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„Ihr seid das Salz der Erde“ – Evangelische Schule im Aufbruch

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Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

Tagung <strong>der</strong> Leitenden <strong>Evangelische</strong>r <strong>Schule</strong>n und Internate, 07. 03. 2013, Nürnberg<br />

„Das pädagogische Rahmenkonzept an <strong>Evangelische</strong>n <strong>Schule</strong>n <strong>–</strong> Kritische Blicke eines Freundes“<br />

o<strong>der</strong>:<br />

<strong>„Ihr</strong> <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde“</strong> <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

Prof. Dr. Michael Fricke, Universität Regensburg<br />

Sehr geschätzte Leitende,<br />

Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine evangelische <strong>Schule</strong> aus eigener Erfahrung kennt, und in Ihrem Fall, je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine<br />

evangelische <strong>Schule</strong> leitet, kann vermutlich leicht sagen, was an ihr „evangelisch“ ist. Ungleich<br />

schwieriger ist es, allgemeingültig und losgelöst von <strong>der</strong> eigenen <strong>Schule</strong> zu formulieren, was <strong>das</strong> We‐<br />

sen einer evangelischen <strong>Schule</strong> ausmacht.<br />

Der Grund dafür liegt in <strong>der</strong> Verschiedenartigkeit evangelischer <strong>Schule</strong>n. Diese bestand schon in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit. Es gab auf <strong>der</strong> einen Seite „Gelehrtenschulen mit dem Focus auf <strong>der</strong> Herausbildung<br />

von humanistisch gebildeten Verantwortungs‐ und Funktionseliten“ und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>Schule</strong>n<br />

und Einrichtungen, „die einen ausgeprägt sozialdiakonisch‐missionarischen Auftrag besaßen“. 1 Wenn<br />

wir in die heutige Landschaft evangelischer <strong>Schule</strong>n blicken, finden wir eine ähnliche Vielfalt vor: So<br />

liegt <strong>der</strong> Akzent bei den Beruflichen <strong>Schule</strong>n, um mit <strong>der</strong> größten Gruppe zu starten (73 in Bayern),<br />

auf <strong>der</strong> fachlichen Ausbildung, bei den För<strong>der</strong>schulen auf <strong>der</strong> Ermöglichung <strong>der</strong> Teilhabe für Kin<strong>der</strong><br />

mit Lernschwierigkeiten und Behin<strong>der</strong>ungen (40 in Bayern), und bei Gymnasien, wenn ich sie aus <strong>der</strong><br />

Gruppe <strong>der</strong> allgemeinbildenden <strong>Schule</strong>n (30 in Bayern) herausgreife, auf <strong>der</strong> Vermittlung allgemein‐<br />

bilden<strong>der</strong> Kompetenzen, die auch ein Studium ermöglichen. 2 Jede Schulart verfolgt also spezifische<br />

Ziele.<br />

Trotzdem gibt es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Anlässe, allgemein über Wesen und Fundament evangelischer Schu‐<br />

len nachzudenken. Die Evangelisch‐Lutherische Kirche in Bayern hat sich jüngst in Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Schulstiftung in Bayern ein „Rahmenkonzept“ gegeben, <strong>das</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

in <strong>der</strong> Broschüre „<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n in Bayern. Miteinan<strong>der</strong> leben, lernen, glauben“ (2012) zu‐<br />

gänglich gemacht wurde. Hintergrund dieser Publikation war eine grundsätzliche Kursän<strong>der</strong>ung in<br />

<strong>der</strong> Bildungspolitik <strong>der</strong> Landeskirche. In früheren Jahrzehnten sah man die flächendeckende gesell‐<br />

schaftliche Präsenz des <strong>Evangelische</strong>n <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> maßgeblich durch den evangelischen<br />

Religionsunterricht verwirklicht. Die Gründung evangelischer <strong>Schule</strong>n spielte keine Rolle, <strong>im</strong> Gegen‐<br />

teil: Bis zum Jahr 2011 galt in Bayern <strong>der</strong> Beschluss des Landeskirchenrats, „<strong>das</strong>s Schulgründungen <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Allgemeinbildenden <strong>Schule</strong>n gegenwärtig grundsätzlich nicht unterstützt werden“ (ebd.<br />

27f.). Nun hat sich die Landeskirche entschlossen, die Gründung evangelischen <strong>Schule</strong>n ausdrücklich<br />

und <strong>im</strong> Sinne einer „Kernaufgabe evangelischer Bildungsverantwortung zu för<strong>der</strong>n“ (ebd. 5).<br />

1<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n in Bayern. Miteinan<strong>der</strong> leben, lernen, glauben, hg. v. Detlev Bierbaum/Erwin Meister,<br />

München/Nürnberg 2012, 11f.<br />

2<br />

Zur quantitativen Verteilung <strong>der</strong> Schultypen in Bayern vgl. http://www.essbay.de/index.php?id=337 vom<br />

6.3.13 und in Deutschland vgl. Kirchenamt <strong>der</strong> EKD (Hg.): <strong>Schule</strong>n in evangelischer Trägerschaft. Selbstver‐<br />

ständnis, Leistungsfähigkeit und Perspektiven. Eine Handreichung des Rates <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Kirche in<br />

Deutschland (EKD), Gütersloh 2008, 48.<br />

1


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

Für alle bestehenden evangelischen <strong>Schule</strong>n ist <strong>das</strong> Rahmenkonzept somit eine nachträgliche Bestä‐<br />

tigung, o<strong>der</strong> wie es <strong>im</strong> Geleitwort heißt, eine „Vergewisserung“ und ein Ansporn zur eigenen „Evalua‐<br />

tion (ebd. 5). Für Initiativen, die über eine Schulgründung nachdenken, ist es Hilfe und Ermunterung.<br />

Die Broschüre hat vier große Teile: Die Geleitworte von Landeskirche und Schulstiftung, <strong>das</strong> Rahmen‐<br />

konzept selbst und den <strong>Schule</strong>ntwicklungsplan, <strong>der</strong> sich auf die mögliche Gründung von <strong>Schule</strong>n be‐<br />

zieht. Im Anhang findet sich eine Übersicht über die evangelischen <strong>Schule</strong>n in Bayern, Zehn Thesen<br />

des Landesbischofs zur <strong>Evangelische</strong>n <strong>Schule</strong>, sowie „Sieben Markenzeichen“ einer <strong>Evangelische</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> aus Sicht <strong>der</strong> Schulstiftung.<br />

