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Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

Liebe Spender und Interessenten, liebe Verwandte und Bekannte, liebe<br />

Freunde!<br />

Im vergangenen Monat habe ich mich gut eingearbeitet, eingelebt und bin sicherlich um<br />

einige sehr wertvolle Erfahrungen reicher geworden. Die Arbeit trägt bereits erste Früchte,<br />

der Kontakt zu den meisten Kindern hat sich deutlich intensiviert, ich habe natürlich mein<br />

Spanisch gut weiterentwickelt und das alles fernab von Heimweh oder Stimmungstief.<br />

Meine Arbeit<br />

„No puedo!“ (ich kann nicht!) ist wohl der häufigste Satz, den man hier von den Kindern zu<br />

hören bekommt. Sei es die Aussprache eines englischen Wortes, der Mut etwas im<br />

Unterricht zu sagen, die Mühe zuzuhören oder die Ausdauer etwas mehr als zweimal zu<br />

üben, in 90% der Fälle bekommt man zu hören, dass das Kind das Geforderte nicht könne.<br />

Doch „No puedo!“ hat viele Gesichter. Hinter diesem Ausdruck verbirgt sich natürlich nicht<br />

bloß ein Unvermögen eine Sache zu tun, sondern auch oft Aussagen, wie „ich hab keine<br />

Lust!“, „ich werde das nie können!“ oder „ich trau mich nicht!“.<br />

Tatsächlich kommt es oft vor, dass ein Kind zum Beispiel noch nie mit 2 Bällen jongliert hat<br />

und deshalb auch mit der ersten Einstiegsübung Probleme hat. Spätestens beim zweiten<br />

heruntergefallenen Ball heißt es „ich kann das nicht!“ und die Bälle werden liegengelassen.<br />

Es ist nicht immer leicht Kinder in solchen Fällen davon zu überzeugen, dass noch kein<br />

Meister vom Himmel gefallen ist und dass zwischen „jetzt nicht können“ und „nie können<br />

werden“ lediglich ein wenig Übung steht. Mittlerweile kenne ich die meisten Kinder aber ganz<br />

gut, so dass ich besser einschätzen kann, ob ich gut zureden oder vielleicht eher durch eine<br />

kleine Provokation (z. B.: „Stimmt, das wirst du nie schaffen!“ + ein breites Grinsen) etwas<br />

mehr Ausdauer bei Übungen herauskitzeln kann.<br />

Wenn jemand „No puedo!“ sagt, aber eigentlich „Ich trau mich nicht.“ meint, fällt die<br />

Motivation schon schwerer. Meistens versuche ich natürlich dem- oder derjenigen Mut<br />

zuzusprechen, aber viele trauen sich erst, wenn sie sich zum Beispiel ganz auf ein Spiel<br />

konzentrieren und so die Angst über den Spaß vergessen.<br />

Der schwierigste Fall ist für mich, wenn<br />

ein Kind tatsächlich keine Lust hat. Oft sind<br />

Humor und Spaß sehr gute Mittel dagegen.<br />

Trotzdem versuche ich Unlust immer<br />

vorzubeugen und meine Arbeit mit den<br />

Kindern so lebendig wie möglich zu<br />

gestalten und vorzubereiten, aber dazu<br />

später mehr.<br />

Das Motto der Projektfamilie zu dieser<br />

Problematik ist: „Einzig und allein aus dem<br />

Sarg wieder aufzustehen ist schwierig!“.<br />

Eine für viele Nicaraguaner eher untypische<br />

Einstellung.<br />

Diese Einstellung hat auch Geraldina,<br />

eine 18jährige, die uns bei unserer Arbeit<br />

im Projekt hilft und selber aus sehr armen<br />

Verhältnissen kommt. Sie ist<br />

überdurchschnittlich intelligent und hat<br />

einen enormen Wissensdurst. Mit der<br />

Schule ist sie fertig und nun ist ihr größter<br />

Wunsch an der Uni zu studieren. Allerdings<br />

kann sie sich das überhaupt nicht leisten<br />

und lernt deshalb sehr hart für ein Examen,<br />

dass sie bestehen muss, um überhaupt Geraldina lernt im Centro Gitarre spielen<br />

