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Sinn und Möglichkeiten der Prävention bei psychischen Erkrankungen

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Ñ<strong>Sinn</strong> <strong>und</strong> Mˆglichkeiten <strong>der</strong> Pr‰vention <strong>bei</strong> <strong>psychischen</strong><br />

<strong>Erkrankungen</strong>ì<br />

Prof. Dr. Peukert<br />

So lautet mein Thema - aber was ist mein Auftrag?<br />

In die allgemeine b<strong>und</strong>esrepublikanische Pr‰ventionsdebatte sind die Perspektiven <strong>der</strong><br />

psychiatrischen Pr‰vention einzuf‰deln, <strong>und</strong> zwar zu einem Zeitpunkt, da <strong>der</strong> politische Wille<br />

zwar erkennbar ist:<br />

ÑGes<strong>und</strong>heit fˆr<strong>der</strong>n, Krankheit verh¸ten, Ursachen therapieren ñ statt nachtr‰glich an<br />

Symptomen herumkurieren. Das ist mo<strong>der</strong>ne Ges<strong>und</strong>heitspolitikì<br />

(BMGS-Presseerkl‰rung zur ersten Plenarsitzung des Forums Pr‰v. <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsfˆrd. ñ unter Kurzbericht AG 5)<br />

- aber konsensf‰hige Ausformungen unklar sind <strong>und</strong> wir Teilnehmer am psychiatrischen<br />

Diskurs noch ganz am Anfang gemeinsamer konzeptioneller Vorstellungen stehen.<br />

Allerdings gibt es bereits viele vereinzelte <strong>und</strong> un-koordinierte Aktivit‰ten, die das Label<br />

ÑPr‰vention psychischer <strong>Erkrankungen</strong>ì verdienen.<br />

Beson<strong>der</strong>s fortgeschritten ist die Pr‰vention <strong>bei</strong> Suchterkrankungen, deshalb ist dem morgen<br />

ein separates Referat gewidmet (Wienberg)<br />

Pr‰ventionskonzepte folgen den Vorstellungen ¸ber die <strong>Erkrankungen</strong><br />

‹berlegungen zur <strong>und</strong> die unterschiedlichen Praxen von psychiatrischer Pr‰vention folgen<br />

den Vorstellungen, die wir uns von <strong>psychischen</strong> <strong>Erkrankungen</strong> zu machen pflegen.<br />

ÑPr‰ventionskonzepte jeglicher Art basieren - meist unbewusst - auf einem bestehenden<br />

Mensch- <strong>und</strong> Gesellschaftsbild <strong>und</strong> reproduzieren dies in ihrer Umsetzungì (Bauch &<br />

Bartsch, Pr‰vention 1 - 2003, S. 5)<br />

Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als mir ñ damals noch als Jugendlichem<br />

bzw. jungem Erwachsenen <strong>und</strong> in psychiatrischen Dingen unerfahrenem Angehˆrigen eines<br />

an Schizophrenie erkrankten Bru<strong>der</strong>s ñ auf meine wie<strong>der</strong>holt insistierend vorgetragenen<br />

Fragen, warum es denn zu dieser hoch dramatischen, f¸r die ganze Familie traumatisierenden,<br />

mit Polizeigewalt bewehrten Zuf¸hrung zur station‰ren Behandlung kommen musste<br />

von professioneller Seite regelm‰flig <strong>und</strong> ausschliefllich geantwortet wurde:<br />

Das sei eines <strong>der</strong> Probleme dieser Erkrankung, man kˆnne nichts im Vorfeld tun<br />

(heute weifl ich: Ñim Vorfeld etwas tunì heiflt ÑPrim‰re Pr‰ventionì!).<br />

Ziemlich zur gleichen Zeit schrieben unsere Altvor<strong>der</strong>en in die Psychiatrie-Enquete, die<br />

Pr‰vention h‰nge davon ab, ìvermeidbare Krankheitsursachen auszuschaltenì (Enquete S.<br />

386) <strong>und</strong> die Autoren z‰hlen auch die Desorganisation <strong>der</strong> Familie, u.a. durch Alkohol,<br />

Drogen, durch Tod o<strong>der</strong> Scheidung, sowie Entwurzelung (z.B. durch Migration) <strong>und</strong><br />

ˆkonomische Notlagen als Belastungssituation auf, Ñin <strong>der</strong> mit einer erhˆhten Gef‰hrdung,<br />

psychisch zu erkranken, gerechnet werden mussì (Enquete S. 388)<br />

Folgerichtig spielen f¸r unsere Altvor<strong>der</strong>en <strong>bei</strong> den Maflnahmen <strong>der</strong> ÑPrim‰rpr‰vention<br />

psychischer Stˆrungenì auch die ÑHilfen f¸r wirtschaftlich Bedr‰ngteì (S. 389) eine<br />

hervorragende Rolle, einschliefllich <strong>der</strong> Ñwirtschaftlichen Sicherung <strong>der</strong> Betagten durch<br />

entsprechende Altersvorsorgeì.<br />

1


Und im Bereicht <strong>der</strong> Expertenkommission?<br />

Da findet sich <strong>der</strong> Begriff Pr‰vention ¸berhaupt nicht - daf¸r ist die Rede von nat¸rlichen<br />

Netzwerken, die zwar einzubeziehen, aber in ihrer Autonomie nicht gef‰hrdet werden sollten.<br />

Und im Handwerksbuch Psychiatrie (Bock & Weigand, Hrsg. 1991)?<br />

Da finden wir eine halbe Seite - im Kapitel Suchterkrankungen.<br />

Und heute?<br />

Sp‰testens mit <strong>der</strong> ABC-Studie von H‰fner (H‰fner et al 1998) folgen unsere ‹berlegungen<br />

zur Pr‰vention unseren neu gewonnenen Vorstellungen zur Erkrankung:<br />

In <strong>der</strong> Forschung <strong>und</strong> in den Fr¸herkennungszentren hat ein Wettlauf um die Identifikation<br />

vielleicht doch sensitiver, prognostisch reliabler Prodromalsyndrome begonnen, <strong>und</strong><br />

Fr¸herkennungsinventare werden entwickelt <strong>und</strong> bereits europaweit getestet, <strong>und</strong> das aus<br />

gutem Gr<strong>und</strong>e.<br />

Unter den Menschen mit unspezifischen Prodromalsyndromen sind Einige bis Viele, die ohne<br />

eine fr¸he Hilfe voraussichtlich psychisch erkranken werden; kˆnnte man sie relativ sicher<br />

identifizieren, kˆnnte <strong>bei</strong> nahezu <strong>der</strong> H‰lfte von ihnen <strong>der</strong> ‹bergang in eine Erkrankung<br />

vermieden werden ñ <strong>und</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en H‰lfte w‰re immerhin die erfor<strong>der</strong>lich werdende<br />

psychiatrische Hilfe gleich zur Stelle. (siehe auch den Beitrag von Hambrecht in diesem<br />

Bande).<br />

Dennoch m¸ssen wir uns kritisch fragen:<br />

Ist das nicht <strong>der</strong> Einstieg in eine trˆpfchenweise Infiltration <strong>der</strong> Psychiatrie in die<br />

Normalgesellschaft ñ dieser Psychiatrie mit dem Janusgesicht von Hilfe <strong>und</strong> Kontrolle, <strong>der</strong><br />

Gleichzeitigkeit von nahezu grenzenloser Akzeptanz von An<strong>der</strong>sartigkeit ñ <strong>und</strong> <strong>der</strong> zugleich<br />

bestehenden Notwendigkeit zur Bereitschaft von Zwangsanwendungen? Besteht nicht die<br />

Gefahr einer fr¸hzeitigen, <strong>und</strong> ggf. Ñfalsch-positivenì Stigmatisierung?<br />

O<strong>der</strong> haben wir es hier mit einem sich etablierenden neuen System zu tun?<br />

Luhmann hat uns gelehrt, Systeme an den sie f<strong>und</strong>ierenden bin‰ren Codes zu erkennen.<br />

Entsteht hier am Rande des Ges<strong>und</strong>heitssystems ein an<strong>der</strong>es, das nicht dem das<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem (Luhmann spricht realistischer vom ÑKrankheitssystemì!) basierenden<br />

Code ÑKrank-Ges<strong>und</strong>ì folgt?<br />

Pr‰vention findet an System¸berg‰ngen statt<br />

Dann w‰re die dramatische psychotische Vorphase nicht nur <strong>der</strong> ‹bergang in eine<br />

Erkrankung, son<strong>der</strong>n auch den ‹bergang aus einem gr<strong>und</strong>legend an<strong>der</strong>en System in das<br />

ÑKrankheitssystemì.<br />

Dann h‰tten die Hilfen in dieser, aber ggf. auch schon in den vorangegangenen<br />

Zeitabschnitten des individuellen Lebenslaufs eine wesentliche Funktion vor allem im Lotsen<br />

durch die Klippen dieses sicherlich schwierigen System¸berganges!<br />

System¸berg‰nge zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> zu mo<strong>der</strong>ieren - das scheint <strong>der</strong> <strong>Sinn</strong>, <strong>und</strong> zugleich ein<br />

Problem von Pr‰vention zu sein.<br />

Pr‰vention ist immer an ‹berg‰ngen angesiedelt:<br />

- da, wo ges<strong>und</strong> in krank,<br />

- wo Lebensbedingungen <strong>und</strong> -Verh‰ltnisse in zun‰chst minimale <strong>und</strong> schliefllich<br />

wahrnehmbare biologische Sch‰digungen ¸bergehen,<br />

2


- wo akut krank in chronisch krank<br />

- <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> wo Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Teilhabe bzw. chronisch krank in Pflegebed¸rftigkeit<br />

¸berzugehen droht; Pr‰vention soll diese ‹berg‰nge vermeiden (helfen) o<strong>der</strong> sie<br />

hinauszˆgern.<br />

Pr‰ventionslyrik o<strong>der</strong> ernsthafte Pr‰ventionspolitik?<br />

Es gibt Autoren, die in <strong>der</strong> Pr‰ventionsdebatte den ÑHealthismusì am Werke sehen:<br />

Ges<strong>und</strong>heit werde uns als kostensenkende B¸rgerpflicht aufgeherrscht, Ges<strong>und</strong>heit<br />

ausschliefllich als gesellschaftlicher Nutzen definiert, Krankheit allein als Kostenfaktor<br />

gesehen <strong>und</strong> Pr‰vention sei nun das Interventionsinstrument.<br />

Dieser ÑHealthismusì sei die motivierende Kraft, die die Ges<strong>und</strong>heitspolitik antreibe.<br />

Die mit Pr‰vention nachgewiesenermaflen mˆglichen ca. 30%-Einsparungen von direkten <strong>und</strong><br />

indirekten Ges<strong>und</strong>heitskosten (Schwarz et al. 1999) seien somit das geheime <strong>und</strong> hinterh‰ltige<br />

Ziel Ñdes Systemsì hinter <strong>der</strong> Pr‰ventionslyrik.<br />

An den Kostensenkungen ist was dran.<br />

In dem Gutachten zur Krankheitskostenlast <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Reduktionspotentialen (Schwarz et al.<br />

1999) wurden auf das Jahr 1994 bezogen f¸r Depressionen sowie f¸r Neurosen <strong>und</strong><br />

funktionelle Stˆrungen die Ñrealistisch vermeidbare Ges<strong>und</strong>heitsausgabenì durch die in die<br />

Berechnung einflieflenden Ñrisikomodifizierenden Ans‰tze zur pr‰ventiven <strong>und</strong> rehabilitativen<br />

Beeinflussungì (ebenda S. 169) auf 37,3 % errechnet, das entsprach 1994 2,5 Mio DM.<br />

Da<strong>bei</strong> ist zu ber¸cksichtigen, dass davon 1,1 Mio DM durch die Reduktion von<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunf‰higkeits-Tagen entstehen w¸rden (Schwarz et al. 1999, S. 143), wo<strong>bei</strong> inzwischen<br />

seit 1994 die Krankmeldungen aufgr<strong>und</strong> psychischer <strong>Erkrankungen</strong> um 74,4 % gestiegen sind<br />

<strong>und</strong> die Fehlzeiten wegen psychischer <strong>Erkrankungen</strong> inzwischen auf Platz vier <strong>bei</strong> den<br />

Ursachen f¸r Ar<strong>bei</strong>tsunf‰higkeit vorger¸ckt sind.<br />

Betriebliche Pr‰vention psychischer Stˆrungen lohnt sich f¸r alle Beteiligten, <strong>und</strong> folgerichtig<br />

werden wir sie - wie schon vorher im ß 20 SGB V - im Pr‰ventionsgesetz wie<strong>der</strong> finden.<br />

Eine Krankenkasse geht schon heute ungewˆhnliche Wege <strong>und</strong> finanziert ein betriebliches<br />

Pr‰ventionsprojekt von Angehˆrigenprojekt (siehe in diesem Band xxxxxxx).<br />

Aber wohl gemerkt: das w‰ren die mˆglichen Einsparungen, wenn Ö<br />

Aber die Autoren <strong>der</strong> Healthismus-Debatte ¸bersehen die aktuelle relative fiskalische<br />

Bedeutung von Pr‰vention.<br />

von den im Jahre 2001 verausgabten 225 Mrd. Äuro Ges<strong>und</strong>heitsausgaben wurden gerade mal<br />

1,5% f¸r den gesamten Bereich <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung ausgegeben, darin enthalten 0,65<br />

% f¸r Soziale Dienste, Pr‰vention, Selbsthilfe. Im ˆffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst - eine <strong>der</strong><br />

St¸tzen von Pr‰vention <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung - ar<strong>bei</strong>tet gerade mal 0,6 % des<br />

Ges<strong>und</strong>heitspersonals!<br />

(Eigene Berechnung nach Daten des BMGS <strong>und</strong> nach: Pr‰vention 1/2003, S. 11 sowie<br />

http:www.destatis.de/Themen/d/thm_ges<strong>und</strong>heit/htm)<br />

In diametralem Gegensatz zum Healthismus steht <strong>der</strong> wohl weitestgehend Begriff von<br />

pr‰ventiven Aktivit‰ten:<br />

ÑSie sollen das Individuum bef‰higen, in Freiheit <strong>und</strong> Selbstbestimmung den ges<strong>und</strong>en Weg<br />

zu gehenì (Bauch & Bartsch, in: Pr‰vention 1-2003, S. 6)<br />

3


Ann‰herungen an einen Pr‰ventionsbegriff<br />

Alternative: Ann‰herungen an einen Begriff von Pr‰vention<br />

Weniger euphemistisch, fast schon technokratisch, lautet das ¸bergeordnete Pr‰ventionsziel:<br />

