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ÖffBauR - Verlag C. H. Beck oHG

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<strong>ÖffBauR</strong><br />

Monatsinformation zum Öffentlichen Baurecht<br />

Bauplanungsrecht · Bauordnungsrecht · Nachbarrecht<br />

In Zusammenarbeit mit der NVwZ herausgegeben von Rechtsanwalt Dr. Thomas Schröer, LL.M., Frankfurt a.M.<br />

Inhalt<br />

Praxisbeitrag<br />

Vorteile und Risiken der Nachbarzustimmung<br />

13<br />

Bauplanungsrecht<br />

BVerwG: „Convenience-Store“ mit 400 m²<br />

ist festsetzungsfähiger Anlagentyp 15<br />

OVG Lüneburg: Antragsbefugnis bei<br />

Normenkontrolle gegen regionales<br />

Raumprogramm 16<br />

VGH München: Planerische Privilegierung<br />

von Überschwemmungsgebieten 17<br />

VGH München: Vorranggebiet und Antragsbefugnis<br />

17<br />

VGH Mannheim: Zulässigkeit großflächigen<br />

Einzelhandels im Mischgebiet 18<br />

BVerwG: Frist für die Verweigerung des<br />

Einvernehmens 19<br />

Bauordnungsrecht<br />

OVG Greifswald: Stellplatzablöse keine<br />

Abgabe im Sinne von § 80 II 1 Nr. 1<br />

VwGO 19<br />

OVG Lüneburg: Nutzungsänderung bei<br />

Sortimentserweiterung eines Holzfachmarktes<br />

20<br />

OVG Münster: Tatsächliche Anforderungen<br />

an eine Nutzungsuntersagung 21<br />

Nachbarrecht<br />

VG Mainz: Tiefgarage und Abstandsflächen<br />

22<br />

VG Trier: Vorläufiger Rechtsschutz<br />

gegen Windkraftanlagen 22<br />

VG Minden: Nachbarschutz gegen<br />

Lichtimmissionen 23<br />

Redaktionsteam<br />

RA Dr. Thomas Schröer LL.M., FAVerwR<br />

RAin Dr. Annette Rosenkötter<br />

RA Olaf Dziallas<br />

RAin Maja Brand<br />

RA Jakob Steiff, LL.M.<br />

Praxisbeitrag<br />

Nr. 2 • 15. Februar 2005<br />

Mit Internet-Volltext-Service www.BAU.beck.de der besprochenen Entscheidungen<br />

<strong>Verlag</strong> C.H.<strong>Beck</strong> München und Frankfurt a.M.<br />

B 66617<br />

Vorteile und Risiken der Nachbarzustimmung<br />

Von RA Dr. Thomas Schröer, LL.M., FAVerwR<br />

I. Einführung<br />

Welchen Nutzen des „Rechtsinstitut“ der nachbarlichen Zustimmung<br />

hat, zeigt sich am sinnfälligsten an der Frankfurter Skyline. Bei praktisch<br />

allen Hochhäusern im Innenstadtbereich sind zuvor nachbarliche<br />

Zustimmungen eingeholt worden. Nur auf diese Weise konnte es gelingen,<br />

inmitten einer bereits hoch verdichteten Großstadt weithin<br />

sichtbare „Landmark-Buildings“ zu errichten, ohne dass zuvor über<br />

die Rechtmäßigkeit solcher Bauvorhaben jahrelang prozessiert werden<br />

musste. Das Instrument der nachbarlichen Zustimmungserklärung<br />

schafft also die notwendige Flexibilität, um die Grenzen der starren<br />

Abstandsvorschriften im jeweils erforderlichen Rahmen anzupassen.<br />

Freilich gäbe es durchaus rechtliche Möglichkeiten, auch ohne Nachbarzustimmung<br />

Baurecht für Vorhaben zu schaffen, die in erheblichem<br />

Umfang Abstandsflächen unterschreiten. Zum einen ist hier an<br />

die Festsetzung von Baulinien in Verbindung mit einer zwingenden<br />

Gebäudehöhe zu denken (§§ 16 IV, 18 II i.V. mit § 23 II BauNVO).<br />

Zum anderen gibt es auch die Möglichkeit, durch örtliche Bauvorschriften<br />

andere Tiefen der Abstandsflächen in bestimmten Gemeindeteilen<br />

vorzuschreiben (z. B. § 81 I 6 Hess. BO).<br />

In der Praxis werden diese Wege indes deswegen selten beschritten,<br />

weil solche Festsetzungen ohne Absicherung über förmliche Nachbarzustimmungen<br />

konfliktträchtig sind und Nachbarn sich hierdurch<br />

geradezu provoziert fühlen könnten, die Wirksamkeit solcher Vorschriften<br />

gerichtlich überprüfen zu lassen. Angesichts der großen Investitionen,<br />

die mit Hochhausvorhaben einhergehen, sind Bauherrn<br />

deswegen in jedem Fall gut beraten, Nachbarzustimmungen einzuholen<br />

und damit Rechts- und Investitionssicherheit für ihr Vorhaben zu<br />

schaffen.<br />

In der Praxis ist dieser Weg dennoch mit Risiken verbunden. Traurige<br />

Berühmtheit hat hier das vor gut 15 Jahren gescheiterte Campanile-<br />

Hochhaus am Frankfurter Hauptbahnhof erlangt. Ein Grund für das<br />

Scheitern dieses Projekts lag darin, dass sich eine Nachbarin trotz einer<br />

angeblichen Millionenofferte weigerte, ihr Nachbarrecht „zu verkaufen“.


