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Mensch, glaube nur fest an dich selbst

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<strong>Mensch</strong>, <strong>glaube</strong> <strong>nur</strong> <strong>fest</strong> <strong>an</strong> <strong>dich</strong> <strong>selbst</strong><br />

Wenn unsere Lehrerstudenten in den Schulen hospitierten und dazu auch<br />

noch zu Herrn Jung, dem Mathematiklehrer eingeteilt wurden, gab es jeder<br />

Mal Jubel. Für sehr guten und erfolgreichen Unterricht hatten unsere<br />

Studenten im zweiten Studienjahr bereits einen sicheren Blick erworben.<br />

Sie erk<strong>an</strong>nten schon die Probleme und auch die Fehler, die sich bei<br />

Lehrern <strong>fest</strong> eingeschliffen hatten. Sie waren der eindeutigen Meinung:<br />

"Beim ihm, bei Herrn Jung, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> das meiste für die eigene zukünftige<br />

Arbeit lernen! So souverän wie er unterrichtet, so mochte ich auch einmal<br />

unterrichten können."<br />

Im Seminar kam es zur Diskussion des pädagogischen und methodischen<br />

Könnens des Lehrers. Ich brachte aber auch die Diskussion auf die<br />

psychische Problemsituation des Lehrers im Unterricht, seiner psychischen<br />

Gesundheit und die Gefahren für sein psychisches Gleichgewicht. Dabei<br />

warfen die Studenten auch die Frage nach der Autorität des Lehrers auf.<br />

Aber wie erwirbt m<strong>an</strong> als Lehrer eine solche Autorität? Was ist eigentlich<br />

Autorität und wie wirkt sie?<br />

Um es zunächst am Beispiel zu klaren, berichtete ich über einen mir sehr<br />

gut bek<strong>an</strong>nten Lehrer, der wegen seiner legeren Unterrichtsarbeit<br />

zunehmend Probleme mit der Unterrichtsdisziplin in seinem Unterricht<br />

bekam. Es gel<strong>an</strong>g ihm zunehmend nicht mehr, die Unterrichtsdisziplin zu<br />

beherrschen. Er war aber ein sehr empfindsamer und sensibler <strong>Mensch</strong> mit<br />

großem Kunstverständnis, aber auch viel zu sehr <strong>selbst</strong>kritisch. Das<br />

Unterrichten bereitete ihm zunehmend keine Freunde mehr und allmählich<br />

entwickelte Aversionen und Ängste vor dem Unterrichten und dazu kam<br />

auch noch die Kritik seiner Kollegen und des Schuldirektors. Schließlich<br />

traute er sich nicht mehr in den Klassenraum und später konnte er allein<br />

das Schulgebäude nicht mehr betreten. Seine Ängste beherrschten ihn<br />

mehr und mehr und er konnte schließlich nicht mehr als Lehrer zu arbeiten<br />

und musste nach einer psychotherapeutischen Beh<strong>an</strong>dlung auch noch<br />

einen <strong>an</strong>deren Beruf erlernen. Das ist ein sehr schlimmer Einschnitt in das<br />

eigene Berufsleben. Einige Studenten stammten aus Lehrerkreisen und<br />

k<strong>an</strong>nten vom Hören und Sagen auch paar ähnliche Fälle, die wir aber nicht<br />

mehr ausdiskutieren konnten. Eine Studentin suchte wohl insgeheim ein<br />

Gegenbeispiel und brachte etwas brüsk Meinung ein:<br />

"Aber das positive Gegenbeispiel dazu ist und bleibt für mich unumstößlich<br />

Herr Jung. Wir hatten früher <strong>an</strong> unserer Schule auch so einen Lehrer. Den<br />

haben wir alle geliebt.“<br />

Damit traf sie die eindeutige Meinung aller <strong>an</strong>deren und sie fügte noch<br />

hinzu:<br />

„Aber, mich quält die Frage, was macht er im Unterricht eigentlich g<strong>an</strong>z<br />

<strong>an</strong>ders, und vor allen Dingen viel besser? Alles wirkt bei ihm so g<strong>an</strong>z<br />

natürlich. Er schein ei8n richtiges Lehrertalent zu sein. Gibt es so etwas?“"<br />

Eine Studentin fragte noch besorgt:<br />

„Natürlich?“<br />

„Können Sie sich vorstellen, dass Herrn Jung auch dieses Schicksal aus<br />

ihrem Beispiel droht?"<br />

"Nein! Ich sehe für ihn keine Gefahr. Er hat als Lehrer ein sehr gesundes<br />

Selbstbewusstsein und darauf kommt es <strong>an</strong>, und er hat die Lacher stets auf<br />

seiner Seite. Unsicherheiten beim Lehrer, der vor einer Klasse steht,


erkennen die Schüler sofort. Damit haben sie seit Jahren Erfahrungen."<br />

Zu meiner vergleichenden Falldiskussion unterbreitete ein Student den<br />

Vorschlag:<br />

„Könnten wir die nächste Hospitation nicht einmal so gestalten, dass wir<br />

einfach in einer Klasse sitzen bleiben und damit unterschiedliche Lehrer<br />

beobachten. Wir sehen d<strong>an</strong>n ebenso wie die Schüler auch verschiedene<br />

