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Sozialraumorientierung als Konzeptionsentwicklung - ErzieherIn.de

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Ulrich Deinet<br />

<strong>Sozialraumorientierung</strong><br />

<strong>als</strong> <strong>Konzeptionsentwicklung</strong><br />

Vom einrichtungszentrierten Blick zum Lebensweltbezug<br />

Eine sozialräumliche <strong>Konzeptionsentwicklung</strong> geht nicht wie die klassische <strong>Konzeptionsentwicklung</strong><br />

von <strong>de</strong>n institutionellen Rahmenbedingungen aus, son<strong>de</strong>rn fragt aus <strong>de</strong>r<br />

Analyse <strong>de</strong>r Lebenswelten von Kin<strong>de</strong>rn nach Bedarfen und Anfor<strong>de</strong>rungen an die Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Institutionen.<br />

Für die meisten Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen beginnt<br />

Sozialraumarbeit nicht bei Null, son<strong>de</strong>rn<br />

ist eine Weiterentwicklung ihres bestehen<strong>de</strong>n Konzeptes<br />

und Angebotes. Oft arbeiten Kitas schon lange<br />

im Stadtteil und müssen sich nun fragen, inwieweit<br />

sie ihre Konzeption aufgrund von Verän<strong>de</strong>rungen im<br />

Sozialraum, bei bestimmten Gruppierungen etc. weiterentwickeln<br />

und verän<strong>de</strong>rn müssen. Dafür ist <strong>de</strong>r<br />

„Blick von außen“, d. h. die Analyse <strong>de</strong>r Sichtweisen<br />

und Wahrnehmungen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen<br />

aus <strong>de</strong>m Blickwinkel unterschiedlicher Gruppierungen<br />

und Institutionen von großem Interesse, da oft<br />

eine Differenz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung<br />

entsteht.<br />

Analyse- und Beteiligungsmetho<strong>de</strong>n<br />

Auf einem subjektorientierten Verständnis aufbauend,<br />

versucht eine sozialräumliche Lebenswelt-Analyse<br />

Einblicke in die unterschiedlichen Lebenswelten<br />

und Sozialräume von Kin<strong>de</strong>rn und Familien zu<br />

erhalten und Aneignungsmöglichkeiten und -einschränkungen<br />

zu analysieren. Qualitative Metho<strong>de</strong>n<br />

einer Lebensweltanalyse ermöglichen die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

differenzierten Einblicke:<br />

• Stadtteilbegehung mit Kin<strong>de</strong>rn,<br />

• Na<strong>de</strong>lmetho<strong>de</strong>,<br />

• Cliquenraster,<br />

• strukturierte Stadtteilbegehung,<br />

• Autofotografie,<br />

• subjektive Landkarten,<br />

• Zeitbudgets.<br />

(vgl. Deinet 2009)<br />

Nach <strong>de</strong>m Schritt <strong>de</strong>r Sozialraumanalyse mit <strong>de</strong>r<br />

Verwendung von statistischem Material zur Bevölkerungsstruktur<br />

und an<strong>de</strong>rer relevanter Daten <strong>de</strong>s<br />

jeweiligen Sozialraums wer<strong>de</strong>n in einer Lebensweltanalyse<br />

qualitative Metho<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Reservoir<br />

<strong>de</strong>r empirischen Sozialforschung im Rahmen einer<br />

„kleinen“ Feldforschung eingesetzt. Teilweise können<br />

auch Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Jugendhilfeplanung o<strong>de</strong>r<br />

aber Aktionsformen <strong>de</strong>r Jugendarbeit selbst eingesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n (z . B. Vi<strong>de</strong>ostreifzüge). Die Anwendung<br />

solcher Metho<strong>de</strong>n soll helfen, Lebenswelten von<br />

Kin<strong>de</strong>rn besser zu erfassen und die in <strong>de</strong>r Praxis immer<br />

noch vorhan<strong>de</strong>ne Einrichtungsbezogenheit zu<br />

überwin<strong>de</strong>n. Diese Metho<strong>de</strong>n lehnen sich zum Teil<br />

an qualitative ethnografische o<strong>de</strong>r biografische Forschungsmetho<strong>de</strong>n<br />

an und versuchen, diese für die<br />

Praxis <strong>de</strong>r Jugendarbeit anwendbar zu machen, auch<br />

mit starkem Bezug auf das oben skizzierte Aneignungskonzept.<br />

Die analytischen Möglichkeiten <strong>de</strong>r skizzierten<br />

Metho<strong>de</strong>n liegen in <strong>de</strong>r Gewinnung von qualitativem<br />