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 14<br />

Jeder Bauherr, der sich auf den dornenreichen Weg der<br />

Einholung von Nachbarzustimmungen begibt, muss also<br />

gewärtigen, einem gewissen „Erpressungspotential“<br />

ausgesetzt zu sein oder sogar – wie im Fall das Campanile<br />

– auf Totalverweigerer zu treffen. Trotz des hohen<br />

öffentlichen Aufmerksamkeitsgrades einer solchen Totalverweigerung<br />

ist dieser Fall in der Praxis eine Ausnahme<br />

geblieben. In der Regel raufen sich Bauherr und<br />

Nachbar letztlich zusammen, auch wenn dies für beide<br />

Seiten mit schmerzhaften Kompromissen verbunden<br />

sein mag. Die Fähigkeit zum Kompromiss ist oft auch<br />

sachgerecht, denn nach Vollendung der Baumaßnahme<br />

zeigt sich regelmäßig, dass die von dem Bauherren getätigte<br />

Investition nicht nur zu einem wirtschaftlichen<br />

Mehrwert des Baugrundstücks, sondern darüber hinaus<br />

auch zu einer Aufwertung der gesamten Umgebung<br />

– einschließlich des Nachbargrundstücks – geführt hat.<br />

Aber selbst wenn sich Bauherr und Nachbar über die<br />

Modalitäten der nachbarlichen Zustimmung geeinigt<br />

haben, kann es in der praktischen Umsetzung einer solchen<br />

Nachbarschaftsvereinbarung durchaus noch Konfliktstoff<br />

geben. In der Praxis besonders anfällig sind<br />

sogenannte Nachbarzustimmungen auf Gegenseitigkeit,<br />

weil das Vorhaben des Nachbarn in der Regel erst einige<br />

Zeit nach dem Vorhaben des Bauherrn realisiert wird,<br />

aus dessen Anlass die Nachbarschaftsvereinbarung abgeschlossen<br />

worden ist. Hinzu kommt, dass die einschlägige<br />

Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte<br />

im Detail alles andere als klar und berechenbar ist. Der<br />

Umstand, dass die Anforderungen an Nachbarzustimmungen<br />

nirgendwo gesetzlich geregelt worden ist, hat<br />

dazu geführt, dass neben einigen mehr oder minder allgemein<br />

anerkannten Grundsätzen überwiegend Billigkeitserwägungen<br />

angestellt werden. Im Einzelfall mag<br />

dies zu gerechten Ergebnissen führen; für die hiervon<br />

betroffenen Bauherrn und Nachbarn ist dieser Zustand<br />

alles andere als erfreulich. Welchen Ausgang gerichtlicher<br />

Verfahren über die Auslegung von Nachbarschaftsvereinbarungen<br />

nehmen, bleibt dadurch nämlich kaum<br />

voraussehbar.<br />

Presseberichten zufolge wird derzeit im Zusammenhang<br />

mit zwei neuen Hochhäusern, die im Bereich der Frankfurter<br />

Zeil geplant sind, heftig zwischen Bauherr und<br />

Nachbarn gerungen. Die Neuauflage dieses „Millionenpokers“<br />

gibt Anlass, einen Blick auf die wesentlichen<br />

Rechtsprobleme im Zusammenhang mit Nachbarzustimmungen<br />

zu werfen.<br />

II. Auswirkungen der Nachbarzustimmung<br />

Die erste Besonderheit besteht darin, dass die – positiv<br />

umschriebene – nachbarliche Zustimmung zu einem<br />

Bauvorhaben in rechtlicher Hinsicht „negativ“ verstanden<br />

wird, nämlich als Verzichtserklärung. Streng genommen<br />

ist die Nachbarzustimmung somit ein vorweggenommener<br />

Verzicht auf Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel<br />

gegen eine noch gar nicht in der Welt befindliche<br />

Baugenehmigung. Dieser Verzicht hat anerkanntermaßen<br />

eine formelle wie auch eine materielle Komponente.<br />

In formeller Hinsicht verzichtet der Nachbar durch seine<br />

Zustimmungserklärung auf sämtliche Rechtsschutz-<br />

möglichkeiten, die ihm ansonsten öffentlich-rechtlich<br />

gegen das Bauvorhaben zustehen würden. Dies dürften<br />

in der Regel Widerspruch, Anfechtungsklage und vorläufiger<br />

Rechtsschutzantrag sein. Geht der Nachbar trotz<br />

der erteilten Zustimmung anschließend dennoch auf diesem<br />

Wege gegen die Baugenehmigung vor, muss ein<br />

solches Ersuchen um nachbarlichen Rechtsschutz bereits<br />

an der Zulässigkeitshürde scheitern.<br />

Die materiell-rechtliche Komponente der Nachbarzustimmung<br />

besteht darin, dass Sie daneben auch zu<br />

einem Untergang des nachbarlichen Abwehrrechts als<br />

solchem führt. Dieser Rechtsverlust ist nicht personenabhängig<br />

und auf Dauer, d. h. eine einmal abgegebene<br />

und wirksame Zustimmungserklärung zu einem nachbarlichen<br />

Bauvorhaben bindet sämtliche Rechtsnachfolger<br />

des Erklärenden. Umgekehrt gesagt: der Rechtsverzicht<br />

ist auch für sämtliche Rechtsnachfolger des erklärenden<br />

Nachbarn verbindlich, ohne dass es insoweit<br />

einer dinglichen Absicherung bedarf. Dies wird daraus<br />

gefolgert, dass die grundstücksbezogenen Normen des<br />

öffentlichen Rechts eine Berechtigung des Grundstücks<br />

darstellen, die von der Person des Eigentümers unabhängig<br />

sind (VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 495; OVG<br />

Münster, BauR 2004, 62).<br />

Es liegt auf der Hand, dass diese weitreichenden<br />

Rechtswirkungen einer Nachbarzustimmung nach einem<br />

Korrektiv verlangen. Die Oberverwaltungsgerichte<br />

– insbesondere angeführt vom OVG Koblenz (BRS<br />

38, Nr. 180) und dem VGH Kassel (NVwZ-RR 1995,<br />

495) – legen deswegen strenge Maßstäbe an die Wirksamkeit<br />

nachbarlicher Zustimmungserklärungen. Einem<br />

Verzicht zugänglich sind zunächst überhaupt nur subjektiv-öffentliche<br />

Nachbarrechte, über die der Nachbar<br />

„verfügungsbefugt“ ist. Der Verzicht auf die Einhaltung<br />

bauordnungsrechtlich vorgeschriebener Abstandsflächen<br />

ist in der Praxis der Paradefall, stellt aber keineswegs<br />

das alleinige Nachbarrecht dar, das einem Verzicht zugänglich<br />

ist.<br />

Umgekehrt ist ein Verzicht auf nicht disponible Vorschriften<br />

unzulässig. Dies gilt insbesondere für Fälle,<br />

in denen aufgrund der Zustimmung eine konkrete Gefahrensituation<br />

für Leben oder Gesundheit geschaffen<br />

werden würde. Aus diesem Grunde kann etwa auf<br />

Brandschutzbestimmungen keinesfalls wirksam verzichtet<br />

werden (OVG Berlin, NJW 1994, 2717).<br />

Weitere Voraussetzung ist, dass der Verzicht entweder<br />

vom alleinigen Eigentümer des Nachbargrundstücks<br />

oder aber – bei Miteigentum – von sämtlichen Miteigentümern<br />

erklärt werden muss. Liegt im letztgenannten<br />

Fall lediglich von einem Miteigentümer die Zustimmungserklärung<br />

vor, bleiben die nachbarlichen Abwehrrechte<br />

der übrigen Berechtigten im Regelfall erhalten.<br />

III. Zugang bei der Behörde<br />

Die unwiderrufliche – quasi dingliche – Wirkung des in<br />

der Nachbarzustimmung zum Ausdruck kommenden<br />

Rechtsverzichts setzt im übrigen den Zugang der Erklärung<br />

bei der Bauaufsichtsbehörde voraus: Die Erklärung<br />

wird somit erst mit Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 15<br />

wirksam. Voraussetzung ist zudem, dass der zustimmende<br />

Nachbar im Zeitpunkt dieses Zugangs hinsichtlich<br />

des betroffenen Nachbargrundstücks nach wie vor<br />

verfügungsbefugt ist (VGH Kassel, NVwZ-RR 1995,<br />

495). Umgekehrt gilt, dass eine Verzichtserklärung vor<br />

Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde noch nicht bindend<br />

und daher frei widerruflich ist. Liegt die Erklärung alsdann<br />

der Behörde vor, kommt allenfalls noch in analoger<br />

Anwendung der §§ 119 ff. BGB eine Anfechtung in<br />

Betracht.<br />

IV. Eindeutigkeit und Bestimmtheit der Erklärung<br />

Über die vorgenannten Anforderungen hinaus verlangt<br />

die Rechtsprechung für die Wirksamkeit einer nachbarlichen<br />

Zustimmung vor allem, dass sie ausdrücklich sowie<br />

inhaltlich klar und eindeutig erklärt wird. Außerdem<br />

muss sie sich in Übereinstimmung mit den Anforderungen<br />

des Bestimmtheitsgebots auf ein konkretes Bauvorhaben<br />

beziehen, dessen Realisierung alsbald ansteht.<br />

Insbesondere die letztgenannte Voraussetzung führt in<br />

der Praxis regelmäßig zu Problemen:<br />

Noch unkritisch ist, wenn der Nachbar zum Zeichen<br />

seines Einverständnisses die Bauvorlagen unterzeichnet,<br />

die Gegenstand des Bauantrages sind oder werden sollen.<br />

Keine Probleme treten in der Regel auch dann<br />

auf, wenn der Nachbar seine Zustimmung im Rahmen<br />

eines Vertrages („Nachbarschaftsvereinbarung“) erteilt,<br />

in dem das gegenständliche Vorhaben des Bauherrn<br />

textlich wie zeichnerisch eindeutig beschrieben ist.<br />

Kritisch wird es indes, wenn die Nachbarzustimmung<br />

– ohne eine genaue Bezeichnung von Art und Maß der<br />

baulichen Nutzung des gegenständlichen Vorhabens –<br />

quasi pauschal für alle Vorhaben erteilt wird, die von der<br />

Bauaufsichtsbehörde genehmigt werden. Solche Formulierungen<br />

finden sich üblicherweise bei sogenannten<br />

Nachbarzustimmungen auf Gegenseitigkeit. Besonders<br />

gefährlich wird es, wenn eine derart unbestimmte Zustimmungserklärung<br />

noch mit einem ausdrücklichen<br />

und weitreichenden Verzicht auf jegliche Rechtsbehelfe<br />

kombiniert wird. Nach dem Grundsatzurteil des VGH<br />

Kassel vom 7. 12. 1994 (NVwZ-RR 1995, 495) muss<br />

auch bei der Nachbarzustimmung auf Gegenseitigkeit<br />

dem Bestimmtheitsgebot Genüge getan werden. Bei<br />

dieser Form der Nachbarzustimmung sind lediglich die<br />

Anforderungen an den zeitlichen Zusammenhang mit<br />

einem dementsprechenden Baugenehmigungsverfahren<br />

gelockert. Dies bedeutet, dass der Zustimmungserklärung<br />

auf Gegenseitigkeit nicht entgegengehalten werden<br />

kann, wenn ein entsprechender Bauantrag des Nachbarn<br />

erst Jahre oder gar Jahrzehnte später gestellt wird.<br />

Dieses Entgegenkommen in zeitlicher Hinsicht führt<br />

indes nicht dazu, dass auch Abstriche bei der Bestimmtheit<br />

einer solchen Erklärung zulässig wären. Im genannten<br />

Beispielsfall einer pauschalen Zustimmungserklärung<br />

liegt somit ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot<br />

vor, was die Unwirksamkeit der Zustimmungserklärung<br />

zur Folge hätte. In derartigen Fällen stellt sich<br />

dann freilich die Gretchenfrage, ob sich der Erklärende<br />

in formeller Hinsicht trotz der Unwirksamkeit seiner<br />

Zustimmungserklärung an dem Rechtsmittelverzicht<br />

festhalten lassen muss. Diese Frage kann nicht pauschal<br />

beantwortet werden. Bei diesen Fällen bleibt es vielmehr<br />

unausweichlich, sämtliche Umstände des Einzelfalles<br />

zu bewerten, um zu Ergebnissen zu gelangen, die<br />

unter Billigkeitsgesichtspunkten vertretbar sind.<br />

Paradebeispiel hierfür ist die Entscheidung des OVG<br />

Münster vom 12. 5. 2003 (BauR 2004, 62). In diesem<br />

Fall hatten Nachbarn ihre Rechte im Zusammenhang<br />

mit der Errichtung des sogenannten „Post-Tower“ in<br />

Bonn gegen Zahlung eines Millionenbetrages „verkauft“.<br />

Als das Hochhaus später mit einer von einem<br />

Lichtkünstler konzipierten, computergesteuerten Beleuchtungsanlage<br />

mit Wechselfarben in der gläsernen<br />

Gebäudefassade versehen wurde, die nicht ausdrücklich<br />

Gegenstand der Zustimmungserklärung war, sind die<br />

Nachbarn erneut gegen das Vorhaben vorgegangen.<br />

Unter diesen Umständen hat das OVG Münster zu Recht<br />

in einer solchen Vorgehensweise einen Verstoß gegen<br />

das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gesehen,<br />

das über das Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung<br />

auch im öffentlichen Recht gilt. Anders sollte<br />

demgegenüber der Fall beurteilt werden, wenn der<br />

Nachbar eine – wie sich später herausstellt – unbestimmte<br />

Zustimmungserklärung mit Rechtsbehelfsverzicht<br />

erteilt, dafür aber keine ins Gewicht fallende Gegenleistung<br />

– finanzieller oder anderer Art – erhält. In<br />

einem solchen Fall wäre es mit dem Billigkeitsgebot<br />

kaum vereinbar, den Nachbarn trotz der unwirksamen<br />

Zustimmung in formeller Hinsicht an seinem Verzicht<br />

auf Rechtsschutzmöglichkeiten festzuhalten. Die formelle<br />

Komponente der Nachbarzustimmung kann also<br />

bei sachgerechter Auslegung keine grobe Benachteiligung<br />

des Nachbarn rechtfertigen, der eine materiellrechtlich<br />

unbestimmte und damit unwirksame Zustimmungserklärung<br />

abgegeben hat.<br />

Im Ergebnis verdeutlichen diese Ausführungen, dass das<br />

sinnvolle Institut der Nachbarzustimmung im Detail<br />

durchaus Tücken aufweisen kann. In der Praxis sollte<br />

deswegen besondere Mühe und Sorgfalt auf die Formulierung<br />

solcher Zustimmungserklärungen verwendet<br />

werden. Andernfalls könnte es sein, dass sie das Gegenteil<br />

von dem bewirken, was beabsichtigt war: nämlich<br />

einen gerichtlichen Streit über den Inhalt der Zustimmungserklärung<br />

statt einer Befriedung der nachbarlichen<br />

Situation. „<br />

Bauplanungsrecht<br />

„Convenience-Store“ mit 400 m² ist<br />

festsetzungsfähiger Anlagentyp<br />

Die textliche Festsetzung eines Bebauungsplans,<br />

wonach in dem Plangebiet nur Einzelhandelsbetriebe<br />

des täglichen Bedarfs bis zu 400 m² Nutzfläche (sog.<br />

Nachbarschaftsladen, Nahversorger oder Convenience-Store)<br />

zulässig sind, entspricht den Anforderungen<br />

an § 1 IX BauNVO.