Lehrer.“<br />

Dazu wurden wir wunschgemäß in eine zehnte Klasse eingeteilt und<br />

nahmen hinten in der Klasse Platz. Es war eine Klasse, die sich auf die<br />

Abschlussprüfungen vorbereitete und sie wussten zu genau, was davon<br />

abhängt. Wahrend der ersten beiden Deutschstunden arbeitete diese<br />

zehnte Klasse noch relativ gut mit, dennoch schrie die Lehrerein wiederholt<br />

dazwischen und trat <strong>an</strong> uns her<strong>an</strong> und flüsterte:<br />

„Beobachten Sie bitte einmal den Schüler in der dritte Reihe sitzt. Er ist ein<br />

sehr schwieriger Schüler, der höchst wahrscheinlich den Abschluss nicht<br />

schaffen wird.“<br />

Mir kam das wie eine Denunziation vor und die Studenten fragten mich<br />

sofort in der nächsten Pause d<strong>an</strong>ach. Sie hatten auch un<strong>an</strong>genehme<br />

Gefühle bei dieser Information:<br />

„Ich rate Ihnen, so etwas nicht zu machen. Sie wissen, schwierige Schüler<br />

haben psychische Probleme und auf diese Weise werden sie nicht gelost,<br />

vielmehr verkompliziert."<br />

Darauf folgte eine Stunde eigentlich hochinteress<strong>an</strong>ten Biologieunterrichts,<br />

denn es wurde die menschliche Vermehrung beh<strong>an</strong>delt und so etwas<br />

müsste doch interess<strong>an</strong>t sein. Allerdings hatte die Lehrerin schon zu<br />

Beginn des Unterrichts erhebliche Schwierigkeiten sich in der Klasse<br />

bemerkbar zu machen. Als ihr das aber schon wieder missl<strong>an</strong>g, reagierte<br />

sie erst beleidigt und drohte sofort einigen Schülern damit:<br />

„Meine Herrn! Bei der Abschlussprüfung stelle ich euch ein paar besondere<br />

Fragen.“<br />

Aber auch diese Drohung blieb völlig wirkungslos:<br />

"Meine Herrschaften! Biologie ist ein Prüfungsfach! Woher ihr euer Wissen<br />

holt, soll mir persönlich völlig egal sein. Alles, was zur Prüfung notwendig<br />

ist, habe ich vermittelt. Aber wer im Unterricht nicht mitarbeitet, den lasse<br />

ich glatt durch die Prüfung durchfallen. Der darf d<strong>an</strong>n die Prüfung noch<br />

einmal wiederholen."<br />

Was für eine sinnlose Drohung!<br />

Eine Studentin, die neben mir saß, fragte mich flüsternd:<br />

„Ist so etwas sinnvoll?"<br />

„Nie!"<br />

Der Schüler, auf den wir aufmerksam gemacht wurden, meldete sich<br />

daraufhin, aber er wurde nicht bemerkt. Schließlich schrie er einfach<br />

protestierend los:<br />

'Warum sollen wir denn mitarbeiten, Frau Lierm<strong>an</strong>n? Es steht doch sowieso<br />

alles haargenau im Lehrbuch. Da brauchen wir doch <strong>nur</strong> nachzulesen und<br />

das bisschen zu lernen. Wir wissen doch schon, wie es gemacht wird! Was<br />

soll es?"<br />

Aber die Lehrerin <strong>an</strong>twortete nicht darauf. Sie sprach gerade mit einer<br />

Schülerin in der ersten Reihe und deutete mit einer Armbewegung <strong>an</strong>, er<br />

soll sich setzen und stille ein.<br />

Nach einer weiteren viertel Stunde ließe diese zehnte Klasse, die soeben<br />

im Deutschunterricht noch relativ gut mitarbeitete, alle Hemmungen fallen.<br />

Als d<strong>an</strong>n noch hinten, direkt vor unseren Stühlen, ein Schüler, namens


Peter, mit einer Schülerin zu t<strong>an</strong>zen beg<strong>an</strong>n, schwoll mir der Kragen und<br />

schon wollte ich dazwischen springen. Aber da die Lehrerein <strong>nur</strong> Unterricht<br />

für die ersten zwei Reihen erteilte, und den Tumult in den hinteren Reihen<br />

scheinbar nicht einmal bemerkte, unterließ ich es lieber. Ich fürchtete, ich<br />

hätte wahrscheinlich noch ihren Unterricht für die erste Reihe gestört.<br />

Eigentlich verhalten sich Schüler erfahrungsgemäß bei der Anwesenheit<br />

von Gästen <strong>an</strong>deres, aber jetzt beg<strong>an</strong>nen sie sogar dam damit, die<br />

Lehrerein regelrecht vorzuführen, ohne dass sie etwas davon bemerkte.<br />

Meine Stundenten rauften sich in der großen Pause die Haare und<br />

m<strong>an</strong>chem blieben solche Bilder bestimmt noch l<strong>an</strong>ge im Gedächtnis, und<br />

dies in der Hoffnung:<br />

"So etwas soll mir nicht passieren."<br />

Es hatte zwar zur Pause geklingelt und augenblicklich war der Spuk yon<br />

soeben vorbei. Die Schüler gingen zu unserer völligen Überraschung aber<br />

nicht hinaus in die Pause, sie blieben ruhig auf Ihren Plätzen sitzen und<br />

zogen irgendwelche Hefter aus ihren Taschen. Darin lasen sie eifrig und<br />

beg<strong>an</strong>nen still mitein<strong>an</strong>der etwas zu vergleichen und unterein<strong>an</strong>der<br />

abzusprechen. Hin und wieder ging ein Schüler g<strong>an</strong>z leise zu einem <strong>an</strong>deren<br />

und tuschelten etwas. D<strong>an</strong>n rechneten sie und verglichen irgendwelche<br />