Ges<strong>und</strong>heit erhalten, d.h.<br />

- Lebensqualit‰t, Mobilit‰t <strong>und</strong> Leistungsf‰higkeit sichern,<br />

- einen schlechteren Zustand vermeiden (Kuration <strong>und</strong> Rehabilitation suchen einen besseren<br />

Zustand zu erreichen) (Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 110)<br />

- eine ges<strong>und</strong>heitliche Beeintr‰chtigung durch gezielte Aktivit‰ten verhin<strong>der</strong>n,<br />

weniger wahrscheinlich machen o<strong>der</strong> verzˆgern (DZA 2001, S. 193)<br />

Mit diesen Definitionen von Pr‰vention m¸ssen wir uns gegenw‰rtig zufrieden geben, da eine<br />

einheitliche Sprache noch nicht gef<strong>und</strong>en ist.<br />

F¸r die fachliche Pr‰zisierung ist es erfor<strong>der</strong>lich, den Oberbegriff in weitere Teilbereiche <strong>und</strong><br />

-ziele zu differenzieren, wo<strong>bei</strong> diese Taxonomie auch f¸r die Finanzierungsdiskussion<br />

beachtliche Bedeutung gewinnen wird.<br />

Prof. Dr. R. Peukert<br />

Prim‰rpr‰vention:<br />

ï Die Entstehung von Krankheiten<br />

(o<strong>der</strong> von (Teil)Ursachen von <strong>Erkrankungen</strong>)<br />

verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> verringern<br />

ï Indikator <strong>der</strong> Zielerreichung:<br />

Senkung <strong>der</strong> Inzidenzrate o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

4


ï universelle Prim‰rpr‰vention:<br />

Ansprache des groflen Publikums<br />

ï selektive Prim‰rpr‰vention:<br />

Personen o<strong>der</strong> Gruppen mit erhˆhtem<br />

Erkrankungsrisiko<br />

Vorliegen von Risiken od. keinen protektiven Faktoren<br />

ï indizierte Prim‰rpr‰vention:<br />

Personen mit minimalen Symptomen <strong>und</strong><br />

biologischen Risikomarkern ñ ohne<br />

erreichen <strong>der</strong> Diagnoseschwelle<br />

Prof. Dr. R. Peukert<br />

Prof. Dr. R. Peukert<br />

Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention:<br />

Bestehende Krankheiten (auch im symptoml. Zustand)<br />

fr¸hzeitig erkennen <strong>und</strong> erfolgreich fr¸h therapieren)<br />

Fortschreiten des Krankheitsfr¸hstadiums verhin<strong>der</strong>n<br />

Wie<strong>der</strong>erkrankung vermeiden bzw. hinausschieben<br />

Krankheit bew‰ltigbar machen<br />

Indikator <strong>der</strong> Zielerreichung:<br />

Inzidenzabsenkung manifester o<strong>der</strong> fortgeschrittener<br />

Erkrankung<br />

5


Terti‰rpr‰vention<br />

ï Verschlimmerung <strong>der</strong> Erkrankung verh¸ten<br />

ï Vermeiden bleiben<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e sozialer<br />

Funktionseinbuflen<br />

ï Vermeiden bzw. mil<strong>der</strong>n von Folgesch‰den<br />

ï Vorzeitige Verrentung verhin<strong>der</strong>n<br />

ï Pflegebed¸rftigkeit verhin<strong>der</strong>n bzw. hinauszˆgern<br />

ï Indikator <strong>der</strong> Zielerreichung:<br />

Leistungsf‰higkeit soweit als mˆglich<br />

wie<strong>der</strong> hergestellt.<br />

Kommentar f¸r Karl-Ernst:<br />

ggf. Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention erst von den Text weiter unten, siehe Kommentar dort <strong>und</strong><br />

Terti‰rpr‰vention ganz raus bzw. weiter hinten, wo sie erstmals angesprochen ist?<br />

Am Beispiel Fr¸herkennung:<br />

gibt es ein Dilemma <strong>der</strong> Prim‰rpr‰vention psychischer Stˆrungen?<br />

Mit den Fr¸herkennungsprojekten bewegen wir uns im Feld <strong>der</strong> Ñindizierten<br />

Prim‰rpr‰ventionì.<br />

In diesem Feld geht es vorrangig darum, durch spezielle Aktivit‰ten (z.B. Kurse zur<br />

Stressbew‰ltigung: St‰rkung von Ressourcen) noch vor Eintritt einer biologisch fassbaren<br />

Sch‰digung sowie spezifischer ICD-Symptome potentiell auslˆsende o<strong>der</strong> vorhandene<br />

Teilursachen zu vermeiden (z.B. krisenhafte Zuspitzungen von Belastungen), um so die<br />

psychische Erkrankung zu verhin<strong>der</strong>n. (Walter 2002).<br />

Die damit parallelisierbaren Aktivit‰ten in <strong>der</strong> Somatik sind die<br />

Fr¸herkennungsuntersuchungen: die Vorsorge- <strong>und</strong> Fr¸herkennungsleistungen in <strong>der</strong> GKV,<br />

wie z.B. die Krebsfr¸herkennung <strong>und</strong> die U1 bis U6-Untersuchungen.<br />

Bei <strong>der</strong> Krebsfr¸herkennung sind die falsch-positiven Bef<strong>und</strong>e das grˆflte Problem, zum<br />

Beispiel unnˆtige Brustamputationen.<br />

Und in unserem Feld, <strong>der</strong> Psychiatrie m¸ssen wir uns fragen lassen:<br />

Welches Risiko ist das hˆhere Risiko -<br />

- das mit <strong>der</strong> Fr¸herkennung einher gehende Stigmatisierungsrisiko,<br />

(wo<strong>bei</strong> die Reduktion <strong>der</strong> Stigmatisierung selbst Zielkategorie von Pr‰vention ist, s.u.),<br />

- das Risiko einer unnˆtigen Fr¸h-Behandlung wegen falsch-positiver Indikation,<br />

- o<strong>der</strong> das Risiko, psychiatrisch krank zu werden?<br />

6


Sollten wir uns <strong>der</strong> Gefahr, Menschen sehr fr¸hzeitig dem Stigma auszusetzen, stellen ñ<br />

angesichts unseres Wissens, dass fast alle Psychiatrie-Erfahrenen <strong>und</strong> ihre Familien zumeist<br />

jahrelange Odysseen hinter sich bringen mussten, bevor sie hilfreiche Hilfe erhielten?<br />

Sollten wir so weit gehen, Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Nachbarn darin zu schulen, wie man<br />

Menschen erkennen kann, die mˆglicherweise psychisch zu erkranken drohen o<strong>der</strong> es ggf.<br />

schon sind, um diesen Leidenden mˆglichst fr¸hzeitig ad‰quate Hilfen zuteil werden zu<br />

lassen?<br />

Das WPA-Konsensuspapier for<strong>der</strong>t dies im Rahmen <strong>der</strong> Aktivit‰ten f¸r Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention,<br />

aber ist Fr¸herkennung Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention?<br />

Die WPA for<strong>der</strong>t jedenfalls die Erhˆhung <strong>der</strong> ˆffentlichen Wahrnehmung f¸r fr¸he<br />

Symptomwahrnehmung <strong>und</strong> prompte Interventionen - Ñthe individuals and their families, and<br />

community at large should be helped in learning how to regonice mental disor<strong>der</strong>sì (S. 7)<br />

Ist <strong>der</strong> Eingriff in die Lebenswelt, die potentielle Klientifizierung von Menschen gestattet?<br />

Kˆnnen wir ad‰quate Unterst¸tzung bieten, wenn Eltern o<strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber z.B. aufgr<strong>und</strong> eines<br />

Themenabends im ZDF o<strong>der</strong> <strong>der</strong> ARD eine beginnende Erkrankung erahnen, <strong>der</strong> Sohn o<strong>der</strong><br />

die Tochter bzw. die Mitar<strong>bei</strong>terin sich aber ganz an<strong>der</strong>s selbst verstehen?<br />

Wie kann das Dilemma zwischen dem Eingriff in die Autonomie <strong>der</strong> Lebenswelt <strong>und</strong><br />

Lebensf¸hrung auf <strong>der</strong> einen ñ <strong>und</strong> von wissentlicher Hinnahme eines mit Leid <strong>und</strong> sozialem<br />

Abstieg verb<strong>und</strong>enen Risikos psychischer Erkrankung auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aufgelˆst<br />

werden?<br />

Allerdings wird auch die Begr¸ndung <strong>der</strong> Fr¸herkennungsprojekte, wonach die Erkrankung<br />

<strong>bei</strong> Menschen mit einer lange unbehandelten Schizophrenie zu einem schlechteren Outcome<br />

f¸hre, angezweifelt. Nahezu 50 % aller Schizophrenien enden mit einer guten Remission;<br />

diese Personen werden zwangsl‰ufig (da sie inzwischen wie<strong>der</strong> ges<strong>und</strong> sind) in den<br />

Untersuchungen zur unbehandelten Krankheitszeit ausgeschlossen.<br />

Wie kann fr¸hzeitige Hilfe <strong>und</strong> Unterst¸tzung erfolgen - ohne Ñblaming the victimì?<br />

(Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 278)<br />

Der Gespr‰chskreis ÑAr<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> Sozialesì <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung, an dem auch <strong>der</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitspolotische Sprecher <strong>der</strong> SPD-b<strong>und</strong>estagsfraktion MdB Klaus Kirschner teilnimmt,<br />

hat zu begrenzenden Normen aufgerufen<br />

ÑDer mˆgliche Gewinn von Pr‰vention <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung ist stets mit den<br />

Einschr‰nkungen privater Freiheit auszubalancierenì (in: Gelbe Pl‰tter vom 12.03.04, S. 5)<br />

Wir wissen doch: jede Form von Hilfe macht den Hilfeempf‰nger immer auch ein wenig<br />

unselbst‰ndig <strong>und</strong> entzieht ihm ggf. Selbstheilungskr‰fte; wie kann Fr¸he Hilfe gegeben<br />

werden, in <strong>der</strong> diese Nebenwirkungen <strong>der</strong> fr¸hen Hilfe die Wirkungen <strong>der</strong> fr¸hen Hilfe nicht<br />

¸bersteigen?<br />

Klaus Dˆrner hat erst k¸rzlich den Nutzen des medizinischen Krankheitsbegriffs<br />

herausgestellt, u.a. mit dem Argument, dass er gegen die uferlose Ausdehnung psychischer<br />

Stˆrungsvarianten <strong>und</strong> gegen Ñunsere Aneignungssuchtì, die kaum Ñnoch irgendeine Norm<br />

<strong>der</strong> Selbstbegrenzungì kenne, sch¸tzen w¸rde. (Dˆrner in: Bock et al. 2004, S. 20).<br />

Ist es uns gelungen, mit unserer Benennung unspezifischer Merkmale als Prodromalsymtome<br />

die von Dˆrner behauptete Schutzfunktion des medizinischen Krankheitsbegriffes zu<br />

umgehen - indem wir den Begriff selbst ausgeweitet haben?<br />

7


Im Kontext <strong>der</strong> Fr¸herkennungsprojekte ist die Schutzfunktion des Krankheitsbegriffs dann<br />

verloren, wenn wir die Fr¸herkennung in <strong>der</strong> Prodromalphase als Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention<br />

definieren, die bestehende Krankheiten (auch im symptomlosen Zustand) fr¸hzeitig erkennen<br />

<strong>und</strong> erfolgreich therapieren will!<br />

Die Protagonisten <strong>der</strong> Fr¸herkennungsprojekte stellen sich alle diese Fragen selbst (siehe den<br />

Beitrag vom Hambrecht ..)<br />

Hier kˆnnte die Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention auch hin, da oben erstmals im Text erw‰hnt - dann<br />

hinter Ñ.. Prodromalphase als Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention Öì Hinweis auf den Kasten<br />

ÑSek<strong>und</strong>‰rpr‰ventionì <strong>und</strong> Terti‰rpr‰vention weg lassen.<br />

Die exemplarische Besch‰ftigung mit <strong>der</strong> Fr¸herkennung sollte ein Problem verdeutlichen:<br />

Wir n‰hern uns mit dem Pr‰ventionsthema den Hˆhen <strong>und</strong> Tiefen l‰ngst ¸berw<strong>und</strong>en<br />

geglaubter Debatten um psychische <strong>Erkrankungen</strong>.<br />

Die Fragen nach gesellschaftlicher Norm <strong>und</strong> Abweichung, nach Intervention in Leid, auch<br />

nur potentiellem Leid - <strong>und</strong> Leid als gegebenem Lebensschicksal dr‰ngen sich in unseren<br />

Hilfediskurs, sobald uns die Dichotomie, <strong>der</strong> bin‰re Code ÑKrank ñ Ges<strong>und</strong>ì <strong>und</strong> damit <strong>der</strong><br />

vermeintlich sichere Boden unter den F¸flen verloren geht.<br />

Prim‰rpr‰vention findet am ‹bergang Ñges<strong>und</strong>-krankì statt, <strong>und</strong> wir stehen mit einem Bein<br />

auf <strong>der</strong> Seite Ñkrankì, mit dem an<strong>der</strong>en auf <strong>der</strong> Seite Ñges<strong>und</strong>ì. Das kann uns in das<br />

ÑLebenswelt-Dilemmaì f¸hren, aber genau darin besteht auch <strong>der</strong> gesellschaftliche Nutzen<br />

<strong>der</strong> Fr¸herkennungsprojekte: indem sie sich auf die Grenze zwischen ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> krank<br />

begeben vermitteln sie Optimismus in die Behandelbarkeit <strong>der</strong> Erkrankung <strong>und</strong> erbringen<br />

einen Beitrag zur generellen Stigma-Reduktion.<br />

Raus aus dem Dilemma - mit dem Wechsel <strong>der</strong> Perspektive!<br />

Bekanntlich gibt es ja gar keine Probleme, nur falsche Auffassungen o<strong>der</strong> Gedanken.<br />

