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Aus dem Trauma bewegen - ErzieherIn.de

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64<br />

Grundlagen<br />

<strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Trauma</strong> <strong>bewegen</strong><br />

– Psychomotorische Interventionsmöglichkeiten in <strong>de</strong>r Arbeit mit<br />

traumatisierten Kin<strong>de</strong>rn<br />

Linna Schüürmann<br />

1. Einleitung<br />

„Mein Herz brennt,<br />

wenn ich jetzt daran <strong>de</strong>nke!“<br />

(Ruf et al. 2008, S. 109).<br />

Dieses Zitat eines 10-jährigen schwer<br />

traumatisierten Mädchens spiegelt<br />

in berühren<strong>de</strong>r Weise das Gleichnis<br />

zwischen körperlichen und seelischen<br />

Verletzungen anschaulich wi<strong>de</strong>r. Nicht<br />

nur körperliche, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re<br />

auch seelische Verletzungen können<br />

verheeren<strong>de</strong> <strong>Aus</strong>wirkungen auf die<br />

Kin<strong>de</strong>sentwicklung haben.<br />

Dies wer<strong>de</strong>n viele Psychomotoriker/<br />

innen bestätigen können – immer wie<strong>de</strong>r<br />

müssen wir uns <strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

stellen, Kin<strong>de</strong>r mit traumatischen<br />

Erfahrungen psychomotorisch zu begleiten<br />

und zu unterstützen.<br />

Daher ist es erfreulich, dass in <strong>de</strong>n<br />

letzten zwei Jahrzehnten das Verständnis<br />

für die komplexen Zusammenhänge<br />

traumatischer Erfahrungen, die verschie<strong>de</strong>ne<br />

biologische, psychische und<br />

soziale Funktionen beeinträchtigen<br />

können, <strong>de</strong>utlich gewachsen ist (Teegen<br />

2008, S. 43). Zumal auch festzustellen<br />

ist, dass die Häufigkeit traumatischer<br />

Erlebnisse bei Kin<strong>de</strong>rn, damit<br />

einhergehen<strong>de</strong>n Störungsbil<strong>de</strong>rn und<br />

späteren Langzeitfolgen beträchtlich<br />

ist (Landolt/Hensel 2008a, S.13f.).<br />

Dennoch bleibt die Psychotraumatologie<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>salters eine junge Wissenschaft<br />

mit vielen offenen Fragen,<br />

vor allem im Bereich <strong>de</strong>r kindspezifischen<br />

therapeutisch-pädagogischen<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013<br />

Angebote. Daher soll <strong>de</strong>r Themenkomplex<br />

nun aus psychomotorischmotologischer<br />

Sicht mit einem bewegungsorientierten<br />

Fokus beleuchtet<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn „(…) man muss kein<br />

Prophet sein, um vorauszusagen, dass<br />

die Einbeziehung <strong>de</strong>s Leibes in die<br />

<strong>Trauma</strong>therapie zunehmend an Be<strong>de</strong>utung<br />

gewinnen wird.“ (Lamprecht<br />

2007, S. 14).<br />

2. Theoretische<br />

Grundlagen<br />

2.1 Definition<br />

Bei <strong>de</strong>r Begriffsklärung psychisches<br />

‚<strong>Trauma</strong>‘ (griech. Verletzung) ist es<br />

wichtig, die objektive, an das Stressor-Kriterium<br />

gebun<strong>de</strong>ne Perspektive,<br />

um die subjektive Dimension zu erweitern,<br />

welche sicherstellt, dass die<br />

individuelle Erlebensqualität Berücksichtigung<br />

fin<strong>de</strong>t.<br />

Ein psychisches <strong>Trauma</strong> o<strong>de</strong>r eine<br />

traumatische Erfahrung ist <strong><strong>de</strong>m</strong>zufolge<br />

ein „(…) vitales Diskrepanzerlebnis<br />

zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren<br />

und <strong>de</strong>n individuellen<br />

Bewältigungsmöglichkeiten, das mit<br />

Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser<br />

Preisgabe einhergeht und so<br />

eine dauerhafte Erschütterung von<br />

Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“<br />

(Fischer/Rie<strong>de</strong>sser 2009, S. 84).<br />

Zu typischen Kindheitstraumata zählen<br />

Vernachlässigung, Verwahrlosung<br />

sowie seelische/körperliche Miss-<br />

handlung und sexueller Missbrauch.<br />

Darüber hinaus schwere Erkrankungen,<br />

Verlust nahestehen<strong>de</strong>r Personen,<br />

Unfälle o<strong>de</strong>r auch das Bezeugen von<br />

Gewaltverbrechen (Fuchs 2009, S.<br />

52ff.; Scheuerer-Englisch 2002, S. 68;<br />

Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann 2006, S. 8f.). Dabei gilt<br />

grundsätzlich: Je länger ein <strong>Trauma</strong><br />

anhält, je enger die soziale Beziehung<br />

zwischen Verursacher und betroffenem<br />

Kind und je jünger das Kind ist, <strong>de</strong>sto<br />

gravieren<strong>de</strong>r sind die Folgen (Teegen<br />

2008, S. 125).<br />

2.2 <strong>Trauma</strong>folgestörungen<br />

bei Kin<strong>de</strong>rn (nach ICD-10)<br />

Nach ICD-10 wer<strong>de</strong>n <strong>Trauma</strong>folgestörungen<br />

unter <strong>de</strong>r Obergruppe<br />

‚Neurotische, Belastungs- und somatoforme<br />

Störungen‘ in <strong>de</strong>r Kategorie<br />

‚Reaktionen auf schwere Belastungen<br />

und Anpassungsstörungen‘ (F 43.xx)<br />

subsumiert. Dazu zählen neben <strong>de</strong>r<br />

akuten Belastungsreaktion (F 43.0)<br />

und Anpassungsstörungen (F 43.2) die<br />

posttraumatische Belastungsstörung<br />

(F 43.1) (PTBS) und auch sonstige Reaktionen<br />

auf schwere Belastungen (F<br />

43.8) sowie die Reaktion auf schwere<br />

Belastung, nicht näher bezeichnet (F<br />

43.9) (http://www.dimdi.<strong>de</strong>). Bei <strong>de</strong>r<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen <strong>Trauma</strong>folgestörungen<br />

