Die Debatte um Land und Staat Israel (PDF) - reformiert-info.de
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Beate Sträter<br />
<strong>Die</strong> <strong>Debatte</strong> <strong>um</strong> <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong><br />
Eine Arg<strong>um</strong>entationshilfe<br />
Januar 2013
Z<strong>um</strong> Geleit<br />
Spätestens mit Erscheinen <strong>de</strong>s Dok<strong>um</strong>ents „<strong>Die</strong> St<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r Wahrheit: Ein Wort <strong>de</strong>s Glaubens, <strong>de</strong>r<br />
Hoffnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Liebe aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Palästinenserinnen <strong>und</strong> Palästinenser“<br />
(2009) hat die innerkirchliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>um</strong> die Haltung z<strong>um</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> seiner<br />
Politik gegenüber Palästina an Heftigkeit zugenommen.<br />
Dabei geht es nicht nur <strong>um</strong> unterschiedliche Einschätzungen <strong>de</strong>r gegenwärtigen politischen Lage<br />
im Nahen Osten. Zur Disposition stehen auch theologische Gr<strong>und</strong>satzentscheidungen. Der <strong>Staat</strong><br />
<strong>Israel</strong> als „Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes“: <strong>Die</strong> einen halten diese im Rheinischen Synodalbeschluss<br />
von 1980 formulierte Position auch heute für theologisch bin<strong>de</strong>nd, gefragt wer<strong>de</strong>n müsse allenfalls,<br />
wie sie heute zu verstehen sei. An<strong>de</strong>ren erscheint sie als verhängnisvoller Irrt<strong>um</strong>, weil sie<br />
von <strong>Israel</strong> ausgehen<strong>de</strong> Ungerechtigkeit theologisch verkläre <strong>und</strong> also einer I<strong>de</strong>ologisierung <strong>de</strong>s<br />
Politischen Vorschub leiste.<br />
Der Streit geht quer durch unsere Kirchen <strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n, er wird hoch emotional geführt,<br />
aufgela<strong>de</strong>n mit gegenseitigen Unterstellungen <strong>und</strong> Verdächtigungen; langjährige Weggefährten<br />
stehen sich bisweilen unversöhnlich gegenüber.<br />
Dem Mo<strong>de</strong>ramen <strong>de</strong>s <strong>reformiert</strong>en B<strong>und</strong>es war daran gelegen, in dieser komplizierten <strong>und</strong> komplexen<br />
Gemengelage einen Beitrag zur Versachlichung zu leisten. Deshalb hat das Mo<strong>de</strong>ramen<br />
eine Arg<strong>um</strong>entationshilfe in Auftrag gegeben, welche die <strong>de</strong>rzeitige <strong>Debatte</strong> darstellen, über die<br />
politische Lage im Nahen Osten differenziert <strong>info</strong>rmieren <strong>und</strong> die theologischen Arg<strong>um</strong>entationsstränge<br />
so nachzeichnen soll, dass sie z<strong>um</strong> eigenen Urteil befähigt.<br />
Wir sind dankbar, dass Dr. Beate Sträter sich dieser wichtigen <strong>und</strong> anspruchsvollen Aufgabe gestellt<br />
hat. Dank gebührt auch all <strong>de</strong>nen, die das Entstehen ihrer Schrift mit Anregungen <strong>und</strong><br />
kritischen Hinweisen begleitet haben.<br />
Das Mo<strong>de</strong>ramen hat das Ergebnis nach einer engagierten <strong>Debatte</strong> einstimmig mit Dank entgegengenommen<br />
<strong>und</strong> legt es hiermit <strong>de</strong>r kirchlichen Öffentlichkeit vor. Wir erhoffen uns vom Studi<strong>um</strong><br />
dieser Schrift einen Zugewinn an Klarheit <strong>und</strong> damit einhergehend eine Versachlichung <strong>de</strong>r<br />
notwendigen Diskussion.<br />
Wuppertal, <strong>de</strong>n 7.1.2013<br />
Peter Bukowski, Mo<strong>de</strong>rator <strong>de</strong>s Reformierten B<strong>und</strong>es<br />
2
Einführung<br />
Sowohl im kirchlichen Kontext als auch in <strong>de</strong>r allgemeinen Öffentlichkeit sind in <strong>de</strong>r letzten Zeit<br />
immer wie<strong>de</strong>r heftige <strong>Debatte</strong>n <strong>um</strong> die Haltung z<strong>um</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> seiner Politik gegenüber<br />
<strong>de</strong>n Palästinensern entflammt. Doch nicht <strong>de</strong>r Nahost-Konflikt <strong>und</strong> die israelische Politik gegenüber<br />
<strong>de</strong>n Palästinensern allein, son<strong>de</strong>rn auch die schwer kalkulierbaren Konsequenzen <strong>de</strong>r Umbrüche<br />
in <strong>de</strong>r Arabischen Welt sind Gegenstand <strong>de</strong>r Diskussion. Hinzu kommt mit wachsen<strong>de</strong>r<br />
Dringlichkeit die drohen<strong>de</strong> Gefahr eines Krieges zwischen <strong>de</strong>m Iran <strong>und</strong> <strong>Israel</strong>, <strong>de</strong>ssen Folgen<br />
nicht nur für die Region, son<strong>de</strong>rn für die ganze Welt unabsehbar sind.<br />
<strong>Die</strong> folgen<strong>de</strong>n Ausführungen sollen dazu beitragen, eine mögliche Position zu entwickeln, die<br />
sowohl theologisch begrün<strong>de</strong>t als auch politisch <strong>info</strong>rmiert ist. Dabei soll es in einem ersten<br />
Schritt dar<strong>um</strong> gehen, einen Überblick über einige Positionen zu geben, die insbeson<strong>de</strong>re im<br />
(<strong>de</strong>utschen) kirchlichen Kontext diskutiert wur<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>se Positionen wer<strong>de</strong>n in einem zweiten<br />
Schritt auf ihre impliziten <strong>und</strong> expliziten Arg<strong>um</strong>entationslinien hin überprüft <strong>und</strong> kritisch diskutiert.<br />
Hierbei liegt ein Schwerpunkt auf <strong>de</strong>m befreiungstheologischen Ansatz palästinensischer<br />
Theologen, ein weiterer auf <strong>de</strong>r politischen <strong>Debatte</strong> vermeintlicher Tabubrüche durch eine Kritik<br />
an <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong>.<br />
In einem weiteren Kapitel stehen die aktuelle politische Lage im Nahen Osten vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>r Umbrüche in <strong>de</strong>r Region sowie die Gefahr einer militärischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit<br />
<strong>de</strong>m Iran im Mittelpunkt.<br />
Vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> dieser Analyse erfolgt dann eine Vorstellung <strong>und</strong> Bewertung offizieller<br />
kirchlicher Stellungnahmen <strong>de</strong>r EKiR <strong>und</strong> <strong>de</strong>r EKD, die sich teilweise auf die palästinensischen<br />
Stimmen, aber auch auf die innerkirchliche <strong>Debatte</strong> über <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> beziehen.<br />
Schließlich sollen hieraus Schlussfolgerungen für eine Positionierung <strong>de</strong>s RB gezogen <strong>und</strong> Handlungsoptionen<br />
vorgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
1. <strong>Die</strong> aktuelle <strong>Debatte</strong><br />
1.1 „<strong>Die</strong> St<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r Wahrheit: Ein Wort <strong>de</strong>s Glaubens, <strong>de</strong>r Hoffnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Liebe aus <strong>de</strong>r<br />
Mitte <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Palästinenserinnen <strong>und</strong> Palästinenser“<br />
Einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Anstoß <strong>de</strong>r <strong>Debatte</strong> gab ein im Dezember 2009 veröffentlichtes Dok<strong>um</strong>ent<br />
16 prominenter palästinensischer Kirchenführer unterschiedlicher Denominationen. Nicht zufällig<br />
als „Kairos-Papier“ tituliert, stellten die Verfasser <strong>und</strong> auch <strong>de</strong>r ÖRK, <strong>de</strong>r die Veröffentlichung<br />
mit betrieb, dieses Papier in eine Linie mit <strong>de</strong>m Aufruf <strong>de</strong>r Christen aus Südafrika aus <strong>de</strong>m Jahr<br />
1985. Angesichts einer als ausweglos empf<strong>und</strong>enen Situation <strong>de</strong>s palästinensischen Volkes richten<br />
sich die Verfasser an die internationale Gemeinschaft, die christlichen Kirchen in aller Welt<br />
sowie die politische Führung in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n palästinensischen Gebieten.<br />
In einem ersten Kapitel wer<strong>de</strong>n eindrücklich die gegenwärtigen Entwicklungen beschrieben, die<br />