Versuchen wir also, dem Dilemma durch einen Perspektivenwechsel zu entgehen -<br />

indem wir den pathogenetischen Blick durch den salutogenetischen ersetzen:<br />

Welche Bedingungen kˆnnen daf¸r verantwortlich gemacht werden, dass aus<br />

Prodromalzust‰nden - gerade keine <strong>psychischen</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>Erkrankungen</strong><br />

erwachsen?<br />

Das w‰re die salutogenetische Perspektive <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung - wo<strong>bei</strong> Pr‰vention <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung eher eine Einheit bilden denn zwei voneinan<strong>der</strong> abgrenzbare Fel<strong>der</strong>?<br />

Pr‰ventive Ziele kˆnnen durch die Senkung von Belastungen erreicht werden, Ñmeist wird es<br />

aber auch darauf ankommen, zugleich die Vermehrung von ges<strong>und</strong>heitlichen Ressourcen <strong>der</strong><br />

betroffenen Individuen bzw. <strong>der</strong> Zielgruppen anzustreben Ö sei es, um die physischen bzw.<br />

<strong>psychischen</strong> Bew‰ltigungsmˆglichkeiten von Ges<strong>und</strong>heitsbelastungen zu erhˆhen, sei es, um<br />

die individuellen Handlungsspielr‰ume zur ‹berwindung ges<strong>und</strong>heitlich belastenden<br />

Verhaltens zu vergrˆflern, sei es, um Handlungskompetenzen f¸r die Ver‰n<strong>der</strong>ung von<br />

Strukturen, die entwe<strong>der</strong> direkt die Ges<strong>und</strong>heit belasten o<strong>der</strong> ges<strong>und</strong>heitsbelastendes<br />

Verhalten beg¸nstigen, zu entwickeln bzw. fortzusetzen. Dieser Aspekt - die St‰rkung bzw.<br />

Vermehrung von (ges<strong>und</strong>heitsdienlichen, R.P.) Ressourcen - wird als Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung<br />

bezeichnet.ì (Sachvert‰ndigenrat 2001/2002, RZ 111) -<br />

8


<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sachverst‰ndigenrat sieht - in <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> WHO<br />

(1986, Ottowa-Charter <strong>und</strong> 1978 Alma Ata <strong>und</strong> des europ‰ischen Programms ÑGes<strong>und</strong>heit f¸r<br />

alle bis zum Jahr 2000ì, das 1998 in das Programm ÑGes<strong>und</strong>heit f¸r Alle im im 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert - Ges<strong>und</strong>heit21ì ¸berf¸hrt wurde Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung als Herangehensweise<br />

an die Prim‰rpr‰vention (RZ 112, Hervorhebungen von R.P.) definiert, wo<strong>bei</strong> es sich da<strong>bei</strong><br />

regelm‰flig um Ñunspezifische Maflnahmenì handele (RZ 111) 1 , die sich also nicht auf<br />

spezielle Krankheiten beziehen w¸rden.<br />

Fr¸herkennung mit dem pathogenetischen Blick w‰re Ñinzidierte Prim‰rpr‰ventionì: es geht<br />

darum, potentielle Fr¸hentwicklungen psychischer Krankheiten zu identifizieren <strong>und</strong> hilfreich<br />

t‰tig zu werden.<br />

Das ist - trotz aller Nachdenklichkeiten - ein sehr wichtiges Anliegen.<br />

Wo w‰re demgegen¸ber die Prim‰rpr‰vention mit salutogenetischer Perspektive zu<br />

platzieren?<br />

Die Orte ihres Wirkens sind die Straflen, die Schulen, die Kneipen, die Nachbarschaft ñ die<br />

private, die ˆffentliche <strong>und</strong> die von Ar<strong>bei</strong>t gepr‰gte Nachbarschaft.<br />

Wir befinden uns plˆtzlich voll <strong>und</strong> ganz in <strong>der</strong> allt‰glichen Lebenswelt, in <strong>der</strong> Gemeinde - an<br />

dem Ort, Ñwo Ges<strong>und</strong>heit von Menschen geschaffen <strong>und</strong> gelebt wirdì (Ottawa-Charter, zitiert<br />

nach BZgA 2003, S. 44).<br />

Diese R‰ume <strong>der</strong> allt‰glichen Lebenswelt sind schon l‰ngst besetzt von ÑUniverseller<br />

Prim‰rpr‰ventionì, von Maflnahmen <strong>der</strong> aktiven Gestaltung von Lebens-, Ar<strong>bei</strong>ts- <strong>und</strong><br />

Beziehungsverh‰ltnissen, die allen B¸rgern zugute kommen, die f¸r alle ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>nd,<br />

zumindest ges<strong>und</strong>heitserhaltend sind.<br />

Die allgemeine Pr‰ventionsdebatte <strong>und</strong> -Praxis hat sich hier, im Bereich <strong>der</strong> universellen<br />

Prim‰rpr‰vention, auf vier Fel<strong>der</strong> festgelegt:<br />

- Ges<strong>und</strong>e Ern‰hrung,<br />

- Bewegung,<br />

- Entspannung/Stressbew‰ltigung<br />

- <strong>und</strong> Suchtvorbeugung<br />

stehen auf <strong>der</strong> Agenda (<strong>und</strong> f¸r diese Zielfel<strong>der</strong> <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen bis zu 14<br />

Jahren wurde ja auch <strong>der</strong> diesj‰hrige Deutsche Pr‰ventionspreis ausgelobt; www.deutscherpraeventionspreis.de)<br />

Ich werde gleich nachzuweisen suchen, dass die Fˆr<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> seelischen Ges<strong>und</strong>heit zu<br />

Recht mit auf die Agenda, gehˆrt - <strong>und</strong> zwar nach ganz oben!<br />

Zun‰chst einmal ist festzustellen:<br />

mit dem Blick auf das grofle Publikum <strong>und</strong> <strong>der</strong> salutogenetischen Perspektive auf<br />

Ges<strong>und</strong>heitserhaltung <strong>und</strong> -Fˆr<strong>der</strong>ung gewinnen wir auf einmal wie<strong>der</strong> sicheren Boden unter<br />

1 Allerdings ist die strikte Trennung in spezifische <strong>und</strong> unspezifische Pr‰vention nicht mˆglich, wie <strong>der</strong><br />

Sachverst‰ndigenrat am Beispiel Tabakkonsum deutlich gemacht hat (RZ 121); ebenso kann aus Sicht des<br />

Sachverst‰ndigenrates Ñeine trennscharfe Unterscheidung zwischen Verhaltens- <strong>und</strong> Verh‰ltnispr‰vention<br />

irref¸hrend seinì (RZ 120)<br />

Bei <strong>der</strong> Planung von Pr‰ventionsmaflnahmen ist die Zieldefinition von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung; unter dem<br />

Gesichtspunkt des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ziele <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> angestrebten Effekte ist die Differenzierung in<br />

angestrebte Ver‰n<strong>der</strong>ungen <strong>bei</strong> dem Einzelnen einerseits, in angestrebte Ver‰n<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Umwelt - im Kontext -<br />

an<strong>der</strong>erseits sinnvoll.<br />

9


den F¸flen, aber daf¸r m¸ssen wir jetzt einen Begriff von Ges<strong>und</strong>heit gewinnen, <strong>der</strong> zudem<br />

auf die Fˆr<strong>der</strong>ung psychischer Ges<strong>und</strong>heit passt!<br />

Statt psychischer Krankheit - seelische Ges<strong>und</strong>heit<br />

Krankheit ist hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> besiegbar, chronische <strong>Erkrankungen</strong> kˆnnen <strong>und</strong> m¸ssen<br />

ertr‰glicher gestaltet werden <strong>und</strong> kˆnnen auch ¸berw<strong>und</strong>en werden -<br />

aber Ges<strong>und</strong>heit ist nicht beliebig herstellbar, sie lebt in den Ritzen <strong>und</strong> Nischen <strong>der</strong><br />

Lebenswelt, sie stellt sich <strong>bei</strong>l‰ufig her.<br />

Ges<strong>und</strong>heit ist ein Nebeneffekt - ein Nebeneffekt von<br />

Ich-St‰rke, <strong>Sinn</strong>haftigkeit, Genussf‰higkeit, erwartungssicherer Sozialstruktur,<br />

internaler Kontroll¸berzeugung, Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstgewissheit <strong>und</strong><br />

Selbstaufmerksamkeit, von Zuversicht <strong>und</strong> Optimismus, Neugierde auf das Leben, von<br />

aktivem Bew‰ltigungsverhalten; Ges<strong>und</strong>heit ist das Ergebnis eines positiven<br />

Selbstbildes <strong>der</strong> eigenen Handlungsf‰higkeit.<br />

Dies bitte als Kasten setzen, da darauf weiter unten Bezug genommen wird! Titel des<br />

Kastens: ÑProtektive Ges<strong>und</strong>heitsfaktorenì<br />

Dies ist eine Aufz‰hlung aus B¸chern zu nachgewiesenen ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>lichen bzw.<br />

-erhaltenden protektiven Faktoren, die u.a. auch in die Vorschlagsliste von Indikatoren f¸r<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung eingegangen sind (Walter & Schwarz in: BZgA 2003, S. 112)<br />

Psychische Ges<strong>und</strong>heit ist zudem ein Nebeneffekt des Koh‰renzgef¸hls nach Antonovsky<br />

(siehe die Meta-Analyse zu Untersuchungen zum Koh‰renzgef¸hl in Bengel et al. 2001, S.<br />

44f):<br />

Das Koh‰renzgef¸hl ist Ñeine globale Orientierung, die das Ausmafl ausdr¸ckt, in dem<br />

jemand ein durchdringendes, ¸berdauerndes <strong>und</strong> dennoch dynamisches Gef¸hl des<br />

Vertrauens hat, dass erstens die Anfor<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong> inneren o<strong>der</strong> ‰ufleren<br />

Erfahrungswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar <strong>und</strong> erkl‰rbar sind <strong>und</strong><br />

dass zweitens Ressourcen verf¸gbar sind, die nˆtig sind, um den Anfor<strong>der</strong>ungen gerecht<br />

zu werden. Und drittens, dass diese Anfor<strong>der</strong>ungen Herausfor<strong>der</strong>ungen sind, die<br />

Investitionen <strong>und</strong> Engagement verdienenì (Antonowsky 1993, S. 12; ‹bersetzung<br />

durch Franke & Broda 1993)<br />

Wen von uns erinnert das nicht an das ber¸hmte Zitat von Manfred Bleuler in seinem Brief<br />

vom 18.2.1984 an Klaus Dˆrner:<br />

ÑNach unserem heutigen Wissen bedeutet Schizophrenie in den meisten F‰llen die<br />

beson<strong>der</strong>e Entwicklung, den beson<strong>der</strong>en Lebensweg eines Menschen unter beson<strong>der</strong>s<br />

schwierigen inneren <strong>und</strong> ‰ufleren disharmonischen Bedingungen, welche Entwicklung<br />

einen Schwellenwert, einen Ñpoint of no returnì ¸berschritten hat, nach welchem die<br />

Konfrontation <strong>der</strong> persˆnlichen inneren Welt mit <strong>der</strong> Realit‰t <strong>und</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

zur Vereinheitlichung zu schwierig <strong>und</strong> zu schmerzhaft geworden ist <strong>und</strong> aufgegeben<br />

wurdeì<br />

Das heute in <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung gel‰ufige SAR-Modell (das systemische<br />

Anfor<strong>der</strong>ungs-Ressourcen-Modell) formuliert das Ganze einfacher:<br />

10


ÑDie Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen h‰ngt davon ab, wie gut es diesem gelingt, externe<br />

<strong>und</strong> interne Anfor<strong>der</strong>ungen mithilfe externer <strong>und</strong> interner Ressourcen zu bew‰ltigen.ì<br />

(BZgA 2003, S. 13).<br />

ÑExterne Anfor<strong>der</strong>ungenì sind die Lebens- <strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen,<br />

Ñinterne Anfor<strong>der</strong>ungenì resultieren aus den Bed¸rfnissen, Zielen, <strong>und</strong> Werten:<br />

- Ern‰hrung, ausreichen<strong>der</strong> Schlaf, Sexualit‰t, Bewegung (physiologische Bed.);<br />

- Selbstverwirklichung, Orientierung <strong>und</strong> Sicherheit, Bildung, Bindung <strong>und</strong> Achtung<br />

(ÑBed¸rfnisse nach Erk<strong>und</strong>ung <strong>der</strong> Umwelt <strong>und</strong> des Selbstì; BZgA,S. 13<br />

Diese Kernaussagen kˆnnen f¸r Pr‰vention <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung generell <strong>und</strong> f¸r<br />

psychiatrische Pr‰vention sowie die Fˆr<strong>der</strong>ung seelischer Ges<strong>und</strong>heit speziell zu einem<br />

theoretisch <strong>und</strong> praktisch begr¸ndeten, aber dennoch recht einfachen Modell<br />

zusammengefasst werden:<br />

intern,<br />

personell*<br />

extern,<br />

kontextuell*<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen** Ressourcen**<br />

I II<br />

III IV<br />

Alles, was <strong>der</strong> Passung von Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Ressourcen dient, fˆr<strong>der</strong>t die Ges<strong>und</strong>heit!<br />

Dass sich die intern-personelle <strong>und</strong> extern-kontextuelle Ebene unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong><br />

Wirkung wechselseitig beeinflussen versteht sich von selbst, gehˆrt dies doch zu den<br />

Gr<strong>und</strong>festen (nicht nur sozial)psychiatrischen Denkens:<br />

psychische <strong>Erkrankungen</strong> sind in <strong>der</strong> Genese, im Verlauf <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Behandlung sowie in <strong>der</strong><br />

subjektiven Eigenverar<strong>bei</strong>tung nicht vom sozialen Kontext zu trennen, <strong>und</strong> damit ist das<br />

Modell auch belastbar f¸r die Spezifik seelischer Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> psychiatrischer<br />

<strong>Erkrankungen</strong>.<br />

Das Modell entspricht auch den Gr<strong>und</strong>maximen <strong>der</strong> ICF, die f¸r den Sektor Behin<strong>der</strong>ung <strong>und</strong><br />

