Predigt über Römer 8, 14 - Evangelische Kirche von Westfalen
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<strong>Predigt</strong> Sozialpolitischer Neujahrsempfang in Gelsenkirchen am 10.01.2009<br />
(Alfred Buß, Präses der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>von</strong> <strong>Westfalen</strong>)<br />
Text: <strong>Römer</strong> 8, <strong>14</strong> - 17<br />
Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen<br />
knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt<br />
einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist<br />
selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so<br />
sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm<br />
leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.<br />
Anrede<br />
Mit viel Mühe hat er eigenhändig Butter und Marmelade aufs Brot gestrichen. Aber das<br />
Durchschneiden klappt noch nicht. Der Kleine ist ja erst drei Jahre alt. Die Mutter schneidet<br />
das Brot in kleine Häppchen. Aufheulendes Gebrüll. Der Kleine will das Brot nicht mehr. Er<br />
wollte zwei halbe Schnitten – wie die Großen - und keine Häppchen. Er will groß sein,<br />
selber bestimmen, nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. Er will frei sein,<br />
unabhängig, tun können, was ein Mensch selber kann. Und das mit großem Recht! Denn<br />
wie vielen Kindern wird das verwehrt!? Zweieinhalb Millionen Kinder werden in<br />
Deutschland in Armut groß. Sie haben sich nicht ausgesucht, wo sie geboren wurden.<br />
Armut erschöpft sich nicht darin, wenig Geld zu haben. Armut ist ein umfassendes<br />
Verliererschicksal. Armut bedeutet mangelnde Teilhabe am Leben, im schlimmsten Fall<br />
Ausschluss aus der Gesellschaft. Menschen, ja Kinder werden beiseitegedrängt, missachtet,<br />
<strong>über</strong>sehen. Kinderarmut ist ein Teufelskreis: Mangelernährung, schlechte Gesundheit,<br />
heruntergekommne Wohngegend, schlechte Bildung, fehlende Anerkennung, wenig Liebe,<br />
Mangel an Geborgenheit. In einem Teufelskreis kann man ansetzen, wo man will: das eine<br />
zieht das andere nach sich: kein Abschluss, keine Ausbildung, kein Job, kein Geld, keine<br />
Perspektive.<br />
Auch Menschen aus armen Verhältnissen müssen sich entwickeln, ihre Gaben entfalten und<br />
gleichberechtigt am wirtschaftlichen, sozialen und solidarischen Leben teilhaben können.<br />
Aber unsere Beraterinnen und Berater in der Diakonie berichten dieses: Oft sind es<br />
alleinerziehende Mütter, die Angst haben, mit der Situation nicht klarzukommen. In die<br />
Beratung kommen sie, wenn es geht, gern allein, um ungestört reden zu können und die<br />
dringend benötigte Hilfe zu finden.<br />
Sind aber die Kinder dabei, sind die oft still und angepasst, als spürten sie den Ernst der<br />
Lage genau - oder können keine Sekunde stillsitzen, weil sie es nie gelernt haben. Und ob<br />
jetzt ein Weihnachtsbaum in der Wohnung stand und Geschenke darunter lagen, das hat<br />
sich in manchen Familien erst in letzter Minute geklärt. Eine Mutter, die nach der<br />
Scheidung erhebliche finanzielle Probleme hat, versucht für ihren kleinen Sohn alle<br />
Traditionen und natürlich die Geschenke zu erhalten. Dafür hat sie eisern gespart, wo es<br />
eben ging. Aber es ist trotzdem ein Klimmzug. In anderen Familien richten sich Geschenke<br />
danach, was gebraucht wird. Dann wird es eben ein Schlafanzug statt der gewünschten<br />
Puppe.<br />
Ein großes Problem ist die Wohnungssuche. So geschieht es, dass Familien, deren Miete<br />
<strong>über</strong> dem Erstattungssatz liegt, und sei es nur um 30 oder 40 Euro, zum Umzug<br />
aufgefordert werden. Ziehen sie um, werden besonders die Kinder aus sozialen<br />
Zusammenhängen gerissen. Kindergarten, Schule, Freunde, alles wechselt. Im schlimmsten<br />
Fall stimmt dann die Miete, aber die Heizkosten steigen.<br />
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Kinder aus armen Familien erleben <strong>über</strong>all, dass sie anders sind. In Sportvereinen reicht es<br />
vielleicht noch für den Beitrag, aber wer bezahlt den wachsenden Jungen und Mädchen<br />
neue Fußballschuhe oder Trainingsklamotten? Bei den üblichen Fahrten zu<br />
Auswärtsspielen können sich die Eltern nicht beteiligen.<br />
Die Erhöhung des Kindergeldes um zehn Euro war dafür gedacht, genau diesen Kindern zu<br />
helfen. Nun wird es voll angerechnet, weil es als eigenes Einkommen gilt.<br />
Und warum werden Kinder nur bis zur 10. Klasse mit einer einmaligen Beihilfe <strong>von</strong> 100<br />
Euro unterstützt? Das bedeutet doch im Umkehrschluss, dass diesen Kindern gar nicht<br />
zugetraut wird bis zum Abitur zu kommen. Wir fördern die Kinder nicht nach ihren<br />
Fähigkeiten und Möglichkeiten. Sie kommen nicht zu ihrem Recht und wir lassen einen<br />
Schatz brachliegen.<br />
Schon der Dreijährige demonstriert an seinem Butterbrot: es tut einem Menschen nicht<br />
gut, wie ein unmündiges Kind behandelt zu werden. Frei wollen wir sein, unser Leben<br />
