DKB_2_06_Vollversion - Kranken Boten
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April / Mai 20<strong>06</strong><br />
Coffee and Jesus<br />
Freaks entdecken soziale Verantwortung<br />
Vorsicht, Waldbrandgefahr!<br />
Wie du Konflikte in deiner Gemeinde vermeiden kannst<br />
Zynische Lebensfreude<br />
Interview mit Daniel Benjamin
Wieso tun sie das bloß?<br />
Der Kranke Bote hat krasse Ziele<br />
Liebe Leserinnen und Leser, Der<br />
kranke Bote (<strong>DKB</strong>) hat das Ziel, das<br />
Ganzjahres-Coffeezelt der Bewegung<br />
zum Lesen zu werden. Das Magazin soll<br />
Identität stiften und das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
unter allen Jesus Freaks<br />
stärken und festigen. Doch genau wie<br />
das Coffeezelt auf dem Freakstock von<br />
den verschiedensten Typen bevölkert<br />
wird, sind auch die Jesus Freaks eine<br />
höchst vielfältige Szene. Diese Vielfalt<br />
ist wertvoll und soll sich im <strong>Boten</strong> widerspiegeln.<br />
Das bedeutet: <strong>DKB</strong> ist kein<br />
Verlautbarungsorgan der JFI-Leitung,<br />
sondern will ein offener Marktplatz der<br />
Ideen und Meinungen innerhalb der<br />
Bewegung sein. Es geht also um Austausch<br />
in alle Richtungen: Der Ä-Kreis<br />
und die einzelnen JFI-Bereiche kommunizieren<br />
ihre Anliegen und Neuigkeiten<br />
an die Bewegung; genau so wie einzelne<br />
Freaks und Gemeinden via Krankem<br />
<strong>Boten</strong> gleichzeitig der Freak-Öffentlich-<br />
April / MaI 20<strong>06</strong> Seite 2<br />
keit und den Leitern mitteilen können,<br />
was sie bewegt. Deshalb gilt für den<br />
Themenschwerpunkt der aktuellen<br />
Ausgabe, soziale Gerechtigkeit: Wenn<br />
ihr euch über etwas ärgert oder aufregt<br />
– das ist ok so, das ist so gewollt.<br />
Also, lass dich provozieren, schreib uns<br />
deine Meinung. Wir wünschen uns,<br />
dass viele anregende Diskussionen<br />
entstehen in unserem gemeinsamen<br />
Ganzjahres-Coffeezelt.<br />
Fürs <strong>DKB</strong>-Team:<br />
Frank<br />
www.bote.jesusfreaks.de
2<br />
4 6 8 9 10121416192226272930<br />
<strong>Boten</strong>inhalt<br />
32 34383939<br />
Editorial<br />
Meldungen<br />
Internationaler Roundable in Geithain<br />
Italo-Freakstock am Gardasee<br />
Leiter- und Kulturdesign-Ausbildung<br />
Der Glaube in Zeiten der Postmoderne<br />
JFI-Visionstext: Das ist nicht fair!<br />
Weg vom Kirchenomi-Image: Fairer Handel<br />
Evangelikale für Gerechtigkeit: Die Speak-Bewegung<br />
Fontaktoskop: Bonhoeffer<br />
Ist Kapitalismus Sünde? Ein fiktives Streitgespräch<br />
Nachgedacht: Weniger ist mehr<br />
Interview mit Daniel Benjamin<br />
Konsumberatung<br />
Brandschutz in der Gemeinde<br />
Porträt JF Bayreuth-Kulmbach<br />
Tabuthema Ehelosigkeit<br />
Juppis Kolumne<br />
Lesermeinung<br />
Impressum<br />
Februar/April 20<strong>06</strong> Seite 3
Der Kranke Bote<br />
Anmelden fürs FLT<br />
Vom 27. April bis 1. Mai startet der<br />
erste Teil des Freakleitertrainings<br />
(FLT) im Freizeitheim „Knüllhouse“<br />
in Neukirchen (Mittelhessen). Infos<br />
und Anmeldung unter www.flt.jesusfreaks.de<br />
oder [flt@jesusfreaks.de].<br />
Teil 2: vom 11. bis 15. November.<br />
Willo für Freaks<br />
Willo Freak (25. bis 28. Mai) findet wieder<br />
auf dem Hofgut Siloah in Neufrankenroda<br />
statt. Teilnehmerbeitrag: ca. 60<br />
Euro. Anmeldung ab Mitte April unter<br />
www.jesusfreaks.de.<br />
Treffen für Leiter<br />
Das nächste JFI-Gesamttreffen ist am<br />
1./2. April im EC-Freizeitheim „Knüllhouse“<br />
in Neukirchen. Wegbeschreibung<br />
auf www.knuellhouse.de<br />
Voting for Steve<br />
Unsere Lieblingsindierocker kurz vorm<br />
nationalen Durchbruch: Dank Unterstützung<br />
vieler Freak-Voter treten die<br />
vier Gießener am 8. April live als Vorband<br />
von Seeed bei der You FM Night<br />
in Alsfeld auf. Es werden 5000 Leute erwartet.<br />
Der Radiosender You FM hatte<br />
abstimmen lassen, welche Nachwuchsband<br />
diese Chance bekommt. Waiting<br />
for Steve hatten sich gegen drei andere<br />
hessische Bands durchgesetzt. Zum<br />
Warmspielen geben sie vorher noch ein<br />
paar Konzerte.<br />
Tourdaten auf www.waitingforsteve.de<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 4<br />
Schulung für Propheten<br />
Der erste Teil der Prophetie-Schulung<br />
„God is speaking“ (G.I.S.) findet<br />
am 22./23. April in den Büroräumen<br />
der JF Nürnberg statt. 35 Euro pro<br />
Person und Wochenende inkl. Frühstück.<br />
Infos und Anmeldung unter<br />
[denisa.rio@gmx.de]<br />
Preis für Hardcore-Band<br />
Die Hardcore-Band „Opposition of<br />
One“ aus Ludwigsburg, bekannt vom<br />
Freakstock, hat den 2. bundesweiten<br />
„Message Music Contest“ gewonnen,<br />
der am 4. März in Mannheim verliehen<br />
wurde. Zu später Stunde öffnete Rock-<br />
Sänger Peter Maffay den Umschlag mit<br />
dem Abstimmungsergebnis und überreichte<br />
den Siegern die Trophäe, den<br />
„Vision Star“. Daneben erhält die Band<br />
Künstlerförderung im Wert von 10000<br />
Euro.<br />
Jazzen fürn Herrn<br />
Meldungen<br />
Vom 1. bis 5. Juni sind die JF der Region<br />
Rhein/Ruhr mit guter Mucke und<br />
Riesenzelt auf dem Jazzfestival in Moers<br />
(Niederrhein) vertreten. Jeder kann<br />
kommen und mitmachen. Ziel der Initiatoren:<br />
„Hier gehts um ´ne fette Party mit<br />
Jesus, während sich rund um uns rum im<br />
Moerser Stadtpark die Leute den Schädel<br />
wegballern und überhaupt nicht damit<br />
rechnen, Jesus zu begegnen“.<br />
Infos auf www.jesusfreaks.de/duisburg
Meldungen<br />
Kontaktpool für Kreative<br />
Mireille (21, JF Berlin) und Susan (24, JF<br />
Leipzig) machen eine Ausbildung bzw.<br />
ein Studium im Bereich Grafikdesign.<br />
Seit Wochen schon beschäftigt sie eine<br />
Frage: Wie können wir Gott mit Design<br />
dienen? Erster Teil der Antwort: Es sollte<br />
einen Kontaktpool geben von Grafikern,<br />
Illustratoren, Fotografen, Webdesignern,<br />
Textern, Modeschöpfern, Programmieren.<br />
Vielleicht in Form einer Website, auf<br />
der jeder kurz mit ein paar Arbeiten und<br />
einem Steckbrief vorstellt. Das wäre besonders<br />
interessant für Freiberufler, die<br />
gern mit anderen Christen zusammen<br />
arbeiten. Weitere Visionen der beiden:<br />
ein Online-Shop für selbstgemachte<br />
Designprodukte und ein inhaltlich und<br />
gestalterisch relevantes Magazin.<br />
Auf dem Blog www.mediennetzwerk.<br />
de.vu gibts das ausführliche Konzept<br />
und Kontaktinfos.<br />
Lexikon für Freaksprech<br />
Willo – was? Grobian – wer is’n der?<br />
Unter www.freakipedia.de entsteht<br />
derzeit ein Nachschlagewerk, dass nicht<br />
nur Neulingen Orientierung im Dschungel<br />
der JF-Begriffe gibt. Hier sollen sich<br />
Infos über Freakhotel, AG, FAZ bis hin zu<br />
den einzelnen Gruppen finden lassen.<br />
Ziel: Transparenz schaffen und Wissen<br />
vermitteln. Wie das Vorbild Wikipedia<br />
lebt auch Freakipedia davon, dass möglichst<br />
viele mitmachen.<br />
Infos unter [waerter@freakipedia.de]<br />
Herz für Belgien<br />
Der Kranke Bote<br />
Ernsti, der gerade dabei ist, in Antwerpen<br />
(Belgien) die erste christliche Kindertagestätte<br />
aufzubauen, kommt vom<br />
7. bis 17. April nach Deutschland, um<br />
sein Projekt vorzustellen. Es gibt noch<br />
freie Termine, und er kommt gerne in<br />
eure Gemeinde, auch zum Predigen.<br />
Interesse?<br />
Kontakt unter www.belgienrocks.de<br />
SMS fürs JF Hotel<br />
Das JF-Hotel Geithain (Sachsen) braucht<br />
Kohle. Vor neun Monaten pachtete ein<br />
kleiner Haufen Verrückter kurzerhand<br />
ein richtiges Hotel, um dort etwas jesusmäßiges<br />
zu starten. Zu Übernachtungspreisen<br />
einer Jugendherberge (10<br />
Euro/Nacht) wird hier nobler Hotelkomfort<br />
geboten (ca. 30 Betten). Inzwischen<br />
fanden hier schon etliche JFI-Treffen,<br />
Freizeiten und eine Kurzbibelschule<br />
statt. Im zum Jugendclub umgebauten<br />
Keller treffen sich die Geithainer Freaks.<br />
Hier gastierten schon namhafte Bands<br />
aus der JF-Szene und zogen viele alternative<br />
Leute aus dem Umland an. Um<br />
die steigende Pacht weiter zu bezahlen,<br />
soll das JF-Hotel auf breiter Basis von<br />
möglichst vielen Jesus Freaks getragen<br />
werden. Deshalb sucht das Hotel-Team<br />
bis Ende April 200 Spender, die das Projekt<br />
per Dauerauftrag mit monatlich<br />
7,77 Euro unterstützen wollen – pro<br />
Tag sind das etwa 25 Cent, ungefähr<br />
der Preis einer SMS.<br />
Infos unter [jesusfreakshotel@gmx.de]<br />
oder bei Marco 0151-19303725.<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 5
Der Kranke Bote<br />
Traditionell sind<br />
die Freaks, wenn<br />
es um die Gruppenzusammengehörigkeit<br />
geht, ja eher mit dem<br />
Begriff „Gang“ vertraut.<br />
Irgendwo habe<br />
ich mal gehört, dass<br />
diese Wortwahl mit den<br />
schlechten Erfahrungen vieler<br />
von uns in ihren Familien zu tun hat.<br />
Wie dem auch sei, beim internationalen<br />
Runden Tisch im Geithainer Freakhotel<br />
gab Gott Morten, dem Pastor von<br />
Subchurch aus Oslo, jedenfalls die zwei<br />
Worte „one“ und „family“. Und die<br />
Stimmung, die unter den Freaks dort<br />
herrschte, war wirklich familiär im besten<br />
Sinne. Oder besser: blutsbrüderlich.<br />
Ich jedenfalls fühlte mich so zu Hause<br />
wie schon länger nicht. Dabei kannten<br />
sich die Wenigsten vorher. 40 Leute<br />
waren gekommen, aus England, Dänemark,<br />
Norwegen, der Schweiz, Frank-<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 6<br />
EinFamilienHaus – 1. Internationaler Roundtable in Geithain<br />
Mister Universe<br />
reich, Tschechien,<br />
Portugal, Holland<br />
und Deutschland.<br />
Viel zu planen war<br />
nicht möglich, wir wollten<br />
uns ja erst mal kennenlernen<br />
und schauen, wie<br />
wir einander von Nutzen<br />
sein konnten. Also gab Mirko<br />
am Samstag ein paar Worte<br />
über Freundschaft und Aufrichtigkeit.<br />
Und dann beteten wir in kleinen Gruppen<br />
füreinander. Schon mal von jemand<br />
bebetet worden, der einen Übersetzer<br />
braucht? Es ist super! Dem folgte der<br />
erste Teil des Stell-Dich-und-Deine-Bewegung-Vor-Und-Dann-Beten-Wir-Alle-<br />
Für-Euch, der bis abends dauerte und<br />
am Sonntag morgen beendet wurde. Da<br />
waren zum Beispiel die Freaks aus Holland,<br />
für die Willo Freak letztes Jahr der<br />
Gründungsanstoß war, oder Subchurch<br />
und Glorious Undead in London, die<br />
es schon seit zehn Jahren gibt und die<br />
dann unverhofft auf die Jesus Freaks
Mister Universe<br />
in Deutschland<br />
stießen. Das französische<br />
Ehepaar,<br />
dem schon mal<br />
eine Gruppe versickert<br />
ist und die<br />
trotzdem weiter<br />
träumen und die<br />
Schweizer, die zu<br />
ihnen halten. Die<br />
Tschechen, die<br />
schon ein Sommerfestivalaufgezogen<br />
haben.<br />
Außerdem die<br />
Missionsaktion<br />
Jesus Freaks in Japan zu gründen, für<br />
die Gott schon Leute aus Norwegen,<br />
Deutschland und London berufen hat,<br />
ohne ihnen vorher voneinander erzählt<br />
zu haben.<br />
Als sich am Sonntag dann alle zu<br />
verabschieden begannen, wurde ich<br />
Der Kranke Bote<br />
langsam wehmütig. Wie es eben so ist,<br />
wenn man im Kreise seiner Familie war,<br />
gespürt hat, wo man hingehört, gesehen<br />
hat, wer eigentlich mit einem unterwegs<br />
ist, und welche unglaubliche<br />
Revolution es ist, bei der man da oft unwissentlich<br />
mitmacht. Wir sind nicht allein.<br />
Das gilt auch für<br />