Rehabilitation entwickelt wurde - womit die terti‰re Pr‰vention einbezogen ist.<br />

In <strong>der</strong> ICF wird die Funktionsf‰higkeit (auf den Ebenen Kˆrperfunktionen, Kˆrperstrukturen,<br />

Aktivit‰ten <strong>und</strong> Partizipation/Teilhabe) als eine Funktion des Ges<strong>und</strong>heitsproblems <strong>und</strong> den<br />

intern-personellen sowie extern-kontextuellen Faktoren (die dort <strong>bei</strong>de lei<strong>der</strong> als<br />

Kontextfaktoren bezeichnet werden) betrachtet.<br />

Auflerdem wird in Fˆr<strong>der</strong>faktoren <strong>und</strong> Barrieren unterschieden, die die Funktionsf‰higkeit<br />

(dort ist die Rede von Ñfunktionaler Ges<strong>und</strong>heitì) beeinflussen.<br />

In <strong>der</strong> salutogenetischen Diskussion werden die Anfor<strong>der</strong>ungen (im Anschluss an Lazarusí<br />

Stresstheorie) vornehmlich als ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>nde Herausfor<strong>der</strong>ungen angesehen, die erst<br />

<strong>bei</strong> nicht ausreichenden Ressourcen zu Belastungen, d.h. zu Barrieren werden.<br />

Ob eine Anfor<strong>der</strong>ung ein Fˆr<strong>der</strong>faktor o<strong>der</strong> eine Barriere ist,<br />

entscheidet sich an den verf¸gbaren Ressourcen.<br />

Daher kˆnnen personenbezogene Fˆr<strong>der</strong>faktoren <strong>und</strong> Barrieren nicht in<br />

epidemiologischen Untersuchungen,<br />

son<strong>der</strong>n nur in <strong>der</strong> konkreten Lebenswelt <strong>der</strong> Menschen gef<strong>und</strong>en werden -<br />

<strong>und</strong> sie kˆnnen auch nur dort beeinflusst werden.<br />

11


Trotz seiner verbl¸ffenden Einfachheit bildet das Modell wesentliche Dimensionen des<br />

Krankheits-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Teilhabe/Behin<strong>der</strong>ungsverst‰ndnisses ab, <strong>und</strong> es orientiert<br />

unsere Aufmerksamkeit auf aktive Anpassung, auf Belastungs/Anfor<strong>der</strong>ungsreduktion <strong>und</strong><br />

Ressourcenentwicklung - anstatt alle Hoffnungen auf das Heil aus wirksamen Heilmitteln,<br />

den sog. Ñmagic bulletsì zu setzen.<br />

intern,<br />

personell<br />

extern,<br />

kontextuell<br />

Prof. Dr. R. Peukert<br />

Pr‰ventive Aktivit‰ten:<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

Welche<br />

Fˆr<strong>der</strong>faktoren<br />

kˆnnen gest‰rkt ñ<br />

welche Barrieren<br />

kˆnnen beseitigt,<br />

bzw. welche III<br />

Belastungen<br />

kˆnnen reduziert<br />

werden?<br />

Fr¸he Investition - potenzierter Gewinn!<br />

I<br />

Ressourcen<br />

II<br />

Welche Ressourcen<br />

kˆnnen unterst¸tzt<br />

werden?<br />

IV<br />

Welche Ressourcen<br />

kˆnnen unterst¸tzt<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> bereit<br />

gestellt werden?<br />

Mit <strong>der</strong> salutogenetischen Perspektive d¸rfen wir es sogar wagen, die Prim‰rpr‰vention<br />

seelischer Stˆrungen (nicht die psychiatrische Pr‰vention!) noch viel fr¸her als die<br />

Fr¸herkennungsprojekte anzusetzen <strong>und</strong> so unseren Interventionspunkt noch viel weiter nach<br />

vorn zu verlegen: in die ganz fr¸he Kindheit, o<strong>der</strong> gar in die pr‰natale Phase.<br />

Lemp, Ciompi <strong>und</strong> viele An<strong>der</strong>e haben uns gelehrt, dass psychische <strong>Erkrankungen</strong> auch aus<br />

ganz minimalen pr‰-, peri- o<strong>der</strong> postnatalen Sch‰digungen herauswachsen, die zun‰chst zu<br />

Kommunikationsstˆrungen <strong>und</strong> sozialem R¸ckzugsverhalten veranlassen, was wie<strong>der</strong>um die<br />

kognitive <strong>und</strong> emotionale Anpassungsf‰higkeit schw‰cht, woraus weitere Kommunikations-<br />

<strong>und</strong> soziale Stˆrungen bis hin zu Auff‰lligkeiten resultieren <strong>und</strong> so weiter.<br />

Das w‰ren dann wohl ganz fr¸he Ñsubkutanen Prodromalzust‰ndeì.<br />

Es scheint erwiesen, dass geringf¸gige Hirnsch‰digungen den Ausgangspunkt dieser<br />

Entwicklung bilden.<br />

Schon die Enquete sprach davon, dass Ñden pr‰ventiven Bem¸hungen in <strong>der</strong> Kindheit eine<br />

ausgesprochene Vorrangstellungì zukomme (Enquete S. 392), <strong>und</strong> das sehen heute wohl alle<br />

so - nat¸rlich auch die Krankenkassen: ÑKin<strong>der</strong>n als Zielgruppe kommt wegen <strong>der</strong><br />

Langzeitwirkung <strong>und</strong> dem Zukunftsaspekt eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zuì (Rebscher in: Der<br />

Gelbe Dienst 5/2004, S. 129).<br />

12


So gesehen ist Pr‰vention in <strong>der</strong> Kindheit ist eine fr¸he Investition - Ñmit einer sich<br />

potenzierenden Rendite!ì<br />

Auch im B<strong>und</strong>esprojekt ÑGes<strong>und</strong>heitsziele.deì wurde gerade die fr¸he Kindheit als<br />

Interventionsfeld f¸r fr¸he Ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>ung priorisiert, um ihnen einen ges<strong>und</strong>en Start<br />

ins Leben zu ermˆglichen, <strong>und</strong> es wurden bereits eine Reihe von Maflnahmevorschl‰gen<br />

gemacht, die aus Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrischer Sicht erg‰nzt werden kˆnnen.<br />

(Siehe den Beitrag von Fegert in diesem Band)<br />

Die Autoren <strong>der</strong> Enquete sprachen von ÑGr<strong>und</strong>bed¸rfnissen im psycho-sozialen Bereichì,<br />

wo<strong>bei</strong> ÑDisfuktionenì zu <strong>psychischen</strong> Stˆrungen f¸hren kˆnnten; daher sei die Sicherung<br />

dieser Gr<strong>und</strong>bed¸rfnisse Prim‰rpr‰vention: ÑDazu gehˆrt das Bed¸rfnis nach Geborgenheit,<br />

nach best‰ndigen <strong>und</strong> strukturierten Kontakten zu festen Bezugspersonen, nach ausreichen<strong>der</strong><br />

affektiver Bindung <strong>und</strong> intellektueller <strong>und</strong> p‰dagogischer Anregungì (Enquete S. 386).<br />

Seit diese Aussagen erstmals formuliert wurden hat sich - dank <strong>der</strong> Kleinkindforschung -<br />

unser Wissen ¸ber die f<strong>und</strong>amentale Bedeutung dieser Bed¸rfnisse vervielfacht.<br />

Dann w‰ren also die kindlichen Gr<strong>und</strong>bed¸rfnisse das vorrangige Investitionsobjekt.<br />

‹brigens hat bereits die Enquete daraus die For<strong>der</strong>ung abgeleitet, Ñdie Anwesenheit <strong>der</strong><br />

Mutter (o<strong>der</strong> einer die Mutter voll ersetzenden Bezugsperson, so auf S. 388, R.P.) Ö<br />

wenigstens in den ersten Entwicklungsjahren zu sichernì (S. 389) - also die kontextbezogenen<br />

Ressourcen zu st‰rken.<br />

Somit ist Familienpolitik universelle Prim‰rpr‰vention: Mutterschutz, Erziehungszeiten etc.<br />

Die vorher angesprochenen geringf¸gigen <strong>und</strong> potentiell pathogenen Hirnsch‰digungen<br />

kˆnnten qua Hirnscreenings identifiziert werden, um auf die Folgeprozesse einzuwirken.<br />

Ich mˆchte es nur als Frage formulieren: sollten wir uns f¸r fr¸hkindliche Hirnscreenings<br />

als universeller Prim‰rpr‰vention einsetzen - <strong>bei</strong> allen Babys, o<strong>der</strong> im <strong>Sinn</strong>e <strong>der</strong> indizierten<br />

Prim‰rpr‰vention nach Risikogeburten?<br />

Seelisch ges¸n<strong>der</strong> Leben bedeutet, ¸berhaupt seltener krank werden!<br />

Weiter oben wurde behauptet, dass Pr‰vention psychischer <strong>Erkrankungen</strong> bzw. seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit mit auf die Agenda <strong>der</strong> Pr‰ventionsdebatte <strong>und</strong> -Praxis gehˆrt, neben Ern‰hrung,<br />

Bewegung, Entspannung <strong>und</strong> Sucht.<br />

Betrachten wir die Liste <strong>der</strong> protektiven Ges<strong>und</strong>heitsfaktoren mit dem Ñpsychiatrischen<br />

Blickì sehen wir: <strong>bei</strong> <strong>psychischen</strong> Stˆrungen ist genau das gestˆrt, was <strong>bei</strong>l‰ufig generell<br />

Ges<strong>und</strong>heit generiert!<br />

Dies bedeutet nicht mehr <strong>und</strong> nicht weniger: Das Einwirken auf diese f¸r seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit f<strong>und</strong>amentalen Faktoren hat ÑGeneral-Pr‰ventiven Charakterì, denn es bedeutet,<br />

dass seelische Ges<strong>und</strong>heit - Ges<strong>und</strong>heit generell fˆr<strong>der</strong>t!<br />

F¸r den Faktor Koh‰renz legen dies internationale Forschungen mit dem ÑSOC-Fragebogenì<br />

nahe (‹bersicht <strong>der</strong> Studien <strong>und</strong> Fragebogen in: Bengel et al.2001 S. 115ff), <strong>und</strong> in Baduras<br />

Studie zur Terti‰r-Pr‰vention (Badura 1985) hat sich Selbstvertrauen <strong>und</strong><br />

Kontroll¸berzeugung (gemessen mit dem Paerin-Fragebogen) als Indikator f¸r erfolgreiches<br />

Leben sowie Krankheitsbew‰ltigung empirisch erwiesen.<br />

Weil das so ist, gehˆrt die Fˆr<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> seelischen Ges<strong>und</strong>heit ganz oben auf die Agenda!<br />

13


Das hat <strong>bei</strong> <strong>der</strong> anstehenden Diskussion zur Priorisierung von Pr‰ventionsleistungen<br />

Konsequenzen:<br />

Pr‰ventionsmaflnahmen f¸r seelische Ges<strong>und</strong>heit haben hˆchste Priorit‰tsstufe!<br />

Antonowsky selbst ging bekanntlich davon aus, dass die Beeinflussung dieser f¸r seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit generell f<strong>und</strong>amentalen Faktoren - wenn ¸berhaupt - nur sehr<br />

begrenzt mˆglich seien; die Projekte <strong>der</strong> BZgA ÑKin<strong>der</strong> stark machenì - gemeint als<br />

Suchtpr‰vention - haben hier den Beweis angetreten: die internen, personenbezogenen<br />

protektiven Faktoren, also die Ñinternen Ressourcenì, haben sich als gr<strong>und</strong>s‰tzlich positiv<br />

beeinflussbar erwiesen.<br />

Das ÑInterventionsparadox <strong>der</strong> Pr‰ventionì:<br />

Intervention o<strong>der</strong> behutsame Pflege <strong>der</strong> allt‰glichen Lebenswelt?<br />

Allerdings sind eingreifende Beeinflussungsversuche zu meiden, sie kˆnnten in das<br />

ÑInterventionsparadox <strong>der</strong> Pr‰ventionì f¸hren!<br />

In <strong>der</strong> Liste ist ein Kontext-Faktor eingestreut, <strong>der</strong> im Schaubild xxxx ins Feld IV<br />

(kontextuelle Ressourcen) gehˆrt: die Ñerwartungssichere Sozialstrukturì, die an <strong>der</strong><br />

Herausbildung <strong>der</strong> intern-personalen Faktoren nachweislich beteiligt ist.<br />

Die Integration in funktionierende soziale Netzwerke hat sich - wissenschaftlich erwiesen -als<br />

<strong>der</strong> salutogenetische Wirkfaktor Nr. 1 herausgestellt (u.a. Bauch & Bartsch in: Pr‰vention<br />

1/2003):<br />

Da<strong>bei</strong> geht es um die Integration in lebenswelt-allt‰glich erlebte Bindungsstrukturen, <strong>und</strong><br />

nicht in Hilfenetzwerke, die <strong>bei</strong> <strong>Erkrankungen</strong> kriterial sind.<br />

Schon die Autoren <strong>der</strong> Bibel wussten um die bindende Kraft des Miteinan<strong>der</strong>:<br />

ÑZweie sind besser dran als nur einer, denn Ö fallen sie, so hilft <strong>der</strong> eine dem an<strong>der</strong>en auf.<br />

Dolch wehe dem einzelnen, wenn er f‰llt <strong>und</strong> kein an<strong>der</strong>er da ist, ihm aufzuhelfen. Und liegen<br />

zwei <strong>bei</strong>einan<strong>der</strong>, so haben sie warm; wie aber kˆnnte einer allein erwarmen?ì (Prediger 4, 9 -<br />

11)<br />

Gut gemeinte pr‰ventive Strategien kˆnnten nun dazu f¸hren, dass gerade dies unterminiert<br />

wird: <strong>der</strong> pr‰ventionsmotivierte, rationalisierende Eingriff in guter Absicht nimmt dem<br />

allt‰glichen Soziotop seine Unmittelbarkeit einer naturhaft erlebten, entt‰uschungsfesten<br />