sich von einer Lösung <strong>de</strong>s Konflikts immer weiter entfernen <strong>und</strong> im Gegenteil zu seiner Verschärfung<br />
führen, wodurch das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r palästinensischen Bevölkerung weiter vergrößert<br />
wird.<br />
<strong>Die</strong>se Beschreibung ist unvermeidlich parteilich <strong>und</strong> schil<strong>de</strong>rt Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Menschenrechtsverletzungen<br />
sowie Verstöße gegen das Völkerrecht durch die israelische Regierung. Darüber<br />
hinaus wird in <strong>de</strong>r fortgesetzten israelischen Besatzung die Ursache dieser Entwicklung<br />
gesehen, auch die Ursache für palästinensischen Wi<strong>de</strong>rstand: „Wenn es jedoch keine Besatzung<br />
gäbe, gäbe es auch keinen Wi<strong>de</strong>rstand, keine Angst <strong>und</strong> keine Unsicherheit. Das ist unsere Sicht<br />
<strong>de</strong>r Dinge“ (S. 3). Ebenfalls Ausdruck dieser Parteilichkeit ist eine Sicht, die die Verantwortung<br />
für das Scheitern <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>nsprozesses, aber auch für <strong>de</strong>n bewaffneten Wi<strong>de</strong>rstand, <strong>de</strong>r von<br />
israelischer Seite als Terrorismus bezeichnet wird 1 , allein in <strong>de</strong>r israelischen Politik verortet. In<br />
1 An dieser Stelle wird nicht differenziert, ob z<strong>um</strong> bewaffneten Wi<strong>de</strong>rstand auch die Selbstmordattentate auf Busse<br />
o<strong>de</strong>r zivile Ziele gemeint sind, die im engeren Sinne als terroristisch zu bezeichnen sind. Der Begriff <strong>de</strong>s Terrorismus<br />
wird von israelischer Seite – wie auch in an<strong>de</strong>ren Teilen <strong>de</strong>r westlichen Welt – i<strong>de</strong>ologisch benutzt <strong>und</strong> als Begründung<br />
für verschärfte Sicherheitsmassnahmen herangezogen. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite wird gegenüber <strong>Israel</strong> <strong>de</strong>r Begriff<br />
3
<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Unterstützung <strong>de</strong>r Internationalen Gemeinschaft für die Anerkennung <strong>de</strong>r gewählten<br />
palästinensischen Regierung wird <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong> für die Spaltungen innerhalb <strong>de</strong>r Palästinenser<br />
gesehen.<br />
Der eigentlich theologische Teil ist in drei Kapiteln nach <strong>de</strong>n Stichworten Glauben (2), Hoffnung<br />
(3) <strong>und</strong> Liebe (4) geglie<strong>de</strong>rt. <strong>Die</strong> Abschnitte 5-9 beinhalten konkrete For<strong>de</strong>rungen, wie<strong>de</strong>r<strong>um</strong><br />
gerichtet an die Kirchen <strong>de</strong>r Welt, die internationale Gemeinschaft, die muslimischen <strong>und</strong> jüdischen<br />
religiösen Führungen sowie das palästinensische Volk <strong>und</strong> die <strong>Israel</strong>is.<br />
In Hinblick auf die Positionen, die im Rheinischen Synodalbeschluss zur Rückkehr ins <strong>Land</strong> <strong>Israel</strong><br />
formuliert wer<strong>de</strong>n („Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes“), gibt es in <strong>de</strong>m Dok<strong>um</strong>ent einige markante Aussagen.<br />
Auffällig ist hier, dass die <strong>Land</strong>verheißung an <strong>Israel</strong> universalisiert wird <strong>und</strong> nun das <strong>Land</strong><br />
<strong>und</strong> die Völker, die in ihm leben, einen universalen Auftrag haben, ohne dass <strong>Israel</strong> hier genannt<br />
wird. Ebenso wenig kommt die Erwählung <strong>Israel</strong>s o<strong>de</strong>r die <strong>Land</strong>verheißung zur Sprache. Demgegenüber<br />
wird davon gere<strong>de</strong>t, dass bestimmte Theologen im Westen versuchen, das zugefügte<br />
Unrecht biblisch <strong>und</strong> theologisch zu legitimieren (S. 6). An an<strong>de</strong>rer Stelle wird in diesem Zusammenhang<br />
von einer f<strong>und</strong>amentalistischen Bibelauslegung gesprochen (S. 16), <strong>und</strong> es ist nicht<br />
klar benannt, gegen welche Positionen das Papier sich hier genau richtet. Denkbar ist einerseits,<br />
dass es sich <strong>um</strong> <strong>de</strong>n christlichen Zionismus han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs unter evangelikalen Christen<br />
in <strong>de</strong>n USA weit verbreitet ist. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich diese Kritik, die an verschie<strong>de</strong>nen<br />
Stellen wie<strong>de</strong>rholt wird, auch gegen eine Position wen<strong>de</strong>t, wie sie im Rheinischen<br />
Synodalbeschluss formuliert ist.<br />
In <strong>de</strong>r Perspektive, die schließlich entwickelt wird, richtet sich das Papier an die Internationale<br />
Gemeinschaft mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung, endlich mit einer selektiven Anwendung <strong>de</strong>s Völkerrechts<br />
Schluss zu machen. Neben Äußerungen, die man durchaus als eine Rechtfertigung <strong>de</strong>s gewaltsamen<br />
Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s verstehen kann, fin<strong>de</strong>n sich solche <strong>de</strong>r Gewaltfreiheit <strong>und</strong> Versöhnungsbereitschaft.<br />
Insbeson<strong>de</strong>re im vierten Kapitel, unter <strong>de</strong>r Überschrift „Liebe“, fin<strong>de</strong>t sich eine theologische<br />
Reflektion darüber, inwieweit die christliche Liebe z<strong>um</strong> Wi<strong>de</strong>rstand mahnt <strong>und</strong> wie dieser<br />
Wi<strong>de</strong>rstand aus christlicher Sicht zu verstehen ist. So wird betont, dass dieser Wi<strong>de</strong>rstand nicht<br />
<strong>de</strong>n Tod bringen darf, son<strong>de</strong>rn Formen fin<strong>de</strong>n muss, die, ausgehend von <strong>de</strong>r Ebenbildlichkeit <strong>de</strong>s<br />
Menschen „die Menschlichkeit <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s“ ansprechen (S. 12). An<strong>de</strong>rerseits fin<strong>de</strong>n sich Formulierungen,<br />
wie „Wir haben Hochachtung vor allen, die ihr Leben für unsere Nation hingegeben<br />
haben“, wobei nicht genauer unterschie<strong>de</strong>n wird, in welcher Form dies geschehen ist (S. 13). Es<br />
entsteht <strong>de</strong>r Eindruck, dass hier manches im Unklaren bleibt, o<strong>de</strong>r auch unterschiedliche palästinensische<br />
Positionen zusammengeführt wer<strong>de</strong>n sollen. Manche Formulierungen scheinen eher in<br />
die Richtung <strong>de</strong>r palästinensischen Seite gesprochen, die mehrfach als gespalten <strong>und</strong> nicht einheitlich<br />
beschrieben wird.<br />
Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r praktischen Konsequenzen wird gegenüber <strong>de</strong>n Kirchen <strong>de</strong>s Westens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
Internationalen Gemeinschaft die For<strong>de</strong>rung nach Sanktionen <strong>und</strong> Boykottmaßnahmen gegenüber<br />
<strong>Israel</strong> erhoben, <strong>um</strong> Schritte zu einem gerechten <strong>und</strong> dauerhaften Frie<strong>de</strong>n einzuleiten.<br />
Das Papier en<strong>de</strong>t mit einem Appell an das palästinensische Volk <strong>und</strong> an die <strong>Israel</strong>is, eine gemeinsame<br />
Vision zu suchen, die auf Gleichberechtigung beruht, <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Überzeugung, dass Liebe<br />
<strong>und</strong> gegenseitiges Vertrauen möglich sind. Gleichzeitig wird abgelehnt, dass <strong>de</strong>r <strong>Staat</strong> religiös<br />
geprägt sein soll, sei er jüdisch o<strong>de</strong>r muslimisch, weil so Ausgrenzung <strong>und</strong> Diskriminierung vorprogrammiert<br />
sind. Der <strong>Staat</strong> soll ein <strong>Staat</strong> für alle Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger mit ihren unterschiedlichen<br />
Religionen <strong>und</strong> Weltanschauungen sein.<br />
Ausgangspunkt dieser Vision soll Jerusalem sein, <strong>und</strong> dies wird in Beziehung gesetzt zur prophetischen<br />
Vision <strong>de</strong>s Jesaja in 2,2-5. Daraus folgen auch politische Konsequenzen: <strong>Die</strong> Frage nach<br />
Jerusalem muss <strong>de</strong>r erste Verhandlungspunkt sein, weil sich je<strong>de</strong> politische Lösung auf diese<br />
prophetische Vision stützen soll.<br />