Material zu <strong>de</strong>n Lebenslagen und -welten von<br />

Kin<strong>de</strong>rn und ihren Familien; gleichzeitig wer<strong>de</strong>n diese<br />

<strong>als</strong> ExpertInnen ihrer Lebenswelten in <strong>de</strong>n Prozess<br />

aktiv einbezogen und beteiligt. Zahlreiche Metho<strong>de</strong>n<br />

aus diesem Repertoire sind auch <strong>als</strong> direkte Beteiligungsmetho<strong>de</strong>n<br />

einsetzbar. Aus <strong>de</strong>n Daten und<br />

Informationen können Aussagen zur Qualität <strong>de</strong>s<br />

Sozialraums und <strong>de</strong>ssen Verbesserung interpretiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Diese sind sowohl für die klassische Arbeit<br />

<strong>de</strong>r Tageseinrichtungen nutzbar <strong>als</strong> auch für eine zu<br />

entwickeln<strong>de</strong> Sozialraumarbeit im Stadtteil.<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r oben<br />

beschriebenen qualitativen Metho<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Interpretation<br />

<strong>de</strong>r zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n sozi<strong>als</strong>trukturellen<br />

Daten können im Rahmen einer sozialräumlichen<br />

Konzeptentwicklung für Kitas und<br />

an<strong>de</strong>re Institutionen sogenannte konzeptionelle Differenzierungen<br />

entwickelt wer<strong>de</strong>n. Der Begriff geht<br />

davon aus, dass ein Konzept in <strong>de</strong>r Praxis bereits besteht,<br />

dass es aber darum gehen muss, dieses nach<br />

sozialräumlichen Kriterien hin weiter zu entwickeln<br />

und zu differenzieren. Wichtige Fragen für die Entwicklung<br />

konzeptioneller Differenzierungen lauten:<br />

8<br />

TPS 8 | 2013


Die Kita im Sozialraum<br />

KONTEXT<br />

Foto: Ulrich Deinet<br />

Mit <strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>lmetho<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n wichtige Orte <strong>de</strong>s Sozialraums markiert und beschrieben<br />

• Was müsste aufgrund <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r Lebenswelten<br />

von Kin<strong>de</strong>rn und Familien im Stadtteil<br />

geschehen?<br />

• Welche Maßnahme/Einrichtung kann welche<br />

neue Funktion und Rolle übernehmen?<br />

• Welche alten Funktionen und Angebote können<br />

verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r evtl. abgebaut wer<strong>de</strong>n?<br />

• Welche Rahmenbedingungen <strong>de</strong>r Einrichtungen<br />

(z. B. Lage im Stadtteil, räumliche Ressourcen)<br />

machen welche Schwerpunktsetzungen möglich?<br />

Drei Ebenen sozialräumlicher Arbeit<br />

Eine sozialräumlich orientierte Konzeptentwicklung<br />

für eine Kita schafft eine breite Grundlage, die weit<br />

über die klassische Arbeit mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn hinausgeht.<br />

Die Kita sieht sich selbst <strong>als</strong> eine Institution in<br />

einem Geflecht von unterschiedlichen Einrichtungen<br />

und Anbietern in <strong>de</strong>m jeweiligen Sozialraum.<br />

Mit ihrem Blick auf die Räume von Kin<strong>de</strong>rn und<br />

Familien im Stadtteil überwin<strong>de</strong>t sie auch die vielfach<br />

verbreitete „Komm-Struktur“ und bringt sich<br />

selbst <strong>als</strong> han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Akteurin in die Entwicklung <strong>de</strong>s<br />

