ungleichgewicht <strong>und</strong> Stabilität<br />
Der methodische Gleichgewichtsbegriff fasst das Gleichgewicht als einen zeitlichen Ruhezu-<br />
stand auf, einen Zustand mit Beharrungsvermögen. Ein ökonomisches System befindet sich<br />
demnach im Gleichgewicht, wenn sich die endogenen Variablen (bei Konstanz der exogenen) im<br />
Zeitablauf nicht ändern.<br />
Der theoretische Gleichgewichtsbegriff ist wahrscheinlich geläufiger <strong>und</strong> bezieht sich im Nor-<br />
malfall auf einen Markt: Ein Markt befindet sich genau dann im Gleichgewicht, wenn Angebots-<br />
<strong>und</strong> Nachfragepläne übereinstimmen. Spätestens bei der Behandlung des Unterbeschäftigungs-<br />
gleichgewichtes wird sich zeigen, dass diese Definition zu eng ist <strong>und</strong> geradewegs in ein begriff-<br />
liches Chaos führt. Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, bezeichnen wir die Übereinstim-<br />
mung von Angebots- <strong>und</strong> Nachfrageplänen als Markträumung oder Marktausgleich. Zusätzlich<br />
bezeichnen wir sie als Marktgleichgewicht, wenn sie gleichgewichtig im methodischen Sinne ist.<br />
Warum ist der Gleichgewichtsbegriff so gr<strong>und</strong>legend für die ökonomische Analyse?<br />
Erstens ist ein gleichgewichtiger Zustand zeitlich beständig, während ein ungleichgewichtiger<br />
nur vorübergehenden Charakter h<strong>at</strong>. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass sich die Volkswirt-<br />
schaft in einem Zustand des Gleichgewichts befindet oder zumindest diesem zustrebt.<br />
Zweitens dient ein gleichgewichtiger Zustand als Bezugspunkt der Theorie. Durch Vergleich von<br />
Gleichgewichts- <strong>und</strong> t<strong>at</strong>sächlichen Größen lässt sich also die zukünftige Bewegungsrichtung<br />
angeben.<br />
Gemäß ihrer Reaktion auf äußere Störungen teilt man die Gleichgewichte in stabile, indifferen-<br />
te <strong>und</strong> labile.<br />
Bei einem stabilen Gleichgewicht bewirken innere Kräfte eine Rückkehr zum Gleichgewicht,<br />
falls eine äußere Störung auftritt. Bei einem indifferenten Gleichgewicht fehlen solche Kräfte,<br />
<strong>und</strong> das ursprüngliche Gleichgewicht wird nach einer Störung nicht wieder erreicht. Von einem<br />
labilen Gleichgewicht spricht man, wenn die Störung eine fortschreitende Entfernung von der<br />
Ausgangslage bewirkt.<br />
3-12
Makroökonomik I <strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
Daraus lässt sich eine für die ökonomische Analyse gr<strong>und</strong>legende Erkenntnis ziehen: ein Gleich-<br />
gewicht muss stabil sein, soll es ökonomische Bedeutung haben. Denn sonst wird man nicht<br />
schließen können, dass ein wirtschaftliches System dem Gleichgewicht zustrebt. Jede Gleichge-<br />
wichtsanalyse muss daher mit einer Stabilitätsanalyse einhergehen, welche die Bedingungen für<br />
ein stabiles Gleichgewicht aufzeigt.<br />
Wenn sich kein stabiles Gleichgewicht als Bezugspunkt der Analyse <strong>und</strong> „Gravit<strong>at</strong>ionszentrum“<br />
des Systems ausmachen lässt, dann kann über Gesetzmäßigkeiten <strong>und</strong> zukünftige Entwicklungen<br />
buchstäblich nichts gesagt werden.<br />
3.3. St<strong>at</strong>ik, kompar<strong>at</strong>ive St<strong>at</strong>ik <strong>und</strong> Dynamik<br />
Man nennt eine Analyse st<strong>at</strong>isch, kompar<strong>at</strong>iv-st<strong>at</strong>isch oder dynamisch, je nachdem, ob die<br />
Zeit als Konstante, Parameter oder Variable auftritt.<br />
Bei st<strong>at</strong>ischen Analysen beziehen sich alle Variablen auf denselben Zeitpunkt, zum Beispiel die<br />