selbst zu gestalten. Menschen wollen sich <strong>von</strong> klein auf entfalten, wollen Grenzen<br />
ausprobieren, das Leben entdecken, sich – im Wortsinne - bilden mit Herzen, Mund und<br />
Händen. Es tut gut, Menschen mit aufrechtem Gang, klarem Blick und fester Hand zu<br />
begegnen, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Was kann ein Mensch nicht<br />
alles, wenn ihm etwas zugetraut wird!?<br />
Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen! sagt Paulus. Ein schönes und kerniges<br />
Stück Bibel ist dieser Satz. Leitspruch der kommenden Woche. Da kommen uns Freiheit<br />
und Vertrauen entgegen. Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen! Es kann<br />
doch nicht sein, dass Angst euer Leben gefangen nimmt. Zu viele Menschen, ja Kinder sind<br />
gefangengenommen <strong>von</strong> der berechtigten Angst, ihr Leben zu verpassen, zu scheitern und<br />
ein Niemand und Nichts in den Augen der anderen zu sein. Solche Angst verkrümmt<br />
Menschen und macht sie zu Knechten.<br />
Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, damit ihr euch abermals fürchten<br />
müsstet, sondern einen kindlichen Geist.<br />
Kindsein ist an kein Alter gebunden, sondern ist eine Lebensweise. Wenn unsere Kinder<br />
nach Haus kommen, die erwachsen sind und längst woanders wohnen, dann breiten sie<br />
sich bei uns aus, als wären sie nie weg gewesen. Und als wir vor Jahren umzogen, wollten<br />
sie selbstverständlich einen Schlüssel <strong>von</strong> unserer neuen Wohnung haben, damit sie<br />
jederzeit rein und raus können, auch wenn wir gar nicht da sind. Und das ist gut so. Denn<br />
Kindsein heißt: Hier gehöre ich hin. Hier darf ich so sein, wie ich bin.<br />
Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Abba,<br />
das ist nicht die altbekannte Musikgruppe, sondern die vertrauensvoll Anrede Jesu an Gott:<br />
Vater, Papa, Abba. Wo ich Abba sagen kann, da bin ich angenommen, geliebt, muss ich<br />
nichts vorweisen. Solches Kindsein macht frei. Ich muss nichts beweisen, sondern darf<br />
empfangen, ohne Scham – unverschämt - annehmen, was mir geschenkt wird. Dieses<br />
Kindsein ist an kein Lebensalter gebunden.<br />
Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.<br />
Gottes Geist, griechisch: Pneuma, ist ein befreiender Luftzug, ein linder Hauch, ein frischer<br />
Wind. Gottes Geist treibt uns nach vorn, wie ein stärkender Rückenwind; allerdings müssen<br />
wir unser Segel auch ausspannen und uns <strong>von</strong> ihm auch treiben lassen. Denn unsere<br />
Lebensängste knechten uns immer wieder und treiben uns in die Enge. Gottes Geist aber<br />
treibt uns ins Freie: wir lassen uns nicht mehr vor jeden Karren spannen, wir können eine<br />
eigene Meinung haben, uns selber etwas zutrauen, den Mächten der Zerstörung<br />
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widerstehen. Das ist die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Mit einem Bild <strong>von</strong> Antoine<br />
Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen,<br />
um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie<br />
die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.<br />
So können wir der Kinderarmut begegnen: indem wir die Sehnsucht wecken nach einer<br />
Gesellschaft voller Chancengerechtigkeit, dass alle teilhaben können am wirtschaftlichen,<br />
sozialen und solidarischen Leben.<br />
In unserer <strong>Kirche</strong> taufen wir kleine, unmündige Kinder. Und geben ihnen dabei die Zusage<br />
weiter: Du bist kein Sklave Deiner Ängste mehr, du bist Gottes Kind. Und du bleibst Gottes<br />
Kind immer und ewig.<br />
Taufe muss Folgen haben im Leben. Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen,<br />
damit ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern einen kindlichen Geist. Das müssen<br />
Kinder im Alltag auch spüren und erfahren. Mit Paulus gesprochen: Sind wir aber Kinder,<br />
so sind wir auch Erben! Erben haben Rechte. Recht auf Teilhabe am Leben. Lasst uns<br />
nicht hängen!<br />
Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi,<br />
wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.<br />
Paulus kann so reden, weil er im Leben ganz auf Gott setzt. Auf Gottes großes Gewicht in<br />
dieser Welt. Das hebräische Wort für Gewicht heißt cabod. Es ist das, was alles andere<br />
aufwiegt. Und bedeutet zugleich Glanz, Herrlichkeit. Das ist die Herrlichkeit Gottes, die wir<br />
vom Hirtenfeld, <strong>von</strong> Weihnachten her kennen. Der Glanz in der Hütte. Glanz bekommt das<br />
Leben <strong>von</strong> Christus her. Von ihm her hat das Leben immer eine Grundrichtung: <strong>von</strong> der<br />
Knechtschaft in die Kindschaft, <strong>von</strong> Armut und Ausgeschlossensein in die gerechte<br />
Teilhabe, vom Leiden in die Herrlichkeit, vom Tod ins Leben.<br />
In dieser Grundrichtung sind wir unterwegs. Auf diesem Weg treibe uns der Geist und<br />
bewahre uns der Friede Gottes, der so viel höher ist als alle unsere Vernunft. Amen<br />
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