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Mission - Missionsverständnis - Dialog mit anderen Religionen

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<strong>Mission</strong> - <strong>Mission</strong>sverständnis - <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong><br />

Ein Votum des Ständigen Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche<br />

von Westfalen<br />

Inhalt:<br />

I. Säkularisation und Religiosität 2<br />

II. <strong>Mission</strong> in neutestamentlicher Perspektive 4<br />

1. <strong>Mission</strong> im ältesten Christentum 4<br />

2. <strong>Mission</strong> in Anknüpfung und Widerspruch 5<br />

3. Der Wahrheitsanspruch des Evangeliums 6<br />

III. <strong>Mission</strong> und Evangelisation 8<br />

1. Geschichte der <strong>Mission</strong> 8<br />

2. Evangelisation 10<br />

3. Evangelisation und <strong>Mission</strong> 10<br />

IV. <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> 13<br />

1. Angst vor dem <strong>Dialog</strong> 13<br />

2. <strong>Dialog</strong> ist notwendig 14<br />

3. <strong>Mission</strong> als <strong>Dialog</strong> 15<br />

V. <strong>Mission</strong> in der Evangelischen Kirche von Westfalen 17<br />

1. Der evangelistische Auftrag 17<br />

2. <strong>Mission</strong>arische Einrichtungen und Arbeitsgemeinschaften 19<br />

3. <strong>Mission</strong> in der „Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen“ 21<br />

VI. Teilhabe an der Missio Dei 24<br />

1. Von der Weitergabe des Glaubens 24<br />

2. Vom Gottesdienst 25<br />

3. Kirche auf dem Marktplatz - Evangelisation über den Marktplatz hinaus 27<br />

4. Auskunft geben von der Hoffnung 28


I. Säkularisation und Religiosität<br />

– 2 –<br />

Die gegenwärtige Situation in unserer Gesellschaft wird in bezug auf Religion meist <strong>mit</strong> dem Stichwort<br />

Säkularisation beschrieben. Dabei trifft die wörtliche Übersetzung -„Verweltlichung“- das Gemeinte<br />

nur ungenau, denn der Begriff Säkularisation bezeichnet nicht nur die Tatsache, daß die Resonanz<br />

des Glaubens und der christlichen Kirche im öffentlichen und privaten Leben geringer<br />

geworden ist, sondern er verweist zugleich auch auf die im Grunde <strong>mit</strong> der Reformation einsetzende<br />

Befreiung der Gesellschaft von religiös begründeter Bevormundung. Allerdings ist unbestreitbar,<br />

daß religiöse Inhalte und religiös bestimmte und bestimmende Verhaltensnormen in der Öffentlichkeit<br />

und im familiären Bereich, aber auch in den Köpfen und Herzen der Menschen eine zunehmend<br />

geringere Rolle spielen. Dies kann seinen Ausdruck etwa darin finden, daß die Inhalte kirchlicher<br />

Feiertage immer weniger bekannt sind und daß sie die Lebensvollzüge auch von Menschen, die zur<br />

Kirche gehören, immer weniger bestimmen. Religiöse Traditionen, wie z.B. das Tischgebet, gehen<br />

mehr und mehr verloren. Christliche Symbole haben ihre ursprüngliche Bedeutung weitgehend eingebüßt,<br />

auch wenn sie als kulturelle Phänomene in der Gesellschaft noch weiter existieren - etwa<br />

das Fischessen am Karfreitag oder das Kreuz auf der Todesanzeige.<br />

Es ist kein Zweifel, daß das Gewicht des Christentums in der Gesellschaft insgesamt geringer wird<br />

und daß da<strong>mit</strong> auch die lebensgestaltenden Werte und Normen des christlichen Glaubens an Bedeutung<br />

verlieren. Zugleich erleben wir eine Tendenz, Religion als Instrument politischen Handelns<br />

einzusetzen - die in Europa in jüngster Zeit geführten Bürgerkriege sind dafür ein schrecklicher Beleg.<br />

Es ist für die Situation in unserer Gesellschaft kennzeichnend, daß gegenläufige, einander widersprechende<br />

Entwicklungen gegenwärtig beobachtet werden können: einerseits schwächt sich das<br />

Bewußtsein der Konfessionszugehörigkeit - besonders in den beiden großen Konfessionen - aus<br />

Desinteresse und Gleichgültigkeit ab. Andererseits treten jedoch immer neue <strong>mit</strong> ideologischen Lehren<br />

verbundene „Kirchen“ und Sekten auf, und es bilden sich neuheidnische Gruppierungen; Wahrsagerei<br />

und okkultistische Bewegungen haben - jedenfalls zeitweilig - regen Zulauf. Auffallend ist,<br />

daß auch fernöstliche <strong>Religionen</strong> und Kulte auf Menschen in Europa eine starke Anziehungskraft<br />

ausüben, so daß sich geradezu neue Glaubensrichtungen unter europäischen Bedingungen herausbilden.<br />

Die Homogenität des Christlichen und insbesondere auch die konfessionelle Geschlossenheit von<br />

Regionen, Städten und Dörfern ist durch die Wanderungsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg<br />

weithin verschwunden. Zugleich ist das „Angebot“ an Religion im weitesten Sinne größer geworden;<br />

das eigene religiöse Erbe ist unsicherer als früher, nicht selten muß es ganz neu angeeignet<br />

werden. Auch Menschen, die zur Kirche gehören, bedürfen der Information über den eigenen Glauben<br />

und müssen neu lernen, sich <strong>mit</strong> den Inhalten der eigenen Tradition auseinanderzusetzen. Es ist<br />

immer weniger selbstverständlich, in der religiösen „Spur“ der Eltern oder der Familie zu bleiben,<br />

ihren Glauben einfach zu übernehmen. Zunehmend wird nach den Inhalten bisher fremder religiöser<br />

oder weltanschaulicher Traditionen gefragt und in nicht wenigen Fällen wird das dort begegnende<br />

Angebot auch angenommen. Nicht selten entsteht so auch eine Vermischung von christlichen und<br />

außerchristlichen Glaubensinhalten.<br />

Eine offene und freiheitliche Demokratie hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß es heute<br />

eine Vielzahl kultureller und religiöser Angebote gibt, die entweder von außen in das eigene Land<br />

kommen oder auf Reisen und bei Aufenthalten in fremden fernen Ländern von uns wahrgenommen<br />

werden. So gibt es in unserer Gesellschaft parallel zum Nachlassen der Kraft des Religiösen auch<br />

einen entgegengesetzten Trend, der religiöse Sehnsucht verrät. Diese Sehnsucht findet ihre Erfül-


– 3 –<br />

lung häufig außerhalb von Christentum und Kirche. Denn der große „Markt der Möglichkeiten“<br />

unseres weltoffenen Lebens bietet uns neben dem Christentum auch andere große <strong>Religionen</strong> an, zur<br />

Sinnstiftung und Angstüberwindung, zur Begegnung <strong>mit</strong> dem Göttlichen und dem Jenseitigen, oder<br />

zur „Wiedergeburt“ und Überwindung des Todes.<br />

Je mehr unterschiedliche Erfahrungen Menschen machen, je mehr Wahlmöglichkeiten es für sie<br />

gibt, um so mehr sind sie gezwungen, von ihrer Wahlfreiheit auch Gebrauch zu machen - und das<br />

gilt insbesondere auch für Entscheidungen, die den Glauben und die Religionszugehörigkeit betreffen.<br />

Doch <strong>mit</strong> der Fülle der Möglichkeiten und der da<strong>mit</strong> schwindenden Selbstverständlichkeit der<br />

vorhandenen Werte und Wertsysteme kommt zugleich auch Verunsicherung auf. Weil nichts Gewisses<br />

mehr vorgegeben ist, werden Ängste wach. Verantwortungsfähigkeit und Entscheidungsvermögen<br />

sind gefragt. Dies wiederum erfordert Wissen und Lernen. Beurteilungsvermögen, kritische<br />

Sondierungsprozesse und schließlich Entscheidungen sind unvermeidlich. Viele Menschen<br />

fühlen sich angesichts dessen überfordert und sind es auch wirklich. Die Kehrseite solcher Ängste<br />

und Überforderungen wird deshalb sichtbar im Ruf nach klaren Strukturen und Inhalten, nach eindeutigen<br />

Werten. Mit der zunehmenden Fülle der Angebote in Sachen des Glaubens und der Lebensgestaltung<br />

wächst zugleich der Wunsch nach Eindeutigkeit, oft verbunden <strong>mit</strong> dem Hinweis auf<br />

bewährte, Sicherheit des Lebens und Glaubens versprechende Traditionen.<br />

Religiöse Elemente begegnen uns noch auf ganz andere Weise in unserem Leben. So gibt es in der<br />

kommerziellen Werbung eine Tendenz, den Eindruck zu erwecken, bestimmte Produkte könnten<br />

geradezu religiöse Sehnsüchte stillen. Dem Nachlassen der Kraft des Religiösen im öffentlichen und<br />

privaten Bereich auf der einen Seite korrespondiert die Verwendung religiöser Bilder, Symbole und<br />

Begriffe in der Alltagswelt auf der <strong>anderen</strong> Seite. Nicht wenige Menschen lassen sich davon ansprechen<br />

und hoffen so, durch die Wahrnehmung des Angebots zu einer Erfüllung ihrer Sehnsüchte und<br />

Wünsche gelangen zu können. Denn manche Produktwerbung, mancher Urlaubsprospekt erweckt ja<br />

tatsächlich den Anschein, als könne man durch die Annahme des Angebots - zumindest zeitweilig -<br />

das eigentliche Leben gewinnen, die Plagen und Ängste, die Notwendigkeiten und Widrigkeiten des<br />

Alltags vergessen. Auch Großveranstaltungen des Sports und vor allem der Popmusik, aber auch die<br />

Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen können so etwas wie einen Religionsersatz darstellen.<br />

Der christlichen Kirche wird heute vielfach vorgeworfen, sie antworte auf Fragen, die niemand gestellt<br />

hat. Aber dieser Vorwurf könnte auch ein Hinweis darauf sein, daß in weiten Bereichen der<br />

Gesellschaft bestimmte Fragen eben gar nicht mehr gestellt werden - Fragen, die jedoch zur Bewältigung<br />

des Lebens und Sterbens gestellt werden müssen: Woher komme ich? Wohin gehe ich?<br />

Woran richte ich mein Leben aus? Wie gehe ich um <strong>mit</strong> der Erfahrung von Leiden und Schuld?<br />

Es ist von entscheidender Bedeutung, daß die Kirche eine Sprache findet, die es ermöglicht, solche<br />

Fragen wachzuhalten und den einzelnen Menschen hilft, diese Fragen für sich selber zu stellen. In<br />

der Kirche und in ihren Gemeinden müssen Menschen da sein, die auf diese Fragen einzugehen und<br />

Antworten zu geben vermögen. Vor allem wird die Kirche gefragt und gefordert sein als Wegbegleiterin<br />

in immer schwieriger und unübersichtlicher werdenden Lebensverhältnissen. Im schnellen<br />

Wechsel der Zeiten, Trends und Moden wird die Kirche auch für Kontinuität der Orientierung und<br />

der Antwort auf die Sinnfrage stehen müssen. Entscheidend wird dabei sein, wie sie ihre Glaubensinhalte<br />

den Menschen ver<strong>mit</strong>telt, die nach eben solchen Inhalten suchen und verlangen.<br />

Um es noch einmal anders zu sagen: Viele Menschen haben zugleich <strong>mit</strong> den Inhalten ihres Glaubens<br />

auch den Halt in den Wechselfällen des Lebens verloren. Es ist, als hätten sie keinen Schlüssel<br />

mehr zur bergenden Wohnung, die ihnen nun verschlossen bleibt. Die Kirche muß diesen Schlüssel<br />

wiederfinden, die Sprache, durch die den Menschen der Zugang zum Glauben wieder geöffnet wird.<br />

Die häufig unterbliebene, bisweilen vergessene, oft nur sehr lückenhaft angelegte Information über


– 4 –<br />

den christlichen Glauben nachzuholen oder zu vervollständigen, ist eine der wichtigsten katechetischen<br />

und evangelistischen, da<strong>mit</strong> zugleich missionarischen Aufgaben der Kirche. Die Kirche muß<br />

den Inhalt ihrer Verkündigung, das Evangelium, <strong>mit</strong> seinem unverwechselbaren Profil zur Geltung<br />

bringen; dazu bedarf sie selbst der Besinnung auf ihre elementaren Grundlagen, die sie dann in geeigneter<br />

Weise und in angemessener Sprache, in verständlichen Symbolen und Handlungen hinaustragen<br />

kann unter die Menschen.<br />

II. <strong>Mission</strong> in neutestamentlicher Perspektive<br />

Die christliche Gemeinde ist keine unwandelbare, gleichsam „ewige“ Größe, sondern sie lebt in der<br />

Geschichte. Sie verkündigt die Wahrheit ihres Glaubens nicht so, als wäre sie der Zeit enthoben;<br />

sondern sie predigt Gottes Wort immer neu in ihrer jeweiligen Zeit. Dabei bezieht sie sich aber<br />

stets zurück auf die Zeit der Anfänge des Glaubens und der Kirche; sie hört stets aufs Neue auf die<br />

Botschaft Jesu von Nazareth und auf die im Neuen Testament überlieferte urchristliche Predigt von<br />

Kreuzigung und Auferweckung dieses Jesus. Wenn wir also fragen, ob <strong>Mission</strong> heute noch legitim<br />

sei und wie sie gegebenenfalls auszusehen habe, so können wir diese Frage nicht beantworten ohne<br />

die Bezugnahme auf die Schriften des Neuen Testaments, in denen das Zeugnis der Verkündigung<br />

Jesu und der Christen der Anfangszeit erhalten ist.<br />

1. <strong>Mission</strong> im ältesten Christentum<br />

Die christliche Gemeinde war von Anbeginn an eine missionierende Kirche. Die Apostel verkündigten<br />

ihren Zuhörerinnen und Zuhörern die Botschaft, daß der eine Gott, der Gott Israels, den<br />

gekreuzigten Jesus nicht im Tode gelassen, sondern von den Toten auferweckt und zum Herrn gemacht<br />

habe. Diese Verkündigung richtete sich zunächst allein an Juden in Jerusalem und im übrigen<br />

Palästina; verhältnismäßig schnell aber erreichte die Botschaft von Gottes Handeln dann auch<br />

Menschen anderer Völker und anderer <strong>Religionen</strong>.<br />

Inhalt dieser Botschaft war nicht einfach die Mitteilung eines geschehenen Ereignisses; das allen<br />

Menschen verkündigte Evangelium war vielmehr im eigentlichen Sinne „gute Botschaft“:<br />

• Gott hat die Welt <strong>mit</strong> sich selbst versöhnt (2 Kor 5,18ff);<br />

• Gott hat im Christusgeschehen den diese Botschaft im Glauben annehmenden Menschen ein<br />

neues Leben in Freiheit geschenkt und ermöglicht (vgl. Gal 5,1.13);<br />

• Gott hat da<strong>mit</strong> in Christus eine alle irdischen Grenzen überwindende Einheit der Menschen geschaffen<br />

(Gal 3,28).<br />

Urchristliche <strong>Mission</strong>spredigt war der Aufruf, dieser guten Botschaft zu folgen und danach zu leben.<br />

Dabei war diese Predigt eine Fortsetzung und Weiterführung der Verkündigung und des Wirkens<br />

des irdischen Jesus. Jesus von Nazareth hatte in Wort und Tat den Menschen die Nähe der für sie<br />

heilvollen Herrschaft Gottes bezeugt und er hatte seine Hörerinnen und Hörer zur Umkehr zu Gott<br />

und zur Praxis der Nächstenliebe aufgerufen. Diejenigen, die ihm daraufhin als seine Jüngerinnen<br />

und Jünger gefolgt waren, nahmen trotz Jesu Hinrichtung am Kreuz seine Botschaft auf und führten<br />

sie auf ihre Weise weiter. Voraussetzung dafür war ihre Begegnung <strong>mit</strong> dem Auferstandenen und<br />

das österliche Bekenntnis zur Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten durch Gott; so macht<br />

die christliche Predigt Jesus selber als erhöhten Herrn und als Gottes Messias zum Inhalt ihrer Verkündigung.<br />

Wir dürfen nicht übersehen, daß die Menschen, die für diese gute Botschaft gewonnen werden sollten,<br />

schon in bestimmten religiösen Bindungen und Traditionen standen; sie „warteten“ nicht auf<br />

das Wort des Evangeliums. Die urchristliche <strong>Mission</strong> begann bei den Juden oder richtiger gesagt:<br />