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 16<br />

Das BVerwG prüft im Rahmen der Beschwerde gegen<br />

die Nichtzulassung der Revision u. a. die Bebauungsplanfestsetzung,<br />

wonach nur sog. Nachbarschaftsläden<br />

oder Convenience-Stores in einem Teil des Plangebiets<br />

zulässig sind sowie die Festsetzung, wonach in dem<br />

Gewerbegebiet Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser,<br />

Lagerplätze und öffentliche Betriebe i. S. des § 8 II Nr. 1<br />

BauNVO ausgeschlossen bzw. nur ausnahmsweise zulässig<br />

sind.<br />

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erstinstanzlichen<br />

Gerichts stehen auch seitens des BVerwG<br />

der einschränkenden Festsetzung keine Bedenken entgegen.<br />

Damit konform geht auch die bereits bestehende<br />

höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Gemeinde ist es<br />

danach nicht grundsätzlich verwehrt, die Zulässigkeit<br />

bestimmter Handelsbetriebe an die Betriebsgröße, etwa<br />

der Verkaufs- der Geschossfläche zu knüpfen. Dabei<br />

sind die Anforderungen des § 1 IX BauNVO jedoch nur<br />

dann erfüllt, wenn durch die Größenangabe bestimmte<br />

Arten von baulichen oder sonstigen Anlagen zutreffend<br />

gekennzeichnet werden. Die höchstzulässige Größenangabe<br />

trägt dabei indes die Umschreibung eines bestimmten<br />

Anlagentyps nicht gleichsam in sich selbst. Es<br />

bedarf daher diesbezüglich stets einer besonderen Darlegung<br />

in dem Bebauungsplan, warum die Betriebe wegen<br />

der angegebenen Größe gerade einem bestimmten<br />

Anlagentyp nach § 1 IX BauNVO entsprechen.<br />

Dies ist vorliegend durch die Bezugnahme auf die Begriffe<br />

„Nachbarschaftsladen“ oder „Convenience-Store“<br />

geschehen. Die Begriffe wurden im Rahmen einer<br />

Studie des Instituts für Handelsforschung an der Universität<br />

Köln definiert. Die Gemeinde hat im Rahmen<br />

ihrer Bauleitplanung zu erkennen gegeben, auch anhand<br />

dieser genannten Begriffe den bestimmten Anlagentyp<br />

zu umschreiben. Dies genügt den Anforderungen des<br />

§ 1 IX BauNVO.<br />

Im Übrigen hat der Senat auch keinen Anlass gesehen,<br />

die Revision wegen der Festsetzung zur Einschränkung<br />

der in einem Gewerbegebiet allgemein zulässigen Nutzungen<br />

gesehen. Diese Art der einschränkenden Festsetzung<br />

lässt § 1 V BauNVO ausdrücklich zu. Dabei betont<br />

der Senat, dass Festsetzungen nach § 1 V BauNVO nach<br />

dem Grundsatz der sog. „Typenreinheit“ nicht dazu führen<br />

dürfe, dass ein Baugebiet geschaffen wird, das einen<br />

anderen Charakter als den normativ vorgegebenen (hier:<br />

Gewerbegebiet) aufweist. Durch den Ausschluss einer<br />

an sich zulässigen Nutzungsart darf ein Baugebiet in<br />

seinem Erscheinungsbild nicht so nachhaltig verändert<br />

werden, dass es keiner der in der Baunutzungsverordnung<br />

geregelten Baugebietstypen mehr entspricht. Die<br />

vorliegende Festsetzung genügt diesen Anforderungen,<br />

da die sonstigen, in § 8 II BauNVO enthaltenen, Nutzungsarten<br />

im Wesentlichen zulässig sind und dadurch<br />

das Gepräge als Gewerbegebiet erhalten bleibt.<br />

Praxishinweis: Das BVerwG bestätigt damit das Urteil<br />

des VGH Kassel vom 8. 6. 2004 (<strong>ÖffBauR</strong> 2004, 5).<br />

Dieses Ergebnis ist auch konsequent, zumal der VGH<br />

sich in seiner Urteilsbegründung ersichtlich an die bisher<br />

ergangene Rechtsprechung des BVerwG zu diesem<br />

Thema gehalten hat. Zu großflächigem Einzelhandel<br />

siehe auch VGH Mannheim, <strong>ÖffBauR</strong> 2005, 17 (in diesem<br />

Heft).<br />

BVerwG, Beschluss vom 8. 11. 2004 – 4 BN 39.04<br />

Volltext-Service www.bau.beck.de: becklink 137557 „<br />

Antragsbefugnis bei Normenkontrolle<br />

gegen regionales Raumprogramm<br />

Ein regionales Raumprogramm kann von einem Vorhabenträger<br />

mit der Normenkontrolle zulässigerweise<br />

angegriffen werden, sofern zu erwarten steht, dass<br />

die Vorgaben des Raumprogramms gemäß § 35 III 2<br />

BauGB der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens<br />

entgegenstehen.<br />

Das OVG hält den Normenkontrollantrag für zulässig.<br />

Der Antrag sei dem Prüfungsauftrag nach statthaft. Das<br />

Raumordnungsprogramm stelle eine Rechtsvorschrift im<br />

Sinne des § 47 I Nr. 2 VwGO dar, da es sich um eine<br />

unter Landesrecht stehende Rechtsnorm handele, die<br />

formell als Satzung beschlossen sei.<br />

Dem Antragsteller stehe auch die Antragsbefugnis zu,<br />

da er geltend machen könne, in absehbarer Zeit in eigenen<br />

Rechten verletzt zu werden (§ 47 II 1 VwGO). Die<br />

vormalige Auffassung, wonach dem einzelnen Bürger<br />

in Bezug auf Raumordnungspläne die Antragsbefugnis<br />

zu versagen sei (so noch OVG Lüneburg, Urt. v. 29. 10.<br />

1993 – 6 K 1444/92), trage nicht mehr. Diese Ansicht<br />

ging davon aus, dass Raumordnungspläne generell keine<br />

Außenwirkung haben und mangels Detailschärfe nicht<br />

in Rechte von Bürgern eingreifen könnten.<br />

Nach gegenwärtiger Rechtslage sei diese Ansicht nicht<br />

mehr haltbar. Zum einen hat sich die Raumplanung über<br />

eine grobmaschige Planung hinausentwickelt; so gebe es<br />

vermehrt detailscharfe Planungen von Einzelvorhaben<br />

im Außenbereich. Das führe zu einer Vorverlagerung<br />

eigentumsschützender Abwägungen aus der Bauleitplanung<br />

in die Raumplanung. Dieser Vorverlagerung müsse<br />

auch eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes folgen,<br />

soll das Rechtsschutzniveau erhalten bleiben.<br />

Die Wirkung von Zielen der Raumordnung gegenüber<br />

Privaten über § 35 III BauGB ist geeignet, eine mittelbare<br />

Rechtsverletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten<br />

herbeizuführen. Das Bauvorhaben des Antragstellers<br />

bedarf einer Baugenehmigung, die an § 35 BauGB zu<br />

messen ist. Nach dessen Absatz § 35 III 2 BauGB können<br />

sich dem Vorhaben widersprechende Ziele der<br />

Raumordnung als Hindernis für die Erteilung der Baugenehmigung<br />

auswirken; im Normalfall wird sich dabei<br />

auch der Plansatz durchsetzen, so dass eine hinreichender<br />

Zurechnungszusammenhang zwischen Norm und zu<br />

erwartender Rechtsverletzung besteht.<br />

Praxishinweis: Der Beschluss stellt einen Wendepunkt<br />

in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg dar. Nach-


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 17<br />

dem das Gericht übereinstimmend mit weiten Teilen der<br />

Literatur früher davon ausging, dass Raumordnungspläne<br />

nur gegenüber Behörden Bindungswirkung entfalten<br />

und von Seiten des einzelnen Bürgers mangels Antragsbefugnis<br />

nicht angreifbar seien (OVG Lüneburg, Urt. v.<br />

29. 10. 1993 – 6 K 1444/92, DVBl. 1994, 296; ebenso<br />

etwa Gerhard, in: Schoch/Schmidt-Aßmann//Pietzner<br />

VwGO, § 47 Rdnr. 50), verleiht der Senat in Übereinstimmung<br />

mit OVG Greifswald (Urt. v. 7. 9. 2000 – 4 K<br />

28/99) nunmehr vor dem Hintergrund eines sich im<br />

Wandel begriffenen Raumordnungsrechts dem Individualrechtsschutz<br />

mehr Gewicht. Im Übrigen entspricht es<br />

auch der jüngeren Entwicklung in der Rechtsprechung<br />

anderer Oberverwaltungsgericht, dass Private gegen<br />

Raumordnungs- und Regionalpläne unmittelbar gerichtlichen<br />

Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Vgl.<br />

hierzu auch die Entscheidung des VGH Kassel zum Regionalplan<br />

Südhessen (<strong>ÖffBauR</strong> 2004, 4).<br />

OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. 10. 2004 –<br />

1 KN 155/03<br />

Volltext-Service: www.bau.beck.de becklink 137703 „<br />

Planerische Privilegierung von Überschwemmungsgebieten<br />

Ein Überschwemmungsgebiet liegt vor, wenn die materiellen<br />

Begriffsmerkmale des § 32 I 1 WHG erfüllt<br />

sind; der förmlichen Festsetzung als Überschwemmungsgebiet<br />

bedarf es nicht. Es ist planungsrechtlich<br />

unzulässig, entgegen § 32 II WHG die Ausgleichsmaßnahmen<br />

der Folgeplanung zu überlassen, anstatt<br />

sie in dem zu beschließenden Flächennutzungsplan<br />

festzusetzen.<br />