Sozial raums ein. Eine sozialräumlich orientierte Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtung<br />

kann auf drei Ebenen arbeiten:<br />

• Durch eine Arbeit mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, die sich an<br />

<strong>de</strong>n sozialräumlichen Bedingungen <strong>de</strong>r Lebenswelt<br />

von Kin<strong>de</strong>rn und Familien orientiert und<br />

Aneignungsprozesse möglich macht, die sich<br />

auch aufgrund <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Lebenswelt<br />

nicht mehr quasi natürlich einstellen. Dies<br />

können Projekte sein, in <strong>de</strong>nen sich Kin<strong>de</strong>r ihre<br />

Umwelt erschließen und in <strong>de</strong>nen die Kita zum<br />

Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>s Handlungsraumes<br />

von Kin<strong>de</strong>rn, aber auch von Familien<br />

wird.<br />

• Durch ein Engagement über die Arbeit in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtung<br />

hinaus, um z. B. mit Kin<strong>de</strong>rn<br />

und Familien Räume im Stadtteil zu erhalten, zu<br />

verteidigen o<strong>de</strong>r zu schaffen, sich in Planungsprozesse,<br />

Freiraum und Spielplatzgestaltung und<br />

Verkehrsgestaltung einzumischen und Kin<strong>de</strong>r<br />

und Familien direkt daran zu beteiligen. Dies hat<br />

<strong>de</strong>n Aspekt einer auch lokalpolitisch aktivieren<strong>de</strong>n<br />

Sozialraumarbeit, die versucht, die Menschen<br />

für ein Engagement in ihrem direkten Lebensumfeld<br />

zu motivieren. Dabei haben die Fachkräfte<br />

eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Funktion und übernehmen<br />

oftm<strong>als</strong> die Rolle von Vorbil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st<br />

Orientierungspersonen. Dazu gehört eine regelmäßige<br />

Präsenz im Stadtteil, etwa durch Stadtteil-<br />

TPS 8 | 2013<br />

9


egehungen, Projekte im Umfeld <strong>de</strong>r Tageseinrichtung<br />

und Mitarbeit bei Stadtteilprojekten.<br />

• Durch <strong>de</strong>n Aufbau einer Lobby für die Interessen<br />

von Kin<strong>de</strong>rn und Familien in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit:<br />

Dafür haben die Kitas das sozialräumliche Wissen<br />

und Mandat, d. h. die Mitarbeiter/innen können<br />

<strong>als</strong> Expert/innen für die Interessen von Kin<strong>de</strong>rn<br />

und Familien im Sozialraum auftreten, Politik<br />

und Verwaltung beraten, sich in Stadtteilkonferenzen<br />

und an<strong>de</strong>ren Institutionen einmischen.<br />

Die Kooperation und Vernetzung mit an<strong>de</strong>ren Institutionen<br />

hat hier keinen Selbstzweck, son<strong>de</strong>rn<br />

das ein<strong>de</strong>utige Ziel, die Lebensbedingungen von<br />

Kin<strong>de</strong>rn und Familien zu verbessern.<br />

Breites Präventionsverständnis<br />

Die hier beschriebene sozialräumliche Orientierung<br />

richtet ihren Blick zum einen auf <strong>de</strong>n Zusammenhang<br />

zwischen <strong>de</strong>r Entwicklung von Kin<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>ren Familien<br />

und <strong>de</strong>n Sozialräumen, in <strong>de</strong>nen sie leben. Der<br />

an<strong>de</strong>re Fokus bezieht sich auf das sozialräumliche Arbeiten<br />

