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Archivar 2/2012 (3 Mbyte) - Archive in Nordrhein-Westfalen

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156<br />

ArchivAr 65. Jahrgang Heft 02 Mai <strong>2012</strong><br />

AUFSÄTZE<br />

im Jahre 1812, als König Max I. se<strong>in</strong>e <strong>Archivar</strong>e anwies, „jedem<br />

Freunde der vaterländischen Geschichte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Forschungen<br />

an die Hand zu gehen”. 23<br />

diE ENTschEiduNgsfiNduNg<br />

In Reaktion auf die e<strong>in</strong>gehenden Gesuche entwickelte die Regierung<br />

und ihre Verwaltung e<strong>in</strong> Prüfungsverfahren, das sich sowohl<br />

auf das Anliegen des Gesuchs als auch den Gesuchsteller selbst<br />

richtete. Aus der Sicht der Staatsbeamten war die E<strong>in</strong>sichtnahme<br />

<strong>in</strong> das Wissen der Regierung e<strong>in</strong> prekärer Akt, der die arcana<br />

imperii und das ihnen zugrundeliegende Pr<strong>in</strong>zip, die Geheimhaltung,<br />

zu untergraben drohte. Das Prüfungsverfahren hatte folglich<br />

die politische Integrität der Arkansphäre zu gewährleisten und<br />

wurde entlang älterer adm<strong>in</strong>istrativer Traditionen wie etwa der<br />

Archivbenutzung <strong>in</strong> Rechtssachen 24 entwickelt und berücksichtigte<br />

selbstredend die offenkundigen fiskalischen und rechtlichen<br />

Interessen des Staates.<br />

Es war gleichwohl diese von der Staatsregierung konstituierte<br />

adm<strong>in</strong>istrative Schwelle, die Dottore Alessandro Volpi nicht zu<br />

passieren vermochte. Zu Beg<strong>in</strong>n erschien se<strong>in</strong>e Bitte um die<br />

Benutzung der <strong>Archive</strong> durchaus aussichtsreich zu se<strong>in</strong>. Wie das<br />

Münchner Blatt, die Neuesten Nachrichten, berichtete, wurde<br />

der Besucher während der Audienz des König und se<strong>in</strong>er Familie<br />

„huldvollst aufgemuntert”(Neueste Nachrichten 29.11.1857), mit<br />

se<strong>in</strong>en Studien fortzufahren. Zu guter Letzt scheiterte Volpis<br />

Antrag. Trotz der anfänglich positiven Aufnahme se<strong>in</strong>es historischen<br />

Interesses lehnte König Max II. auf der Grundlage der von<br />

Regierung und Verwaltung erarbeiteten Vorschläge das Gesuch<br />

des Schriftstellers ab. Zwei Probleme stellten sich unmittelbar im<br />

Fall Volpi e<strong>in</strong>. Erstens ließ die vorgebrachte Bitte die erforderliche<br />

Klarheit vermissen; weder die Identität des Gesuchstellers noch<br />

dessen Forschungsthema waren klar erkennbar. Ferner hatte Volpi<br />

se<strong>in</strong>e mündlich vorgebrachte Bitte nicht mit e<strong>in</strong>er schriftlich<br />

verfassten „E<strong>in</strong>gabe” (Rudhardt 4.12.1857) über se<strong>in</strong> Anliegen<br />

unterstützt; der schriftliche Antrag war conditio s<strong>in</strong>e qua non <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em politischen Kommunikationsprozess, <strong>in</strong> dem Gesuchsteller<br />

und Staatsregierung die Grenze der arcana und der Öffentlichkeit<br />

bestimmen mussten.<br />

Im Anschluss an die Audienz teilte Max II. se<strong>in</strong>er Regierung mit,<br />

dass „Dr Volpi aus Mailand, welcher gegenwärtig an e<strong>in</strong>er Geschichte<br />

von Tÿrol arbeitet, [...] Mich um Erlaubnis gebeten [hat],<br />

die hiesigen <strong>Archive</strong> hierfür benützen zu dürfen” (Max 26.11.1857).<br />

Der König fuhr fort, e<strong>in</strong>e „gutaechtliche Aeusserung” <strong>in</strong> dieser<br />

Sache anzufordern, und leitete hiermit die Prüfung des von<br />

Volpi persönlich vorgelegten „Gesuchs” (ebd.) e<strong>in</strong>. Angesichts<br />

der Autorschaft des „Handschreiben” (Pfordten 28.11.1857;<br />

ders. 16.11.1857) wurde der Befehl schnell <strong>in</strong> Umlauf gebracht und<br />

die e<strong>in</strong>fache Anmerkung „Cito” (Max 26.11.1857) am rechten Rand<br />

des Schriftstücks drängte die Staatsbeamten zu e<strong>in</strong>er raschen<br />

Erledigung des Anliegens ihres „Allergnädigsten König und<br />

Herr” (Rudhardt 4.12.1857). Am nächsten Tag unterrichtete der<br />

Außenm<strong>in</strong>ister Ludwig von der Pfordten (1811-1880) das Innenm<strong>in</strong>isterium,<br />

welches endlich die dr<strong>in</strong>gliche Angelegenheit dem ihm<br />

untergeordneten Königlichen Allgeme<strong>in</strong>en Reichsarchiv übermittelte.<br />