uns Freaks, nicht nur<br />
für die Einzelkämpfer<br />
und Gruppen aus<br />
anderen Teilen Europas.<br />
Du bist Teil einer<br />
Familie, die groß und<br />
vielseitig ist. Blutsbrüder,<br />
die für dich sterben<br />
würden, obwohl<br />
sie nicht mal deine<br />
Sprache sprechen. Du<br />
bist nicht allein.<br />
Alex Schneider<br />
[kurttucholksi@<br />
hotmail.com]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 7
Der Kranke Bote<br />
Fels auf dem Felsen<br />
Das christliche Rockfestival am Gardasee<br />
Dieses Jahr findet vom 21.-23.7.20<strong>06</strong><br />
zum 4. Mal Rock on the Rock auf<br />
einem Sportplatz im italienischen San<br />
Michele, direkt oberhalb des Gardasees,<br />
statt. Wir, ein paar Freaks aus München,<br />
waren schon letztes Jahr auf diesem<br />
christlichen Rockfestival und schlichtweg<br />
begeistert. Die Leute, die das organisieren,<br />
sind sehr geil. Wir waren sofort<br />
total eins im Geist mit ihnen. Ich wurde<br />
spontan zum Gebetsleiter des Festivals<br />
ernannt und so haben wir dieses im<br />
Gebet abgedeckt. Die US-Amerikaner<br />
Denny und Maureen Hurst sind seit<br />
20 Jahren als Missionare in Italien. Sie<br />
veranstalten das Event zusammen mit<br />
einer handvoll Leuten aus kleinen Gemeinden.<br />
Sie haben es in Italien nicht<br />
leicht, weil die wenigen Christen dort<br />
meinen, dass Rockmusik vom Teufel sei.<br />
Denny heißt alle Freaks willkommen,<br />
die kommen wollen. Seid ein Licht in<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 8<br />
© www.photocase.com<br />
der Finsternis, in einem von einem<br />
religiösen Geist beherrschtem<br />
Land.<br />
Es ist umso geiler, dass es das<br />
Festival überhaupt gibt und dass<br />
es kostenlos (für Teilnehmer und<br />
Mitarbeiter) ist. Von der Größe<br />
ist es noch wie die ersten Freakstocks<br />
(Neudrossenfeld lässt grüßen).<br />
Schon spannend, wenn die<br />
überwiegend alte Bevölkerung des<br />
Dorfes bei einem Spaziergang vorbeischaut,<br />
bleibt und sogar<br />
wiederkommt, auch bei so<br />
derben Bands wie Antidemon.<br />
Was gibt es? Abends<br />
Bands auf der Hauptbühne, dazwischen<br />
tanzbare Beats von einem DJ, ein tolles<br />
Bistro und wunderbare Leute inmitten<br />
eines herrlichen Panoramas, morgens und<br />
mittags Einheiten mit Lobpreis und Gebet.<br />
Es bleibt genügend Zeit, um auch mal runter<br />
an den See zum Baden zu fahren oder<br />
bei den Einladeaktionen an der Strandpromenade<br />
dabei zu sein (interessant: mit DJ<br />
Music zu Konzerten von Antidemon und<br />
Mammuth einzuladen…).<br />
Es nicht unbedingt die Musik, die den<br />
Reiz und Flair dieses Festivals ausmacht.<br />
Wie soll ich es am Besten beschreiben? Ihr<br />
müsst selber kommen! Kommt und helft<br />
mit, ihr werdet viel Spaß und intensive<br />
Erfahrungen haben. Wir werden auf jeden<br />
Fall wieder hinfahren. Wer kommt mit?<br />
Let’s rock Rock on the Rock with the love<br />
of Jesus! Weitere Infos unter www.rockon-<br />
therock.com<br />
JF International<br />
Jocky<br />
[jocky@jesusfreaksmuenchen.de]
Leiterschaft<br />
Das Gemeinde-Entwicklungs-Labor<br />
Frischzellenkur gegen gemeindliche Langeweile<br />
Vor über zwei Jahren haben Jean<br />
Drozak (Kunstdünger, JF Nürnberg)<br />
und ich (Daggi Begemann, damals JF<br />
Nürnberg) überlegt, wie wir unsere Erfahrungen<br />
aus acht Jahren Aufbau und<br />
Leitung christlicher Organisationen für<br />
andere fruchtbar machen können. Dabei<br />
entstand die Idee einer Fortbildung,<br />
die den klassischen Weg der frontalen<br />
Wissensvermittlung verlässt. Sie soll<br />
den Teilnehmern die Möglichkeit geben,<br />
die Inhalte in von uns gestalteten Laborsituationen<br />
zu erarbeiten und in von<br />
ihnen entwickelten Projekten in ihrer<br />
eigenen (Gemeinde-)Praxis umzusetzen.<br />
Da wir beide durch unsere Arbeit<br />
in verschiedenen Feldern Kenntnisse<br />
erworben haben, ist es uns möglich,<br />
die Teilnehmer in den Schwerpunkten<br />
Organisationsentwicklung und in Kulturdesign<br />
vertieft auszubilden.<br />
Unsere gemeinsame Zeit bei den JF<br />
Nürnberg haben wir oft als spannungsreiches<br />
Hin und Her zwischen der Suche<br />
nach innovativen Wegen<br />
für die Gemeinde und dem<br />
Bedürfnis der Menschen<br />
nach einer sicheren und<br />
stabilen geistlichen<br />
Heimat empfunden. Immer<br />
wenn wir der Versuchung<br />
nachgaben, diese Spannung<br />
in die eine oder andere Richtung<br />
aufzuheben, dann ging der Gemeinde<br />
etwas verloren. Sie stand in der Gefahr,<br />
entweder nur noch Arbeitsgemeinschaft<br />
Der Kranke Bote<br />
für Innovative oder christliches Kuschelghetto<br />
zu werden. Daher wollen wir<br />
uns mit diesem Ausbildungsprogramm<br />
einerseits auf die Suche nach Werkzeugen<br />
und Handlungskonzepten machen,<br />
die es ermöglichen, Formen von Gemeinde<br />
immer wieder neu zu erfinden.<br />
Andererseits wollen wir nach Möglichkeiten<br />
suchen, Neues in Bestehendes so<br />
zu integrieren, dass es wirklichen Nutzen<br />
und bleibende Veränderung bringt.<br />
In den vier Blöcken des Programms<br />
erwerben die Teilnehmer allgemein für<br />
ihre Tätigkeit notwendige Kenntnisse in<br />
Persönlichkeitsentwicklung, Leitungshaltungen,<br />
Management und der Reflektion<br />
theologischer Inhalte. Zusätzlich<br />
vermitteln wir ihnen Fähigkeiten<br />
in der Methodik von Kulturdesign oder<br />
Organisationsentwicklung. In der zweiten<br />
Fortbildungshälfte führt jeder Teilnehmer<br />
ein Projekt durch. Die Fortbildung<br />
umfasst 16 Wochenenden<br />
und startet im Herbst 20<strong>06</strong> in<br />
Zusammenarbeit mit<br />
dem C&P Verlag.<br />
Unter www.<br />
kolleg.cundp.de<br />
erfährst du mehr<br />
über die Inhalte<br />
der Fortbildung,<br />
die Termine, Kosten<br />
und die Anmeldung. Bei<br />
weiteren Fragen mail an:<br />
Daggi Begemann<br />
[daggi@jesusfreaks.de]<br />
© www.photocase.com<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 9
Der Kranke Bote<br />
Wenn über meine Generation in<br />
Zeitungen und in neonmäßigen<br />
Magazinen geschrieben wird, dann<br />
geht es dabei nicht wirklich darum,<br />
was wir fühlen, wollen und wofür wir<br />
kämpfen. Meistens geht es in solchen<br />
Artikeln darum, dass alle Menschen in<br />
Deutschland, die so alt sind wie ich und<br />
ähnliche Dinge gerne tun wie ich, in ei-<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 10<br />
Wer sind wir eigentlich?<br />
ner Berliner Altbauwohnung leben und<br />
begabt, aber arbeitslos sind. Kreativ<br />
und kinderlos, aber eigentlich verhältnismäßig<br />
optimistisch drauf, so als hätten<br />
wir noch nicht wirklich gerafft, dass<br />
es in absehbarer Zeit mit der Wirtschaft<br />
nicht bergauf und deshalb mit unserer<br />
Zukunft weiter bergab gehen wird.<br />
Aber sind das tatsächlich die Fragen<br />
und Probleme meiner Generation? Naja,<br />
ich gebe zu, äußerlich wohl schon, aber<br />
innerlich? Besteht unsere tiefste Sehnsucht<br />
wirklich in dem Wunsch nach<br />
einem guten Job und einer sicheren<br />
Zukunft? Dass das nicht so ganz stimmen<br />
kann, zeigt sich bei den verschiedensten<br />
popkulturellen Anlässen und<br />
daran, dass die Leute, die ich als meine<br />
Generation bezeichne, krass auf der<br />
Suche sind nach Dingen, die ihnen<br />
Halt geben. Und zwar da, wo weder<br />
Kohle noch Lifestyle ihnen Halt geben<br />
können.<br />
Wieso kommen Leute zum Beispiel<br />
auf die Idee, sich bei H&M Rosenkränze<br />
zu kaufen und sie sich um den Hals<br />
zu hängen? Was hat MTV sich bei dem<br />
Slogan “You better believe“ gedacht<br />
und warum gehen im Moment<br />
alle so auf Johnny Cash ab?<br />
Ich meine damit eine gesellschaftliche<br />
Entwicklung, die, nachdem Leute<br />
jahrzehntelang immer weniger mit Kirche<br />
und Glauben zu tun haben wollten,<br />
jetzt dazu führt, dass sie an den unmöglichsten<br />
Orten kleine religiöse Eckchen<br />
einrichten. Irgendwie scheint es so zu<br />
sein, dass man ( je jünger, desto stärker)
Wer sind wir eigentlich?<br />
wieder Bock hat, an irgendwas zu glauben,<br />
aber nicht so genau weiß, woran.<br />
Die Frage, die sich die Leute scheinbar<br />
stellen, ist dabei aber gar nicht, was<br />
denn nun wahr ist oder ob es Gott tatsächlich<br />
gibt, wer die Welt geschaffen<br />
hat und woher das Leid kommt; sondern<br />
eher, welche der netten, schillernden,<br />
religiösen Häppchen, die so auf dem<br />
Markt angeboten werden, denn wohl<br />
am besten zu ihnen und ihrem Leben<br />
passt.<br />
Das kommt uns jetzt so ganz, ganz<br />
böse vor, ist aber eigentlich nachvollziehbar.<br />
Denn wir kennen das Spielchen<br />
mit dem Lifestyle auch. Wir sind<br />
ja Freaks! Wir wollen auch nicht das,<br />
was alle haben. Und wir kennen auch<br />
das ungute Gefühl, wenn der Style zu<br />
wichtig wird. Wir erzählen über unsere<br />
Klamotten und unseren Rock‘n Roller-<br />
Gestus Geschichten über uns, von Rebellion<br />
und Wildheit, die wir irgendwann<br />
anfangen selbst zu glauben.<br />
Und dann, irgendwann, stellen wir<br />
fest, dass es uns schwer fällt zwischen<br />
Oberfläche und dem Rest zu unterscheiden<br />
und wir fangen an uns zu fragen,<br />
ob da außer Oberfläche eigentlich jemals<br />
etwas existierte. Wir haben das<br />
Gefühl, dass das, was auf orangestichigen<br />
70er und 80er Jahre Fotos mal<br />
„ich“ war, jetzt nicht mehr da ist. Dass<br />
es einer Person gewichen ist, die ich mir<br />
selbst ausgedacht, erarbeitet, gebastelt<br />
habe.<br />
Ich könnte auch ganz anders sein,<br />
oder? Ich könnte auch ganz anders beten,<br />
oder? Und glauben?<br />
Der Kranke Bote<br />
Was ich hier beschreibe, ist das echte<br />
Problem meiner Generation, das viel<br />
tiefer geht, als die Fragen nach Zukunft<br />
und Job. Wir leben in einer schnellen,<br />
unübersichtlichen Zeit. Man kann sich<br />
schlecht einrichten. Wir sind gezwungen<br />
immer mitzugehen, ohne dabei auf<br />
der Strecke zu bleiben. Wir leben in einer<br />
Zeit der Sehnsucht nach etwas, das<br />
bleibt, nach einem festen Kern unter<br />
den Hüllen von Äußerlichkeit und Lifestyle.<br />
Die Ängste und Fragen, vor denen<br />
meine Freunde stehen, die nicht an Jesus<br />
glauben, sind dieselben, vor denen<br />
ich auch stehe; und die Vorstellung,<br />
dass die Antworten für einen Christen<br />
kein Problem mehr sind, ist eine fromme<br />
Illusion.<br />
Wer bist du denn, wenn du jeder sein<br />
kannst? Und bist du in der Lage, alle<br />
Masken abzulegen? Was bleibt dann?<br />
In einer Welt, in der ich gezwungen<br />
bin, mich ständig zu verändern; eine<br />
niemals endende Geschichte darüber<br />
zu erzählen, wer ich bin; die ausgefeilte<br />
Rolle der Person zu spielen, die ich<br />
gerne wäre, was ist denn mein gleich<br />
bleibender Kern, mein Fels, meine einzige<br />
Konstante, mein Fixstern, mein<br />
Zentrum, meine feste Burg...<br />
Nina Spöttling-Metz<br />
[spoetz@gmx.de]<br />
Nina Spöttling-Metz (28) ist<br />
bei den JF Frankfurt und<br />
schreibt an einer Doktorarbeit<br />
zu jugendlicher Religiosität<br />
und Style. Sie beschäftigt sich<br />
wissenschaftlich mit der Frage,<br />
wann etwas scheiße genug ist,<br />
um wieder cool zu sein.<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 11
Der Kranke Bote<br />
w<br />
Das ist nicht fair!<br />
Bewusster einkaufen aus Nächstenliebe<br />
Zurzeit bin ich ziemlich genervt und<br />
angespannt wegen verschiedenster<br />