<strong>de</strong>r Institutionen, insbeson<strong>de</strong>re von Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen<br />

in ihrem jeweiligen Umfeld. Bei<strong>de</strong><br />

Aspekte können auch im Zusammenhang einer Frühprävention<br />

gesehen wer<strong>de</strong>n: Die aktive Gestaltung eines<br />

Stadtteils, die Bildung von Netzwerken zwischen<br />

Institutionen, <strong>de</strong>r Blick auf <strong>de</strong>n öffentlichen Raum<br />

mit seinen Gefahren und Möglichkeiten, die Sozialraumarbeit<br />

ausgehend von Einrichtungen kann zur<br />

Verbesserung <strong>de</strong>s Klimas in einem Stadtteil beitragen<br />

und damit auch präventive Wirkungen entfalten.<br />

Die sozialräumliche Entwicklung <strong>de</strong>r Kita<br />

ist ein Beitrag zur Verbesserung <strong>de</strong>r<br />

Lebenslagen von Familien.<br />

Im Gegensatz zu einem engen Präventionsbegriff<br />

gehen wir allerdings nicht von <strong>de</strong>n präventiven<br />

Wirkungen einzelner Metho<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Angebote aus,<br />

son<strong>de</strong>rn sehen die sozialräumliche Entwicklung<br />

von Kin<strong>de</strong>rtageseinrichtungen insgesamt <strong>als</strong> Beitrag<br />

dazu, die Lebenslagen von Kin<strong>de</strong>rn und Familien<br />

zu verbessern und diese damit zu stärken im Sinne<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung präventiver Potenziale. Da wo sich<br />

Kin<strong>de</strong>r und Familien in ihrem Wohnumfeld sicher<br />

fühlen können, wo sie einen intakten Nahraum nutzen<br />

und Kin<strong>de</strong>r auch ohne Gefährdung selbstständig<br />

ihren Handlungsraum erweitern können, wo durch<br />

gezielte För<strong>de</strong>rung und die Entwicklung unterschiedlicher<br />

Bildungsorte eine breite Entwicklung von Kin<strong>de</strong>rn,<br />

beson<strong>de</strong>rs im Sinne von informeller und nonformaler<br />

Bildung geför<strong>de</strong>rt wird, entsteht insgesamt<br />

eine kin<strong>de</strong>r- und familienfreundliche Atmosphäre,<br />

<strong>de</strong>r man präventive Wirkungen zuschreiben kann.<br />

Stadtteilbegehung <strong>als</strong> Einstieg<br />

in eine Sozialraumanalyse<br />

In <strong>de</strong>r sozialen Arbeit gehören Begehungen immer<br />

noch nicht zum klassischen Metho<strong>de</strong>nrepertoire wie<br />

etwa in <strong>de</strong>r Architektur o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Geografie, wo sie<br />

zum selbstverständlichen Handwerkszeug <strong>de</strong>r Fachleute<br />

gehören. Sie haben in unserer Disziplin immer<br />

noch etwas <strong>de</strong>n Anschein eines Spaziergangs. In unseren<br />

Sozialraumprojekten haben sich Begehungen<br />

auf unterschiedlichen Ebenen bewährt: Zum einen<br />

<strong>als</strong> Einstieg in einen Sozialraum, um erste Eindrücke,<br />

Fragen und Themen zu sammeln, zum zweiten <strong>als</strong><br />

Begehung mit Expertinnen und Experten und zum<br />

dritten <strong>als</strong> Begehungen mit <strong>de</strong>n Zielgruppen, <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn, Jugendlichen, Senioren etc., unterstützt<br />

durch Dokumentationsmedien wie kurze Protokolle<br />

o<strong>de</strong>r Fotografien.<br />

Nicht nur aufgrund <strong>de</strong>r Größe von Stadtteilen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch aufgrund von <strong>de</strong>ren unterschiedlichen<br />