Ergebnisse. Aber sie sahen immer in ihren Heftern nach und lernten <strong>an</strong> ihren<br />

Fingern abzahlend etwas. Es geschah aber alles g<strong>an</strong>z leise, obwohl noch<br />

Pause war. Natürlich waren meine Studenten und auch ich verblüfft, denn<br />

eine solche schnelle Veränderung hatte niem<strong>an</strong>d erwartet. Auch der Schüler<br />

Peter, war zu unserer Überraschung intensiv mit etwas beschäftigt. Meine<br />

Die Studenten sahen mich fragend <strong>an</strong>, aber ich konnte die völlig<br />

unvorhersehbaren Ereignisse in der Klasse auch nicht erklären. Denn alle<br />

Schüler blieben sitzen, um etwas intensiv zu bearbeiteten. Deshalb blieben<br />

wir auch gesp<strong>an</strong>nt sitzen, wir wollten sie keineswegs bei ihrer Arbeit stören.<br />

"Was ist jetzt los? Was passiert jetzt?<br />

Fragte mich flüsternd eine Studenten, aber ich konnte auch <strong>nur</strong> mit den<br />

Achseln zucken.<br />

Es klingelte zum Unterrichtsbeginn und Herr Jung betrat die Klasse zum<br />

Mathematikunterricht. Darauf freuten sich schon meine Studenten. Herr<br />

Jung, ein sportlicher M<strong>an</strong>n mit straffer Körperhaltung beg<strong>an</strong>n den<br />

Unterricht:<br />

"Guten Tag!"<br />

Er stellte sich vorn neben die erste B<strong>an</strong>k und nahm erst mit jedem<br />

einzelnem Schüler Blickkontakt auf. In der Klasse wurde es augenblicklich<br />

g<strong>an</strong>z ruhig und die Augen der Schüler waren gesp<strong>an</strong>nt auf ihn gerichtet.<br />

D<strong>an</strong>n sprach er den Schüler Peter in der hinteren Sitzreihe <strong>an</strong>:<br />

„Peter, ist zuvor noch etwas Wichtiges zu erledigen?"<br />

„Nein, ich habe <strong>nur</strong> mein Vorbereitungsblatt zurechtgelegt."<br />

„Wieso Vorbereitungsblatt? Was ist das?"<br />

„Herr Jung, wir wissen doch, was heute beh<strong>an</strong>delt wird, da haben wir uns<br />

eben ein bisschen darauf vorbereitet."<br />

„Das ist eigentlich gut und sehr lobenswert, aber das war keine von mir<br />

gestellte Aufgabe! Ist das richtig?"<br />

Inzwischen st<strong>an</strong>d Herr Jung neben Peter und sah sich das<br />

Vorbereitungsblatt <strong>an</strong>. Er war jetzt sehr neugierig geworden.<br />

„Darf ich mir das auch einmal <strong>an</strong>sehen?"<br />

„Bitte!"<br />

„Woher hast du den Stoff."<br />

„Ich habe ihn aus dem Lexikon für Mathematik entnommen?"


„Sylvia hast du schon wieder einen Liebesbrief bekommen?"<br />

Sylvia saß zwar in seinem Rücken, aber er hatte trotzdem bemerkt, dass<br />

Sylvia auch etwas in die H<strong>an</strong>d genommen hatte.<br />

Die Klasse kicherte und feixte belustigt.<br />

Sylvia bekam sofort einen roten Kopf.<br />

„Das ist doch <strong>nur</strong> mein Vorbereitungsblatt, Herr Jung."<br />

„Aha! Eigentlich schade. Zeig einmal bitte!"<br />

„Moment, das ist doch das gleich Blatt wie bei Peter. Bereitet ihr euch auf<br />

jede Mathematikstunde so vor?"<br />

Ehe noch einer <strong>an</strong>tworten konnte:<br />

„Sabine, ist deine Mutter aus dem Kr<strong>an</strong>kenhaus zurück?"<br />

„Ja. Seit gestern."<br />

„Schönen Gruß vom mir! Alles Gute!"<br />

„So, noch einmal zum Vorbereitungsblatt. Ihr bereitet euch also auf jede<br />

Mathematikstunde gemeinsam vor?"<br />

„Nicht auf jede einzelne Stunde, <strong>nur</strong> auf den neuen Stoffkomplex und wenn<br />

eine Arbeit <strong>an</strong>steht. D<strong>an</strong>n wiederholen wir alles."<br />

„Moment! Ich muss mir erst noch einmal Klarheit schaffen. Also Peter<br />

entnimmt den Lehrstoff für alle aus dem Lexikon für Mathematik. Er stellt<br />

den Stoff zusammen, lasst ihn kopieren und verteilt das Blatt zur<br />

Vorbereitung in der g<strong>an</strong>zen Klasse?"<br />

„Herr Jung, wir tun sogar noch mehr. Wir sprechen die Aufgaben auch alle<br />

gemeinsam vor dem Unterricht durch und lösen auch noch die im Lexikon<br />

<strong>an</strong>gegebenen Aufgaben."<br />

„Jetzt bin ich aber völlig baff. Ihr macht mich sprachlos. Das ist eigentlich<br />

g<strong>an</strong>z toll, war ihr da macht. Dafür ein g<strong>an</strong>z großes dickes Lob <strong>an</strong> jeden<br />