Dinge, die sich in den Vordergrund<br />
drängen und danach verlangen, als<br />
dass Wichtigste überhaupt angesehen<br />
zu werden. Eine gute Frage ist für mich<br />
dann immer, was wirklich wichtig ist. So<br />
vieles, was mich im Alltag beschäftigt,<br />
ist nicht wirklich das, was mich beschäftigen<br />
sollte. Ich erlebe es immer wieder,<br />
dass ich durch die Stadt gehe und Menschen<br />
sehe, die wirklich traurig und<br />
zerbrochen<br />
sind. Aber<br />
anstatt sie<br />
anzusprechen,<br />
ihnen<br />
© Timm Ziegenthaler<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 12<br />
Schwerpunkt<br />
ein Lächeln zu schenken oder vielleicht<br />
auch eine Tasse Kaffee und ein offenes<br />
Ohr, renne ich weiter, weil es irgendwas<br />
anderes gibt, was gerade wichtiger ist<br />
– meistens Dinge, wo sich Christen um<br />
Christen kümmern, um christliche Sachen<br />
für Christen zu organisieren und<br />
christliche Christen zu beglücken.<br />
In unserer Vision steht, dass wir glauben,<br />
„dass Jesus sich in besonderem<br />
Maße den Verstoßenen und Armen, die<br />
außerhalb der Wertenormen unserer<br />
Gesellschaft stehen, zugewandt hat“.<br />
In den ersten Jahren in Hamburg haben<br />
wir Brot an Obdachlose und Tee an die<br />
Prostituierten verteilt. Es war selbstverständlich,<br />
dass wir für diese Menschen<br />
da sind. Im Laufe der Zeit haben wir das<br />
dann aus den Augen verloren und angefangen,<br />
uns um „wichtigere“ Sachen<br />
zu kümmern. Mittlerweile frage<br />
ich mich: Gibt es überhaupt was<br />
Wichtigeres als die Menschen?<br />
In den letzten Monaten kam das<br />
Thema „Fair Trade“ in verschiedensten<br />
Blogs auf. Wie kann es sein, dass Kaffee<br />
zum Beispiel so günstig bei uns ist?<br />
Der Wert von Kaffee ist höher als das,<br />
was ich bei Aldi dafür bezahle. Mich<br />
hat die Vorstellung echt zum Nachdenken<br />
angeregt, dass irgend jemand anderes<br />
den Mehrwert für den Kaffee<br />
bezahlt – und das ziemlich sicher der<br />
Kaffeebauer diese Person sein wird.<br />
In gewisser Hinsicht bestehle ich den
Schwerpunkt<br />
Kaffeebauern, wenn ich nicht das für<br />
den Kaffee bezahle, was er nun mal<br />
wert ist.<br />
„Ich weiß, dass ist krasser Stoff,<br />
schlecht recherchiert und mal eben<br />
schnell in die Tasten gehauen… aber es<br />
ist doch wahr.“<br />
Wenn ich mich umschaue, ist diese<br />
Mentalität überall zu finden. Ich<br />
will alles so billig wie möglich haben<br />
– ohne mir bewusst zu sein, dass jemand<br />
anderes dann dafür aufkommen<br />
wird. Schlimmstenfalls arbeiten Kinder<br />
für meine Sachen, die mit ihrem Leben<br />
dafür bezahlen. Ich weiß, dass ist krasser<br />
Stoff, schlecht recherchiert und mal<br />
eben schnell in die Tasten gehauen …<br />
aber es ist doch wahr.<br />
Es ist an der Zeit, dass ich mich wieder<br />
auf das Wesentliche konzentriere:<br />
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben<br />
mit deinem ganzen Herzen und mit<br />
© Timm Ziegenthaler<br />
Der Kranke Bote<br />
deiner ganzen Seele und mit deinem<br />
ganzen Verstande [...] Du sollst deinen<br />
Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt.<br />
22, 37-39).<br />
Der Kaffeebauer ist auch mein Nächster,<br />
wie auch mein Gemeindeleiter oder<br />
der Ordner auf dem Freakstock am<br />
Parkplatz 2! GoD is in control and he<br />
never makes a mistake!<br />
Mirko für den Ä-kreis<br />
[m.s@jesusfreaks.de]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 13
Der Kranke Bote<br />
w<br />
Zu arm, um billig einzukaufen<br />
Jesus Freaks entdecken „Bio“ und den Fairen Handel<br />
Das Prinzip vom Fairen<br />
Handel am Beispiel Kaffee:<br />
Durch ungerechte<br />
Handelbedingungen ist<br />
der Preis den ein Kleinbauer<br />
für einen Sack Kaffee bekommt<br />
stets gesunken. Die Folge sind günstige<br />
Kaffeepreise für uns, aber Armut und<br />
schlechte Arbeitsbedingungen für die<br />
Produzenten. Kaffee mit dem TransFair-<br />
Prüfsiegel ist teurer, aber dafür werden<br />
dem Kaffeebauern Mindestpreise garantiert.<br />
Darüber hinaus zahlt der Importeur<br />
Aufschläge für die Umstellung<br />
auf Bio-Anbau und Projekte im Dorf,<br />
was schon passiert ist, kann man unter<br />
www.fair-feels-good.de sehen. Den<br />
fairen Handel gibt es schon seit den<br />
70ern in Deutschland, aber der jutetaschentragende<br />
Öko von damals ist heute<br />
nur noch ein Käufer unter vielen. So<br />
setzen sich auch einige Jesus Freaks für<br />
jesusmäßigeres Konsumverhalten ein.<br />
Wertvolle Lebensmittel<br />
„Wir sind keine militanten Bio-Einkäufer“,<br />
sagt Mario Lange, Hausmeister<br />
in der Heilsarmee-Jesus-Freaks-<br />
Gemeinde in Chemnitz. Er und seine<br />
Frau kaufen überwiegend biologisch<br />
angebaute Lebensmittel sowie Fair-Trade-Waren.<br />
Dabei legen sie Wert darauf,<br />
dass die Produkte möglichst aus der Region<br />
kommen und keine langen Transportwege<br />
hinter sich haben. Wie kommt<br />
Mario, zumal kein Großverdiener, dazu?<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 14<br />
Schwerpunkt<br />
„Da hat uns ein längerer Prozess hingeführt“,<br />
berichtet er. Über die zwei<br />
Kinder kam der Kontakt zu Müttern in<br />
der alternativen Szene. Sie klärten über<br />
die schockierenden Herstellungsmethoden<br />
„normaler“ Lebensmittel auf. Ein<br />
Greenpeace-Artikel gab erstmals Anlass<br />
zu gesundheitlichen Bedenken. In<br />
einem anderen Bericht las Mario, dass<br />
Verbraucher vor 30 Jahren noch 40 %<br />
ihres Einkommens für Lebensmittel aufbringen<br />
mussten, heute nur noch 12 %.<br />
Ein Seminar über Bonhoeffer machte<br />
auf fair gehandelten Kaffee aufmerksam<br />
und warf provokante Fragen auf:<br />
Ist es wirklich gut, alles so billig wie<br />
möglich zu kaufen? Wenn dann alles so<br />
billig wie möglich produziert wird, geht<br />
das doch auch auf Kosten des Verbrauchers?<br />
Sie entschieden, Lebensmittel<br />
bewusster einzukaufen und dafür auf<br />
anderes zu verzichten. Auch bei Kleidung<br />
legen sie Wert auf Herstellung<br />
unter fairen Bedingungen und Qualität:<br />
„So müssen wir uns nicht dauernd<br />
neue Sachen kaufen. Unser Grundsatz<br />
ist: Wir sind zu arm, um billig einzukaufen.“<br />
Rund 300 Euro im Monat geben<br />
Langes inzwischen für Lebensmittel<br />
aus, etwa doppelt soviel wie vorher.<br />
„Dafür haben wir allgemein unseren<br />
Konsum heruntergeschraubt“, erzählt<br />
Mario. Er glaubt, dass Gott die Familie<br />
über viele Schritte in diese Entwicklung<br />
hinein geführt hat: „Die Bibel sagt ja,<br />
dass wir uns nicht der Welt gleich stellen<br />
sollen.“
Schwerpunkt<br />
© Timm Ziegenthaler<br />
Fairer Kaffee nach Gottesdienst<br />
Naschen ohne schlechtes Gewissen<br />
kann man bei den Freaks in Stuttgart<br />
am Fair-Trade-Stand. Außerdem wird<br />
nach dem Gottesdienst Fair-Trade-<br />
Kaffee ausgeschenkt. Der Anstoß dazu<br />
kam von Ron und Carmen Meinert,<br />
regelmäßige Kunden im örtlichen Weltladen.<br />
„Wir haben gedacht, das wäre<br />
auch für die Freaks gut“, erzählt der<br />
Agrarstudent Ron. Vor zwei Jahren begannen<br />
sie auf eigene Rechnung, nach<br />
den Gottesdiensten Kaffee, Tee und<br />
Süßes aus fairem Handel anzubieten.<br />
„Skepsis gab es eigentlich nur bei den<br />
Leuten, die das aus der Kirche kannten.<br />
Für die hatte das so einen Alte-Oma-<br />
Touch.“ Die Bedenken sind wegen des<br />
anhaltenden Bio-Trends und dem modischerem<br />
Design verschwunden.<br />
Inzwischen hat die Freak-Gemeinde<br />
den Warenbestand übernommen. Natürlich<br />
gebe es auch Leute, denen die<br />
Fair-Trade-Sachen zu teuer sind. Dennoch<br />
greifen nicht nur Überzeugungstäter<br />
zum Fairetta-Schokoriegel. „Es gibt<br />
Der Kranke Bote<br />
auch Leute, die kein explizites Interesse<br />
an genauen Details haben, die einfach<br />
so kaufen, weil sie uns vertrauen dass<br />
sie ´ne gute Sache unterstützen,“ sagt<br />
Ron. Dafür checkt er selbst um so genauer,<br />
wo die Produkte herkommen<br />
und wohin der Preisaufschlag für Fair-<br />
Trade-Produkte am Ende landet.<br />
Wie die Langes konsumieren auch<br />
Meinerts nicht ausschließlich fair gehandelte<br />
Waren. „Denn es geht nicht<br />
um ein ganz oder gar nicht, auch in<br />
kleinen Schritten kann viel getan werden“,<br />
erklärt Ron. Deshalb schätzt er<br />
die Gespräche in der Verkaufsecke, um<br />
unkompliziert Wissen zu vermitteln.<br />
„Durch fairen Handel können Familien<br />
aus dem Teufelskreis der Armut herauskommen“.<br />
Was das alles mit Gott<br />
zu tun hat? „Wir haben das zwar vor<br />
allem angefangen, weil wir die Idee aus<br />
gesundem Menschenverstand heraus<br />
gut fanden, aber Gott hat bei dem allen<br />
mit reingespielt und meine Mentalität<br />
beeinflusst.“<br />
Weißliste Kleidung<br />
Auch im Internet engagieren sich<br />
Freaks für mehr Fairness beim Konsumieren:<br />
Seit etwa zwei Monaten ist<br />
der Blog http://weissliste.twoday.net<br />
online. Dort stellen Ulli Hippe und Tobias<br />
Jahn Kleidungsfirmen vor, die versuchen,<br />
sich bei der Produktion besser<br />
zu verhalten, als es in der Branche üblich<br />
ist. „Die Weißliste soll eine positive<br />
Seite ein und Alternativen bieten statt<br />
anzuklagen,“ erklärt Ulli.<br />
Frank [texte@jesusfreaks.de]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 15
Der Kranke Bote<br />
w<br />
„Inkorrekt Einkaufen ist Sünde!“<br />
Anregendes von der britischen Speak-Bewegung<br />
2<br />
,8 Milliarden Menschen leben von<br />
weniger als 2 $ pro Tag. Eine Kuh<br />
in der EU wird mit 2,20$ täglich subventioniert“<br />
stand auf einem Zettel.<br />
„Jede Minute stirbt eine Frau bei der<br />
Geburt eines Kindes“ auf einem anderen.<br />
Überall im Raum verteilt lagen<br />
schwarze Stoffe, alte Zeitungen und<br />
Zettel mit Informationen zu globalen<br />
Tragödien. Unsere Aufgabe war es, einen<br />
Zettel auszusuchen und aus Stoff<br />
und Zeitung eine bildliche Last zu basteln.<br />
Wir haben dann zu dem Thema gebetet<br />
und mit Gott über unsere eigene<br />
und die Schuld unserer Gesellschaft geredet.<br />
Schließlich haben wir die Last mit<br />
dem daran befestigten Zettel vor einem<br />
Kreuz abgelegt. Das war bei einer Konferenz<br />
genannt „Soundcheck“, die von<br />
einer Gruppe namens Speak am letzten<br />
© Tim Nafziger<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 16<br />
Schwerpunkt<br />
Februarwochenende in London veranstaltet<br />
wurde.<br />
Speak ist ein Netzwerk, dass junge<br />
Menschen zusammenbringt, um für<br />
eine gerechtere Welt durch Kampagnen<br />
und Gebet aktiv zu werden. Überzeugt<br />
davon, dass diese beiden Dinge, wenn<br />
sie gemeinsam eingesetzt werden, wirkliche<br />
Veränderung bewirken können.<br />
Das Speak-Netzwerk verknüpft lokale<br />
Gruppen und Einzelpersonen vorwiegend<br />
in Großbritannien, aber auch in<br />
Brasilien und einigen anderen Ländern.<br />
Die Bezeichnung ‚Speak‘ beruht auf<br />
der englischen Übersetzung von Sprüche<br />
31, 8+9: „Sprich für die, die nicht<br />
für sich selbst sprechen können, sprich<br />
für die Rechte aller die mittellos sind.<br />
Sprich und richte gerecht; verteidige die<br />
Rechte der Armen und Bedürftigen.“ <br />
In einer prophetischen Aktion, inspiriert durch Hesekiel 4, legten sich Speak-Mitglieder 722 Sekunden auf<br />
die Seite – die Zahl der Monate seit der Gründung der Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.