Strukturen müssen solche Begehungen vorbereitet<br />

wer<strong>de</strong>n im Sinne einer strukturierten Stadtteilbegehung<br />

(vgl. Deinet 2009). D. h. vorher wer<strong>de</strong>n<br />

Daten aus einem Sozi<strong>als</strong>trukturatlas o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Planungsgrundlagen zur Verfügung gestellt. Die<br />

meisten Städte in Deutschland und Landkreise verfügen<br />

heute über sozialräumliche Daten sowie eine<br />

sozialräumliche Glie<strong>de</strong>rung.<br />

In einem unserer Seminare ging es um <strong>de</strong>n Stadtteil<br />

Rath in Düsseldorf, einer Großstadt mit knapp<br />

600.000 Einwohnern. Es ging darum, die unterschiedlichen<br />

sozialräumlichen Glie<strong>de</strong>rungen zu verstehen<br />

– so ist <strong>de</strong>r Stadtteil Rath selbst noch einmal<br />

in unterschiedliche kleinere Sozialräume unterteilt,<br />

die zum Teil nur wenige Straßenzüge beinhalten.<br />

Eine Begehung mit einer größeren Gruppe sollte<br />

gut vorbereitet wer<strong>de</strong>n, so dass die Gesamtgruppe<br />

nicht einen gemeinsamen Weg läuft, son<strong>de</strong>rn in<br />

Kleingruppen unterschiedliche Segmente eines größeren<br />

Sozialraums erschließen kann. Dabei sollten<br />

noch keine Interviews geführt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Habitus <strong>de</strong>r teilnehmen<strong>de</strong>n Beobachtung und <strong>de</strong>s<br />

ethnographischen Eintauchens ist wichtig und nicht<br />

die sozialpädagogische Kontaktaufnahme und Intervention.<br />

Unterstützt wer<strong>de</strong>n können solche Einstiegsbegehungen<br />

durch Fotografien und Kommentare, die<br />

zu einem späteren Zeitpunkt gegenseitig präsentiert<br />

wer<strong>de</strong>n können, um die ersten Eindrücke etwas systematischer<br />

zu sammeln und dann auch mit Fragestellungen<br />

und Themen zu versehen. Es fallen Dinge auf<br />

bei <strong>de</strong>r Begehung, z. B. <strong>de</strong>r Leerstand von Geschäften<br />

o<strong>de</strong>r die Sauberkeit o<strong>de</strong>r Unordnung in bestimmten<br />

Straßen. Solche subjektiven Eindrücke können syste-<br />

10 TPS 8 | 2013


Die Kita im Sozialraum<br />

KONTEXT<br />

Foto: Hartmut W. Schmidt<br />

Eindrücke aus <strong>de</strong>m Stadtteil<br />

gemeinsam mit Eltern<br />

sammeln und analysieren<br />

matisch verglichen und in Beziehung zu <strong>de</strong>n quantitativen<br />

Daten gesetzt wer<strong>de</strong>n, so dass ein erster Eindruck<br />

entsteht. Der Einstieg mit einer Begehung hat<br />

auch das Ziel, die in <strong>de</strong>r sozialen Arbeit weit verbreitete<br />

Institutionen-Orientierung etwas zu überwin<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>n Blick stärker auch auf Freiflächen, öffentlichen<br />

Raum etc. zu richten. Spielplätze wer<strong>de</strong>n<br />

besichtigt, Graffitis etc. zur Kenntnis genommen,<br />

informelle Treffs wie „Büdchen“ wahrgenommen,<br />

Geschäfte besucht. Damit wer<strong>de</strong>n auch die Augen für<br />

alltägliche Bedürfnisse geöffnet sowie <strong>de</strong>r Blick auf<br />

unterschiedliche Zielgruppen gerichtet, zumin<strong>de</strong>st<br />

sofern sie im öffentlichen Raum sichtbar sind.<br />

Die Wahrnehmung von Vereinen <strong>als</strong><br />

zivilgesellschaftliche Organisationen<br />

Vereine spielen eine wichtige Rolle in <strong>de</strong>r Zivilgesellschaft,<br />

sie sind oft Kristallisationspunkt bürgerschaftlichen<br />

Engagements, erreichen häufig einen hohen<br />

Organisationsgrad und prägen ein Gemeinwesen<br />

bis hin in die institutionalisierte soziale Arbeit, etwa<br />

wenn Vereine die Trägerschaft einer Offenen Ganztagsschule<br />

übernehmen.<br />

Nicht umsonst ist die Mitgliedschaft in Vereinen<br />

auch Bestandteil <strong>de</strong>s Bildungs- und Teilhabepaketes,<br />

<strong>als</strong>o auch Ausdruck einer sozialen Qualität. Die<br />

Vereinsstruktur vor Ort zu untersuchen, ist <strong>de</strong>shalb<br />

ein wichtiger Schritt in einer Sozialraumanalyse und<br />

wur<strong>de</strong> auch durch eine unserer stu<strong>de</strong>ntischen Gruppen<br />