Sie vollzog sich innerhalb des Judentums. Das Urchristentum war zunächst eine innerjüdische<br />

Bewegung. Den Angehörigen des Volkes Israel verkündigten die Jünger die Botschaft von Jesus.<br />

Jesu Tod am Kreuz wurde dabei verstanden als ein Sterben „für unsere Sünden“, als Erfüllung einer<br />

in der Heiligen Schrift (d.h. unserem Alten Testament) ausgesprochenen Verheißung (Röm 3,25; 1


– 5 –<br />

der Heiligen Schrift (d.h. unserem Alten Testament) ausgesprochenen Verheißung (Röm 3,25; 1<br />

Kor 15,3-5); besonders klar erfahrbar wurde diese Botschaft in den Einsetzungsworten zum Abendmahl<br />

(1 Kor 11,23-25). Jesu Auferweckung war nach dem Zeugnis der Jüngerinnen und Jünger<br />

nicht die „Wiederbelebung“ eines Toten, sondern dessen Erhöhung (vgl. Phil 2,9; Röm 1,4).<br />

Als sich die urchristliche <strong>Mission</strong> dann auch an die Angehörigen der Heidenvölker wandte, wurde<br />

diesen gepredigt, daß sie sich abwenden sollten von den von ihnen bisher verehrten Göttern, den<br />

„Götzen“, hin zu dem allein wahren Gott und zu dessen Sohn Jesus, der als Retter vor dem kommenden<br />

Gericht erwartet wurde (l Thess 1,9f). Dabei wurde die Verheißung ausgesprochen, daß die<br />

aus den Bindungen an ihre alten, falschen Götter befreiten Glaubenden (vgl. Gal 4,8f) nun ein Leben<br />

in Freiheit und Zuversicht führen können (Gal 5,1) in der Hoffnung auf die Auferstehung der<br />

Toten und auf ein ewiges Leben (1 Thess 4,13-18; Apg 4,12).<br />

Die unter Israel und unter den Heidenvölkern predigenden <strong>Mission</strong>are sahen ihr Wirken als eine<br />

un<strong>mit</strong>telbare Konsequenz des ihnen anvertrauten Auftrags Jesu an: „Wie mich der Vater gesandt<br />

hat, so sende ich euch“, sagt nach dem Johannesevangelium der auferstandene Christus zu seinen<br />

Jüngern am Ostertag (Joh 20,21). Die missionierenden Frauen und Männer begriffen ihr Tun als<br />

Erfüllung einer Weisung Christi, wie sie der <strong>Mission</strong>s- und Taufbefehl am Ende des Matthäusevangeliums<br />

zum Ausdruck bringt (Mt 28,18-20).<br />

Gleichzeitig <strong>mit</strong> dem Anwachsen der Gemeinden wurde den Christinnen und Christen zunehmend<br />

bewußt, daß sie ein Leben in einer „fremden“, ja vielfach geradezu feindseligen Umgebung führten;<br />

denn ihre Predigt stieß keineswegs nur auf Zustimmung, sondern sie bereitete bei Juden ebenso wie<br />

bei Heiden auch Anstoß und Spott (vgl. 1 Kor 1,23). Nicht zuletzt deshalb ruft der Verfasser des<br />

1. Petrusbriefes seine Leserinnen und Leser dazu auf, sie sollten nicht unnötig Ärgernis bereiten<br />

(1 Petr 3,12f), sondern im Gegenteil ein auch für Heiden vorbildliches Leben führen und so durch<br />

die lebendige Existenz Zeugnis ablegen für die Wahrheit des Evangeliums (vgl. auch 1 Kor 10,31f).<br />

2. <strong>Mission</strong> in Anknüpfung und Widerspruch<br />

Die Zugehörigkeit zur Kirche Jesu Christi versteht sich nicht von selbst. Es gibt weder ein „christliches<br />

Volk“ noch einen „christlichen Staat“, dem Menschen gleichsam von Geburt an zugehörig<br />

wären. Glieder der christlichen Gemeinde werden Menschen dadurch, daß sie das Wort der Predigt<br />

im Glauben annehmen und in der Taufe das Siegel der Gotteskindschaft empfangen. In der Frühzeit<br />

des Christentums setzte die Taufe immer einen „Religionswechsel“ voraus: Wer Glied der christlichen<br />

Gemeinde wurde, verließ seine bisherigen religiösen Bindungen und nicht selten auch sein<br />

bisheriges soziales Umfeld. Auch später, als längst die Kinder- und Säuglingstaufe praktiziert wurde,<br />

blieb es den Menschen bewußt, daß die Zugehörigkeit zur Kirche nicht von Geburt an besteht,<br />

sondern daß sie zugesagt wird durch die Taufe und angenommen wird durch den Glauben an das<br />

von der Kirche verkündigte Evangelium.<br />

Es war zu allen Zeiten selbstverständlich, daß die missionarische Verkündigung die jeweils gegebenen<br />

Verhältnisse berücksichtigte, in deren Rahmen die <strong>Mission</strong> erfolgte: „<strong>Mission</strong>“ in der Gestalt<br />

einer christlichen Erziehung innerhalb der Familie (vgl. schon Eph 6,4) hat naturgemäß eine andere<br />

Form als beispielsweise eine <strong>Mission</strong>, die in Konkurrenz steht zu einer etablierten nicht-christlichen<br />

Religiosität und die deshalb den <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> den Andersgläubigen suchen muß. Wiederum eine<br />

andere Gestalt muß eine missionarische Verkündigung haben, die sich an eine (scheinbar oder<br />

tatsächlich) „religionslose“, „nachchristliche“ und jedenfalls entkirchlichte Gesellschaft wendet.<br />

Gleichwohl: <strong>Mission</strong> bedeutet immer Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. <strong>Mission</strong><br />

geschieht als Predigt aus der Gewißheit des Glaubens heraus, daß das gepredigte Evangelium die<br />

Hörenden unbedingt angeht, weil es ihnen Orientierung gibt für ihr Leben und ihnen Trost verheißt<br />

angesichts von Angst und Tod. <strong>Mission</strong> geschieht als Diakonie aus dem Glauben heraus, daß Gott<br />

uns beauftragt hat, denen zu helfen, die Hilfe benötigen - so, wie Jesus Kranke geheilt und<br />

Benachteiligte angenommen und ihnen geholfen hat.


– 6 –<br />

Auf welche Weise sich die urchristliche <strong>Mission</strong>spredigt im einzelnen vollzogen hat, wissen wir<br />

nicht genau. Die ältesten uns erhaltenen christlichen Schriften, die in den Jahren 50 bis 60 geschriebenen<br />

Briefe des Paulus, erinnern nur ganz gelegentlich an die gemeindegründende Predigt<br />

des Apostels (vgl. etwa 1 Thess 1,9f; Gal 3,lff; 1 Kor 15,lff), wobei wir beachten müssen, daß sich<br />

diese Briefe an Menschen wenden, die schon Christen sind. Immerhin aber läßt uns die Apostelgeschichte<br />

erkennen, welche Vorstellungen ihr Verfasser Lukas von der urchristlichen <strong>Mission</strong> gehabt<br />

hat, einem Geschichtsabschnitt, der für ihn, der um das Jahr 90 schrieb, ja noch nicht lange zurücklag.<br />

Hier erfahren wir, daß die Predigt der Jünger Jesu, insbesondere des Petrus und später auch des<br />

Paulus, unter den Juden in Jerusalem und in der Diaspora an die Geschichte Israels anknüpft; diese<br />

Predigt will den Hörenden zeigen, daß Gottes Verheißungen in Jesus von Nazareth erfüllt sind (Apg<br />

2,22-36), daß die Geschichte Gottes <strong>mit</strong> seinem Volk auf Jesus als ihr Ziel hinausläuft (Apg 13,16-<br />

43). Wenn die Begegnung christlicher <strong>Mission</strong>are <strong>mit</strong> Menschen geschildert wird, die aus der Tradition<br />

heidnischer Religiosität kommen, dann steht im Vordergrund die Kritik an den Göttern, den<br />

„Götzen“: Die Apostel verkündigen den allein wahren Gott, der der Schöpfer des Himmels und der<br />

Erde ist. Dieser Gott hat Jesus von den Toten auferweckt und ihn als Richter eingesetzt; dabei wird<br />

gelegentlich die Aussage gemacht, daß die Heiden - ohne es zu wissen - <strong>mit</strong> diesem Gott bereits<br />

Erfahrungen gemacht haben, weil sie ja selber Gottes Geschöpfe sind (Apg 14,15-17; 17,16-33).<br />

Das von Lukas in der Apostelgeschichte gezeichnete Bild von der urchristlichen <strong>Mission</strong> unter Juden<br />

und Heiden wird im wesentlichen historisch zutreffend sein; vor allem aber ist es charakteristisch<br />

für das Wesen der <strong>Mission</strong> überhaupt: Die Predigt des Evangeliums knüpft immer an Erfahrungen,<br />

Hoffnungen und Ängste der hörenden Menschen an; sie widerspricht vielen der von ihnen<br />

bislang anerkannten Normen und Maßstäbe; und sie sagt ihnen in je ihrer Situation, was Gottes<br />

Handeln in Jesus von Nazareth für sie bedeutet.<br />

Bis heute hat sich daran im Grunde nichts geändert. Es ist ein - freilich von der Kirche in ihrer Geschichte<br />

nicht selten selber praktiziertes - Mißverständnis von <strong>Mission</strong>, wenn man meint, <strong>Mission</strong><br />

ziele auf die Ausbreitung christlichen „Einflusses“ in der Welt oder auf einen Zuwachs (oder auch<br />

nur Erhalt) der Macht der Kirche als Institution innerhalb von Staaten oder Gesellschaften. <strong>Mission</strong><br />

ist die Verkündigung der Wahrheit Gottes; diese Verkündigung darf keinem Menschen vorenthalten<br />

werden. Aber <strong>Mission</strong> wird in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man meint, die Wahrheit Gottes müsse<br />

den Menschen notfalls <strong>mit</strong> Gewalt aufgezwungen werden. Kirchliche <strong>Mission</strong>sarbeit ist zu verstehen<br />

als Entsprechung zur „<strong>Mission</strong>“ des irdischen Jesus, d.h. als Entsprechung zu seiner Sendung in<br />

die Welt, wie vor allem das Johannesevangelium immer wieder sagt (Joh 3,16f; 13,20; 17,18). Dann<br />

aber wird klar, daß die <strong>Mission</strong>sarbeit der Kirche in Wahrheit „missio Dei“ ist, d.h. Wirken Gottes<br />

in seiner Menschenwelt. <strong>Mission</strong> ist die Botschaft Gottes, die sich durchsetzt, wann und wo Gott es<br />

will - die predigenden Menschen sind immer nur die Zeuginnen und Zeugen dieser Botschaft, nicht<br />

mehr und nicht weniger. Deshalb verweist der <strong>Mission</strong>sbefehl in Mt 28,18-20 auf das zurück, was<br />

Jesus den Seinen „befohlen“ hat - und über allem steht die Verheißung, daß er als der Auferstandene<br />

bei ihnen ist „bis an der Welt Ende“.<br />

3. Der Wahrheitsanspruch des Evangeliums<br />

Weil die <strong>Mission</strong> Zeugnis ablegt von Gott, darum erhebt sie einen Wahrheitsanspruch. Dieser mißverständliche<br />

und vielfach in der Geschichte auch mißbrauchte Begriff besagt nicht, daß die Kirche<br />

ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen in den Stand absoluter Wahrheit erhebt und dann beansprucht,<br />

diese Wahrheit überall durchzusetzen, wie es bei totalitären Ideologien der Fall ist.<br />

„Wahrheitsanspruch“ des Evangeliums bedeutet vielmehr, daß die Kirche die ihr gegebene Verheißung<br />

bezeugt, daß allein Jesus Christus die zu Gott führende Wahrheit ist (Joh 14,6), daß Jesus<br />

Christus - wie es die erste These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 formuliert - „das<br />

eine Wort Gottes (ist), das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu<br />

gehorchen haben“. Nur von Jesus Christus her und nicht kraft eigener Entscheidung oder eigener


– 7 –<br />

Vollmacht hat die Kirche den ihr übertragenen und von ihr nicht zurückzuweisenden Auftrag, das<br />

Evangelium allen Menschen zu sagen, d.h. - wie es in der sechsten Barmer These heißt - „die Botschaft<br />

von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“, und zwar so, daß alle, die diese<br />

Botschaft hören, sie verstehen und im Glauben annehmen können. Die Kirche erhebt keinen<br />

„Wahrheitsanspruch“; sondern sie glaubt und bekennt, daß das von ihr gepredigte Evangelium die<br />

Wahrheit ist. Wäre sie dessen nicht gewiß, so müßte sie schweigen - nicht nur nach außen, sondern<br />

auch nach innen.<br />

Der Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens knüpft an Jesu eigenes Wirken und Predigen an.<br />

Jesus von Nazareth erhob den Anspruch, den Willen Gottes und die Nähe der heilvollen Gottesherrschaft<br />

vollmächtig zu verkündigen. Diesen Anspruch hat Jesus in seinem Leben und in seinem<br />

Sterben bestätigt; gerade deshalb ist es ein verhängnisvoller Irrtum, wenn der Wahrheitsanspruch<br />

des Glaubens <strong>mit</strong> einem Anspruch der Kirche auf äußere Macht verbunden oder gar <strong>mit</strong> ihm verwechselt<br />

wird.<br />

<strong>Mission</strong> geschieht nicht nur in Anknüpfung an bestehende Verhältnisse; sie geschieht auch im<br />

Widerspruch zu ihnen, denn die Botschaft des Evangeliums begegnet stets Menschen, die in<br />

irgendeiner Weise immer schon in religiösen (oder auch pseudo-religiösen) Bindungen leben. Dies<br />

hat zur Folge, daß <strong>Mission</strong> ganz von selbst zum <strong>Dialog</strong> wird zwischen der christlichen<br />

Verkündigung und jener Religiosität, der sie jeweils begegnet. Dieser <strong>Dialog</strong> ist kein<br />

unverbindlicher „Meinungsaustausch“, so sehr gegenseitiges Informieren und Kennenlernen dabei<br />

eine Rolle spielen; der <strong>Dialog</strong> darf auch nicht als ein bloßes Kräftemessen verstanden werden, in<br />

dem es darum geht, daß sich die eine oder die andere Seite am Ende durchsetzt, sich als<br />

„erfolgreich“ erweist. Vom Evangelium her muß dieser <strong>Dialog</strong> vielmehr in Anerkennung der<br />

Andersartigkeit des <strong>Dialog</strong>partners und in Nächstenliebe geführt werden, ohne daß die<br />

Überzeugung, die christliche Botschaft verkündige Gottes Wahrheit, dabei preisgegeben wird. Es<br />

gilt, daß die Mittel und die Wege der missionarischen Verkündigung unter keinen Umständen in<br />

Widerspruch geraten dürfen zum Inhalt der verkündigten Botschaft.<br />

Zu der Frage, was „<strong>Dialog</strong>“ für die Kirche im einzelnen bedeutet, heißt es in einem im Jahre 1994<br />

von der Vollversammlung der Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft in Wien einstimmig<br />

angenommenen Dokument <strong>mit</strong> dem Titel „Die Kirche Jesu Christi“:<br />

„In der pluralistischen offenen Gesellschaft begegnen die Kirchen unterschiedlichen Weltanschauungen<br />

und <strong>Religionen</strong>. Der <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> ihnen wird auf verschiedenen Ebenen geführt. Er hat für die<br />

Kirchen ein unterschiedliches Gewicht und ist von unterschiedlicher Intensität und Qualität.<br />

Für die Kirchen gilt, daß sie angesichts der <strong>Religionen</strong> und religiösen Gemeinschaften, denen sie<br />

begegnen, ihre Gotteserkenntnis nicht zugunsten einer neutralen Weltanschauung aufgeben können.<br />

Was Christen von <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> und der Verehrung anderer Götter wahrnehmen und verstehen,<br />

sehen und beurteilen sie im Horizont ihrer Erkenntnis des als wahrer Gott und wahrer Mensch<br />

offenbaren Jesus Christus. Das bedeutet nicht Absage an den <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> den <strong>Religionen</strong>. Im Gegenteil!<br />