Das Rahmenkonzept n<strong>im</strong>mt nach eigener Auskunft „die vielfältigen Traditionsstränge des evangeli‐<br />

schen Schulwesens auf, fundiert theologisch und führt in die Praxis und die Ausformung des Schulall‐<br />

tags hinein“ (ebd. 5). Das Rahmenkonzept besteht aus fünf Teilen<br />

1 Vorwort<br />

2 Bildungsgeschichtlicher Hintergrund<br />

3 Bildungstheoretisch‐theologische Fundierungen<br />

4 Exemplarische schulorganisatorische, curriculare und didaktisch‐methodische Umsetzung<br />

5 Nachwort<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> gegebenen Zeit werde ich aus den vielen Aspekten, die behandelt werden, drei her‐<br />

ausgreifen, die mir beson<strong>der</strong>s interessant erscheinen.<br />

Zuvor möchte ich Ihnen noch Rechenschaft darüber ablegen, aus welcher Sicht ich <strong>das</strong> Rahmenkon‐<br />

zept lese. Zum einen tue ich <strong>das</strong> als Vater von fünf Kin<strong>der</strong>n, die keine evangelische <strong>Schule</strong> besuchen,<br />

aber es würden, wenn es in unserer Regensburger Gegend eine solche gäbe. In Regensburg denken<br />

wir seit letztem Jahr darüber nach, ob wir uns auf den Weg einer Initiative machen wollen, aber wei‐<br />

tergehende Erfolge kann ich hier noch nicht vermelden. Zum an<strong>der</strong>en lese ich <strong>das</strong> Papier unter dem<br />

Eindruck meiner Reise nach Berlin <strong>im</strong> vergangenen Herbst, als ich am Bundeskongress <strong>Evangelische</strong>r<br />

<strong>Schule</strong>n teilnahm und in diesem Rahmen auch die bundesweit bekannt gewordene <strong>Evangelische</strong><br />

<strong>Schule</strong> Berlin Zentrum, kurz esbz, kennenlernen durfte.<br />

Aus dieser doppelten Perspektive her hat sich für mich eine grundlegende Fragestellung ergeben. Sie<br />

hat damit zu tun, aus welchen Motiven heraus und mit welcher Vision man eine evangelische <strong>Schule</strong><br />

gründet:<br />

Gründe ich eine <strong>Schule</strong>, die dazu dient, <strong>das</strong> <strong>Evangelische</strong> zu pflegen, in die Welt zu tragen und dort<br />

präsent zu halten, ansonsten aber wie jede an<strong>der</strong>e <strong>Schule</strong> agiert, o<strong>der</strong> gründe ich eine <strong>Schule</strong>, die<br />

angesichts pädagogischer, gesellschaftlicher und ökologischer Herausfor<strong>der</strong>ungen innovativ und da‐<br />

mit beispielhaft <strong>Schule</strong> ist, und dies <strong>im</strong> christlichen Horizont?<br />

Ich erläutere Ihnen den Hintergrund dieser Alternativfrage zunächst dadurch, <strong>das</strong>s ich Ihnen die<br />

wichtigsten Merkmale <strong>der</strong> esbz vorstelle. Sie wurde vor fünf Jahren unter <strong>der</strong> Leitung von Margret<br />

Rasfeld gegründet und ist eine weiterführende Gemeinschaftsschule, die die klassischen Schularten<br />

überschreitet und dabei noch inklusiv arbeitet. Durch ihre innovative Art hat sie große Beachtung<br />

erfahren. Wöchentlich „pilgern“ Lehrer, Schulleiter, Bildungspolitiker, Professoren, Eltern zu diesem<br />

von außen unscheinbaren DDR‐Plattenbau, um zu sehen, was da geschieht, und sich vom Geist <strong>der</strong><br />

Erneuerung anstecken zu lassen.<br />

2


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

<strong>„Ihr</strong> <strong>seid</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> Taten statt warten“<br />

Margret Rasfeld geht davon aus, <strong>das</strong>s radikale gesellschaftliche und ökologische Umbrüche vor <strong>der</strong><br />

nächsten Generation liegen, die in ihrer Gesamtheit noch nicht zu überschauen sind. Kin‐<br />

<strong>der</strong> müssen darauf vorbereitet werden. Sie sollen „handeln lernen“. Während in vielen<br />

herkömmlichen <strong>Schule</strong>n in verschiedenen Fächern zwar darauf aufmerksam gemacht wird,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Zusammen‐ und Überleben von Natur und Menschen gefährdet ist, aber keine<br />

Taten folgen, lernen die Schüler in <strong>der</strong> esbz, wie Gestalten und Verän<strong>der</strong>n konkret funktioniert und<br />

sie lernen dies selbstständig zu tun. „Wir wollen, <strong>das</strong>s alle Kin<strong>der</strong> Mut zu und Freude an sozialer und<br />

ökologischer Verantwortung entwickeln.“ 3 Schüler beteiligen sich an einem 100.000‐Bäume‐<br />

Pflanzprogramm o<strong>der</strong> gehen zu benachbarten <strong>Schule</strong>n um dort dafür zu werben, <strong>das</strong>s <strong>der</strong>en Schüler‐<br />

cafés mit fair gehandeltem Kaffee betrieben werden.<br />

Es gibt ein eigenes Fach „Verantwortung“ von <strong>der</strong> 7. bis zur 9. Klasse, in dem Schüler sich selbst eine<br />

Aufgabe <strong>im</strong> Gemeinwesen suchen. Dahinter steht die Idee, <strong>das</strong>s die <strong>Schule</strong> von ihrer Stundentafel her<br />

die Weichen stellen muss, wenn sie eine Verän<strong>der</strong>ung erreichen will. Engagement soll nicht auf die<br />