Schwerpunkt<br />
Kampagnen für gerechtere Welt<br />
Bei den Kampagnen von Speak sieht<br />
der Ablauf etwa so aus: Es wird ein Thema<br />
mit einem aktuellen gerechtigkeitspolitischen<br />
Zusammenhang gewählt.<br />
Es wird geschaut, wo man selbst daran<br />
schuld ist, dass die Situation ist, wie<br />
sie ist, man tut dafür Buße, tut dann<br />
Buße für die Kollektivschuld der eigenen<br />
Gesellschaft bzw. denjenigen, der<br />
an diesem Übel beteiligt ist und geht<br />
erst dann an die Öffentlichkeit, macht<br />
Aktionen usw.<br />
Der Ansatz ist zum einen, zuerst bei<br />
sich selbst zu schauen und Gott um<br />
Vergebung zu bitten, bevor man auf die<br />
Straße geht und möglicherweise andere<br />
kritisiert. Und zum anderen der Glaube,<br />
dass Aktion gekoppelt mit Gebet ein<br />
irres Potential für Veränderung bietet.<br />
Die Lasten, die wir in der anfangs<br />
beschriebenen Situation gebastelt hatten,<br />
wurden einen Tag später bei einem<br />
Aktionstag vor dem Parlament verwendet,<br />
um der Öffentlichkeit und den Politikern<br />
den Ernst der Lage vor Augen<br />
zu halten. Von den schweren Lasten<br />
buchstäblich zu Boden gedrückt, stellten<br />
über hundert Demonstranten bildlich<br />
da, wie es ganzen Ländern geht: Sie<br />
haben Lasten zu tragen, die so schwer<br />
sind, dass sie sich nicht auf den Beinen<br />
halten können.<br />
Theologischer Background<br />
Das Ziel ist für mehr Gerechtigkeit<br />
aktiv zu werden und dabei sowohl die<br />
in aktivistischen Kreisen üblichen Mittel,<br />
wie Kampagnen, Petitionen und<br />
Der Kranke Bote<br />
Demos, als auch die christlichen, vor<br />
allem Gebet und Buße anzuwenden<br />
und beide zusammenzubringen. Ebenso<br />
geht es darum, Menschen die auf die<br />
eine oder andere Art bereits aktiv sind,<br />
zusammenzuführen.<br />
Speak ist für jeden offen, die christliche<br />
Botschaft steht jedoch klar im<br />
Zentrum. Vor allem studentische<br />
Speak-Gruppen bestehen nicht nur aus<br />
Christen; sie sind an manchen Unis die<br />
Orte, wo sich die Aktivisten sammeln<br />
vergleichbar mit Amnesty International<br />
oder Oxfam.<br />
Der gedankliche Hintergrund ist die<br />
Frage nach dem Zusammenhang zwischen<br />
der biblischen Botschaft von der<br />
Nächstenliebe und der Tatsache, dass<br />
wir in einer Gesellschaft leben deren<br />
Philosophie es rechtfertigt, den eigenen<br />
Vorteil anzustreben, selbst wenn<br />
es auf Kosten anderer geht und um die<br />
Frage, warum so vielen Christen dieser<br />
Widerspruch gar nicht bewusst zu sein<br />
scheint.<br />
Vieles, was ich bei Speak gehört und<br />
in Flyern und thematischen Heften gelesen<br />
habe, erinnert an Jesus Freaks<br />
und vergleichbare Bewegungen, die die<br />
Kirche aus den Kirchgebäuden heraustragen<br />
wollen auf die Straße.<br />
Was mir jedoch vorher noch nicht<br />
so zu Ohren gekommen war, ist, dass<br />
das Einkaufen bei inkorrekt wirtschaftenden,<br />
ausbeutenden Firmen als Sünde<br />
bezeichnet wurde. Die Begründung<br />
ist, dass ich mich an dem Unrecht, was<br />
ausgeübt wird, beteilige. Genauso wenn<br />
ich etwas nicht tue, was ich machen<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 17
Der Kranke Bote<br />
könnte, um diesen Planeten zu einem<br />
gerechteren zu machen, dann wird das<br />
Sünde genannt.<br />
Neben dem Erreichen der Kampagnenziele<br />
geht es Speak darum, anderen<br />
Christen die Notwendigkeit dieser<br />
Thematik bewusst zu machen und sie<br />
zu überzeugen, zum Beispiel nach dem<br />
Gottesdienst fair gehandelten Kaffee<br />
anzubieten.<br />
Die Speak-Bewegung wird von stark<br />
visionären Leuten vorangetrieben, die<br />
nach ganz neuen Wegen suchen, um<br />
die christliche Botschaft in die Praxis<br />
umzusetzen, zum Beispiel durch Aktivismus,<br />
aber auch künstlerische Sachen,<br />
und deren Ideen mich immens<br />
voran treiben.<br />
Ich plädiere hier nicht für die Entstehung<br />
von Speak-Gruppen in<br />
Deutschland und dafür, dass wir jetzt<br />
hunderte von „Pray and Post“-Karten<br />
bestellen und an das englische<br />
Unterhaus schicken. Es geht mir darum,<br />
dass wir uns von den Ansätzen<br />
und ca. 12 Jahre langen Erfahrungen<br />
von Speak inspirieren lassen; schauen,<br />
was wir von Speak lernen können<br />
und wo Zusammenarbeit möglich ist.<br />
Weitere Infos unter www.speak.org.uk<br />
Ulrike Hippe<br />
[texte@jesusfreaks.de]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 18<br />
Ulli Hippe ist 23 Jahre alt, seit<br />
1999 bei den Jesus Freaks,<br />
für WWPS aktiv und ständig<br />
im Ausland unterwegs. Zur<br />
Zeit macht sie ein Praktikum<br />
bei einer Übersetzungsagentur<br />
in London.<br />
© www.speak.org.uk<br />
Pray and Post Cards<br />
Vierteljährlich erscheinende Falt-Postkarten,<br />
die über ein aktuelles Thema<br />
berichten. Neben Hintergrundinfos,<br />
Gebets- und Aktionsvorschlägen, gibt<br />
es eine abtrennbare Karte, die man<br />
unterschrieben an ein entsprechendes<br />
Ministerium oder einen Konzern schicken<br />
kann. Eine aktuelle Postkarte<br />
fordert die Schließung der britischen<br />
Regierungsabteilung DESO, die für den<br />
Waffenhandel zuständig ist und damit<br />
verantwortlich für die Unterstützung<br />
vieler Kriege weltweit.<br />
Soundcheck<br />
heißt das jährliches Treffen der Speak-<br />
Leute mit bis zu 300 Beteiligten. Ein<br />
Wochenende voller Workshops, Anbetungszeiten<br />
und kreativer Inputs plus<br />
ein Aktionstag vor dem Parlament.<br />
Big Dress<br />
Schwerpunkt<br />
ist nicht nur das größte Kleid der Welt<br />
(siehe Foto oben), sondern auch eine<br />
Art Zirkuszelt. Speak nutzt das Kleid,<br />
um Kampagnen für wirtschaftliche Gerechtigkeit<br />
durchzuführen.
Fontaktoskop<br />
w<br />
Radikaler, fremder Bonhoeffer<br />
Fontaktoskop 2000 plus<br />
Der wachsblonde Junge rannte zu<br />
seinem Geheimversteck, seine Schwester<br />
war ihm lachend auf den Fersen,<br />
aber sie kannte das Versteck ja schon<br />
lange. „Geh Papa holen, ich komme mit<br />
den Süßigkeiten nach“, rief er seiner<br />
Schwester atemlos zu. Sein Versteck<br />
war eine Fundgrube an Schätzen. Hier<br />
versteckte er seine Süßigkeiten, für die<br />
ganz besonderen Momente. Und so<br />
ein Moment war eben jetzt: Die Sonne<br />
schien, seine Freunde waren da und<br />
Papa hatte gerade keinen Patienten in<br />
seiner Sprechstunde. Das kam nicht oft<br />
vor, denn immerhin war er einer der bekanntesten<br />
Psychologen, nicht nur Berlins.<br />
„Papa, hierher, hierher! Wir haben<br />
ein Fest!“ rief er und freute sich darauf<br />
die mühsam abgesparten Süßigkeiten<br />
mit seinen Freunden zu teilen.<br />
Gute Zigaretten und Kirche<br />
Idyllisches Familienleben. Abgespielt<br />
haben könnte sich die Szene in<br />
Grunewald bei Berlin, irgendwann im<br />
Jahre 1913 in der Familie Bonhoeffer.<br />
Tatsächlich war vieles in dieser Familie<br />
nahezu ideal. Im Hause der Bonhoeffers<br />
ging die Elite Berlins der damaligen Zeit<br />
ein und aus. Es gab Hausmusikabende,<br />
bei denen die acht Kinder Stücke von<br />
Bach und Mozart spielten. Sie wurden<br />
zum Teil zu Hause geschult, mit dem<br />
Ergebnis, dass Dietrich Bonhoeffer die<br />
Schule sehr früh abschließen konnte<br />
und schon mit 19 Jahren an seiner Dok-<br />
Der Kranke Bote<br />
t o r a r b e i t<br />
schrieb, für<br />
die er dann<br />
mit der<br />
bestmöglichen Note – „summa cum<br />
laude“ – belohnt wurde. Dass er nebenbei<br />
weiter studierte, darf man gar nicht<br />
erwähnen. Seine Leidenschaft: gute<br />
Musik, gutes Essen, eine gute Zigarette.<br />
Und die Kirche.<br />
Welche genau? Die aus Fleisch und<br />
Blut, die zum Anfassen, die, von der du<br />
Teil bist, weil du in Jesus bist – und Jesus<br />
in dir. Die Kirche für die er leidenschaftlich<br />
kämpfte und warb. Die Kirche, die<br />
Jesus ist. Die Kirche, die für Jesus die<br />
bevorzugte Erscheinungsform zwischen<br />
Pfingsten und seinem Wiederkommen<br />
ist. Diese Kirche, die Menschen dieser<br />
Kirche, hat er geliebt. Und deswegen<br />
war es nur logisch von seinem ersten<br />
Gehalt eine alte Gartenlaube zu kaufen,<br />
in der er sich mit seinen Studenten und<br />
Konfirmanden treffen konnte. Theologie<br />
passiert nicht nur in der Uni oder im<br />
Pfarrhaus, sondern draußen, wo man<br />
Zeit hat zum Reden und Abhängen.<br />
Nachfolge – bis in den Tod<br />
Dieses Jahr wurde sein 100.Geburtstag<br />
gefeiert. Letztes Jahr sein 60. Todestag.<br />
Er wurde im Februar 1945 im KZ<br />
Flossenbürg ermordete. Wenige Tage<br />
vor der Befreiung. Aber wahrscheinlich<br />
wäre er ohne sein Martyrium nicht der<br />
Bonhoeffer, den wir heute kennen. Oft<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 19
Der Kranke Bote<br />
© Quelle: gtvh.de<br />
ist es der Widerstandskämpfer, dem<br />
man begegnet. Doch ohne den Theologen<br />
Bonhoeffer, ohne den Jesus Nachfolger,<br />
hätte es den Kämpfer so nicht<br />
gegeben. Sein Widerstand gegen die<br />
Nazis kam weniger aus dem Erkennen<br />
der Abgründe Hitlers, sondern aus dem<br />
Erkennen der Tiefe Gottes und dessen<br />
Idee von Kirche: „Christus als Gemeinde<br />
existierend“. Diesem Jesus folgte er<br />
nach – bis in den Tod. Das war teure<br />
Gnade, so wie er es in seinem Werk<br />
Nachfolge beschrieben hat:<br />
„Aus der Rechtfertigung des Sünders<br />
in der Welt wurde die Rechtfertigung<br />
der Sünde und der Welt. Aus der teuren<br />
Gnade wurde die billige Gnade ohne<br />
Nachfolge. […] Es ist dasselbe Wort von<br />
der Rechtfertigung aus Gnaden allein;<br />
und doch führt der falsche Gebrauch<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 20<br />
Fontaktoskop<br />
desselben Satzes zur vollkommenen<br />
Zerstörung seines Wesens. Wenn Faust<br />
am Ende seines Lebens sagt: ‚Ich sehe,<br />
dass wir nichts wissen können‘, so ist<br />
das Resultat etwas durchaus anderes,<br />
als wenn dieser Satz von einem Studenten<br />
des ersten Semesters übernommen<br />
wird, um damit seine Faulheit zu<br />
rechtfertigen. Als Resultat ist der Satz<br />
wahr, als Voraussetzung ist er Selbstbetrug.<br />
Das bedeutet, dass eine Erkenntnis<br />
nicht getrennt werden kann von der<br />
Existenz, in der sie gewonnen worden<br />
ist. Nur wer in der Nachfolge Jesu im<br />
Verzicht auf alles, was er hatte, steht,<br />
darf sagen, dass er allein aus Gnaden<br />
gerecht werde. Er erkennt den Ruf in<br />
die Nachfolge selbst als Gnade und die<br />
Gnade als diesen Ruf. Wer sich aber mit<br />
dieser Gnade von der Nachfolge dispensieren<br />
will, betrügt sich selbst.“<br />
Als Hitler 1933 zum Reichskanzler<br />
gewählt wurde, war ein Großteil der<br />
Theologen schon seit Jahren Mitglied<br />
der NSDAP. Hitler wäre ohne die Unterstützung<br />
der Kirche nicht so weit<br />
gekommen. Zwei Tage nach der Wahl<br />
hält Bonhoeffer im Radio einen Vortrag:<br />
„Der Mensch und insbesondere der Jugendliche<br />
wird solange das Bedürfnis<br />
haben, einem Führer Autorität über sich<br />
zu geben, als er sich selbst nicht reif,<br />
stark, verantwortlich genug fühlt, den<br />
in diese Autorität verlegten Anspruch<br />
selbst zu verwirklichen. Der Führer wird<br />
sich dieser klaren Begrenzung seiner<br />
Autorität verantwortlich bewusst sein<br />
müssen. Versteht er seine Funktion anders,<br />
dann gleitet das Bild des Führers<br />
über in das des Verführers.“
Fontaktoskop<br />
Sorgt für Gerechtigkeit!<br />
Bonhoeffer ein Prophet? Vielleicht<br />
nicht in unserem gewohnte Sinne, aber<br />
ganz sicher im Sinne der alttestamentlichen<br />
Propheten: Erkenntnis Gottes<br />
kommt aus seinem Wort. Ihr habt die<br />
Wahl zwischen Segen und Fluch. Sorgt<br />
für Gerechtigkeit! Es gibt nur eine Welt,<br />
und die gehört Jesus: „Alles wäre verdorben,<br />
wollte man Christus nur für die<br />
Kirche aufbewahren […] Christus ist für<br />
die Welt gestorben und nur mitten in<br />
der Welt ist Christus. Seit Gott in Christus<br />
Fleisch wurde und in die Welt einging,<br />
ist es uns verboten, zwei Räume,<br />
zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es<br />
gibt nur diese eine Welt.“ (Fragmente<br />
zur Ethik)<br />
Bonhoeffer heute?<br />
Bonhoeffer war Zeit seines Lebens in<br />
seiner Kirche isoliert. „Ja logisch, war‘n<br />
ja alles Nazis!“ Nein, er war auch in der<br />
Bekennenden Kirche isoliert. Zu radikal,<br />
zu fremd waren seine Gedanken. Oder<br />
war er nur zu nahe an der Wahrheit?<br />
Und heute? Man hat den jungen Bonhoeffer<br />