Ein theologischer Gr<strong>und</strong>gedanke <strong>de</strong>s Dok<strong>um</strong>ents ist die Betonung <strong>de</strong>r Universalität. <strong>Die</strong>se wird<br />
an <strong>de</strong>r Trinität entfaltet: Gott, <strong>de</strong>r Schöpfer, ist als <strong>de</strong>r Gott aller Welt beschrieben, mit Jesus<br />
kommt etwas gr<strong>und</strong>sätzlich Neues in die Welt („eine Revolution“), durch ihn erscheinen das Alte<br />
Testament, aber auch Themen wie Verheißung, Erwählung <strong>und</strong> das Volk Gottes in einem neuen<br />
<strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>sterrorismus verwen<strong>de</strong>t, wenn es z.B. <strong>um</strong> extralegale Hinrichtungen geht. Insgesamt ist <strong>de</strong>r Begriff i<strong>de</strong>ologisch<br />
besetzt <strong>und</strong> wird nicht allein zur Charakterisierung einer bestimmten Form gewaltsamen Han<strong>de</strong>lns, son<strong>de</strong>rn in<br />
einem weiteren Sinn benutzt.<br />
4
Licht (2.2.2.). Der Heilige Geist leitete dazu an, das Alte Testament „ganz <strong>und</strong> gar auf das allein in<br />
universaler Ausrichtung verstan<strong>de</strong>ne Neue Testament hin zu lesen“ (Wengst, 2011).<br />
Auch das <strong>Land</strong> hat so einen universellen Auftrag, unter dieser Perspektive ist auch die <strong>Land</strong>verheißung<br />
zu sehen, sie ist „Auftakt zur vollständigen universellen Erlösung“ (2.3.). Es wird aus <strong>de</strong>r<br />
Bindung an <strong>Israel</strong> gelöst. <strong>Israel</strong> erscheint ausschließlich als Besatzer, darin liegt <strong>de</strong>r alleinige<br />
Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Palästinenser.<br />
1.2 Mark Braverman: „Verhängnisvolle Scham. <strong>Israel</strong>s Politik <strong>und</strong> das Schweigen <strong>de</strong>r Christen“<br />
Im Gütersloher Verlagshaus erschien 2011 unter diesem Titel die <strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>r 2010<br />
in <strong>de</strong>n USA erschienenen Originalausgabe „Fatal Embrace. Christian, Jews And the Search for<br />
Peace in the Holy <strong>Land</strong>“. Der Autor Mark Braverman ist ein aus einem traditionellen Elternhaus<br />
stammen<strong>de</strong>r amerikanischer Ju<strong>de</strong>. Seine zentrale These, die er in seinem Buch entfaltet, ist kurz<br />
gefasst die altbekannte: Christen, insbeson<strong>de</strong>re die Deutschen, vermei<strong>de</strong>n aus Schuldbewusstsein<br />
über <strong>de</strong>n Holocaust jegliche Kritik an <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong>s, weil sie damit die überaus<br />
wichtigen <strong>und</strong> mühsam aufgebauten Beziehungen zu <strong>de</strong>n jüdischen Institutionen <strong>und</strong> Gelehrten<br />
fürchten aufs Spiel zu setzen o<strong>de</strong>r zu zerstören. „Palästina wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m jüdischen Volk als mo<strong>de</strong>rnes<br />
Schuldopfer dargebracht.“ (S. 22)<br />
Auf theologischer Ebene habe die Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Schuld gegenüber <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n einer<br />
weitergehen<strong>de</strong>n Selbstprüfung im Weg gestan<strong>de</strong>n. „In<strong>de</strong>m die Christen die Ju<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m min<strong>de</strong>ren<br />
Status innerhalb <strong>de</strong>r christlichen Lehren heraus- <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n herausgehobenen Status <strong>de</strong>s<br />
von Gott geliebten Volkes hinein hoben, <strong>um</strong>gingen sie die Notwendigkeit, die Ursachen für die<br />
Ju<strong>de</strong>nverfolgung in <strong>de</strong>r Geschichte zu betrachten.“ (S. 21f) Eine „revidierte Theologie, die die<br />
höheren jüdischen Ansprüche auf das <strong>Land</strong> faktisch unterstützt ... beinhaltet die Rückkehr zu<br />
einem archaischen Gottesbild, zu einem Gott, <strong>de</strong>r sich an einen bestimmten geographischen Ort<br />
bin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> einem bestimmten Volk <strong>de</strong>n Vorzug gibt. Es hat das Christent<strong>um</strong>, das die Menschheit<br />
aus <strong>de</strong>m Partikularismus herausführte, dazu gebracht, einen gefährliche, anachronistische I<strong>de</strong>ologie<br />
von <strong>Land</strong>besitz <strong>und</strong> Eroberung zu billigen.“ (S. 20)<br />
Eine an<strong>de</strong>re, beachtenswerte Arg<strong>um</strong>entationslinie entfaltet Braverman, wenn er Parallelen zwischen<br />
<strong>de</strong>r Theologie in <strong>de</strong>r Nazizeit, <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>s Apartheidsregimes in Südafrika als einer<br />
säkularen Religion <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Zionismus zieht. Bei allen dreien, so Braverman, steht im Hintergr<strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>r Wunsch, aus einer Situation <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlagen, <strong>de</strong>r Schwäche <strong>und</strong> Demütigung wie<strong>de</strong>r<br />
zu eine stolze Nation zu entwickeln (S. 15ff).<br />
Im Geleitwort <strong>de</strong>s Buches beschreibt Mitri Raheb das Engagement <strong>de</strong>s Autors als in erster Linie<br />
an Christen gerichtet. Dabei geht es ihm nicht vorrangig <strong>um</strong> die <strong>Israel</strong>begeisterung f<strong>und</strong>amentalistischer<br />
Kreise. Viel gefährlicher sieht er die Verbindungen <strong>de</strong>r großen Kirchen <strong>und</strong> <strong>Israel</strong>, die<br />
getragen wer<strong>de</strong>n ...von einer beredsamen, intellektuellen, liberalen breiten Schicht wichtiger<br />
Persönlichkeiten“ (S. 9). <strong>Die</strong>se gehen mit <strong>Israel</strong> eine fatale Umarmung ein <strong>und</strong> sind zu feige, <strong>Israel</strong><br />
zur Rechenschaft zu ziehen <strong>und</strong> Ungerechtigkeiten zu benennen.<br />
Im weiteren Verlauf seine Vorwortes beschreibt Mitri Raheb <strong>de</strong>n Autor als in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r<br />
Propheten <strong>Israel</strong>s stehend, die es wagten, auch Unpopuläres zu sagen. So liegt es auch nahe, dass<br />
Braverman von amerikanischen Ju<strong>de</strong>n als ein sich selbst hassen<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong> belächelt wird <strong>und</strong> Kirchen<br />
sich nicht trauen ihn einzula<strong>de</strong>n, weil sie Angst haben, dass sie <strong>de</strong>shalb von jüdischer Seite<br />
angegriffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Schließlich for<strong>de</strong>rt Raheb – mit Bravermann – einen Paradigmenwechsel im christlich-jüdischen<br />
Gespräch, eine „Befreiung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Israel</strong>-Theologie aus ihrer babylonischen Gefangenschaft“<br />
(S. 10).<br />
<strong>Die</strong>se Zitate sollen an dieser Stelle genügen. Hier zeigt sich ein bekanntes Muster. Wenn selbst<br />
ein Ju<strong>de</strong>, zu<strong>de</strong>m aus einem traditionellen Elternhaus solche Positionen einnimmt, dann hat das<br />
natürlich eine entlasten<strong>de</strong> <strong>und</strong> legitimieren<strong>de</strong> Funktion. Seine Arg<strong>um</strong>ente öffnen Tor <strong>und</strong> Tür für<br />
fast alle altbekannten Stereotypen, sei es das Opfer <strong>de</strong>r Palästinenser für die <strong>de</strong>utsche Schuld, sei<br />
es die Kritik <strong>de</strong>s Zionismus als rassistische I<strong>de</strong>ologie, sei es die Kritik am Erwählungsgedanken<br />
<strong>Israel</strong>s, <strong>de</strong>r Instr<strong>um</strong>entalisierung <strong>de</strong>s Holocaust durch die israelische Politik etc.<br />
5
1.3 Jochen Vollmer: „Vom Nationalgott Jahwe z<strong>um</strong> Herrn <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> aller Völker“<br />
Der im August 2011 im Deutschen Pfarrerblatt erschienene Artikel <strong>de</strong>s emeritierten Pfarrers<br />
Jochen Vollmer sorgte nicht nur im innerkirchlichen Kontext für heftige Kontroversen, auch<br />
irritierte An–fragen von jüdischen Gesprächspartnern zeigten, dass hier eine Grenze überschritten<br />
war.<br />
Zu <strong>de</strong>m Artikel Vollmers gibt es eine ausführliche <strong>Debatte</strong>, in <strong>de</strong>r seine theologisch fragwürdigen<br />