Kreativität einzelner findiger Lehrer angewiesen sein, son<strong>der</strong>n soll <strong>im</strong> Rahmen des Normalen entste‐<br />

hen.<br />

Die esbz ist eine Agenda 21‐<strong>Schule</strong> und weiß sich dem Konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit<br />

und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung verpflichtet. Interessant ist, <strong>das</strong>s die Ausrichtung am Lernen von Ver‐<br />

antwortung als Konkretion des Evangeliums verstanden wird. Die esbz schreibt in ihrem Selbstver‐<br />

ständnis: „Die Agenda 21 ist ein Leitfaden zum nachhaltigen Handeln, beschlossen 1992 von einer<br />

UN‐Konferenz in Rio de Janeiro. Sie gibt dem Evangelium eine konkrete Gestalt. Sie trägt als umfas‐<br />

sendste Bildungsidee <strong>der</strong> Gegenwart und ethisches Konzept dazu bei, <strong>das</strong>s alle Menschen auf dieser<br />

Erde in Gegenwart und Zukunft ein lebenswertes Leben führen können. Unser Ethos heißt Verant‐<br />

wortung für Kin<strong>der</strong> und Verantwortung für die Erde.“ 4<br />

Rasfeld bezieht sich auf <strong>das</strong> in den 1990er Jahren von <strong>der</strong> UNESCO entwickelte Konzept <strong>der</strong> vier Säu‐<br />

len von Bildung. In diesem gibt es <strong>im</strong> Hinblick auf die Bildungsziele <strong>der</strong> Zukunftsbewältigung vier<br />

Lernd<strong>im</strong>ensionen: Lernen Wissen zu erwerben, Lernen zu handeln, Lernen zusammen zu leben, Ler‐<br />

nen zu sein. 5<br />

Anlachen statt auslachen Lernen in <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

Der Kerngedanke <strong>der</strong> esbz ist, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> Leben an <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> identitäts‐<br />

stärkend auswirkt. Der Einzelne soll sich wahrgenommen und getragen fühlen. Die <strong>Schule</strong> möchte<br />

Beispiel einer solidarischen Gemeinschaft sein. 6<br />

„Wir leben eine christlich inspirierte und stärkende Gemeinschaft in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Je<strong>der</strong> Mensch ist auf<br />

Gemeinschaft angewiesen. Christen erfahren in <strong>der</strong> Gemeinschaft Inspiration, Stärkung und Mut. Für<br />

sie gilt <strong>der</strong> Satz: ‚Gott hat uns nicht gegeben den Geist <strong>der</strong> Furcht, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kraft und <strong>der</strong> Liebe<br />

und <strong>der</strong> Besonnenheit‘ (2. T<strong>im</strong>otheus 1,7). Damit Jugendliche christliche Gemeinschaft erfahren kön‐<br />

nen, halten wir vielfältige Erfahrungsräume bereit: Andachten und Gottesdienste, ein Lied <strong>der</strong> Woche<br />

3<br />

http://www.ev‐schule‐zentrum.de/selbstverstaendnis.0.html vom 6.3.13.<br />

4<br />

http://www.ev‐schule‐zentrum.de/fileadmin/zentrum/Service_Zentrum/Downloads_Zentrum/freiheit‐<br />

EKD.pdf vom 3.3.13<br />

5<br />

Vgl. http://blog.schule‐<strong>im</strong>‐aufbruch.de/kompass/einleitung/ vom 6.3.13.<br />

6<br />

Vgl. http://www.ev‐schule‐zentrum.de/selbstverstaendnis.0.html vom 6.3.13.<br />

3


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

und an<strong>der</strong>e Rituale. Auch in demokratischen Verantwortungsstrukturen wie dem Klassenrat und <strong>der</strong><br />

wöchentlichen Schulversammlung, in Lehrerteams, jahrgangsgemischten Lerngruppen sowie in tägli‐<br />

chen Klassenstunden und wöchentlichen Tutorengesprächen erfahren wir eine stärkende Identität.<br />

Als evangelische <strong>Schule</strong> wollen wir ein Beispiel für eine solidarische und tragende Gemeinschaft ge‐<br />

ben. Schon be<strong>im</strong> Einschulungsgottesdienst vermitteln die Großen den Kleineren unsere Mottos: ‚An‐<br />

lachen statt Auslachen‘, ‚mit dem Herzen sehen, mutig sein‘, ‚Taten statt Warten‘. Und je<strong>der</strong> be‐<br />

kommt eine Sonnenblume, ein <strong>Salz</strong>tütchen und eine MUTkarte.“ 7<br />

Lernen zu lernen<br />

Frontalunterricht wird heruntergefahren, eigenständiges Lernen erfolgt über <strong>das</strong> „Lernbüro“ mittels<br />

Lernkarten und <strong>–</strong>karteien. Die Schüler haben eine Vorgabe, in welchem Zeitraum sie <strong>das</strong> Thema er‐<br />

folgreich abgeschlossen haben müssen und unterziehen sich einem individuellen Test. In Englisch gibt<br />

es neben dem individuellen Lernen regelmäßige Talks, Vorträge vor <strong>der</strong> Klasse, bei denen die Schüler<br />

zeigen, was sie können und die Zuhörenden auf einem feedback‐sheet ihre Rückmeldungen geben.<br />

Insgesamt aber ist es ein stilles und konzentriertes, nicht angespanntes Arbeiten. Die Schüler sind<br />

motiviert und gelassen.<br />

Es gibt keine Ziffernnoten bis Klasse 9. Die Leistungsbewertung erfolgt über individuelle Lernberichte,<br />

in Form von regelmäßigen persönlichen Planungsgesprächen, Zertifikaten, Jahres‐Portfolien, indivi‐<br />

duellen Selbst‐und Fremdeinschätzungen, Bilanz‐ und Zielgesprächen, Entwicklungsberichten, dann<br />

ab Jahrgang 9 zusätzlich über Notenzeugnisse. 8<br />

Als ich nach meinem Besuch von <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n <strong>Schule</strong> in Berlin wegging, war ich ganz erfüllt von<br />

diesem Geist <strong>der</strong> Erneuerung. Mir ging noch einmal <strong>der</strong> Bibelvers durch den Kopf, <strong>der</strong> die erste Zeile<br />