Einzelnen und besonders <strong>an</strong> Peter! Deshalb habt Ihr auch alle sehr gute<br />

Noten in Mathematik?"<br />

Beifälliges Gemurmel in der Klasse, die das Lob gern quittierte.<br />

„Wer ist den auf diese Idee gekommen? Peter du?"<br />

„Das ist uns irgendw<strong>an</strong>n am Beginn der zehnten Klasse einmal eingefallen.<br />

Schließlich wollen doch alle die Abschlussprüfung gut bestehen. "<br />

„Lobenswert! Aber in Biologie gibt es immer wieder Klagen Ober euch."<br />

„Herr Jung. In Biologie machen wir es ebenso. Nur Frau Lierm<strong>an</strong>n springt<br />

im Stoff immer hin und her. Sie hält sich nicht genau <strong>an</strong> den Lehrpl<strong>an</strong> und<br />

d<strong>an</strong>n vermittelt sie auch <strong>nur</strong> den Stoff, der im Biologie-Lehrbuch steht. Das<br />

ist doch völlig uninteress<strong>an</strong>t für uns. Den Stoff über die menschliche<br />

Vermehrung haben wir doch schon l<strong>an</strong>gst gemeinsam bearbeitet. Sie<br />

konnte uns g<strong>an</strong>z einfach fragen, aber sie erzahlt alles noch einmal<br />

haarklein."<br />

„Aha! Es fehlt euch <strong>nur</strong> noch die Praxis.“<br />

Heiterkeit,<br />

„Da sitzt der Haase im Pfeffer. Gut, ich spreche mit Frau Lierm<strong>an</strong>n noch<br />

einmal darüber. Aber wer im Unterricht t<strong>an</strong>zt, der k<strong>an</strong>n nie mit Gnade<br />

rechnen."<br />

Peter meldete sich:<br />

"Ich weiß das war nicht richtig. Aber Frau Lierm<strong>an</strong>n unterrichtet <strong>nur</strong> für die<br />

vorderen Reihen, sie redet <strong>nur</strong> und stellt niemals Fragen <strong>an</strong> uns. Das ist zu<br />

l<strong>an</strong>gweilig! Wir wollten <strong>nur</strong> auf uns aufmerksam machen. Im Unterricht<br />

wollen wir doch auch zeigen, was wir können. Wir entschuldige uns bei ihr."<br />

„Einverst<strong>an</strong>den! Aber sonst seid ihr alle großartig! D<strong>an</strong>n machen wir heute<br />

einmal verkehrten Unterricht. Peter, komm bitte vor, du bist heute unser<br />

Lehrer."


Peter ging mit seinem Vorbereitungsblatt vor zur Tafel und demonstrierte<br />

etwas bedächtig das mathematische Problem. Er erhielt in der weiteren<br />

Tafelarbeit ein paar Zurufe und auch einen Widerspruch aus der Klasse, er<br />

korrigierte sich <strong>an</strong> der Tafel und entwickelte sogar neue eingekleidete<br />

Aufgaben.<br />

Dieselbe Klasse, die soeben den Biologieunterricht gemeinsam störte und<br />

im Unterricht t<strong>an</strong>zte, zerriss sich fast vor Eifer bei der Losung immer neuer<br />

und ständig schwieriger werdender mathematischer Aufgaben. Das hatten<br />

wir nicht erwartet!<br />

„Peter, dass hast du gut gemacht, aber die Einw<strong>an</strong>de waren sehr<br />

berechtigt. Gut, du hast alle Hinweise und Fragen richtig be<strong>an</strong>twortet. Zum<br />

Lehrer hast du jedoch auch Talent, <strong>nur</strong> als Lehrer darfst du nie vor deiner<br />

Klasse t<strong>an</strong>zen. "<br />

Die Klasse schüttete sich vor Lachen aus.<br />

„So! Ich will noch einmal das eigentliche mathematische Kernproblem<br />

verdeutlichen."<br />

Herr Jung ging zur Tafel und erklärte das Problem noch einmal und<br />

versuchte auch noch das komplizierte mathematische Problem <strong>an</strong><br />

Alltagsproblemen zu verdeutlichen und die Klasse half sofort mit.<br />

„Mein Dietrich, ist dir alles g<strong>an</strong>z klar geworden?"<br />

„Ich habe die Logik der Aufgabe g<strong>an</strong>z klar erk<strong>an</strong>nt und verst<strong>an</strong>den."<br />

„Gut, d<strong>an</strong>n erklärst du es uns noch einmal."<br />

Aber Dietrich zeigte keinerlei Schwäche.<br />

„Dietrich, gut so! Ich bin sehr zufrieden. Gibt es sonst noch Fragen zum<br />

Problem?"<br />

Herr Jung sah in die Gesichter seiner Schüler und nickte allen zufrieden zu.<br />