im Stadtteil Rath verfolgt. Die Fragen lauteten<br />

z. B. „Sind Vereine wichtig, welche Funktionen haben<br />

sie, welche Vereine gibt es in Rath, besuchen die<br />

Rather ihre Vereine o<strong>de</strong>r weichen sie in an<strong>de</strong>re Stadtteile<br />

aus (bessere Angebote)? Ziehen umgekehrt die<br />

Rather Vereine auch Mitglie<strong>de</strong>r aus an<strong>de</strong>ren Stadtteilen<br />

an, gibt es Vereine mit einem hohen Migrationsanteil<br />

o<strong>de</strong>r migrantische Vereine?<br />

Ein wichtiger Schritt <strong>de</strong>r Analyse ist eine Internetrecherche,<br />

in <strong>de</strong>r man Hinweise auf diverse Vereine<br />

bekommt und sich einen ersten Blick auf die Vereinskultur<br />

in <strong>de</strong>m jeweiligen Stadtteil machen kann.<br />

Mithilfe <strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>lmetho<strong>de</strong> können auf einer subjektiven<br />

Ebene auf einer Stadtkarte Vereine lokalisiert<br />

und Erkenntnisse über die Bekanntheit von Vereinen<br />

gewonnen wer<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong>n Jugendliche und Erwachsene<br />

animiert, auf einer Stadtkarte <strong>de</strong>s Stadtteils<br />

Rath Vereine, die sie besuchen, mit einer Na<strong>de</strong>l zu<br />

markieren und zu benennen sowie Vereine in Rath,<br />

die ihnen darüber hinaus bekannt sind. Der bekannte<br />

Effekt <strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>lmetho<strong>de</strong> ist die Visualisierung, in<br />

diesem Fall bezogen auf die Vereinskultur, die im Beispiel<br />

dazu führte, dass ein Rather Verein in <strong>de</strong>n Fokus<br />

geriet, <strong>de</strong>n man vorher nicht kannte, ein Verein mit<br />

hohem Migrantenanteil, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Stadtteil hinaus<br />

Mitglie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m gesamten Stadtgebiet anzieht<br />

und Sprachkurse sowie Kin<strong>de</strong>rbetreuung anbietet.<br />

Die Rücksprache <strong>de</strong>r Gruppe mit einem örtlichen<br />

Familienzentrum führte dann zu sehr interessanten<br />

Diskussionen über die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Vereinskultur<br />

und einer möglichen Kontaktaufnahme<br />

zwischen <strong>de</strong>m Familienzentrum und <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>r<br />

Gruppe „ent<strong>de</strong>ckten“ migrantischen Verein.<br />

Fremdbil<strong>de</strong>rkundung: die Wahrnehmung<br />

von Institutionen mit Blick von außen<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Interesses an sozialräumlicher<br />

Analyse und Beteiligungsmetho<strong>de</strong>n steht natürlich<br />

auch die Frage nach <strong>de</strong>n Institutionen, <strong>de</strong>ren Bekanntheitsgrad,<br />

Wahrnehmung und Wirkung im<br />

Sozialraum,. Die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Fremdbil<strong>de</strong>rkundung<br />