Der Kläger begehrt ohne Erfolg die Genehmigung für<br />

die Änderung eines Flächennutzungsplans. Der VGH<br />

München hält in Übereinstimmung mit der Vorinstanz<br />

die Änderungsplanung für nicht vereinbar mit dem<br />

Optimierungsgebot des § 32 WHG, das Überschwemmungsgebieten<br />

besonderen Schutz angedeihen lässt.<br />

Die von den Änderungsplanungen betroffenen Flächen<br />

liegen dem Gericht zufolge in einem Überschwemmungsgebiet<br />

i. S. des § 32 WHG. Für die Qualifikation<br />

als Überschwemmungsgebiet komme es nicht darauf an,<br />

ob das Gebiet gemäß § 32 I 2 WHG förmlich nach Landesrecht<br />

(vorliegend: nach Art. 61 BayWassG) als Überschwemmungsgebiet<br />

festgesetzt ist. Vielmehr ist die<br />

Erfüllung der materiellen Begriffsmerkmale des § 32 I 1<br />

WHG ausreichend und entscheidend.<br />

Die Voraussetzung eines solchen Überschwemmungsgebiets<br />

sieht das Gericht als erfüllt an. Unerheblich sei<br />

die gewöhnliche Trockenlage des Gebiets. Vielmehr<br />

entspreche es fachlicher Praxis, als Maßstab das so genannte<br />

Jahrhunderthochwasser zu wählen, also den im<br />

Zeitraum von 100 Jahren auftretenden Maximalpegel<br />

(so bereits VGH München, ZfW 1992, 499). Hieran<br />

gemessen reichten die in dem Plangebiet vorhandenen<br />

Deichanlagen nicht aus, um Überschwemmungen zu<br />

verhindern.<br />

Das Gericht lässt dahin stehen, ob § 32 II 1 WHG vom<br />

Planungsträger als Planungsleitsatz strikt zu beachten<br />

und damit der planerischen Abwägung gänzlich entzogen<br />

ist. Jedenfalls verleihe die Vorschrift dem Hochwasserschutz<br />

dadurch besonderes Gewicht, dass ihr Erhalt<br />

nur dann preisgegeben werden dürfe, wenn überwiegende<br />

Gründe des Allgemeinwohls entgegenstehen. Der<br />

Kläger habe dieses besondere Gewicht im Rahmen der<br />

planerischen Abwägung verkannt, indem er ohne triftigen<br />

Grund dem gewöhnlichen Bedürfnis nach gewerblichen<br />

Entwicklungsmöglichkeiten den Vorrang eingeräumt<br />

habe.<br />

Auch das Erfordernis von Ausgleichsmaßnahmen habe<br />

der Kläger in seiner Reichweite verkannt. Ausgleichsmaßnahmen<br />

seien nach § 32 II 1 WHG auch bei nicht<br />

förmlich festgesetzten Überschwemmungsgebieten erforderlich;<br />

für die gegenteilige Ansicht ließen Wortlaut<br />

und Zweck des Gesetzes (vorbeugender Hochwasserschutz)<br />

keinen Raum. Darüber hinaus sei es unzureichend,<br />

die Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmen der<br />

nachfolgenden Bebauungsplanung zu überlassen. Dies<br />

werde der Leitfunktion, die der Flächennutzungsplan für<br />

die städtebauliche Entwicklung hat, nicht gerecht.<br />

Praxishinweis: Der Beschluss bestätigt die besondere<br />

Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Schutz von Überschwemmungsgebieten<br />

unabhängig von ihrer förmlichen<br />

Festsetzung beigemessen hat. Das Gericht lässt<br />

zwar offen, ob der Überschwemmungsschutz als strikt<br />

geltender Planungsleitsatzes der Abwägung ganz entzogen<br />

ist (so Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp,<br />

WHG, § 32 Rdnr. 30). Im Anschluss an VGH München<br />

(Beschl. v. 27. 4. 2004 – 26 N 02.2437) hält der VGH zu<br />

Recht daran fest, dass die Vorschrift des § 32 WHG dem<br />

Überschwemmungsschutz in jedem Falle besonderes<br />

Gewicht im Abwägungsprozess (im Sinne eines „Optimierungsgebots“)<br />

verleiht. Soweit Ausgleichsmaßnahmen<br />

das Vorhaben rechtfertigen sollen, sind diese bereits<br />

im zu beschließenden Bauleitplan festzulegen.<br />

VGH München, Beschluss vom 29. 9. 2004 –<br />

15 ZB 02.2958<br />

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Vorranggebiet und Antragsbefugnis<br />

Die Festlegung eines Vorranggebiets nach § 7 ROG<br />

begründet regelmäßig keine Antragsbefugnis der Eigentümer<br />

von in diesem Vorranggebiet gelegenen<br />

Grundstücken. Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn<br />

das betroffene Grundstück im Außenbereich von der<br />

parzellenscharfen Festlegung eines Vorranggebiets<br />

betroffen ist.<br />

Der Antragsteller wendet sich im Wege einer Normenkontrolle<br />

gegen ein Ziel der Raumordnung und die<br />

damit sein Grundstück betreffende Festlegung eines


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 18<br />

Vorranggebiets für die Entwicklung eines Verkehrsflughafens.<br />

Die Fläche liegt im Geltungsbereich eines einfachen<br />

Bebauungsplans, der als Art der baulichen Nutzung<br />

„Flächen für die Landwirtschaft“ festlegt.<br />

Die Antragsbefugnis für eine Normenkontrollklage setzt<br />

voraus, dass der Antragsteller geltend macht, möglicherweise<br />

in einem subjektiven Recht verletzt zu sein.<br />

Die Verletzung durch ein Ziel der Raumordnung kann<br />

indes nicht geltend gemacht werden. Der Private ist im<br />

Regelfall nicht Adressat der Zielbestimmung und kann<br />

somit nicht betroffen sein. Ausnahmsweise kann jedoch<br />

die Möglichkeit einer Rechtsverletzung dann angenommen<br />

werden, wenn der Konkretisierungsgrad der Zielfestsetzung<br />

parzellenscharf Grundstücke erfasst und bereits<br />

auf dieser Planungsebene konkrete Festlegungen<br />

getroffen werden, die ein negatives Betroffensein in<br />

Rechten oder in sonstigen rechtlich geschützten Belangen<br />

absehen lässt.<br />

Das angegriffene Ziel der Raumordnung legt fest, dass<br />

der auch das Grundstück des Antragstellers umfassende<br />

Raum von raumbedeutsamen Nutzungen freizuhalten<br />

ist, die mit der Weiterentwicklung des Verkehrsflughafens<br />

nicht vereinbar sind. Dieser Bereich wurde sodann<br />

nach § 7 ROG als sog. Vorranggebiet festgelegt. Die<br />

Möglichkeit der Rechtsverletzung des Antragstellers<br />

geht mit der diesem Ziel entsprechenden Festlegung des<br />

Vorranggebiets nur dann einher, wenn dem Antragsteller<br />

damit ein Recht auf raumbedeutsame Nutzung seiner<br />

Grundstücke beschnitten wird, womit ein Eingriff in<br />

eine eigentumsrechtlich geschützte Position verbunden<br />

wäre. Eine solche Möglichkeit scheidet hier jedoch<br />

bereits deshalb aus, weil sich durch die Festlegung des<br />

Vorranggebiets keine weitere Nutzungsbeschränkung<br />

ergibt.<br />

Durch die geltenden Festsetzungen des Bebauungsplans<br />

war schon vor der Festlegung des Vorranggebiets nur<br />

eine landwirtschaftliche Nutzung gestattet. Gegen diesen<br />

Bebauungsplan hat sich der Antragsteller jedoch<br />

nicht zur Wehr gesetzt, weshalb er diese Festsetzungen<br />

auch gegen sich gelten lassen muss.<br />

Praxishinweis: Während Vorranggebiete in Literatur<br />

und Rechtsprechung nahezu einhellig als Ziel der<br />

Raumordnung qualifiziert werden, werden Vorbehaltsgebietsfestsetzungen<br />

weitgehend als Grundsätze der<br />

Raumordnung gewertet. Wegen der Zielqualität können<br />

Vorranggebietsfestsetzungen auch nicht im Wege der<br />

Abwägung überwunden werden. Vorbehaltsgebiete<br />

stellen demgegenüber lediglich grundsatzförmige Festlegungen<br />

dar, die Direktiven für nachfolgende Abwägungs-<br />

und Ermessensentscheidungen sind.<br />

VGH München, Urteil vom 17. 11. 2004 – 20 N 04.217<br />

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Zulässigkeit großflächigen Einzelhandels<br />

im Mischgebiet<br />

Selbst ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb kann in<br />

einem Mischgebiet zulässig sein, wenn die Einzelfallprüfung<br />

ergibt, dass bei dem Betrieb nicht mit wesentlichen<br />

Auswirkungen im Sinne des § 11 III 2 BauNVO<br />

zu rechnen ist.<br />

Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen<br />

Rechtsschutzverfahrens gegen die der Beigeladenen<br />

für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit<br />

Supermarkt und Tiefgarage erteilten Baugenehmigung.<br />

Der Supermarkt weist dabei allein eine Verkaufsfläche<br />

von 900 m² und im Übrigen eine Geschossfläche von<br />

zumindest 1230 m² auf. Das Vorhaben soll auf einem als<br />

Mischgebiet ausgewiesenen Areal errichtet werden. Die<br />

Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Gebietsbewahrungsanspruch<br />