<strong>der</strong> Selbstvorstellung auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> esbz bildet „Gott hat uns nicht einen Geist <strong>der</strong> Verzagt‐<br />

heit gegeben, son<strong>der</strong>n den Geist <strong>der</strong> Kraft, <strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> Besonnenheit.“ (2 T<strong>im</strong> 1,7). <strong>Schule</strong> kann<br />

an<strong>der</strong>s sein! Sie kann auch auf die Gesellschaft ausstrahlen, an<strong>der</strong>e anstecken, die zunächst nichts<br />

mit dem Bildungssektor zu tun haben. So gibt es etwa in Berlin Firmen und Unternehmen, die sich<br />

auf verschiedene Weise mit <strong>der</strong> esbz auf eine Kooperation eingelassen haben und u.a. auch junge<br />

Führungskräfte zu den Schülern schicken, um von ihnen zu lernen, etwa bei dem Projekt „Herausfor‐<br />

<strong>der</strong>ung“, wo die Schüler <strong>der</strong> Jahrgänge 8 bis 10 sich für den Zeitraum von drei Wochen eine Heraus‐<br />

for<strong>der</strong>ung aussuchen, die sie meistern, etwa eine Wan<strong>der</strong>ung in einem unbekannten Gebiet unter‐<br />

nehmen. 9<br />

Die <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> in Berlin steht nicht für sich allein, son<strong>der</strong>n sieht sich als Teil einer größeren<br />

Bewegung. Margret Rasfeld hat zusammen mit dem Hirnforscher Gerald Hüther und dem Professor<br />

für Wirtschaftsrecht Stephan Breidenbach, die von 2011‐12 Kernexperten <strong>im</strong> Zukunftsdialog <strong>der</strong><br />

Bundeskanzlerin zum Thema „Was wollen wir lernen?“ waren, die Bewegung „<strong>Schule</strong>n <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong>“<br />

ins Leben gerufen. Im Internet ist diese Plattform leicht zugänglich und anschaulich gestaltet. Jede<br />

<strong>Schule</strong> ist eingeladen, sich auf den Weg zu machen und auch „<strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong>“ zu werden.<br />

Kommen wir nun zum Rahmenkonzept <strong>der</strong> Landeskirche.<br />

7 http://www.ev‐schule‐zentrum.de/fileadmin/zentrum/Service_Zentrum/Downloads_Zentrum/freiheit‐<br />

EKD.pdf vom 3.3.13<br />

8 http://www.ev‐schule‐zentrum.de/783.0.html vom 3.3.13.<br />

9 Vgl. http://www.ev‐schule‐zentrum.de/786.0.html vom 6.3.13.<br />

4


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

1. Eröffnen<strong>der</strong> Abschnitt<br />

Betrachten wir den Abschnitt, <strong>der</strong> <strong>das</strong> Rahmenkonzept eröffnet, gleichsam <strong>das</strong> Tor, durch <strong>das</strong> wir<br />

eintreten (2012,8).<br />

<strong>„Ihr</strong> <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> Licht <strong>der</strong> Welt (Mt 5,13.14)<br />

Das Evangelium <strong>–</strong> die frohe Botschaft <strong>–</strong> ist <strong>der</strong> Schlüssel zu einer <strong>Schule</strong>, in <strong>der</strong> Schüler und Schülerin‐<br />

nen gerne lernen, weil sie mit ihren Möglichkeiten gesehen, geför<strong>der</strong>t und so befähigt werden, ihren<br />

Platz in <strong>der</strong> Gesellschaft zu finden. <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n wollen evangeliumsgemäße <strong>Schule</strong>n sein.<br />

Scheinbar eine Koinzidenz <strong>–</strong> sowohl an <strong>der</strong> Berliner <strong>Schule</strong> als auch <strong>im</strong> Rahmenkonzept spielt <strong>das</strong> Bild<br />

vom „<strong>Salz</strong> <strong>der</strong> <strong>Erde“</strong> eine große Rolle. Gerade <strong>der</strong> Bezug auf die Bergpredigt ist beachtenswert. Ist<br />

doch die Bergpredigt schon <strong>im</strong>mer als eine Programmatik, als eine Vision für eine an<strong>der</strong>e Gesellschaft<br />

verstanden worden. Die Bergpredigt möchte, <strong>das</strong>s sich etwas än<strong>der</strong>t: Feinde lieben, radikale Versöh‐<br />

nung ermöglich, nach Gerechtigkeit trachten. Allerdings gibt es einen großen Unterschied. Bei <strong>der</strong><br />

esbz steht die Metapher vom <strong>Salz</strong> dafür, Schüler in die Lage zu versetzen, <strong>das</strong>s sie <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

bevorstehenden gesellschaftlichen und ökologischen Umbrüche Verän<strong>der</strong>ungen gestalten können.<br />

Demgegenüber findet sich <strong>im</strong> Rahmenkonzept die Formulierung „befähigt werden, ihren Platz in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft zu finden“. Dahinter steht wohl die Vorstellung, <strong>das</strong>s es eine vorgegebene Form <strong>der</strong><br />

Gesellschaft gibt, in die sich <strong>der</strong> Heranwachsende einfügt. Hier scheint mir eine gewisse Spannung<br />

zum Bild des <strong>Salz</strong>es zu bestehen. Wenn Schüler nur „ihren Platz in <strong>der</strong> Gesellschaft“ finden sollen,<br />

wird hier <strong>das</strong> Potential <strong>der</strong> Bergpredigt nicht ausgeschöpft, ja fast möchte man Jesu Wort vom „faden<br />

<strong>Salz</strong>“ aufgreifen.<br />

Man muss vielleicht noch einmal nachdenken: Wollen wir ein solches anspruchsvolles und verpflich‐<br />

tendes Motto verwenden? Und falls ja: wie müssten wir dann unsere Programmatik daraufhin aus‐<br />

richten? Unsere Gesellschaft ist gefährdet. Unser Lebensstil ist ein Risiko für die kommende Genera‐<br />

tion. Hier müssen wir umlenken, umkehren. Manches davon klingt <strong>im</strong> Rahmenkonzept an, ist aber<br />

nur summarisch genannt. „Respekt und Ehrfurcht vor Menschen und Natur, Toleranz, Konflikt‐, Kom‐<br />

promiss‐ und Konsensfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft für die Mit‐, Um‐und Nachwelt.“ (2012,<br />