<strong>und</strong> historisch verkürzten Ausführungen insbeson<strong>de</strong>re zur Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es<br />
<strong>und</strong> einer Verortung <strong>de</strong>s Zionismus <strong>de</strong>montiert wer<strong>de</strong>n (z.B. auf <strong>reformiert</strong>-<strong>info</strong>). Hier sollen<br />
<strong>de</strong>shalb nur einige seiner Thesen genannt wer<strong>de</strong>n, weil sich hier auffällige Parallelen zu <strong>de</strong>n<br />
bereits vorher dargestellten Äußerungen ent<strong>de</strong>cken lassen.<br />
Für Vollmer ist die Gründung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> eine Konsequenz aus <strong>de</strong>m Holocaust <strong>und</strong> die<br />
Palästinenser wer<strong>de</strong>n zu Opfern von Opfern. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Holocaust zu einem wesentlichen Merkmal<br />
jüdischer I<strong>de</strong>ntität nach 1945 wird, manifestiert sich darin bis heute im Selbstverständnis<br />
<strong>Israel</strong>s eine Opfermentalität. (S. 2). Verb<strong>und</strong>en mit <strong>de</strong>m religiösen Anspruch, dass das <strong>Land</strong> von<br />
Gott versprochen ist, legitimiert diese die unrechtmäßige Besitznahme <strong>de</strong>s <strong>Land</strong>es („Eindringlinge<br />
<strong>und</strong> Räuber“, S. 2) <strong>und</strong> die Vertreibung <strong>und</strong> Verdrängung seiner bisherigen Bewohner. „Dass<br />
<strong>Israel</strong> <strong>de</strong>n Arabern das <strong>Land</strong> geraubt hat, wird mit <strong>de</strong>r biblischen <strong>Land</strong>verheißung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Inanspruchnahme<br />
<strong>de</strong>s Gottes <strong>Israel</strong> gegen <strong>de</strong>n Gott <strong>de</strong>r Araber legitimiert.“ (S. 3)<br />
Ein Gr<strong>und</strong>übel liegt in <strong>de</strong>m Dilemma, dass <strong>Israel</strong> gleichzeitig als jüdischer <strong>Staat</strong> seinen religiösen<br />
Traditionen verpflichtet ist <strong>und</strong> zu einer exklusiv jüdischen Bevölkerung tendiert, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Seite als <strong>de</strong>mokratischer <strong>Staat</strong> <strong>de</strong>r Gleichheit aller Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger vor <strong>de</strong>m Gesetz<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>n allgemeinen Menschenrechten verpflichtet ist. Hierin, also im religiösen Charakter <strong>de</strong>s<br />
<strong>Staat</strong>es, sieht Vollmer die Ursache für die Friedlosigkeit <strong>Israel</strong>s. „Als jüdischer <strong>Staat</strong> geht er<br />
zwangsläufig mit <strong>de</strong>r Vertreibung <strong>und</strong> Unterdrückung <strong>de</strong>r nicht-jüdischen Bevölkerung einher.“<br />
(S. 5)<br />
Nur konsequent kritisiert er aus dieser Perspektive <strong>de</strong>n Rheinischen Synodalbeschluss, wenn dort<br />
in <strong>de</strong>r Errichtung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> ein Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes gesehen wird. Hierin sieht Vollmer<br />
<strong>de</strong>n Versuch, die unsägliche Schuld theologisch zu kompensieren, die Christen auf sich gela<strong>de</strong>n<br />
haben, z<strong>um</strong>al das Volk <strong>Israel</strong> mit <strong>de</strong>r staatlichen Verfasstheit seines <strong>Staat</strong>es H<strong>und</strong>erttausen<strong>de</strong><br />
unschuldige Menschen zu Opfern gemacht habe <strong>und</strong> weiter macht (S. 6).<br />
In <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n theologischen Arg<strong>um</strong>entation führt er die innerbiblische Kritik am Königt<strong>um</strong>,<br />
wie auch die Geschichte <strong>Israel</strong>s an. Während die <strong>Staat</strong>lichkeit <strong>Israel</strong>s nur eine vorübergehen<strong>de</strong><br />
Episo<strong>de</strong> war, entstand im Exil <strong>de</strong>r Monotheismus. <strong>Die</strong> <strong>Land</strong>verheißung entspricht <strong>de</strong>m Paradigma<br />
von Stammesgesellschaften <strong>und</strong> ihren Gottheiten. <strong>Die</strong>ses Paradigma wird mit <strong>de</strong>m Monotheismus<br />
überw<strong>und</strong>en: „Mit <strong>de</strong>m Verlust seiner <strong>Staat</strong>lichkeit wur<strong>de</strong> <strong>Israel</strong> herausgefor<strong>de</strong>rt, im universalen<br />
Horizont Gott als Gott <strong>Israel</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Völker wie als Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />
neu zu <strong>de</strong>nken. Gott hat sein Volk herausgeführt aus <strong>de</strong>r nationalreligiösen Gefangenschaft in<br />
<strong>de</strong>n Glauben an seine universale Königsherrschaft über alle Völker.“ (S. 8)<br />
Vollmer unterschei<strong>de</strong>t im Folgen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n nationalistischen Horizont <strong>de</strong>s Glaubens, nach <strong>de</strong>m das<br />
Volk (im ethnischen Sinn), <strong>Land</strong> <strong>und</strong> Gott eine wesensmäßige Dreiheit bil<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m universalen<br />
Horizont <strong>de</strong>s Glaubens, bei <strong>de</strong>m das Volk als Glaubensgemeinschaft lebt, die an <strong>de</strong>n einen<br />
Gott glaubt <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>r Tora lebt. Der „Nationalgott Jahwe“ gehört in die Gründungsgeschichte<br />
<strong>Israel</strong>s, mit <strong>de</strong>m Exil wird diese nationalistische Perspektive zerstört, da Gott nun <strong>de</strong>r Gott<br />
aller Völker ist (S. 9). Hinzu kommt, dass sich seit <strong>de</strong>m Exil das Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> nicht mehr ethnisch<br />
konstituiert <strong>und</strong> an das <strong>Land</strong> geographisch nicht mehr geb<strong>und</strong>en ist (S. 9).<br />
Mit seiner Behauptung, das jüdische Volk sei keine ethnische Größe mehr, wi<strong>de</strong>rspricht Vollmer<br />
<strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>r jüdischen Tradition <strong>und</strong> auch einem Selbstverständnis, wonach je<strong>de</strong>r jüdisch<br />
ist, <strong>de</strong>r eine jüdische Mutter hat bzw. z<strong>um</strong> Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> übertritt, das selbst von <strong>de</strong>n meisten säkularen<br />
Ju<strong>de</strong>n geteilt wird. Als Nichtju<strong>de</strong> schreibt er so Ju<strong>de</strong>n vor, wie sie sich zu verstehen haben<br />
– eine ungeheure Anmaßung (Meißner, 2011).<br />
Hieraus folgt für Vollmer auch, dass das Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> als Glaubensgemeinschaft, aber eben nicht<br />
mehr als Volk, keinen Anspruch auf einen eigenen <strong>Staat</strong> erheben kann. Mit <strong>de</strong>m Verweis auf das<br />
Babylonische Exil folgert er daraus eine Unvereinbarkeit von jüdischem Volk <strong>und</strong> jüdischem<br />
<strong>Staat</strong>. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Exil zwar zeigte, dass ein <strong>Staat</strong> für das jüdische Volk<br />
6
nicht notwendig für seine Existenz ist. Es ist damit aber noch lange nicht gesagt, dass es keinen<br />
<strong>Staat</strong> haben darf, wie Vollmer daraus schließt (Meißner, 2011).<br />
<strong>Die</strong>sen Schritt, so Vollmer, muss auch die Theologie vollziehen, die sich befreien soll „aus nationalreligiöser<br />
Gefangenschaft, aus einem partikularen <strong>und</strong> exklusiven Missverständnis Gottes<br />
zugunsten von <strong>Israel</strong> auf Kosten <strong>de</strong>r Völker, aus <strong>de</strong>r missbräuchlichen Vereinnahmung <strong>de</strong>r Bibel<br />
für nationalreligiöse Interessen“ (S. 10). Er bezieht sich hier ausdrücklich auf die palästinensische<br />
Befreiungstheologie, wie sie z.B. von Naim S. Ateek formuliert wur<strong>de</strong>.<br />
Ausgehend von <strong>de</strong>r Schöpfungserzählung, wonach <strong>de</strong>r Mensch nach <strong>de</strong>m Bild Gottes geschaffen<br />
ist, ist je<strong>de</strong>r Mensch, so betont Vollmer, Gott heilig. <strong>Die</strong>s wird von <strong>de</strong>r nationalreligiösen Rechten<br />
in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> ihren „vielen vermeintlichen christlichen Fre<strong>und</strong>en“ verleugnet, wenn sie <strong>um</strong> <strong>de</strong>r<br />