sei verletzt.<br />

Der Senat stützt sich im Rahmen der gebotenen summarischen<br />

Prüfung der Sach- und Rechtslage auf eine kürzlich<br />

ergangene Entscheidung des BVerwG (Beschluss<br />

vom 22. 7. 2004, <strong>ÖffBauR</strong> 2004, 16). Das BVerwG hat<br />

in dieser Entscheidung klargestellt, dass neben der Voraussetzung<br />

der Großflächigkeit auch nachteiligen Auswirkungen<br />

zu prüfen sind. Die nachteiligen Auswirkungen<br />

liegen dabei nach § 11 III 3 BauNVO regelmäßig ab<br />

einer Geschossfläche von 1200 m² vor. Diese Regelvermutung<br />

kann jedoch im Einzelfall widerlegt werden,<br />

so dass nicht zwangsläufig alle großflächigen Einzelhandelsbetriebe<br />

nur in Kerngebieten oder Sondergebieten<br />

angesiedelt werden dürfen, sondern auch in anderen<br />

Gebieten zulässig sein können.<br />

Im vorliegenden Fall bejaht der Senat zunächst die<br />

Großflächigkeit im Sinne des § 11 III 1 BauNVO. Bei<br />

seiner summarischen Prüfung kommt der Senat jedoch<br />

zu dem Ergebnis, dass der Supermarkt trotz einer<br />

Geschossfläche von (geringfügig) über 1200 m² nicht<br />

mit nachteiligen Auswirkungen im Sinne des § 11 III 2<br />

BauNVO verbunden ist. Der Supermarkt wird in Zukunft<br />

der Versorgung von über 17 000 Menschen dienen.<br />

Von einem ins Gewicht fallenden Kaufkraftabzug aus<br />

Nachbargemeinden oder benachbarten Ortsteilen ist<br />

nicht auszugehen. Trotz seiner Großflächigkeit und der<br />

Überschreitung der Regelvermutungsgrenze für nachteilige<br />

Auswirkungen von 1200 m² sind keine nachteiligen<br />

Auswirkungen zu erwarten.<br />

Im Übrigen wird auch der Charakter des Mischgebiets<br />

durch das Bauvorhaben gewahrt. Dabei ist auch insbesondere<br />

zu berücksichtigen, dass ein Supermarkt mit<br />

700 m² ohne weiteres im Mischgebiet zulässig wäre.<br />

Allein durch den erhöhten Flächenbedarf, auch im Hinblick<br />

auf die nicht ersichtlichen negativen Auswirkungen,<br />

kann jedenfalls eine Verletzung des Gebietscharakters<br />

nicht abgeleitet werden.<br />

Praxishinweis: Der VGH hat die Rechtsprechung des<br />

BVerwG (<strong>ÖffBauR</strong> 2004, 16) folgerichtig angewendet.<br />

Bei § 11 III BauNVO müssen daher stets die Tatbestandsmerkmale<br />

Großflächigkeit und nachteilige Aus-


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 19<br />

wirkungen getrennt geprüft werden. Die Regelvermutung<br />

des § 11 III 3 BauNVO ist bei großflächigen<br />

Einzelhandels- und sonstigen Handelsbetrieben widerlegbar.<br />

Zu beachten ist jedoch, dass diese Rechtsprechung<br />

nicht für Einkaufszentren nach § 11 III 1 Nr. 1<br />

BauNVO gilt. Bei Einkaufszentren wird stets per se eine<br />

Großflächigkeit angenommen und unwiderlegbar vermutet,<br />

dass diese nachteilige Auswirkungen haben. Einkaufszentren<br />

sind daher ausschließlich in Kern- bzw.<br />

Sondergebieten zulässig.<br />

VGH Mannheim, Beschluss vom 23. 11. 2004 –<br />

3 S 2504/04<br />

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Frist für die Verweigerung des<br />

Einvernehmens<br />

Der Gemeinde soll im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung<br />

des Einvernehmens die Möglichkeit gegeben<br />

werden, eine Entscheidung auf der Grundlage von in<br />

planungsrechtlicher Hinsicht vollständiger Unterlagen<br />

zu treffen. Die Gemeinde trifft gleichzeitig im Rahmen<br />

der Einvernehmenserteilung die Obliegenheit, innerhalb<br />

der Einvernehmensfrist gegenüber dem Bauherrn<br />

oder der Baugenehmigungsbehörde auf die Vervollständigung<br />

des Bauantrags hinzuwirken.<br />

Das BVerwG weist die Klage der Gemeinde gegen eine<br />

durch die Beklagte erteilte Baugenehmigung für eine<br />

Windenergieanlage letztinstanzlich zurück. Die Beigeladene<br />

hatte den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung<br />

am 4. 8. 2000 bei der Gemeinde eingereicht. Diese<br />

leitete den Antrag an das Landratsamt weiter, wo er am<br />

11. 9. 2000 einging. Bei einem Termin am 25. 9. 2000<br />

forderte das Landratsamt unter Anwesenheit der Gemeinde<br />

die Beigeladene auf, für die naturschutzrechtliche<br />

Beurteilung eine Computersimulation vorzulegen,<br />

am 28. 9. 2000 forderte sie noch die Vorlage einer Lärmprognose<br />

an. Die Computersimulation lag der Gemeinde<br />

am 16. 10. 2000 vor. Die Gemeinde beschloss am gleichen<br />

Tag die Entscheidung über die Erteilung des<br />

Einvernehmens bis zu Vorlage der abschließenden<br />

Stellungnahmen der Fachbehörden zurückzustellen. Mit<br />

Schreiben vom 20. 12. 2000 versagt die Gemeinde ihr<br />

Einvernehmen „zur Fristwahrung“.<br />

Sie begründet dies damit, dass noch nicht alle erforderlichen<br />

Unterlagen für die Beurteilung des Vorhabens<br />

vorgelegen haben. Nach Einreichung der verlangten<br />

Lärmprognose genehmigt das Landratsamt mit Bescheid<br />

vom 3. 1. 2001 die Windenergieanlage. Hiergegen wendet<br />

sich die Gemeinde mit dem Vorbringen, dass sie das<br />

Einvernehmen rechtzeitig verweigert habe und es damit<br />

nicht nach § 36 II 2 BauGB als erteilt gelte. Die zweimonatige<br />

Einvernehmensfrist sei nämlich erst durch die<br />

Vorlage der Lärmprognose ausgelöst worden.<br />

Das BVerwG weist die Klage mit der Begründung zurück,<br />

dass das Einvernehmen als erteilt gelte. Dies ist<br />

dann der Fall, wenn es nicht binnen zwei Monate nach<br />

Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert<br />

wird. Dem Ersuchen der Genehmigungsbehörde<br />

steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde<br />

gleich, wenn sie – wie hier – durch die Landesbauordnung<br />

vorgeschrieben ist. Sinn und Zweck des Einvernehmens<br />

ist es, der Gemeinde eine Entscheidung über<br />

die Erteilung des Einvernehmens auf Grundlage von in<br />

planungsrechtliche Hinsicht vollständiger Unterlagen zu<br />

ermöglichen. Vor der Entscheidung über das gemeindliche<br />

Einvernehmen hat die Gemeinde jedoch zu prüfen,<br />

ob die bei ihr eingereichten Unterlagen eine sachgerechte<br />

Prüfung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ermöglichen.<br />

Das Recht der Gemeinde auf Beteiligung<br />

ist also mit der Obliegenheit verbunden, im Rahmen<br />

der landesrechtlich gewährten Möglichkeiten gegenüber<br />

Bauherrn oder Baugenehmigungsbehörde auf die Vervollständigung<br />

des Bauantrags hinzuwirken. Kommt die<br />

Gemeinde nicht innerhalb von zwei Monaten nach Einreichung<br />

des Antrags dieser Mitwirkungspflicht nicht<br />

nach, gilt ihr Einvernehmen nach § 36 II 2 BauGB als<br />

erteilt.<br />

Dies begründet das BVerwG damit, dass die Regelung<br />

des § 36 I 1 BauGB die Gemeinde zur eigenverantwortlichen<br />

planungsrechtlichen Beurteilung aufruft.<br />

Die Einvernehmensfrist beginnt also grundsätzlich dann<br />

zu laufen, wenn der Gemeinde die in bauplanungsrechtlicher<br />

Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen.<br />

Abweichendes gilt dann, wenn die Gemeinde innerhalb<br />

der Zweimonatsfrist ihrer Obliegenheit zur Herbeiführung<br />

der ausreichenden Datenlage nicht nachkommt.<br />

Praxishinweis: Der Beschluss schränkt den in Literatur<br />

und Rechtsprechung bislang vertretenen weiten Ansatz<br />

ein, wonach generell erst das Vorliegen vollständiger<br />

Unterlagen den Fristbeginn auslöst. Die Gemeinde wird<br />

im Hinblick auf den durch § 36 BauGB verfolgten Beschleunigungsgrundsatz<br />

stärker in die Pflicht genommen.<br />

Die an die Gemeinde gerichteten Anforderungen,<br />

die ihr den Erhalt der Entscheidungsfrist von zwei Monaten<br />

erhalten, sind hoch, erschienen jedoch der Sache<br />

nach durchaus interessengerecht. Aus Gemeindesicht ist<br />

daher im Falle der Einreichung eines Bauantrags eine<br />

zeitnahe und umfassende Überprüfung der Unterlagen<br />

auf eine ausreichende Informationsdichte hin erforderlich.<br />

BVerwG, Urteil vom 16. 9. 2004 – 4 C 7/03<br />

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Bauordnungsrecht<br />

Stellplatzablöse keine Abgabe im<br />

Sinne von § 80 II 1 Nr. 1 VwGO<br />

Der Begriff der Abgabe im Sinne von § 80 II 1 Nr. 1<br />

VwGO ist aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift<br />

eng auszulegen. Die Stellplatzablöse ist man-


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 20<br />

gels Einnahmeerzielungszweck keine Abgabe in diesem<br />

Sinne. Da die Einlegung eines Widerspruchs<br />

durch die Antragstellerin glaubhaft gemacht ist, hat<br />

der Rechtsbehelf nach § 80 I 1 VwGO aufschiebende<br />

Wirkung.<br />

Der Antragstellerin wendet sich mit einem Antrag auf<br />

Feststellung der aufschiebenden Wirkung gegen einen<br />

Bescheid, durch den die Antragsgegnerin einen Betrag<br />

von 60 000 DM als Stellplatzablöse fordert. Die Einlegung<br />

des Widerspruchs gegen den Stellplatzablösebescheid<br />

macht die Antragstellerin durch die Abgabe einer<br />

eidesstattlichen Versicherung glaubhaft, die durch die<br />

entgegenstehenden Ausführungen der Antragsgegnerin<br />

nicht erschüttert werden. Die durch die wirksame Einlegung<br />

des Widerspruchs ausgelöste aufschiebende Wirkung<br />

wäre nur dann nicht gegeben, wenn es sich bei der<br />

Stellplatzablöse um eine Abgabe im Sinne von § 80 II 1<br />

Nr. 1 VwGO handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall: Das<br />