immer gegen den späteren ausspielen<br />
wollen. Der junge Bonhoeffer,<br />
der von radikaler Nachfolge spricht, der<br />
mit seinen Studenten in einem Quasi-<br />
Kloster lebt, der das „Gemeinsame Leben“<br />
proklamiert, passt scheinbar nicht<br />
zu dem späteren Bonhoeffer, der von<br />
einem diesseitigen Glauben redet, von<br />
einem „nichtreligiösen“ Leben mit Jesus<br />
ganz in dieser Welt, der behauptet:<br />
„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere<br />
da ist.“<br />
Der Kranke Bote<br />
Doch dabei übersieht man, dass Bonhoeffer<br />
mit seinem Leben eine wichtige<br />
Lektion gelernt hat: Hingabe an Jesus<br />
ist Hingabe an diese Welt, weil Gott sich<br />
dieser Welt hingegeben hat. Und auch<br />
andersherum: Wer diese Welt für Jesus<br />
erreichen will, kommt nicht umhin, zuerst<br />
Jesus erreichen zu wollen. Und so<br />
passen zwei seiner markantesten Aussagen<br />
aus zwei völlig verschiedenen<br />
Lebensphasen sehr wohl zusammen:<br />
„Die Restauration der Kirche kommt<br />
gewiss aus einer Art neuen Mönchtums,<br />
das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit<br />
eines Lebens nach der Bergpredigt<br />
in der Nachfolge Christi gemeinsam<br />
hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür<br />
die Menschen zu sammeln. […] Es gibt<br />
doch nun einmal Dinge, für die es sich<br />
lohnt, kompromisslos einzutreten. Und<br />
mir scheint der Friede und die soziale<br />
Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus,<br />
sei so etwas.“ (1935)<br />
„Christsein wird heute nur in zweierlei<br />
bestehen: Im Beten und im Tun des<br />
Gerechten unter den Menschen. Alles<br />
Denken, Reden und Organisieren in den<br />
Dingen des Christentums muss neu geboren<br />
werden, aus diesem Beten und<br />
diesem Tun.“ (1944)<br />
Wenn er diese Sachen nicht gesagt<br />
hätte, dann hätten wir sie erfinden müssen.<br />
Denn eigentlich ist das die Grundsatzerklärung,<br />
die jede Freak-Gemeinde<br />
irgendwo geschrieben haben könnte.<br />
Kirche ist simpel: Wir müssen zu Jesus.<br />
Und Jesus zu den Leuten.<br />
Markus Lägel<br />
[markus.laegel@24-7prayer.com]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 21
Der Kranke Bote<br />
w<br />
Die Mauern stürzten ein<br />
Enthüllungen über Steinewerfer, Christen und Kapitalismus<br />
Gorleben. Beim letzten Castortransport<br />
kam es in der örtlichen Gefangenensammelstelle<br />
zu einem merkwürdigen<br />
Ausbruch zweier weiblicher<br />
Gefangener. Die wegen mehrfachen<br />
Landfriedensbruches festgenommene<br />
Blacky Blocksberg und die wegen ihrer<br />
bunten Dreads versehentlich mit einkassierte<br />
Jesus Freakin Gloria Solideo<br />
führten jedoch vor ihrem Ausbruch ein<br />
interessantes Gespräch. Exklusiv für<br />
den <strong>Kranken</strong> <strong>Boten</strong> ein Mitschnitt des<br />
Zellenabhörgerätes.<br />
© www.photocase.com<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 22<br />
Schwerpunkt<br />
Gloria: …nur weil ihr Chaoten mal<br />
wieder Steine schmeißen müsst, sitze<br />
ich hier mit in der Patsche! Dabei wollt<br />
ich doch nur Flyer für den nächsten Jesus-Freak-Abhängabend<br />
verteilen... Ich<br />
habe doch mit Politik gar nichts am<br />
Hut!<br />
Blacky: Jesus Freaks kenne ich. Na ja,<br />
was beschwerst du dich denn, steinigen<br />
ist doch biblisch, oder?<br />
Gloria: Du findest das vielleicht witzig.<br />
Biblisch ist doch garantiert nicht, was<br />
ihr hier macht – denn in Römer 13 steht<br />
geschrieben...<br />
Blacky: Ja ja, kenne ich.<br />
„Jedermann sei Untertan<br />
der Obrigkeit.“ Du wirst<br />
es kaum glauben, ich bin<br />
Christin. Nebenbei bemerkt,<br />
ich habe gar keine Steine<br />
geschmissen, sondern (flüstert<br />
Gloria ins Ohr) Tomaten.<br />
Weiche Tomaten!<br />
Gloria: Was? Also das…<br />
nein. Also, äh… findest du<br />
nicht, dass du falsche Prioritäten<br />
setzt? Wir sollen den<br />
Leuten, also auch den Polizisten,<br />
doch Jesus bringen<br />
und keine faulen Tomaten.<br />
Blacky: Was ist denn, wenn<br />
ein System uns daran hindert,<br />
so zu leben, wie Jesus<br />
es will? Dann können wir,<br />
wenn wir für Jesus kämpfen,
Schwerpunkt<br />
gegen diese gesellschaftliche Sünde<br />
nicht schweigen.<br />
Gloria: Das mag vielleicht bei Christenverfolgung<br />
zutreffen, dann müssen<br />
wir Gott mehr gehorchen als den Menschen<br />
(Apg 4, 29). Aber doch nicht bei<br />
uns! Da gilt „dem Staat unterordnen“.<br />
Blacky: Wo steht denn, dass ich das<br />
System nicht hinterfragen darf? Es gibt<br />
Bibelstellen, die zeigen, dass Staatsgewalt<br />
zwar von Gott akzeptiert, aber<br />
deshalb noch lange nicht gut ist. Zum<br />
Beispiel damals, als das Volk Israel<br />
´nen König wollte. Schließlich<br />
wird Staatsgewalt<br />
von Menschen gemacht.<br />
Der Mensch ist ein Ego-<br />
Schwein. Und Jesus sagt,<br />
auf einem faulen Baum<br />
können keine guten Früchte wachsen.<br />
Und unser heutiges System ist auch so<br />
´ne faule Frucht.<br />
Gloria: Das verstehe ich nicht ganz. In<br />
unserer sozialen Marktwirtschaft wird<br />
ja versucht, den menschlichen Egoismus<br />
in gesunde Bahnen zu lenken – zum<br />
Fortschritt und zum Wohle aller.<br />
Blacky: …und die Erde ist eine Scheibe!<br />
Schau dir doch die Praxis an! Wozu<br />
führt es denn, wenn ein System den<br />
Egoismus zum Motor macht? „Nehmen<br />
ist seliger als Geben“ ist die Devise. Jeder<br />
muss sich im Kampf aller gegen alle<br />
durchsetzen, sonst verliert man. Und es<br />
gibt heutzutage weitaus mehr Verlierer<br />
als Gewinner. Das hat zur Folge, dass<br />
die Welt nun vor Ungerechtigkeit nur so<br />
strotzt. So. Und nun versuch mal, wirk-<br />
„In der Bibel finde<br />
ich aber keine<br />
Aufforderung zur<br />
Revolution.“<br />
Der Kranke Bote<br />
lich 100%ig nach Gottes Vorgaben zu<br />
leben: „Wenn jemand hungrig ist, dann<br />
gib ihm zu essen.“ – Alle 4 Sekunden<br />
verhungert ein Mensch. Gott hasst es,<br />
wenn Menschen ausgebeutet werden<br />
(Amos 5, 11.12). Und niemand kann<br />
zwei Herren gleichzeitig dienen, Gott<br />
und dem Mammon (Mt 6, 24).<br />
Gloria: Das kann ich doch alles machen.<br />
Ich gebe Bedürftigen, ich spende,<br />
ich bete für die Dritte Welt, ich mache<br />
Sozialarbeit und versuche mein Herz<br />
nicht ans Geld zu hängen.<br />
Blacky: Das ist schön. Aber<br />
die Ungerechtigkeit dieses<br />
Systems hat bereits alle Lebensbereiche<br />
durchzogen.<br />
Im Kapitalismus ist Christsein<br />
natürlich möglich und<br />
geduldet, aber nur, soweit man das<br />
System nicht „stört“. Es ist nicht möglich,<br />
aus diesem ungleichen Wettkampf<br />
einfach auszusteigen. Dieses teuflische<br />
System gehört abgeschafft!<br />
Gloria: Willst du etwa den Sozialismus<br />
der Ostblockländer wiederhaben?<br />
Blacky: Nein. Das ist eine andere Seite<br />
von demselben Haufen Mist. Genau wie<br />
im Kapitalismus kam im so genannten<br />
Realsozialismus der erwirtschaftete<br />
Gewinn nicht allen, sondern einer<br />
kleinen Elite zu Gute. Man nennt das<br />
Staatskapitalismus. Der gehört ebenso<br />
abgeschafft.<br />
Gloria: In der Bibel finde ich aber keine<br />
Aufforderung zur Revolution.<br />
Blacky: Aber die Aufforderung, Salz<br />
und Licht der Welt zu sein und Gottes<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 23
Der Kranke Bote<br />
Reich zu bauen. Endet Gottes Reich an<br />
den Kirchentüren? Bezieht sich „Salz<br />
und Licht“ nur auf das ‚Seelenheil’?<br />
Sollen wir nicht die Institutionen und<br />
Systeme der Welt an Gottes Maßstäben<br />
messen? Ich sage immer: Neben der<br />
Zeitung die Bibel liegen haben…<br />
Gloria: Da hast du recht. Ich trete auch<br />
gegen Abtreibung ein und bin schon<br />
mal gegen die Ehe von Homosexuellen<br />
auf die Straße gegangen.<br />
Blacky: Warum gehst du dann nicht<br />
auch gegen soziale Ungerechtigkeit<br />
auf die Straße? In der<br />
Bibel finde ich ein paar<br />
Stellen gegen Homosexualität,<br />
aber viel mehr<br />
Stellen, die sich für die<br />
Rechte der Armen, Witwen,<br />
Waisen und gegen Ausbeutung<br />
einsetzen. Warum lesen wir Christen die<br />
Bibel immer nur unter dem Aspekt der<br />
individuellen Sünde und sehen nie die<br />
Sünde, die im richtig großen Maßstab<br />
geschieht? Die Anbetung des Götzen<br />
Mammon, die Ausbeutung ganzer Kontinente,<br />
die Zerstörung der Schöpfung<br />
und so weiter? Wir fischen Fliegen aus<br />
dem Becher, aber verschlucken Kamele<br />
(Mt 23, 24).<br />
Gloria: Bist du sicher, dass du da die<br />
Bibel nicht missbrauchst – zur Rechtfertigung<br />
der linken Ideologie?<br />
Blacky: Ich weiß, dass alle Christen<br />
die Bibel mit einer gesellschaftlich vorgeprägten<br />
Brille lesen, auch ich. Es ist<br />
teilweise total schwer zu prüfen, was<br />
wirklich von Gott ist und was von mir.<br />
Das wird umso schwerer, je mehr allein<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 24<br />
„Warum sehen<br />
Christen nie die<br />
Sünde, die im großen<br />
Maßstab geschieht?“<br />
Schwerpunkt<br />
man steht und sich nicht auf liebevolle<br />
und konstruktive Weise mit Schwestern<br />
und Brüdern austauschen kann. Zum<br />
Glück haben wir den Heiligen Geist als<br />
Korrektur…<br />
Gloria: Schon die Geschichte lehrt uns,<br />
dass man die Bibel für fast jedes politische<br />
Programm und jede Ideologie<br />
missbrauchen kann…<br />
Blacky: Der „rote Faden“ der Bibel ist<br />
doch die Liebe. Wenn wir bereit sind,<br />
ehrlich zu uns selbst zu sein, dann merken<br />
wir, dass weder Ablasshandel noch<br />
Euthanasie und Antisemitismus,<br />
noch ein<br />
Wirtschaftssystem, dass<br />
Konkurrenz und Egoismus<br />
zum Gesetz macht<br />
zusammenpasst mit der<br />
Liebe, die alles glaubt, alles hofft, alles<br />
gibt, die nicht ihren eigenen Vorteil<br />
sucht (1. Kor 13).<br />
Gloria: Gewaltanwendung passt erst<br />
recht nicht mit dieser Liebe zusammen.<br />
Wie stehst du dazu?<br />
Blacky: Ich frage immer Jesus. Des<br />
weiteren lehrt uns die Bibel Gewaltlosigkeit<br />
als Wert. Die Entscheidung im<br />
Einzelfall ist immer eine Gratwanderung<br />
zwischen verschiedenen Übeln:<br />
unterlassenes Handeln kontra falsches<br />
Handeln.<br />
Gloria: Bist du der Meinung, dass alle<br />
Christen linksradikal sein müssen?<br />
Blacky: Ich bin keine Freundin solcher<br />
Kategorien, finde aber auch, dass Jesus<br />
Freaks sich nicht als „gesellschaftliche<br />
Mitte jenseits von links und rechts“ po-<br />
sitionieren können. Wenn „Mitte“ den
Schwerpunkt<br />
gesellschaftlichen Mainstream meint,<br />
dann passt das absolut nicht zu Jesus.<br />
Gloria: Jesus war bestimmt nicht links,<br />
sondern hing genauso mit den Bonzen<br />
und Zöllnern rum.<br />
Blacky: Klar, ich will ja auch nicht einzelne<br />
Menschen verurteilen. Aber Liebe<br />
bedeutet nicht, zu allem ja und amen<br />
zu sagen, sondern auch Grenzen zu zeigen.<br />
Jesus selbst war parteiisch. Er war<br />
gegen Ungerechtigkeit und stellte sich<br />
auf die Seite derer, denen Ungerechtigkeit<br />
widerfahren ist, die „Verarschten<br />
und Ausgestoßenen“. Es geht nicht darum,<br />
sich in irgendeine politische Schublade<br />
einzuordnen, sondern wir müssen<br />
uns von Gott in unserem kleinkarierten<br />
Denken stören lassen.<br />
Gloria: Oh Mann, das ist echt viel<br />
abstrakte Theorie. Und es klingt so, als<br />
müsste man einfach ständig alles hinterfragen.<br />
Lass uns den ganzen Scheiß<br />
Der Kranke Bote<br />
doch vor Gott bringen und ihn loben,<br />
auch wenn wir im Knast sitzen.<br />
Blacky: Hm… stimmt. Vor lauter Nachdenken<br />
und Fragen, und auch vor Verbitterung<br />
vergesse ich manchmal volle<br />
Kanne die Beziehung mit Jesus zu leben<br />
und mich einfach zu freuen.<br />
(Blacky fängt an, zu singen: „Gott ist<br />
gegenwärtig“ Gloria stimmt mit ein.)<br />
Auf einmal: Knirsch, brösel, rumpel,<br />
schepper… klick, und die Tür ist offen…<br />
Gloria und Blacky gehen vorsichtig<br />
zur Tür raus, ein gleißendes Licht<br />
weist ihnen den Weg nach draußen.<br />
Wachtmeister Ver-Hoeeren liegt zusammen<br />
mit seinem Kollegen Knüppelfrey<br />
zappelnd und zuckend am Boden und<br />
sabbelt nur noch „Schackalackalackaschacka…“.<br />
Wurden die beiden Mädels<br />
entrückt? Nein, aber in Zukunft vom<br />
Verfassungsschutz beobachtet…<br />
Michael Jahme, JF Chemnitz und<br />
Anne Rauhut, Lüneburg<br />
www.schraubereien.de<br />
© www.photocase.com<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 25