9) In den Bildungszielen <strong>der</strong> Bayerischen Verfassung klingt <strong>das</strong> ähnlich (Art 131, 2 Achtung vor religiö‐<br />

ser Überzeugung und vor <strong>der</strong> Würde des Menschen, Verantwortungsgefühl und Verantwortungs‐<br />

freudigkeit, Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt). Dies führt zur Frage, worin <strong>das</strong> Be‐<br />

son<strong>der</strong>e, <strong>das</strong> „<strong>Salz</strong>“ <strong>der</strong> evangelischen <strong>Schule</strong> liegt, wenn diese nur <strong>das</strong> bestätigt, was <strong>der</strong> Staat ohne‐<br />

hin als Ziel ausgibt, und nicht darüber hinausgeht.<br />

Eine große Übereinst<strong>im</strong>mung zwischen Rahmenkonzept und Selbstverständnis <strong>der</strong> esbz findet sich<br />

bei dem Gedanken, <strong>das</strong>s an einer evangelischen <strong>Schule</strong> Schüler gerne lernen, weil sie „gesehen“<br />

werden. Die Wahrnehmung <strong>der</strong> Schüler durch die Lehrer, die Beziehung zwischen Schülern und Leh‐<br />

rern ist an <strong>der</strong> evangelischen <strong>Schule</strong> etwas entscheidendes, vielleicht ja ein großes Unterschei‐<br />

dungsmerkmal zur „öffentlichen“ <strong>Schule</strong>. <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> schafft sich Strukturen, in <strong>der</strong> eine<br />

solche intensive Wahrnehmung möglich ist. In den esbz heißt es dazu: „Wir wollen, <strong>das</strong>s jedes Kind<br />

als Kind Gottes in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und geachtet, geför<strong>der</strong>t und gefor<strong>der</strong>t wird.<br />

Alle Kin<strong>der</strong> können durch ein ganzheitliches Lernangebot lebensnah ihre Entwicklungschancen opti‐<br />

mal entfalten.“ 10<br />

10 http://www.ev‐schule‐zentrum.de/selbstverstaendnis.0.html vom 6.3.13.<br />

5


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

Nun folgt in diesem ersten Absatz die These: „<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n wollen evangeliumsgemäße<br />

<strong>Schule</strong>n sein.“ Ich halte den Terminus „evangeliumsgemäß“ aus zwei Gründen nicht für glücklich ge‐<br />

wählt. Zum einen findet er sich heute, wenn überhaupt noch, in binnenkirchlicher Verwendung, etwa<br />

<strong>im</strong> Kontext von Fragen zum Verständnis von Kirche (vgl. CA 7), 11 Kirchenlehre 12 und Kirchenleitung 13 ,<br />

und darüber hinaus noch <strong>im</strong> evangelikalen Kontext 14 . <strong>Schule</strong> ist aber nicht Kirche o<strong>der</strong> Kirchenge‐<br />

meinde, son<strong>der</strong>n etwas Eigenes. Zum an<strong>der</strong>en: Die For<strong>der</strong>ung nach „evangeliumsgemäßen“ <strong>Schule</strong>n<br />

übersieht in einer gewissen hermeneutischen Schlichtheit, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Begriff allenfalls als Herkunftsan‐<br />

gabe eindeutig ist, ansonsten aber keinen allgemein feststehenden Bedeutungsinhalt hat. Mit dem<br />

Begriff allein ist also noch nichts gesagt, er muss gefüllt werden. 15 Das „Evangelium“ ist aus sich her‐<br />

aus nicht „schulbest<strong>im</strong>mend“, es ist kein pädagogisches Handbuch, son<strong>der</strong>n bietet <strong>–</strong> auf <strong>der</strong> Ebene<br />

von Exempeln und Prinzipien <strong>–</strong> Orientierung, die für den speziellen Kontext <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> Dialog mit<br />

Pädagogik, Fachwissenschaften und Fachdidaktiken zu konkretisieren ist. Mein Vorschlag ist, den<br />

Begriff nicht zu verwenden o<strong>der</strong> zumindest deutlich zu machen, was man damit <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Schulgestaltung aussagen will.<br />

Fahren wir noch auf <strong>der</strong> Eröffnungsseite fort. Hier heißt es (2012, 8):<br />

Sie haben freilich die Aufgabe, wie jede an<strong>der</strong>e <strong>Schule</strong> auch, gemäß den staatlich genehmigten Lehr‐<br />

plänen fachliches Wissen zu vermitteln, Leistung zu for<strong>der</strong>n, indem sie individuell bezogen för<strong>der</strong>n.<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n bieten aber auch in gleicher Weise Orientierung. Denn selbst die am besten<br />

informierte Gesellschaft ist eine arme, wenn Menschen in ihr nicht mehr wissen, wer sie sind, woher<br />

sie kommen und wohin sie gehen; welchen Sinn letztendlich <strong>das</strong> Leben in sich trägt. Hier haben evan‐<br />

gelische <strong>Schule</strong>n ihren beson<strong>der</strong>en Auftrag, fundamentale existentielle Fragen aufzunehmen.“<br />

Auf den Leistungsgedanken komme ich später noch. Be<strong>im</strong> Aspekt <strong>der</strong> „Orientierung“ wird deutlich,<br />

<strong>das</strong>s es sich um eine selbstreflexive Orientierung handelt, also weniger um eine Ausrichtung des<br />

Handelns, son<strong>der</strong>n um eine Klärung des Lebenssinns. Mir erscheint <strong>der</strong> Auftrag <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> hier deutlich unterbest<strong>im</strong>mt zu sein. Zudem ist es übergriffig, wenn die <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong><br />

„den Menschen“ per se <strong>das</strong> Wissen über Identität, Herkunft, Zukunft und Lebenssinn abspricht. Es ist<br />

we<strong>der</strong> empirisch belegt, <strong>das</strong> heutige Menschen tatsächlich so fühlen und denken, noch passt eine<br />