Im <strong>Dialog</strong> soll der Versuch gemacht werden, andere <strong>Religionen</strong> zu verstehen, Mißverständnisse<br />

auszuräumen, Vorurteile zu beseitigen, wirkliche Gemeinsamkeiten zu entdecken, scheinbare als<br />

solche zu durchschauen und den eigenen Wahrnehmungshorizont zu erweitern.<br />

Da das 1. Gebot und seine christologische Wiederholung etwa in Joh 14,6 oder 10,7-9 gelten, muß<br />

sich der Glaube jedoch zugleich kritisch gegen jedwede Verehrung fremder Götter und jedwede<br />

Aufrichtung fremder Ideologien wenden. Glaube ist und bleibt Religionskritik. Solche Kritik richtet<br />

sich auch gegen falsche Gottesverehrung in der Kirche. Zugleich macht sie nicht halt vor <strong>anderen</strong><br />

<strong>Religionen</strong>. <strong>Dialog</strong> ist nicht Ersatz für Zeugnis und <strong>Mission</strong>. Aber der Glaube an den Gott, der in<br />

Jesus Christus für alle Menschen handelt und den die Christen als Schöpfer, Erhalter, Versöhner<br />

und Erlöser der Welt bekennen, befähigt bei aller Kritik der <strong>Religionen</strong> auch zur Wahrnehmung des<br />

Anliegens und Sinns im Kultus und in der Vorstellungswelt anderer <strong>Religionen</strong>, ja sogar von<br />

Wahrheitsmomenten der Gottesverehrung und Gottesvorstellung in ihnen. Synkretistische Harmoni-


– 8 –<br />

sierungen oder Systematisierungen der Wahrheitsmomente in <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> zu einer neuen<br />

Überreligion sind freilich für den Glauben ausgeschlossen. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus<br />

ist ihm die ständige Erinnerung an die Grenze des <strong>Dialog</strong>s zwischen den <strong>Religionen</strong>. Christen<br />

schulden allen Menschen, auch den Vertretern anderer <strong>Religionen</strong>, die Klarheit ihres Glaubens- und<br />

Lebenszeugnisses.“ 1<br />

Es wäre also ein Mißverständnis des Wesens der Kirche und ein Mißverständnis des christlichen<br />

Glaubens, wollten wir den <strong>Dialog</strong> an die Stelle der <strong>Mission</strong> setzen - so, als handelte es sich dabei<br />

um zwei einander ausschließende Alternativen. <strong>Mission</strong>, gerade auch die <strong>Mission</strong>spredigt, ist dialogisch,<br />

weil sie auf die Hörenden eingeht und sie ernst nimmt; wo dies nicht der Fall ist, wie es<br />

freilich in der Kirchengeschichte immer wieder vorkam, da hat die Kirche den ihr gegebenen <strong>Mission</strong>sauftrag<br />

mißverstanden.<br />

1 Die Kirche Jesu Christi - Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen <strong>Dialog</strong> über die kirchliche Einheit.<br />

Leuenberger Texte 1, hg. v. W. Hüffmeier, Frankfurt am Main 1995, S. 53 f.


III. <strong>Mission</strong> und Evangelisation<br />

1. Geschichte der <strong>Mission</strong><br />

– 9 –<br />

Christlicher Glaube und <strong>Mission</strong> gehören zusammen wie Feuer und Glut. Wer das Evangelium <strong>mit</strong><br />

<strong>anderen</strong> teilt, der empfängt es neu. Wenn Christinnen und Christen das Evangelium verkündigen<br />

und ihm gemäß leben, dann sind sie missionarisch. Die biblisch begründete <strong>Mission</strong>stätigkeit ist<br />

Lebens- und Wesensäußerung der Kirche.<br />

<strong>Mission</strong> ist in der Geschichte als belastend, aber auch als befreiend erfahren worden. Daher zeigt<br />

sich die Geschichte der <strong>Mission</strong>stätigkeit der Kirche ambivalent. Sie hat zwei Seiten.<br />

Einerseits haben <strong>Mission</strong>are aus innerer Berufung heraus das Evangelium zu Menschen gebracht,<br />

die es noch nicht kannten. Sie haben es - zum Teil vor jeder katechetischen oder homiletischen Entfaltung<br />

- <strong>mit</strong> den Menschen in <strong>anderen</strong> Kulturen glaubwürdig und einladend gelebt. Sie bauten<br />

Schulen, Krankenstationen, lehrten Ackerbau und Viehzucht, übersetzten die Bibel in die jeweilige<br />

Landessprache, „missionierten“ aber vor allem durch ihr Lebensbeispiel, und das ohne eine finanzielle<br />

Absicherung durch ihre Aussendungskirche.<br />

Die Pioniermission von August Hermann Francke und der Herrnhuter Brüdergemeine des 18. Jahrhunderts<br />

zeigt dies an eindrücklichen Beispielen. Das Ziel ihrer <strong>Mission</strong>stätigkeit war auf die<br />

Ermöglichung einer sprachlich und kulturell eigenständigen Kirche ausgerichtet, die in<br />

ökumenischen Beziehungen stand zu der Entsendungskirche, die aber ihren Zeugnisauftrag in ihrer<br />

Umwelt wesentlich durch einheimische Mitarbeitende wahrnahm.<br />

Sowohl die „kontextuelle Verkündigung des Evangeliums in allen Kulturen als auch die verändernde<br />

Kraft des Evangeliums in jeder Kultur“ 1 zu bezeugen, war Anliegen einer solchen <strong>Mission</strong>. Denn<br />

nur so ist <strong>Mission</strong> nicht Selbstzweck, sondern Nachvollzug des universalen apostolischen Dienstes,<br />

der jeden Herrschaftsanspruch gegenüber Menschen und ihren Kulturen verbietet, weil sie da<strong>mit</strong><br />

rechnet, daß ihre <strong>Mission</strong> stets eine neue Kirche entstehen läßt, die ihre eigene Identität findet und<br />

lebt. Die Selbständigkeit der Profile der einst so genannten „<strong>Mission</strong>skirchen“ der 3. und 4. Welt<br />

geben darüber Zeugnis. Vielfach ist ein gutes Andenken an die <strong>Mission</strong>arsfamilien, die kamen und<br />

das Leben und die Bibel <strong>mit</strong> den Einheimischen teilten, in ihnen wach geblieben. Die Anpassung an<br />

eine fremde Kultur, das Erlernen der dortigen Umgangssprache und der Verzicht auf den gewohnten<br />

Lebensstil wurden von <strong>Mission</strong>arsfamilien schon zu früheren Zeiten praktiziert. Sie gehören zu den<br />

Erfordernissen jeglichen missionarischen Dienstes in einem fremden Land. Dieser <strong>Mission</strong>sdienst<br />

ist inzwischen nicht mehr auf die Kirchen des Westens beschränkt. Die Kirchen in Übersee, die<br />

sogenannten Jungen Kirchen, entsenden ihrerseits <strong>Mission</strong>are und <strong>Mission</strong>arinnen zu uns, um hier<br />

in volkskirchlicher Situation <strong>mit</strong> ihren Anteilen an Entkirchlichung und Glaubensvergessenheit und<br />

-distanziertheit das Evangelium neuer Weise zu den Menschen zu bringen. Wir sprechen deshalb<br />

von einer „<strong>Mission</strong> in sechs Kontinenten“.<br />

Andererseits ist die Geschichte der kirchlichen <strong>Mission</strong>stätigkeit aber auch als sehr belastend erfahren<br />

worden. Mit Begriffen wie Evangelisation, Volksmission, Weltmission verknüpften sich in der<br />

Vergangenheit oftmals Formen und Methoden, die Zwang, gewaltsame Bekehrung und Unfreiheit<br />

brachten. Die unselige Verbindung von <strong>Mission</strong> <strong>mit</strong> europäischem Überlegenheitsbewußtsein und<br />

expansiven Herrschaftsansprüchen hat dazu beigetragen, daß einheimische Kulturen in <strong>Mission</strong>sgebieten<br />

zerstört wurden, und daß gewaltsame Intoleranz gegenüber Andersgläubigen die Predigt von<br />

der christlichen Nächstenliebe pervertierte; die Verbindung von missionarischen Aktivitäten <strong>mit</strong><br />

imperialistischen und kolonialistischen Interessen widersprach dem Grundanliegen der <strong>Mission</strong>,<br />

Menschen die gute, befreiende Botschaft des Evangeliums zu bringen.<br />

1 W. Müller-Römheld (Hrsg.), Bericht aus Vancouver 1983. Offizieller Bericht der Sechsten Vollversammlung des<br />

Ökumenischen Rates der Kirchen, Frankfurt/M. 1983, S. 261.


– 10 –<br />

Liturg: Laßt uns unsere unterschiedliche Geschichte und unsere unterschiedlichen Erfahrungen zu unserem Herrn bringen<br />

in Danksagung, Bekenntnis und Gebet.<br />

Sprecher aus Deutschland: Herr, du hast die Boten des Evangeliums vor vielen Jahren zu uns nach Deutschland gesandt<br />

und deine Kirche in unserem Volk Wurzeln schlagen lassen. Du hast dich ihrer in der Zeit der Reformation erbarmt<br />

und dein Evangelium neu ans Licht gebracht. Unsere Väter und Mütter haben sich von dir senden lassen und<br />

deine frohe Botschaft in andere Länder der Welt hineingetragen. Wir danken dir für dein Wirken in unserer Geschichte<br />

und preisen deinen Namen. Vor dir erkennen wir aber auch unsere Schwächen und unsere Fehler. Wir waren oft zu<br />

selbstsicher und haben dann die Vorstellungen und Ausdrucksformen unseres Glaubens zum Maßstab für andere gemacht.<br />

Zu Zeiten haben wir uns vom Geist des Kolonialismus anstecken lassen als wäre die weiße Rasse den <strong>anderen</strong><br />

überlegen. Wir haben an vielen Stellen zu lange die Leitung der Gemeinden in der Hand behalten und Entscheidungen<br />

allein getroffen. Vergib uns unsere Schuld um Jesu Christi willen.<br />

Wir danken dir, daß wir in den letzten Jahrzehnten <strong>mit</strong> unserem Partnerkirchen immer enger zusammengewachsen sind<br />

und deinen Auftrag der <strong>Mission</strong> nun gemeinsam <strong>mit</strong> ihnen wahrnehmen können. Segne du unseren Zusammenschluß<br />

und erfülle uns <strong>mit</strong> deinem heiligen Geist, da<strong>mit</strong> wir dein Evangelium gemeinsam glaubwürdig bezeugen.<br />

Gemeinde:<br />

Kyrie eleison, kyrie eleison, kyrie eleison.<br />

Sprecher aus Afrika: Herr, dein Wort ist schon zu den Zeiten der Apostel nach Afrika gekommen. In den letzten Jahrhunderten<br />

hast du Boten des Evangeliums in alle Teile unseres Kontinents gesandt und überall deine Kirche wachsen<br />

lassen. In vielen Ländern waren Menschen bereit, für ihren Glauben an dich zu leiden und zu sterben. Viele Christen<br />

geben deine Botschaft <strong>mit</strong> Freuden weiter und deine Gemeinde wächst. Wir danken dir für dein Wirken unter uns und<br />

preisen deinen Namen. Vor dir erkennen wir aber auch unsere Schwächen und unsere Fehler. Wir sind zu oft den konfessionellen<br />

Traditionen gefolgt, die uns die <strong>Mission</strong>are gebracht haben. Manchmal haben wir die Eigenheiten unserer<br />

Völker und Stämme zu ängstlich festgehalten und zugesehen, wie deine Kirche in Ethnien gespalten wurde. Vergib uns<br />

unsere Schuld um Jesu Christi willen.<br />

Wir danken dir, daß du uns in den letzten Jahrzehnten in die Weite geführt hast und wir an der <strong>Mission</strong> unserer Partnerkirchen<br />

in Deutschland und Asien teilnehmen können. Hilf uns, daß wir weiter <strong>mit</strong> ihnen zusammenwachsen und unsere<br />

Gaben <strong>mit</strong> ihnen teilen. Segne du unsere Gemeinschaft, da<strong>mit</strong> alle Menschen in unseren Ländern deine Liebe erfahren.<br />

Gemeinde:<br />

Kyrie eleison, kyrie eleison, kyrie eleison.<br />

Sprecher aus Asien: Herr, das Evangelium ist zuerst von unserem Kontinent Asien ausgegangen und auch nach Europa<br />

gekommen. Von dort haben es deine Boten dann in viele Teile unseres Erdteils gebracht. In<strong>mit</strong>ten der alten <strong>Religionen</strong><br />

und Kulturen unserer Völker hat deine Kirche eine Heimat gefunden. In vielen Ländern sind die Christen eine Minderheit,<br />

oft vom Mißverständnis der Nachbarn und dem Mißtrauen der Mächtigen umgeben. Aber deine Gemeinde lebt und<br />

bezeugt dich durch Wort und Tat und durch ihren Dienst in der Gesellschaft. Wir danken dir für dein Wirken in unserem<br />

Erdteil und preisen deinen Namen.<br />

Vor dir erkennen wir aber auch unsere Schwächen und unsere Fehler. Wir waren oft zu kleingläubig und verzagt, das<br />

Gespräch <strong>mit</strong> den <strong>Religionen</strong> aufzunehmen, die in unserem Kontinent zu Hause sind. Vielfach haben wir zu schüchtern<br />

die reiche Kultur unserer Völker als Erbe in deine Kirche eingebracht und uns zu lange an die Formen geklammert, die<br />

aus Europa und Amerika zu uns gekommen sind. So ist in vielen Ländern der christliche Glaube als ausländische Religion<br />

angesehen worden. Vergib uns unsere Schuld um Jesu Christi willen.<br />

Wir danken dir, daß wir in den letzten Jahrzehnten Christen und Kirchen aus Deutschland und Afrika als Brüder und<br />

Schwestern gewonnen haben, <strong>mit</strong> denen wir unseren Glauben teilen und von denen wir lernen können. Laß die gegenseitige<br />

Liebe und Hilfsbereitschaft unter uns wachsen. Segne unsere Gemeinschaft um der vielen Menschen willen, unter<br />

denen wir leben.<br />

Gemeinde:<br />

Kyrie eleison, kyrie eleison, kyrie eleison.<br />

(Aus dem Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung der VEM/ UiM am 2. Juni 1996 in Bethel)


2. Evangelisation<br />

– 11 –<br />

Eine Form von <strong>Mission</strong> ist die Evangelisation. Auch sie ist durch ihre geschichtlichen Ausprägungen<br />

ambivalent, hat zwei Seiten. Evangelisation ist einerseits die öffentliche, werbende, an den Hörenden<br />

orientierte und auf Christus bezogene Verkündigung, die zu einem Leben in der Nachfolge<br />

Jesu Christi und in der Gemeinde einladen will. Evangelisation wurde aber andererseits in ihrer<br />

Vergangenheit oft <strong>mit</strong> dränglerischen Elementen, <strong>mit</strong> persönlicher Nötigung und Manipulation verbunden,<br />

so daß heute viele Menschen dieser Verkündigungsform kritisch und distanziert begegnen.<br />

Evangelisation erscheint so auch theologisch verdächtig. Zudem wird heute vielfach der Verdacht<br />

geäußert, daß <strong>mit</strong> Evangelisation lediglich der Versuch umschrieben wird, den kirchlichen Einfluß<br />

in der Gesellschaft zu halten und den Mitgliederbestand der Kirche zu sichern.<br />

Da sich die Evangelisation vornehmlich an den einzelnen wendet, seine Bekehrung zum Zielpunkt<br />

hat, ist ihre Redeweise zuweilen nicht frei von gesetzlich-fordernden Zügen bis hin zur Moralisierung<br />

der Botschaft des Evangeliums. Auch besteht vielfach die Gefahr, daß das besondere Charisma<br />

des Evangelisten und seine Person dominant in den Mittelpunkt gestellt wird, daß der Evangelist<br />

eine situationsunabhängige, zeitlose Verkündigung praktiziert, die die Lebenswirklichkeiten der<br />

Menschen, an die sie sich richtet, ausblendet und sie zu bloßen <strong>Mission</strong>sobjekten macht, die selber<br />

nicht in ein dialogisches Geschehen über den Glauben <strong>mit</strong> einbezogen werden.<br />

Unter dem Begriff der Evangelisation können positiv alle Bemühungen zusammengefaßt werden,<br />

Menschen auf eine elementare und ihrem Sprach- und Verstehensmöglichkeiten angemessene Weise<br />

das Evangelium persönlich zuzusprechen. Ist es doch ihr Ziel, Menschen zu einer persönlichen<br />