Heiligkeit <strong>de</strong>s <strong>Land</strong>es willen Menschrechtsverletzungen für geboten halten (S. 10).<br />
Mit <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rholten <strong>und</strong> gezielten Verwendung <strong>de</strong>s Begriff „nationalreligiös“ stellt Vollmer<br />
einen <strong>de</strong>utlichen Bezug zu aktuellen Strömungen in <strong>Israel</strong> her, die insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>n Siedlern<br />
zu i<strong>de</strong>ntifizieren sind. Innerbiblisch i<strong>de</strong>ntifiziert er diese Haltung vorrangig mit <strong>de</strong>m Deuteronomi<strong>um</strong><br />
<strong>und</strong> seinen „nationalistischen Traditionen“ sowie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>uteronomistischem Geschichtswerk<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>n gewaltsam ausgeschmückten Erzählungen <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>nahme. Dem stellt er die Propheten<br />
<strong>und</strong> hier vor–rangig die Exilspropheten gegenüber. <strong>Die</strong>s geschieht in einer problematischen<br />
christlich-theologischen Tradition, die in <strong>de</strong>n Propheten nicht eine jüdische Stimme, son<strong>de</strong>rn<br />
ein kritisches Gegenüber z<strong>um</strong> jüdischen Volk sehen (Meißner, 2011). Hiermit steht er in<br />
einer theologischen Tradition, die das Neue Testament als Fortsetzung dieser prophetischen Tradition<br />
sieht, während im sog. „Spätju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong>“ <strong>und</strong> im rabbinischen Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> eine Fortsetzung<br />
<strong>de</strong>s alten Partikularismus einer Stammesreligion gesehen wer<strong>de</strong>n (Meißner, 2011).<br />
Ebenso wie im palästinensischen Dok<strong>um</strong>ent „St<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r Wahrheit“ fin<strong>de</strong>t sich bei Vollmer eine<br />
fragwürdige Ausspielung von Universalismus vs. Partikularismus. Er macht dabei <strong>de</strong>n Universalismus<br />
nicht allein an <strong>de</strong>r Schöpfungserzählung, son<strong>de</strong>rn beson<strong>de</strong>rs an <strong>de</strong>r Exilserfahrung fest.<br />
Dabei lässt er außer Acht, dass es hier nicht <strong>um</strong> eine Alternative geht <strong>und</strong> die universalistische<br />
Öffnung nach <strong>de</strong>m Exil für an<strong>de</strong>re Völker <strong>de</strong>n Partikularismus <strong>de</strong>r Gottesbeziehung nicht aufhebt.<br />
<strong>Die</strong> Konsequenz dieser Haltung ist nicht nur eine Entwertung weiter Teile <strong>de</strong>r Hebräischen<br />
Bibel, son<strong>de</strong>rn hat auch Konsequenzen für die Sicht <strong>de</strong>s Neuen Testaments.<br />
1.4 Burkhard Müller: „Der Allmächtige als Lenker <strong>de</strong>r Weltgeschichte?“<br />
In seiner morgendlichen R<strong>und</strong>funkandacht vom 20.9.2011 beschäftigte sich auch <strong>de</strong>r emeritierte<br />
Bonner Superinten<strong>de</strong>nt Burkhard Müller mit <strong>de</strong>r Frage, wie die Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Entstehung <strong>de</strong>s<br />
<strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> als Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes zu verstehen ist. Er stellt diese in <strong>de</strong>n Kontext unterschiedlicher<br />
geschichtlicher Ereignisse, wie <strong>de</strong>n Hurricane Katrina, <strong>de</strong>r New Orleans heimsuchte,<br />
<strong>de</strong>n Zusammenbruch Deutschlands 1945, Auschwitz <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Mauerfall. Möglichen Deutungen<br />
dieser Ereignisse als Ausdruck von Gottes allmächtigem Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Geschichte erteilt er die<br />
Absage. Auch hier, so Müller, haben wir das Bild von einem allmächtigen Gott hervor geholt, <strong>de</strong>r<br />
die Geschichte <strong>Israel</strong>s lenkt <strong>und</strong> darin seine Treue beweist. Und er fragt: „Ist Gottes Treue auch<br />
da noch am Werk, wo israelische Siedler unter Berufung auf Gottes Verheißungen <strong>de</strong>r Bibel <strong>de</strong>n<br />
Palästinensern ihre Heimat wegnehmen?“<br />
Fairerweise muss hier auch auf eine folgen<strong>de</strong> R<strong>und</strong>funkandacht am 7.10.2011 hingewiesen wer<strong>de</strong>n,<br />
in <strong>de</strong>r Müller sich auf das palästinensische Dok<strong>um</strong>ent „<strong>Die</strong> St<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r Wahrheit“ bezieht<br />
<strong>und</strong> in differenzierterer Weise arg<strong>um</strong>entiert. So erläutert er die Genese <strong>und</strong> die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
christlich-jüdischen Gesprächs. Er weist auf die Handreichung <strong>de</strong>r EKiR „Diskussionsimpuls zur<br />
Lage in <strong>Israel</strong>/Palästina“ hin <strong>und</strong> wertet diesen positiv als einen Versöhnungs-Impuls, <strong>de</strong>r keine<br />
frustrierte Rechthaberei gegenüber <strong>de</strong>n Konfliktparteien praktiziert.<br />
1.5 Grass-Gedicht(e)<br />
Nur kurz erwähnt wer<strong>de</strong>n soll hier die Veröffentlichung <strong>de</strong>s Gedichtes „Was gesagt wer<strong>de</strong>n<br />
muss“ von Günter Grass im April 2012, in <strong>de</strong>m er sich mit einem möglichen Angriff <strong>Israel</strong>s auf<br />
<strong>de</strong>n Iran auseinan<strong>de</strong>rsetzt <strong>und</strong> das neben heftiger Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in Deutschland für<br />
Grass auch zu einem Einreiseverbot nach <strong>Israel</strong> führte, das formal allerdings mit seiner Mitgliedschaft<br />
in <strong>de</strong>r Waffen-SS begrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> (Spiegel online vom 8.4.2011). In seinem gera<strong>de</strong> er-<br />
7
schienenen Gedichtband „Eintagsfliegen“ setzt er sich nun erneut auch mit <strong>de</strong>r israelischen Politik<br />
auseinan<strong>de</strong>r, neben <strong>de</strong>m bereits bekannten Gedicht insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>m seit 1986 inhaftierten<br />
israelischen Nukleartechniker Mor<strong>de</strong>chai Vanunu, <strong>de</strong>r das israelische Atomprogramm<br />
öffentlich machte <strong>und</strong> nun für 18 Jahre wegen Spionage eine Haftstrafe absitzen muss <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />
er als Hel<strong>de</strong>n bezeichnet. Das früher veröffentlichte Gedicht gegen die israelische Politik gegenüber<br />
<strong>de</strong>m Iran hat er in diesem Band geringfügig überarbeitet (Zeit online vom 20.9.2012). Er<br />
spricht jetzt nicht mehr von <strong>de</strong>r „Atommacht <strong>Israel</strong>“, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r „gegenwärtigen Regierung<br />
<strong>de</strong>r Atommacht“, da, wie er ausführt, sich seine Kritik allein gegen die Regierung <strong>de</strong>s israelischen<br />
Premier Netanjahu richte.<br />
Interessant in unserem Zusammenhang ist an diesem Gedicht vor allem <strong>de</strong>r vermeintliche Tabubruch,<br />
<strong>de</strong>n Grass hier vorzunehmen meint <strong>und</strong> <strong>de</strong>r seiner Meinung nach aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n<br />
Gefahr durch einen israelischen Angriff auf <strong>de</strong>n Iran längst überfällig <strong>und</strong> nötig sei.<br />
„Das allgemein Verschweigen dieses Tatbestan<strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>m sich mein Schweigen untergeordnet hat,<br />
empfin<strong>de</strong> ich als belasten<strong>de</strong> Lüge<br />
<strong>und</strong> Zwang, <strong>de</strong>r Strafe in Aussicht stellt,<br />
sobald er missachtet wird;<br />
das ‚Verdikt Antisemitismus’“<br />
<strong>und</strong> weiter:<br />
„<strong>und</strong> zugegeben: ich schweige nicht mehr,<br />
weil ich <strong>de</strong>r Heuchelei <strong>de</strong>s Westens überdrüssig bin; zu<strong>de</strong>m ist zu hoffen,<br />
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,<br />
<strong>de</strong>n Verursacher <strong>de</strong>r erkennbaren Gefahr<br />
z<strong>um</strong> Verzicht auf Gewalt auffor<strong>de</strong>rn ...“<br />