Wenige Tage später antwortete der Archivdirektor, Dr. Georg<br />

Thomas Rudhardt (1792-1860), se<strong>in</strong>en Vorgesetzten, <strong>in</strong>dem er <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em mehrseitigen Bericht das vorliegende Gesuch prüfte und<br />

bewertete.<br />

dEr gEsuchsTELLEr<br />

Rudhardt hatte Rechtswissenschaften studiert, vermochte<br />

aber mit Erfolg se<strong>in</strong>e Karriere zu befördern, <strong>in</strong>dem er sich auf<br />

geschichtswissenschaftliche Studien spezialisierte. Se<strong>in</strong>e auf<br />

Archivrecherchen basierende Forschungen und Studien trugen<br />

zu zeitgenössischen Fragen des noch jungen Königreichs Bayerns<br />

bei. Die offensichtliche politische Bedeutung se<strong>in</strong>er historischen<br />

Arbeit, die hierbei zuteil gewordene Anerkennung und nicht<br />

zuletzt se<strong>in</strong>e doppelte Expertise <strong>in</strong> den Rechtswissenschaften und<br />

<strong>in</strong> der Geschichte machten ihn zu e<strong>in</strong>em geeigneten Kandidaten<br />

für die Leitung des Allgeme<strong>in</strong>en Reichsarchivs.<br />

Der 1848 ernannte Archivdirektor war unter anderem auch für<br />

die Begutachtung der e<strong>in</strong>gehenden Archivbenutzungsgesuche<br />

zuständig. Die e<strong>in</strong>gehenden Gesuche waren zunächst auf die<br />

„Persönlichkeit des Petenten” (Rudhardt 4.12.1857) zu prüfen.<br />

Verständlicherweise wünschte die Staatsverwaltung, genau zu<br />

wissen, wer um E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Arkansphäre bat, und folglich überprüften<br />

die leitenden Archivbeamten die Identität und den Charakter<br />

des „Bittsteller[s]” (ebd.), bevor dem Gesuch stattgegeben<br />

werden konnte. Rudhardt versuchte daher, persönliche Details<br />

über den „Dr Volpi aus Mailand” (Max 26.11.1857) zu ermitteln.<br />

Se<strong>in</strong>e Versuche, die wirklichen Interessen und die möglichen<br />

Motive für Volpis Gesuch <strong>in</strong> Erfahrungen zu br<strong>in</strong>gen, scheiterten<br />

jedoch daran, dass sich die Identität des Gesuchstellers nicht<br />

sicherstellen ließ. Auf Anfrage bei der Königlichen Polizeidirektion<br />

<strong>in</strong> München erfuhr Rudhardt, dass der Petent „Alexander<br />

Volpi heißt, Dr. der Mediz<strong>in</strong> ist, <strong>in</strong> Trient geboren wurde, im<br />

Alter von 36 Jahren steht, verehlicht und katholischer Religion<br />

ist” (Rudhardt 4.12.1857). Für se<strong>in</strong>e Recherche nahm Rudhardt<br />

auch e<strong>in</strong>en „ziemlich lobrednerisch gehaltenen Artikel” (ebd.)<br />

zur Hand, der e<strong>in</strong>ige Tage zuvor <strong>in</strong> den „Neuesten Nachrichten“<br />

veröffentlicht worden war. Vergeblich versuchte er mehr über die<br />

Schriften des angeblich „bekannte(n) Schriftsteller(s)” (Neueste<br />

Nachrichten 29.11.1857) herauszuf<strong>in</strong>den und griff hierzu auf die<br />

Kataloge der nahegelegenen Königlichen Hof- und Staatsbibliothek<br />

zurück, die wie das Reichsarchiv im selben Gebäude <strong>in</strong> der<br />

Ludwigstraße untergebracht war. Das Ergebnis se<strong>in</strong>er Recherchen<br />

präsentierte schließlich mehr als e<strong>in</strong>en Dottore Volpi: „Zwar<br />

kennt die italienische Literatur e<strong>in</strong>en Guiseppe di Volpi, der zu<br />

Mailand e<strong>in</strong> Manuale die Technologia generale 1854.80 herausgegeben;<br />

aber ke<strong>in</strong>en dieses Namens, der sich mit geschichtlichen<br />

Studien abgegeben, und <strong>in</strong> der Historie als Schriftsteller<br />

aufgetreten wäre.” (Rudhardt 4.12.1857). Zuletzt musste auch das<br />

vorgebrachte Interesse an Literatur und Geschichte <strong>in</strong> Zweifel<br />

gezogen werden, da der Schriftsteller und Forscher Volpi sich dem<br />

Vorstand der Hof- und Staatsbibliothek noch nicht vorgestellt<br />

hatte (ebd.). Die Unklarheiten über Volpis Person waren Anlass,<br />

an den Gründen für se<strong>in</strong> Interesse an den arcana zu zweifeln. Da<br />

se<strong>in</strong>e Identität verdächtig erschien, war auch die Wahrhaftigkeit<br />

se<strong>in</strong>er Forschungsabsicht fragwürdig.<br />

<strong>Archivar</strong>e und andere Staatsbeamte bedienten sich verschiedener<br />

Quellen, um sich von den genu<strong>in</strong>en historischen Absichten zu<br />

überzeugen und das notwendige „Vertrauen” (Rudhardt 4.12.1857)<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Gesuchsteller zu fassen. Die Reputation e<strong>in</strong>es Gelehrten,<br />

die Erfahrungen der Archivverwaltung mit e<strong>in</strong>em Benutzer <strong>in</strong><br />

loco archivi, die veröffentlichten Studien und die dar<strong>in</strong> manifestierten<br />

Anschauungen oder auch das lokal-spezifische Wissen<br />

über e<strong>in</strong>e Person, all dies vermochte e<strong>in</strong>en Gesuchsteller vertrauenswürdig<br />

ersche<strong>in</strong>en lassen. Wie anhand der Bemühungen Rud-

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