Entscheidung für den Glauben an Jesus Christus einzuladen. Die Besonderheit der Evangelisation<br />

besteht darin, daß sie sich ausdrücklich an Menschen wendet, die gegenüber dem Glauben und der<br />

Kirche ein eher distanziertes, partiell entfremdetes Verhältnis haben, gleichwohl aber noch Kirchen<strong>mit</strong>glieder<br />

sind. In ihrem Grundanliegen ist die Evangelisation so<strong>mit</strong> eine bestimmte Form der<br />

<strong>Mission</strong>; sie hat ihren besonderen Akzent darin, daß sie in einem bereits christianisierten Kontext<br />

geschieht und sich unter ausdrücklicher Berücksichtigung nationaler Prägungen und Bedingtheiten<br />

als Volksmission an Menschen des eigenen Lebensraumes wendet. Evangelisation wird dabei oft als<br />

ein ergänzendes Angebot zu den schon bestehenden kirchlichen Verkündigungsformen und -<strong>mit</strong>teln<br />

verstanden, das dazu dienen soll, Kommunikationsbarrieren abzubauen und eine höhere Beteiligung<br />

an Glauben und Gemeinschaft zu erreichen.<br />

3. Evangelisation und <strong>Mission</strong><br />

Bis in die 50er Jahre hinein wurden <strong>Mission</strong> und Evangelisation einander so zugeordnet, daß <strong>Mission</strong><br />

sich vornehmlich an Menschen wendet, die noch nicht Christen sind, Evangelisation vornehmlich<br />

an Menschen, die nicht mehr Christen sind. Diese Unterscheidung ist jedoch zunehmend kritisiert<br />

worden, weil die Probleme der Verkündigung des Evangeliums in vielen Teilen der Welt im<br />

Grundsatz ähnlich sind. <strong>Mission</strong> als Weltmission zielt nicht mehr auf eine geographische kontinentale<br />

Grenzüberschreitung, was sie von der Volksmission unterscheiden würde, sondern sie ist nicht<br />

anders als die Evangelisation orientiert an der Grenze zwischen Glauben und Unglauben. Diese<br />

Grenze aber verläuft quer zu allen geschichtlichen Ausprägungen auf jedem Kontinent. Die alten<br />

Unterscheidungen von Weltmission und Volksmission, <strong>Mission</strong> und Evangelisation sind überholt,<br />

die Begriffe sind austauschbar geworden. Und dieses auch unter dem Gesichtspunkt, daß sich unsere<br />

Gesellschaft mehr und mehr in eine multikulturelle und multireligiöse gewandelt hat und wir daher<br />

immer auch die „Welt“ in der eigenen Nachbarschaft, vor unserer Haustür und in uns selbst haben.<br />

Die Ver<strong>mit</strong>tlung des Evangeliums in fremde kulturell-religiöse Kontexte hinein stellt sich von daher<br />

auch als ein volksmissionarisches Problem, als eine Anfrage an die Evangelisation dar. Demgemäß<br />

werden <strong>mit</strong> <strong>Mission</strong> und Evangelisation umfassende Aufgaben beschrieben, die der Kirche als


– 12 –<br />

Dienst an der Welt aufgetragen sind, wobei soziale, politische und ideologische, ethnische, kulturelle,<br />

religiöse Bedingtheiten als Kontexte der Verkündigung des Evangeliums einzubeziehen sind.<br />

Evangelisation ist dann <strong>Mission</strong> im eigenen Kontext und da<strong>mit</strong> eine Dimension der umfassenden<br />

<strong>Mission</strong> Gottes, der missio Dei. Denn die Sammlung und Sendung der Gemeinde Jesu durch Gott<br />

zu Zeugnis, Dienst und Gemeinschaft wendet sich an Christen und Nichtchristen in gleicher Weise.<br />

<strong>Mission</strong>arische und evangelistische Verkündigung sind in der heutigen Kommunikationsgesellschaft<br />

zu neuen Formen herausgefordert; Christinnen und Christen versuchen einladend, elementar<br />

und dialogisch, das Evangelium in verschiedene Lebenskontexte hinein verstehbar zu machen und<br />

zu „inkulturieren“. Dabei sind Verkündigung und Diakonie, Glauben und Weltverantwortung nicht<br />

voneinander zu trennen. War <strong>Mission</strong> früher vorwiegend <strong>mit</strong> dem Überschreiten kontinentaler<br />

Grenzen verbunden, so verstärkt sich heute die Einsicht, daß missionarische Arbeit immer als<br />

„Volksmission“ zu konkretisieren ist. Denn es ist sowohl weltweit zu denken und zu planen als<br />

auch lokal und kontextuell zu handeln: Die Frucht der <strong>Mission</strong> und zugleich ihre Aufgabe ist eine<br />

weltumspannende Kirche Jesu Christi; ihr Ziel ist die Erneuerung der einen, unteilbaren Welt Gottes.<br />

In der Geschichte des Protestantismus hat es stets zwei unterschiedliche Akzente im <strong>Mission</strong>sverständnis<br />

gegeben: die eine Seite betonte die Verkündigung der christlichen Botschaft zum Heil, die<br />

andere das sozialdiakonische und entwicklungspolitische Engagement der konkreten Hilfe zum<br />

Wohl der Menschen. Eine Trennung von „Heil“ und „Wohl“ ist aber unangebracht, besonders wenn<br />

bei „Heil“ nur an das jenseitige und bei „Wohl“ nur an das diesseitige Ergehen des Menschen gedacht<br />

wird.<br />

Eine Überbetonung der Verkündigung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Hilfe würde nicht<br />

dazu führen, daß die Botschaft des Evangeliums angenommen wird, denn sie bliebe ohne Erfahrungswirklichkeit.<br />

Umgekehrt wäre eine rein praktische Hilfe, der das verkündigte Wort fehlt, weder<br />

eine Einladung zum Glauben noch ein erkennbarer Hinweis auf Gott, der neben dem Wohl auch<br />

das Heil des Menschen verheißt. Ein ganzheitlicher Ansatz, der beides zusammenbringt, ist deshalb<br />

um der Sendung Gottes willen gefordert. Daher gehören auch Weltmission und Evangelisation<br />

zusammen. Das Bekanntmachen des Evangeliums durch Wort und Tat bildet den Kern der Sendung<br />

der Kirche.<br />

Mit dem Begriff „Weltmission“ soll unterstrichen werden, daß <strong>Mission</strong> nicht die Aufgabe nur einiger,<br />

westlicher Kirchen ist, sondern daß sie eine universale Aufgabe der gesamten Kirche darstellt,<br />

die „<strong>Mission</strong> in sechs Kontinenten“ betreibt. Die Verantwortung für die <strong>Mission</strong> der universalen<br />

Kirche liegt zunächst bei der jeweiligen Ortskirche. Da<strong>mit</strong> ist die Unterscheidung zwischen Außen-<br />

und Heimatmission, zwischen Weltmission und Volksmission aufgehoben. <strong>Mission</strong> hat teil an der<br />

missio Dei, an Gottes <strong>Mission</strong> in, <strong>mit</strong> und an der Welt und der Kirche, im Auftrag des Sohnes Gottes<br />

und unter der Leitung des Heiligen Geistes.<br />

Evangelisation bildet dabei den Wesenskern der <strong>Mission</strong> Gottes. Sie bezeugt und proklamiert das<br />

Reich Gottes wie es im Leben, Wirken, Leiden und Auferstehen Jesu Christi erkennbar wird.<br />

Diese Verkündigung vollzieht sich nicht allein im gepredigten Wort, sondern im Rahmen aller Lebensäußerungen<br />

einer Kirche, die sich ihrer Teilhabe an der missio Dei, ihrer Sendung durch Gott<br />

bewußt ist. Die Formen von Evangelisation, Volksmission und Weltmission sollten darum ebenso<br />

einladend und auf die Menschen zugehend, d.h. menschengerecht wie evangeliumsgemäß sein, da<strong>mit</strong><br />

die Botschaft von der freien Gnade Gottes für alle Menschen nicht verdunkelt und unkenntlich<br />

gemacht wird.


– 13 –<br />

Der Zentralausschuß des Ökumenischen Rates der Kirchen hat im Juli 1982 seiner Erklärung zu „<strong>Mission</strong> und<br />

Evangelisation“ folgende einleitende Thesen formuliert:<br />

Die Kirche ist in die Welt gesandt, um Menschen und Nationen zur Buße zu rufen, Vergebung der Sünden und einen<br />

Neuanfang in den Beziehungen <strong>mit</strong> Gott und den Nächsten durch Jesus Christus zu verkünden. Diese evangelistische<br />

Berufung ist heute von neuer Dringlichkeit.<br />

In einer Welt, in der die Zahl der Menschen, die keine Gelegenheit haben, die Geschichte Jesu zu kennen, ständig<br />

wächst, wie notwendig ist es da, dem Zeugnisauftrag der Kirche vielfältig nachzukommen!<br />

In einer Welt, in der die Mehrzahl derer, die Jesus nicht kennen, die Armen dieser Erde sind, denen er das Reich Gottes<br />

verheißen hat, wie unbedingt notwendig ist es da, <strong>mit</strong> ihnen die Gute Nachricht von diesem Reich zu teilen!<br />

In einer Welt, in der Menschen um Gerechtigkeit, Freiheit und Befreiung ringen, oft ohne ihre Hoffnungen verwirklichen<br />

zu können, wie wichtig ist es da, zu verkündigen, daß ihnen das Reich Gottes verheißen ist!<br />

In einer Welt, in der die an den Rand Gedrückten und die Aussteiger der Überflußgesellschaft in Drogen und esoterischen<br />

Kulten verzweifelt nach Trost und Identität suchen, wie dringend notwendig ist es da, anzukündigen, daß er gekommen<br />

ist, da<strong>mit</strong> alle Leben in seiner ganzen Fülle haben (Joh 10,10)!<br />

In einer Welt, in der so viele einen Sinn nur noch in der relativen Sicherheit ihres Überflusses finden, wie notwendig ist<br />

es da, von neuem Jesu Einladung zur Nachfolge, zum Dienst und zum Wagnis zu hören!<br />

In einer Welt, in der so viele Christen nur dem Namen nach Christen sind, wie dringend erforderlich ist es da, sie wieder<br />

zur Leidenschaft ihrer ersten Liebe zu rufen!<br />

In einer Welt, in der Kriege und Kriegsgeschrei die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit gefährden, in der ein<br />

ungeheuerlicher Anteil von Rohstoffen und Menschen im Rüstungswettlauf verbraucht wird, wie entscheidend ist es da,<br />

die Friedensstifter selig zu nennen, von der Überzeugung getragen, daß Gott in Christus alle Schranken niedergerissen<br />

und die Welt <strong>mit</strong> sich selbst versöhnt hat (Eph 2,14; 2 Kor 5,19)!


IV. <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong><br />

1. Angst vor dem <strong>Dialog</strong><br />

– 14 –<br />

„Andererseits frage ich mich, warum so viele Menschen Angst davor haben, sich<br />

auf Fremdes einzulassen, auch wenn es in der eigenen Nachbarschaft zu finden ist.<br />

Wie kommt es, daß gerade im Bereich religiöser Dinge die Diskussion von Angst<br />

bestimmt ist wie an kaum einer <strong>anderen</strong> Stelle?“<br />

[Auszug aus einem Leserbrief in UNSERE KIRCHE 9/96, S. 14].<br />

Beim Stichwort „<strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong>“ werden in der Regel widersprüchliche Reaktionen<br />

hervorgerufen. Es stehen sich gegenüber<br />

• Abwehr und Verurteilung, die sich in Bezichtigungen wie „Verleugnen der eigenen Identität“,<br />

„den Anspruch des Evangeliums nicht mehr ernst nehmen“, und „Leugnung der Gottessohnschaft<br />

Jesu“ niederschlagen können,<br />

• demonstrative Offenheit, die all denen „Kreuzzugsmentalität“ und „<strong>mit</strong>telalterliches Bewußtsein“<br />

unterstellt, die an den <strong>Dialog</strong> auch nur kritische Anfragen richten.<br />

Zwischen diesen beiden extremen Positionen liegen<br />

• Anfragen, in denen sich Unsicherheit meldet: Wie weit darf ich als Christin und Christ im Gespräch<br />

<strong>mit</strong> Menschen anderer Religionszugehörigkeit gehen? Wieweit darf ich mein Gegenüber<br />

von meiner Ansicht überzeugen wollen? Verlangt <strong>Dialog</strong> von mir die Bereitschaft, daß ich Glaubensanliegen,<br />

die mir wichtig sind, verschweige? Wo besteht die Gefahr der Religionsvermischung?<br />

Solche Positionen atmen Angst. Es ist die Angst davor, daß eigene Überzeugungen von <strong>anderen</strong><br />

Menschen in Frage gestellt werden, daß die eigene Sicherheit verloren geht. Es ist die Angst, moralisch<br />

zu versagen und womöglich in die Nähe historischer Fehlentwicklungen (z.B. <strong>Mission</strong>skolonialismus)<br />

zu geraten. Es ist schließlich die Angst, einen Schritt zu wagen, der durch Lehre und Autorität<br />

der Kirche vielleicht nicht abgedeckt sein könnte. Mithin: es sind Ängste, die nicht dem Evangelium<br />

entsprechen. Weder haben die Ängstlichen Recht, die vermuten, im <strong>Dialog</strong> sei von vornherein<br />

die christliche Identität geleugnet noch ist denen zuzustimmen, die meinen, schon die Frage<br />

nach dem Bewahren der christlichen Identität im <strong>Dialog</strong> sei überholt. Denen, die zwischen diesen<br />

Positionen stehen, ist Mut zu machen, dem <strong>Dialog</strong> zwischen den <strong>Religionen</strong> ohne Ängste zu begegnen,<br />

sich nach den eigenen Möglichkeiten daran zu beteiligen. Angst vor dem <strong>Dialog</strong> mag sozialpsychologisch<br />

nachvollziehbar sein, sie kann aber nicht theologisch legitimiert werden. Die Sorge,<br />

die christliche Wahrheit könnte im Gespräch verlorengehen, zielt in eine falsche Richtung. Ein<br />

Christ nimmt „die Wahrheit seines Glaubens in Anspruch, wenn er nicht einfach an ihr festhält,<br />

sondern sie im Gespräch <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> gleichsam aufs Spiel setzt und im Andersartigen<br />

neu wiederzufinden versucht“, heißt es in einer grundlegenden kirchlichen Studie, die der Begegnung<br />

<strong>mit</strong> Religion und <strong>Religionen</strong> gewidmet ist. 1 Der <strong>Dialog</strong> bietet also die Chance, in der verstehenden<br />

Begegnung <strong>mit</strong> den <strong>anderen</strong> den eigenen Glauben neu zu entdecken.<br />

1 <strong>Religionen</strong>, Religiosität und christlicher Glaube. Eine Studie hrsg. im Auftrag des Vorstandes der Arnoldshainer<br />

Konferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands von der Ge-<br />

schäftsstelle der Arnoldshainer Konferenz und dem Lutherischen Kirchenamt Hannover, Gütersloh 1993, 3. Aufl.,<br />

S. 124.


– 15 –<br />

Das christliche Zeugnis legt die Glaubenden nicht auf einen unverrückbaren Standpunkt fest. Vielmehr<br />

zielt die Auslegung des Evangeliums darauf, daß seine Wahrheit hier und heute gehört und<br />

von den Hörenden verstanden und angeeignet wird. Insofern es auf Aneignung in der konkreten<br />

Situation drängt, ist das Evangelium selbst dialogisch ausgerichtet.<br />

2. <strong>Dialog</strong> ist notwendig<br />

Häufig entscheidet sich die Beurteilung eines <strong>Dialog</strong>es daran, zu welcher Gruppierung oder zu welchem<br />

Arbeitsbereich innerhalb der Kirche der oder die Urteilende gehört. Entsprechend der eigenen<br />

Situation und Lebenswelt, dem eigenen Milieu, ist auch die Fähigkeit zur Begegnung <strong>mit</strong> den Menschen,<br />

die aus <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> und Kulturen herkommen, mehr oder weniger ausgebildet.<br />