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Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

eine Chance auf eines der wenigen Stipendien zu haben. Leider kann sie auch keine Kurse<br />

bezahlen, die sie auf das Examen vorbereiten würden. Das bedeutet, dass die sich mit ihren<br />

Büchern alles autodidaktisch beibringen muss. Gerade bei Mathe ist das aber zum Beispiel<br />

mehr als schwierig. Wir können ihr zwar bei Mathe ein bisschen und bei Englisch ganz gut<br />

helfen und sie bekommt hier im Projekt auch manchmal Unterstützung von einem<br />

Mathelehrer. Doch selbst wenn sie das Examen schaffen sollte, kommt man in Nicaragua<br />

eigentlich nur über gute Kontakte an ein Stipendium, so dass ihr Traum an eine Uni zu<br />

gehen vielleicht ein Traum bleiben wird.<br />

Ihre häusliche Situation wirft ihr weitere Steine in den Weg. Ihre Eltern sind sehr streng und<br />

lassen sie fast gar nicht aus dem Haus. Da ihre Mutter den ganzen Tag arbeitet, muss sie<br />

auf ihre beiden kleineren Geschwister aufpassen und alleine den gesamten Haushalt<br />

schmeißen. Ihr Vater arbeitet nur ab und zu und kümmert sich so gut wie gar nicht um seine<br />

Familie. Leider kommt zu alledem noch die häusliche Gewalt, der Geraldina ausgesetzt ist.<br />

Zwar überlegt sie, ob sie vielleicht einfach ausziehen und versuchen soll, sich hart<br />

arbeitend über Wasser zu halten, aber dann hätte sie wahrscheinlich keine Chance mehr zur<br />

Uni zu gehen. Schon jetzt gibt sie Englischunterricht und spart jeden Peso, doch ob das<br />

reicht, ist die Frage, denn die Uni kostet hier im Jahr ca. 500 Euro plus alle Kosten für<br />

Bücher und Materialien.<br />

Nachdem wir zusammen mit anderen Projektmitarbeitern an einigen Schulen und in<br />

unserem Viertel für das Projekt Werbung gemacht haben, strömten die Kinder regelrecht in<br />

das Centro, so dass ich auch schon Englischunterricht mit über 30 Schülern gegeben habe.<br />

Hierbei konnte ich natürlich nur schlecht auf jeden Einzelnen eingehen. Deshalb haben wir<br />

beschlossen, drei verschiedene Englischklassen anzubieten, Anfänger und zwei<br />

verschiedene Fortgeschrittenkurse. Durch die Werbeaktivitäten konnten auch weitere<br />

Projektmitarbeiter gewonnen werden. Es gibt jetzt also zusätzlich noch einen Jugendtreff,<br />

Matheunterricht, eine Frauenrunde, einen Tanzkurs und einen Zeichenkurs. Hier findet ein<br />

Großteil des Lebens draußen, also auf der Straße statt, dadurch kommt man sehr viel<br />

leichter mit Kindern ins Gespräch und kann ihnen vom Centro erzählen.<br />

Es steht nun auch der<br />

gänzlich ausgearbeitete<br />

Stundenplan, in dem wir<br />

Englisch-, Computer- und<br />

Gitarrenunterricht geben. Ich<br />

konnte durchsetzen, dass es<br />

täglichen Englischunterricht<br />

gibt, um möglichst viel<br />

Wiederholung zu erreichen.<br />

Wenn nämlich Kinder<br />

zweimal pro Woche in den<br />

Englischkurs kommen, dann<br />

kann man für die meisten<br />

immer wieder das Gleiche<br />

machen, weil einfach sehr<br />

wenig länger als einen Tag<br />

hängen bleibt. Zusätzlich<br />

Unterricht findet draußen im Lernpavillon statt<br />

nimmt die Educación Creativa<br />

(kreative Erziehung) einen<br />

großen Teil ein. Hierbei sollen die Kinder verschiedene künstlerische Fähigkeiten erlernen,<br />

von Jonglage und Diabolos über Armbänderknüpfen bis hin zum Bau von kleinen<br />

Türglöckchen aus Bambus. In der Educación Creativa haben wir zum Beispiel mit allen<br />