und ihren Symptombil<strong>de</strong>rn<br />

stellt sich die Frage, inwiefern<br />

die diagnostischen Kriterien auch<br />

auf Kin<strong>de</strong>r übertragbar sind und ob<br />

gegebenenfalls einige kindspezifische<br />

Aspekte ergänzt wer<strong>de</strong>n sollten, um<br />

<strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Introspektions- und


Sprachfähigkeit von Kin<strong>de</strong>rn gerecht<br />

zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Simons & Herpertz-Dahlmann merken<br />

mit Blick auf die Diagnosekriterien<br />

an, dass bei einer PTBS im<br />

Kin<strong>de</strong>salter das Verhalten nach einem<br />

traumatischen Ereignis auch aufgelöst<br />

o<strong>de</strong>r agitiert, repetitiv und monoton<br />

sein kann, bei Kin<strong>de</strong>rn Spiele auftreten<br />

können, in <strong>de</strong>nen wie<strong>de</strong>rholt Themen<br />

<strong>de</strong>s <strong>Trauma</strong>s zum <strong>Aus</strong>druck kommen<br />

(‚posttraumatisches Spiel‘) o<strong>de</strong>r<br />

die Spielfähigkeit stark eingeschränkt<br />

ist; stark beängstigen<strong>de</strong> Träume zur<br />

Symptomatik gehören können, ebenso<br />

wie traumaspezifische Neuinszenierungen.<br />

Die Arbeitsgruppe um Scheeringa beschreibt<br />

darüber hinaus einige alterstypische<br />

Symptome und somit auch entwicklungsangemessene<br />

Kriterien wie<br />

z. B. neu auftreten<strong>de</strong> Trennungsangst,<br />

neuartige Ängste ohne offensichtlichen<br />

Bezug zum <strong>Trauma</strong>, ‚night terrors‘,<br />

die Angst schlafen zu gehen, neu<br />

auftreten<strong>de</strong>s aggressives Verhalten,<br />

selbstverletzen<strong>de</strong> Verhaltensweisen,<br />

Verlust von bereits erworbenen Fä-<br />

Pharmakotherapie<br />

Psychodynamische Verfahren, z. B.<br />

higkeiten (z. B. Einnässen, rückläufige<br />

Sprachentwicklung, Mutismus), Abflachung<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Reagibilität<br />

und ‚Omenbildung‘, also <strong>de</strong>r Glaube,<br />

zukünftige Ereignisse vorhersehen<br />

zu können. Vor allem eine regressive<br />

Symptomatik und Störungen in <strong>de</strong>n<br />

Bereichen <strong>de</strong>r Mentalisierungs-, Empathie-<br />

und Bindungsfähigkeit, sowie<br />

<strong>de</strong>r Emotionsregulation und Beziehung<br />

zum eigenen Körper sind hier prägend<br />

(Scheeringa et al. 2003, S. 568; Simons/Herpertz-Dahlmann<br />

2008a, S.<br />

152ff.; Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann 2006, S. 43f.; Landolt<br />

2004, S. 34ff.; Saß/Houben 1997,<br />

S. 489; Weinberg 2008, S. 97ff.).<br />

3. Therapiemöglichkeiten<br />

für traumatisierte Kin<strong>de</strong>r<br />

Das Therapieziel besteht übereinstimmend<br />

darin, die altersentsprechen<strong>de</strong>n<br />

kindlichen Verarbeitungsmechanismen<br />

zu unterstützen und <strong><strong>de</strong>m</strong> Kind somit<br />

zu helfen, die phasenspezifischen<br />

Entwicklungsaufgaben zu bewältigen<br />

(Fischer/Rie<strong>de</strong>sser 2009, S. 296).<br />

Psychodynamisch Imaginative <strong>Trauma</strong>therapie (PITT-KID)<br />

Mehrdimensionale Psychodynamische <strong>Trauma</strong>therapie (MPTT-KJ)<br />

<strong>Trauma</strong>zentrierte Spieltherapie<br />

Kognitiv- verhaltenstherapeutische Verfahren, z. B.<br />

Grundlagen<br />

Zunächst lassen sich aber einige<br />

Grundprinzipien herausstellen, die<br />

auch im Hinblick auf mögliche psychomotorische<br />

Interventionen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Charakter haben: Neben<br />

<strong>de</strong>r interdisziplinären <strong>Aus</strong>richtung<br />

<strong>de</strong>r Betreuung und Therapie und einem<br />

ganzheitlichen Menschenbild<br />

wird, unabhängig vom eingesetzten<br />

Verfahren, immer phasenorientiert<br />

gearbeitet. Dies umfasst die Kernelemente<br />

<strong>de</strong>r Stabilisierung, einer Form<br />

<strong>de</strong>r <strong>Trauma</strong>bearbeitung und <strong>de</strong>r Integration.<br />

Die Berücksichtigung <strong>de</strong>s sozialen<br />

Umfel<strong>de</strong>s, vor allem <strong>de</strong>r Eltern,<br />

hat zu<strong><strong>de</strong>m</strong> eine große Be<strong>de</strong>utung und<br />

sollte, wenn möglich, immer Teil <strong>de</strong>s<br />

Therapieplanes sein (Steil 2006, S.<br />

148).<br />

Tabelle 1 enthält einen kurzen Überblick<br />

über bereits etablierte traumaspezifische<br />

Therapieverfahren aus<br />

verschie<strong>de</strong>nen Fachkreisen.<br />

„Die Integration körperorientierter<br />

Verfahren wird in Zukunft sicher auch<br />

bei Kin<strong>de</strong>rn (…) noch mehr Raum<br />

einnehmen, da diese die körperliche<br />

<strong>Trauma</strong>fokussierte Kognitive Verhaltenstherapie für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche (T-KVT)<br />

Eye Movement Desentizitation and Reprocessing (EMDR)<br />

Narrative Expositionstherapie für Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche (KIDNET)<br />

Körper- und bewegungstherapeutisch orientierte Verfahren, z. B.<br />

Somatic Experiencing ® (SE)<br />

Körpertherapeutisch orientierte <strong>Trauma</strong>therapie (‚Somatic <strong>Trauma</strong> Therapy‘) (STT)<br />