OVG bezieht sich im folgenden einen früheren Beschluss<br />

der anderen Kammer desselben Gerichts (Beschluss<br />

vom 1. 2. 2001, NVwZ-RR 2001, 401). § 80 II 1<br />

Nr. 1 VwGO enthält keine eigenständige Definition der<br />

Abgabe. Die Abgrenzung hat unter Bezugnahme auf<br />

die mit dem Wegfall, der aufschiebenden Wirkung verfolgten<br />

Zielsetzung zu erfolgen: § 80 II 1 Nr. 1 VwGO<br />

bezweckt in Angleichung an das Steuerrecht, in die<br />

Sofortvollzugsregelung alle diejenigen Regelungen einzubeziehen,<br />

durch welche die Befriedigung des öffentlichen<br />

Finanzbedarfs sichergestellt wird. Als Ausnahmevorschrift<br />

ist § 80 II 1 Nr. 1 VwGO jedoch grundsätzlich<br />

eng auszulegen.<br />

Da die Stellplatzablöse keine allgemeine Finanzierungsfunktion<br />

hat, stellt sie keine Abgabe im Sinne des<br />

§ 80 II 1 Nr. 1 VwGO dar. Sie ist vielmehr ein Surrogat<br />

für die aufgrund tatsächlicher Verhältnisse nicht zumutbare<br />

oder unmögliche Herstellung der vom Gesetz vorgesehenen<br />

Stellplätze in Zusammenhang mit der Errichtung<br />

oder Änderung von baulichen Anlagen. Zudem<br />

ermöglicht das Konstrukt der Stellplatzablöse dem Bauherrn,<br />

auch in solchen Konstellationen eine Baugenehmigung<br />

zu erlangen, in denen die grundsätzlich vorgesehene<br />

Pflicht zur Schaffung von Stellplätzen aus tatsächlichen<br />

Gründen unmöglich ist. Dies stellt für den<br />

Bauherrn einen geldwerten Vorteil dar, der durch die<br />

Zahlung der Ablöse abgeschöpft wird.<br />

Die fehlende Finanzierungsfunktion ergibt sich auch aus<br />

der Norm des § 48 VI 4 LBauO M-V, wonach in bestimmten<br />

innerstädtischen Bereichen bei der Ermittlung<br />

der Ablösepflicht vier Stellplätze unberücksichtigt bleiben.<br />

Dies wäre bei Annahme einer Finanzierungsfunktion<br />

nicht sachgerecht. Auch die Verwendungspflicht<br />

nach § 48 VIII LBauO M-V unterstützt die Annahme<br />

eines Surrogates: Denn die Ablöse darf nur für bestimmte,<br />

in einem sachlichen Zusammenhang mit der<br />

zur Ablöse stehenden Fläche verwendet werden. Damit<br />

wird faktisch die eigentlich dem Bauherrn obliegende<br />

Pflicht, Stellplätze für den Zugangs- und Abgangsverkehr<br />

zu schaffen, wahrgenommen. Damit handelt es sich<br />

im weiteren Sinne um einen Durchlaufposten, nicht aber<br />

um einen Mittelzufluss zur allgemeinen Verwendung im<br />

städtischen Haushalt.<br />

Der Widerspruch hat mithin aufschiebende Wirkung, die<br />

durch den Senat angeordnet wird.<br />

Praxishinweis: Die Entscheidung des OVG Greifswald,<br />

die parallel zu der Entscheidung des BVerwG (vgl. Öff-<br />

BauR 2005, 9) über die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen<br />

in der Hamburgischen LBO über die Stellplatzablöse<br />

ergangen ist, verfolgt eine parallele Argumentation<br />

auch in der Frage der Anwendbarkeit der<br />

Regelungen über den Sofortvollzug: Die Stellplatzablöse<br />

hat keine allgemeine Finanzierungsfunktion, so dass<br />

eine Ausnahme von der aufschiebenden Wirkung nicht<br />

gerechtfertigt ist.<br />

OVG Greifswald, Beschluss vom 12. 10. 2004 –<br />

3 M 147/03<br />

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Nutzungsänderung bei Sortimentserweiterung<br />

eines Holzfachmarktes<br />

Der Begriff Holzfachmarkt beinhaltet das Angebot<br />

eines schmalen Warensortimentes, das sich durch den<br />

Bezug zum Werkstoff „Holz“ bestimmt. Eine umfangreiche<br />

Erweiterung des Sortimentes auf andere als diese<br />

Produkte stellt eine Nutzungsänderung dar, die in<br />

dieser Form im Industriegebiet nicht zulässig ist.<br />

Die Klägerin betreibt auf Basis einer Genehmigung aus<br />

dem Jahr 1997 einen Holzfachmarkt. Das Grundstück<br />

liegt in einem ausgewiesenen Industriegebiet. Durch<br />

eine detaillierte Betriebsbeschreibung wird das Sortiment<br />

auf einen Holzgroßhandel und einen Holzfachmarkt<br />

beschränkt. Die tatsächlich vertriebene Produktpalette<br />

umfasst u. a. neben diversen Holzprodukten<br />

selbst auch die Sortimente Innenausbau, Kleinmöbel,<br />

Werkzeuge und Maschinen, Eisenwaren, Elektrogeräte<br />

und Lampen, sowie Gartenmöbel. Die Klägerin beruft<br />

sich nun darauf, dass auch eine Erweiterung des Sortiments<br />

auf Baustoffe, Fliesen, Sanitär, Heizung, Bad,<br />

Auto, Zweirad, Pflanzen aller Art und Schnittblumen,<br />

Sämereien sowie Zoofachbedarf durch die ursprüngliche<br />

Genehmigung gedeckt bzw. genehmigungsfähig sei.<br />

Dies beantragt sie im Wege einer auf das Bauplanungsrecht<br />

beschränkten Bauvoranfrage. Die Genehmigung<br />

der Klägerin decke weder das tatsächlich vorgehaltene<br />

Sortiment noch die weiteren geplanten Sortimente ab.<br />

Unter dem Begriff „Fachmarkt“ ist Einzelhandel zu verstehen,<br />

der branchenmäßig ein nach Bedarfsgesichtspunkten<br />

oder auf andere Art in sich geschlossenes Sortiment<br />

in möglichst großer Tiefe und Breite anbietet und<br />

ein gegenüber einem Fachgeschäft abgesenktes Serviceniveau<br />

sowie auch ein niedrigeres Preisniveau bietet.<br />

Ausgehend hiervon umfasst ein Holzfachmarkt alle Erscheinungsformen<br />

von Holz, die Gegenstand des Einzelhandels<br />

sein können. Andere Waren sind als Randsortiment<br />

nur dann umfasst, wenn sie einen Bezug zum


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 21<br />

Werkstoff Holz aufweisen (z. B. Werkzeuge zur Bearbeitung<br />

von Holz etc.). Dieser Ansatz wird vorliegend<br />

auch durch die ursprüngliche Betriebsbeschreibung<br />

bestätigt. Die durch die Klägerin bereits angebotenen<br />

bzw. geplanten Sortimente überschreiten diesen Rahmen<br />

und gehören in Bau- und Heimwerkermärkte.<br />

Die geplante Sortimentsänderung ist als Nutzungsänderung<br />

zudem nicht genehmigungsfähig: § 11 III 1 Nr. 2<br />

BauNVO 1977 schließt großflächigen Einzelhandel im<br />

Industriegebiet aus, soweit sie sich nach Art, Lage und<br />

Umfang auf die Verwirklichung der Zeile der Raumordnung<br />

und Landesplanung oder auf die städtebauliche<br />

Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken<br />

können. Auswirkungen sind bei Betrieben im<br />

Sinne der genannten Vorschrift dann anzunehmen, wenn<br />

die Geschossflächen 1500 qm überschreiten. Diese Regel<br />

gilt dann nicht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen,<br />

dass diese Auswirkungen auch bei mehr als 1500 qm<br />

nicht vorliegen. Dabei sind insbesondere die Gliederung<br />

und Größe der Gemeinde, die Sicherung der verbrauchernahen<br />

Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot<br />

des Betriebs zu berücksichtigen.<br />

Hat der Betrieb ein schmales Warensortiment, ist<br />

trotz einer Überschreitung der Geschossfläche von<br />

1500 qm nicht mit negativen Auswirkungen im Sinne<br />

des § 11 III 2 BauNVO 1977 zu rechnen. Dies gilt so für<br />

den hier genehmigten Holzfachmarkt. Je umfangreicher<br />

das Sortiment, desto weniger weicht der Betrieb von der<br />

Standardkonstellation ab. Bei einer Erweiterung des<br />

Sortiments im hier geplanten Sinne bestehen keine Anhaltspunkte<br />

dafür, dass das Vorhaben der Klägerin von<br />

dem in § 11 III BauNVO 1977 zugrunde gelegten Betriebstyp<br />

abweicht. Entsprechendes gilt für die städtebauliche<br />

Situation. Damit liegen keine Anhaltspunkte<br />

vor, welche die Vermutung für das Eintreten schädlicher<br />

Auswirkungen widerlegen.<br />

Praxishinweis: Die Zulässigkeit der Ansiedlung von<br />

großflächigem Einzelhandel ist nach wie vor ein Dauerbrenner.<br />

Vor dem Hintergrund der heftig umstrittenen<br />

Frage, ab welcher Fläche das Merkmal der Großflächigkeit<br />

erfüllt ist, ist damit zu rechnen, dass die hier erfolgte<br />

restriktive Auslegung eines Fachsortimentes bei<br />

einem großflächigen Fachmarkt auch zukünftig weiter<br />

gehandhabt werden wird. Zur Vorschrift des § 11 III<br />

BauNVO in der heute geltenden Fassung siehe auch<br />

VGH Mannheim, <strong>ÖffBauR</strong> 2005, 17 (in diesem Heft).<br />

OVG Lüneburg, Urteil vom 18. 11. 2004 – 1 LB 337/03<br />

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Tatsächliche Anforderungen an<br />