Der Kranke Bote<br />
nachgedacht: Weniger ist mehr<br />
Fairer Handel und das Verzichten-Können<br />
Manche Menschen sind einfach<br />
maßlos. Sie können nicht genug<br />
bekommen, ihr Gott ist der Bauch (Phil<br />
3, 19). Wenn wir ehrlich sind, geht es<br />
nicht nur manchen Menschen so. Wir<br />
könnten so ziemlich alle gemeint sein.<br />
Fast jeder geht mit einer Menge Ballast<br />
durchs Leben und häuft immer mehr<br />
und mehr an.<br />
Leider stoppen an dieser Stelle einige<br />
christliche Denker und kommen zu<br />
einem Ideal der Armut. Askese wird zur<br />
Tugend des Monats ernannt und Besitz<br />
generell kritisch gesehen. Dabei ist es<br />
nicht der Besitz oder der Wohlstand, der<br />
schwierig ist. Der Bauch wird dann zum<br />
Gott, wenn der Gedanke greift, dass ein<br />
bisschen mehr glücklich machen könnte.<br />
Manche Menschen können nicht genug<br />
bekommen, weil sie denken, dass noch<br />
etwas zum Glück fehlt. Sie gleichen den<br />
Romantikern, die immerzu nach der<br />
blauen Blume suchen, die sie nie finden<br />
können.<br />
Viele von uns leben wie die Esel, denen<br />
man eine Möhre kurz vor die Nase<br />
hält, damit sie weitergehen. Sie haben<br />
das Glück vor Augen, können es aber<br />
nie erreichen. Der Teufel zeigt ihnen<br />
ständig neue Dinge, nach denen es sie<br />
verlangt. Sie leben ständig in der Lüge,<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 26<br />
nachgedacht<br />
dass ihnen noch etwas fehlt. An diesem<br />
Punkt scheint mir die ganze Diskussion<br />
um Fair Trade, ökologischen Anbau usw.<br />
etwas zu kurz zu greifen. Das sind alles<br />
gute Konzepte, aber es wird den Menschen<br />
nicht ändern. Das Grundproblem<br />
liegt nicht in unserem Handeln, sondern<br />
in unserem Gott. Die Welt wird erst dann<br />
ein lebenswerterer Ort, wenn die Menschen<br />
lernen, bewusst zu konsumieren<br />
und auf manches einfach zu verzichten.<br />
So lange unser Gott der Bauch ist, wird<br />
es uns sehr schwer fallen, von unserer<br />
Selbstsucht wegzusehen.<br />
Das eine soll man tun, das andere<br />
nicht lassen. Soziale Gerechtigkeit ist<br />
wichtig, aber um sie zu erreichen, ist es<br />
nötig, dass die Menschen einem Gott<br />
folgen, der sie von sich selbst und ihrer<br />
ständigen Sucht nach mehr befreit. Erst<br />
wenn wir lernen, uns selbst zu verleugnen,<br />
unser Kreuz auf uns zu nehmen<br />
und Jesus so nachzufolgen wie die Bibel<br />
es sagt, werden wir die innere Unabhängigkeit<br />
haben, bewusst zu leben<br />
und bewusst auf manches zu verzichten.<br />
Je mehr ich darüber nachdenke, um<br />
so mehr scheint es mir das Kriterium<br />
der Jüngerschaft zu sein, von sich selbst<br />
weg auf andere und Gott zu sehen.<br />
Storch [storch@jesusfreaks.de]<br />
© Timm Ziegenthaler
Interview<br />
Musikant ohne Illusionen<br />
Ein Plattenkonzern entdeckt Daniel Benjamin – egal!<br />
Daniel Benjamin Schweiker hat<br />
zwei Drittel seines Namens in eine<br />
Band umbenannt. Wenn er nicht gerade<br />
mit einer seiner beiden Bands auf<br />
Tour ist, lebt, leidet und leuchtet er im<br />
Schwabenländle.<br />
Hab aufm Freakstock gehört, dass<br />
du den John-Lennon-Songwriter-<br />
Preis gekriegt hast. Stimmt das?<br />
Und was bedeutet das?<br />
Klar stimmt das. Was das bedeutet?<br />
Der Preis beinhaltet 500 000 Euro, das<br />
ist ja gar nicht schlecht, oder? Ansonsten<br />
noch ein bisschen Publicity, vor<br />
allem in den USA hats gewirkt, da habe<br />
ich schon ca. 150 000 Platten verkauft<br />
© Peter Fast<br />
Der Kranke Bote<br />
und das nur über Internet-Mailorder.<br />
Das coolste an der ganzen Sache ist<br />
natürlich, dass die Deutschen mal wieder<br />
überhaupt nichts davon mitgekriegt<br />
haben.<br />
Hör ich da Zynismus? Auch auf deiner<br />
My-Space-Webseite wirkst du<br />
ungeduldig, genervt oder planlos.<br />
Sollte alles schneller gehen?<br />
Nein, wenn ich zynisch bin hat das<br />
mit Lebensfreude zu tun. Ich bin schon<br />
seit ein paar Jahren von der Illusion<br />
weggekommen, dass man als Musikant<br />
warten muss, bis irgendwas Großartiges<br />
passiert. Wenn man nicht durch das,<br />
was man selbst machen kann, von der<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 27
Der Kranke Bote<br />
Musik leben kann, dann kann man es<br />
auch nicht mit einer großen Plattenfirma<br />
im Rücken. Das mit dem Preis finde<br />
ich witzig, weil ich außer dem Namen<br />
– Ich glaub, John Lennon ist der Gitarrist<br />
von U2, oder? – noch nie was von<br />
diesem Wettbewerb gehört habe. Das<br />
ist nicht mal ein Gerücht, das auf einer<br />
Halbwahrheit basiert, wie, dass ich mich<br />
da beworben hätte oder so, sondern,<br />
dass das komplett erfunden ist. Wie<br />
gesagt, das amüsiert mich sehr. Genau<br />
wie damals als jemand meinte ich hätte<br />
einen Plattendeal mit Sony, dabei habe<br />
ich bis heute noch nie jemand von Sony<br />
kennengelernt.<br />
Ihr habt euch gerade mit Universal<br />
Music in Berlin getroffen. Was<br />
geht da?<br />
Die wollen uns in den Verlag rein<br />
nehmen und das geht von uns aus auch<br />
klar, wenn der Vorschuss stimmt. Universal<br />
wollte als Label auch Jumbo Jet<br />
haben, aber da haben wir gleich gesagt<br />
„kein Bock“, weil die nur auf Deutschland<br />
begrenzt sind.<br />
Wie ist dein Doppelleben mit<br />
Jumbo Jet? Schon schizo?<br />
He he, ich finde, dass sich das gegenseitig<br />
ergänzt, weil, obwohl wir uns ja<br />
eigentlich mit beiden Bands auf keine<br />
Musikrichtung festgefahren haben,<br />
alles ja sehr unterschiedlich ist. Da ist<br />
nicht eins wichtiger als das andere. Es<br />
kann natürlich sein, dass man mal eine<br />
Weile eins mehr betont als das andere.<br />
Kein Problem!<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 28<br />
Interview<br />
Was erwartest du vom Publikum,<br />
was erwarten es von dir? Bist du<br />
ein Entertainer?<br />
Ich denke das eine hängt vom anderen<br />
ab. Für mich sind gute Konzerte in<br />
erster Linie die, wo man merkt, dass<br />
die Leute zuhören. Die Leute hören<br />
aber nur zu, wenn sie was erwarten,<br />
dem sie sich 100%ig widmen können.<br />
Da schließt sich der Kreis wieder. Wenn<br />
Leute zu einem Konzert gehen, um Leute<br />
zu treffen, die sie lange nicht gesehen<br />
haben, dann ergibt sich bei Daniel-Benjamin-Konzerten<br />
die Möglichkeit,<br />
sich zu unterhalten, weil wir meist sehr<br />
leise spielen. Und das wiederum macht<br />
mich nicht mehr zum Entertainer, sondern<br />
nur zum Bild an der Wand oder zur<br />
Hintergrundmusik, was ja auch nicht<br />
unbedingt schlecht ist.<br />
Von allen Filmen, die du kennst,<br />
welcher könnte einen Daniel-<br />
Benjamin-Soundtrack haben?<br />
Ich denke „The Straight Story“, dann<br />
auf alle Fälle „Die Tiefseetaucher“ oder<br />
„Royal Tenenbaums“, wobei ich „Rushmore“<br />
von Wes Anderson besser finde.<br />
Aber das ist so college-rock-spezifisch,<br />
da kann ich nicht mithalten.<br />
Was steht an für Daniel Benjamin<br />
im Jahre 20<strong>06</strong>?<br />
Erst mal kommt das Album im Mai<br />
in die Läden und dann wird ordentlich<br />
getourt. Wer Tourdaten wissen will, am<br />
besten den Newsletter bei mir abonnieren:<br />
[danielbenjamin@t-online.de].<br />
Daniel Benjamin im Netz: www.myspace.com/danielbenjamin<br />
Interview: Freddi [fredgralle@gmx.de]
Konsumberatung<br />
No direction home – Bob Dylan<br />
Abseits vom Hollywoodkino<br />
versucht Martin<br />
Scorsese auf zwei DVDs mit<br />
Archivmaterial, Konzertmitschnitten<br />
und Interviews die<br />
Legendenbildung um Bob<br />
Dylan, den unnahbar wirkenden<br />
Wunderknaben der Folkmusik<br />
zu dokumentieren.<br />
In der frühen Bürgerrechtsbewegung<br />
taucht der 20jährige<br />
Dylan plötzlich auf<br />
– und verblüfft. Die Beat-Generation<br />
findet ein musikalisches Sprachrohr, die<br />
schwarzen Aktivisten sind beeindruckt<br />
von der Solidarität dieses weißen Gitarrenspielers,<br />
der seinen Protest so<br />
furchtlos runternuschelt. Alle sind sofort<br />
begeistert, erheben ihn ungefragt<br />
zum Popidol. Johnny Cash schenkt ihm<br />
backstage seine Gitarre. Ungeduldige<br />
Reporter fordern neue schroffe Weisheiten.<br />
Der frühere Außenseiter singt<br />
Rätselauflösung<br />
aus dem letzten Heft<br />
Der Kranke Bote<br />
„My name it is nothing, my<br />
age it means less“, aber<br />
Fans laufen ihm hinterher<br />
und bitten: Darf ich deine<br />
linken Fingerspitzen berühren?<br />
Dylan reagiert ratlos,<br />
mysteriös, arrogant.<br />
Dann kommt der Bruch:<br />
1965 greift Dylan zur elektrischen<br />
Gitarre und begeht<br />
damit für viele Fans Verrat am<br />
Country. Zornig und unsicher<br />
schwankt sein Publikum nun zwischen<br />
Buhen und Mitsingen. Wer ist jetzt arrogant?<br />
Dylans Ewigkeitswert drückt sich<br />
für mich am Besten im künstlerischen<br />
Qualitätsempfinden der Zeit aus: „Hey,<br />
gestern Abend hat Soundso gespielt.“<br />
Geantwortet wird nicht „Und war er<br />
gut?“, sondern „Und? Hatte er was zu<br />
sagen?“<br />
Freddi [fredgralle@gmx.de]<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 29
Der Kranke Bote<br />
Bevor die Funken fliegen<br />
Durch Kommunikation Konflikte vermeiden<br />
Wie schnell passiert es, dass plötzlich<br />
ein kleiner Zigarettenstummel<br />
ganze Wälder zerstören kann; gerade<br />
in Dürreperioden. Genauso kann<br />
ein kleines Missverständnis ganze Gemeinden<br />
spalten oder zumindest einen<br />
Flächenbrand auslösen. Darum möchte<br />
ich im folgenden Text auf Brandschutzmaßnahmen<br />
eingehen, damits erst gar<br />
nicht so weit kommt.<br />
Stichwort Zündstoffe<br />
Kommunikation ist sehr facettenreich<br />
und komplex. Zum Kommunikationsprozess<br />
gehören ein Sender, eine Nachricht<br />
und ein Empfänger. Das ergibt drei<br />
Ursachen für Kommunikationsbarrieren.<br />
1. Der Sender: Was will ich eigentlich<br />
sagen? Wie klar gebe ich Nachrichten<br />
an andere weiter? Mit welcher Motivation<br />
tue ich das? Das heißt, wie stehe<br />
ich meinem Empfänger oder einer Sache<br />
gegenüber und wie bin ich selbst<br />
gestrickt? Also: Check deine Motivation,<br />
mit der du deine Standpunkte vor<br />
anderen vertrittst.<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 30<br />
© www.photocase.com<br />
Brandschutz<br />
2. Die Nachricht: Nach von Thun gibt<br />
es vier Ebenen:<br />
A) Sachebene: Das sind alle mögliche<br />
Fakten und Sachverhalte. Dabei sind<br />
der Wahrheitsgehalt, die Relevanz, die<br />
Struktur von Fakten, die Vollständigkeit<br />
und Eindeutigkeit von Belang.<br />
B) Selbstkundgabe: Die Art und Weise,<br />
wie ich über Sachen informiere,<br />
kann auch etwas über mich verraten.<br />
Wichtig sind hier klare Ich-Botschaften,<br />
auch wenn es die Einstellung anderen<br />
gegenüber betrifft.<br />
C) Beziehungsebene: Jede Botschaft<br />
sagt auch etwas über die Beziehung<br />
zum anderen aus: Formulierung, Tonfall,<br />
Begleitmimik sowie die Zusammensetzung<br />
des Ganzen. So können meine<br />
Worte etwas anderes ausdrücken als<br />
meine Körpersprache.<br />
D) Die Appellebene betrifft Wünsche,<br />
Appelle, Ratschläge usw. Diese können<br />
offen oder verdeckt kommuniziert<br />
werden.<br />
Wenn die vier Ebenen nicht eindeutig<br />
sind und innerhalb eines Gesprächs vermischt<br />
werden, kann dies leicht Zündstoff<br />
bieten. Ich kann etwas als Appell<br />
verstehen, was gar nicht als solches<br />
gedacht war und denke mir: „Du Arsch,<br />
du hast mir das gar nicht zu sagen“.<br />
Aber mein Gegenüber hat mir vielleicht<br />
indirekt etwas von sich selber mitteilen<br />
wollen.<br />
3. Der Empfänger: Ich kann von<br />
meinem Welt- und Glaubensbild nicht
Brandschutz<br />
auf andere schließen und ihnen denselben<br />
Blickwinkel oder die selbe Motivation<br />
unterstellen. Meine Wahrnehmung<br />
ist nicht das Nonplusultra. Zündstoff<br />
bieten auch die verschieden Rollen, die<br />
hier aufeinandertreffen, zum Beispiel<br />
meine Rolle als Gemeindeleiter, Freund<br />
oder Ehepartner. Es geht nicht darum,<br />
sich Masken aufzusetzen, sondern Aufgaben<br />
und Beziehungen nicht in ein<br />
Topf zu werfen. Schließlich ist Bier immer<br />
noch Bier, und Wein ist Wein, auch<br />
wenn beide Alkohol sind.<br />
Stichwort Dürreperioden<br />
Es gibt verschiedene Organisationsstrukturen.<br />
Manche haben eine hohe<br />
Hierarchiepyramide, das heißt es gibt<br />
nach oben hin mehrere Ebenen. Mit<br />
steigender Ebene steigt die Verantwortung.<br />