<strong>Trauma</strong>zentrierte Tanz- und Bewegungspsychotherapie<br />

Tab. 1: <strong>Trauma</strong>spezifische Therapieverfahren aus verschie<strong>de</strong>nen Fachkreisen<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013 65


66<br />

Grundlagen<br />

Dimension <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns auch dann<br />

gezielter integrieren, wenn nicht <strong>de</strong>r<br />

Körper primär beschädigt wur<strong>de</strong>.“<br />

(Krüger 2008, S. 207).<br />

Das Zusammenwirken verschie<strong>de</strong>ner<br />

Theorien, Fachrichtungen und<br />

Professionen und insbeson<strong>de</strong>re auch<br />

<strong>de</strong>r Einbezug <strong>de</strong>r Körper- und Bewegungsdimension<br />

stellt vermutlich die<br />

bestmögliche Versorgung dar (Maercker<br />

2008, S. 247) und wird zu einer<br />

zukünftig integrativeren <strong>Aus</strong>richtung<br />

in <strong>de</strong>r professionellen Begleitung traumatisierter<br />

Kin<strong>de</strong>r führen.<br />

4. Körper, Bewegung<br />

und Spiel als Schlüsselkomponenten<br />

„Und je weniger sie [die Kin<strong>de</strong>r;<br />

Anm. <strong>de</strong>r Verf.] die Sprache als <strong>Aus</strong>drucksmittel<br />

zur Verfügung haben,<br />

<strong>de</strong>sto beredter sind ihr Leib, ihre Körpersprache<br />

und ihre ganzkörperlichen<br />

Inszenierungen.“ (Aichinger 2008,<br />

S. 65).<br />

Der Körper, die Bewegung und damit<br />

untrennbar verbun<strong>de</strong>n auch das kindliche<br />

Spiel als essenzielle Bestandteile<br />

einer Psychomotorik und angewandten<br />

Motologie bergen somit enormes<br />

Potenzial für eine entwicklungsbegleiten<strong>de</strong><br />

Unterstützung von traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn.<br />

Levine hat maßgeblich dazu beigetragen,<br />

die Körperlichkeit von seelischer<br />

<strong>Trauma</strong>tisierung mit ins Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Aufmerksamkeit zu rücken und in<br />

die Behandlung zu integrieren. Der<br />

Körper eines traumatisierten Kin<strong>de</strong>s<br />

ist ein impliziter Speicher <strong>de</strong>r traumatischen<br />

Erfahrung und lässt als<br />

Diagnostikum viel über das Kind und<br />

seine Verfassung erfahren. Der Körper<br />

ist aber auch eine Ressource, da<br />

er das Sprachrohr sein kann, über das,<br />

wenn die verbale Sprache versagt,<br />

kommuniziert wer<strong>de</strong>n kann. Entwicklungspsychologisch<br />

betrachtet liegt<br />

im Körper <strong>de</strong>r ‚Kern <strong>de</strong>s Selbst‘, wo-<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013<br />

durch er in je<strong>de</strong>r Hinsicht für jedwe<strong>de</strong><br />

entwicklungsför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Maßnahme<br />

bei Kin<strong>de</strong>rn herausragen<strong>de</strong> Relevanz<br />

erfährt (Opitz-Gerz 2008, S. 284). In<br />

vielen Fällen kommt hinzu, dass <strong>de</strong>r<br />

Körper auch explizit <strong>de</strong>r Ort <strong>de</strong>r <strong>Trauma</strong>tisierung<br />

ist und die Körperlichkeit<br />

massiv gekränkt wur<strong>de</strong>. Da die psychische<br />

<strong>Trauma</strong>tisierung ein psychophysisches<br />

Geschehen ist, muss eine<br />

Therapie und För<strong>de</strong>rung immer auch<br />

<strong>de</strong>n Körper, als Basis individuellen<br />

Seins, mit berücksichtigen (Eckert<br />

2008, S. 20; Hammer 2004a, S. 131).<br />

Wenn ein Kind traumatische Erfahrungen<br />

macht, können sich die daran<br />

gebun<strong>de</strong>nen Emotionen durch <strong>de</strong>fensive<br />

Körperstrategien im Körperausdruck<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s manifestieren (z. B.<br />

erhöhter Muskeltonus, Atemmuster,<br />

Körperhaltungen) – die Erfahrungen<br />

sind stets präsent und nehmen Einfluss<br />

auf sein Han<strong>de</strong>ln, Fühlen, Denken und<br />

Sein (Pacholek 2006, S. 67). Mit <strong>de</strong>r<br />

Betonung <strong>de</strong>r Körperdimension ist<br />

nicht nur eine Beschränkung im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Körpers als klar abgegrenzter<br />

Raum, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Schutz und das<br />

‚sich wie<strong>de</strong>r wohlfühlen-Können‘<br />

im gesamten, subjektiv erlebten Leib<br />

gemeint – das Kind soll befähigt wer<strong>de</strong>n,<br />

sich das <strong>Trauma</strong> ‚vom Leib zu<br />

halten‘.<br />

Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> wird die Welterschließung<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s über <strong>de</strong>n Körper und die<br />

Bewegung vollzogen – sie bil<strong>de</strong>n die<br />

I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s (Fischer 2009, S.<br />

58) und eben jene ist bei traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn ins Wanken geraten.<br />

In Seewalds <strong>Aus</strong>führungen zum Verstehen<strong>de</strong>n<br />

Ansatz in <strong>de</strong>r Psychomotorik<br />

und Motologie wer<strong>de</strong>n die Bewegungen<br />

als die wichtigste Form <strong>de</strong>r<br />

Weltzuwendung, als ‚Mittler zur Welt‘<br />

beschrieben; in und durch Bewegung<br />

leiben wir uns die Welt ein. Die Bewegung<br />

gehört somit zu <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Existenzialen, weshalb sie mehr<br />

ist als nur ein Medium – vielmehr sind<br />

wir unsere Bewegungen (Seewald<br />

2007, S. 21f.; 1997, S. 9).<br />

Dem Spiel und seiner heilsamen sowie<br />

entwicklungsför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Wirkung<br />