<strong>der</strong>art defizitorientierte Zuschreibung zum eigenen Anspruch, Schüler in ihrer Person wirklich wahr‐<br />

zunehmen.<br />

2. Fundament<br />

Kommen wir zur Frage, worin <strong>das</strong> Wesen o<strong>der</strong> <strong>das</strong> Fundament <strong>der</strong> evangelischen <strong>Schule</strong> liegt. Hier<br />

sagt <strong>das</strong> Rahmenkonzept folgendes: „Bei aller Verschiedenheit evangelischer <strong>Schule</strong>n und ihrer Trä‐<br />

11 „Entsprechend dem biblischen Verständnis von Kirche und Gemeinde ist nach dem Augsburger Bekenntnis<br />

Kirche dort, wo <strong>das</strong> Wort Gottes evangeliumsgemäß verkündet und die Sakramente stiftungsgemäß darge‐<br />

reicht werden (CA 7)“, http://velkd.ekd.de/suchergebnis.php?q=sakrament&w=1&num=10&p=4 vom 1.3.13.<br />

12 Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung <strong>der</strong> Lehrgewalt, Vom 16. Juni 1956. Zum Lehramt <strong>der</strong> Kir‐<br />

che heißt es: „die Gemeinde und ihre berufenen Vertreter haben Recht und Pflicht, die ihnen dargebotene<br />

Verkündigung darauf zu prüfen, ob sie dem Evangelium gemäß ist.“ (Die Verantwortung <strong>der</strong> Kirche für die rech‐<br />

te Lehre, Veröffentlicht in <strong>der</strong> VELKD‐RS unter Nr. 470).<br />

13 Vgl. http://www.europa‐reformata.eu/9283‐0‐8‐2.html vom 1.3.12<br />

14 Vgl. http://www.ojc.de/salzkorn/evangelikal/als‐christ‐leben.html vom 1.3.13<br />

15 Vgl. dazu Christian Grethlein, Kann <strong>das</strong> Evangelium junge Menschen för<strong>der</strong>n? Grundsätzliche religionspäda‐<br />

gogische Überlegungen zur Begründung evangelischer <strong>Schule</strong>n, in: Schreiner, Martin (Hg.): Aufwachsen in<br />

Würde. Die Hildeshe<strong>im</strong>er Barbara‐Schadeberg‐Vorlesungen, Münster u.a. 2012, 29‐39.<br />

6


Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

ger gibt es ein gemeinsames Fundament, von dem aus sich in <strong>der</strong> Praxis unterschiedliche Architektu‐<br />

ren, Profilschwerpunkte ableiten lassen.“ (2012, 10) Dieses Fundament ist die „unveräußerliche und<br />

unteilbare Würde des Menschen, die in <strong>der</strong> reformatorischen Theologie von <strong>der</strong> Schöpfungs‐ und <strong>der</strong><br />

Rechtfertigungslehre her begründet wird“ (2012, 14)<br />

Bildung wird schöpfungstheologisch best<strong>im</strong>mt: „Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaf‐<br />

fen. Als Antwort des Menschen ist dessen Bildung unter <strong>der</strong> Perspektive göttlicher Gnade, göttlicher<br />

Zuwendung zu verstehen.“ (2012, 13). Leistung <strong>im</strong> Rahmen von Bildung wird bejaht, aber zugleich<br />

auch relativiert: „Bildung aus protestantischer Sicht gibt dem Leistungsgedanken seinen Wert, verab‐<br />

solutiert ihn aber nicht.“ (2012, 14). Die protestantische Rechtfertigungslehre betont: „allen Men‐<br />

schen gilt vorbehaltlos und unabhängig von ihren Anlagen, ihrem geistigen Vermögen, ihren Defiziten<br />

und Leistungen Gottes Liebe. Sie ist die Basis dafür, alle Menschen <strong>–</strong> unabhängig von ihrer individuel‐<br />

len Leistungsfähigkeit <strong>–</strong> gleichermaßen Wert zu schätzen. Gleichzeitig ist es wichtig, die unterschied‐<br />

liche Leistungsfähigkeit wahrzunehmen und alle Menschen <strong>im</strong> Sinne einer positiven Leistungsorien‐<br />

tierung je nach ihren Möglichkeiten herauszufor<strong>der</strong>n.“ (2012, 14) Deswegen „wecken [<strong>Evangelische</strong><br />

<strong>Schule</strong>n] die Bereitschaft und stärken den Willen, sich […] anzustrengen“ (2012, 19). Die For<strong>der</strong>ung<br />

nach Leistung wird mit <strong>der</strong> „Zukunftssicherung einer jeden Gesellschaft“ (2012, 22) begründet.<br />

Interessant ist, <strong>das</strong>s die Annahme jedes Menschen jenseits seiner Gaben und Leistungen theologisch<br />

begründet wird. Auch Bildung wird theologisch begründet. Die Leistungsorientierung jedoch wird<br />

nicht theologisch begründet, son<strong>der</strong>n allein aufgrund gesellschaftlicher Zwänge gefor<strong>der</strong>t. Dahinter<br />

scheint mir eine, historische verständliche, aber sachlich doch problematische Schieflage zu stecken,<br />

die nicht dem Rahmenkonzept allein, son<strong>der</strong>n unserem Luthertum anhaftet. Wir haben Probleme,<br />

Leisten und Lust am Leisten theologisch zu begründen, weil wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen<br />

wollen, wir würden dadurch <strong>der</strong> Werkgerechtigkeit Tür und Tor öffnen. Allerdings fragt sich, wer<br />

diesen Vorwurf an uns richtet. Vielleicht sind es nur wir selbst?<br />

Ein Nürnberger Franziskaner, Bru<strong>der</strong> Martin, sagte vor einigen Jahren, nicht weit von dieser Stelle<br />

hier, nämlich in einem Gottesdienst in <strong>der</strong> Lorenzkirche, <strong>der</strong> Mensch braucht Gemeinschaft, Liebe<br />

und Arbeit, also eine Tätigkeit, die ihn erfüllt. In Rückbesinnung auf unsere biblische Wurzeln können<br />

wir viel weiter gehen als nur zu sagen, <strong>das</strong>s Leistung irgendwie nötig, aber theologisch problematisch<br />

ist: Der Mensch ist geschaffen, um etwas hervorzubringen, es ist seine Best<strong>im</strong>mung, schöpferisch<br />

und gestaltend tätig zu sein, denn er ist Ebenbild des Großen Schöpfers und Gestalters. Es ist ein<br />