Sozialform; so kˆnnte genau das verloren gehen, was ihn zum Ort von Ges<strong>und</strong>heit gemacht<br />

hatte.<br />

Wie kann das ÑInterventionsparadox <strong>der</strong> Pr‰ventionì umschifft werden?<br />

Anstatt zu intervenieren w‰re die nat¸rliche Lebenswelt vor sozialmanipulativen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong><br />

interventionistischen Zugriffen zu sch¸tzen; statt dessen w‰ren in <strong>der</strong> allt‰gliche Lebenswelt<br />

<strong>der</strong> Menschen die salutogenen Figurationen aufzusp¸ren - die dann beson<strong>der</strong>s gehegt <strong>und</strong><br />

gepflegt werden sollten.<br />

Um im Bild zu bleiben: Naturhaftes G‰rtnern statt Rollrasen - das ist <strong>der</strong> Ratschlag.<br />

Angesichts des Leidensdrucks, <strong>der</strong> von psychischer Erkrankung ausgeht, ist diese Sichtweise<br />

gewˆhnungsbed¸rftig, <strong>und</strong> diese ‹berlegungen kˆnnten Angehˆrige psychisch kranker<br />

Menschen aggressiv machen: sie sind die tag-t‰glich Mit-Leidenden.<br />

14


Deshalb sei daran erinnert: wir befinden uns im Vorfeld, noch weit weg von seelischen<br />

Stˆrungen, dort, wo unsere ÑZielpersonenì keineswegs psychisch krank sind <strong>und</strong> wir deshalb<br />

auch gut beraten sind, symptom‰hnliches Verhalten nicht ¸berzuinterpretieren - um <strong>der</strong><br />

Gefahr <strong>der</strong> therapeutischen ‹berreaktion zu entgehen (Elzer in: Mauthe Hrsg. 2001, S. 11) -<br />

gleichzeitig m¸ssen wir uns allerdings auch vor <strong>der</strong> Gefahr des Verleugnens <strong>und</strong> Ignorierens<br />

von Fr¸hsymptomen sch¸tzen.<br />

Ein Beispiel f¸r das Aufsp¸ren salutogener Figurationen <strong>und</strong> <strong>der</strong> behutsamer g‰rtnerischer<br />

Pflege des Soziotops mˆchte ich anf¸hren.<br />

Kin<strong>der</strong> psychisch kranker Eltern werden h‰ufiger selbst psychisch krank als an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong>,<br />

(erhˆhtes Krankheitsrisiko - also: Kandidat f¸r selektive Prim‰rpr‰vention).Viele dieser<br />

Kin<strong>der</strong> bleiben nicht nur ges<strong>und</strong>, son<strong>der</strong>n entwickeln hohe soziale Kompetenzen.<br />

Inzwischen ist es evidenzbasiert (empirisch abgesichert), dass die enge <strong>und</strong> tragende<br />

Beziehung zu einer stabilen Bezugsperson salutogen wirkt - sozusagen als kleines<br />

funktionierendes soziales Netwerk.<br />

An<strong>der</strong>s ausgedr¸ckt: die internen-personellen Ressourcen werden gest¸tzt, indem von den<br />

intra-personellen Anfor<strong>der</strong>ungen das Bed¸rfnis des Kindes nach erwartungssicherer Bindung<br />

unmittelbar befriedigt wird.<br />

Die vorgeschlagene Ñbehutsame Pflege des Soziotopsì, also <strong>der</strong> pr‰ventive Beitrag, w¸rde<br />

hier bedeuten, die Bindungssicherheit gebenden Personen von l‰sslichen an<strong>der</strong>en<br />

Verpflichtungen zu befreien, z.B. durch die Bezahlung einer Haushaltshilfe o<strong>der</strong> durch<br />

nachbarschaftliche Hilfe.<br />

Es w¸rde also das Intervention-Feld IV betreten <strong>und</strong> kontextuelle Ressourcen bereitgestellt.<br />

In <strong>der</strong> Taxonomie von Pr‰ventionsmaflnahmen w‰re das selektive bzw. indizierte<br />

Prim‰rpr‰vention (letzteres, wenn man dem genetischen Faktor grˆfleres Gewicht<br />

<strong>bei</strong>messen wollte).<br />

Bei einem Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> reichten aus welchen Gr¸nden auch immer die protektiven<br />

Faktoren nicht aus, <strong>und</strong> auch die propagierte behutsame Pflege war o<strong>der</strong> ist aus Gr¸nden <strong>der</strong><br />

Familienkonstellation nicht mˆglich.<br />

Diese Kin<strong>der</strong> w¸rden zus‰tzliche Hilfe benˆtigen, hier w‰re die Jugendhilfe <strong>und</strong> die<br />

spezifische Kompetenz <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie gefor<strong>der</strong>t.<br />

Die erfor<strong>der</strong>lichen Maflnahmen sollten schon dann eingeleitet werden, solange sie noch als<br />

indizierte Prim‰rpr‰vention mˆglich sind - sich also noch keine psychische Erkrankung <strong>bei</strong><br />

dem Kind eingestellt hat <strong>und</strong> dann nur noch sek<strong>und</strong>‰r-pr‰ventiv gehandelt werden kann!<br />

(siehe u.a. Mattejat es al.1998 <strong>und</strong> Schone et al. 2002).<br />

Welche Lehren kˆnnen aus dem Beispiel gezogen werden?<br />

1. Prim‰r- vor Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention.<br />

Das Beispiel hat uns aber auch gelehrt:<br />

Ob im Einzelfall prim‰r- o<strong>der</strong> sek<strong>und</strong>‰r-pr‰ventive Maflnahmen indiziert sind, h‰ngt von den<br />

Lebensumst‰nden ab, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt:<br />

2. Prim‰r- <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>‰r-pr‰ventive Maflnahmen d¸rfen nicht gegeneinan<strong>der</strong><br />

ausgespielt werden!<br />

Und noch etwas haben wir gelernt:<br />

3. Bereits die Prim‰rpr‰vention psychischer <strong>Erkrankungen</strong> bedarf sowohl sektor- <strong>und</strong><br />

bereichs¸bergreifen<strong>der</strong>, als auch die einzelnen Sozialsysteme integrierende<br />

Kooperationen.<br />

15


Zwischenrede: Integration <strong>der</strong> Hilfen ist Pr‰vention<br />

Das Erfor<strong>der</strong>nis sektor-, bereichs- <strong>und</strong> die einzelnen Sozialsysteme ¸bergreifen<strong>der</strong> Integration<br />

gehˆrt heute f¸r Sek<strong>und</strong>‰r- <strong>und</strong> Terti‰rpr‰vention zum 1 X 1 <strong>der</strong> Psychiatrie!<br />

Wesentlichen Belastungen erfolgen an den Schnittstellen des Versorgungssystems, womit<br />

Risiken zur Verschlechterung des Ges<strong>und</strong>heitszustandes einhergehen (Kunze 2002; Cording<br />

et al. 1988; Kissling 1994; Roick et al. 2001). Weil das so ist, sind alle Formen integrierter<br />

<strong>und</strong> personenzentrierter Hilfeorganisation zugleich sek<strong>und</strong>‰r- bzw. terti‰r-pr‰ventiv - sei es<br />

die integrierte Hilfeplanung, die Integration <strong>der</strong> Angebote in Verb¸nden mit<br />

Versorgungsverpflichtung o<strong>der</strong> seien es solche Modelle <strong>der</strong> Integrierten Versorgung, die sich<br />

¸ber den Krankenkassen-, den Renten-, <strong>und</strong> den BSHG-Bereich erstrecken - also die<br />

Mˆglichkeiten des ß 140 in die Verb<strong>und</strong>struktur integrieren.<br />

Gemeindepsychiatrische Prim‰rpr‰vention: die Funktion <strong>der</strong> PSKBs<br />

Soziale Netze wirken protektiv bzw. salutogen; aber Menschen mit eher niedrigem<br />

Selbstwertgef¸hl <strong>und</strong> schw‰cherer sozialer Kompetenz haben weniger bis keine Netzwerke<br />

(Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 325) - <strong>und</strong> <strong>bei</strong> Menschen mit <strong>psychischen</strong> Stˆrungen<br />

potenziert sich dies!<br />

Ein Sachverhalt wie<strong>der</strong>holt sich: Gerade das, was protektiv wirken kˆnnte, scheint gestˆrt<br />

o<strong>der</strong> wird durch die Erkrankung gestˆrt.<br />

Um sich diesem Problem zu n‰hern hat die Gemeindepsychiatrie ein Angebot hervor<br />

gebracht: die Psychosozialen Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellen (PSKB).<br />

PSKBs erf¸llen ihre Funktion nur, soweit sie diese nat¸rlichen soziale Netze nicht zu ersetzen<br />

suchen, son<strong>der</strong>n alles Erdenkliche tun, um Psychiatrie-Erfahrene o<strong>der</strong> von ÑPsychiatrie-<br />

Erfahrung Bedrohteì in die nat¸rliche Lebenswelt zu integrieren.<br />

ÑSie bindet die Kranken nicht an Institutionen <strong>und</strong> Therapeuten, sie verbindet sie mit<br />

dem Leben, dem normalen Lebensraum <strong>und</strong> den normalen Lebensbeziehungenì (Gr¸fl<br />

in: Thom u.a. 1990, S. 381)<br />

ÑDieser Gedanke (den an Schizophrenie Erkrankten an <strong>der</strong> Gemeinschaft teilhaben zu<br />

lassen, R.P.) <strong>bei</strong>nhaltet, dass alle pr‰ventiven Maflnahmen gemeindenah (d.h.<br />

b¸rgernah) eingerichtet werden m¸ssen, <strong>und</strong> dies nicht als ideologischen o<strong>der</strong><br />

humanit‰ren Gr¸nden, son<strong>der</strong>n weil die Gemeinden‰he die einzige Mˆglichkeit <strong>der</strong><br />

Bindung ans Normale, ans allt‰gliche, an das, was wir Wirklichkeit nennen, ist<br />

(Normalisierung)ì (Dˆrner & Ploog 1984, S. 178).<br />

Da<strong>bei</strong> m¸ssen Sie mit dem Dilemma umgehen, dass das nur in dem Mafle geht, wie sie - die<br />

Mitar<strong>bei</strong>ter selbst <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ort - als Sicherheit vermittelndes Netz erfahren werden.<br />

F¸r diese Aufgabe haben die Mitar<strong>bei</strong>terinnen <strong>und</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter gelernt, wie sie mit ‰uflerst<br />

vorsichtigen <strong>und</strong> erwartungsunsicheren Menschen, die ihrer sozialen Netze verlustig zu gehen<br />

drohen o<strong>der</strong> sie bereits verloren haben, Kontakt aufnehmen <strong>und</strong> halten kˆnnen:<br />

sie betrachten die Besucher ohne jedes (Eigen- o<strong>der</strong> Fremd)-Interesse, um ihnen eine<br />

Kontaktaufnahme zu ermˆglichen; <strong>der</strong> Gedanke an zu besetzende Pl‰tze im Betreuten<br />

Wohnen o<strong>der</strong> daran, dass das Hilfesystem bereits ausgereizt ist, zerstˆren die f¸r<br />

diesen Ort genuienen Chancen,<br />

16


sie stellen ihre Hilfebereitschaft zur Verf¸gung, <strong>und</strong> gerade nicht selbstaktive o<strong>der</strong><br />

intervenierende Hilfeleistungen; sie sind eher erwartungsfrei anwesend als zugehend,<br />

sie sind aufmerksam abwartend, ob <strong>und</strong> wie sie von den Vor<strong>bei</strong>kommenden in<br />

Anspruch genommen werden.<br />

(Neben<strong>bei</strong> bemerkt: trotz <strong>der</strong> Abkoppelung von Umfang <strong>und</strong> Art <strong>der</strong> Nachfrage sitzt dort<br />

niemals eine Mitar<strong>bei</strong>terin / ein Mitar<strong>bei</strong>ter unbesch‰ftigt herum: die Psychosoziale Kontakt-<br />

<strong>und</strong> Beratungsstelle gehˆrt zu einem Psychosozialen Zentrum, in dem sich alle Mitar<strong>bei</strong>ter in<br />

die verschiedenen Funktionen teilen!).<br />

So erh‰lt die PSKB als ‹bergangsraum zur allgemeinen ÷ffentlichkeit die Funktion einer<br />

tats‰chlich nie<strong>der</strong>schwelligen Anlaufstelle, die man <strong>und</strong> frau aufsuchen kann, ohne sich als<br />

potentiell o<strong>der</strong> faktisch psychisch krank auszuweisen ñ aber man kann auch das, <strong>und</strong> dieses<br />

Nebeneinan<strong>der</strong> macht ihre Funktionalit‰t aus:<br />

Man kann hereinschnuppern, egal wie ges<strong>und</strong> o<strong>der</strong> krank man bzw. frau sich f¸hlt; man kann<br />

sich pr‰sentieren ñ o<strong>der</strong> es auch lassen; man kann sich informieren ñ man kann aber auch nur<br />

selbst passiv anwesend sein.<br />

Man kann neben Quatschen, Tee-Trinken <strong>und</strong> Keksen-Essen das Gespr‰ch mit<br />

hochkompetenten Anwesenden suchen ñ um z.B. ganz vorsichtig herauszufinden, ob man<br />

weitergehende Hilfe in Anspruch nehmen sollte o<strong>der</strong> nicht, ob man Beratung, Diagnostik,<br />

Behandlung, Rehabilitation o<strong>der</strong> Hilfen zur Teilhabe anstreben mˆchte, <strong>und</strong> die PSKB-<br />

Mitar<strong>bei</strong>terinnen <strong>und</strong> -Mitar<strong>bei</strong>ter erkl‰ren sich daf¸r verantwortlich, gew¸nschte <strong>und</strong><br />

erfor<strong>der</strong>liche Hilfen zug‰nglich zu machen.<br />

In <strong>der</strong> PSKB kann also, wenn es <strong>der</strong> Besucher will <strong>und</strong> es sich als sinnvoll herausstellt, von<br />

<strong>der</strong> selektiven <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> indizierten Prim‰rpr‰vention in <strong>der</strong> Psychosozialen Kontaktstelle<br />

flexibel zur Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention ¸bergegangen werden.<br />

In diesen Bedarfssituationen kˆnnten von <strong>der</strong> PSKB als integralem Bestandteil eines<br />

