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Berliner Debatte Initial 17 (2006) 3

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Editorial<br />

deutung kann Politik noch haben, wenn sie<br />

die so elementare Bevölkerungsentwicklung<br />

nicht beeinflussen kann? Wie man es auch<br />

dreht und wendet: Mit diesen Fragen sind die<br />

heiklen Themen der Quantität und der Qualität<br />

der Bevölkerung angesprochen. Damit steht<br />

auch die ihnen zugrundeliegende normative<br />

Orientierung auf der Agenda und eine alte<br />

und bisher ungelöste Frage der Moderne neu<br />

zur Diskussion: die Frage nach der Gleichheit<br />

– zwischen den Geschlechtern, Nord und<br />

Süd, den Generationen ... Die im Themenschwerpunkt<br />

versammelten Beiträge nähern<br />

sich dem Einfluß politischer Steuerung im<br />

demographischen Wandel aus je verschiedenen<br />

Perspektiven an.<br />

Den Auftakt bildet ein Interview mit Norbert<br />

Bolz, das exemplarisch die zentralen ideologischen<br />

Momente verdeutlicht, die die Stimmung<br />

der Diskussionen über den demographischen<br />

Wandel in Deutschland emotional aufladen:<br />

Es geht um die Schwierigkeiten der Deutschen<br />

mit ihrer „nationalen Identität“, darum, daß<br />

die auf „gefühlsstarken Bindungen“ basierende<br />

Familie nicht in den Modernisierungsprozeß<br />

kapitalistischer Gesellschaften paßt, und daß<br />

sich die Frauenemanzipation als „Entwertung<br />

der Mutterschaft und der Männlichkeit“ zu<br />

vollziehen scheint. Das 21. Jahrhundert wird<br />

nach Bolz „ein Jahrhundert der Frau“ sein,<br />

und für Männer bleiben nur noch „Naturschutzparks<br />

ihrer Männlichkeit“ – mit der<br />

Folge, daß die Deutschen über kurz oder lang<br />

aussterben werden.<br />

Basierend auf modernisierungstheoretischen<br />

Überlegungen zum sozialen und demographischen<br />

Wandel zeigt Heike Kahlert<br />

die Schieflage in derartigen Argumentationen<br />

zum Geburtenrückgang in Deutschland auf.<br />

Familie und Staat sind in ihrer Sicht soziale<br />

Institutionen, die in und von einer bestimmten,<br />

nämlich kapitalistischen, Gesellschaftsform<br />

mit einem hierarchischen Geschlechterverhältnis<br />

konstituiert und konstruiert werden.<br />

Die Lösung des demographischen Problems<br />

der alternden und schrumpfenden deutschen<br />

Gesellschaft liegt, so die These der Autorin, in<br />

einem Mehr an Frauenemanzipation, in mehr<br />

Gleichheit zwischen den Geschlechtern also,<br />

und einem daran ausgerichteten Umbau des<br />

Wohlfahrtsstaats.<br />

Wie in Deutschland seit der Nachkriegszeit<br />

versucht wurde, Lebensentwürfe politisch zu<br />

steuern, analysiert Waltraud Cornelißen. Dabei<br />

zeichnet sie die – nur begrenzt erfolgreichen<br />

– politischen Steuerungsbemühungen der alten<br />

Bundesrepublik, der DDR und des vereinten<br />

Deutschland in bezug auf die Ermöglichung<br />

der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für<br />

Frauen nach. Diese Rekonstruktion mündet in<br />

der Forderung nach einer Familienpolitik für<br />

eine Vielfalt von Lebensentwürfen, die erreichen<br />

müßte, daß Elternschaft arbeitsmarkt- und sozialpolitisch<br />

geschlechtergerecht und angemessen<br />

auch im Vergleich zu kinderlosen Frauen und<br />

Männern gelebt werden könnte.<br />

Diana Hummel argumentiert in ihrem<br />

Beitrag am Beispiel der Bevölkerungspolitik in<br />

Entwicklungsländern, daß politische Versuche<br />

und Maßnahmen, die Bevölkerungsentwicklung<br />

zu beeinflussen, demokratietheoretisch<br />

bedeutsam sind: Darin geht es um die individuelle<br />

Seite der Freiheit und das Recht auf<br />

Selbstbestimmung von Frauen (und Männern)<br />

über ihren Körper und damit auch über ihre<br />

Fertilität und zugleich um gesellschaftliche<br />

Interessen. Der Blick auf die Erfahrungen mit<br />

Geburtenkontroll- und Familienplanungsprogrammen<br />

in Entwicklungsländern zeige<br />

deutlich die Grenzen der politischen Steuerbarkeit,<br />

da hier vielfältige natürliche, soziale,<br />

kulturelle und historische Bedingungen wie<br />

Normen zusammenkämen.<br />

Mit dem demographischen Wandel geht in<br />

allen westlichen Industrieländern ein Um- bzw.<br />

Abbau der Wohlfahrtsstaaten einher. Damit<br />

stehen auch Vorstellungen über die Gerechtigkeit<br />

zwischen den Generationen neu zur<br />

Disposition, wie Christoph Butterwegge am<br />

Beispiel der politischen Entwicklungen der<br />

letzten Jahre in Deutschland ausführt. Seiner<br />

Meinung nach werde versucht, die Gerechtigkeit<br />

von der sozialen Gleichheit zu trennen,<br />

sie nur noch horizontal oder temporal, aber<br />

nicht mehr vertikal zu denken. Damit ginge<br />

die mit der Gerechtigkeitsidee verbundene<br />

gesellschaftspolitische Fundamentalkritik und<br />

Alternativkonzeption verloren.<br />

Abschließend zeigt Gerd Bosbach exem-<br />

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