Der Vorteil ist daran, das zumeist<br />
das Aufgabenfeld klar definiert ist. Jedoch<br />
sind manchmal Personen auf den<br />
unteren Ebenen weniger motiviert,<br />
da ihnen der Grund beziehungsweise<br />
die Wichtigkeit ihrer Tätigkeit nicht<br />
immer bewusst ist. Und Personen auf<br />
den oberen Ebenen sind hin und wieder<br />
überfordert. Dies kann auf beiden<br />
Seiten Frust hervorrufen. Mit etwas<br />
© www.photocase.com<br />
Der Kranke Bote<br />
mehr Transparenz weiß ersterer mehr,<br />
warum er Dinge tut und letzterer wird<br />
entlastet. Gerade für Personen, bei denen<br />
alle Fäden der Gemeinde zusammenlaufen,<br />
ist es wichtig, sich hin und<br />
wieder zu hinterfragen, ob ihre Position<br />
nicht ihre Kompetenz überschreitet.<br />
Denn bei Überforderung kann es zum<br />
Machtmissbrauch kommen. Persönliche<br />
Dürreperioden sollten sich gerade in<br />
dieser Position eingestanden werden.<br />
Wenn nicht so viele Hierarchieebenen<br />
vorhanden sind und viele Bereiche nebeneinander<br />
existieren, dann ist eine<br />
klare Absprache umso wichtiger. Wenn<br />
hier keine klaren Grenzen gezogen sind,<br />
frisst das unnötige Energie, da sich entweder<br />
alle oder keiner kümmern und<br />
viele Aufgaben liegen bleiben. Das kann<br />
genauso Dürre hervorrufen. Wenn jeder<br />
weiß, wo sein Platz ist und was seine<br />
Aufgaben sind, ist viel mehr Energie frei<br />
für die Dinge, die zu tun sind. Dabei ist<br />
es wichtig, gabenorientiert zu arbeiten,<br />
denn sonst kann ich nicht effektiv arbeiten<br />
und power mich viel schneller aus.<br />
Falls doch mal ein Brand ausbricht,<br />
sollte schnellstmöglich mit den Löscharbeiten<br />
begonnen werden, damit er<br />
sich weder im Herzen noch auf andere<br />
ausweitet: „Deshalb legt die Lüge ab<br />
und redet Wahrheit, ein jeder mit seinem<br />
nächsten!“ (Eph 4, 25).<br />
Andrea Graf [andrea.mail@gmx.net]<br />
Andrea Graf (28) studiert Psychologie und<br />
ist Seelenfeuerwehrfrau bei den JF Leipzig.<br />
Im nächsten <strong>Kranken</strong> <strong>Boten</strong>: „Was tun, wenns<br />
brennt?“ Zum Umgang mit Konflikten in der<br />
Gemeinde.<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 31
Lautes und Leises aus Oberfranken<br />
Gemeindeporträt der JF Bayreuth-Kulmbach<br />
Sch***, Klopapier schon wieder<br />
alle!“ Kein Wunder, wenn es sich<br />
immer alle beim Lobpreis in die Ohren<br />
stopfen müssen! Nicht, dass er so<br />
schlecht wäre, aber man hat schließlich<br />
einen schalldichten Gottesdienstraum<br />
und darf das genießen! Willkommen in<br />
Bayreuth! Bayreuth? Da fällt den meisten<br />
nur Richard Wagner ein und Festspiele,<br />
für die man eh nie eine Karte bekommt.<br />
Mal abgesehen davon, dass die<br />
auch Geschmackssache sind. Bayreuth<br />
hat aber noch einiges mehr zu bieten<br />
als Siegfried und die Nibelungen. Zum<br />
Beispiel Jesus und seine Freaks!<br />
Die Bayreuther Jesus Freaks gibt es<br />
seit 1994 und in der Zwischenzeit ist<br />
viel passiert. Der leidige Ruf besoffen<br />
und zu cool für diese Welt zu sein, geht<br />
zum Glück langsam verloren. Auch größenmäßig<br />
hat sich viel getan. Mal waren<br />
es ganz viele und dann wieder nur<br />
vier im Gottesdienst. Seit ungefähr zwei<br />
Jahren kommen aber plötzlich immer<br />
mehr, so dass der kuschelige Hauskreis<br />
geteilt werden musste und zwar ganz<br />
pragmatisch nach Jungs und Mädels.<br />
Das ersparte das leidige Wer-mit-wem-<br />
Problem und hatte auch sonst noch<br />
positive Nebeneffekte. Einmal im Monat<br />
trifft man sich aber gemeinsam. Im<br />
Sommer gerne auch im Hofgarten. Der<br />
liegt ja auch so praktisch gleich nebenan.<br />
Dort ist die Luft außerdem besser,<br />
wenn die Gemeinderäume mal wieder<br />
ein bisschen zu stinken anfangen. Ir-<br />
gendwann ist da mal eine Klärgrube<br />
ausgelaufen…<br />
Auch sonst ist der Sommer das Beste.<br />
Da bringt der Nachbar Gegrilltes<br />
und Cola vorbei – einfach so. Auf die<br />
Art und Weise hatte man ihn schon bis<br />
in die Räume gelockt, nur leider ist er<br />
nie zum Gottesdienst geblieben. Aber<br />
es kommen andere und bleiben. Ohne<br />
Werbung, ohne Einladungen, einfach<br />
so, weil sie mal gucken wollen oder jemanden<br />
kennen.<br />
Je mehr die Gemeinde wächst, desto<br />
ereignisreicher scheint alles zu werden.<br />
Sie wollen zum Beispiel den „daily<br />
treff“ wieder zu beleben, sich täglich<br />
zu treffen, wie die Urgemeinde. Eine<br />
Zeit lang haben das einige von ihnen<br />
regelmäßig gemacht und waren begeistert.<br />
In letzter Zeit ist es dann leider<br />
ein bisschen eingeschlafen. Außerdem<br />
wünschen sich die Lobpreiser, dass aus<br />
den momentanen verschiedenen Projekten<br />
mit wechselnden Besetzungen<br />
wieder feste Bands entstehen. Lobpreis<br />
war schon immer ein Schwerpunkt und<br />
wird es wohl auch weiterhin sein. Als<br />
ich frage, was sie sich sonst wünschen,<br />
seufzen einige: „Seelsorger bräuchten<br />
wir“, um für diejenigen da sein zu können,<br />
die dort Hilfe brauchen.<br />
Wenn man von Jesus Freaks Bayreuth<br />
spricht, darf man auf keinen Fall die<br />
Jesus Freaks Kulmbach vergessen,<br />
quasi die Außenstelle, die seit einiger<br />
Zeit mit dabei ist und aus zirka sechs
Freaks vor Ort<br />
festen Mitgliedern besteht. Bayreuth<br />
und Kulmbach gehören zusammen<br />
und lassen sich eigentlich gar nicht so<br />
richtig trennen. Vieles läuft gemeinsam.<br />
Trotzdem haben die Kulmbacher<br />
Name und Ort:<br />
Jesus Freaks Bayreuth-Kulmbach<br />
Homepage:<br />
www.jesus-rockt-bayreuth.de<br />
Gottesdienstbesucher: 25<br />
Gründung: 1994<br />
Arbeitsbereiche: 8<br />
Hunde: -<br />
Kinder: -<br />
Ehepaare: bald 2<br />
Lobpreisbands: diverse Projekte<br />
Frauenquote in der Leitung: 33 %<br />
Kleingruppen: 3<br />
Besonderheit: Davinator („Bleibt<br />
sauber und genießt Freakstock!“)<br />
Der Kranke Bote<br />
einen eigenen Hauskreis, einen<br />
Gebetstreff mit gemeinsamem<br />
Abendessen und gelegentlich einen<br />
eigenen Gottesdienst. Auch<br />
in Kulmbach gibt es Apostelgeschichte-2-Sehnsüchte:<br />
beim Projekt<br />
„Eine Woche gemeinsam leben“<br />
wohnt man zusammen, isst<br />
gemeinsam Frühstück und Abendbrot<br />
und hat am Abend einen<br />
Gottesdienst. Das Projekt ist vorerst<br />
vierteljährlich geplant, aber<br />
wer weiß, was noch daraus wird.<br />
Auch weiterhin bleibt bei JF<br />
Bayreuth-Kulmbach alles anders, und<br />
es wird sich lohnen!<br />
Rosemarie [rose_marie@gmx.ch]<br />
Gemeindesteckbrief zum Ausschneiden als Sammelspiel<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 33
Der Kranke Bote<br />
Enthaltsam, der Nähe wegen<br />
Ehelosigkeit ist Segen und Kampf<br />
Über den Zölibat zu reden, beinhaltet<br />
wohl meistens eine konfessionelle<br />
Ablehnung der Haltung in der<br />
katholischen Kirche, aber eher selten<br />
die Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
selbst. Mit den Worten Jesu aus der<br />
Bibel „Denn es ist so: Manche sind für<br />
die Ehe unfähig, manche sind von den<br />
Menschen dazu gemacht, und manche<br />
haben sich selbst dazu gemacht – um<br />
des Himmelreiches willen. Wer das erfassen<br />
kann, der erfasse es.“ (Matthäus<br />
19,12) tun wir uns im Allgemeinen<br />
auch etwas schwer. Nimmt man diesen<br />
Vers als Grundlage, folgt doch, dass es<br />
so etwas wie eine Ehelosigkeit um des<br />
Himmelreiches willen geben muss.<br />
Nun ergibt sich aus dem Wort aber<br />
ein Problem, es spricht von einer -losigkeit.<br />
Also von einem Mangel. Die Ehelosigkeit<br />
wird also von der Ehe her de-<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 34<br />
finiert – so formuliert es ein Freund von<br />
mir, der als Mönch tatsächlich durch ein<br />
Versprechen sich auf ein Leben in Ehelosigkeit<br />
eingelassen hat. Es handelt<br />
sich also dabei um einen Begriff, der<br />
aus dem Negativen her bestimmt ist.<br />
Ein Wort, das Verzicht anzeigt.<br />
Nicht um des Verzichtens willen<br />
Theologie<br />
© Timm Ziegenthaler<br />
Die Ehe ein Versprechen, das sich die<br />
Paare vor Gott, der Gemeinde und voreinander<br />
geben. Dieses Versprechen ist<br />
gefüllt mit dem, was das Leben in einer<br />
Ehe beinhaltet. Soweit klar. Wenn<br />
nun aber der Mönch, und damit ist<br />
jeder gemeint, der von Gott den Weg<br />
der Ehelosigkeit aufgezeigt bekommt,<br />
nun eben auch ein Versprechen ablegt,<br />
geht er dann nicht im gewissen Sinne<br />
auch eine Ehe ein? Eben eine andere,<br />
mit anderem Inhalt, mit anderen Aus-
Theologie<br />
wirkungen natürlich. Mit anderen Freuden<br />
und Schwierigkeiten. Aber es ist<br />
ein Versprechen auf Hoffnung hin, wie<br />
in einer Ehe; und hey, ihr verheirateten<br />
Leser, das eheliche Leben stellt doch<br />
nicht immer nur himmlische Freuden<br />
dar, sondern wird auf Hoffnung hin<br />
ausgesprochen. Doch ich will nicht ins<br />
Vergleichen abrutschen. Ich will doch<br />
über die Ehelosigkeit an sich nachdenken,<br />
und nicht um ihre Berechtigung<br />
neben dem Zusammenleben von Mann<br />
und Frau argumentierend kämpfen. Das<br />
Versprechen der Ehelosigkeit ist auch<br />
so etwas wie eine Ehe. Der springende<br />
Punkt ist: Es geht doch in unserem<br />
Glauben nicht darum, dass wir etwas<br />
tun oder lassen um der -losigkeit willen.<br />
Der Verzicht um des Verzichtens willen<br />
ist doch nicht wirklich jesusmäßig. Das<br />
wäre blinde Askese. Ja, noch tiefer. In<br />
vielem geht es uns darum, alles und<br />
jedes zu verzwecken. Allem und jedem<br />
muss unbedingt ein Sinn abgerungen<br />
werden. Das ist eine verkürzte Sicht der<br />
Dinge. Denn die Sinne und Zwecke, die<br />
wir an Glaubensinhalte, an Nachfolgemerkmale<br />
anlegen, sind doch die Unsrigen.<br />
Die sind aus dem Heute. Aber ist<br />
denn nicht das Ziel der Nachfolge das<br />
Morgen? Ist nicht der Wert, ja die Spannung<br />
des Lebens mit Jesus, dass eben<br />
nicht absehbar ist, was kommt? Daraus<br />
ergibt sich, dass es gewaltige Auswirkungen<br />
auf unser Heute haben wird,<br />
wenn wir das leben, was wir morgen erhoffen.<br />
Das gilt zuerst und vornehmlich<br />
für den Lebensweg der Enthaltsamkeit.<br />
Es gibt also einen Wert darin, keine Ver-<br />
Der Kranke Bote<br />
tröstung, keine Selbstkasteiung. Denn<br />
es ist eine -losigkeit um etwas willen, es<br />
hat einen Zweck, auf etwas zu verzichten.<br />
Doch einen, der nicht aus unserer<br />
Vorstellungswelt kommt.<br />
Ich würde das Wort Ehelosigkeit gern<br />
für diese Zeilen vergessen. Nennen wir<br />
es Enthaltsamkeit. Das ist zum einen<br />
positiver gefüllt, zum anderen zeitlich<br />
(noch) offen und zeigt zunächst eben<br />
nicht nur einen Zustand auf, der etwas<br />
beschreibt.<br />
Die Ehe ist wunderbar<br />
Wenn ich mir die Worte Jesu anschaue,<br />
dann ist doch die Ehe eine<br />
Sache, die zu dieser Welt gehört. Hier,<br />
heute für uns. Und eins der Dinge (neben<br />
dem Ruhetag), die wir aus dem Paradies<br />
mitnehmen durften – also nichts<br />
Schlechtes. Die Ehe ist vom Herrn. In<br />
der Ehe bilden wir die Vollkommenheit<br />
der göttlichen Ebenbildlichkeit am besten<br />
ab, als Mann und als Frau in einem<br />
Fleisch. Die Ehe ist also ein ziemlich<br />
geheiligtes Ding. Also schlichtweg gut.<br />
Und ich betone das deshalb so, weil<br />
ich vermeiden will, dass hier auch nur<br />
einer auf die Idee kommt, ich wolle etwas<br />
gegeneinander ausspielen. Die Ehe<br />
ist vom Herrn, sie ist wunderbar. Stößt<br />
nun der geneigte Bibelleser aber auf<br />
Antworten aus Jesu Mund, wie auf die<br />
Anfrage, ob denn eine Frau im Himmel<br />
mit ihrem ersten, zweiten oder dritten<br />
Mann verheiratet sein wird, wo er sagt,<br />
dass es im Himmel keine Ehe mehr geben<br />
wird; wird doch klar, dass die Ehelosigkeit<br />
eine Himmelserscheinung ist.<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 35
Der Kranke Bote<br />
Hinweis auf die Ewigkeit<br />
Gut, mag mancher nun triumphieren,<br />
dann brauchen wir doch Enthaltsamkeit<br />
hier auf dieser Erde nicht, das sind<br />
wir dann in der Ewigkeit doch eh genug.<br />
Ich meine aber, dass die Enthaltsamkeit<br />
ein Hinweis auf die Ewigkeit<br />
sein soll. Ein Hinweis, eine Vorerfah-<br />
rung – in dieser Welt mit<br />
allen Einschränkungen<br />
und Bedürfnissen belegt<br />
– die das anzeigt, was kommen wird.<br />
Aber wie soll das möglich sein?<br />
Ich erlebe in Gesprächen oft, dass<br />
die lieben katholischen Kollegen ihren<br />