Wie kommt es immer wie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>m Bedürfnis ein Tabu zu brechen, das z.B. von Seiten vieler<br />
<strong>Israel</strong>is gar nicht als solches betrachtet wird? Wer die israelische Presse verfolgt, wird sich fragen,<br />
welches Tabu hier gebrochen wird, wer<strong>de</strong>n doch überaus kritisch politische Positionen <strong>de</strong>r<br />
Regierung, Rechtsverletzungen, Fragen <strong>de</strong>r Siedlungspolitik etc. diskutiert. O<strong>de</strong>r betrifft dieses<br />
Tabu nur <strong>de</strong>utsche Stimmen in dieser Diskussion? Wie kommt es also zu <strong>de</strong>m Drang (zufällig o<strong>de</strong>r<br />
auffälliger Weise?) beson<strong>de</strong>rs älterer Protagonisten, ein – vermeintliches – Tabu brechen zu wollen?<br />
2. Arg<strong>um</strong>entationslinien<br />
<strong>Die</strong> oben skizzierten Äußerungen stammen aus unterschiedlichen Kontexten <strong>und</strong> sprechen aus<br />
unterschiedlichen Perspektiven. Generell ist zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen einer Perspektive <strong>de</strong>r<br />
eigenen Betroffenheit, wie sie das sog. Kairos-Papier beinhaltet, <strong>und</strong> Perspektiven von außen, die<br />
aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen bzw. US-amerikanischen Kontext stammen. Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />
Beiträgen, doch auch bei Braverman, geht es erklärter Maßen dar<strong>um</strong>, ein Tabu, bzw. das – vermeintliche<br />
– Schweigen zu brechen.<br />
2.1 Tabubrüche?<br />
Tabus gibt es in je<strong>de</strong>r Gesellschaft, sie beziehen sich auf ganz unterschiedliche Bereiche <strong>de</strong>s privaten<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichen Lebens <strong>und</strong> bezeichnen allgemein ausgedrückt etwas, worüber man<br />
nicht sprechen <strong>und</strong> wie man nicht han<strong>de</strong>ln darf. Trotz <strong>de</strong>r negativen Konnotation <strong>de</strong>s Wortes<br />
haben sie eine Ordnung <strong>und</strong> Orientierung stiften<strong>de</strong> Funktion, sind allerdings je nach Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> Kontext sehr verschie<strong>de</strong>n.<br />
Eine beson<strong>de</strong>re Form von Tabus entstand in <strong>de</strong>n 1990er Jahren in <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> wird mit <strong>de</strong>m<br />
Begriff political correctness bezeichnet. Im Fokus stan<strong>de</strong>n hier im Gefolge <strong>de</strong>r Neuen Sozialen<br />
Bewegungen die Rechte von Frauen sowie ethnischer <strong>und</strong> sozialer Min<strong>de</strong>rheiten mit <strong>de</strong>m Ziel,<br />
8
Diskriminierung abzubauen (Abmeier, 2012). Einerseits sollte es in einer freien Gesellschaft keine<br />
Beschränkung <strong>de</strong>r Meinungs- <strong>und</strong> Diskursfreiheit geben, an<strong>de</strong>rerseits ist danach zu fragen, wo<br />
die Grenze liegt. <strong>Die</strong> Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen, wie sie im Gr<strong>und</strong>gesetz formuliert ist, bietet hier eine<br />
Orientierung. Man sollte also nichts sagen dürfen, was an<strong>de</strong>ren Menschen das Recht auf eine<br />
Existenz in Wür<strong>de</strong> abspricht. „<strong>Die</strong> Schranke <strong>de</strong>r Meinungsfreiheit misst sich daran, wie sie einzelnen<br />
Menschen <strong>und</strong> Gruppen dient, Lebenschancen wahrzunehmen <strong>und</strong> ein menschenwürdiges<br />
Leben zu führen, <strong>und</strong> wann sie die Rechte an<strong>de</strong>rer verletzt – sei es durch Herabwürdigung, öffentliche<br />
Bloßstellung, Demütigung o<strong>de</strong>r durch (bewusste) Falschdarstellung“ (Abmeier, 2012).<br />
Wer<strong>de</strong>n Themen tabuisiert, häufig weil es schwerfällt, komplexe Zusammenhänge verständlich<br />
darzustellen, öffnet dies populistischem Denken Tür <strong>und</strong> Tor: Ein Beispiel bietet hierfür die Integrations<strong>de</strong>batte.<br />
Wer<strong>de</strong>n aus Sorge <strong>um</strong> die political correctness Probleme nicht benannt <strong>und</strong><br />
angesprochen, so wird hierdurch selbsternannten Tabubrechern <strong>de</strong>r Ra<strong>um</strong> überlassen, wie unlängst<br />
Thilo Sarrazin, <strong>de</strong>r sich z<strong>um</strong> Sprachrohr <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Volkes stilisieren konnte. Eine<br />
beson<strong>de</strong>re Rolle kommt in diesen <strong>Debatte</strong>n <strong>de</strong>n Medien zu, die häufig Konflikte zuspitzen, <strong>um</strong><br />
Aufmerksamkeit zu erzeugen (Abmeier, 2012). In diesem Zusammenhang sehen sich dann Politiker<br />
<strong>und</strong> Experten <strong>de</strong>r Gefahr ausgesetzt, bei komplizierten Sachverhalten falsch verstan<strong>de</strong>n zu<br />
wer<strong>de</strong>n, so dass sie eher schweigen. Es entsteht eine Schweigespirale, die eben aus <strong>de</strong>r Komplexität<br />
<strong>de</strong>r Sachverhalte resultiert.<br />
Auch die <strong>de</strong>utsche Vergangenheit ist in unserer Gesellschaft ein Thema, mit <strong>de</strong>m Tabus in vielerlei<br />
Hinsicht <strong>und</strong> aus gutem Gr<strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en sind. Bestimmte Positionen zu vertreten, bestimmte<br />
Symbole zu zeigen o<strong>de</strong>r Handlungen vorzunehmen, die sich aus <strong>de</strong>m F<strong>und</strong>es <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />
Vergangenheit speisen, sind nicht nur ein Tabu, son<strong>de</strong>rn stehen z.T. auch unter Strafe.<br />
<strong>Die</strong>ses Tabu liegt begrün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>n zentralen Wertevorstellungen <strong>de</strong>r Gesellschaft, die geschützt<br />
wer<strong>de</strong>n sollen <strong>und</strong> stützt die kollektive I<strong>de</strong>ntität (Mil<strong>de</strong>nberger/Schrö<strong>de</strong>r, 2012). Auf<br />
je<strong>de</strong>n Fall gilt es hier in beson<strong>de</strong>rer Weise zu be<strong>de</strong>nken, wie, was <strong>und</strong> an welchem Ort gesprochen<br />
wird.<br />
In diesen Kontext gehört auch das Verhältnis z<strong>um</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong>. <strong>Die</strong> beson<strong>de</strong>re Unterstützung <strong>de</strong>s<br />
<strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> gehört in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland zur <strong>Staat</strong>sräson <strong>und</strong> ist aus gutem<br />
Gr<strong>und</strong> nicht verhan<strong>de</strong>lbar. <strong>Die</strong>s darf jedoch nicht be<strong>de</strong>uten, dass Themenfel<strong>de</strong>r ausgespart wer<strong>de</strong>n,<br />
wiewohl ein sorgfältiger <strong>und</strong> reflektierter Umgang geboten ist. Wird eine öffentliche <strong>Debatte</strong><br />
blockiert, weil die Zusammenhänge zu komplex erscheinen, <strong>um</strong> sie im medialen Kontext<br />
angemessen darzustellen, so ist auch hier das Auftreten selbsternannter populistischer Tabubrecher<br />
vorprogrammiert.<br />
Gera<strong>de</strong> diese komplexen Zusammenhänge sind es, die in <strong>de</strong>n oben dargestellten Positionen nicht<br />
mehr berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Das Bedürfnis nach einfachen Antworten, nach einer klaren Entscheidung,<br />
wer Täter <strong>und</strong> wer Opfer in diesem Konflikt ist, bricht sich hier Bahn <strong>und</strong> bringt populistische<br />
Züge in <strong>de</strong>r Arg<strong>um</strong>entation hervor. Sie bedienen ein Bedürfnis nach Ein<strong>de</strong>utigkeit, die<br />
angesichts <strong>de</strong>r Realität nicht zu haben ist, sie entlasten von <strong>de</strong>n Mühen, sich mit komplizierten<br />
Sachverhalten auseinan<strong>de</strong>rzusetzen. Scheinbar ist eine Lösung ganz einfach, wenn die als Täter<br />
i<strong>de</strong>ntifizierte Partei sich nur entsprechend verhalten wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r durch Druck dazu gebracht<br />
wird.<br />
Beziehen wir diese sehr knapp gehaltenen Ausführungen auf die oben dargestellten Positionen,<br />
kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Im politischen Diskurs spielt neben <strong>de</strong>m Tabubruch auch <strong>de</strong>r –<br />
inszenierte – Tabuvorwurf eine eigene Rolle. War dies insbeson<strong>de</strong>re eine Sache <strong>de</strong>r intellektuellen<br />