Kindern den Stundenplan auf große Plakate übertragen und malerisch gestaltet, um ihn<br />

publik zu machen. Gerade für die Jüngeren verwende ich auch viel Lern- und<br />

Geschicklichkeitsspiele, so denken die Kinder zwar, sie würden einfach nur spielen, dabei<br />

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Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

verbessern sie zum Beispiel gerade ihre Fingerfertigkeit und Feinmotorik. Oft wird auch<br />

gebastelt, zum Beispiel Grashüpfer aus Palmenblättern oder auch viel mit Bambus.<br />

Auch unsere Idee einer Schachgruppe ist bisher auf Zustimmung bei den Kindern<br />

gestoßen. Zwar haben wir noch keine eigene Schachzeit eingerichtet, aber nach den<br />

Englischstunden oder in der Educación Creativa habe ich bereits mehreren Schülern die<br />

Regeln beigebracht und vor allem haben wir zusammen aus Bambus neue Schachfiguren<br />

gebastelt. Es ist spannend zu sehen wie unterschiedlich schnell die Kinder das Spiel<br />

begreifen. Einige spielen schon am Anfang relativ gut und planen logisch ihr Spiel. Andere<br />

begreifen auch nach der 15. Erklärung nicht, wie sich der Springer bewegen darf oder warum<br />

der Bauer nur schräg schlagen darf. Wenn man es bedenkt, ist auch leicht nachzuvollziehen,<br />

warum jemand nur geradeaus gehen, aber nur diagonal schlagen kann. Aus pädagogischen<br />

Gründen und als netter Freiwilliger versuche ich meistens, die Kinder gewinnen zu lassen,<br />

aber selbst das ist manchmal schwieriger, als ich es mir vorgestellt hätte...<br />

Im Englischunterricht kann ich schon einige Fortschritte verzeichnen. Für die meisten ist<br />

der Englischunterricht die erste Begegnung mit einer Fremdsprache. Dementsprechend<br />

muss man die Ansprüche auch tief ansetzen. Es ist tatsächlich schon ein Erfolg, wenn ein<br />

Kind nach einem Monat die Antwort auf „What is your name?“ weiß und sich auch traut diese<br />

laut zu vor der Klasse zu sagen. Meist wiederhole ich am Anfang einer Klasse ein paar<br />

einfache Fragen und Antworten, damit sich wenigstens dieser erste Anfang einschleift und<br />

nicht mehr vergessen wird. Mittlerweile versuche ich den Kindern eine Basis an Vokabeln<br />

beizubringen. Denn Grammatik ist für sie unverhältnismäßig schwerer und trockener. Doch<br />

auch Vokabeln zu pauken ist für<br />

die meisten undenkbar.<br />

Deshalb versuche ich ihnen<br />

Wörter spielerisch nahe zu<br />

bringen. Hierbei hat sich ein<br />

Spiel sehr bewährt, bei dem ein<br />

Kind Vokabeln (meistens<br />

Verben) pantomimisch<br />

darzustellen versucht, während<br />

die anderen auf Englisch raten<br />

müssen. Der Lerneffekt hierbei<br />

ist deutlich größer als beim<br />

bloßen Auswendiglernen. Zwar<br />

hatten viele Kinder anfangs<br />

Probleme vor der Klasse etwas<br />

schauspielerisch darzustellen,<br />

aber letztendlich konnte ich sie<br />

Juan José, zehn Jahre, hat ein großes Sprachtalent<br />

dazu motivieren, indem ich die<br />

Regel eingeführt habe, dass<br />

derjenige, der vor den anderen geschauspielert hat, sich aussuchen darf, wer als nächstes<br />

an der Reihe ist.<br />

Das selbe Spiel habe ich auch mit Zeichnen eingeführt, meistens um Dinge und<br />

Gegenstände darzustellen.<br />

Im Anschluss an den Englischunterricht kann ich manchmal besonders talentierte Schüler<br />

dazu motivieren, noch länger zu bleiben. Manchmal bleiben sie auch aus Interesse von<br />

alleine länger. Dann mache ich entweder noch ein bisschen mit dem Unterrichtsstoff weiter<br />

oder schiebe kleine Grammatikteile ein, um den zum Teil sehr großen Wissensdurst zu<br />

stillen. Diese Kinder gehören dann zu den Wenigen, die kein großes Konzentrationsproblem<br />

haben.<br />

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Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