eine Nutzungsuntersagung<br />

Vor Erlass einer Nutzungsuntersagung nach den Landesbauordnungen<br />

bedarf es konkreter Feststellungen<br />

hinsichtlich der möglicherweise genehmigten Nutzungen<br />

und der tatsächlich ausgeübten Nutzungen.<br />

Das OVG gibt als Beschwerdeinstanz entgegen der Entscheidung<br />

des erstinstanzlichen VG dem einstweiligen<br />

Rechtsschutzantrag eines Tankstellenbetreibers gegen<br />

eine Nutzungsuntersagung statt. Die Bauaufsichtsbehörde<br />

hatte dem Antragsteller die Nutzung von SB-Waschboxen<br />

und einer Hebebühne sowie Kraftfahrzeugreparaturarbeiten<br />

und die Ausübung eines Reifendienstes<br />

auf dessen Tankstellengelände unter Androhung eines<br />

Zwangsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt.<br />

Die Einsichtnahme in die Behördenakte während des<br />

gerichtlichen Verfahrens ergab, dass die Bauaufsichtsbehörde<br />

nicht näher geprüft hatte, ob der Antragsteller<br />

eine Baugenehmigung besaß und was ihm gegebenenfalls<br />

konkret genehmigt worden war. Auch zu den tatsächlich<br />

ausgeübten und in der Nutzungsuntersagung<br />

verbotenen Tätigkeiten verhielt sich die Behördenakte<br />

nur sehr oberflächlich. Es fehlten Lichtbilder, Lagepläne<br />

und jegliche Angaben zur Art, Größe und Störpotenzial<br />

der beanstandeten Hebebühne.<br />

Der Antragsteller trug im Rahmen des Verfahrens hingegen<br />

die von ihm ausgeübten Tätigkeiten substantiiert<br />

unter Vorlage von Lichtbildern vor. Nach Ansicht des<br />

OVG kann dieser Vortrag nicht durch das Vorbringen<br />

der Antragsgegnerin entkräftet werden. Zum Erlass<br />

einer rechtmäßigen Nutzungsuntersagung seien detaillierte<br />

Feststellungen seitens der Behörde erforderlich<br />

gewesen, welche Tätigkeiten genehmigt waren und welche<br />

ausgeübt wurden. Da zum Betrieb einer Tankstelle<br />

nach allgemeinem Verständnis regelmäßig auch Pflegemaßnahmen<br />

und Serviceleistungen gehörten und dadurch<br />

die Bandbreite der vom allgemeinen Betrieb<br />

umfassten Tätigkeiten groß ist, hätte die Bauaufsichtsbehörde<br />

weitaus genauere Sachverhaltsermittlung betreiben<br />

müssen. Aufgrund der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren<br />

nur summarischen Überprüfung der<br />

Sach- und Rechtslage spricht nach Ansicht des OVG<br />

Überwiegendes dafür, dass die Nutzungsuntersagung<br />

rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten<br />

verletzt.<br />

Praxishinweis: Obgleich die Kernaussage der Entscheidung<br />

zunächst wie eine bare Selbstverständlichkeit<br />

klingt, birgt die dahinter stehende Überlegung für beide<br />

Seiten – Betreiber und Bauaufsichtsbehörde – wichtige<br />

Aspekte:<br />

Die Behörde ist schon aufgrund des Bestimmtheitsgebots<br />

gehalten, bei belastenden Verwaltungsakten den<br />

Sachverhalt belastbar zu ermitteln und zu dokumentieren.<br />

Für den rechtsschutzsuchenden Bürger hingegen<br />

sollte es – ggf. unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts<br />

– immer selbstverständlich sein, von seinem Recht<br />

Gebrauch zu machen, die behördlichen Akten einzusehen,<br />

um die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels besser<br />

beurteilen zu können. Wie diese Entscheidung zeigt,<br />

können dabei auch ganz überraschende Umstände maßgeblich<br />

für den Erfolg eines Rechtsmittels sein.<br />

OVG Münster, Beschluss vom 29. 11. 2004 –<br />

10 B 2076/04<br />

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Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 22<br />

Nachbarrecht<br />

Tiefgarage und Abstandsflächen<br />

Eine ausschließlich unterirdische Tiefgarage löst keine<br />

Abstandsflächen zu dem Nachbargrundstück aus.<br />

Das VG lehnt einen einstweiligen Rechtsschutzantrag<br />

eines Nachbarn, dessen Grundstück nicht unmittelbar an<br />

das Baugrundstück grenzt, gegen die Zulassung der Errichtung<br />

eines Mehrfamilienhauses nebst Tiefgarage ab.<br />

Die Tiefgarage ist an der Grundstücksgrenze des Baugrundstücks<br />

geplant.<br />

Das VG führt zunächst aus, dass auch der nicht unmittelbar<br />

an ein Baugrundstück angrenzende Eigentümer<br />

„Nachbar“ im baurechtlichen Sinn sein kann. Dieser<br />

materielle Begriff des Nachbarn bestimme sich nach der<br />

Reichweite der rechtlich relevanten Auswirkungen eines<br />

Vorhabens und könne dementsprechend über die angrenzenden<br />

Grundstücke hinausgehen.<br />

Unabhängig von der Frage, ob sich der Antragsteller<br />

überhaupt auf eine Verletzung der nur die unmittelbar<br />

angrenzenden Grundstücke betreffenden Abstandsflächen<br />

berufen kann, prüft das VG im Anschluss die Einhaltung<br />

der Abstandsflächen. Streitpunkt ist hierbei die<br />

an der Grundstücksgrenze geplante Tiefgarage mit 76<br />

Stellplätzen. Nach Ansicht des VG löst ein unterirdisches<br />

Bauwerk keine Abstandsflächen aus, so dass es an<br />

beliebiger Stelle und auch an der Grundstücksgrenze<br />

errichtet werden könne. Dies ergebe sich daraus, dass<br />

sich die Tiefe der einzuhaltenden Abstandsflächen nach<br />

den einschlägigen Vorschriften der Länderbauordnungen<br />

nach der Höhe der Außenwand bemisst, wobei die<br />

Wandhöhe wiederum von der Geländeoberfläche aus<br />

bestimmt wird.<br />

Gegenmeinungen in der Literatur, die auch im Hinblick<br />

auf unterirdische Wandteile die Einhaltung einer Abstandsfläche<br />

fordern und die sich darauf stützen, dass<br />

nach den Abstandsvorschriften der Länder grundsätzlich<br />

immer eine Mindestabstandsfläche (in Rheinland-Pfalz:<br />

3 m) eingehalten werden muss, weist das Gericht zurück.<br />

Die Vorschriften über die Einhaltung einer Mindestabstandsfläche<br />

setzten als bloße Auffangvorschriften implizit<br />

voraus, dass sich diese lediglich auf oberirdische<br />

Gebäude(teile) beziehen. Ein eigener Regelungscharakter<br />

dergestalt, dass auch unterirdische Gebäudeteile einen<br />

Abstand zur Nachbargrenze einzuhalten brauchen,<br />

folge indes aus diesen Normen nicht.<br />

Auf dieser Grundlage prüft das Gericht folgerichtig abschließend,<br />

ob das Bauvorhaben und insbesondere die<br />

Tiefgarage sich aufgrund sonstiger Umstände als rücksichtslos<br />

gegenüber dem Grundstück des Antragstellers<br />

erweist, was es verneint. Durch die Vorschrift des § 12<br />

BauNVO habe der Gesetzgeber klargestellt, dass notwendige<br />

Stellplätze grundsätzlich als sozialadäquat angesehen<br />

würden und daher auch eine geringfügige<br />

Überschreitung der geltenden Immissionsrichtwerte der<br />

TA-Lärm bzw. der TA-Luft für sich betrachtet nicht zu<br />

einer Unzumutbarkeit solcher Anlagen führen. Im Ergebnis<br />

ist dem Rechtsschutzantrag damit der Erfolg zu<br />

versagen.<br />

Praxishinweis: Obgleich der Fall aus Rheinland-Pfalz<br />

stammt, ist die Problematik bundesweit identisch. Die<br />

Frage, ob unterirdische Bauvorhaben abstandsflächenrelevant<br />

sind, taucht gerade bei Tiefgaragen regelmäßig<br />

auf. Im Gegensatz zu vereinzelten Literaturmeinungen<br />

(vgl. Stich/Gabelmann/Porger, LBauO Rheinland-Pfalz,<br />

2003, § 8 Rdnr. 9) steht die Mehrheit der – überraschend<br />

geringen – Anzahl der aus der Rechtsprechung bekannten<br />

Entscheidungen bislang auf dem Standpunkt, dass<br />

unterirdische Gebäude keine Abstandsflächen einzuhalten<br />

brauchen (VG Mainz, Beschl. v. 10. 12. 1999 – 2 L<br />

1154/99.MZ; VG Mainz, Beschl. v. 26. 7. 2004 – 7 L<br />

580/04.MZ; in VGH Kassel, BRS 55 Nr. 122, ausdrücklich<br />

offengelassen).<br />

Obwohl die besseren Argumente in der Tat dafür sprechen,<br />

dass Abstandsflächen nur vor oberirdischen Gebäude(teilen)<br />

eingehalten werden müssen, ist die Problematik<br />

bislang nicht höchstrichterlich entschieden.<br />

Völlige Rechtssicherheit im Hinblick auf derartige Planungen<br />

gibt es daher leider nicht.<br />

VG Mainz, Beschluss vom 29. 9. 2004 – 7 L 772/04.MZ<br />

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Vorläufiger Rechtsschutz gegen<br />

Windkraftanlagen<br />

Sind die Erfolgsaussichten einer späteren Anfechtungsklage<br />

gegen die Genehmigung einer Windkraftanlage<br />

offen, so erfolgt eine Abwägung einerseits des<br />

wirtschaftlichen Vollzugsinteresses des Bauherrn und<br />

andererseits des Interesses des Nachbarn an der Verhinderung<br />

vollendeter Tatsachen. Keine abwägungssteuernde<br />

Bedeutung kommt hierbei der gesetzlichen<br />

Regelung des § 212 a BauGB zu. Diese Norm nimmt<br />

keine materielle Bewertung zugunsten der sofortigen<br />

Vollziehbarkeit vor, sondern bewirkt nur eine Verteilung<br />

von Verfahrenslasten.<br />

Der Antragsteller wehrt sich im Verfahren des einstweiligen<br />

Rechtsschutzes gemäß §§ 80 a, 80 V VwGO mit<br />

Erfolg gegen die baurechtliche Genehmigung von acht<br />

Windkraftanlagen auf benachbarten Flächen.<br />

Zunächst sei in Anbetracht der jüngsten Entscheidung<br />

des BVerwG vom 30. 6. 2004 – 4 C 9.03 davon auszugehen,<br />

dass die acht im Streit stehenden Windkraftanlagen<br />

zusammen einen Windpark bildeten; damit sei<br />

denkbar, dass bereits die Umgehung des förmlichen<br />

Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG eine<br />

Verletzung von nachbarschützendem Verfahrensrecht<br />

darstelle. Aufklärungsbedarf bestehe auch in Bezug auf<br />

die sichere Einhaltung der Lärmschutzgrenzwerte. Des<br />

Weiteren würden zwei der Windkraftanlagen den in dem<br />

Raumordnungsplan und dem Flächennutzungsplan vorgesehenen<br />

Mindestabstand von 500 m unterschreiten.