„Ich bin sehr zufrieden mit euch. Weiter so!"<br />

Ich sah mich ver<strong>an</strong>lasst, dem Herrn Jung meinen g<strong>an</strong>z persönlichen D<strong>an</strong>k<br />

für diese Unterrichtsstunde aus zusprechen und lobte ihn für seinen<br />

Mathematikunterricht, auch im Namen meiner Studenten. Er freute sich<br />

darüber, von einem Mitarbeiter der Universität gelobt zu werden, aber auch<br />

im Gespräch mit dem Direktor der Schule lobte ich die Arbeit von Herrn<br />

Jung. Der Direktor bestätigte mir die ausgezeichnete Arbeit seines<br />

Mathematiklehrers:<br />

„Er ist nicht <strong>nur</strong> ein guter Mathematiker, er ist auch ein <strong>Mensch</strong> und das<br />

schätzen seine Schüler besonders.“<br />

Nun aber verl<strong>an</strong>gten meine Studenten eine Erklärung von mir, denn sie<br />

hatten nun in einer Klasse durchgehend und bei verschiedenen Fachlehren<br />

hospitiert und hatten viele Fragen:<br />

„Wie ist es möglich, dass sich dieselbe Klasse derart extrem und<br />

unterschiedlich verhalt?"<br />

Flehte mich händeringend eine Studentin <strong>an</strong>.<br />

"Darüber diskutierten wie ausführlich im Seminar. Ich bitte Sie aber, die<br />

Gründe für derartiges Verhalten von Schülern <strong>selbst</strong> zu suchen und im<br />

Seminar Losungen <strong>an</strong>zubieten."<br />

Im Seminar gab es eine lebhafte Diskussion, so wurde sehr selten derartig<br />

kontrovers gestritten. Wichtig war jedoch, dass meinen Studenten die<br />

Zusammenh<strong>an</strong>ge von Lehrerautorität, Fachkompetenz, methodischem<br />

Können und furchtlosem Auftreten sowie Selbstbewusstsein und


Schlagfertigkeit vor der Klasse bewusst wurden. Er, der Lehrer, muss die<br />

Lacher immer auf seiner Seite haben. Ich hatte dadurch das gute Gefühl,<br />

etwas sehr Wichtiges für künftige Lehrer einsichtig und verdeutlicht zu<br />

haben. Aber erst im Praktikum und in der eigenen Praxis wird sich zeigen,<br />

ob m<strong>an</strong> das Erworbene auch sicher beherrschen und nutzen k<strong>an</strong>n.<br />

Im Sommer des Jahres 1988 wurde ich <strong>an</strong> eine <strong>an</strong>dere Hochschule einer<br />

<strong>an</strong>deren Stadt berufen und musste mich in neue Aufgaben stürzen. Im<br />

darauf folgenden Jahr änderte sich durch das politische H<strong>an</strong>deln des<br />

Volkes der DDR die politische Situation grundlegend und es eröffnete sich<br />

die große Ch<strong>an</strong>ce auf ein einheitliches Deutschl<strong>an</strong>d. Leider wurden im<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g mit der Herstellung der deutschen Einheit zu viele Fehler<br />

von der CDU-Regierung beg<strong>an</strong>gen. Die deutsche Einheit wurde als großes<br />

Geschäft für die westdeutschen Industrieellen, aber zu unserem Nachteil.<br />

Ich hatte noch das große Glück bis 1994 ungehindert als Ordentlicher<br />

Professor arbeiten zu dürfen. D<strong>an</strong>n wurden wir, die Hochschullehrer der<br />

pädagogisch-psychologischen Disziplinen, erst abgewickelt und d<strong>an</strong>ach<br />

h<strong>an</strong>dverlesen, aber trotzdem mussten wir schließlich in die Arbeitslosigkeit<br />

gehen. Diese Lösung war in jeder Beziehung ungerecht, aber politisch war<br />

es so gewollt. Die Folgen dieses H<strong>an</strong>delns sind noch heute und auch noch<br />

l<strong>an</strong>ge spürbar. Die Frage nach dem warum", beschäftigt mich und viele<br />

<strong>an</strong>dere noch heute. Offensichtlich gab es für die Wiederherstellung der<br />

deutschen Einheit kein sozial gerechtes Konzept der demokratischen Kräfte<br />

Deutschl<strong>an</strong>ds. Aber keine demokratische Partei hat bisher versucht, diese<br />

Fehler zu korrigieren und so etwas kostet unnötig sehr viel Geld und<br />

Vertrauen in die deutsche Politik.<br />

Es waren inzwischen gute zehn Jahre verg<strong>an</strong>gen. Aber weil ich mir in der<br />

Universitätsbibliothek ein bestimmtes Buch erst <strong>an</strong>sehen und vielleicht<br />

kaufen wollte, fuhr ich wieder in die als Thüringer Universitätsstadt, mit dem<br />

großen Turm in der Stadtmitte. Es hatte sich inzwischen auch in dieser<br />

Stadt viel verändert. Sie wirkte auf mich viel freundlicher und <strong>an</strong>genehmer<br />

als früher. Der Turm wird nunmehr von einer bek<strong>an</strong>nten Cumputerfirma<br />

genutzt. In diesem Turm hatte ich promoviert und mich habilitiert und<br />

mehrere Jahre als Hochschuldozent gearbeitet. Diese Jahre und meine<br />

akademischen Qualifikationen waren für mich sehr bedeutungsvoll. Diese<br />

wichtigen persönlichen bedeutungsvollen akademischen Schritte, binden<br />

mich noch immer <strong>an</strong> diese interess<strong>an</strong>te Stadt mit diesem modernen Turm.<br />

