Ant-Wort. Jörg Splett zum 70. Geburtstag - Institut zur Förderung der ...
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70<br />
Evelin Kohl<br />
Der Kunst gelingt die Verwirklichung dieser höchsten Einheit<br />
durch die Veranschaulichung des "Wahren als de[s] absoluten<br />
Gegenstande[s] des Bewußtseins", d.h. indem sie "die Wahrheit<br />
in Weise sinnlicher Gestaltung für das Bewußtsein hinstellt" und<br />
dadurch in ihr das "Absolute <strong>zur</strong> Anschauung und Empfindung<br />
kommt" (Ä I 139 f). Die Ver-anschau-lichung des Absoluten<br />
bedeutet in <strong>der</strong> Kunst näher, "das Göttliche, die tiefsten<br />
Interessen des Menschen, die umfassendsten Wahrheiten des<br />
Geistes <strong>zum</strong> Bewußtsein zu bringen und auszusprechen" (Ä I<br />
21). Da diese in ihr vollzogene Erkenntnis des Absoluten aber<br />
ein "unmittelbares und eben darum sinnliches Wissen, ein Wissen<br />
in Form und Gestalt des Sinnlichen und Objektiven selber" (Ä I<br />
139) ist, bildet sie aufgrund eben ihrer Abhängigkeit vom<br />
sinnlichen Element nur eine erste Erkenntnisweise des<br />
Absoluten, <strong>der</strong> gegenüber die Religion im engeren Sinne <strong>der</strong><br />
christlichen Religion als göttlich geoffenbarte ein über die<br />
gegenständliche Anschauung hinausgehendes, subjektiv inneres,<br />
"vorstellendes" und andachtsvolles Wissen um das Absolute<br />
erlangt. Unter Rücksicht ihres Inhaltes also <strong>der</strong> Religion und<br />
auch <strong>der</strong> Philosophie gleichgestellt, denn "[b]ei dieser Gleichheit<br />
des Inhalts sind die drei Reiche des absoluten Geistes nur durch<br />
die Formen unterschieden, in welchen sie ihr Objekt, das<br />
Absolute, <strong>zum</strong> Bewußtsein bringen" 19, ist die Kunst als<br />
Erkenntnisform eben nicht "die höchste Weise, in welcher die<br />
Wahrheit sich Existenz verschafft", dies vollzieht sich erst in <strong>der</strong><br />
(christlichen) Religion und <strong>der</strong> Philosophie (Ä I 139/141).<br />
Was bedeuten nun diese mir damals so völlig neuen,<br />
revolutionär anmutenden Bestimmungen?<br />
Erstens bedeutet die Abgrenzung gegenüber den vor <strong>der</strong><br />
Kunst liegenden Bewußtseinssphären die konsequente und<br />
kompromißlose Entbundenheit <strong>der</strong> Kunst aus allen endlichen<br />
_______________<br />
allein sich ihm als die höchste Macht über das Beson<strong>der</strong>e und Endliche<br />
erweist, durch welche alles sonst Zertrennte und Entgegengesetzte <strong>zur</strong><br />
höheren und absoluten Einheit <strong>zur</strong>ückgebracht wird." (Ä I 139) .Vgl.<br />
auch Phänomenologie, 572 f und 578-582.<br />
19 Diese im Inhalt begründete Gleichstellung steht in scheinbarem<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zu einer an<strong>der</strong>en Aussage, in <strong>der</strong> es heißt, "eben ihrer Form<br />
wegen ist die Kunst auch auf einen bestimmten Inhalt beschränkt" (Ä I<br />
23). In diesem scheinbaren Wi<strong>der</strong>spruch zeigt sich die Komplexität des<br />
Hegelschen Begriffs des "Inhalts": versteht er darunter in <strong>der</strong> einen<br />
Aussage das Göttliche überhaupt, in all seinen Erscheinungsformen, so<br />
geht es ihm in dieser letzteren um gewisse Wahrheits-"Stufen" des<br />
Göttlichen, zu denen eine sinnliche Anschauung nicht durchdringen<br />
kann.