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 23<br />

Schließlich könne die halbrunde Anordnung um das<br />

Anwesen des Antragstellers herum gegen das Gebot der<br />

Rücksichtnahme verstoßen.<br />

Das Gericht schließt aus der offenen Sach- und Rechtslage<br />

– wonach aber ein Obsiegen des Antragsteller in<br />

der Hauptsache zumindest denkbar ist –, dass sich das<br />

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht an den<br />

Erfolgsaussichten, sondern an der vollzugsbezogenen<br />

Interessenabwägung zu orientieren hat. Hierbei sei eine<br />

Abwägung einerseits des wirtschaftlichen Vollzugsinteresses<br />

des Bauherrn und andererseits des Interesses des<br />

Nachbarn an der Verhinderung vollendeter Tatsachen<br />

vorzunehmen.<br />

Das Gericht gibt dem Antragsteller im Ergebnis recht<br />

und ordnet die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs<br />

an. Eine einmal ins Werk gesetzte Baumaßnahme<br />

habe faktisch präkludierende Wirkung und könne<br />

dazu führen, dass der Antragsteller auch bei einem Erfolg<br />

in der Hauptsache vor vollendete Tatsachen gestellt<br />

ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners komme<br />

auch der gesetzlichen Regelung des § 212 a BauGB<br />

keine materielle Bewertung zugunsten der sofortigen<br />

Vollziehbarkeit im Interesse des Bauherrn zu. Vielmehr<br />

bewirke sie lediglich eine wertneutrale Verteilung von<br />

Verfahrenslasten.<br />

Praxishinweis: Der Beschluss ist bemerkenswert, weil<br />

das VG Trier in mehrfacher Hinsicht die bisherige Entscheidungspraxis<br />

modifiziert und dabei dem Nachbarschutz<br />

stärkeres Gewicht zubilligt. Zum einen stellt das<br />

Gericht im Rahmen des Eilverfahrens in den Raum, ob<br />

die Umgehung des förmlichen Genehmigungsverfahrens<br />

nach § 10 BImSchG „nicht doch auch subjektive Rechte<br />

des Antragstellers verletzt“. Dies stellt eine Abkehr von<br />

der bisherigen Rechtsprechung dar, wonach der Einzelne<br />

keinen Anspruch auf ein bestimmtes Genehmigungsverfahren<br />

habe (vgl. VG Trier, Beschl. v. 24. 7. 2003 –<br />

5 L 1053/03.TR; vgl. auch OVG Münster, Beschl. v.<br />

7. 1. 2004 – 22 B 1288/03). Für den Bereich der Genehmigungsverfahren<br />

von Windkraftanlagen würde damit<br />

der im übrigen anerkannte Grundsatz übernommen,<br />

dass auch verfahrensbezogene Regelungen Grundrechtsschutz<br />

bezwecken und drittschützende Wirkung entfalten<br />

können (vgl. nur BVerwG, Urt. V. 5. 10. 1990 – 7 C<br />

55/89; OVG Münster a.a.O.).<br />

Eine ausdrückliche Kehrtwende nimmt die Kammer in<br />

Bezug auf § 212 a BauGB vor. Nach dem die Kammer<br />

zuvor der Norm eine materielle Wirkung zugunsten des<br />

Vollzugsinteresses zuerkannt hat, hat sie sich nunmehr<br />

der h.M. angeschlossen, wonach die Norm nur die Bauaufsichtsbehörde<br />

wertneutral von einer äußeren Begründungspflicht<br />

hat befreien wollen (vgl. BVerwG, Beschl.<br />

v. 21. 7. 1994 – 4 VR 1/94; OVG Münster, Beschl. v.<br />

1. 7. 1998 – 7 B 956/98, NVwZ 1998, 980).<br />

VG Trier, Beschluss vom 30. 8. 2004 – 5 L 1045/04.TR<br />

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Nachbarschutz gegen Lichtimmissionen<br />

Wenn bei Zulassung eines Bauvorhabens eine Blendung<br />

durch an- und abfahrende Kraftfahrzeuge zu<br />

befürchten ist, müssen eine lichttechnische Begutachtung<br />

durchgeführt und gegebenenfalls in der Zulassung<br />

des Bauvorhabens genau bestimmte technische<br />

Maßnahmen zur Verhinderung von Blendungen<br />

angeordnet werden.<br />

Das Verwaltungsgericht gibt einem einstweiligen<br />

Rechtsschutzantrag eines Nachbarn gegen die für einen<br />

Einkaufsmarkt mit Parkplatz erteilte Baugenehmigung<br />

statt. Das Grundstück des Nachbarn liegt auf der gegenübliegenden<br />

Straßenseite des Bauvorhabens und ist mit<br />

einem Wohnhaus bebaut. Gerade gegenüber der auf dem<br />

Baugrundstück geplanten Parkplatzausfahrt befinden<br />

sich an dem Wohnhaus des Antragstellers Fenster von<br />

Aufenthaltsräumen. Dem Bauherrn war in der Baugenehmigung<br />

durch eine Nebenbestimmung aufgegeben<br />

worden, durch „geeignete Maßnahmen“ eine unzulässige<br />

Blendwirkung von Fahrzeugen beim Befahren oder<br />

Verlassen des Parkplatzes zu verhindern.<br />

Da das Grundstück des Antragsteller außerhalb des zu<br />

beurteilenden Baugebiets liegt, kann der Antragsteller<br />

keine Abwehransprüche aus dem Gebietserhaltungsanspruch<br />

herleiten. Das Verwaltungsgericht sieht jedoch<br />

die genannte Nebenbestimmung zur Ergreifung geeigneter<br />

Blendschutzmaßnahmen als unbestimmt und damit<br />

rechtswidrig an. Grundlage zur Beurteilung von Lichtimmissionen<br />

sei – was in der Baugenehmigung auch<br />

richtig genannt wurde – der ministerielle Runderlass<br />

„Lichtimmissionen, Bemessung, Beurteilung, Verminderung“<br />

von Nordrhein-Westfalen vom 13. 9. 2000 (Lichtimmissionserlass).<br />

Dieser Erlass findet auf einen privaten<br />

Parkplatz Anwendung, da nach Ziffer 2 II des Erlasses<br />

nur die Beleuchtungsanlagen von Fahrzeugen auf<br />

öffentlichen Straßen aus dem Anwendungsbereich des<br />

Erlasses herausgenommen werden.<br />

Da die Nebenbestimmung keine konkreten Maßnahmen<br />

nenne, wie der Schutz vor Blendung bewerkstelligt werden<br />

könne, könne die Einhaltung der Grenzwerte des<br />

Lichtimmissionserlasses nicht überprüft werden. Weitergehend<br />

ist das Verwaltungsgericht der Ansicht, dass<br />

vor Erteilung der Baugenehmigung sogar eine lichttechnische<br />

Begutachtung geboten gewesen wäre. Die Nebenbestimmung<br />

sei daher unbestimmt und rechtswidrig.<br />

Auf dieser Grundlage sei überdies die gesamte Baugenehmigung<br />

rechtswidrig, da sich die Unbestimmtheit<br />

gerade auf solche Merkmale des Vorhabens beziehe,<br />

deren genaue Festlegung erforderlich sei, um eine Verletzung<br />

solcher Rechtsvorschriften auszuschließen, die<br />

auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt<br />

sind. Da schließlich Lichtimmissionen nach § 3 I und II<br />

BImSchG zu den schädlichen Umwelteinwirkungen<br />

zählen, gegen die ein Nachbar Abwehransprüche habe,<br />

verstoße die Baugenehmigung gegen nachbarschützende<br />

Vorschriften, was zum Erfolg des Rechtsschutzantrags


Heft 2, 2005 <strong>ÖffBauR</strong> 24<br />

führt. Lediglich den weitergehenden Antrag auf Anordnung<br />

eines Baustopps lehnt das VG ab, da die Belastung<br />

mit Lichtimmissionen erst mit Aufnahme der Nutzung<br />

eintreten könne.<br />

Praxishinweis: Dass auch für Lichtimmissionen verwaltungsrechtlich<br />

relevante Richtlinien existieren, ist<br />

weitgehend unbekannt. Es gibt zwar keinen bundeseinheitlichen<br />

Maßstab, aber doch zwei nennenswerte und in<br />

der Praxis verwendete Richtlinien: Dies ist zum Einen<br />

die vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI)<br />

publizierte „Licht-Richtlinie“ (Messung und Beurteilung<br />

von Lichtimmissionen, 1996) und der hieraus in Nordrhein-Westfalen<br />

entwickelte und in der Entscheidung<br />

zitierte gemeinsame Runderlass „Lichtimmissionen,<br />

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Bemessung, Beurteilung, Verminderung“ vom 13. 9.<br />

2000 (MBl. NRW 2000 [Nr. 64], 1283).<br />

Bemerkenswert ist insoweit der in der Entscheidung<br />

angesprochene Aspekt, dass im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens<br />

eine lichttechnische Begutachtung<br />

erforderlich sein kann, sofern durch das Bauvorhaben<br />

Blendwirkungen zu Lasten von Nachbarn ausgelöst<br />

werden können. Gerade bei Vorhaben mit regem Publikumsverkehr<br />

in oder in der Nähe von Wohngebieten<br />

– wie im vorliegenden Fall der Einzelhandelsmarkt –<br />

sollte die Notwendigkeit lichttechnischer Begutachtungen<br />

daher frühzeitig erwogen werden.<br />

VG Minden, Beschluss vom 5. 4. 2004 – 9 L 276/04<br />

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