Fritz Lang und Lily Latt: Die Geschichte zweier Umwege
Fritz Lang und Lily Latt: Die Geschichte zweier Umwege
Fritz Lang und Lily Latt: Die Geschichte zweier Umwege
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vom Handel mit der Indiskretion lebt.<br />
Ich versuchte mein Glück <strong>und</strong> schrieb einen Brief. Zwei Tage später klingelte bei meiner<br />
Bekannten das Telefon. Eine tiefe, kraftvolle <strong>und</strong> rauhe Stimme verlangt mit mir zu sprechen, mit<br />
einem Akzent, der durch mehrere Generationen deutscher Emigranten berühmt wurde. Daß sie mit<br />
einem Anruf reagierte, schien ein gutes Omen: es bedeutete, sie war jemand der schnellen<br />
Entscheidungen, impulsiv <strong>und</strong> ungeduldig, Qualitäten, die auf Intelligenz schliessen liessen. Ich<br />
versuchte, sie mir vorzustellen, konnte es aber nicht. Ihr Lachen erinnerte mich an Szenen in Werner<br />
Herzogs FATA MORGANA, in denen die Erde überall spröde ist, nachdem die Sonne den sintflutartigen<br />
Regen aufgesaugt hat. Der Kommentar zu diesem Film wird von Lotte Eisner gesprochen, die ich das<br />
erste Mal 1971 in Begleitung von Martje Grohmann, Herzogs Frau, bei der Premiere des Films in<br />
Cannes getroffen hatte. War es das unbewußte Echo, als ich <strong>Lily</strong>s Stimme hörte? Wenn dem so war,<br />
öffnete Werner Herzog ein anderes Assoziationsfeld, verb<strong>und</strong>en mit <strong>Fritz</strong> <strong>Lang</strong> über die Achse<br />
Deutschland-Hollywood-Paris, aber gerade da auch wieder durch Welten getrennt.<br />
Wir fuhren den Sunset Boulevard entlang <strong>und</strong> den Benedict Canyon hoch. Am Beverly Hills<br />
Hotel hielten wir, um rote Rosen zu kaufen; da es Ostersonntag war, gab es nicht viel anderes im<br />
Blumengeschäft, <strong>und</strong> wir hatten bereits eine halbe St<strong>und</strong>e Verspätung. Je höher man den Canyon in<br />
die Gebirgsausläufer hinauffährt, desto mehr machen die Palmen allen möglichen Sorten von Wüstenpflanzen<br />
<strong>und</strong> Kakteen Platz, die ebenso malerisch in die gepflegten Rasenflächen <strong>und</strong> Vorgärten<br />
gesetzt sind. <strong>Die</strong> Luft war frisch <strong>und</strong> dünne Wasserfäden tropften lautstark in die Gullys am<br />
Straßenrand. Obwohl sich der Himmel nach dem morgendlichen Regen aufgeheitert hatte -<br />
ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit –, zogen noch immer Nebelfetzen an den Hügeln hinter uns<br />
vorüber, als wir aus dem Auto stiegen. Das Haus schien auf ein weitläufiges Gr<strong>und</strong>stück gebaut <strong>und</strong><br />
am Rande der Wildnis zu stehen: ein äußerst begehrter Effekt bei Bel Air- <strong>und</strong> Beverly Hills-Häusern,<br />
da er eine lange, ununterbrochene Wohn- <strong>und</strong> Besitzdauer anzeigte. Als ich den Klingelknopf drückte<br />
- ich kam mir vor wie Humphrey Bogart in der Eingangsszene von THE BIG SLEEP -, hörte ich etwas<br />
durch das Unterholz am Hang hinter mir krachen; zwei Rehe galoppierten vorüber <strong>und</strong> schüttelten,<br />
mit ihren leicht dampfenden Rücken, die Regentropfen von den Zweigen eines Eukalyptusbaums.<br />
<strong>Lily</strong> öffnete selbst, groß <strong>und</strong> hager, mit feinen Falten im Gesicht, die die außergewöhnliche<br />
Schönheit ihrer Züge perfekt unterstrichen. Sie bewegte sich mit Energie <strong>und</strong> Präzision. Ein kleiner<br />
H<strong>und</strong>, unverwechselbar ein weiterer Wriggles, machte es schwierig, zur Couch zu gelangen, auf die<br />
uns Mrs. <strong>Latt</strong>é zusteuert. Der Kaffeetisch mit Einlegearbeit birgt Bücher über Architektur, einige<br />
Schallplatten <strong>und</strong> jüngst erschienene Literatur zu <strong>Fritz</strong> <strong>Lang</strong>. <strong>Die</strong> Aussicht über die Terrasse ist beeindruckend,<br />
obwohl Los Angeles unten von Wolken ganz verhangen ist. Mir fiel das fein ausgearbeitete<br />
Backsteinmauerwerk an der Balustrade auf, eher Hamburg als Hollywood, <strong>und</strong> dahinter eine Gruppe<br />
Bambusbäume, groß <strong>und</strong> stämmig, fast ein Wald für sich. Das Gefühl mehrerer Welten zugleich <strong>und</strong><br />
jede als Zitat.<br />
Als wenig später der Kaffee serviert wurde, hatte ich bereits das Gefühl, daß wir <strong>Lily</strong> <strong>Latt</strong>é<br />
selbst <strong>und</strong> nicht <strong>Fritz</strong> <strong>Lang</strong>s Gefährtin der letzten Jahre einen Besuch abstatteten. Nichts an ihr<br />
erinnerte an eine Witwe, so sehr war der Blick gewöhnt, sich Platz <strong>und</strong> Aufmerksamkeit zu<br />
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