Die Universität war jetzt untergekommen, wo ehedem ein großer und<br />

weltbek<strong>an</strong>nter Betrieb arbeitete. Von der Sudseite des Marktplatzes aus<br />

gab es ehedem, d<strong>an</strong>k einer Baulücke, wahrscheinlich eine Folge von<br />

heftigen Bomben<strong>an</strong>griffen, einen schönren Blick hin zu meinem Turm. Der<br />

bek<strong>an</strong>nte Universitätsgründer, der hier <strong>nur</strong> H<strong>an</strong>fried gen<strong>an</strong>nt wird, und<br />

dessen Denkmal hier auf dem Markt steht. Der H<strong>an</strong>fried richtete damals<br />

scheinbar sein scharfes Schwert, drohend gegen den Turm, wenn m<strong>an</strong> <strong>nur</strong><br />

die richtige Perspektive wählt. Heute aber ist diese Baulücke durch neue<br />

aber wenig <strong>an</strong>sehnliche Wohn- und Geschäftshäuser verstellt. Ich ging mit<br />

meinen Büchern unter den Arm geklemmt, l<strong>an</strong>gsam zum Bahnhof. Aber ich<br />

hatte noch viel Zeit und deshalb entschloss ich mich, noch eine Tasse Kaffe<br />

zu trinken. Das Frühlingswetter war<br />

schon <strong>an</strong>genehm warm und m<strong>an</strong> konnte auch schon draußen sitzen. Ich<br />

hatte mich kaum gesetzt, da entdeckte ich Herrn Jung. Ist er es oder?<br />

„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so unmittelbar <strong>an</strong>spreche. Sie sind


doch Herr Jung? Sie können sich wahrscheinlich nicht mehr <strong>an</strong> mich<br />

erinnern. Ich bin Herr Schütze. Ich habe seiner Zeit oft und gern mit meinen<br />

damaligen Studenten bei Ihnen im Unterricht hospitiert.“<br />

„,Ach, ja! Aber das ist inzwischen schon sehr l<strong>an</strong>ge her. D<strong>an</strong>n waren Sie<br />

damals wohl <strong>an</strong> der Uni."<br />

„Richtig, aber <strong>an</strong> ihren Namen konnte ich mich nicht mehr erinnern."<br />

„"Ich dafür aber umso besser, ich konnte Sie immer von den hinteren<br />

B<strong>an</strong>ken besonders gut beobachten und unsere Studenten waren von ihrem<br />

Unterricht in Mathematik begeistert. Entschuldigen Sie, aber es scheint mir,<br />

Ihnen geht es gesundheitlich scheinbar nicht allzu gut zu gehen?"<br />

„Ja, leider! Das haben Sie wohl richtig erk<strong>an</strong>nt! Aber das gesundheitliche<br />

Problem ist für mich das kleinere Problem. Viel schlimmer ist eine <strong>an</strong>dere<br />

Seite, weil ich als Lehrer arbeitslos wurde, ich war ehedem Parteisekretär in<br />

der Schule war. Was haben die Herrn Genossen der Schule und der<br />

Kreisleitung mir damals zugesetzt und was habe ich mich gesträubt, weil<br />

ich kein Parteisekretär werden wollte und d<strong>an</strong>n haben die mich mehrfach<br />

zur Kreisleitung bestellt, bis ich d<strong>an</strong>n endlich klein beigegeben habe. Später<br />

wurde mir genau das vorgeworfen und fast von den gleichen Leuten, die<br />

mich zuvor bearbeitet und weich geklopft haben. Nun, seit einigen Wochen<br />

darf ich wieder ein paar Stunden halbtags arbeiten, aber davon k<strong>an</strong>n ich<br />

nicht leben. Am liebsten mochte ich alles hinschmeißen und Schluss<br />

machen. Ich war schon soweit, mir <strong>selbst</strong> das Leben zu nehmen."<br />

„Aber, das eigene Leben ist viel zu kostbar, dass darf m<strong>an</strong> sich nicht <strong>selbst</strong><br />

nehmen! Sie sind doch verheiratet und haben auch Kinder. Wollen Sie in<br />

ihrer Familie eine Selbstmord-Tradition begründen? Bestimmt nicht!"<br />

Aber wie ging es mir <strong>selbst</strong> und den <strong>an</strong>deren Kollegen und ich erzahlte es<br />

ihm:<br />

"Als ich als Ordentlicher Professor abgewickelt und schließlich<br />

hinausgedrängt wurde, st<strong>an</strong>d ich d<strong>an</strong>ach vor der Tür des Ministeriums in<br />

Erfurt und hatte das Gefühl in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen. Um mich<br />

herum schien alles grau und ich konnte keinerlei Strukturen mehr erkennen.<br />

Alle <strong>Mensch</strong>en, die ich liebe, waren weit von mir entfernt. Ich war so<br />

unendlich allein und alles erschien dunkel und aussichtslos zu sein.<br />

Gegenüber st<strong>an</strong>d mein Auto auf dem Parkplatz und ich war <strong>fest</strong><br />

entschlossen mit 150 Sachen gegen einen Baum oder eine Mauer zu<br />

fahren, damit endlich Schluss ist. Aber es gab in mir eine Stimme und die<br />

sagte: Nein! Nein! Glaube <strong>fest</strong> <strong>an</strong> <strong>dich</strong> <strong>selbst</strong>! Gib nicht auf!<br />

Sehr l<strong>an</strong>ge habe ich gebraucht um meine Ged<strong>an</strong>ken wieder zu ordnen.<br />