Einige der Neuanfänger haben sogar schon den Sprung in die Fortgeschrittenenklasse<br />

geschafft, weil sie einfach über eine enorme Auffassungsgabe verfügen.<br />

Einige Kinder gehen zur Schule, von wo sie dann auch öfter Hausaufgaben mitbringen.<br />

Außerhalb des Unterrichts helfe ich auch oft bei diesen Hausaufgaben und nehme mir Zeit<br />

Dinge und Zusammenhänge noch einmal Schritt für Schritt zu erklären, weil viele mit dem<br />

vorgegebenen Lerntempo in der Schule nicht mithalten können.<br />

Einmal im Monat kommen alle Kinder zur Limpieza ins Projekt, um das Projekthaus und<br />

das Gelände aufzuräumen. Danach<br />

essen wir alle zusammen und<br />

meistens wird dann noch eine Piñata<br />

veranstaltet, ein Spiel, bei dem<br />

jeweils ein Kind mit verbundenen<br />

Augen einen Stock nach einem mit<br />

Süßigkeiten gefüllten Pappmaschee-<br />

Tier schwingt. Das Tier wird mit<br />

einem Band in Bewegung gehalten,<br />

das über einen Ast oder einen<br />

Balken führt. Damit das mit<br />

Krepppapier geschmückte Tier in<br />

Reichweite des Schlägers<br />

herabgelassen wird, muss derjenige<br />

erst einmal tanzen. Nach mehreren<br />

Kindern wird die Piñata irgendwann<br />

tödlich verwundet und platz auf, so Israel werden vor dem wilden Tanz die Augen verbunden<br />

dass es Süßigkeiten regnet.<br />

Meine Arbeit im Kindergarten habe ich begonnen und sie macht mir Spaß. Dort arbeite ich<br />

mit zwei Gruppen, den etwas Größeren im Vorschulalter und den kleinen Drei- bis<br />

Vierjährigen. Die Älteren lernen schon Nummern, Vokale und erste Wörter schreiben,<br />

allerdings hat die Erzieherin eine derartige Sauklaue, dass es mir utopisch erscheint, den<br />

Kindern so Schreiben beizubringen. Auch macht sie nicht mehr als die Kinder den<br />

Buchstaben nachschreiben zu lassen, ohne ihnen die genaue Federführung zu zeigen. Darin<br />

sehe ich eine meiner Hauptaufgaben, mich einzeln um die Kinder zu kümmern und ihnen bei<br />

ihren persönlichen Defiziten zu helfen. So gibt es zum Beispiel eine Linkshänderin, die es<br />

einfach nicht hinbekommt von links nach rechts zu schreiben. Seitdem ich im Comedor<br />

Infantil arbeite, hat sich die Erzieherin nicht einmal persönlicher um dieses Mädchen namens<br />

Fatima gekümmert als ihr ein weiteres Mal die Buchstaben in ihr Heft zu schreiben mit der<br />

Anweisung diese nachzumalen. Nicht zufällig hinkt Fatima weit hinter den anderen hinterher.<br />

Eine reine Beobachtung meinerseits ist, dass gerade Fatima eines der aggressivsten Kinder<br />

ist. Ein bisschen Rangeln mit den Kindern ist in der freien Spielzeit nach dem Unterricht ja<br />

durchaus normal, aber Fatima überschreitet dabei sehr häufig die Grenze zwischen Spaß<br />

und Ernst, so dass ich sie schon mehrmals freundlich oder auch ernst ermahnen musste. Ich<br />

möchte diese zwei Beobachtungen nicht monokausal in Verbindung setzen – dafür kenne ich<br />

das Kind und sein Umfeld noch zu wenig – sondern lediglich interpretationsoffen erwähnen.<br />

Die jüngere Gruppe schreibt noch nicht selber sondern lernt erst einmal die Vokale und<br />

Zahlen kennen. Hierfür werden viele kleine Liedchen benutzt. Andere Lernmöglichkeiten gibt<br />

es auch so gut wie keine. Alle Materialien wie Plakate oder Zettel zum Zahlen- und<br />