(vgl. Deinet 2009) eignet sich sehr gut dazu, erste<br />

Anhaltspunkte für mögliche Differenzen zwischen<br />

Innen- und Außenwahrnehmung von Institutionen<br />

zu erhalten, die wie<strong>de</strong>rum Ansätze für die Konzeptentwicklung<br />

sein können. In unserem Beispiel war<br />

es das Rather Familienzentrum, das <strong>als</strong> Institution in<br />

<strong>de</strong>n Blick genommen wur<strong>de</strong>: Eine Gruppe beschäftigte<br />

sich mit <strong>de</strong>r Frage, wie wird das Rather Fami-<br />

TPS 8 | 2013<br />

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AUF einen Blick<br />

<strong>Sozialraumorientierung</strong> be<strong>de</strong>utet für Kitas einen Paradigmenwechsel: Die Kita wird quasi von außen<br />

betrachtet, <strong>als</strong> zentraler Ort für Kin<strong>de</strong>r und Familien in <strong>de</strong>r Lebenswelt. <strong>Sozialraumorientierung</strong> zeigt sich<br />

in <strong>de</strong>r Arbeit mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, durch Engagement über die Kita hinaus sowie im Aufbau einer Lobby für<br />

Kin<strong>de</strong>r und Familien im Stadtteil. Die hier skizzierten Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sozialraumanalyse sind im Rahmen<br />

eines stu<strong>de</strong>ntischen Projektes an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r FH Düsseldorf entstan<strong>de</strong>n und auf die Situation von Fachkräften<br />

übertragbar, die sich z. B. innerhalb einer Einrichtung <strong>de</strong>r Familienbildung o<strong>de</strong>r eines Familienzentrums<br />

auf <strong>de</strong>n Weg machen, um ihr Konzept weiterzuentwickeln, sozialräumliche „Wirkungen“ zu<br />

beschreiben.<br />

lienzentrum von an<strong>de</strong>ren Institutionen im Stadtteil<br />

wahrgenommen? Grundlage bil<strong>de</strong>ten zunächst zwei<br />

leitfa<strong>de</strong>ngestützte Interviews mit Mitarbeiterinnen <strong>de</strong>s<br />

Familienzentrums selbst, um über vorhan<strong>de</strong>ne Dokumente<br />

hinaus die Innenwahrnehmung <strong>de</strong>s Rather<br />

Familienzentrums über <strong>de</strong>n Blick von Fachkräften,<br />

die dort arbeiten, herzustellen. Für die Außenwahrnehmung<br />

wur<strong>de</strong> ein relativ kurzer Fragebogen konstruiert,<br />

<strong>de</strong>r sich z. B. an Beratungsstellen, Schulen,<br />

Tageseinrichtungen, an<strong>de</strong>re Familienzentren bis hin<br />

zum Theater richtete. Gefragt wur<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re<br />

nach <strong>de</strong>n Angeboten, die bekannt sind, <strong>de</strong>ren Bewertungen<br />

zum Grad <strong>de</strong>r Vernetzung <strong>de</strong>s Familienzentrums<br />

bis hin zu Herausfor<strong>de</strong>rungen.<br />

Eine zweite Gruppe von Studieren<strong>de</strong>n bearbeitete<br />

das Thema <strong>de</strong>r Außenwirkung <strong>de</strong>s Rather Familienzentrums<br />

aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Bewohner <strong>de</strong>s Stadtteils.<br />

Im Vor<strong>de</strong>rgrund stan<strong>de</strong>n die Fragen, ob die befragten<br />

Bewohner das Familienzentrum kennen und seine<br />

Angebote nutzen. Dazu wur<strong>de</strong>n Interviews in <strong>de</strong>r<br />

Fußgängerzone durchgeführt – eine nicht ganz einfache<br />

Erhebungssituation, da viele Passanten solche<br />

Befragungen oft ablehnen.<br />

Die Ergebnisse bei<strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>n waren durchaus<br />