Vergleichbares gilt für den <strong>Dialog</strong> innerhalb unserer Ortsgemeinden. Auch hier ist die Beurteilung<br />

des <strong>Dialog</strong>es geprägt vom kirchlichen Milieu, d.h. der Tradition oder der Gruppierung, der sich die<br />

oder der einzelne zuschreibt. Nun ist die Bindung an eine spezifische Herkunft und Glaubensprägung<br />

sicher nicht zu verurteilen. Sie kennzeichnet schließlich eine an Traditionen reiche Vielfalt der<br />

Kirche. Heikel wird es allerdings dann, wenn diese Prägung zur Befangenheit wird und sich absolut<br />

setzt, und das heißt auch, sich verurteilend über abweichende Überlieferungen hinwegsetzt. Solche<br />

milieuspezifische Befangenheit dient der Verkündigung und der Auslegung des Evangeliums in<br />

unterschiedlichen Kontexten gewiß nicht. Es ist vielmehr wichtig, gerade <strong>mit</strong> denen ins Gespräch zu<br />

kommen, die andere Frömmigkeitsformen und andere Überzeugungen haben. Zu diesen '<strong>anderen</strong>'<br />

gehören auch die Menschen anderer Religionszugehörigkeit.<br />

Die Notwendigkeit, dialogfähig zu werden, ergibt sich aus der vielgestaltigen Anwesenheit anderer<br />

<strong>Religionen</strong> und Kulturen in unserem Alltag. Christliche Gemeinden existieren nicht in einer<br />

geschlossenen christlichen Welt. Längst ist es nicht mehr nur Abenteurern vorbehalten, fremde<br />

Kulturen und Religionspraktiken kennenzulernen. Das Aufbrechen nationaler und wirtschaftlicher<br />

Schranken bringt Fremdes in unseren Lebenskontext. Andere <strong>Religionen</strong> begegnen uns in der<br />

Nachbarschaft, in den Schulen und im Beruf. Die <strong>Dialog</strong>fähigkeit christlicher Gemeinden ist ein<br />

notwendiger Schritt, das Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen zu gestalten. Die Religion<br />

der Menschen ist eine wesentliche Ausdrucksform ihrer Existenzweise. Wollten wir versuchen, im<br />

Zusammenfinden unterschiedlicher Kulturen das Gespräch über die Religion in den Begegnungen<br />

auszuklammern, so würde dem Zusammenleben die Grundlage genommen, durch die es überhaupt<br />

erst möglich und tragfähig wird.<br />

<strong>Dialog</strong>fähigkeit ist aber keineswegs nur notwendig angesichts der Begegnung <strong>mit</strong> Menschen anderer<br />

kultureller und religiöser Herkunft. <strong>Dialog</strong>fähigkeit der Gemeinde ist vonnöten auch angesichts der<br />

Veränderungen in den eigenen kulturellen und religiösen Traditionen. Die Freiheit, in der andere<br />

Lebensorientierungen und Erfahrungsmöglichkeiten gesucht, gewählt und gefunden werden können,<br />

hat nicht selten die Auflösung traditioneller Lebensformen in unserer Gesellschaft zur Folge. Zur<br />

selbstgewählten Lebensform gehört auch die selbstgewählte Religionspraxis. Selbst diejenigen, die<br />

in christlichen Traditionen aufgewachsen sind, entscheiden sich nicht in jedem Falle für die christliche<br />

Religion. Gesprächsbereitschaft ist deshalb auch in der Begegnung <strong>mit</strong> Menschen verlangt, die<br />

ihre Religiosität zwar nicht mehr in Verbundenheit <strong>mit</strong> einer der christlichen Kirchen leben und<br />

gestalten möchten, religiösen Erfahrungen aber durchaus offen gegenüberstehen.<br />

Nun wäre denkbar, daß die christliche Gemeinde diese beiden benannten Prozesse der<br />

Multikulturalität und der Pluralität als etwas wahrnimmt, was sie eigentlich nicht berührt, oder<br />

schärfer noch: was über sie hereinbricht und was sie abzuwehren hätte. Kirchlich ungebundene<br />

Religiosität und vor allem auch fremde <strong>Religionen</strong> müßten dann unter dem Wahrheitsanspruch, der<br />

dem Christentum vorbehalten ist, zurückgewiesen und verurteilt werden. Die christliche Kirche<br />

wäre aber schlecht beraten, wenn sie die religiöse Suche vieler Menschen von vornherein als einen<br />

der Offenbarung widersprechenden Irrweg ablehnte. Sie wäre theologisch schlecht beraten, wenn sie<br />

die Offenbarung Gottes <strong>mit</strong> dem Tradition gewordenen Bekenntnis der Kirche gleichsetzte. Sie<br />

wäre seelsorglich schlecht beraten, wenn sie die Fragen und die Suchbewegung derer, denen das


– 16 –<br />

sorglich schlecht beraten, wenn sie die Fragen und die Suchbewegung derer, denen das Evangelium<br />

gilt, durch dogmatisch festgelegte Antworten meinte abwerten oder außer Kraft setzen zu können.<br />

Die Verbindlichkeit des kirchlichen Bekenntnisses besteht nicht in einem Zustimmungsanspruch an<br />

andere, sondern in der freien Anerkennung des Bekenntnisses als derjenigen Interpretation christlichen<br />

Glaubens, an die sich die Bekennenden aus Überzeugung und aufgrund von Erfahrung gebunden<br />

wissen. Die reformatorisch grundlegende Unterscheidung von Offenbarung und Zeugnis ist<br />

Ermöglichung eines Gespräches über den Glauben. Der Glaube ist nicht nur ein Vorgang von Zustimmung<br />

und Ablehnung. Seine Wahrheit erweist der christliche Glaube im Kontext der vielgestaltigen<br />

Erfahrungen der Menschen. Christlicher Glaube lebt vom Vertrauen, daß das Zeugnis der Bibel<br />

sich als verheißungsvolle Zusage für die eigene Gegenwart erweist. Gemäß dieser Zusage ist das<br />

Gespräch über den Glauben, auch <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong>, nicht zu fürchten. Auch die Suche nach<br />

religiöser Erfahrung ist nicht unangemessen. Gesprächsfähigkeit und Erfahrungsoffenheit der<br />

christlichen Gemeinde sind Zeichen für die Erwartung der Wirksamkeit des Heiligen Geistes hier<br />

und heute (Siehe unten VI.1.).<br />

Kirche im Geschehen der missio Dei zu sein heißt, eine solche Kirche zu sein, die die Fragen der<br />

Menschen hört und achtet und die nicht fertige Antworten austeilt; es heißt, eine Kirche zu sein, die<br />

Begegnungs- und Erfahrungsräume öffnet, in denen die Botschaft, die sie bezeugt, als Erfahrung des<br />

Wirkens des Geistes Christi in Freiheit nachvollziehbar wird. <strong>Dialog</strong>fähigkeit zu lernen, bedeutet<br />

auch, den christlichen Glauben als einen Weg religiöser Erfahrung wiederzuentdecken. Es sind <strong>mit</strong>hin<br />

nicht nur die <strong>anderen</strong> Weltreligionen, die die christliche Kirche in den <strong>Dialog</strong> rufen, es sind<br />

auch die vielfältigen, außerhalb der christlichen Kirchen vagabundierenden religiösen Bedürfnisse<br />

heutiger Menschen, die darauf warten, gehört, ernstgenommen und beantwortet zu werden.<br />

3. <strong>Mission</strong> als <strong>Dialog</strong><br />

Der, der von ihm lernen und ihm geben will und<br />

ihn vielleicht dadurch ändern will, aber so, daß er<br />

selber auch bereit ist, vielleicht geändert zu werden:<br />

Das ist ein echter <strong>Dialog</strong>. Wo <strong>Dialog</strong> in diesem<br />

Sinne fehlt, da ist es besser, ihn gar nicht anzufangen.<br />

Wo er aber da ist, da muß ehrliche Kritik<br />

gesagt und angenommen werden.“<br />

(Paul Tillich; Die Absolutheit des Christentums<br />

und die Weltreligionen. Vortrags<strong>mit</strong>schrift im<br />

SDR am 7.12.1963)<br />

Einwände gegen den <strong>Dialog</strong> zwischen den <strong>Religionen</strong> werden häufig aufgrund der Befürchtung geäußert,<br />

eine allzu verständnisvolle Hinwendung zu den <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> bedeute das Ende des<br />

missionarischen Anspruchs des christlichen Glaubens. Ist <strong>mit</strong> dem „Ende der <strong>Mission</strong>“ die Abkehr<br />

von einer missionarischen Praxis gemeint, die von Zwang und Mißachtung anderer Kulturen geprägt<br />

war, dann ist dem Verzicht auf diese <strong>Mission</strong> zuzustimmen. Das ist nicht strittig. Der Begriff<br />

<strong>Dialog</strong> kann aber eine Weise missionarischer Praxis beschreiben, die von der Achtung des Gegenübers<br />

geprägt ist. „Heute kann <strong>Dialog</strong>, wenn er mehr als interreligiöses Palaver sein soll, nicht ohne<br />

Mut zum Zeugnis gelingen; und <strong>Mission</strong> kann in einer freien Gesellschaft nur noch dialogisch vonstatten<br />

gehen.“ 1<br />

1 Hummel, R.: Anderen Glauben respektieren - den eigenen weitersagen - geht das? in: Arbeitsheft Weltmission,<br />

hrsg. vom Evangelischen <strong>Mission</strong>swerk in Deutschland, Hamburg 1996, S. 2.


– 17 –<br />

<strong>Dialog</strong> und <strong>Mission</strong> schließen einander nicht aus, sondern sie sind im Gegenteil <strong>mit</strong>einander zu verbinden.<br />

Mit <strong>Dialog</strong> ist eine Begegnungsweise gemeint, die geprägt ist vom Respekt gegenüber den<br />

Andersgläubigen in ihrer Religiosität, die zugleich auch durchdrungen ist vom Respekt gegenüber<br />

den eigenen Glaubenstraditionen. Diese Regel gilt für das Gespräch <strong>mit</strong> den <strong>anderen</strong> Weltreligionen<br />

ebenso wie für das Gespräch <strong>mit</strong> den nach religiöser Erfahrung suchenden Zeitgenossen. Immer ist<br />

dieses Gespräch von der Überzeugung angeregt, daß das christliche Zeugnis eine Antwort auf die im<br />

Gespräch berührten Fragen anbietet. Es kann nicht gelingen, wenn die christlichen Gesprächspartner<br />

starr (und ängstlich) an formulierten Glaubenspositionen festhalten. Das Gespräch über den Glauben<br />

ist vielmehr gekennzeichnet durch die Freiheit, den Glauben jeweils neu entdecken zu können.<br />

Im <strong>Dialog</strong> steht niemals nur die andere Seite zur Diskussion, zu befragen ist immer auch der eigene<br />

Glaubensweg. <strong>Dialog</strong>bereitschaft bezeichnet so<strong>mit</strong> nicht lediglich Gesprächsbereitschaft und Öffnung<br />

für andere <strong>Religionen</strong>. <strong>Dialog</strong>fähigkeit bezeichnet die Herausforderung, Christsein in einer<br />

multikulturellen, pluralistischen Welt zu leben. Anliegen des <strong>Dialog</strong>es ist nicht die Beschränkung<br />

und Preisgabe des christlichen Zeugnisses, sondern die Suche nach der Wahrheit des dreieinigen<br />

Gottes für diese Welt. Die christliche Identität wird nicht verschwiegen, sondern entfaltet. „Der<br />

Christ führt dies Gespräch im Wissen darum, .... daß ihm im andern die ernste Anfrage begegnet, ob<br />

er sein 'Eigenes' tief und reich genug verstanden und intensiv genug von ihm sich hat durchdringen<br />

lassen. Denn der christliche Glaube ist immer weiter und mehr, als was wir bei uns davon zur Wirkung<br />

kommen lassen.“ 2<br />

2 <strong>Religionen</strong>, Religiosität und christlicher Glaube, aa0 S. 125.


– 18 –<br />

V. <strong>Mission</strong> in der Evangelischen Kirche von Westfalen<br />

1. Der evangelistische Auftrag<br />

Die Synode der Evangelischen Kirche von Westfalen hat bei Überlegungen zum missionarischen<br />

Auftrag der Gemeinde immer wieder Bezug genommen auf die sechste These der Theologischen<br />

Erklärung von Barmen aus dem Jahr 1934:<br />

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20).<br />

„Gottes Wort ist nicht gebunden“ (2 Tim 2,9).<br />

Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt<br />

und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die<br />

Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.<br />

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit<br />

das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter<br />

Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.<br />

Emilio Castro, der frühere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, sagte 1991 in<br />

Canberra: „Unsere Hauptaufgabe besteht darin, eine Geschichte weiterzuerzählen, die in der Krippe<br />

beginnt, sich am Kreuz fortsetzt und ihren Höhepunkt am Morgen der Auferstehung erreicht. Wir<br />

glauben, daß wir hier den Schlüssel der menschlichen Existenz in Händen haben.“<br />

Der eigentliche Inhalt dieser guten Nachricht ist die „freie Gnade Gottes“. Anders gesagt: Gott<br />

nimmt uns an, ohne von uns Vorleistungen zu verlangen. Weil Jesus Christus für uns am Kreuz<br />

gestorben ist, sagt Gott „ja“ zu uns.<br />

Weil Jesus Christus auferstanden ist von den Toten und aufgefahren ist gen Himmel, sind alle<br />

Mächte ihm untertan (Eph 1, 20-23). Er hat auch die Macht des Todes besiegt.<br />

Martin Luther hat sich abgequält <strong>mit</strong> der Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ - bis er zu<br />

der Erkenntnis kam: Nicht wir schaffen es vor Gott gerecht - d.h. Gott recht - zu sein. Nein, Gott hat<br />

schon alles für uns getan. Im glaubendem Vertrauen erfahren wir, daß Gott uns festhält und „der<br />

Gerechte ... aus Glauben leben“ wird (Röm 1,17; Hab 2,4).<br />

Heute fragen die Menschen eher nach dem Sinn des Lebens als nach der Gnade Gottes; sie fühlen<br />

sich vor Gott nicht schuldig, und darum ist die Zusage von Vergebung anscheinend nicht so sehr<br />

gefragt. Aber gerade angesichts der Frage nach dem Sinn und dem Ziel menschlichen Lebens lohnt<br />

es sich, <strong>mit</strong> der guten Nachricht „von der freien Gnade Gottes“ an die Öffentlichkeit zu gehen, weil<br />

die Zusage der Gnade hilft, Zukunft zu eröffnen. Für die Ver<strong>mit</strong>tlung dieser guten Nachricht gibt es<br />

ein weites Feld von Möglichkeiten, angefangen beim persönlichen Zeugnis der einzelnen Christin<br />

und des einzelnen Christen durch Wort und Leben bis hin zum Zeugnis der Kirche in den Massenmedien.<br />

In 2 Kor 5,20 heißt es: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt; denn Gott ermahnt<br />

durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Laßt euch versöhnen <strong>mit</strong> Gott“.<br />

„In dieser von Gott ausgehenden, sie begründenden und durch sie weitergehenden Sendungsbewegung<br />

(Joh 17,18) existiert die Kirche bis zum endgültigen Kommen des Herrn<br />

Jesus Christus (Mt 28,18-20). Sie ist nicht erst Kirche und dann auch noch Sendung,<br />

sondern sie empfängt sich als Sendung aus der Sendung des Sohnes vom Vater. Diese<br />

Sendungsbewegung strukturiert die Kirche.“<br />

(Werner Krusche, Die Gemeinde Jesu Christi in der Welt, in: Schritte und Markierungen,<br />

Göttingen 1971, S. 126)


– 19 –<br />

Der Auftrag der Kirche nach Barmen VI, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten<br />

an alles Volk“, bezieht sich auf den Evangelisationsauftrag der christlichen Gemeinde. Dabei muß<br />

nach zwei Seiten hin argumentiert werden.<br />

• Die leidenschaftlichen Befürworter des evangelistischen Auftrags der Kirche verstehen das Evangelium<br />

als rettende Botschaft und Evangelisation folglich als rettendes, den einzelnen zur<br />

Umkehr und zum Heil einladendes Handeln. Barmen VI spricht sehr deutlich vom Verkündigungsauftrag<br />

der Kirche. Schon in der „Ersten Barmer Erklärung“ vom 4. Januar 1934 heißt es:<br />

„Der Auftrag der Kirche besteht darin, in Auslegung und nach Maßgabe des prophetischenapostolischen<br />

Zeugnisses an Christi Statt und also seinem eigenen Wort und Werk dienend,<br />

durch Predigt und Sakrament die Botschaft von Gottes nahegekommenen Reich auszurichten:<br />