Linken seit <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntenbewegung, die sich damit gegen das Verschweigen <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />
Vergangenheit in <strong>de</strong>n 50er <strong>und</strong> 60er Jahren wandten, so ist diese Strategie mittlerweile<br />
in allen politischen Lagern zu fin<strong>de</strong>n (Mil<strong>de</strong>nberger/Schrö<strong>de</strong>r, 2012). Der Vorwurf <strong>de</strong>s Tabus,<br />
das angeblich eine Denkhemmung erzeugt <strong>und</strong> für die Gesellschaft schädlich ist, entwickelt<br />
eine eigene Dynamik: Derjenige, <strong>de</strong>r das Tabu bricht, erscheint als Aufklärer <strong>und</strong> Befreier.<br />
Interessant für unseren Zusammenhang ist die Beobachtung, dass sich dieser Tabuvorwurf häufig<br />
auf Dinge richtet, die eigentlich gar nicht mit einem Tabu belegt sind. Entwe<strong>de</strong>r, weil es sich<br />
nicht <strong>um</strong> ein Tabu han<strong>de</strong>lt, wie z.B. die Ablehnung je<strong>de</strong>r Form von Antisemitismus, was einen<br />
ganz normalen gesellschaftlich erreichten Standard beschreibt (Mil<strong>de</strong>nberger/Schrö<strong>de</strong>r, 2012).<br />
Der an<strong>de</strong>re Fall bezieht sich auf Zusammenhänge, Erkenntnisse <strong>und</strong> Tatbestän<strong>de</strong>, die durchaus<br />
diskutiert wer<strong>de</strong>n, aber häufig in <strong>de</strong>r – medialen – Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrge-<br />
9
nommen wer<strong>de</strong>n. Eine Kritik an <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r israelischen Regierung ist – an<strong>de</strong>rs als oftmals<br />
behauptet – nicht mit einem Tabu belegt. <strong>Die</strong> Folgen <strong>de</strong>r israelischen Besatzung, <strong>de</strong>r Siedlungspolitik,<br />
<strong>de</strong>r Menschenrechtsverletzungen wer<strong>de</strong>n sowohl in <strong>Israel</strong> selbst als auch durch an<strong>de</strong>re,<br />
auch <strong>de</strong>utsche, Stimmen kritisiert. <strong>Die</strong> Frage ist, war<strong>um</strong> immer wie<strong>de</strong>r behauptet wird, dass genau<br />
dies nicht möglich sei. Wer<strong>de</strong>n damit an<strong>de</strong>re, tiefer liegen<strong>de</strong> tabuisierten Einstellungen<br />
möglicherweise zuge<strong>de</strong>ckt?<br />
2.2 Befreiungstheologie – <strong>und</strong> ihre blin<strong>de</strong>n Flecken<br />
Das Dok<strong>um</strong>ent <strong>de</strong>r palästinensischen Christen soll hier geson<strong>de</strong>rt bedacht wer<strong>de</strong>n, lässt sich doch<br />
hier sicher nicht von einem Tabubruch re<strong>de</strong>n, wenn es <strong>um</strong> eine Kritik <strong>de</strong>r israelischen Politik<br />
geht.<br />
In <strong>de</strong>m Ausspielen von Universalismus vs. Partikularismus reproduziert das Papier eine lange<br />
christliche Tradition, bei <strong>de</strong>r <strong>Israel</strong> je<strong>de</strong> theologische Relevanz abgesprochen wird. Dabei ist an<br />
diesen Darlegungen neu, dass hier kein einziges Mal <strong>Israel</strong>, seine Geschichte o<strong>de</strong>r Aspekte seiner<br />
Geschichte benannt wer<strong>de</strong>n (Wengst, 2011).<br />
Ein weiteres Spezifik<strong>um</strong> liegt allerdings darin, dass hier eine Theologie entfaltet wird, die <strong>de</strong>utlich<br />
befreiungstheologische Wurzeln hat. Allein schon in <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Papiers fin<strong>de</strong>t sich<br />
<strong>de</strong>r theologische Dreischritt „Sehen – Urteilen – Han<strong>de</strong>ln“ wie<strong>de</strong>r: Man beginnt mit einer Analyse<br />
<strong>de</strong>r Situation, diese wird angesichts <strong>de</strong>s Glaubens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r politischen Situation reflektiert <strong>und</strong><br />
en<strong>de</strong>t mit Appellen <strong>und</strong> Vorschlägen für konkretes Han<strong>de</strong>ln.<br />
<strong>Die</strong>se Theologie zeigt jedoch auch die für manche Befreiungstheologien übliche Blindheit gegenüber<br />
<strong>de</strong>m jüdischen Volk, auch wenn es dafür gera<strong>de</strong> in diesem Kontext im Unterschied zu<br />
an<strong>de</strong>ren Teilen <strong>de</strong>r Welt erklärbare Grün<strong>de</strong> geben mag.<br />
Bis in die 1990er Jahre war <strong>de</strong>r christlich-jüdische Dialog für die allermeisten Befreiungstheologen<br />
kein Thema. <strong>Die</strong>se Blindheit, <strong>um</strong> nicht zu sagen dieser Antijudaismus, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n frühen<br />
Befreiungstheologien weit verbreitet war, hat theologische, aber sicher auch politische Ursachen.<br />
So fin<strong>de</strong>n sich häufig im Kontext linker antikolonialer Bewegungen, mit <strong>de</strong>nen viele<br />
Befreiungstheologen in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Sü<strong>de</strong>ns sich solidarisierten, antizionistische Arg<strong>um</strong>ente.<br />
Der Zionismus wird als eine Spielart <strong>de</strong>s Rassismus gesehen, was auch in offiziellen Dok<strong>um</strong>enten<br />
wie <strong>de</strong>r UN-Resolution 3379 aus <strong>de</strong>m Jahr 1975 so formuliert wird. Dass palästinensische Christen<br />
aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r eigenen Betroffenheit noch einmal ganz beson<strong>de</strong>re Probleme damit haben,<br />
eine Theologie nachzuvollziehen, die sich im christlich-jüdischen Gespräch entwickelt hat, ist<br />
zwar verständlich, stellt jedoch eine beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rung dar. <strong>Die</strong>se Sicht ist einerseits<br />
<strong>de</strong>r historischen <strong>und</strong> politischen Situation geschul<strong>de</strong>t, hat aber auch etwas mit <strong>de</strong>r befreiungstheologischen<br />
Metho<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Exegese von Bibeltexten zu tun. <strong>Die</strong>se soll in Gr<strong>und</strong>zügen kurz<br />
skizziert wer<strong>de</strong>n.<br />
Zu <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>sätzen befreiungstheologischer Bibellektüre gehört die Auslegung <strong>de</strong>r Bibel durch<br />
die Armen selbst, wobei <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Armen o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>s Volkes keine allein materielle Kategorie<br />
beschreibt, son<strong>de</strong>rn unterschiedliche Gruppen meint, die marginalisiert, diskriminiert o<strong>de</strong>r<br />
unterdrückt sind. Sie sind die ersten Adressaten <strong>de</strong>r biblischen Befreiungsbotschaft, die sich in<br />
<strong>de</strong>r Hebräischen Bibel vorrangig im Exodusmotiv <strong>und</strong> <strong>de</strong>r prophetischen Tradition zeigt, im Neuen<br />
Testament u.a. auch in Texten wie <strong>de</strong>m Magnifikat. Dabei wird die historisch-kritische Metho<strong>de</strong><br />
zugunsten einer kreativen <strong>und</strong> auf die eigene Situation bezogene Aneignung zurückgestellt.<br />
<strong>Die</strong>s führt u.a. zu einer (vor)schnellen I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Volk Gottes, was in <strong>de</strong>r Konsequenz<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> auf eine Enterbungstheologie hinauslaufen kann. Auch dies<br />
ist in <strong>de</strong>m palästinensischen Dok<strong>um</strong>ent implizit u.a. in <strong>de</strong>r Universalisierung <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>verheißung<br />
angelegt.<br />
Auf neutestamentliche Texte bezogen fin<strong>de</strong>n sich gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r älteren lateinamerikanischen<br />
Befreiungstheologien Auslegungen, die einen scharfen Gegensatz zwischen Jesus, <strong>de</strong>n Sadduzäern<br />
<strong>und</strong> Pharisäern ausmachen, die als Repräsentanten eines tödliche Religionssystems gesehen<br />
wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Hauptvertreter <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong>s wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>r ‚nationalen Sicherheit’<br />
in <strong>de</strong>n lateinamerikanischen Militärdiktaturen gleichgesetzt. 2 Jesus wird als <strong>de</strong>rjenige<br />