Gemeindepsychiatrischen Verb<strong>und</strong>es weitere Hilfen passgenau, f¸r den bzw. die Besucherin<br />

transparent <strong>und</strong> partizipativ, <strong>und</strong> vor allem auch kurzfristig aktiviert werden.<br />

Beil‰ufig erweisen sich die PSKBs damit als eine Spielart <strong>der</strong> Fr¸herkennung,<br />

Fr¸hbetreuung <strong>und</strong> Fr¸hbehandlung.<br />

PSKBs kˆnnen zudem das Ñinverse Versorgungsgesetzì konterkarieren.<br />

Das Gesetz besagt, dass <strong>bei</strong> den Menschen die geringsten Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

Pr‰ventionsleistungen ankommen, die sie am nˆtigsten h‰tten.<br />

Die PSKBs bauen gerade nicht auf die mittelschicht-spezifische Aufkl‰rung, nicht auf Info-<br />

Brosch¸ren o<strong>der</strong> Vortr‰ge; sie sp¸ren den subjektiv erlebten Belastungssituationen <strong>und</strong><br />

Ressourcen <strong>der</strong> Besucher in allt‰glicher Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion nach, in den eigenen<br />

R‰umen <strong>und</strong> an den Orten <strong>der</strong> allt‰glichen Lebenswelt, in die sie die Besucher zu integrieren<br />

suchen!<br />

Das ist nie<strong>der</strong>schwellige Prim‰rpr‰vention, die ihren Preis hat <strong>und</strong> ihren Preis wert ist.<br />

Wir haben zu fragen, warum sie <strong>bei</strong> dieser zentralen Funktion in <strong>der</strong> Pr‰vention psychischer<br />

<strong>Erkrankungen</strong> nicht l‰ngst vˆllig selbstverst‰ndlich aus Mitteln <strong>der</strong> Sozialversicherungen<br />

finanziert werden - wo doch schon vor 30 Jahren in <strong>der</strong> Enquete gefor<strong>der</strong>t wurde:Ö<br />

Ñ Ö 5. Ausbau gemeindenaher psychiatrischer <strong>und</strong> psychotherapeutischer Dienste mit <strong>der</strong><br />

Teilaufgabe Pr‰ventionì<br />

(Enquete S. 393)<br />

17


Zur Finanzierung sei Dr. hc. Herbert Rebscher, <strong>der</strong> stellvertretende DAK-<br />

Vorstandsvorsitzende, zitiert (Der Gelbe Dienst vom 12.03.04, S. 5):<br />

ÑImmer dann, wenn <strong>der</strong> Focus auf individuell erreichbare Personen gerichtet ist <strong>und</strong> die<br />

Ursache/Wirkungsbeziehung (auf) die Vermeidung nachfolgen<strong>der</strong> Krankheiten, auch die<br />

Minimierung <strong>der</strong>en Risikopotentiale, ist die Krankenversicherung auch im finanziellen<br />

Obligo.ì<br />

Bleibt nur zu erg‰nzen: wie <strong>bei</strong> an<strong>der</strong>en Maflnahme <strong>der</strong> Prim‰rpr‰vention auch w‰re die<br />

Leistungsbereitschaft <strong>der</strong> ÑPsychosozialen Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellenì pauschal zu<br />

finanzieren, <strong>und</strong> zwar unabh‰ngig von Umfang <strong>und</strong> Art <strong>der</strong> je aktuellen Nachfrage, denn<br />

darauf beruht ihre spezifische Funktionalit‰t <strong>und</strong> Wirksamkeit!!<br />

Settings -<br />

R‰ume universeller Prim‰rpr‰vention psychischer <strong>Erkrankungen</strong> I<br />

Weiter oben wurde betont: Die Identifikation <strong>und</strong> Beeinflussen von Barrieren <strong>und</strong><br />

Fˆr<strong>der</strong>faktoren sowie <strong>der</strong> Ressourcen kann nur in <strong>der</strong> konkreten Lebenswelt erfolgen.<br />

Die allt‰gliche Lebenswelt ist strukturiert, sie setzt sich aus sozialen R‰umen zusammen, in<br />

denen wir jeweils mit Mitmenschen zusammen leben.<br />

Die WHO hat unter <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsperspektive f¸r diese einzelnen Sozialr‰ume den Begriff<br />

ÑSettingì eingef¸hrt, <strong>der</strong> f¸r Pr‰vention von zunehmen<strong>der</strong> Bedeutung ist, auch in <strong>der</strong><br />

b<strong>und</strong>esrepublikanischen Diskussion.<br />

Unter einem Setting versteht die WHO ÑÖ the place or social context in which people<br />

engage in daily activities, in which environmental, organisational and personal factors interact<br />

to effect health and well-<strong>bei</strong>ngì (Health Promotion Glossary <strong>der</strong> WHO)<br />

Schulen, Betriebe, Elternhaus, Freizeiteinrichtungen wie Sportvereine, Stadtteile o<strong>der</strong><br />

Gemeinden sind mˆgliche Settings; Klaus Dˆrner hat uns in letzter Zeit wie<strong>der</strong>holt das<br />

Setting ÑNachbarschaftì als pr‰ventiven Ort nahe gebracht.<br />

Settings kˆnnen als Milieus aufgefasst werden, Ñwo vergleichbare, individuelle Erwartungen<br />

sich b¸ndelnì (Rebscher in: Der Gelbe Dienst vom 12.3.04, S. 14).<br />

Hier wird <strong>der</strong> naturw¸chsig-allt‰gliche Charakter des Lebensraums aufgegriffen.<br />

Der Sachverst‰ndigenrat definiert pr‰gnanter:<br />

Setting verweise auf einen sozialen Kontext,<br />

- <strong>der</strong> als bewusst koordinierte Einheit<br />

- mit relativ klarer Zugehˆrigkeit aufzufassen ist,<br />

- <strong>und</strong> <strong>der</strong> auf kontinuierlicher Basis an <strong>der</strong> Erreichung eines Zieles o<strong>der</strong> mehrer Ziele ar<strong>bei</strong>tet.<br />

Pr‰ventive Maflnahmen in Settings <strong>und</strong> Milieus<br />

- kˆnnen gleichzeitig unterschiedliche Zielgruppen bzw. Akteure erreichen (z.B. Sch¸ler <strong>und</strong><br />

Lehrer; Ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Kranke),<br />

- <strong>und</strong> in solchen Maflnahmen kˆnnen kontext- sowie individuumsbezogene Maflnahmen - sich<br />

wechselseitig unterst¸tzend - kombiniert werden.<br />

(Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 133) 2<br />

2 Der Sachverst‰ndigenrat (2000/2001) h‰lt ¸brigens alle gewachsenen Ordnungsgesichtspunkte (Verhaltens-<br />

<strong>und</strong> Verh‰ltnispr‰vention, individuen- <strong>und</strong> kontextbezogene Pr‰vention, spezifische <strong>und</strong> unspezifische<br />

Pr‰vention etc.) f¸r wenig hilfreich (RZ 270) <strong>und</strong> schl‰gt Ziergruppenorientierung als fruchtbaren<br />

Ordnungsgesichtspunkt vor, wo<strong>bei</strong> Settings eine Zielgruppe definieren. ÑEine konsequente<br />

Zielgruppenorientierung <strong>der</strong> Pr‰vention f¸hrt zu genauerer Besch‰ftigung mit den - objektiven wie subjektiven -<br />

18


Ein Angehˆriger, ein pensionierter Lehrer, erz‰hlte mir einmal:<br />

ÑÖ Wenn ich damals als Lehrer nur halb so viel von psychischem Leid <strong>und</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />

gewusst h‰tte wie heute ñ vielen Sch¸lern, die es sehr schwer mit mir <strong>und</strong> dem<br />

Kollegium hatten, w‰re es besser ergangen.<br />

Da wir es nicht besser wussten haben wir gerade diejenigen mit schleichendem o<strong>der</strong><br />

plˆtzlichem Leistungsabfall <strong>und</strong> diejenigen, die sich zur¸ck zogen beson<strong>der</strong>s her<br />

genommen, <strong>und</strong> zwar in <strong>der</strong> - wie ich heute weifl - irrigen Ansicht, wir w¸rden ihnen<br />

damit einen guten Dienst erweisen!ì<br />

Dieser pensionierte Lehrer denkt dar¸ber nach, Lehrerkollegien an seinem heutigen Wissen<br />

teilhaben zu lassen, in gemeinsamen Gespr‰chen mit Sch¸lern.<br />

Alle Setting-Ans‰tze sollten sozialversicherungsrechtlich abgedeckt sein: wo <strong>der</strong> Bezug <strong>der</strong><br />

Person zu ihren Lebensumst‰nden f¸r den Ansatz konstitutiv ist Ñbleibt die<br />

Krankenversicherung so lange auch finanziell gefor<strong>der</strong>t, wie dies durch geeignete<br />

Finanzierungsstrukturen in ihrem ¸berindividuellen Bezug zum Versicherungsverh‰ltnis<br />

organisierbar istì (Rebscher in: Der Gelbe Dienst vom 12.3.04, S. 14).<br />

Aus Sicht des stellvertretenden DRK-Vorsitzenden verl‰sst man erst mit einem Wegfall des<br />

Bezugs zu Person in ihren Lebensumst‰nden <strong>und</strong> <strong>der</strong> Orientierung <strong>der</strong> Maflnahmen auf<br />

kollektive, regionale o<strong>der</strong> bevˆlkerungsweite Aktionen, Ñinsbeson<strong>der</strong>e die <strong>der</strong> Aufkl‰rung Ö<br />

systematisch auch die Verantwortung von mitglie<strong>der</strong>bezogenen Sozialversicherungen <strong>und</strong><br />

befindet sich im Feld des ˆffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienstes <strong>und</strong> damit in <strong>der</strong> Kompetenz <strong>der</strong><br />

Kommunen, <strong>der</strong> L‰n<strong>der</strong> <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> des B<strong>und</strong>esì (ebenda).<br />

Dies gilt, wenn die Schule lediglich als Zugangserleichterung f¸r eine generelle<br />

Informations-Kampagne z.B. zum Tabakkonsum genutzt wird, <strong>und</strong> die Lebensumst‰nde <strong>der</strong><br />

Sch¸lerinnen <strong>und</strong> Sch¸ler nicht pr‰ventiv mit thematisiert werden.<br />

Settings II: Betriebliche Pr‰vention<br />

Betriebliche Pr‰vention folgt dem Setting-Ansatz.<br />

Das Aufgabenspektrum <strong>der</strong> Integrations‰mter ist zweifellos <strong>der</strong> sek<strong>und</strong>‰ren <strong>und</strong> terti‰ren<br />

Pr‰vention zuzuordnen, wo<strong>bei</strong> die einzelnen Aktivit‰ten jeweils Anfor<strong>der</strong>ungen reduzieren<br />

helfen o<strong>der</strong> Ressourcen st‰rken - sowohl auf <strong>der</strong> internal-personellen (z.B. Hilfen zur<br />

subjektiven Akzeptanz eines weniger anspruchsvollen Ar<strong>bei</strong>tsplatzes) als auch <strong>der</strong> externkontextuellen<br />

Ebene, z.B. durch die behin<strong>der</strong>tengerechte Ausgestaltung des bisherigen<br />

Ar<strong>bei</strong>tsplatzes.<br />

Wie sieht es mit betrieblicher Prim‰rpr‰vention aus, <strong>und</strong> zwar mit universeller, also mit<br />

betrieblicher Fˆr<strong>der</strong>ung seelischer Ges<strong>und</strong>heit?<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tswissenschaften <strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialpsychiatrischen Milieuforschung<br />

konvergieren in leicht eing‰ngigen Merkmalen generell ges<strong>und</strong>heitsfˆr<strong>der</strong>licher<br />

Ar<strong>bei</strong>tbedingungen.<br />

Belastungen <strong>und</strong> Ressourcen, den durch diese mitbestimmten Bedingungen ges<strong>und</strong>en Lebens sowie zu klarer<br />

Zugangs- <strong>und</strong> Interventionsplanungì (RZ 271)<br />

19


Zugleich sind dies aber auch die Bedingungen, die f¸r den uns interessierenden Personenkreis<br />

psychisch vulnerabler Personen hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> f¸r <strong>der</strong>en psychisches ‹berleben im Betrieb<br />

lebensnotwendig sein kˆnnen.<br />

Elemente einer Ñgutenì Ar<strong>bei</strong>tsplatzstruktur<br />

ï Herstellen eines mˆglichst stˆrungsfreien <strong>und</strong> klar strukturierten<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmilieus, durch<br />

realistische, eindeutig explizierte Erwartungen,<br />

mˆglichst klare, eindeutige <strong>und</strong> offene Kommunikation,<br />

mˆglichst einheitliche <strong>und</strong> klare Informations- <strong>und</strong><br />

Anweisungsstrukturen.<br />

ï Personelle Kontinuit‰t <strong>bei</strong> Kollegen ñ gekennzeichnet durch eine<br />

mˆglichst hohes Mafl an vertrauen, Toleranz <strong>und</strong> soziale<br />

Wertsch‰tzung.<br />

ï ‹ber einen mˆglichst langen Zeitraum hinweg inhaltliche Kontinuit‰t<br />

des Ar<strong>bei</strong>tskonzeptes (d.h. <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsorganisation <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Wertmaflst‰be)<br />

ï Klare von auflen vorgegebene aber legitimierte Ar<strong>bei</strong>tsziele.<br />

ï ‹berlappende T‰tigkeitsorganisation (d.h. immer wie<strong>der</strong> muss etwas<br />

Vertrautes, Routiniertes an einem Ar<strong>bei</strong>tstag da<strong>bei</strong> sein).<br />

ï Mˆglichkeiten, den zunehmenden Erwerb von F‰higkeiten <strong>und</strong><br />

Fertigkeiten aktiv zu erleben <strong>und</strong> Mˆglichkeiten, die erworbenen<br />

F‰higkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten anzuwenden<br />

ï Anerkennung von Unterschieden in Meinungen, Gef¸hlen <strong>und</strong><br />