Gott der Schöpfer hat sich seiner Geschöpfe, Gott der Versöhner hat sich der Sünder, Gott der<br />

Erlöser hat sich seiner geliebten Kinder angenommen.“<br />

• Andere fragen demgegenüber, ob Evangelisation heute noch notwendig und zeitgemäß ist. Sie<br />

fragen, ob nicht politischer Gottesdienst und sozialdiakonisches Engagement der Kirche heute<br />

vordringlich sind, um die in Christus geschehene Versöhnung im Dienst an der Welt zu bezeugen?<br />

Der Theologe Karl Barth hat dazu geschrieben: „Das Zeugnis der Gemeinde muß evangelische, sie<br />

muß also eine Anrede sein, in der die Menschen zum vornherein für das in Anspruch genommen<br />

werden, was ihnen als Inhalt des Evangeliums bekannt zu machen ist. Dieser sein Inhalt muß wie<br />

seine Aussage und seine Erklärung, so auch den Appell formen, <strong>mit</strong> welchem sich die Gemeinde an<br />

die Welt wendet. Was bleibt der Gemeinde übrig, als die Menschen, indem sie sie als von Gott Geliebte<br />

erkennt, auch ihrerseits zu lieben und also liebend anzureden ... Ihr Appell muß die Menschen<br />

ohne Umwege und Vorbehalte in den Frieden und in die Ruhe Gottes rufen, zu dem Fest, das ihnen<br />

bereitet ist (Mt 22,4; Lk 14,7), einladen, sie also zur Freude aufrufen. Als dieser evangelische Appell<br />

wird er dann allerdings nicht laut und pointiert genug ergehen können.“ 1<br />

Muß eine missionarische Kirche auch eine missionierende Kirche sein?<br />

Werner Krusche, der frühere Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, hat bereits 1971 <strong>mit</strong> den Stichworten<br />

„Präsenz“ und „Bekehrung“ 2 zwei Antworten auf die Frage nach dem Daseinssinn der von<br />

Jesus Christus berufenen und gesendeten Gemeinde gegeben.<br />

Die eine Antwort zum Stichwort „Bekehrung“ lautet: Die Gemeinde Jesu Christi ist dazu da, in seinem<br />

Namen das Evangelium von der Rettung des Sünders zu den Menschen zu bringen, um sie<br />

zu einer persönlichen Lebensentscheidung für Jesus Christus und in die Gemeinschaft der Glaubenden<br />

zu rufen. Im Pietismus wurde immer wieder betont: Nur ein Bekehrter kann <strong>Mission</strong>ar sein<br />

(Voraussetzung), nur ein Bekehrter will <strong>Mission</strong>ar sein (Motiv), und ein Bekehrter möchte <strong>anderen</strong><br />

zur Bekehrung verhelfen (Ziel).<br />

Die andere Antwort zum Stichwort „Präsenz“ lautet: Die Gemeinde Jesu Christi ist dazu da, in seinem<br />

Namen als seine Dienstschar in geistlicher Verantwortlichkeit für die Welt, in der sie lebt und<br />

deren Nöte die ihren sind, zu erkunden und in Angriff zu nehmen, was der Herr von ihr als Einsatz<br />

ihrer Liebe und als Signal ihrer Hoffnung für die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

getan haben will, ohne daß dabei auf die Gewinnung von Menschen für die Gemeinde abgezielt<br />

wäre.<br />

„Präsenz“ oder „Bekehrung“ dürfen nicht als Alternative gegenüber stehen. Denn die Bekehrung ist<br />

die Antwort auf das Evangelium, die in die Verantwortung für die Welt stellt. Diese Botschaft wird<br />

uns nicht durch Argumentation, sondern durch die Proklamation des Todes und der Auferstehung<br />

1 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/3, Zürich 1959, S. 976.<br />

2 Missio - Präsenz oder Bekehrung? in: Schritte und Markierungen, Göttingen 1971, S. 176.


– 20 –<br />

Jesu Christi ver<strong>mit</strong>telt. Argumentation begleitet dann die Proklamation. Bekehrung ist die persönliche<br />

Lebensentscheidung des einzelnen für Jesus Christus. Sie beinhaltet eine Selbsthingabe und<br />

Lebensbindung an Jesus Christus. Er ist unser Bruder und persönlicher Heiland, das Haupt seiner<br />

Kirche und der Herr der Welt. Die Erneuerung des Lebens ist erfahrbar und von den Mitmenschen<br />

wahrnehmbar.<br />

Man muß kritisch fragen, ob es bei der Betonung der Bekehrung nicht zu einer Individualisierung<br />

des Heils kommt. Das wäre tatsächlich dann eine Verengung, wenn dabei nicht die Botschaft vom<br />

Reich Gottes betont würde. Zwar geht es um die Errettung des einzelnen, aber durch den einzelnen<br />

will Gott sein Reich in dieser Welt aufrichten. Es gehört zur Evangelisation, daß Menschen die Welt<br />

von Jesus Christus her sehen.<br />

Mit dem Begriff „Reich Gottes“ begegnen wir der Mitte der Verkündigung Jesu. Auf das Reich<br />

Gottes ist bei Jesus alles bezogen. Jesus ruft Gottes Herrschaft aus. Gott will sich zu unserem Heil<br />

durchsetzen. Wo Jesus wirkt, begegnen Menschen dem Reich Gottes. Das ist personal - nicht territorial<br />

zu verstehen.<br />

Mit dem Reich Gottes ist unserer Verkündigung das Zentrum vorgegeben. Erst im Zusammenhang<br />

dieses Reiches kommt der einzelne zur Sprache. Das verwehrt uns eine Verkündigung, die lediglich<br />

an unseren Bedürfnissen orientiert wäre, die allein beim Menschen einsetzt und Jesus für menschliche<br />

Zwecke einspannen will. Nicht die Frage, ob der Mensch Jesus gebrauchen kann, darf in unserer<br />

Botschaft im Mittelpunkt stehen, sondern die Tatsache, daß Jesus sich nach dem Menschen sehnt<br />

und ihn gewinnen will für die Sache Gottes in der Welt.<br />

Glaube ist Gottes Geschenk (Eph 2,8). Zum Glauben zu finden, stellt aber nicht einen Endpunkt dar,<br />

sondern so wie die Geburt eines Menschen einen Doppelpunkt setzt, so ist die Wiedergeburt der<br />

Anfang eines Lebens in der Nachfolge Jesu. Der Glaube ist nicht nur Gabe Gottes, sondern zugleich<br />

Aufgabe. Der Mensch wird berufen, Gottes Reich anzusagen und in diesem Reich zu leben.<br />

Die „Botschaft von der freien Gnade Gottes“ kann nicht für sich bleiben. Die Kirche „ist zum<br />

Dienst der Seelsorge und der tätigen Liebe gerufen. Sie hat den Auftrag zum missionarischen Dienst<br />

im eigenen Volk und in der Völkerwelt sowie zur Pflege der ökumenischen Gemeinschaft der Kirche.<br />

Sie stärkt ihre einzelnen Glieder für den Dienst am Nächsten in Familie und Beruf, in Betrieb<br />

und Öffentlichkeit“ (Kirchenordnung der EKvW, Art. 7, Abs.2). An diesem Auftrag hat sich nichts<br />

geändert, auch wenn wir nicht die gleiche Situation haben wie zur Zeit des Kirchenkampfes. Die<br />

Kirche hat eine Botschaft, eine sehr gute Botschaft. Zu ihr gehört, daß sie von Christinnen und<br />

Christen bezeugt und gelebt wird.<br />

2. <strong>Mission</strong>arische Einrichtungen und Arbeitsgemeinschaften<br />

In der Satzung des Volksmissionarischen Amtes der Evangelischen Kirche von Westfalen wird bezug<br />

genommen auf die VI. These der Barmer Theologischen Erklärung: „Das Volksmissionarische<br />

Amt hat die Aufgabe, in den Gemeinden, Kirchenkreisen, Ämtern und Einrichtungen der Evangelischen<br />

Kirche von Westfalen das missionarische Bewußtsein zu fördern und missionarische Dienste<br />

und Aktionen anzuregen, vorzubereiten und durchzuführen. Grundlegend für die Tätigkeit des Amtes<br />

ist die These VI der Barmer Theologischen Erklärung.“<br />

Die missionarische Situation in der westfälischen Kirche wird nicht von der Abnahme traditioneller<br />

Kirchlichkeit her definiert, sondern vom Evangelium her. Sie ist also nicht von feststellbaren wirklichen<br />

Defiziten her motiviert, sondern sie ist im Gegenteil an Gottes Verheißungen orientiert. Jedes<br />

Land der Erde ist <strong>Mission</strong>sland, weil die Versöhnungsbotschaft (2 Kor 5) und die Liebe Gottes<br />

(Joh 3,16) für alle Menschen gültig ist. In diesem Sinne ist die Kirche zwischen Himmelfahrt und<br />

Wiederkunft Christi stets „<strong>Mission</strong>skirche.“


– 21 –<br />

Die wichtigsten Aufgabenbereiche des Volksmissionarischen Amtes sind:<br />

• <strong>Mission</strong>arische Verkündigung<br />

• <strong>Mission</strong>arischer Gemeindeaufbau<br />

• Dienste in der Freizeitseelsorge / „Kirche unterwegs“<br />

• WerbeDienst Westfalen<br />

• Bibelmission<br />

• Sekten- und Weltanschauungsfragen<br />

Die Gemeinden werden angeregt, missionarische Lebensformen (Gemeindeaufbau) zu entwickeln<br />

und auf dieser Basis phantasievolle und zum Glauben einladende Veranstaltungen durchzuführen.<br />

Das Volksmissionarische Amt bemüht sich besonders, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

zu gewinnen und zu fördern. Angeboten werden Schulungen, Einkehrtage, Rüstzeiten, Ermutigungstage<br />

für Mitarbeitende und glaubenstärkende Freizeiten, Seelsorge und Beratungen. Öffentliche<br />

Verkündigung, Gespräche über den Glauben und persönliche Seelsorge gehören hierbei zusammen.<br />

Dabei besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Amt und der „Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>Mission</strong>arischer Gemeindeaufbau“.<br />

Die „Arbeitsgemeinschaft <strong>Mission</strong>arischer Gemeindeaufbau“ wurde 1977 ins Leben gerufen. Viele<br />

Pfarrerinnen und Pfarrer, besonders auch junge Theologinnen und Theologen besuchen die vier<br />

jährlich angebotenen Studientage. Durch die Arbeitsgemeinschaft sind im Laufe der Jahre fruchtbare<br />

Verbindungen zu den Arbeitsbereichen des Amtes entstanden. Besonders gefördert wird dadurch<br />

der Kontakt des Volksmissionarischen Amtes zu den Kirchengemeinden.<br />

Anläßlich eines Pastoralkollegs im Jahre 1989 zum Thema „Die Bedeutung der Spiritualität für den<br />

Gemeindeaufbau“ haben Teilnehmende dem Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen vorgeschlagen,<br />

die Kirchenleitung möge eine „Akademie für missionarischen Gemeindeaufbau“ in der<br />

EKvW einrichten. Es wurde angeregt,<br />

• Modelle des <strong>Mission</strong>arischen Gemeindeaufbaus zu erarbeiten und zu veröffentlichen;<br />

• Ökumenische Konsultationen über <strong>Mission</strong>, Evangelisation, Spiritualität und Gemeindeaufbau<br />

zu ermöglichen;<br />

• Pfarrerinnen und Pfarrer wie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinden Modelle des<br />

<strong>Mission</strong>arischen Gemeindeaufbaus nahezubringen (Werkstatt-Wochen);<br />

• Ehrenamtlich Mitarbeitende in verschiedenen Bereichen zu schulen und zu begleiten.<br />

Diese Anregungen wurden im Beirat für Volksmission beraten und in der Arbeit des Volksmissionarischen<br />

Amtes aufgenommen.<br />

Pfarrerinnen und Pfarrer, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich 1992 zusammengeschlossen<br />

zum „Freundeskreis <strong>Mission</strong>arische Dienste in Westfalen“ (FMD).<br />

Seiner Basisformel liegt die VI. These der Theologischen Erklärung von Barmen zugrunde. Dem<br />

Freundeskreis geht es darum, sich in der Evangelischen Kirche von Westfalen für den missionarischen<br />

Gemeindeaufbau einzusetzen. Das heißt: Der FMD bietet Begleitung an. Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, auch Pfarrerinnen und Pfarrer in der missionarischen Arbeit, wollen sich gegenseitig<br />

beraten, unterstützen, ermutigen und in praktischen Einzelfragen helfen. Wichtig ist in dieser<br />

Gemeinschaft besonders das Hören auf das, was Gott zu sagen hat, und das Gebet füreinander.<br />

Dem Sendungsauftrag Jesu entsprechend will der Freundeskreis wach und aufmerksam sein für die<br />

Fragen und Nöte der Mitmenschen und kirchlich Entfremdete und dem Glauben Fernstehende <strong>mit</strong><br />

dem Evangelium in die Nachfolge Christi einladen. Für die Zukunft erhofft sich der FMD eine Tagungs-<br />

und Begegnungsstätte, ein ‘<strong>Mission</strong>arisches Zentrum’, in dem Gruppen und einzelne Christen<br />

im Glauben, in der Gemeinschaft und im Dienst gestärkt und ermutigt werden zum gemeinsamen<br />

Lob Gottes.


– 22 –<br />

Die Mitarbeiter des Volksmissionarischen Amtes sehen sich seit Jahrzehnten <strong>mit</strong> offenbar von Generation<br />

zu Generation weitergereichten Vorbehalten gegen das missionarische und evangelistische<br />

Wirken in der Kirche konfrontiert. In weiten Teilen der Gemeinden herrscht eine mangelnde oder<br />

nur geringe missionarische Kompetenz.<br />

Hier engagieren sich die Freien Werke, die Verantwortung für Evangelisation und <strong>Mission</strong> in der<br />

Kirche <strong>mit</strong>übernehmen. Sie sind in der Regel durch den Pietismus geprägt. „Zu den wesentlichen<br />

Anliegen des Pietismus gehört die missionarische Arbeit, die sich in vielfältigen Formen vollzieht.<br />

Hier schlägt unser Herz bis heute. Wir rufen unsere Zeitgenossen aus dem Unglauben zum Glauben<br />

an Jesus Christus ... Als Kirche und freie Werke sind wir dazu da, die rettende Jesusbotschaft in<br />

Wort und Tat zu den Menschen zu bringen. Hierin allein liegt unsere Existenzberechtigung.“ 3<br />

Zu den freien Werken innerhalb der Landeskirche zählen sich unter anderem die Jugendverbände<br />

CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) und EC (Deutscher Jugendverband „Entschieden für<br />

Christus“). Die Landeskirchlichen Gemeinschaften, die in Westfalen zum „Westfälischen Gemeinschaftsverband“<br />

(WGV) und zum „Siegerländer Gemeinschaftsverband“ gehören, sind zusammengeschlossen<br />

unter dem Dach des „Evangelischen Gnadauer Verbandes“. Besondere Verantwortung<br />

für Suchtgefährdete übernimmt das „Blaue Kreuz“.<br />

Die freien Werke haben - oft in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> freikirchlichen Gemeinden im Raume der „Evangelischen<br />

Allianz“ - Verantwortung übernommen für evangelistische Veranstaltungen in einem<br />

Ort. Es wurden Zeltmissionsabende durchgeführt. 1993 und 1995 (geplant ist 1997) wurden Veranstaltungsreihen<br />

„Pro Christ“ durchgeführt, die wesentlich durch die freien Werke getragen wurden.<br />

Offene Abende und missionarische Hauskreisarbeit, Bibelabende und missionarische Kinderwochen<br />

sind Formen konkreten evangelistischen Wirkens in den Gemeinden.<br />

3. <strong>Mission</strong> in der „Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen“<br />

<strong>Mission</strong> ist unteilbar. Deshalb gehören Weltmission und Volksmission zusammen. Es gibt nur die<br />

eine <strong>Mission</strong> Gottes. Diese <strong>Mission</strong> geschieht in sechs Kontinenten. <strong>Mission</strong> ist global zu denken;<br />

insofern korrespondieren Weltmission und Ökumene <strong>mit</strong>einander. Konkret geschieht die missionarische<br />

Praxis - regional und lokal - in der Gesellschaft, in der Menschen von ihrem Glauben reden<br />

und das Evangelium <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> teilen. <strong>Mission</strong> geschieht darum in unterschiedlichen Bezügen:<br />