Ermittlung eines Gleichgewichtspreises zu gegebenem Angebot <strong>und</strong> gegebener Nachfrage.<br />
Kompar<strong>at</strong>iv-st<strong>at</strong>ische Analysen beschäftigen sich mit Variablen, die auf zwei oder mehrere ver-<br />
schiedene Zeitpunkte d<strong>at</strong>iert sind. Innerhalb der kompar<strong>at</strong>iven St<strong>at</strong>ik befasst man sich beispiels-<br />
weise mit der Frage, welche Preis- <strong>und</strong> Mengeneffekte die Verschiebung der Nachfragekurve mit<br />
sich bringt. Durch die Untersuchung wird indes nicht das wie <strong>und</strong> das ob des Anpassungsprozes-<br />
ses geklärt. St<strong>at</strong>t dessen fordert man, dass vor <strong>und</strong> nach der Kurvenverschiebung ein Gleichge-<br />
wicht besteht. Die kompar<strong>at</strong>iv-st<strong>at</strong>ische Analyse ist insofern unvollständig <strong>und</strong> muss durch eine<br />
Erklärung der Anpassungsprozesse ergänzt werden.<br />
Dafür bietet sich die dynamische Analyse an. Hier werden z.B. der Preis <strong>und</strong> die Menge als<br />
Funktionen der Zeit betrachtet. Die kompar<strong>at</strong>iv-st<strong>at</strong>ische Erklärung kann etwa durch die Hypo-<br />
these vervollständigt werden, dass bei einer Überschussnachfrage der Marktpreis steigt, bei ei-<br />
nem Überschussangebot sinkt. Durch die verbal oder m<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>isch formulierte Dynamik wird<br />
also der zeitliche Anpassungsprozeß beschrieben, <strong>und</strong> es lassen sich die Bedingungen für eine<br />
Konvergenz zum Gleichgewicht angeben.<br />
3-13
Makroökonomik I <strong>Klassik</strong>, <strong>Neoklassik</strong> <strong>und</strong> <strong>Keynes</strong><br />
3.4. Ex post <strong>und</strong> ex ante Analysen<br />
Die ex post-Analyse betrachtet ihr Objekt im nachhinein. Nehmen wir etwa die Marktgleichung<br />
(3.1) x s = x d<br />
Als ex post-Gleichung aufgefasst ist (3.1) eine Identität. Sie gibt an, dass in der Vergangenheit<br />
Verkäufe <strong>und</strong> Käufe übereinstimmten. Anders könnte es auch gar nicht sein, denn wenn etwa in<br />
einer bestimmten Periode auf einem Stahlmarkt tausend Tonnen Stahl verkauft wurden, so müs-<br />
sen notwendig auch tausend Tonnen gekauft worden sein.<br />
Die ex ante-Analyse stellt dagegen auf Plangrößen ab. Als ex ante-Gleichung verstanden ist (3.1)<br />
eine Gleichgewichtsbedingung. Sie fordert, dass im Gleichgewicht Angebot <strong>und</strong> Nachfrage ü-<br />
bereinstimmen.<br />
Man muss somit scharf unterscheiden zwischen Verkäufen <strong>und</strong> Käufen einerseits, Angebot <strong>und</strong><br />
Nachfrage andererseits. Angebot <strong>und</strong> Nachfrage, verstanden als Plangrößen, stimmen nicht un-<br />
bedingt überein, es ist vielmehr die theoretische Aufgabe, Bedingungen für eine Übereinstim-<br />
mung herauszuarbeiten.<br />
3.5. Partial- <strong>und</strong> Totalanalysen<br />
Total- <strong>und</strong> Partialanalysen unterscheiden wir danach, ob bei einer Betrachtung einer Marktwirt-<br />
schaft die Menge aller Märkte oder eine Teilmenge davon analysiert wird. Damit ist jedoch nicht<br />
gemeint, ob in eine Untersuchung alle relevanten Faktoren oder nur ein Teil davon einfließen.<br />
Denn nach dem heutigen Stande des menschlichen Erkenntnisvermögens wären dann sämtliche<br />
Analysen partiell <strong>und</strong> die Unterscheidung bedeutungslos. Vielmehr geht es um die Analyse der<br />
Vorgänge nicht nur auf einem Markt, sondern um die Rückwirkung auf alle anderen Märkte.<br />
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