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Archivar 2/2012 (3 Mbyte) - Archive in Nordrhein-Westfalen

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hardts <strong>in</strong> der Sache Volpi erkennbar wird, wurde jedwedes greifbare<br />

Mittel <strong>in</strong> Anspruch genommen, um das persönliche Profil<br />

des Gesuchstellers erkennbar werden zu lassen. Der offenkundige<br />

Mangel an e<strong>in</strong>deutigen und die Person des Schriftstellers Volpi<br />

aufklärenden Informationen gereichte dem Petenten schließlich<br />

zum Nachteil. Dies fiel umso schwerer <strong>in</strong>s Gewicht, als Volpi nicht<br />

dem bayerischen Untertanenverband angehörte; er kam aus dem<br />

Ausland. Aus dem Ausland angereiste Forscher galten als Subjekte<br />

e<strong>in</strong>er fremden Regierung und folglich auch <strong>in</strong> Archivsachen als<br />

„fremd[e] Gelehrt[e]” (Pfordten 16.12.1857). Die Staatsverwaltung<br />

ließ <strong>in</strong> ihrem Bemühen, die Arkansphäre abzuschirmen, noch<br />

mehr Vorsicht obwalten, um etwaig nur vorgetäuschte Versuche<br />

der E<strong>in</strong>sichtnahme <strong>in</strong> das geheime Staatswissen von vornhere<strong>in</strong><br />

zu vereiteln. Um schließlich doch das erforderliche Vertrauen zu<br />

verdienen, waren verschiedene Mittel zur Hand: Ausgestattet mit<br />

Empfehlungsschreiben vermochten ausländische Forscher, die<br />

Bedenken der Staatsbeamten auszuräumen. E<strong>in</strong> anderes Mittel,<br />

um den Status des fremden Gelehrten zu überw<strong>in</strong>den, war etwa<br />

die diplomatische Vermittlung durch die Regierungsvertretungen<br />

vor Ort, die Gesandtschaften, oder die Empfehlung seitens<br />

wissenschaftlicher Vere<strong>in</strong>igungen. Auffällig ist, dass es Volpi an<br />

all diesen Mitteln mangelte; weder die Österreichische Gesandtschaft<br />

<strong>in</strong> München vermittelte stellvertretend se<strong>in</strong> Anliegen noch<br />

irgende<strong>in</strong>e andere Assoziation oder Vere<strong>in</strong>igung.<br />

dEr forschuNgsgEgENsTANd<br />

Neben den Unklarheiten über Volpis Person erwies sich das Gesuch<br />

des Schriftstellers noch <strong>in</strong> anderer H<strong>in</strong>sicht als une<strong>in</strong>deutig:<br />

der „Gegenstand se<strong>in</strong>er Arbeit” (Rudhardt 4.12.1857) und dessen<br />

Verknüpfung mit e<strong>in</strong>er nicht weiter spezifizierten Zeitperiode. Die<br />

wenigen vorliegenden Indizien verwiesen darauf, dass Volpi sich<br />

doch für „die neuere und neueste Geschichte von Tÿrol” (ebd.)<br />

<strong>in</strong>teressierte. Die Verb<strong>in</strong>dung des Gegenstandes mit dem auf die<br />

Moderne gerichteten Aktenstudium lief jedoch Gefahr, e<strong>in</strong> weniger<br />

günstiges Kapitel der jüngeren Geschichte des Bayerischen<br />

Staates zu berühren.<br />

Gemäß den Angaben des „allerhöchsten Handschreiben se<strong>in</strong>er<br />

Majestät des Königs“ (Pfordten 27.11.1857) bat Alessandro<br />

Volpi, se<strong>in</strong>e Studien zur „Geschichte Tÿrols“ (Max 26.11.1857)<br />

zu vertiefen. Obzwar das Anliegen unverfänglich sche<strong>in</strong>t, ist<br />

anzumerken, dass die politische Verwicklung Bayerns mit diesem<br />

<strong>in</strong> den nordöstlichen Alpen liegenden Gebiet sowohl <strong>in</strong> der<br />

„ältesten Zeit“ (Pfordten 27.11.1857) als auch der Gegenwart lag.<br />

Angesichts des Mangels an weiteren H<strong>in</strong>weisen griff Rudhardt<br />

auf den <strong>in</strong> den Neuesten Nachrichten publizierten Artikel zurück<br />

(vgl. Rudhardt 4.12.1857). Dem war zu entnehmen, dass Volpi<br />

„die <strong>in</strong>teressante Geschichte Bayerns, Frankreichs und Österreichs<br />

vom Beg<strong>in</strong>n 1793-1815, bezüglich Tyrols, bearbeitet“, und er<br />

beabsichtige, „Belege und Notizen <strong>in</strong> Betreff der Napoleonischen<br />

Kriege zu sammeln“ (Neueste Nachrichten 29.11.1857). Bereits<br />

vor den ausgreifenden Recherchen Rudhardts hatte die Staatsregierung<br />

angesichts des potentiellen Interesses an der modernen<br />

Geschichte Bedenken anzumelden. In se<strong>in</strong>em Schreiben vom<br />

27. November 1857 unterrichtete der Außenm<strong>in</strong>ister, Ludwig von<br />

der Pfordten, das Innenm<strong>in</strong>isterium, „daß die Gewährung des<br />