Wie als Weltmission so auch als Volksmission, als Evangelisation und evangelistische Rede, im<br />

Vollzug des Konziliaren Prozesses und als interreligiöser <strong>Dialog</strong>, als Widerstand gegen weltweite<br />

Ungerechtigkeit und als Partizipation an vielen Bemühungen, die Würde des Menschen als Geschöpfes<br />

Gottes zu schützen.<br />

Die „Vereinigte Evangelische <strong>Mission</strong> (VEM)“ in Wuppertal war ein <strong>Mission</strong>swerk. Sie ging aus<br />

zwei klassischen <strong>Mission</strong>sgesellschaften des 19. Jahrhunderts hervor - der Rheinischen <strong>Mission</strong> und<br />

der Bethelmission. 1978 kam noch die Zaire-<strong>Mission</strong> hinzu. Inzwischen ist die VEM in der Gründungsversammlung<br />

von „United in <strong>Mission</strong>“ (UiM) in Bethel im Juni 1996 umgewandelt worden in<br />

eine <strong>Mission</strong>sgemeinschaft von 32 selbständigen Kirchen aus Afrika, Asien und Deutschland sowie<br />

den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. Sie trägt jetzt den Namen „Vereinte Evangelische<br />

<strong>Mission</strong> - Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen“ (VEM).<br />

Wie ist diese Gemeinschaft zu denken? Vertreterinnen und Vertreter von gleichwertigen Kirchen<br />

sitzen gemeinsam am „Runden Tisch“, an dem es kein Oben und kein Unten, keine reinen Empfänger<br />

und keine bloßen Geber gibt, an dem vielmehr gleiche Rechte und gleiche Pflichten wahrgenommen<br />

werden. Spiritualität, Leitungskompetenz, Finanzen und menschliche Ressourcen werden<br />

3 Christoph Morgner, Präses des Evangelischen Gnadauer Verbandes 1993.


– 23 –<br />

<strong>mit</strong>einander geteilt. Die gemeinsame Aufgabe heißt: <strong>Mission</strong> im je eigenen Kontext und auch im<br />

weltweiten Bezug.<br />

Folgende Entwicklungen haben die neue Struktur <strong>mit</strong> vorbereitet:<br />

• Für die Landessynode 1992 wurde die Hauptvorlage „In einem Boot“ erstellt und in der EKvW<br />

in Gemeinden, Werken und Verbänden ausführlich diskutiert. Darin wird festgestellt, daß die<br />

drei Teilbereiche <strong>Mission</strong>, Ökumene und Weltverantwortung wesensmäßig zusammengehören.<br />

<strong>Mission</strong>, ökumenische Weite und weltdiakonischer Bezug gehören in das „eine Boot“.<br />

• Ökumenische Beziehungen der EKvW wurden ausgeweitet und inhaltlich qualifiziert: <strong>mit</strong> der<br />

United Church of Christ in den USA und in Kanada besteht Kirchengemeinschaft; Partnerschaften<br />

zu Kirchen aus dem europäischen Raum, darunter besonders die Beziehung zur Russisch-<br />

Orthodoxen Kirche, wurden vertieft.<br />

• Kirchenkreise in der EKvW haben Partnerschaften <strong>mit</strong> Kirchenkreisen in Asien und Afrika. Diese<br />

Partnerschaften haben im Besucheraustausch, im ökumenischen Lernen und in der konkreten<br />

Projektarbeit ihre klaren Schwerpunkte. Inzwischen pflegen 31 Kirchenkreise innerhalb der<br />

EKvW solche Kirchenkreispartnerschaften.<br />

• Im Gemeindedienst für Weltmission wird missionarische Kompetenz zunehmend auch auf das<br />

„<strong>Mission</strong>sland Deutschland“ bezogen.<br />

Weltmission und Volksmission sind gleichberechtigte Aufgabenbereiche in der einen <strong>Mission</strong> Gottes,<br />

an der wir <strong>mit</strong> unseren missionarischen Aktivitäten Anteil gewinnen. So haben kleine missionarische<br />

Teams im Rahmen der UiM-Bewegung Kurzeinsätze in Kirchenkreisen der EKvW und da<strong>mit</strong><br />

Mitverantwortung für Evangelisation in Deutschland wahrgenommen.<br />

Die Gestaltung von UiM war ein gemeinsamer Weg:<br />

• 1970 erfolgte <strong>mit</strong> der Gründung der Vereinigten Evangelischen <strong>Mission</strong> (VEM) die strukturelle<br />

Integration der <strong>Mission</strong> in die Kirche. Durch landessynodalen Beschluß wurde die VEM das<br />

Sendungsorgan der Landeskirche, die so an der Weltmission Anteil gewinnt. Ihre besondere Motivation<br />

erfährt sie von der Einsicht her, daß <strong>Mission</strong> ein fundamentales Menschenrecht sicherstellen<br />

helfen will, nämlich jedem Menschen die Chance zu geben, Jesus Christus kennenzulernen<br />

und entsprechend das Evangelium zu hören.<br />

• 1978 trafen sich in Bethel Vertreter aller Partnerkirchen der VEM zu einer Konsultation. Dort<br />

wurde beschlossen, sich zu gemeinsamem missionarischen Handeln zu vereinigen. Hier war zunächst<br />

eher an gemeinsame missionarische Programme, noch nicht an eine neue Struktur gedacht.<br />

• Es folgten Konsultationen zu unterschiedlichen Themen, an denen jeweils Vertreterinnen und<br />

Vertreter möglichst aller Partnerkirchen teilnahmen. Probleme von gemeinsamer Bedeutung<br />

wurden diskutiert wie z.B. der <strong>Dialog</strong> von Christen und Muslimen oder der angemessene Umgang<br />

<strong>mit</strong> Charismatikern. In Indonesien befaßte sich eine Konsultation <strong>mit</strong> der Frage der Geltung<br />

der „Adat“, das ist die sittliche Lebensordnung der Batak-Gesellschaften. Eine besondere Arbeitsgruppe<br />

befaßte sich <strong>mit</strong> Fragen der Frauenförderung und dem Abbau von Gewalt gegen<br />

Frauen, vor allem in den Gesellschaften Asiens und Afrikas. Die Partnerkirchen verstärkten ihre<br />

Bemühungen in Richtung auf mehr finanzielle Unabhängigkeit von Zuschüssen aus dem Norden.<br />

In den Mitgliedskirchen, die unterschiedlichen Konfessionen zugehören, wird durchgängig eucharistische<br />

Gastfreundschaft geübt.


– 24 –<br />

• 1988 auf einer Konsultation in Mülheim beschlossen die Partnerkirchen, Strukturen zu entwickeln,<br />

die gleichberechtigte Verantwortung in den Leitungsgremien der <strong>Mission</strong> ermöglichen.<br />

• Im Oktober 1993 wurde in Ramatea/Botswana einstimmig von allen Partnerkirchen eine neue<br />

Satzung beschlossen, die <strong>Mission</strong> in gemeinsamer Verantwortung festschreibt und ein Teilen der<br />

geistlichen, menschlichen und finanziellen Ressourcen vorsieht. Entsprechend wird das gesamte<br />

Vermögen der VEM in die UiM überführt. Ramatea war ein kräftiger Anstoß, <strong>Mission</strong> in weltweiter<br />

Gemeinschaft zu leben. Die Mitgliedskirchen haben in der Folgezeit entweder auf synodaler<br />

oder auf Kirchenleitungsebene diese neue Satzung beschlossen.<br />

• Sie trat auf der Gründungsversammlung von UiM vom 02.-09. Juni 1996 in Bethel in Kraft, an<br />

der 61 Delegierte aus allen 32 Partnerkirchen und den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel<br />

teilnahmen. Die neue <strong>Mission</strong>sgemeinschaft erhielt den Namen United Evangelical <strong>Mission</strong> -<br />

Communion of churches in three continents (UEM) „Vereinte Evangelische <strong>Mission</strong> - Gemeinschaft<br />

von Kirchen in drei Erdteilen“ (VEM). So<strong>mit</strong> wurde das bisher rein deutsch verantwortete<br />

<strong>Mission</strong>swerk in eine internationale, ökumenische <strong>Mission</strong>sgemeinschaft umgewandelt, das<br />

schloß auch die Leitungsverantwortung voll <strong>mit</strong> ein. Moderator wurde Ephorus Dr. Nababan aus<br />

Indonesien; Stellvertreter wurden Bischof Sendoro aus Tanzania und Oberkirchenrat Dr. Beyer<br />

aus der westfälischen Landeskirche.<br />

So klein der Unterschied in der Namensgebung der alten und der neuen VEM ist, so groß sind die<br />

Herausforderungen, die <strong>mit</strong> diesem Wandel verbunden sind. Aus der Einbahnstraße der <strong>Mission</strong>, die<br />

Gesandte vom Norden in den Süden schickte, wird sich ein „Personalaustausch in alle<br />

Himmelsrichtungen“ entwickeln. So arbeiten z.Z. 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den<br />

Kirchen des Südens in Deutschland. Und auch zwischen den Kontinenten Afrika und Asien beginnt<br />

ein Personalaustausch. Da<strong>mit</strong> künftig auf leitender Ebene Gleichberechtigung der Mitgliedskirchen<br />

gewährleistet ist, sieht die Verfassung der neuen <strong>Mission</strong>sgemeinschaft einen Rat <strong>mit</strong> je acht<br />

Delegierten aus den drei Kontinenten vor. Er tagt einmal im Jahr.<br />

Das gemeinsame Aufkommen für den Etat der VEM/UEM, ist Verpflichtung. 4 Das Teilen der<br />

Macht kann als Gewinn angesehen werden, von dem auch die Geber profitieren.<br />

Es wird in Zukunft vor allem darauf ankommen, das ökumenisch-missionarische Anliegen der<br />

„Vereinten Evangelischen <strong>Mission</strong> - Gemeinschaft von Kirchen in drei Erdteilen“ an der Basis, in<br />

den Ortsgemeinden in Asien, Afrika und Deutschland bekanntzumachen, da<strong>mit</strong> die neue Struktur<br />

<strong>mit</strong> Leben erfüllt wird und gemeinsame <strong>Mission</strong> auch wirklich geschieht!<br />

4 1996 waren es 24,5 Millionen DM, von denen 95 % noch aus Deutschland kommen


VI. Teilhabe an der missio Dei<br />

1. Von der Weitergabe des Glaubens<br />

– 25 –<br />

Gott nimmt die Kirche in den Dienst für sein Werben um die Menschen. So wird in der Kirche der<br />

Glaube auf vielfältige Weise weitergegeben. Wenn die Kirche Gottesdienste feiert, diakonische Hilfen<br />

anbietet, kirchlichen Unterricht erteilt, Menschen in Gruppen und Kreisen sammelt, dient das<br />

der Weitergabe und Stärkung des Glaubens ebenso wie die Angebote kirchlicher Bildungsarbeit in<br />

ihren Tagungsstätten und Akademien, durch die Evangelische Erwachsenenbildung und auch durch<br />

die kirchliche Medienarbeit: Kirchenzeitungen, Gemeindebriefe, aber auch die kirchlichen Sendungen<br />

in Radio und Fernsehen sowie Beiträge in Tageszeitungen.<br />

Von unschätzbarer Bedeutung ist die Weitergabe des Glaubens von Person zu Person. Gewiß bleibt<br />

die Familie ein unersetzlicher Raum religiöser Sozialisation von Kindern, aber sie hat sich stark<br />

verändert, und die Fremdbestimmungen des familiären Lebens durch Fernsehen, Arbeitszeiten und<br />

vielfältige außerfamiliäre Verpflichtungen verhindern nicht selten die notwendigen<br />

Kommunikationsmöglichkeiten für den außerordentlich sensiblen Bereich der Weitergabe des<br />

Glaubens.<br />

Während viele Menschen bereit sind, sehr persönliche Belange und Erfahrungen aus allen<br />

Lebensbezügen vor laufenden Fernsehkameras zu berichten und geradezu Lebensbeichten<br />

abzulegen, scheint im familiären Bereich eher Zurückhaltung geübt zu werden, wenn es um die<br />

Mitteilung persönlicher Glaubenserfahrung oder die Übung praktischer Frömmigkeit (Bibellese,<br />

Gebet) geht. Religion ist Privatsache, ist Sache der einzelnen und des einzelnen. Diese Meinung<br />

scheint prägend. Das aber hat zur Folge, daß viele Menschen allein bleiben, in religiöser Hinsicht<br />

vereinsamen, weil sie kaum noch gemeinsame religiöse Erfahrungen haben, über die sie sich auch<br />

nicht austauschen können. So bleibt eine große Scheu, im positiven Sinne von religiösen<br />

Erfahrungen zu berichten, vom eigenen Glauben zu sprechen oder über Inhalte des Glaubens<br />

nachzudenken, wo dies nicht ausdrücklich zum Thema gemacht wird. Menschen, die sich als<br />

engagierte Christen zu erkennen geben, gelten schnell als aufdringlich und „missionarisch“. Von der<br />

eigenen religiösen Erfahrung zu sprechen und da<strong>mit</strong> auch den eigenen Glauben zur Sprache zu<br />

bringen, erfordert nicht nur eine hohe Sensibilität im Umgang <strong>mit</strong> Personen und in der Erfassung<br />

von Situationen, sondern auch eine dem entsprechende Sprachfähigkeit. Die Inhalte des christlichen<br />

Glaubens weiterzusagen, heißt, seine Inhalte selbst zuvor wahrgenommen und durchdacht,<br />

möglichst auch dialogisch eingeübt zu haben, um fähig zu werden, sie wiederum in Sprache<br />

umzusetzen und weiterzugeben. Wer über seinen Glauben sprechen will, dem muß ein gewisses<br />

Grundwissen zur Verfügung stehen, das er in eingängiger Form und Sprache <strong>anderen</strong> weitergeben<br />

kann.<br />

In solchem Grundwissen wird danach gefragt,<br />

• welche Inhalte den Glauben tragen;<br />

• was das Leben der Glaubenden prägt und woran sie ihr Leben ausrichten können;<br />

• welche Wertsetzungen des christlichen Glaubens unaufgebbar sind.<br />

Solches Grundwissen muß in den Lebensbezügen von Menschen erworben und angeeignet werden.<br />

Wie und wo kann dies geschehen?<br />

Zuerst geschieht das durch das Hören und Lesen der biblischen Botschaft von den großen Taten<br />

Gottes an Israel und von Jesus Christus. Sie enthält die Verkündigung Jesu und ist zugleich das<br />

Zeugnis derer, die an Gott glauben und auf Christus vertrauen.<br />

In den biblischen Überlieferungen wird von der Geschichte des Volkes Israel, von dem Gebot, dem<br />

Gesetz Gottes und von der Botschaft der Propheten erzählt. Zudem sollten Christinnen und Christen<br />

vertraut sein <strong>mit</strong> Jesus und seiner Lehre, sie sollten sprechen können von dem Erlösungswerk Chris-


– 26 –<br />

ti, von seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung; sie sollten etwas wissen von der Ausbreitung<br />

des Evangeliums in der Welt und darüber Auskunft geben können, was Christusnachfolge bedeutet.<br />

Auch das bewußte Durchleben des Kirchenjahres vom 1. Advent bis zum Ewigkeitssonntag bringt<br />

diese Inhalte an den kirchlichen Festen und Feiertagen immer wieder ins Gespräch und zu Bewußtsein.<br />

• Jeder Sonntag, an dem die christliche Gemeinde sich zum Gottesdienst versammelt, erinnert an<br />

den Tag der Auferstehung Jesu.<br />

• In der Advents- und Weihnachtszeit besinnt sich die Christenheit darauf, daß Gott in dem Menschen<br />

Jesus zu den Menschen kommt; und sie erwartet sein Wiederkommen am Ende der Zeit.<br />

• Das Osterfest proklamiert den Sieg Gottes über den Tod.<br />

• Pfingsten macht uns gewiß, daß Gott durch den Heiligen Geist noch heute gegenwärtig ist und<br />

durch ihn Menschen in seinen Dienst nimmt.<br />

• Das Trinitatisfest gibt uns eine Zusammenfassung des Glaubens. Denn es weist auf die Dreieinigkeit<br />

Gottes hin: Darauf, daß Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt ist, daß er durch Jesus<br />

Christus die Menschen erlöst hat und daß er durch den Heiligen Geist Glauben weckt.<br />