Grundbedürfnis des Menschen, Aufgaben zu bewältigen, an denen er wachsen kann. 16 Leistung, in<br />

diesem Sinn verstanden, als <strong>das</strong> Bewältigen von Aufgaben, <strong>das</strong> Hervorbringen und Gestalten, ist also<br />

durchaus schöpfungstheologisch zu legit<strong>im</strong>ieren.<br />

3. Grundsätze und Merkmale<br />

Aus dem theologischen Fundament entwickelt <strong>das</strong> Rahmenkonzept vier „Grundsätze“ und „Merkma‐<br />

le <strong>der</strong> evangelischen <strong>Schule</strong>“. Es betont dabei, <strong>das</strong>s diese Merkmale nicht nur für eine evangelische<br />

<strong>Schule</strong>, son<strong>der</strong>n für jede „gute“ <strong>Schule</strong> gelten sollen. Das Unterscheidungskriterium ist die protestan‐<br />

tische Letztbegründung (2012, 15).<br />

16 Vgl. Margret Rasfeld, Kin<strong>der</strong> und Jugendliche brauchen Aufgaben, an denen sie wachsen können!, in Kerstin<br />

Plehwe (Hg.), Demokratie leben lernen. Jugend, Politik und gesellschaftliches Engagement, Berlin 2011, 56‐68.<br />

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Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> ist als „religiös‐spiritueller Raum“ (2012, 16). Zum einen fungiert „die religiöse<br />

Bildung als fächerübergreifendes Prinzip“, zum werden für Schüler und Lehrer „vielfältige Formen<br />

von christlicher Spiritualität und gelebtem Glauben“ ermöglicht (2012, 16). Dazu gehören auch Rück‐<br />

zugsmöglichkeiten in die Stille und <strong>das</strong> Angebot <strong>der</strong> Seelsorge.<br />

Für den Leser ist hier fraglich, warum o<strong>der</strong> inwiefern <strong>der</strong> erste Punkt für jede „gute2 <strong>Schule</strong> gelten<br />

soll. Religiöse Bildung als übergreifendes Prinzip ist doch gerade die Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> konfessionel‐<br />

len <strong>Schule</strong>!<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> ist „ein in Kirche und Welt vielfach vernetzter Raum“ (2012, 17‐19). Hier liest<br />

man, <strong>das</strong>s protestantische Bildung „religiös fundierte Bildung in <strong>der</strong> Welt“ ist. „<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n<br />

sind in einer säkularisierten Welt Orte, wo christlicher Glaube und kirchliches Leben kennen gelernt,<br />

eingeübt und <strong>der</strong> persönlichen Glaubensüberzeugung Gestalt gegeben werden kann.“ (2012, 17).<br />

Lernen soll an verschiedenen Lernorten stattfinden, auch außerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Die <strong>Schule</strong> för<strong>der</strong>t<br />

soziales, diakonisches, affektives und ästhetisches Lernen. Die evangelische <strong>Schule</strong> ist „Teil ihrer ge‐<br />

sellschaftlichen und kulturellen Umgebung“ und wird „auf diese Weise zum öffentlichen Raum, in<br />

den sie hineinwirkt und von dem her sie Impulse empfängt“ (2012, 18).<br />

Hier fällt auf, <strong>das</strong>s zwischen „drinnen“ und <strong>der</strong> „Welt draußen“ unterschieden wird. Es scheint so, als<br />

ob hier die lutherische Zwei‐Reiche‐Lehre mit <strong>der</strong> Unterscheidung von dem Reich Christi und dem<br />

Reich <strong>der</strong> Welt <strong>im</strong> Spiel ist. Dies hinterfrage ich aus zwei Gründen: Es ist zum einen ganz und gar un‐<br />

gewiss, ob in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Schüler diese behauptete Abständigkeit überhaupt wahrgenommen wird<br />

o<strong>der</strong> eine Rolle spielt. Zum an<strong>der</strong>en gibt es gute theologische Gründe, sich von <strong>der</strong> Unterscheidung<br />

von Kirche und Welt zu lösen, wie <strong>das</strong> bereits <strong>der</strong> Lutheraner Dietrich Bonhoeffer getan hat, als er in<br />

seiner Ethik <strong>das</strong> „Denken in zwei Räumen“ kritisierte und sagte: „es gibt daher nicht zwei Räume,<br />

son<strong>der</strong>n nur den einen Raum <strong>der</strong> Christusverwirklichung“. 17 In Wi<strong>der</strong>stand und Ergebung hat Bon‐<br />

hoeffer diesen Gedanken dann mit dem Motto „Kirche für an<strong>der</strong>e“ weitergeführt. 18 Ich meine, es<br />

käme darauf an zu zeigen, was die evangelische <strong>Schule</strong> für die „Welt“ tun kann.<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> ist „Lern‐ und Lebensraum“ (2012, 19‐23).<br />

Dieser Abschnitt ist einleuchtend und überzeugend. <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> bietet ein beson<strong>der</strong>es Lern‐<br />

kl<strong>im</strong>a, beson<strong>der</strong>e Transparenz, legt die Aufmerksamkeit auf eine intensive Trias zwischen Schüler,<br />

Eltern und Lehrern, verwirklicht <strong>das</strong> Teilhabeprinzip in schulischen Prozessen, setzt Schüler als Tuto‐<br />

ren und Lernbegleiter ein, bejaht Heterogenität und för<strong>der</strong>t die Inklusion. „<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n<br />

ermöglichen eine positive Lernatmosphäre, was aus neurobiologischer Sicht nachweislich leistungs‐<br />

för<strong>der</strong>nd ist. Lehrkräften an evangelischen <strong>Schule</strong>n ist bewusst, <strong>das</strong>s erfolgreiches Lehren und Lernen<br />

von gegenseitiger Wahrnehmung, Anerkennung und Respekt getragen werden.“ (2012, 21).<br />