(Oerter/Montada 2008, S. 245) kommt<br />

nicht nur in <strong>de</strong>r Spieltherapie o<strong>de</strong>r im<br />

Psychodrama nach Moreno, son<strong>de</strong>rn<br />

insgesamt in <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung von traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn eine beson<strong>de</strong>re<br />

Wertigkeit zu. Sowohl die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Konstruktion einer ‚an<strong>de</strong>ren<br />

Realität‘ bzw. eines ‚intermediären<br />

Raumes‘, das Erlebnis, ein kontrollieren<strong>de</strong>r<br />

und konstruktiver Gestalter<br />

zu sein, als auch die Möglichkeit <strong>de</strong>s<br />

wie<strong>de</strong>rholten Durch-, Be- und Verarbeitens<br />

traumatischer Inhalte, spezifischer<br />

Probleme und verschie<strong>de</strong>ner<br />

Entwicklungs- und Beziehungsthematiken<br />

im geschützten Rahmen, bergen<br />

großes Potenzial – für Kin<strong>de</strong>r im Allgemeinen<br />

und beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Arbeit<br />

mit <strong>Trauma</strong>tisierten.<br />

5. <strong>Aus</strong>gewählte Ansätze<br />

<strong>de</strong>r Motologie<br />

Seewalds Einteilung <strong>de</strong>r allgemeinen<br />

psychomotorisch-motologischen Ansätze<br />

folgend, können an dieser Stelle<br />

<strong>de</strong>r neuropsychologische Ansatz, <strong>de</strong>r<br />

kompetenztheoretische, <strong>de</strong>r verstehen<strong>de</strong><br />

und systemische Ansätze unterschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n (Seewald 2010a,<br />

o. A.). Abbildung 1 fasst in Kürze die<br />

wichtigsten Aspekte dieser Ansätze in<br />

Bezug auf die Arbeit mit traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn zusammen.<br />

Fest steht, dass keiner <strong>de</strong>r Ansätze<br />

das komplexe psychophysische Problemspektrum<br />

in seiner Gesamtheit<br />

ab<strong>de</strong>ckt. Aber insbeson<strong>de</strong>re bezogen<br />

auf die verschie<strong>de</strong>nen Symptom-cluster<br />

(Wie<strong>de</strong>rerleben, Vermeidungsverhalten<br />

und vegetative Übererregtheit)<br />

und <strong><strong>de</strong>m</strong> grundlegend erschütterten<br />

Welt- und Selbstverständnis, kann<br />

mittels <strong>de</strong>r unterschiedlichen Ansätze<br />

ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Erfolg bei <strong>de</strong>r<br />

Verbesserung <strong>de</strong>r biopsychosozialen<br />

Lebensqualität erfolgen. Demgemäß<br />

ist festzuhalten, dass nur ein Zusammenwirken<br />

und Ineinan<strong>de</strong>rgreifen<br />

verschie<strong>de</strong>ner Komponenten aus allen<br />

vier Ansätzen eine bestmögliche<br />

psychomotorische Intervention und<br />

För<strong>de</strong>rung für traumatisierte Kin<strong>de</strong>r<br />

darstellen kann. Des Weiteren ist zu


Neuropsychologischer Ansatz<br />

– vielfältige Wahrnehmungs- und<br />

Bewegungsför<strong>de</strong>rung zur Integration<br />

von Sinneseindrücken, die<br />

aus traumatischen Erfahrungen<br />

resultieren<br />

resümieren, dass insbeson<strong>de</strong>re <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

verstehen<strong>de</strong>n Ansatz in <strong>de</strong>r psychomotorischen<br />

För<strong>de</strong>rung von traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn große Relevanz<br />

beigemessen wer<strong>de</strong>n sollte, da er vor<br />

allem in <strong>de</strong>r Bearbeitungs- und Integrationsphase<br />

gute Möglichkeiten<br />

bietet, sich mit <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Trauma</strong> auseinan<strong>de</strong>rzusetzen<br />

und es in die eigene<br />

Geschichte einzufügen – erlebte<br />

Geschichten können so zu erzählten<br />

Geschichten wer<strong>de</strong>n und das Selbst,<br />

das durch traumatische Erlebnisse<br />

verschüttet wur<strong>de</strong>, erhält einen Entfaltungsspielraum,<br />

in <strong><strong>de</strong>m</strong> aus <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Chaos <strong>de</strong>s <strong>Trauma</strong>s heraus eine neue<br />

psychophysische Ordnung entstehen<br />

kann (Seewald 1992, S. 220; Hammer<br />

2004c, S. 178f.).<br />

6. Erste Überlegungen<br />

für ein kindspezifisches<br />

Konzept<br />

Kompetenztheoretischer<br />

Ansatz<br />

– Wie<strong>de</strong>rerlangen <strong>de</strong>r Handlungs-<br />

und Kommunikationsfähigkeit,<br />

die durch traumatische<br />

Erfahrungen eingeschränkt ist<br />

und Stärkung <strong>de</strong>s erschütterten<br />

Selbstwertes durch Bewegungsangebote,<br />

die die Ich-, Sozial-<br />

und Sachkompetenz för<strong>de</strong>rn<br />

Der Bedarf an <strong>de</strong>r Entwicklung fundierter<br />

Konzepte ist in <strong>de</strong>r Psychomotorik<br />

und Motologie nach wie vor<br />

groß und in <strong>de</strong>r Praxis stellt sich häufig<br />

die Frage nach einem individuellen<br />

Handlungskonzept für das jeweilige<br />

„Psychomotorik<br />

mit<br />

traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn“<br />

Verstehen<strong>de</strong>r Ansatz<br />

– Verarbeitung und Integration<br />

traumatischer Leib- und Beziehungsthemen<br />

durch symbolische<br />

<strong>Aus</strong>drucksmöglichkeiten über<br />

Bewegung, Leiblichkeit und im<br />

Spiel<br />

Arbeitsfeld (Hammer 2004b, S. 246;<br />

Reichenbach 2010, S. 86).<br />

Der Fokus soll im Folgen<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r<br />