Buchstabenlernen müssen von den Erzieherinnen selber gemalt werden. Bücher gibt es gar<br />

nicht und alles was die Kinder zum Spielen haben, sind einige Buntstifte und ein bisschen<br />

Knete. Trotzdem schaffen sie es hier kindlich und unbelastet herumzutollen und sorglos zu<br />

spielen.<br />

- 4 -


Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

Faszinierend fand ich auch meinen ersten Arbeitstag nach den Wahlen, als alle<br />

anwesenden 30 Kinder mich fragten, was ich denn gewählt habe und ganz stolz behaupteten<br />

sie selber hätten Daniel gewählt. Da müssen die irgendwas verwechselt haben....<br />

Die Wahlen<br />

In Nicaragua waren am 5. November Präsidentschaftswahlen, die vom früheren<br />

Revolutionsführer Daniel Ortega gewonnen wurden.<br />

Äußerst interessant war die Phase des Wahlkampfes, die eher mit einer Art Volksfest zu<br />

vergleichen war. Ich wurde schon ein bisschen an die Fußball-WM erinnert, als<br />

Autokarawanen mit<br />

Flaggen der politischen<br />

Parteien laut hupend<br />

durch Masayas Straßen<br />

fuhren und scheinbar<br />

jeder Fußgänger eine<br />

Cap oder ein T-Shirt der<br />

Kandidaten trug. Ob<br />

durch Flaggen, durch<br />

Plakate oder riesige<br />

Schriftzüge, fast jedes<br />

Haus zeigt klar, welche<br />

Partei man unterstützt.<br />

Komischer Weise haben<br />

die Liberalen hier eine<br />

Fahne in<br />

kommunistisch-rot,<br />

während die alte,<br />

Wahlwerbung überall: hier ein wird ein ganz normales Wohnhaus zur<br />

Litfasssäule<br />

- 5 -<br />

linksgerichtete<br />

Revolutionspartei<br />

„Frente Sandinista de Liberación Nacional“ (kurz FSLN oder Frente, übersetzt „Nationale<br />

Sandinistische Befreiungsfront) weiterhin ihre rot-schwarze Fahne schwenkt.<br />

Im Fernsehen und auch in den Wahlkampfreden wurde auf äußerst unsachlicher Ebene<br />

gegen die politischen Gegner gewettert. Zum Teil kamen im Fernsehen fünf Minuten am<br />

Stück politische Werbespots, in denen nicht der geringste parteipolitische Inhalt zu finden<br />

war, sondern lediglich Beschimpfungen und Anschuldigungen an die Adresse eines<br />

Kontrahenten. Zum großen Teil waren diese Werbespots noch nicht einmal von Parteien,<br />

sondern von reichen Privatpersonen oder Firmen, die meist versuchten gegen Daniel Ortega<br />

Stimmung zu machen. Zentraler Slogan dieser gegen Daniel Ortega (der von den meisten<br />

nur Daniel gerufen wird) gerichteten Wahlwerbung war: „Daniel Ortega es un peligro para<br />

Nicaragua!“ – Daniel Ortega ist eine Gefahr für Nicaragua.<br />

Der Wahlkampf wurde, wie es das Gesetz vorschreibt, genau eine Woche vor den Wahlen<br />

beendet, damit sich jeder in aller Ruhe seine Meinung bilden kann. In der letzten Woche vor<br />

den Wahlen waren auch alle Schulen geschlossen, da diese am Wahltag zur Stimmabgabe<br />

genutzt wurden. Auch danach blieben die Schulen noch zwei Tage geschlossen.<br />

Am Wahlwochenende und dem darauf folgenden Montag war allgemeiner Feiertag. Um der<br />

Manipulation vorzubeugen, eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen und zu verhindern, dass<br />

Menschen betrunken an die Wahlurne treten, war der Verkauf von Alkohol an diesen drei<br />

Tagen verboten.<br />

Wählen darf man bereits ab 16 Jahren. Bei der eigentlichen Stimmabgabe muss man meist<br />

lange anstehen und bekommt dann den rechten Daumen gefärbt, damit auch ja niemand ein<br />

zweites Mal wählt. Diese Farbe geht so schlecht ab, dass man sie auch noch ein Woche<br />

nach der Wahl an vielen Daumen sehen kann. Einige Firmen haben mit starken<br />

Vergünstigungen am Wahltag für Menschen mit Wahldaumen geworben. Mit der Farbe am<br />

Daumen leisten die Analphabeten auch per Fingerabdruck ihre Unterschrift.


Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

Dit & Dat<br />

Als ich hier wegen leichten Ohrenschmerzen bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt (übrigens<br />

das längste spanische Wort überhaupt: otorrinolaringólogo) war, wurde ich zunächst mal in<br />

einem dunklen Raum mit einer Taschenlampe untersucht – es gab halt gerade keinen Strom.<br />

Dann hat mir der Arzt sofort ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel und eines für den<br />

Druckausgleich verschrieben. Auch auf Nachfrage meinte er, dass es keine anderen Mittel<br />

gegen Ohrenschmerzen gebe. Da ich mich bei Medikamenten selber nicht gut auskenne<br />

habe ich also über mehrere Tage Antibiotikum genommen. Das hat es auch ein bisschen<br />

verbessert, aber als ich es dann abgesetzt habe, kamen die Ohrenschmerzen wieder.<br />

Daraufhin hat mir Angela aus der Projektfamilie den Tipp gegeben, es mit einer heißen<br />

Knoblauchzehe oder einer angezündeten Zigarette im Ohr zu versuchen. Ich hab mir also<br />

eine Knoblauchzehe über Nacht ins Ohr gesteckt und sieh da, am nächsten Morgen waren<br />

die Schmerzen weg.<br />

Ein anderes Hausmittel ist eine Art Vanillepudding gegen Übelkeit, bei dem man sich echt<br />

überlegt, ob man nicht öfter krank sein sollte. Nein Spaß bei Seite, gesundheitlich geht es<br />

mir echt super, so dass ich bisher noch keinen Tag ausgefallen bin.<br />

- 6 -<br />

Die ohnehin schon sehr dürftige<br />

Regenzeit neigt sich gerade dem Ende<br />

zu. Wir begegnen dieser Tatsache<br />

sehr zwiegespalten. Einerseits<br />

bedeutet die Trockenzeit, dass es kein<br />

Regenwasser mehr gibt, das wir zum<br />

Beispiel für unsere Wäsche nutzen,<br />

und wir somit mehr Wasser schleppen<br />

müssen. Außerdem wird der<br />

Projektgarten unter dem<br />

Wassermangel leiden. Andererseits<br />

wird die Hitze nicht mehr so schwül<br />

sein und der Atem wird am Abend bei<br />

milden 23°C nicht mehr zu<br />

Unser Carretón: so holen wir unser Wasser<br />

Dampfwolken kondensieren. Aber der<br />

eigentliche Vorteil wird sein, dass der<br />

Schimmel in seiner Ausbreitung wenigstens teilweise eingedämmt wird. Hier schimmelt<br />

nämlich einfach alles, Klamotten sowieso, aber auch CDs, Holzbalken im Haus und sogar<br />

Erde. Und bei drei Tagen Dauerregen wird selbst die überdachte Wäsche nicht einen Deut<br />

trockener.<br />

Nun möchte ich mich noch ganz herzlich bei allen für die große Unterstützung, welcher Art<br />

sie auch sein mag, bedanken.<br />

Ich freue mich sehr über das mir und der Sache entgegengebrachte Interesse.<br />

Anmerkungen, Kritik, Fragen, Meinungen, Verbesserungsvorschläge und so weiter sind<br />

jederzeit willkommen.<br />

Schöne Grüße aus dem fernen Nicaragua!<br />

Paul


Monats<strong>bericht</strong> Nr. 2 – Paul Sprüssel<br />

Adresse in Deutschland:<br />

Paul Sprüssel<br />

Henriettenstraße 73<br />

20259 Hamburg<br />

Mail: paul.spruessel@wi-ev.de<br />

Skype: paulspruessel<br />

Msn: paulspruessel@hotmail.com<br />

Spenden für meinen<br />

Freiwilligeneinsatz in Nicaragua<br />

an:<br />

Kontoinh.: Wise e.V.<br />

Kto-Nr.: 861 1300<br />

BLZ: 550 20 500 (Bank für<br />

Sozialwirtschaft)<br />

Stichwort: „Spende 70012“<br />

- 7 -

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