Verhalten.<br />

ï Herstellen <strong>und</strong> Unterst¸tzen mˆglichst optimistischer<br />

Zukunftserwartungen seitens <strong>der</strong> Interaktionspartner des<br />

Auszubildenden.<br />

ï Keine ‹ber- <strong>und</strong> Unterfor<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n optimale Simulation, die<br />

in Abh‰ngigkeit von Situation <strong>und</strong> psychischem Zustand des<br />

Betroffenen variierbar sein muss, d.h. flexible Gestaltung des<br />

Anfor<strong>der</strong>ungsmillieus.<br />

ï Sowohl intellektuelle als auch affektive Stimulation ñ ohne<br />

‹berlastung (ÑAnpassung von Leistungsanfor<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> ñ<br />

vermˆgenì).<br />

ï Validierung von Wahrnehmungen, Gedanken <strong>und</strong> Gef¸hlen durch<br />

personen- <strong>und</strong> situationsad‰quates Feedback.<br />

ï Offenlegung <strong>der</strong> Probleme am Ar<strong>bei</strong>tsplatz ñ auch von den<br />

Problemen, die nicht zu beheben sind.<br />

ï Mitwirkung <strong>der</strong> Auszubildenden an Planungs- <strong>und</strong><br />

Entscheidungsprozessen, die das Ausbildungsverh‰ltnis betreffen:<br />

d.h. schrittweise Erweiterung des Handlungsspielraums <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Mˆglichkeiten zu sozialer <strong>und</strong> instrumenteller Mit-Kontrolle <strong>der</strong><br />

betrieblichen Ausbildungsabl‰ufe durch den Jugendlichen.<br />

Diese Verh‰ltnisse zu realisieren w‰re Ñuniverselle betriebliche Prim‰rpr‰ventionì par<br />

excellence - unterst¸tzt von den Bem¸hungen <strong>der</strong> Betriebe, neben Leistungsbereitschaft <strong>und</strong><br />

Leistungsf‰higkeit auch die sozialen Kompetenzen ihrer Mitar<strong>bei</strong>ter (im Feld II) zu fˆr<strong>der</strong>n ñ<br />

denn darin hat die Ar<strong>bei</strong>tswissenschaft den zentralen Motor betrieblicher Effektivit‰t<br />

entdeckt.<br />

20


Die ungenutzten Chancen <strong>bei</strong> universellen Programmen<br />

Wichtige <strong>und</strong> erfolgreiche Pr‰ventionsprogramme nach dem Setting-Ansatz wurden von <strong>der</strong><br />

Sozialpsychiatrie bisher noch nicht wahrgenommen:<br />

Die BZgA-Kampagne in Kin<strong>der</strong>g‰rten ÑKin<strong>der</strong> stark machenì, das Programm ÑGes<strong>und</strong>e<br />

St‰dteì <strong>und</strong> das Programm ÑSoziale Stadtì <strong>der</strong> B<strong>und</strong>-L‰n<strong>der</strong>-Kommission<br />

ñ alles Beispiele f¸r universelle Prim‰rpr‰vention - setting- bzw. lebensweltbezogen.<br />

Bis heute hat es seitens <strong>der</strong> Gemeindepsychiatrie keinen Kontakt zu diesen o<strong>der</strong> ‰hnlichen<br />

Programmen <strong>und</strong> Maflnahmen gegeben, ich konnte jedenfalls trotz aufrichtigen Bem¸hens<br />

keine Spur dorthin entdecken. Dies ist um so erstaunlicher, da schon vor nun exakt 30 Jahren<br />

in <strong>der</strong> Enquete Wohnraum- <strong>und</strong> Sanierungsplanung sowie die konkrete Gestaltung des<br />

Wohnumfeldes als Bereich f¸r die Prim‰rpr‰vention psychischer Stˆrungen hervorgehoben<br />

wurde.<br />

Allerdings gibt es mindestens eine Stadt, die wir zu unserer Ehrenrettung anf¸hren kˆnnen:<br />

Bremen mit seinem Netzwerk ÑZukunftsgestaltung <strong>und</strong> seelische Ges<strong>und</strong>heitì (siehe den<br />

Beitrag Kruckenberg Ö)<br />

Sehr viel spricht viel daf¸r, Aktivit‰ten zur Pr‰vention psychischer Stˆrungen in Zukunft in<br />

diese Aktivit‰ten einzuf‰deln; das w¸rde die Chance erˆffnen, Fachpersonal f¸r seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit im Gemeinwesen pr‰sent <strong>und</strong> ansprechbar zu machen.<br />

Die Menschen h‰tten die Chance, das Fachpersonal ganz <strong>bei</strong>l‰ufig anzusprechen -z.B. wegen<br />

<strong>der</strong> Bef¸rchtungen, sie selbst o<strong>der</strong> z.B. ein Angehˆriger st¸nde davor, psychisch zu erkranken.<br />

Die bisher nicht ge¸bte Praxis best¸nde darin, sich in pr‰ventiver Absicht in das<br />

Gemeinwesen hinein aufzulˆsen.<br />

Dies kˆnnte auch zur Terti‰rpr‰vention <strong>bei</strong> den beson<strong>der</strong>s schwierigen Hilfeverweigerern<br />

dienlich sein.<br />

Bei diesen Menschen ist alles das (terti‰r-)pr‰ventiv, was Zugang zu ihnen zul‰sst bzw.<br />

erˆffnet; das sind die Dinge, mit denen wir sie in ihrem Lebensumfeld in Ber¸hrung bringen<br />

kˆnnen <strong>und</strong> die f¸r sie eine Erleichterung ihres f¸r Auflenstehende oft seltsamen Alltags<br />

bedeuten kˆnnen, also kleine allt‰gliche Unterst¸tzungen wie Zugang zu billigen o<strong>der</strong><br />

kostenfreien Mahlzeiten, zu Kleidung, zu nicht be‰ngstigenden Sozialkontakten.<br />

Die gleiche Praxis w‰re hilfreich <strong>bei</strong> Prim‰r- als auch <strong>bei</strong> Terti‰rpr‰vention!<br />

Die Psychiatrie h‰tte den angesprochenen Programmen auch etwas zu bieten, unterhalb <strong>der</strong><br />

pharmakologischen o<strong>der</strong> psychotherapeutischen Behandlungsschwelle sowie auflerhalb von<br />

Behandlungsverh‰ltnissen, sie geradezu Ѹbersteigendì.<br />

Mit dem Trialogischen Prinzip, ausgehend von den Psychoseseminaren, wurde eine wirksame<br />

Praxis gegen die einseitige professionelle Kolonialisierung entwickelt, n‰mlich wie<br />

ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong> soziale Verh‰ltnisse trotz bestehen<strong>der</strong> Interessengegens‰tze unter den<br />

verschiedenen Perspektiven <strong>der</strong> Beteiligten integriert betrachtet werden kˆnnen.<br />

Dies kˆnnte f¸r an<strong>der</strong>e Fel<strong>der</strong> genutzt werde, f¸r die Gestaltung von Straflenz¸gen ebenso wie<br />

f¸r die von Schulgemeinschaften.<br />

Das kˆnnte die universellen, gemeindebezogenen Pr‰ventionsmaflnahmen von uns lernen, <strong>und</strong><br />

wir kˆnnten uns in universellen Fel<strong>der</strong>n mit bewegen!<br />

21


Psychoedukation - ein Beispiel f¸r Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention<br />

Psychoedukation ist die Zusammenfassung von Ñ systematische(en) didaktischpsychotherapeutische<br />

Interventionen Ö, die dazu geeignet sind,<br />

- Patienten <strong>und</strong> ihre Angehˆrigen ¸ber die Krankheit <strong>und</strong> ihre Behandlung zu informieren,<br />

- das Krankheitsverst‰ndnis <strong>und</strong> den selbstverantwortlichen Umgang mit <strong>der</strong> Krankheit zu<br />

fˆr<strong>der</strong>n<br />

- <strong>und</strong> sie <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Krankheitsbew‰ltigung zu unterst¸tzenì<br />

(Konsensuspapier, S. 3; Definition <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsgruppe Psychoedukation)<br />

Das ist handfeste Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention - mit eindeutigen Studienergebnissen:<br />

die R¸ckfallrate wird im Schnitt um mindestens 20 % gesenkt!<br />

Die Edukanden sollen Ñverf¸hrt werdenì (O-Ton B‰uml), ihre Erkrankung rationaler zu<br />

betrachten, d.h. ihr Leiden als Krankheit, <strong>und</strong> zwar als biologisch bedingte, zumindest sich<br />

auch als biologisch-organisch materialisierte Erkrankung zu erkennen, <strong>der</strong> mit biologischen<br />

Mitteln (=Medikamenten) erfolgreich <strong>bei</strong>zukommen ist.<br />

Da<strong>bei</strong> gen¸gt die blofle Vermittlung des mit dem aktuellen Stand des Irrtums kompatiblen <strong>und</strong><br />

wissenschaftlich gest¸tzten professionellen Krankheits- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsverst‰ndnisses<br />

keineswegs.<br />

ÑEine problemlose Anpassung <strong>der</strong> Laientheorien an die professionellen ist<br />

illusorisch. Vielmehr ist ihre mangelnde Einbeziehung wohl h‰ufig ein Gr<strong>und</strong> f¸r<br />

das beklagte Non-Compliance-Verhalten (Faltermaier 1994) Die Ö<br />

Ber¸cksichtigung des Ges<strong>und</strong>heitskonzepts des Nutzers stellt daher eine wichtige,<br />

von den Professionellen zu leistende Anfor<strong>der</strong>ung dar Öì Sachverst‰ndigenrat<br />

2000/2001, RZ 317).<br />

An<strong>der</strong>erseits haben die Psychiatrie-Erfahrenen <strong>und</strong> ihre Angehˆrigen einen Anspruch auf<br />

dieses professionelle Wissen, es sollte aber nicht zur Doktrin f¸r die Erkrankten <strong>und</strong> ihre<br />

Familien erhoben werden!<br />

Daher schl‰gt auch <strong>der</strong> Sachverst‰ndigenrat das kompetente Bem¸hen um Konkordanz vor:<br />

den wechselseitigen Prozess um ein gemeinsames Verst‰ndnis, in Abhebung zur Compliance,<br />

dem Folgen <strong>der</strong> guten Ratschl‰ge des Behandlers.<br />

Das BMGS fˆr<strong>der</strong>t z.Zt. 10 Projekte zum Ñshared decision makingì - <strong>der</strong> partizipativen<br />

Entscheidungsfindung, die gemeinsam von Arzt <strong>und</strong> Patient getroffene <strong>und</strong> verantwortete<br />

Entscheidung ¸ber die Behandlung <strong>der</strong> Krankheit (www.patient-als-partner.de).<br />

Der Fˆr<strong>der</strong>schwerpunkt des BMGS mit 10 Projekten (Beginn: 2001) heiflt ÑDer Patient als<br />

Partner im medizinischen Entscheidungsprozessì. Das Universit‰tsklinikum Freiburg ist mit<br />

<strong>der</strong> Thematik Depression, die Kliniken M¸nchen mit shared decision making <strong>bei</strong><br />

Schizophrenie beteiligt.<br />

Finzen hat f¸r die Psychiatrie eing‰ngig ¸bersetzt in ÑVerhandeln statt Behandelnì. Im<br />

kompetenten Bem¸hung um Konkrodanz werden die Ñhilfreichen biographischen Deutungen<br />

des Patienten nicht zerstˆrtì (Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 328)<br />

Dies soll <strong>der</strong> <strong>bei</strong> Professionellen beobachteten Haltung entgegen wirken, wonach in <strong>der</strong> Regel<br />

alle Personen, die als beson<strong>der</strong>s hilfebed¸rftig, unselbst‰ndig <strong>und</strong> defizit‰r wahrgenommen<br />

werden - zugleich auch nicht ernst genommen werden, <strong>und</strong> zudem wird mit ihnen nicht wie<br />

mit m¸ndigen Patienten umgegangen! (Sachverst‰ndigenrat 2000/2001, RZ 328)<br />

22


Das sich das in <strong>der</strong> Psychiatrie ge‰n<strong>der</strong>t hat, hat sek<strong>und</strong>‰rpr‰ventive Wirksamkeit: es ist die<br />

Voraussetzung daf¸r, dass Professionelle von den eher schwierigen Patienten ¸berhaupt ernst<br />

genommen werden. .<br />

Aber das ist wohl nicht so sehr ein Effekt unserer eigenen Reflexion, son<strong>der</strong>n des<br />

Empowerments <strong>der</strong> Psychiatrie-Erfahrenen.<br />

Haben wir nicht manchmal in leidvollen Prozessen, die ja ehrlich gesagt noch andauern,<br />

lernen m¸ssen, den Psychiatrie-Erfahrenen mit bedingungsloser Akzeptanz zu begegnen <strong>und</strong><br />

sie selbst sowie ihre Selbstannahmen zun‰chst einmal voraussetzungslos ernst zu nehmen?<br />

Dieses auch in den psychoedukativen Gruppen stattfindende Ringen um Konkordanz ist dort<br />

eingebettet in vielf‰ltige Bem¸hungen, die Bew‰ltigung <strong>und</strong> das Management <strong>der</strong> Krankheit<br />

in die H‰nde <strong>der</strong> Patienten bzw. Klienten zur¸ck zu geben.<br />

Dahinter steht die f¸r Pr‰vention <strong>und</strong> die Fˆr<strong>der</strong>ung von Ges<strong>und</strong>heitsverhalten f<strong>und</strong>amentale<br />

Auffassung, sich als handelnden Akteur im Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankheitsprozess zu verstehen<br />

ñ <strong>und</strong> sich gerade nicht einem biologisch-somatischen Prozess ausgeliefert zu sehen, obwohl<br />

das Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankheitsgeschehen auch biologisch-somatische Anteile hat.<br />

Zu den Mitteln gehˆrt das Erkennen <strong>und</strong> Nutzen <strong>der</strong> Fr¸hwarnzeichen, das Ein¸ben von<br />

Problemlˆsungen <strong>und</strong> das vorausschauende Erar<strong>bei</strong>ten von Handlungsalternativen zur<br />

Bew‰ltigung krisenhafter Zuspitzungen.<br />

Krisenhilfe -<br />

eine alte Achillesverse <strong>der</strong> psychiatrischen Pr‰vention<br />

Mit den potentiellen Krisen ist allerdings eine Achillesverse <strong>der</strong> Pr‰vention angesprochen:<br />