Die Durchlässigkeit <strong>der</strong> Schulformen wird verfolgt, es klingt sogar leise <strong>das</strong> „Vermeiden von Wie<strong>der</strong>‐<br />

holungen“ (2012, 23) an, ohne <strong>das</strong>s dies jedoch weiter ausgeführt wird. Als Leser fragt man sich: Gibt<br />

es hier noch keine klare Position? Bereits die EKD‐Handreichung „<strong>Schule</strong>n in <strong>Evangelische</strong>r Träger‐<br />

schaft“ von 2008 war hier deutlich: „Die Möglichkeit, nicht versetzt zu werden, ist nach Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> Schulforschung eines <strong>der</strong> Kennzeichen des deutschen Schulwesens, <strong>das</strong> für die schlechte Förde‐<br />

rung von Schülern strukturell verantwortlich scheint. <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong>n sollten Modellversuche<br />

17 Bonhoeffer, Dietrich: Ethik, zusammengestellt und hg. von Eberhard Bethge, 12. Aufl. München 1988, 210.<br />

18 Vgl. Bonhoeffer, Dietrich: Wi<strong>der</strong>stand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus <strong>der</strong> Haft, hg. v. E. Beth‐<br />

ge, München 1952, 261, wo es heißt: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für an<strong>der</strong>e da ist“.<br />

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Michael Fricke, Ihr <strong>seid</strong> <strong>das</strong> <strong>Salz</strong> <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> <strong>im</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

durchführen, die eine Abschulung bzw. eine Nichtversetzung von Schülerinnen und Schülern vermei‐<br />

den. Dazu ist an beson<strong>der</strong>e Möglichkeiten individueller För<strong>der</strong>ung zu denken. Die Kosten, die ein<br />

Sitzenbleiben verursacht, sollten präventiv in die För<strong>der</strong>ung versetzungsgefährdeter Schülerinnen<br />

und Schüler investiert werden.“ 19 Hat die Kirche Angst davor, von <strong>der</strong> (momentanen) Position des<br />

Bayerischen Freistaates abzuweichen? Angesichts <strong>der</strong> neuen bildungspolitischen Entwicklungen (in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen) wird <strong>das</strong> vorsichtige Andeuten womöglich schon bald überholt sein.<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> ist „innovativer und qualitätsorientierter Raum“ (2012, 23‐24). Das Konzept<br />

spricht hier summarisch von <strong>der</strong> bleibenden Aufgabe von Schul‐ und Qualitätsentwicklung, Evaluati‐<br />

on, Fortbildungen, ohne weiter ins Detail zu gehen o<strong>der</strong> eine Richtung anzugeben, in die sich die<br />

<strong>Schule</strong> entwickeln soll.<br />

Würdigung und Fazit<br />

Das Rahmenkonzept ist Ausdruck eines neuen Bewusstseins und einer neuen Bildungspolitik <strong>der</strong><br />

Landeskirche. <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> ist in den Fokus <strong>der</strong> Aufmerksamkeit gerückt. Das ist erfreulich<br />

und stärkend, zum einen für die Schulstiftung, die 25 Jahre lang die Aufbauarbeit professionell be‐<br />

gleitet hat, zum an<strong>der</strong>en für die <strong>Schule</strong>n selbst, die in den Jahren des Aufbaus viel geleistet haben.<br />

Vielleicht kann man gerade sagen: Die Leistung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n und <strong>der</strong> vielen Menschen in ihnen ist es,<br />

die eine neue Sicht in <strong>der</strong> Kirche angestoßen haben. Insofern ist die Broschüre in jeden Fall zu begrü‐<br />

ßen und Anlass zu großer Freude.<br />

Für Eltern und für Kirchengemeinden, die sich mit dem Gedanken tragen, eine <strong>Schule</strong> zu gründen, ist<br />

die Broschüre ein motivierendes Signal. „Wir haben Unterstützung und Begleitung auf unserem Weg<br />

durch die Kirche. Die Kirche findet unsere Pläne gut und för<strong>der</strong>t uns.“<br />

<strong>Evangelische</strong> Kirche verwirklicht hier tatsächlich ein Anliegen <strong>der</strong> Reformation, freilich unter an<strong>der</strong>en<br />

Bedingungen als damals <strong>im</strong> 16. Jahrhun<strong>der</strong>t. Sie för<strong>der</strong>t Bildung, weil ihr die Menschen am Herzen<br />

liegen und Bildung den Menschen und <strong>der</strong> Gesellschaft dient. 20<br />

In meinem Vortrag haben Sie auch kritische Kommentare gehört. Ob <strong>das</strong> Rahmenkonzept, <strong>das</strong> in<br />

vielen Teilen nur summarisch o<strong>der</strong> andeutend argumentiert, wirklich zur Evaluation einer <strong>Schule</strong><br />

geeignet ist, muss sich noch erweisen.<br />

Es gibt Passagen des Rahmenkonzepts, die doch Fragen aufwerfen, zum einen in Hinblick auf die feh‐<br />

lende theologische Begründung von Leistung, zum an<strong>der</strong>en in Hinblick auf die Vision und Grundaus‐<br />

richtung. Ich meine, gerade vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Leistungen und Erfahrungen <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> in Berlin und an<strong>der</strong>er innovativen <strong>Schule</strong>n, <strong>das</strong>s es heute um mehr geht als um die Sicherung<br />

<strong>der</strong> Präsenz des <strong>Evangelische</strong>n in <strong>der</strong> Gesellschaft, wenngleich dies auch sein Recht hat. Es geht da‐<br />

rum, <strong>das</strong>s eine Bewegung von <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong> <strong>Schule</strong> hin zu etwas Größerem stattfindet, zu einem<br />

neuen Konzept von Lernen in einem neuen Verständnis von Verantwortung und persönlicher Ent‐<br />

wicklung. Dieser neue Weg des <strong>Aufbruch</strong>s ist mutig zu beschreiten!<br />

19 Kirchenamt <strong>der</strong> EKD (Hg.): <strong>Schule</strong>n in evangelischer Trägerschaft. Selbstverständnis, Leistungsfähigkeit und<br />

Perspektiven. Eine Handreichung des Rates <strong>der</strong> <strong>Evangelische</strong>n Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2008, 18.<br />

20 Vgl. Philipp Melanchthon, In laudem novae scholae (1526), Melanchthon Deutsch, hg. v. M. Beyer u.a., Bd. 1:<br />

<strong>Schule</strong> und Universität, Philosophie und Politik, Leipzig 1997 , 92‐101, hier 96f.<br />

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