Darstellung inhaltlicher Praxisbausteine<br />

liegen, die in beson<strong>de</strong>rer Weise für<br />

die Klientel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit <strong>Trauma</strong>folgestörungen<br />

geeignet erscheinen.<br />

Systemische Ansätze<br />

– Einbezug <strong>de</strong>s sozialen Umfel<strong>de</strong>s<br />

als Unterstützung sowie zur Gewährleistung<br />

nachhaltiger För<strong>de</strong>rungseffektivität<br />

– psychomotorische Handlungsoptionen<br />

ermöglichen einen störungsverringern<strong>de</strong>n<br />

Umgang mit verschie<strong>de</strong>nen<br />

Wirklichkeiten<br />

Abb. 1: Zusammenfassen<strong>de</strong> Übersicht zur Psychomotorik mit traumatisierten Kin<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Perspektive verschie<strong>de</strong>ner<br />

Ansätze <strong>de</strong>r Motologie<br />

„Sinneserfahrungen“<br />

„Entspannungsspiele/übungen“<br />

„Freies<br />

Spiel“<br />

„Tanz“<br />

„Imaginationsübungen“<br />

„Themenspiele“<br />

„Sportspiele“<br />

„Achtsamkeitsübungen“<br />

„Trampolin“<br />

„Bewegungsbaustelle“<br />

Grundlagen<br />

Abbildung 2 stellt<br />

einen ersten Versuch<br />

dar, mögliche psychomotorischePraxisbausteine<br />

für eine<br />

<strong>Trauma</strong>arbeit mit<br />

Kin<strong>de</strong>rn nach einem<br />

integrativen Ansatz<br />

zusammenzufassen.<br />

Das Schaubild ver<strong>de</strong>utlicht<br />

zu<strong><strong>de</strong>m</strong>, dass<br />

es auch noch offene<br />

Fel<strong>de</strong>r gibt, die<br />

in Zukunft ‚gefüllt‘<br />

wer<strong>de</strong>n können und<br />

Raum für innovative<br />

Inhalte bieten. Alle<br />

Bausteine können,<br />

müssen aber nicht<br />

zum Einsatz kommen<br />

und können variabel<br />

miteinan<strong>de</strong>r kombiniert<br />

wer<strong>de</strong>n, je nach Bedürfnislage<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s. Dabei können Schwerpunkte<br />

im spielerischen, entspannen<strong>de</strong>n/imaginativen,sportlich-bewegungsorientierten,<br />

sensorischen o<strong>de</strong>r<br />

kreativen Bereich gesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

(Wintsch 2008, S. 206).<br />

„Kreative<br />

Medien“<br />

Abb. 2: Mögliche Praxisbausteine psychomotorischer Interventionen für traumatisierte Kin<strong>de</strong>r<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013 67


68<br />

Grundlagen<br />

6.1 Symbolisches Spiel<br />

Im Zentrum steht bewusst, in Anlehnung<br />

an <strong>de</strong>n Verstehen<strong>de</strong>n Ansatz nach<br />

Seewald, Hammer und auch Eckert,<br />

das symbolische Spiel – da die in ihm<br />

liegen<strong>de</strong> <strong>Aus</strong>drucksmöglichkeit mit<br />

ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Heilungsfaktor für<br />

traumatisierte Kin<strong>de</strong>r sein kann. Erlebte<br />

Situationen und Ereignisse können<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n<br />

Materials ‚in Szene gesetzt‘, nachgespielt,<br />

umge<strong>de</strong>utet und verarbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n – dabei kann, wie in <strong><strong>de</strong>m</strong> von<br />

Hammer beschriebenen Fallbeispiel<br />

„…von einem Feuerball getroffen“,<br />

das Kind selbst zum Starken wer<strong>de</strong>n<br />

und gegen das Monster kämpfen; eine<br />

sichere Höhle bauen, in <strong>de</strong>r es zu<br />

je<strong>de</strong>r Zeit Schutz fin<strong>de</strong>t (Hammer<br />

2004a, S. 127ff.) o<strong>de</strong>r symbolische<br />

Gewalt zum Abbau von Aggressionen<br />

nutzen. Eckert machte positive Erfahrungen<br />

mit <strong>de</strong>rartigen Reinszenierungen<br />

gewalttraumatisierter Kin<strong>de</strong>r im<br />

Symbol- und auch Rollenspiel (Eckert<br />

2008, S. 22; Wintsch 2008, S. 207).<br />

6.2 Freies und themenzentriertes<br />

Spiel<br />

Doch auch an<strong>de</strong>re Spielformen, wie<br />

das ‚freie Spiel‘ und auch ‚themenzentrierte<br />

(Bewegungs)Spiele‘ können<br />

bei <strong>de</strong>r Verarbeitung helfen (Müller<br />

2004, S. 481ff.). Zentrale Themen wie<br />

beispielsweise Vertrauen, Macht/Ohnmacht,<br />

Kooperation, Nähe/Distanz,<br />

Kontrolle o<strong>de</strong>r Kampf eignen sich<br />

sehr gut dazu, vorstrukturierte Angebote<br />

zu machen. Ein Beispiel: Bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Spiel ‚Rollbrett-Fangen‘ sitzt ein Kind<br />

auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Rollbrett; über ein verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s<br />

Seil o<strong>de</strong>r eine Holzstange bringt<br />

ein zweites Kind das an<strong>de</strong>re Kind auf<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Rollbrett in Bewegung. Ein Paar<br />

versucht die an<strong>de</strong>ren zu fangen. Das<br />

sehr bewegungsintensive Spiel dient<br />

auch dazu, das Thema ‚Vertrauen‘<br />

und ‚Kooperation‘ ins Bewusstsein<br />

zu bringen und Selbstwirksamkeit zu<br />

erleben (Abb. 3). Die Kin<strong>de</strong>r lernen<br />

wie<strong>de</strong>r, jeman<strong><strong>de</strong>m</strong> zu vertrauen. Das<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013<br />