<strong>in</strong> Mitte liegenden Gesuchs zu beantragen se<strong>in</strong> dürfte, soweit die<br />

Benützung des Archivs auf Akten und Urkunden, welche Tÿrol<br />

betreffen, von der ältesten Zeit bis zur ersten Abtretung Tÿrols an<br />

Oesterreich, e<strong>in</strong>geschränkt bleibt, aber auf die neuere Geschichte,<br />

157<br />

namentlich vom Füssener Frieden /: 1745 :/ angefangen sich nicht<br />

erstreckt“ (Pfordten 27.11.1857).<br />

Neuere und jüngste historische Entwicklungen und Themen<br />

waren für die Staatsregierung <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong>e sensible Angelegenheit.<br />

Entwicklungen und politische Ereignisse der modernen<br />

Geschichte waren nach wie vor verknüpft mit der Gegenwart.<br />

Diese Verknüpfung mit dem gegenwärtigen politischen Status<br />

quo lag ohne jeden Zweifel <strong>in</strong> Volpis Fall vor. Das Interesse an<br />

der eher jüngeren Zeitperiode erwies sich für die Staatsbeamten<br />

als schwierig, da es an e<strong>in</strong> sensibles Thema rührte. (vgl. Rudhardt<br />

4.12.1857). Das Herzogtum „Tyrol war bekanntlich von 1803<br />

bis 1814 dem Königreiche Bayern e<strong>in</strong>verleibt“ (Pfordten 16.12.1857).<br />

Anders gesagt: Tyrol ward erst gewonnen und später wieder<br />

verloren. Mehr noch: „Was sich <strong>in</strong> dieser Periode, namentlich bei<br />

der Insurrection Tyrols im Jahre 1809 begeben hat“ (ebd.), bot<br />

reichlich Anlass, den Bayerischen Staat zu kompromittieren. Die<br />

rezenten Ereignisse verwiesen auf die beschränkte Reichweite<br />

politischer Macht des se<strong>in</strong>erzeit <strong>in</strong> Entstehung begriffenen neuen<br />

bayerischen Staates; ihre Geschichte vermochte auch noch <strong>in</strong><br />

der Gegenwart das Ansehen des Bayerischen Königreichs zu<br />

schädigen.<br />

Über fünf Jahrzehnte zuvor, im Anschluss an den Dritten Koalitionskrieg<br />

gegen Frankreich, schlug Napoleon se<strong>in</strong>em loyalen<br />

Verbündeten, der bayerischen Monarchie, Tyrol zu und überantwortete<br />

ihr damit die politische Kontrolle über das Herzogtum.<br />

Tyrol, traditionelles Kernland der österreichischen Monarchie,<br />

erwies sich jedoch <strong>in</strong> der Hand der bayerischen Regierung als<br />

unbotmäßig. Politische Reformen, welche die bayerische Staatsregierung<br />

<strong>in</strong> München ersonnen hatte, brachten die Bevölkerung<br />

Tyrols gegen die neue Regierung auf und untergruben<br />

das wenige, was München an Autorität <strong>in</strong> der Region hatte; aus<br />

der anfänglichen Unzufriedenheit entwickelte sich schließlich<br />

e<strong>in</strong> Aufstand. Obzwar die Bayerische Armee sich bemühte, die<br />

Kontrolle wiederherzustellen, gelang die Niederschlagung des<br />

Tyroler Aufstands erst mit Hilfe der französischen Armee. Für<br />

Bayern war zu diesem Zeitpunkt der politische Schaden nicht<br />

mehr rückgängig zu machen. Die erwiesene politische Unfähigkeit<br />

hatte zur Folge, dass 1810 Südtirol der bayerischen Regierung<br />

entzogen wurde, und 1815 unterstand das gesamte Herzogtum<br />

wieder der Kontrolle Österreichs. Für Bayern endete der Tyroler<br />

Aufstand mit Gebietsverlust und e<strong>in</strong>er militärischen Niederlage.<br />

Wichtiger ist aber, dass der Aufstand vor allem die Grenzen der<br />

Reformen demonstrierte, die vom bayerischen Staat zu Beg<strong>in</strong>n<br />

des 19. Jahrhunderts <strong>in</strong> die Wege geleitet wurden. Die Annahme,<br />

23 Verweis auf das Dekret des Königs vom 21.4.1812: BayHStA MInn 41361<br />

Schreiben 15.5.1826.<br />

24 Siehe hierzu Michael Clanchy: From Memory to Written Record. England<br />

1066-1307. Malden Mass. 1993 [1973]; Gady Algazi: E<strong>in</strong> gelehrter Blick <strong>in</strong>s<br />

lebendige Archiv. Umgangsweisen mit der Vergangenheit im fünfzehnten<br />

Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 266 (1998) H. 2, S. 317-357, hier S.<br />

344-348, S. 349; Michaela Hohkamp, Herrschaft <strong>in</strong> der Herrschaft. Die vorderösterreichische<br />

Obervogtei Triberg von 1736 bis 1780. Gött<strong>in</strong>gen 1998,<br />

S. 79-81; Yann Pot<strong>in</strong>: L’État et son Trésor: La science des archives à la f<strong>in</strong> du<br />

Moyen Âge. In: Actes de la recherche en sciences sociales 133 (2000), S. 48-52,<br />

hier S. 52.<br />

ArchivAr 65. Jahrgang Heft 02 Mai <strong>2012</strong>

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