Aber d<strong>an</strong>n habe ich es auch nicht get<strong>an</strong>, weil mir klar wurde, dass das was<br />

uns im Namen der deutschen Einheit <strong>an</strong>get<strong>an</strong> wurde, ist eigentlich Unrecht<br />

ist und dagegen muss m<strong>an</strong> etwas tun.<br />

"Ja, ja! Wissen Sie! Genauso war es mir auch zu Mute, aber sie haben es<br />

soeben besser beschrieben. Ais Mathematiker hatte ich Plusminus Null und<br />

Aus gesagt. Wir sind zwar nicht im gleichen Alter, aber was haben Sie<br />

d<strong>an</strong>ach gemacht?"<br />

"Ich habe sehr l<strong>an</strong>ge gebraucht, bis ich wieder klar denken konnte. Einen<br />

hoch trainierten Kopf, den k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nicht einfach so abschalten, der<br />

arbeitet eben weiter. Den k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> doch nicht einfach ein- und abschalten<br />

wie die Zimmerbeleuchtung. Aber meine Frau und mein kleiner Enkelsohn,<br />

die haben mir damals am meisten vielleicht sogar unbewusst geholfen,<br />

eben ohne es zu ahnen. Ich bin aber hier geblieben! L<strong>an</strong>ge habe ich<br />

gehofft, dass jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>ruft und sagt: Wir brachen <strong>dich</strong> wieder. Ich konnte<br />

mir einfach nicht vorstellen, dass so vie I Unrecht einfach weiter besteht


leibt. Ich glaubte, dass meine Entlassung eines schonen Tages wieder<br />

aufgehoben wird. Aber bisher habe ich vergeblich gehofft, auch die SPD<br />

hat das geschaffene Unrecht der CDU-Regierung einfach weiter bestehen<br />

lassen und hat nichts korrigiert und das werde ich der SPD nicht verzeihen.<br />

Aber ich habe später doch noch meine Losung gefunden, ich habe<br />

<strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen zu schreiben, ob es ein Buch wird oder nicht, dass entscheide<br />

ich später. Aber jetzt macht es mir richtig Spaß, ich sitze am Computer und<br />

meine Ged<strong>an</strong>ken fließen zu lassen und auf Papier <strong>fest</strong> zu halten. Goethe<br />

sagte dazu: fabulieren.<br />

„Bei mir war es leider noch viel schlimmer. Ich habe dem Gerede der neuen<br />

Regierung in Erfurt getraut und mich <strong>selbst</strong>ändig gemacht als<br />

Immobilienmakler, weil die ja scheinbar alle steinreich sein sollen. Ich<br />

glaubte. damit auch etwas für meine Familie und später für meine Kinder<br />

tun zu können. Die ersten Geschäfte liefen auch gleich ziemlich gut <strong>an</strong>.<br />

Aber irgendw<strong>an</strong>n kam ich mit einem westdeutschen Makler in Kontakt und<br />

einer von denen, der lebt heute im Schwarzwald, dem habe ich für drei sehr<br />

große Objekte Käufer vermittelt, weil ich ihm vertraute. Ais ich d<strong>an</strong>n die<br />

Vereinbarung über ein Gemeinschaftsgeschäft wollte, stellte er sich stur<br />

und auch meine Rechts<strong>an</strong>wältin konnte nichts mehr ausrichten. Der hat<br />

mich sage und schreibe um viele Millionen DM betrogen. Mit diesem Gelde<br />

wäre ich ein gemachter M<strong>an</strong>n gewesen. Ich war bisher gegen niem<strong>an</strong>d<br />

misstrauisch, aber jetzt bin ich es. Gegenüber meinen Schülern konnte ich<br />

als Lehrer <strong>nur</strong> vertrauensvoll sein und hatte es nicht gelernt <strong>Mensch</strong>en<br />

misstrauisch zu begegnen und deshalb bin ich darauf hereingefallen. Nun<br />

aber hatte ich kein Geld mehr und d<strong>an</strong>ach musste ich mein Geschäft<br />

schließen und ging Pleite und nun zahle ich stotternd die verbliebenen<br />

Betriebskosten ab. Jetzt wissen Sie, was ich für eine unbändige Wut auf<br />

solche Wessis in meinem Bauche habe."<br />

Ich tröstete ihn noch und musste mich aber verabschieden. Ich wollte<br />

meinen Zug noch erreichen.<br />

„<strong>Mensch</strong> Jung, bleibe dir ja <strong>selbst</strong> treu und du bekommst auch bestimmt<br />

eine neue Ch<strong>an</strong>ce."<br />

„D<strong>an</strong>ke, es tut trotzdem gut, wenn m<strong>an</strong> einmal mit jem<strong>an</strong>d so darüber<br />

sprechen k<strong>an</strong>n. Mit meiner Frau k<strong>an</strong>n ich das Thema schon nicht mehr<br />

beh<strong>an</strong>deln. Die ist noch immer der Meinung, ich hatte nicht aufgepasst und<br />

hatte mich betrügen lassen. Ein ehrlicher und vertrauender Lehrer ist für<br />

solche Geschäfte eben nicht geeignet."<br />

"Auf Wiedersehen!"<br />

Darüber vergingen wieder einige Jahre. Aber ich musste eines Tages doch<br />

wieder in die bek<strong>an</strong>nte Stadt mit dem Turm. Mein erstes Buch war als<br />

M<strong>an</strong>uskript inzwischen fertig und ich wollte es nun als CD-Rom in den<br />