Abb. 3: Praxisbaustein Themenzentriertes Spiel, Vertrauen<br />

freie Spiel bietet <strong><strong>de</strong>m</strong> Kind die Möglichkeit,<br />

eigenen Bedürfnissen nachzugehen<br />

und <strong>de</strong>n Spielraum emotional<br />

auf unterschiedlichste Art und Weise<br />

zu füllen.<br />

6.3 Imaginations- und Achtsamkeitsübungen<br />

Weitere ergänzen<strong>de</strong> Bausteine sind die<br />

‚Imaginations-‘ und auch die ‚Achtsamkeitsübungen‘.Imaginationsübungen<br />

wie z. B. <strong>de</strong>r ‚Safe Place‘ o<strong>de</strong>r<br />

die ‚Inneren Helfer‘ wur<strong>de</strong>n vor allem<br />

von Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann beschrieben und<br />

weiterentwickelt (Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann 2011,<br />

S. 149ff.) – auch für Kin<strong>de</strong>r. Sie eignen<br />

sich ganz beson<strong>de</strong>rs<br />

in <strong>de</strong>r Stabilisierungsphase,<br />

da sie über positiveI<strong>de</strong>ntifikationsmöglichkeiten<br />

(z. B. ‚die gute<br />

Fee‘) die Ich-Funktionen<br />

stärken und <strong><strong>de</strong>m</strong> Kind ein<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Sicherheit,<br />

<strong>de</strong>s Urvertrauens und<br />

<strong>de</strong>s Schutzes vermitteln<br />

können (Landolt/Hensel<br />

2008a, S. 21; Dreiner<br />

2008, S. 176f.) (Abb. 4).<br />

Nach Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann sind<br />

Kin<strong>de</strong>r wahre Meister <strong>de</strong>r<br />

Imagination; sie verfügen<br />

über eine ausgeprägte Phantasie und<br />

Kreativität, weshalb diese Techniken<br />

bei ihnen unverzichtbar und enorm<br />

gewinnbringend einzusetzen sind<br />

(Red<strong><strong>de</strong>m</strong>ann 2010, S. 113f.; Wintsch<br />

2008, S. 209).<br />

Achtsamkeitsübungen lassen das<br />

Kind klar und unabgelenkt erfahren,<br />

was in seinem Körper zu spüren ist,<br />

welche Gefühle vorherrschen, welche<br />

Gedanken zirkulieren und wie unser<br />

Han<strong>de</strong>ln aussieht. Über diese Bewusstwerdung<br />

ist eine Verknüpfung<br />

einzelner Fragmente wie<strong>de</strong>r möglich.<br />

Eine kindgerechte Form könnte z. B.<br />

eine Körperreise sein. Zimmerli hält<br />

bei einer PTBS vor allem Grounding-<br />

und Zentrierungsübungen für<br />

Abb. 4: Praxisbaustein Imaginationsübung, Safe Place/Höhle


Abb. 5: Praxisbaustein Entspannung<br />

hilfreiche Elemente. Diese Übungen<br />

wer<strong>de</strong>n ausführlich für <strong>de</strong>n Erwachsenenbereich<br />

beschrieben, können<br />

aber in Teilaspekten in kindgerechter<br />

Form, z. B. eingebun<strong>de</strong>n in Geschichten,<br />

auch bei Kin<strong>de</strong>rn aufgegriffen<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie können das ‚wie<strong>de</strong>r-Fuß-<br />

Fassen‘ körperlich symbolisieren und<br />

Standfestigkeit, Sicherheit und innere<br />

Kohärenz spürbar machen (Zimmerli<br />

2010, S. 79ff.). Vor allem bei körperlicher<br />

Übererregung als Symptom einer<br />

<strong>Trauma</strong>folgestörung können durch<br />

Imaginations- und Achtsamkeitsübungen<br />

die Selbstregulation und das Kontrollgefühl<br />

geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

6.4 Entspannung<br />

Thematisch verwandt ist <strong>de</strong>r Baustein<br />

<strong>de</strong>r ‚Entspannungsübungen und -geschichten‘.<br />

“Entspannung kann die Lebensbedingungen<br />

von Kin<strong>de</strong>rn nicht verän<strong>de</strong>rn,<br />

sie kann aber dazu beitragen, dass<br />

Stressfaktoren besser verarbeitet wer<strong>de</strong>n<br />

und emotionale Spannungen abgebaut<br />

wer<strong>de</strong>n.” (Quante 2003, S. 15).<br />

Vielfältige Entspannungsübungen können<br />

zu einer <strong>Aus</strong>geglichenheit, positiveren<br />

Gedanken und einer Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Körperwahrnehmung führen<br />

(Abb. 5). Sie tragen darüber hinaus zum<br />

Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes<br />

bei. Kin<strong>de</strong>r scheinen dabei Entspan-<br />

nungsreaktionen schnell und ohne viel<br />

Übung hervorrufen zu können (ebd.,<br />

S. 15f.). All diese Aspekte betonen die<br />

Notwendigkeit und Eignung dieses Praxisbausteines<br />

für die psychomotorische<br />

Arbeit mit traumatisierten Kin<strong>de</strong>rn, die<br />

in Folge ihrer traumatischen Erfahrungen<br />

oft unter hohem körperlichen und<br />

psychischen Stress stehen. Die Wichtigkeit,<br />

traumatisierten Kin<strong>de</strong>rn auch<br />

Pausen zu gönnen, ihnen die Zeit zu<br />

geben, zu ‚vergessen‘ und einfach nur<br />

Kind zu sein, wird auch von Hordvik<br />

betont (Hordvik 1997, S. 45). Diese<br />

Pausen lassen sich beson<strong>de</strong>rs gut mit<br />

passiver o<strong>de</strong>r aktiver Entspannung,<br />

<strong>de</strong>n kindlichen Bedürfnissen angemessen,<br />

gestalten. Mittlerweile wur<strong>de</strong> eine<br />

Vielzahl an Entspannungsgeschichten,<br />

Fantasiereisen, Entspannungsspielen,<br />

systematischen Entspannungsverfahren<br />

für Kin<strong>de</strong>r (wie Autogenes Training<br />

o<strong>de</strong>r Progressive Muskelrelaxation) und<br />

kindgerechten Massagen entwickelt,<br />

die generell zu einem besseren psychophysischen<br />

<strong>Aus</strong>gleich beitragen können<br />

und positive Körpererfahrungen ermöglichen<br />

(Lackner 2004, S. 78f.).<br />

6.5 Trampolin<br />

Entspannung ist in verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Varianten umsetzbar, u.a. auch auf<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> ‚Trampolin‘ (Abb. 6). Stäbler<br />

beschreibt noch viele weitere physische,<br />

psychische und pädagogische<br />

Grundlagen<br />

Abb. 6: Praxisbaustein Trampolin<br />

Übungseffekte, die durch das Trampolinspringen<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n und damit<br />

auch für diesen Kontext relevant<br />

wer<strong>de</strong>n. Neben <strong>de</strong>r Bewegungs- und<br />

Koordinationsschulung und <strong><strong>de</strong>m</strong> lustbetonten<br />