• Das Erntedankfest erinnert daran, daß Gott den Menschen gibt, was ihnen Leben ermöglicht.<br />

• Der Buß- und Bettag lädt ein zur Selbstprüfung vor Gott, die Umkehr und Neuanfang eröffnet.<br />

• Der Ewigkeitssonntag, der im Volksmund Totensonntag heißt, ruft ins Bewußtsein, daß wir als<br />

Geschöpfe vergänglich sind und nur eine begrenzte Zeit haben, aber er vergegenwärtigt auch, daß<br />

das Ziel menschlicher Zeit die Zeit und Ewigkeit Gottes ist.<br />

Auch wenn da<strong>mit</strong> nur einige Stationen des Kirchenjahres in ihrem thematischen Bezug skizziert<br />

sind, wird deutlich, daß dadurch Inhalte christlichen Glaubens erinnert, wiederholt, vergegenwärtigt<br />

werden, die auf die Fragen menschlichen Lebens Antwort geben wollen.<br />

Im Zusammenhang des Stichwortes „Grundwissen“ ist auch zu wünschen, daß Christinnen und<br />

Christen auskunftsfähig sind über das, was sie glauben (Glaubensbekenntnis, Taufe und Abendmahl),<br />

wie sie <strong>mit</strong> Gott im Gespräch bleiben (Gebet), was für sie im täglichen Leben <strong>mit</strong> Gott und<br />

den Menschen gilt (Zehn Gebote, Bergpredigt).<br />

Um solches Grundwissen zu erwerben oder zu vertiefen, ist neben dem persönlichen Interesse und<br />

Engagement der einzelnen und des einzelnen vor allem die Gemeinschaft, der Austausch <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong><br />

wichtig. Regelmäßige kirchliche Angebote, aber auch besondere Aktionen bieten Begegnungsmöglichkeiten<br />

<strong>mit</strong> dem Evangelium. Insbesondere sind Gesprächsgruppen und Hauskreise zu nennen,<br />

in denen biblisch oder thematisch, auf jeden Fall aber dialogisch gearbeitet wird. In besonderen<br />

Verkündigungsformen wie Katechismuspredigten und Themenpredigten kann elementar über zentrale<br />

Inhalte des christlichen Glaubens gesprochen werden. Wichtig dabei wäre, daß auch die Möglichkeit<br />

zu Gesprächen über solche Predigten angeboten und ausgenutzt wird. Missio Dei hat immer<br />

da ihren Anknüpfungspunkt, wo ihre Inhalte unter den verschiedenen Bedingungen menschlicher<br />

Existenz bedacht und im Gespräch ver<strong>mit</strong>telt, angeeignet und vertieft werden.<br />

2. Vom Gottesdienst<br />

Viel Mühe verwenden Pastorinnen und Pastoren auf den normalen Sonntagsgottesdienst. Sie werden<br />

darin von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere in der Kirchenmusik, unterstützt.<br />

Sie versuchen, die Inhalte des Glaubens verständlich zu ver<strong>mit</strong>teln und eine Atmosphäre zu<br />

schaffen, die dazu beiträgt, daß Menschen den Gottesdienst gern <strong>mit</strong>feiern. Und doch müssen sie die<br />

Erfahrung machen, daß Menschen keinen Zugang zu Gottesdiensten finden. Trotzdem gilt, daß der<br />

sonntägliche Gottesdienst der unverzichtbare Versammlungsort der Gemeinde und in besonderer


– 27 –<br />

Weise der Ort der missio Dei ist. In ihm findet die Sendung Gottes ihren ursprünglichen Ausdruck,<br />

indem durch die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes die Wechselbeziehung zwischen Gott<br />

und Mensch dargestellt wird: im Gottesdienst gibt der Mensch Gott die Ehre, er hört Gottes Wort<br />

und läßt sich so Gottes Dienst gefallen im Zuspruch der Vergebung, in der Erweckung und Stärkung<br />

des Glaubens und in der Ermutigung zu einem christlichen Leben in Liebe und Vertrauen in die<br />

Zukunft. Mit Liedern, Dank- und Fürbittgebeten, Lobgesängen und dem Bekenntnis des Glaubens<br />

antwortet der Mensch auf Gottes Anrede. Deshalb hat der Gottesdienst für die missio Dei zentrale<br />

Bedeutung. Denn die Inhalte des Glaubens und der Sendung werden im Gottesdienst kontinuierlich<br />

erinnert und erneuert, proklamiert und praktiziert. Besonders Sendung und Segen sind konstitutive<br />

Elemente der im Gottesdienst sich vollziehenden missio Dei, zugleich aber auch wesentliche Kraftquellen<br />

des Wirkens der Christen unter den Zeitgenossen. So wie im Gottesdienst die Menschenfreundlichkeit<br />

Gottes sprachliche, musikalische, symbolische und liturgische Gestalt hat, so soll sie<br />

hinausgetragen werden unter die Menschen.<br />

Es ist nicht zu übersehen, daß es besondere Gottesdienste gibt, zu denen mehr Menschen als sonst<br />

zusammenkommen, da die Gottesdienste an diesen Tagen einen deutlichen Bezug zur Lebensgeschichte<br />

der dort versammelten Menschen haben, was in der homiletischen und liturgischen Gestaltung<br />

zu berücksichtigen ist. Im Rhythmus des Kirchenjahres sind es oft der Beginn der Adventszeit,<br />

die Christnacht, der Altjahrsabend, besondere Gottesdienste zur Passion Jesu, z.B. zu Palmsonntag,<br />

Gründonnerstag, Karfreitag, Erntedank und am Ende des Kirchenjahres der Volkstrauertag und der<br />

Totensonntag oder Ewigkeitssonntag. Besondere Gottesdienste werden aber auch bei weltlichen<br />

Festen z.B. von Schützen-, Sport- und Heimatvereinen gefeiert. Bei solchen Anlässen sollten die<br />

Predigenden davon ausgehen, daß die Versammelten offen für die Sache der Kirche sind. Darin liegt<br />

eine große Chance für die gute Botschaft.<br />

Auch der Familiengottesdienst führt viele Menschen unterschiedlichen Alters in der Kirche zusammen.<br />

Er ist der Sache der missio Dei besonders dienlich, ebenso altersspezifische Gottesdienste für<br />

Jugendliche und Alte, aber auch für Kindergartenkinder und für Schülerinnen und Schüler. Zu lebensbegleitenden<br />

Gottesdiensten, etwa zur Silbernen oder Goldenen Hochzeit kommen Menschen<br />

zusammen, die sonst der Kirche eher fernstehen. Hier ist besonders darauf zu achten, daß ihnen in<br />

verständlicher Sprache das Evangelium gepredigt wird, und daß ihnen liturgische99 Abläufe und<br />

Lieder nicht als etwas Fremdes gegenüberstehen.<br />

Die oft vorgetragene Klage der „Verkopfung“ evangelischer Gottesdienste muß von uns gehört<br />

werden. Gewiß ist im Gottesdienst auch der Kopf gefordert, das Nachdenken, die gedankliche<br />

Auseinandersetzung in schwieriger Zeit sind angesagt und unverzichtbar. Aber es ist ebenso zu<br />

berücksichtigen, daß der Mensch auch Herz und Seele ist, Gefühle, Empfindungen <strong>mit</strong>bringt für die<br />

Atmosphäre im Gottesdienst. Der Mensch besitzt eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit für<br />

Bilder, Bewegungen, für szenische Darstellungen. Deshalb könnte das traditionelle<br />

Verkündigungsspiel unter den Bedingungen unserer Zeit wieder aufleben.<br />

Der Mensch braucht Stille. Er sucht Geborgenheit. Er wünscht sich Beteiligung und dialogische<br />

Einbeziehung in das Verkündigungsgeschehen. Hier bedarf es der Sensibilität für das Mögliche und<br />

Nötige; und es bedarf der Flexibilität, um das Angemessene und Bekömmliche den Menschen zuteil<br />

werden zu lassen, um sie in ihrer vielfältigen Unterschiedlichkeit hineinzuholen in die missio Dei.<br />

Die vielfach bedauerte Verkrustung, die uns in liturgischer Monotonie und in bloßer Pflichtmäßigkeit<br />

der im Gottesdienst Handelnden begegnet, kann und muß aufgebrochen werden. Es muß deshalb<br />

gewiß nicht „alles über den Haufen geworfen“ und dem Vergessen anheimgegeben werden,<br />

was an liturgischem Gut in den Gemeinden vorhanden und lebendiger Ausdruck der Kontinuität der


– 28 –<br />

Kirche und ihres Gottesdienstes ist. Dies alles bedarf jedoch auch der Öffnung und Erneuerung, der<br />

Weiterführung und Vergegenwärtigung.<br />

Besonderen Anteil an der missio Dei haben Gottesdienste an Wendepunkten im Leben der Menschen<br />

von der Taufe über die Konfirmation, die Trauung, Tauf- und Konfirmationsgedenkgottesdienste<br />

bis hin zum Begräbnisgottesdienst. Viele Besucherinnen und Besucher solcher Gottesdienste<br />

haben nur eine geringe oder gar keine Bindung oder Berührung <strong>mit</strong> der Kirche, ihren Gottesdiensten<br />

und Inhalten und kennen sich in ihren Bräuchen und in ihrer Sprache kaum aus. Gleichwohl wäre<br />

die Annahme ganz falsch, man habe „getaufte Heiden“ vor sich. In ihrem Selbstbewußtsein sind<br />

doch viele „Fernstehende“ dennoch Christinnen und Christen. Sie weisen darauf hin, daß sie doch<br />

ein anständiges Leben führen, das an den Geboten orientiert ist, daß sie an Gott - wie auch immer -<br />

glauben, daß sie von Jesus wissen und ihn für beachtenswert und nachahmenswert halten.<br />

Im Glauben an die Verheißung, daß der Heilige Geist wirkt, wo und wann er will, werden solche<br />

Gottesdienste an den Wendepunkten des Lebens gefeiert - auch <strong>mit</strong> denen, die der Kirche fernstehen.<br />

Die Pastorinnen und Pastoren werden gerade hier um eine klare evangelistisch - missionarische<br />

Sprache bemüht sein. Oft sind viele Menschen zu solchen Gelegenheiten versammelt. Die Betroffenen,<br />

aber auch die <strong>anderen</strong> Besucher dieser Gottesdienste sind häufig aufmerksame und dankbare,<br />

oft auch kritische und nachdenkliche Hörerinnen und Hörer. Die pastorale Erfahrung zeigt jedenfalls<br />

im Echo auf Kasualgottesdienste, daß hier die Botschaft leicht „verspielt“ werden kann, daß<br />

aber auch durch solche Gottesdienste Menschen nachhaltig für die Botschaft gewonnen werden<br />

können.<br />

3. Kirche auf dem Marktplatz - Evangelisation über den Marktplatz hinaus<br />

Unter dem Motto „Kirche <strong>mit</strong>ten in der Stadt“ wird in einigen zentralen Stadtgemeinden der Versuch<br />

gemacht, auf neuen oder lange vernachlässigten Wegen das Evangelium den Menschen nahezubringen,<br />

bzw. die Menschen an das Evangelium heranzuführen.<br />

Schon eine geöffnete Kirche lädt ein zum Besuch - und sei es aus kunstgeschichtlicher Neugier! Die<br />

Verbindung von Kunst, Kultur und Kirche müßte belebt und vielmehr genutzt werden. Im lärmenden<br />

Lebenskarussel einer Stadt ist die Stille der Kirchenräume oft ein starkes Kontrastprogramm,<br />

das den Menschen aufatmen und zur Ruhe kommen läßt, so daß er etwas davon ahnt, was es bedeutet,<br />

daß „noch eine Ruhe vorhanden ist für die Menschen Gottes“ (Hebr 4,9)!<br />

In vielen Kirchen gibt es abgeschirmte oder besonders bezeichnete Räume der Stille (Seitenschiffe,<br />

Krypten), wie es überhaupt oft vonnöten ist, „Raum im Raum“ zu schaffen. Dadurch kann etwas<br />

von Schutz, Bergung, Zuflucht, Aufatmen, Erneuerung, Gedenken ver<strong>mit</strong>telt und ermöglicht werden.<br />

Texte, die zum Lesen ausgelegt und täglich weitergeführt werden, können helfen, Gedanken<br />

und Gefühle der Besuchenden zu konzentrieren, zu leiten, zu ordnen und auf Gott, sich selbst und<br />

den Nächsten zu richten. Sie können der Meditation dienen und zum Gebet einladen, zu einem Gebet<br />

für sich selbst und zur Fürbitte für andere. Daß dazu auch Kerzen angezündet werden können,<br />

kann hilfreich sein und entlastende Wirkung haben. Dank- und Fürbittenbücher und Fürbittlisten<br />

laden zur Eintragung ein und lassen die Eingetretenen und Nachdenklichen auf diese Weise an der<br />

missio Dei teilhaben.<br />

Häufig werden in Stadtkirchen Möglichkeiten zu Seelsorge- und Beichtgesprächen angeboten. Orgelmusiken<br />

und Andachten, zur Marktzeit etwa, Kunstausstellungen, Lesungen, Tag- und Nachtge-


– 29 –<br />

bete beleben die Räume der Kirchen und bringen Menschen in Kontakt zu Glaubensinhalten <strong>mit</strong>ten<br />

im Lebensvollzug: missio Dei!<br />

Zu Kirchweihfesten oder besonderen Stadtfesten geht die Kirche hinaus auf den Marktplatz oder<br />

Kirchplatz oder darüber hinaus. Sie nimmt teil am Leben der Zeitgenossen. Sie gibt den Zeitgenossen<br />

Anteil an ihrem Leben, an ihrer Gemeinschaft und da<strong>mit</strong> an der tragenden Mitte ihres Lebens.<br />

Teilhabe an der Missio Dei kann auch in einem über den Marktplatz hinausgehenden Rahmen größerer<br />

Evangelisationsveranstaltungen wahrgenommen werden, sei es im Zelt, sei es in Hallen oder<br />

Sälen. Die moderne Fernsehtechnik tut ein übriges, solche Großveranstaltungen über ganze Länder<br />

hin gleichzeitig zu verbreiten. Über die Wirksamkeit solcher Unternehmungen gehen die Meinungen<br />

auseinander. Für Viele bedeuten sie Stärkung und Ermutigung im Glauben. Andere entdecken<br />

Neues, Gutes, Heilsames für ihr Leben. Zuweilen gehen aus Evangelisationen Hauskreise hervor,<br />

Glaubenskurse werden angefragt und eingerichtet, Bibelgruppen entstehen. Aber auch andere Veranstaltungen<br />

können Impulse der Missio Dei geben, wie Kirchentage, Kreiskirchentage, Christivals<br />

oder Jugendtreffen von Verbänden und Vereinen. Daneben können der Religionsunterricht sowie<br />

Freundschaften und Bekanntschaften, etwa im Bereich von Nachbarschaften zwischen Christen und<br />

Nichtchristen, der Weitergabe des Glaubens dienen und den <strong>Dialog</strong> eröffnen.<br />

4. Auskunft geben von der Hoffnung<br />

Gott bedient sich vieler Möglichkeiten, die Menschen anzusprechen. Die Kirche nimmt ihren missionarischen<br />

Auftrag und ihre Verantwortung dafür am deutlichsten dadurch wahr, daß sie eine<br />

phantasievolle, einladende, ansprechende Vielfalt von Begegnungsmöglichkeiten <strong>mit</strong> dem<br />

Evangelium schafft und so zum Glauben einlädt. Dabei spielt unbestreitbar die Gemeinde eine<br />

wesentliche Rolle. Denn in ihr begegnen sich Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher<br />

Berufe, verschiedenster Prägungen, unterschiedlicher Bildung und sozialer Einbindung. Die Vielfalt<br />

verschiedener Menschen bedingt eine Vielgestaltigkeit des Lebens und des Glaubens, der durch die<br />

Begegnung <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> Glaubenden, - eigener oder fremder Religion - zu Weite und Tiefe gelangen<br />

kann.<br />

Evangelisation, <strong>Mission</strong>, <strong>Dialog</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Religionen</strong> - alle drei Wege kirchlichen Handelns sollen<br />

dazu dienen, daß Menschen erfahren und sich dessen vergewissern, welchen Gewinn ihr Leben<br />

durch den Glauben hat, und daß sie darüber sprachfähig werden, um Auskunft zu geben von der<br />

Hoffnung, die ihr Leben trägt.<br />

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von<br />

euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.<br />

1. Petr 3,15

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