Zölibat rein funktional sehen. Nämlich<br />
insofern, dass sie sagen, es sei halt als<br />
Gemeindeleiter besser, keine Familie<br />
zu haben, weil man mehr Zeit für die<br />
Gemeinde nutzen könne. Irgendwie<br />
scheint das für jeden, der schon mal eine<br />
Gemeinde gleitet hat, auch einleuchtend<br />
zu sein. Aber er wird auch spüren,<br />
dass das nicht ganz rund ist. Den Zölibat<br />
rein funktional zu verstehen hieße<br />
nämlich, die Enthaltsamkeit zum Einen<br />
schon wieder zu verzwecken; und zum<br />
Andern sie zu einer Art Notwendigkeit,<br />
zu einer Art Notlage zu erklären. Doch<br />
das würde sie letztlich doch unlebbar<br />
machen. Die Notlage wäre die Grundlage.<br />
Die Not ist gleich der Grund. Aber<br />
ein Mangel kann im Reich Gottes nicht<br />
die Legitimation für die Nachfolge auf<br />
eben diese spezielle Weise sein.<br />
Enthaltsamkeit ist Kampf<br />
Die Notlage kann, wenn überhaupt,<br />
höchstens der Startschuss dazu sein.<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 36<br />
„Das zölibatäre Leben<br />
ist keine Notlage!“<br />
Theologie<br />
Sie eröffnet den Ringkampf, der uns<br />
zum rechten Verständnis der Enthaltsamkeit<br />
führt. Ja, richtig, es geht um<br />
einen Kampf. Die Notlage ist überwunden<br />
worden! Und darin greife ich auch<br />
auf oben Gesagtes zurück: Ehelosigkeit,<br />
Enthaltsamkeit und all die anderen<br />
-keit-Wörter beschreiben doch einen<br />
Zustand, der etwas anzeigt.<br />
Darum geht es<br />
aber bei unserem Thema<br />
überhaupt nicht. Das zölibatäre Leben<br />
ist kein Ist! Das zölibatäre Leben ist<br />
kein Fertig! Es ist ein Werden, es ist<br />
ein Kampf. Und diesen Kampf zettelt<br />
der Herr im Leben eines Menschen an,<br />
der hierfür eine Berufung hat, im Leben<br />
jener, in diesen Kampf gerufen werden<br />
und sich rufen lassen. Das zölibatäre Leben<br />
ist keine Notlage, kein Mangel, kein<br />
Minus! Es ist etwas. Es ist nicht nichts.<br />
Es geht darum sich auf den Kampf einzulassen.<br />
Sich diesem Ringen mit Gott<br />
vorbehaltlos auszuliefern. Jakob ist in<br />
seinem Kampf mit Gott (1.Mose 32)<br />
der Vorkämpfer. Jakob hat viel, er ist<br />
reich, er ist gerissen – zu gerissen. Somit<br />
wurde er zu einem, der ausgerissen<br />
ist. Nun sitzt er da am Fluss und alles,<br />
was er hatte, alles was er besaß, musste<br />
er über den Fluss bringen. Es musste<br />
es, um es mit einem Fremdwort auszudrücken,<br />
„transzendieren“. Als er alles<br />
hinüber geschafft hatte, heißt es, rang<br />
Einer mit ihm. Als er sich allem entledigt<br />
hatte, weil er in eine Notlage gekommen<br />
war, die seine ganze Existenz<br />
betraf, kam einer, der kämpfte mit ihm.<br />
Ein anstrengender Kampf muss das ge-
Theologie<br />
wesen sein, die ganze Nacht. Die ganze<br />
Nacht des irdischen Lebens hat er<br />
durchgekämpft. Nein, dabei hat er Gott<br />
nicht beschimpft, verunglimpft oder<br />
gelästert. Herausgefordert hat er Gott,<br />
ihm den Segen zukommen zu lassen,<br />
der ihn in eine andere Identität hineinführte.<br />
Eine vollkommen neue Identität.<br />
Segen und Angriff<br />
Aus dem Gauner (Jakob) wurde der<br />
Gottesstreiter (Israel). Kein Fertig, kein<br />
Minus, sondern: Ein Ringen und ein<br />
Segnenlassen. Ein Segen und ein Angegriffen-Werden,<br />
das ist das Leben unter<br />
dem Versprechen der Enthaltsamkeit.<br />
Kampf und Trost. Einsamkeit und Fülle.<br />
Kreuz und Auferstehung. Füße waschen<br />
und Abendmahl. Nähe<br />
und Distanz. Segen und<br />
Angriff, Angriff und Segen<br />
– krasser Style von Leben letztlich!<br />
Früher war es so, dass der zölibatäre<br />
Lebensstand als Stand der Vollkommenheit<br />
angesehen wurde. Leider wird diese<br />
Wendung in unserer Sprache meiner<br />
Meinung nach falsch gedeutet. Es wird<br />
so verstanden, dass die Menschen, die<br />
so leben vollkommener wären – also es<br />
wird mal wieder verglichen. Und wie<br />
schnell ist man dabei, einen Menschen,<br />
der zölibatär leben möchte und auf die<br />
Schnauze fällt, sprich sündigt, leichter<br />
und schneller verurteilt, als jemand<br />
anderen. „Stand der Vollkommenheit“<br />
deute ich anders. Vollkommen sind die<br />
Menschen höchstens in einem Punkt –<br />
nämlich darin, dass sie wirklich wissen,<br />
dass sie Sünder sind. Dass ist ihre Voll-<br />
„Vollkommenheit<br />
bedarf keiner Liebe“<br />
Der Kranke Bote<br />
kommenheit. Und nun ein Roth’scher<br />
Satz: „Vollkommenheit bedarf keiner<br />
Liebe“. Wären wir vollkommen, sprich<br />
fehlerlos, perfekt und rein, bräuchten<br />
wir keine Liebe. Weder die von Menschen<br />
noch die von Gott. Wir wären uns<br />
selbst genug, weil „voll“kommen.<br />
Ohne Liebe sterben wir<br />
Weil aber ein enthaltsam lebender<br />
Mensch ohne Liebe genau so verreckt<br />
wie jeder andere auch und weil die<br />
Vollkommenheit eines ehelosen Menschen<br />
in seinem Sündersein ruht, ist er<br />
absolut vollkommen angewiesen auf<br />
die Nähe, die Liebe und die Vergebung<br />
Gottes in Jesus. Jesus hat das Leben in<br />
Fülle versprochen. Er muss die Fülle für<br />
Menschen sein, die allein<br />
leben. Sonst sterben<br />
sie. Zuerst seelisch, dann<br />
sozial und schließlich aus Gott heraus.<br />
Sterben heißt Beziehungslosigkeit. Zu<br />
sich selbst, zu anderen und schließlich<br />
zu Gott. Deswegen kann das Single-<br />
Leben nicht mit dem entschiedenen<br />
Leben in Enthaltsamkeit verglichen<br />
werden. Single-Augen ohne Jesus sind<br />
nicht selten stumpf, trübe und traurig.<br />
Single-Augen von alten Nonnen hingegen<br />
leuchten bisweilen die Glut der<br />
Liebe Jesu in die Welt (auch hier nicht<br />
vergleichen, bitte!). Er ist die Fülle, er<br />
ist ihre Vollkommenheit in dem absoluten<br />
Angewiesensein auf Jesus.<br />
Zwei Arten von Nachfolge<br />
Wenn euch das nächste Mal ein<br />
Freund begegnet, der Jesus nicht<br />
<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 37
Der Kranke Bote<br />
kennt und mit euch anfängt das Klopfen<br />
Gottes an seinem Herzen mit dem<br />
eigenen Schimpfen auf zölibatäres Leben<br />
unhörbar zu machen, braucht ihr<br />
nicht einzustimmen und mitzulärmen.<br />
Wisst um den Kampf, das Werden und<br />
die wirklich ernsthafte Nachfolge derer,<br />
die sich von Jesus auf diesen Weg<br />
haben rufen lassen. Und lasst euch versichert<br />
sein, dass diese Menschen auch<br />
um den Kampf derer wissen, die in der<br />
Nachfolge stehen und verheiratet sind.<br />
Noch einmal, es geht eben nicht um ein<br />
besser oder schlechter, ein mehr oder<br />
weniger in der Nachfolge. Es handelt<br />
Japanischer Forscherdrang<br />
Juppis Kolumne<br />
Dass der Prophet Jona enge Bekanntschaft<br />
mit einem großen<br />
Fisch gemacht hat, weiß fast jedes<br />
Kind. Neuesten Untersuchungen zufolge<br />
besteht Grund zu der alarmierenden<br />
Annahme, dass sich so was jederzeit<br />
wiederholen kann. Indiz eins: Nach wie<br />
vor gibt es jede Menge große Fische<br />
in den Weltmeeren. Indiz zwei: Die<br />
Menschheit schert sich ebenso<br />
nach wie vor einen feuchten Dreck<br />
um das, was ihr Schöpfer von ihr<br />
will.<br />
Einzig die<br />
Japaner haben<br />
das Problem<br />
erkannt und<br />
sind – als Volk der Tat<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 38<br />
sich um je für sich eigenen Hinweis auf<br />
das Leben mit Gott. Die Verheirateten<br />
bilden hier und heute Gottes Bild am<br />
deutlichsten ab. Die Enthaltsamen weisen<br />
hin auf die himmlische Welt. Beides<br />
noch auf Hoffnung hin. Beides schon<br />
verwirklicht aber durch Christi Nähe in,<br />
für und mit uns.<br />
Theologie/Kolumne<br />
Norbert Roth<br />
[norbert@jesusfreaks.de]<br />
Norbert Roth (32)<br />
leitet den JFI-Bereich<br />
Seelsorge. Er<br />
ist evangelischer<br />
Pfarrer und lebt in<br />
Frankfurt/M.<br />
– zum Handeln übergegangen. Gemäß<br />
dem göttlichen Motto „Unterwerft<br />
euch die Erde und vor allem die Meere“<br />
fangen und zerlegen sie alle Arten von<br />
großen Fischen, Walen und Haien, um<br />
zu erforschen, was dran (und vor allem<br />
drin) ist an der Geschichte.<br />
Nach leider nicht bestätigten<br />
Meldungen einer japanischen<br />
Nachrichtenagentur sollen sie dabei<br />
schon einige Menschen in den<br />
Gedärmen der Meeresbewohner<br />
gefunden haben.<br />
Schließen wir uns also dem<br />
guten japanischen Beispiel an<br />
und werden – gewissermaßen<br />
– Menschenfischer! Fischt<br />
Juppi [julia@kultshockk.de]
Meinung/Impressum<br />
Das Bild mit dem Pfeil, der spitz, gefährlich<br />
und verletzend ist als Sinnbild<br />
für eine Theologie, die keine andere<br />
Interpretationsmöglichkeit zulässt und<br />
mit und dem Spaten, der vorne auch<br />
eine scharfe Kante hat, aber breit ist und<br />
deswegen eine ganze Masse bewegen<br />
kann, gefällt mit sehr gut. Als ich das<br />
gelesen habe, dachte ich: cool, endlich<br />
schreibt mal jemand von Pluralität.<br />
Um herauszufinden, wo wir uns als<br />
Jesus Freaks etwa befinden, musste ich<br />
jedoch nur ein paar Sätze weiter lesen.<br />
Ich würde sagen, das Gerät, was im Folgenden<br />
beschrieben wird, ist ein Trichter:<br />
„So ist es sicher möglich, bei den<br />
Jesus Freaks anzufangen und nicht an<br />
Geistesgaben zu glauben, aber es wird<br />
nicht lange dauern, bis Gott seinen<br />
Geist offenbart. Oder man kann denken,<br />
dass Frauen nicht predigen dürfen, aber<br />
diese Ansicht wird schnell verschwinden,<br />
wenn man in Gottes Strom ist.“<br />
Der Kranke Bote<br />
Leserbrief zu: „Schwerter zu Pflugscharen“, <strong>DKB</strong> 1/20<strong>06</strong><br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Jesus Freaks International e. V. – Bereich Medien<br />
Redaktionsleitung: Frank Hartkopf (V.i.S.d.P.)<br />
Redaktion: Marcus Beißwanger, Freddi Gralle,<br />
Bettina Kammer, Julia Pfläging, Jocky Spörl,<br />
Rosemarie Trautvetter<br />
Layout: Andreas Kammer, Andi Gehrlach<br />
Redaktionsanschrift: Der Kranke Bote<br />
c/o Frank Hartkopf, Hillerstraße 3, 04109 Leipzig<br />
Tel. (0341)23<strong>06</strong>4838, [texte@jesusfreaks.de]<br />
Aboverwaltung:<br />
Balty Pfautsch, H.-Zille-Str. 5, 39576 Stendal, Fax<br />
(03931) 312654, [nd-abo@jesusfreaks.de]<br />
Abopreis: 12,00 € im Jahr (D/A) pro Einzelabo<br />
inklusive Versandkosten.<br />
Ab 10 Stück kostet das Jahresabo 9,00 €, ab 20<br />
St. 8,40 €, ab 30 St. 7,80 € jeweils pro Exemplar.<br />
Mir geht es keineswegs um die hier<br />
gemachten Aussagen, sondern darum,<br />
dass mir erklärt wird, wie ich in zwei<br />
Jahren denken werde – das hat für mich<br />
rein gar nichts mit Pluralität zu tun. Um<br />
ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie ich<br />
in einer Bewegung die mir derart meine<br />
Schranken weist, auf lange Sicht einen<br />
Platz für mich finden kann. Auch wenn<br />
der Großteil von uns in hunderten theologischen<br />
Sichtweisen übereinstimmt,<br />
ist das noch lange kein Grund, diese so<br />
zu artikulieren und jemanden, der einer<br />
Sache nicht zustimmt so zu behandeln,<br />
als wäre er „nur noch nicht so weit“.<br />
Es geht mir auch um den Umgang<br />
mit neuen Leuten: sei erst mal 5 Jahre<br />
bei den Jesus Freaks und dann wirst du<br />
schon sehen. Ich finde, wir machen es<br />
neuen Leuten nicht gerade einfach, sich<br />
unserer Bewegung anzuschließen. Ging<br />
es nicht darum, dass jeder seinen Weg<br />
mit Jesus geht und wir einander dabei<br />
unterstützen?<br />
Ulrike Hippe<br />
Abo Schweiz:<br />
28 CHF/Jahr (ab 10 St. 14 CHF pro Exemplar)<br />
Abo sonstiges Ausland:<br />
12,00 €/Jahr zuzüglich Versandkosten<br />
Bezugsbedingungen: <strong>DKB</strong> erscheint sechsmal im<br />
Jahr. Das Abo verlängert sich automatisch um ein<br />
weiteres Bezugsjahr, wenn es nicht spätestens 6<br />
Wochen vor Bezugsende gekündigt wurde.<br />
Druck/Versand:<br />
JFI Büro, Nordring 49-53, 64347 Griesheim, Tel.<br />
0700JESUSFREAKS, [info@jesusfreaks.com]<br />
Anzeigen (Sponsoring):<br />
Marcus Beißwanger [beisszu@web.de]<br />
Einsendeschluss für die nächste Ausgabe:<br />
26. Mai 20<strong>06</strong><br />
Spenden an JFI: Konto 1280144153, Hamburger<br />
Sparkasse BLZ 200 505 50<br />
April/Mai 20<strong>06</strong> Seite 39
Anzeigen<br />
Willo Freak<br />
Das Kulttreffen für Freak-Leiter und Mitarbeiter!<br />
W25.–28. Mai 20<strong>06</strong><br />
Anmeldung ab Mitte April unter:<br />
www.jesusfreaks.de<br />
Christi Himmelfahrt<br />
Hofgut Siloah (Neufrankenroda, Thüringen)<br />
Teilnehmerbeitrag: 60.– Euro