Schweben und Fliegen, <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Gefühl <strong>de</strong>r Schwerelosigkeit und <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

damit verbun<strong>de</strong>nen Motivations- und<br />

Spaßfaktor wird das Trampolin eingesetzt,<br />

um seelische Hemmungen und<br />

Ängste zu überwin<strong>de</strong>n, psychische<br />

Aggressionsten<strong>de</strong>nzen motorisch abzureagieren,<br />

ziellose Antriebe und Impulse<br />

in die geordneten Bahnen einer<br />

Bewegungsgestaltung zu überführen<br />

– die Eigensteuerung und Selbstkontrolle<br />

wer<strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>nd geför<strong>de</strong>rt<br />

und dies nicht über eine Erwachsenenautorität,<br />

son<strong>de</strong>rn über die Materie<br />

<strong>de</strong>s Übungsgerätes (Stäbler 1996,<br />

S. 18ff.). Darüber hinaus schreibt<br />

Stäbler:<br />

“Das Erfolgserlebnis <strong>de</strong>s Eigenkönnens<br />

för<strong>de</strong>rt Selbstvertrauen, Mut<br />

und Willenskraft in einem Maße, daß<br />

sogar Antriebsgehemmte zu einem<br />

kraftbetonten, überschäumen<strong>de</strong>n ‚Be-<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013 69


70<br />

Grundlagen<br />

wegungsrausch’ kommen, <strong>de</strong>r zu einer<br />

generellen Antriebsstärkung führt.“<br />

(Stäbler 1996, S. 20).<br />

Sowohl für ängstlichere Kin<strong>de</strong>r mit<br />

mangeln<strong><strong>de</strong>m</strong> Selbstvertrauen und<br />

vermin<strong>de</strong>rtem Antrieb, als auch für<br />

sehr aktive bis aggressive Kin<strong>de</strong>r mit<br />

mangeln<strong>de</strong>r Impuls- und Eigensteuerung<br />

aufgrund traumatischer Erlebnisse<br />

empfiehlt sich das Trampolin<br />

als genuin psychomotorisches Gerät.<br />

Sowohl Übungen als auch <strong>de</strong>r Einsatz<br />

von Materialien, Spielen und Erlebnisgeschichten<br />

auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Trampolin sind<br />

möglich (ebd., S. 5ff.). Im übertragenen<br />

Sinn kann <strong><strong>de</strong>m</strong> Kind durch das Tram-<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013<br />

polinspringen die Möglichkeit gegeben<br />

wer<strong>de</strong>n, äußerlich und innerlich wie<strong>de</strong>r<br />

ins Gleichgewicht zu kommen.<br />

6.6 Bewegungsbaustelle/landschaft<br />

Ein weiterer Themenkomplex psychomotorischer<br />

Interventionen bei<br />

traumatisierten Kin<strong>de</strong>rn könnte die<br />

‚Bewegungsbaustelle/-landschaft‘ sein,<br />

welche primär <strong><strong>de</strong>m</strong> kompetenztheoretischen<br />

Ansatz zuzuordnen wäre. Sie<br />

kann zum einen <strong>de</strong>n Raum vorstrukturieren<br />

und Anlass für neue (freie)<br />

Spielkreationen bil<strong>de</strong>n, zum an<strong>de</strong>ren<br />

können durch das Bauen und Bespielen<br />

von Bewegungsbaustellen das Selbstvertrauen,<br />

die Selbstwirksamkeit, das<br />

Selbstvertrauen, Mut und das Erleben<br />

<strong>de</strong>s eigenen Han<strong>de</strong>lns vermittelt wer<strong>de</strong>n.<br />

Handlungsplanung, Organisation<br />

und Kooperationen mit an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn<br />

fallen vielen psychisch stark belasteten<br />

Kin<strong>de</strong>rn schwer – hier erlernen<br />

sie diese Fähigkeiten spielerisch. Vor<br />

allem wird die <strong>Aus</strong>einan<strong>de</strong>rsetzung mit<br />

komplexen Strukturen und ungeordneten<br />

Zustän<strong>de</strong>n – bei<strong>de</strong>s oft Charakteristika<br />

ihres Lebens – angeregt und<br />

geschult. Das Bewegungshan<strong>de</strong>ln ist<br />

dabei in soziale Situationen eingebettet<br />

und för<strong>de</strong>rt somit die soziale Interaktion<br />

(Miedzinski/Fischer 2009, S. 13f.).<br />

6.7 Sport<br />

Der ergänzen<strong>de</strong> Baustein ‚Sport‘<br />

scheint <strong>de</strong>shalb relevant zu sein, da<br />

ein Ziel <strong>de</strong>r Intervention explizit das<br />

Ablenken von <strong>de</strong>r aktuell problematischen<br />

Situation o<strong>de</strong>r das ‚<strong>Aus</strong>powern‘<br />

sein kann. Diese Zielsetzungen können<br />

durch sportliche Aktivität, ohne tieferen<br />

Sinn, in Form von Sport- und Wettkampfspielen<br />

etc. gut erreicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Stress kann zu<strong><strong>de</strong>m</strong> auf diese Weise gut<br />

kanalisiert wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>shalb „(…) ist für<br />