Was hilft <strong>der</strong> schˆnste Krisenplan, wenn ich als Psychiatrie-Erfahrener o<strong>der</strong> Angehˆriger in<br />

einer solchen sich eskalierenden <strong>und</strong> auf eine Krise zusteuernden Situation ñ nach 17.oo Uhr<br />

o<strong>der</strong> am Wochenende ñ nur noch die Polizei o<strong>der</strong> die Klinik anrufen kann, neben <strong>der</strong><br />

Telefonseelsorge?<br />

Die Krisenfunktion zu erf¸llen bedeut, eine pr‰ventive Ges<strong>und</strong>heitsleistung zu<br />

erbringen!<br />

Aber auf weniger als 5 % des Territoriums <strong>der</strong> BRD kann heute an 7 Tagen in <strong>der</strong> Woche,<br />

jeweils 24 St<strong>und</strong>en lang, die Krisenfunktion in kritischen Situationen genutzt werden!<br />

(Peukert 2002; Peukert 2004)<br />

Die Enquete hatte bereits ein Netzwerk von Kriseninterventionszentren gefor<strong>der</strong>t, die auch<br />

suicidprophylaktisch t‰tig werden sollten; die Autoren gingen sogar noch weiter <strong>und</strong> schlugen<br />

in dem Kontext ÑBesuchsdienste f¸r Vereinsamteì vor.<br />

W¸rden Ñpr‰ventive Hausbesucheì mˆglich - ein Traum <strong>der</strong> Angehˆrigen ginge in Erf¸llung;<br />

<strong>und</strong> je nach dem, wie sie gestaltet w¸rden, auch eine Wunschvorstellung <strong>der</strong> Psychiatrie-<br />

Erfahrenen.<br />

Eine konkrete Vision f¸r pr‰ventive Hausbesuche <strong>bei</strong> den schwierigen Hilfeverweigerern<br />

haben Angehˆrige entwickelt: den ÑFamiliengastì (Peukert in: APK-Band 30)<br />

23


Die ungenutzten Chancen zur Pr‰vention <strong>bei</strong> <strong>psychischen</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />

Menschen, die Krisenhilfe in Anspruch nehmen, signalisieren Hilfeerwartung nach psychosozialer<br />

<strong>und</strong>/o<strong>der</strong> medizinischer Hilfe, in jedem Falle mit dem Effekt, dass eingreifen<strong>der</strong>e <strong>und</strong><br />

teurere Hilfen vermieden werden.<br />

Nun gibt es Menschen, die erst noch zur Akzeptanz <strong>der</strong> eigenen Hilfeerwartungen hin gef¸hrt<br />

werden m¸ssen. Wir wissen: eine Methode, die Hilfeannahmebereitschaft zu fˆr<strong>der</strong>n, ist die<br />

Psychoeduaktion; eine an<strong>der</strong>e: die Soziotherapie, <strong>der</strong>en Wirksamkeit l‰ngst nachgewiesen ist<br />

<strong>und</strong> die - obwohl im Leistungsrecht verankert - nicht so recht in die G‰nge kommt.<br />

Krisenfunktion, Soziotherapie, ambulante Pflege ñ das w‰re Ñinnerpsychiatrischeì<br />

Sek<strong>und</strong>‰rpr‰vention f¸r diejenige Phase innerhalb des Erkrankungsprozesses, auf die auch die<br />

Psychoedukation abzielt ñ <strong>und</strong> alle vier leiden gleichermaflen unter Finanzierungsvorbehalten<br />

<strong>der</strong>er, die eigentlich daf¸r verantwortlich w‰ren!<br />

Daneben gibt es zwei weitere Wege, die zur Hilfeannahmebereitschaft f¸hren kˆnnen <strong>und</strong><br />

kein Geld kosten: die Auseinan<strong>der</strong>setzungen in Psychoseseminaren o<strong>der</strong> die einsame <strong>und</strong><br />

harte Ar<strong>bei</strong>t an sich selbst.<br />

Das trifft auf Psychiatrie-Erfahrene, aber auch auf Angehˆrige zu - <strong>und</strong> damit sind wir <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Selbsthilfe als Pr‰vention.<br />

Selbsthilfe als Pr‰vention!<br />

Davon, wie sich das Empowerment <strong>der</strong> Psychiatrie-Erfahrenen auf uns professionelle<br />

auswirkte, war schon die Rede.<br />

Es hat aber nicht nur uns Professionelle, son<strong>der</strong>n vor allem einige ñ o<strong>der</strong> viele? - <strong>der</strong><br />

Psychiatrie-Erfahrenen selbst so sehr ver‰n<strong>der</strong>t, dass sich so mancher Professioneller immer<br />

wie<strong>der</strong> zu folgen<strong>der</strong> Aussage hinreiflen l‰sst:<br />

ìWer heute so auftritt, kann nicht psychisch krank gewesen sein!ì<br />

Ich habe so etwas wie<strong>der</strong>holt miterlebt ñ <strong>und</strong> heute sehe ich darin einen grandiosen Beweis<br />

f¸r die pr‰ventive Wirksamkeit von Selbstorganisation <strong>und</strong> Empowerment!<br />

F¸r die Angehˆrigen gilt das Gleiche:<br />

Sie sind von Ungehˆrigen ¸ber Angehˆrige zu Angehˆrten mutiert; ob das Angehˆrt-Werden<br />

viel bewirkt, sei dahin gestellt.<br />

Kˆnnte es sein, dass nicht wir Professionellen den wirksamsten Einfluss auf die f¸r<br />

Pr‰vention so bedeutsamen Krankheits- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitskonzepte <strong>und</strong> -Haltungen von<br />

Psychiatrie-Erfahrenen <strong>und</strong> Angehˆrigen haben, son<strong>der</strong>n die peers, also diejenigen<br />

Menschen, mit denen sie sich auf <strong>der</strong> Station, im Psychosozialen Zentrum, im Psychose-<br />

Seminar o<strong>der</strong> einer <strong>der</strong> Selbsthilfegruppen treffen?<br />

Voraussichtlich sind es auch die an<strong>der</strong>en Psychiatrie-Erfahrenen, die den Einzelnen da<strong>bei</strong><br />

helfen, die eigene Krankheit <strong>und</strong> die Krankheitsfolgen besser zu verar<strong>bei</strong>ten, <strong>und</strong> darum sind<br />

die Organisationen <strong>und</strong> die vielf‰ltigen Gruppen <strong>der</strong> Psychiatrie-Erfahrenen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Angehˆrigen (f¸r die die obigen Ausf¸hrungen gleichsam gelten) sowie die<br />

Psychoseseminare eine relevante Grˆfle <strong>der</strong> Sek<strong>und</strong>‰r- <strong>und</strong> Terti‰rpr‰vention - <strong>und</strong> sie h‰tten<br />

eine bessere Fˆr<strong>der</strong>ung verdient.<br />

24


Da<strong>bei</strong> befinden sich die Psychiatrie-Erfahrenen mit ihren Empowerment-Strategien mitten im<br />

Zentrum des Pr‰ventions-Diskurses!<br />

So wurde z.B. im Projekt Ges<strong>und</strong>heitsziele.de <strong>der</strong> St‰rkung <strong>der</strong> Patientensouver‰nit‰t hohe<br />

Priorit‰t einger‰umt, einschliefllich <strong>der</strong> St‰rkung <strong>der</strong> Patientenrechte <strong>und</strong> des<br />

Beschwerdewesens- zwei St¸tzen des Empowerments mit zugleich hohe pr‰ventiver<br />

Relevanz.<br />

(Zu weiteren Aspekte <strong>der</strong> ÑPr‰vention als Selbsthilfeleistungì <strong>der</strong> Psychiatrie-<br />

Erfahrenen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Angehˆrigen siehe Ö)<br />

Chronische Krankheit - o<strong>der</strong> Chronische Hilfe?<br />

Die erstarkende Psychiatrie-Erfahrenen-Power <strong>und</strong> <strong>der</strong>en erstarkendes Selbstbewusstsein<br />

beginnt uns noch etwas an<strong>der</strong>es zu lehren, was mˆglicherweise sehr tiefgreifende<br />

Ver‰n<strong>der</strong>ungen nach sich ziehen wird.<br />

Schaut man sich z.B. unsere Praxis in den Wohneinrichtungen, einschliefllich des betreuten<br />

Wohnens an, scheinen unsere Vorstellungen von einem eigenartigen Verst‰ndnis chronisch<br />

psychisch kranker Menschen befallen zu sein, n‰mlich <strong>der</strong> Vorstellung, chronische<br />

Erkrankung bedeute chronische Hilfe!<br />

Kˆnnte es sich auch umgekehrt verhalten?<br />

Unser Erleben <strong>der</strong> von uns selbst gemachten Versorgungsstrukturen, in die man nicht ganz<br />

leicht hinein, aber deutlich schwieriger wie<strong>der</strong> heraus kommt (vorausgesetzt, man benimmt<br />

sich nicht daneben!) f¸hrt dazu, dass wir chronisch helfen wollen - <strong>und</strong> dem muss nat¸rlich<br />

auch unser Bild <strong>der</strong> Objekte unseres Begehrens entsprechen: nur Chronikern kann man<br />

chronische Hilfe angedeihen lassen!<br />

Da unterliegen wir einem kategorial gleichen Irrtum wie Kraepelin mit seiner Dementia<br />

Praekox: er sah diese Verl‰ufe - allerdings waren sie Ausfluss des Anstaltsystems.<br />

Und wenn nun heute <strong>bei</strong> uns von den potentiell zu begl¸ckenden Zielpersonen einige die<br />

unterst¸tzenden, fˆr<strong>der</strong>nden, rehabilitierenden Hilfen nicht annehmen wollen o<strong>der</strong> kˆnnen -<br />

dann neigen wir dazu, diese Hilfeverweigerer als Krankheitsuneinsichtige o<strong>der</strong><br />

Systemsprenger zu stigmatisieren!<br />

Zum Gl¸ck ist die Einsicht gewachsen, dass diese als krankheitsuneinsichtig <strong>und</strong><br />

systemsprengend stigmatisierten Hilfeverweigerer f¸r bestimmte Hilfen sehr wohl zug‰nglich<br />

sind, wenn ihren sehr individuellen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Ressourcen angemessen begegnet<br />

wird!<br />

Das HotelPlus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wohnwagen am Bahndamm - <strong>bei</strong>de sind terti‰r-pr‰ventiv!<br />

In dem Kapitel dieses Bandes ÑMit <strong>der</strong> Krankheit leben lernen <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Krankheit leben<br />

lernenì haben wir uns auch diesen Blick erlaubt, n‰mlich die Chronifizierung als vielleicht<br />

kollektiven Prozess zu betrachten - nat¸rlich ohne zu vergessen, dass es lange, schwere <strong>und</strong><br />

leidvolle psychische <strong>Erkrankungen</strong> gibt; das soll uns aber nicht davon abhalten, zun‰chst<br />

einmal genau hinzuschauen, was wir selbst zur Chronifizierung <strong>bei</strong>tragen - <strong>und</strong> welchen Part<br />

z.B. Psychoedukation, Psychose-Seminare, Selbsthilfegruppen, harte individuelle Ar<strong>bei</strong>t an<br />

sich selbst <strong>und</strong> manches An<strong>der</strong>e <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ent-Chronifizierung spielen kˆnnen.<br />

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Zu den ÑChronifizierernì sind alle zu z‰hlen<br />

die professionellen Praktiker,<br />

diejenigen Profis, die die Praktiker mit Empirie <strong>und</strong> Theorie bedienen - also die<br />

Wissenschaftler,<br />

aber auch die Psychiatrie-Erfahrenen selbst<br />

<strong>und</strong> die Angehˆrigen ebenfalls -<br />

<strong>und</strong> nat¸rlich gehˆrt auch die Politik mit ihren gesetzlichen Vorgaben<br />

<strong>und</strong> jene Teile <strong>der</strong> Administration <strong>und</strong> Selbstverwaltung, die sogar gute Vorgaben<br />

schlecht o<strong>der</strong> gar nicht umsetzen, zu den aktiven Chronifizierern.<br />

Selbst wenn es einmal gelingen sollte, diese soziale Seite <strong>der</strong> Chronifizierungsprozesse<br />

aufzukl‰ren <strong>und</strong> sich diesem Wissen gem‰fl zu verhalten: viele seelische Stˆrungen w¸rden<br />

trotzdem einen chronischen Verlauf nehmen.<br />

Vielleicht sollte die Pr‰vention seelischer Stˆrungen einer Losung folgen, an <strong>der</strong> sich die<br />

Pr‰vention im Alter orientiert; dort heiflt es ÑErfolgreich alt seinì, wie w‰re es mit<br />

ÑErfolgreich psychisch krank seinì?<br />

Statt einer Zusammenfassung:<br />

Zug‰nge <strong>und</strong> Methoden sind f¸r die verschiedenen Pr‰ventionsstadien nicht spezifisch - aber<br />

gezielte Interventionen im psychiatrischen Umfeld sind f¸r Prim‰rpr‰vention kontraindiziert!<br />

(siehe folgende Abbildung)<br />

Gezielte<br />

pr‰ventive<br />

Maflnahmen<br />

im psychiatrischen<br />

System<br />

Nur Sek<strong>und</strong>‰r<strong>und</strong><br />

Terti‰r-<br />

Pr‰vention !<br />

Prof. Dr. R. Peukert<br />

Aktivit‰ten bzw. Ans‰tze<br />

Settings<br />

gezielt<br />

aufsuchen<br />

<strong>und</strong><br />

aktivieren<br />

Sich im<br />

Gemeinwesen<br />

f¸r <strong>bei</strong>l‰ufige<br />

Kontakte<br />

pr‰sent <strong>und</strong><br />

ansprechbar<br />

halten<br />

Fˆr<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong><br />

Selbsthilfe<br />

÷ffentliche<br />

Kampagnen<br />

z.B:<br />

ZDF-Gala:<br />

Psychisch krank<br />

-Na <strong>und</strong>?<br />

Zug‰nge f¸r<br />

Prim‰r-, Sek<strong>und</strong>‰r- <strong>und</strong> Terti‰rpr‰vention!<br />

Methoden<br />

z.B. Psychoedukation<br />

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