interessant: Das Rather Familienzentrum ist gut vernetzt<br />

und auch bei <strong>de</strong>n Personen gut bekannt, die<br />

es nutzen. Bewohner <strong>de</strong>r Altersklassen, welche die<br />

Angebote nicht ansprechen, kennen das Rather Familienzentrum<br />

nicht o<strong>de</strong>r nehmen es nur <strong>als</strong> größere<br />

Tageseinrichtung wahr.<br />

Die Selbstwahrnehmung von Fachkräften in Institutionen,<br />

auch Kitas, ist geprägt durch Wunschvorstellungen<br />

und Leitbil<strong>de</strong>r, aber auch durch Routinen<br />

und eine Wahrnehmung „von innen“. In zahlreichen<br />

Projekten zeigt sich zum Teil ein <strong>de</strong>utlicher Unterschied<br />

zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung,<br />

so auch in unserem Beispiel: Das Rather Familienzentrum<br />

besteht aus sehr unterschiedlichen Bereichen<br />

wie Beratungsstelle, Kita, Familien- und Elternbildung<br />

und weiteren. Der durchaus griffige Name<br />

„Rather Familienzentrum“ hat aber in <strong>de</strong>r Außenwahrnehmung<br />

bei vielen befragten Erwachsenen im<br />

Stadtteil die Be<strong>de</strong>utung, dass es sich tatsächlich „nur“<br />

um ein Familienzentrum, d. h. eine Kita mit erweiterter<br />

<strong>Sozialraumorientierung</strong> han<strong>de</strong>lt, aber die an<strong>de</strong>ren<br />

Bereiche sind vielen Menschen im Stadtteil nicht<br />

wirklich bekannt. Das heißt <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Fachkräften<br />

von „innen“ aus betrachtete griffige Titel Rather Familienzentrum<br />

ist – wenn man die Außensicht mit<br />

hereinnimmt – eine Verkürzung und wird <strong>de</strong>r Breite<br />

<strong>de</strong>r Angebote nicht gerecht. Für die konzeptionelle<br />

Weiterentwicklung ergibt die Gegenüberstellung von<br />

Selbst- und Fremdwahrnehmung interessante Aspekte<br />

für die Organisationsentwicklung, für Image, Öffentlichkeitsarbeit<br />

bis hin zu Name und Logo.<br />

Das Rather Familienzentrum ist zwar eine mit<br />

<strong>de</strong>m Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ zertifizierte<br />

Tageseinrichtung, geht jedoch weit über die üblichen<br />

Konzepte von Familienzentren in Nordrhein-Westfalen<br />

hinaus, weil in <strong>de</strong>m Gebäu<strong>de</strong> ebenfalls Beratungsstellen,<br />

Familienbildungsangebote etc. <strong>als</strong> Institutionen<br />

vor Ort vertreten sind und Angebote machen.<br />

Diese Erkundungen <strong>de</strong>s Sozialraums neben einem<br />

anstrengen<strong>de</strong>n Alltag zu realisieren, ist sicher eine<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung, lohnt sich aber, wie viele positive<br />

Beispiele zeigen. Verbun<strong>de</strong>n mit einem solchen Projekt<br />

ist immer das Heraustreten aus <strong>de</strong>m jeweiligen<br />

Alltag sowie die selbstkritische Einsicht in Sichtweisen<br />

an<strong>de</strong>rer. Auch dafür sind Kooperationspartner<br />

notwendig, etwa Kolleginnen und Kollegen aus an<strong>de</strong>ren<br />

bzw. vergleichbaren Institutionen, mit <strong>de</strong>nen<br />

man gemeinsam ein solches Projekt bestreitet, um es<br />

dann wechselseitig im Sozialraum <strong>de</strong>r einen und <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Institution durchzuführen. <br />

■<br />

Der Artikel entstand unter Mitwirkung von Heike Gumz, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin im Studiengang „Pädagogik <strong>de</strong>r Kindheit und Familienbildung“<br />

an <strong>de</strong>r Fachhochschule Düsseldorf, <strong>de</strong>n MitarbeiterInnen<br />

<strong>de</strong>s Rather Familienzentrums (beson<strong>de</strong>rs Monika Reckmann) und<br />

<strong>de</strong>n Studieren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Seminars „Kindheit und Familie im Sozialraum“<br />

im Wintersemester 12/13.<br />

Literatur<br />

Deinet, U. (Hrsg.) (2009): Metho<strong>de</strong>nbuch Sozialraum.<br />

Wiesba<strong>de</strong>n: VS-Verlag<br />

12 TPS 8 | 2013

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