<strong>Trauma</strong>patienten physische Aktivität<br />

wichtig, etwa Sport o<strong>de</strong>r körperliche<br />

Arbeit, um die physiologische Stressreaktion<br />

abzubauen.“ (Fischer/Rie<strong>de</strong>sser<br />

2009, S. 223). Sport führt ebenfalls<br />

zu einem besseren psychophysischen<br />

Wohlbefin<strong>de</strong>n und die Kin<strong>de</strong>r lernen<br />

ihrem Körper wie<strong>de</strong>r zu vertrauen,<br />

entwickeln ein gutes Körpergefühl<br />

und eine bessere Körperwahrnehmung<br />

(Appel-Ramb 2008, S. 146).<br />

6.8 Kreative Medien<br />

Der Einsatz ‚kreativer Medien‘ scheint<br />

eine logische Schlussfolgerung aus <strong>de</strong>r<br />

Tatsache, dass Kin<strong>de</strong>r mit traumatischen<br />

Erlebnissen in beson<strong>de</strong>rer Weise<br />

Gelegenheiten zur Symbolisierung be-


nötigen, da <strong>de</strong>r verbale Zugang häufig<br />

blockiert ist. Die Symbolisierung mit<br />

Hilfe kreativer Materialien wie Ton,<br />

Musik, Leinwand und Farbe, Speckstein<br />

o.ä. kann eine wichtige Ressource<br />

in <strong>de</strong>r Arbeit mit traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn sein. Auch das Zeichnen<br />

und Schreiben sind geeignete kreative<br />

<strong>Aus</strong>drucksformen – insbeson<strong>de</strong>re bei<br />

Kin<strong>de</strong>rn im frühen (Vor)Schulalter<br />

(Hordvik 1997, S. 43). Eine gute Einsatzmöglichkeit<br />

bietet sich auch im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r Reflexion. Mit Hilfe kreativer<br />

Medien kann, im Anschluss an<br />

die Psychomotorikstun<strong>de</strong>, das Erlebte<br />

in gewisser Distanz dargestellt und reflektiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Diese Vorgehensweise<br />

ist z. B. auch Teil <strong>de</strong>r Psychomotorik<br />

nach Aucouturier, bei <strong>de</strong>r am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Stun<strong>de</strong> geknetet, gemalt o<strong>de</strong>r gebaut<br />

wer<strong>de</strong>n kann (Esser 1992, S. 52).<br />

6.9 Tanz und Sinneserfahrung<br />

Weitere Bausteine könnten ‚Tanz‘ und<br />

‚Sinneserfahrung‘ sein – <strong>de</strong>r Tanz ist<br />

ein direkter <strong>Aus</strong>druck <strong>de</strong>s Selbst durch<br />

<strong>de</strong>n Körper, sowie ein international<br />

anerkanntes Mittel <strong>de</strong>r Kommunikation;<br />

Bewegung wird zur Primärsprache<br />

(s. <strong>Trauma</strong>zentrierte Tanz- und<br />

Bewegungspsychotherapie) (Moore/<br />

Stammermann 2009, S. 154ff.). Hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r ‚Sinneserfahrung‘ ist vor<br />

allem erwähnenswert, dass sowohl<br />

Eckert als auch Aichinger die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r körpernahen Sinne (Tastsinn,<br />

Gleichgewichtssinn, Tiefensensibilität)<br />

betonen, da diese für die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Selbstregulation und die Aktivierung<br />

<strong>de</strong>r Selbstheilungs- sowie Selbstgestaltungskräfte<br />

sowie die I<strong>de</strong>ntitätsentwicklung<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r insgesamt von<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sind (Eckert<br />

2008, S. 22; Aichinger 2008, S. 77).<br />

Abschließend sei darauf hingewiesen,<br />

dass die praktische Arbeit mit traumatisierten<br />

Kin<strong>de</strong>rn stets ein beson<strong>de</strong>rs<br />

großes Einfühlungsvermögen vom<br />

Begleiter erfor<strong>de</strong>rt. Körper- und bewegungszentrierte<br />

psychomotorische<br />

Praxisinterventionen bergen immer<br />

auch die Gefahr, sich zu traumarele-<br />

vanten Triggerreizen zu entwickeln,<br />

wie z. B. eine erhöhte Atemfrequenz,<br />

<strong>de</strong>r schnelle Herzschlag o<strong>de</strong>r Körperberührungen.<br />

Eine genaue Beobachtung<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s und seiner Reaktionen<br />

ist somit unabdingbar.<br />

7. Fazit<br />

Es konnte <strong>de</strong>utlich gemacht wer<strong>de</strong>n,<br />

dass es insbeson<strong>de</strong>re für Kin<strong>de</strong>r mit<br />

traumatisieren<strong>de</strong>n Erfahrungen einen<br />

enormen Handlungsbedarf gibt und<br />

die Psychomotorik, aus Sicht verschie<strong>de</strong>ner<br />

Ansätze, beson<strong>de</strong>rs interessante<br />

Anknüpfungspunkte bietet,<br />

die in Zukunft weiter erarbeitet wer<strong>de</strong>n<br />

sollten.<br />

Sich körperlich-seelisch aus <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

<strong>Trauma</strong> herauszu<strong>bewegen</strong>, sich weiterzu<strong>bewegen</strong><br />

mit Hilfe von Angeboten,<br />

die einen sicheren Raum zur<br />

Symbolisierung schaffen, dies stellt<br />

ein enormes Potenzial für zukünftige<br />

psychomotorisch-motologische <strong>Trauma</strong>arbeit<br />

dar.<br />

Bei <strong>de</strong>n Fotos han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

inszenierte Bewegungssituationen,<br />

die <strong>de</strong>r Veranschaulichung <strong>de</strong>r erwähnten<br />

Praxisinhalte dienen.<br />

Das Literaturverzeichnis steht im Internet<br />

unter www.verlag-mo<strong>de</strong>rnes-lernen.<strong>de</strong>/<br />

literatur zum Download zur Verfügung.<br />

Autorin:<br />

Linna Schüürmann<br />

Motologin, M.A.<br />

Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin,<br />

B.A.<br />

Pasleker Str. 2<br />

25524 Itzehoe<br />

Linna.Sch@gmx.<strong>de</strong><br />

Stichwörter:<br />

<strong>Trauma</strong><br />

traumaspezifische Therapieverfahren<br />

Grundlagen<br />

Praxis <strong>de</strong>r Psychomotorik 2 2013 71

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