Jenaer Verlag bringen. Ich ging wieder durch diese lebhafte und<br />

interess<strong>an</strong>te Stadt, die meist voller <strong>Mensch</strong>en und Studenten ist. Vieles hat<br />

sich wiederum inzwischen verändert. Ich ging wieder Ober den Markt auf<br />

dem die Marktfrauen dabei waren, ihre frischen Produkte auszulegen.<br />

Dabei stritten sie sich laut Ober den Markt hinweg, wessen Salat der<br />

frischeste ist und darüber wurde auch laut gelacht. D<strong>an</strong>ach ging ich durch<br />

enge Gasschen zum Hauptgebäude der Universität und durch das<br />

Hauptgebäude hindurch. Ich sah viele fremde Gesichter und auch ein<br />

bek<strong>an</strong>ntes Gesicht von früher. Ich bemerkte, dass er auch mich musterte,<br />

aber mir fiel dessen Name nicht mehr ein und ich wusste auch nicht mehr,<br />

in welches Fachgebiet ich ihn zu stecken hatte. Die Bilder der berühmten


alten Professoren hingen noch <strong>an</strong> den W<strong>an</strong>den und schließlich verließ ich<br />

das Hauptgebäude wieder durch die Tür zur Goetheallee.<br />

Als ich alles im Verlag erledigt hatte, nahm ich einen <strong>an</strong>deren Weg durch<br />

die Stadt, urn noch in einen großen modernen Einkaufscenter zu gel<strong>an</strong>gen.<br />

Ich suchte nach einer bestimmten Software für meinen Computer. Wahrend<br />

ich im Geschäft suchte, horte ich hinter mir ein Gespräch, und eine Stimme<br />

davon kam mir sehr bek<strong>an</strong>nt vor. Sie gehörte Herrn Jung. Er hatte mich<br />

auch entdeckt:<br />

„<strong>Mensch</strong>, Professor, Sie können sich wohl auch nicht von hier trennen?"<br />

„Eigentlich schon, aber es zieht mich auch immer wieder hierher zurück.<br />

Aber wie geht es Ihnen? Sie sehen wesentlich besser und optimistischer<br />

aus?"<br />

„M<strong>an</strong> darf sich <strong>selbst</strong> niemals aufgeben! Dies war doch der Sinn Ihres<br />

Satzes?"<br />

„Das ist richtig! So war es eigentlich auch gemeint!"<br />

„Urn g<strong>an</strong>z ehrlich zu sein: Erst habe ich ihren Satz nicht g<strong>an</strong>z verst<strong>an</strong>den<br />

und ich habe mich sogar darüber lustig gemacht. Wissen Sie, kluge<br />

Sprüche und Lebensweisheiten gibt es doch genug und die Psychologen<br />

haben doch davon auch welche auf Lager. Aber später ging er mir immer<br />

wieder durch den Kopf und jetzt habe ich ihren Satz doch verst<strong>an</strong>den.<br />

Lachen Sie bitte nicht! Heute arbeite ich hier in der Cumputerbr<strong>an</strong>che und<br />

es macht mir sehr viel Spaß. Ich wusste gar nicht, welche Talente ich noch<br />

besitze. Früher dachte ich, ein sozialistischer Lehrer zu sein, dass muss<br />

doch das Größte sein! Aber das stimmt alles gar nicht. Jeder von uns<br />

besitzt viele Talente und Möglichkeiten, von denen auch ich <strong>selbst</strong> keinerlei<br />

Ahnung hatte, weil m<strong>an</strong> jahrel<strong>an</strong>g <strong>nur</strong> in eine Richtung denken muss. M<strong>an</strong><br />

läuft und denkt <strong>nur</strong> geradeaus. Es ist, als wenn m<strong>an</strong> jahrel<strong>an</strong>g auf <strong>fest</strong><br />

verlegten Gleisen gelaufen wäre. M<strong>an</strong> hat nicht nach rechts und links<br />

gesehen. Irgendwie war ich völlig berufsblind geworden und brauchte <strong>nur</strong><br />

noch auf die Rente zu warten."<br />

„Ich k<strong>an</strong>nte Lehrer, die hatten sogar Angst von den Gleisen herunter zu<br />

fallen."<br />

„Ich auch! Aber wahrscheinlich muss m<strong>an</strong> erst in eine Krise kommen, urn<br />

sich <strong>selbst</strong> zu offnen und endlich auch in <strong>an</strong>dere Richtungen denken zu<br />

können."<br />

„Das ist völlig richtig!"<br />

„Neulich habe ich auch einem ehemaligen Kollegen geholfen, der war auch<br />

fast am Ende. Es ist wirklich wahr! M<strong>an</strong> muss eben <strong>fest</strong> <strong>an</strong> sich <strong>selbst</strong><br />

<strong>glaube</strong>n, sonst hat m<strong>an</strong> im Leben gleich verloren und findet keinen Weg<br />

und auch keinen Ausweg mehr. Erst wenn m<strong>an</strong> es wirklich begriffen hat,<br />

erst d<strong>an</strong>n beginnen die neuen Ch<strong>an</strong>cen des Lebens. Ich habe Ihnen zu<br />

d<strong>an</strong>ken! Hoffentlich sehen wir uns noch einmal wieder!"<br />

„Nein Herr Jung! Bitte keinen D<strong>an</strong>k. Jeder muss sich <strong>nur</strong> <strong>selbst</strong><br />

ausprobieren, um sich zu erkennen, darum kommt keiner herum."<br />

„Schon wieder so ein Spruch?"<br />

„Meinetwegen! Aber <strong>nur</strong> für Sie!"

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