gesehen, <strong>de</strong>r die Armen von einem starren <strong>und</strong> Leben vernichten<strong>de</strong>n Regelwerk befreit, dieses<br />
2 So z.B. Carlos Mesters, Vom Leben zur Bibel, von <strong>de</strong>r Bibel z<strong>um</strong> Leben, Mainz 1983.<br />
10
durch Liebe überwin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>m religiösen Establishment entgegenstellt. Dabei wird<br />
<strong>de</strong>m historischen Jesus <strong>de</strong>r Vorrang vor <strong>de</strong>m geglaubten Christus gegeben (Lois, 1995, S. 220ff),<br />
wobei sich natürlich die Frage stellt, mit welchen Projektionen dieser historische Jesus gezeichnet<br />
wird.<br />
<strong>Die</strong> westliche Theologie wird scharf kritisiert, <strong>und</strong> es wird bereits 1975 eine „Befreiung <strong>de</strong>r Theologie“<br />
(Juan Luis Seg<strong>und</strong>o) gefor<strong>de</strong>rt – eine Formulierung, die sich auch im palästinensischen<br />
Kairos-Papier fin<strong>de</strong>t.<br />
<strong>Die</strong>se Kritik richtig sich z<strong>um</strong> einen gegen die Metho<strong>de</strong>, wie z.B. die Konzentration auf die historisch-kritische<br />
Exegese, aber auch gegen eine Spiritualisierung von Theologie, die von <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen absieht, damit Unterdrückung <strong>und</strong> Ungerechtigkeit hinnimmt <strong>und</strong> so<br />
System stabilisierend wirkt.<br />
Hinzu kommt in diesem Fall, dass sich diese Form <strong>de</strong>r Befreiungstheologie explizit <strong>und</strong> konkret<br />
gegen <strong>Israel</strong> wen<strong>de</strong>t, während es sich in <strong>de</strong>r lateinamerikanischen Variante nicht <strong>um</strong> ein konkretes<br />
jüdisches Gegenüber han<strong>de</strong>lte, das als Feind angesehen wur<strong>de</strong>.<br />
Ein befreiungstheologischer Ansatz, <strong>de</strong>r eine Bibelauslegung auf die eigene Situation bezieht,<br />
muss jedoch nicht zwingend zu diesen Ergebnissen führen. Eine aktualisieren<strong>de</strong> Lesart <strong>de</strong>r Schrift<br />
teilt sogar viel mit rabbinischer Hermeneutik. Deshalb ist eher zu fragen, ob nicht die Ergebnisse<br />
<strong>de</strong>s christlich-jüdischen Gesprächs bisher viel zu wenig mit befreiungstheologischen Ansätzen<br />
ins Gespräch gebracht wor<strong>de</strong>n sind.<br />
Vor diesen in aller Kürze dargestellten Gr<strong>und</strong>mustern eines befreiungstheologischen Ansatzes<br />
stehen wir vor zwei Herausfor<strong>de</strong>rungen:<br />
1. Aus <strong>de</strong>m Kontext von Leid <strong>und</strong> Unterdrückung <strong>de</strong>r palästinensischen Christen heraus wer<strong>de</strong>n<br />
wir mit <strong>de</strong>r Anfrage konfrontiert, inwieweit unsere Theologie die dort benannten ungerechten<br />
Verhältnisse rechtfertigt <strong>und</strong> stabilisiert. <strong>Die</strong>se Anfrage ist verständlich <strong>und</strong> legitim. Hier geht es<br />
dar<strong>um</strong> kritisch zu reflektieren, inwieweit unser eigener Kontext <strong>und</strong> die sich daraus entwickeln<strong>de</strong><br />
Theologie, insbeson<strong>de</strong>re im Rahmen <strong>de</strong>s christlich-jüdischen Gesprächs, unseren Blick für die<br />
Situation palästinensischer Christen verstellen kann o<strong>de</strong>r wir diese nur unzureichend wahrnehmen.<br />
Es muss jedoch auch dar<strong>um</strong> gehen zu hinterfragen, inwieweit eine Situationsbeschreibung, die<br />
allein in <strong>de</strong>r israelischen Besatzung die Ursache allen Lei<strong>de</strong>ns sieht, <strong>de</strong>r Realität gerecht wird.<br />
Sowohl das Verhalten <strong>de</strong>r arabischen Nachbarstaaten, sei es gegenüber <strong>de</strong>n palästinensischen<br />
Flüchtlingen, o<strong>de</strong>r auch in ihrer Politik <strong>de</strong>r Nichtanerkennung gegenüber <strong>Israel</strong> als auch innerpalästinensische<br />
Spaltungen <strong>und</strong> Defizite haben Anteil an <strong>de</strong>r Situation. Eine monokausale <strong>und</strong><br />
unkritische Sicht, die allein die Opferperspektive einnimmt, beschnei<strong>de</strong>t zu<strong>de</strong>m die eigenen<br />
Handlungsmöglichkeiten.<br />
2. Für uns stellen die zentralen Einsichten <strong>de</strong>s jüdisch-christlichen Gesprächs einen Paradigmenwechsel<br />
in <strong>de</strong>r Theologie dar <strong>und</strong> sind nicht ein bloßer Reflex auf die Schuld, die Christen in<br />
Deutschland <strong>und</strong> Europa auf sich gela<strong>de</strong>n haben. Deshalb sollten diese Einsichten auch im palästinensischen<br />
Kontext zu vermitteln sein <strong>und</strong> fruchtbar gemacht wer<strong>de</strong>n können.<br />
Gr<strong>und</strong>legend für eine Theologie vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s christlich-jüdischen Gesprächs ist die<br />
Einsicht, dass die Treue Gottes zu seinem Volk <strong>und</strong> zu seinen Verheißungen konstitutiv für unser<br />
Vertrauen darauf ist, dass Gott auch in seinen Verheißungen an uns treu ist. Als Christen aus <strong>de</strong>n<br />
Völkern sind wir durch <strong>de</strong>n Glauben an Jesus Christus, als <strong>de</strong>m Messias <strong>Israel</strong>s, in <strong>de</strong>n B<strong>und</strong> Gottes<br />
mit <strong>Israel</strong> hineingenommen. Nur darüber haben wir Anteil an Gottes Befreiungshan<strong>de</strong>ln in<br />
seiner Welt. <strong>Die</strong>se Einsicht erfor<strong>de</strong>rt aber auch eine klare <strong>und</strong> unaufgebbare Unterscheidung<br />
zwischen <strong>de</strong>m Volk Gottes <strong>und</strong> uns aus <strong>de</strong>n Völkern.<br />
Wie genau ist dieses Verhältnis zu bestimmen <strong>und</strong> was be<strong>de</strong>utet dies für unser Verständnis <strong>de</strong>r<br />
Hebräischen Bibel?<br />
Eine mögliche Antwort fin<strong>de</strong>t sich im Ansatz von Jürgen Ebach, <strong>de</strong>r einen Perspektivenwechsel<br />
vornimmt, in<strong>de</strong>m er unsere Rolle mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung beschreibt: „Hören auf das, was <strong>Israel</strong><br />
gesagt ist – hören auf das, was in <strong>Israel</strong> gesagt ist (EvTh 62, 2002). <strong>Die</strong> klare Unterscheidung von<br />
<strong>Israel</strong> als <strong>de</strong>m Volk Gottes einerseits <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Völkern an<strong>de</strong>rerseits führt dazu, dass im Ra<strong>um</strong> <strong>de</strong>s<br />
AT ein an<strong>de</strong>rer Standort eingenommen wird. <strong>Die</strong>ser Ort ist dadurch bestimmt, dass die Völker die<br />
11
Gebote, die <strong>Israel</strong> gesagt sind, hören können <strong>und</strong> auch an Ihnen Anteil bekommen können. 3 <strong>Israel</strong><br />
ist <strong>de</strong>r Adressat dieser Worte, wir aber sollen zuhören, ohne <strong>Israel</strong> seinen beson<strong>de</strong>ren Platz<br />
streitig zu machen. Ich „nehme <strong>de</strong>n Ort ein, <strong>de</strong>n die an <strong>Israel</strong> adressierten Texte mir als einem<br />
Menschen aus <strong>de</strong>n Völkern einrä<strong>um</strong>en.“ (Ebach, 2002, S. 48)<br />
<strong>Die</strong> Unterscheidung von Volk <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Völkern verhin<strong>de</strong>rt so eine Enterbung <strong>Israel</strong>s <strong>und</strong><br />
eine vorschnelle Ineinssetzung <strong>de</strong>r Kirche mit <strong>de</strong>m Volk Gottes, eine Vorstellung zu<strong>de</strong>m, die auch<br />
im Neuen Testament ka<strong>um</strong> zu fin<strong>de</strong>n ist <strong>und</strong> erst in <strong>de</strong>r altkirchlichen Tradition forciert wur<strong>de</strong>.<br />
Mit großer Selbstverständlichkeit haben Christen sich in ihrer Lektüre <strong>de</strong>s AT mit <strong>Israel</strong> i<strong>de</strong>ntifiziert<br />
<strong>und</strong> eben nicht mit <strong>de</strong>n Völkern, was durch die Übersetzung Luthers mit <strong>de</strong>m pejorativen<br />
Begriff <strong>de</strong>r „Hei<strong>de</strong>n“ noch zusätzlich erschwert wur<strong>de</strong>.<br />
Der biblische Bef<strong>und</strong> im Alten Testament zeigt darüber hinaus, „dass <strong>de</strong>r B<strong>und</strong> Gottes mit <strong>Israel</strong><br />
<strong>und</strong> auch die verwandte Vorstellung <strong>de</strong>r Erwählung <strong>Israel</strong>s nicht allein auf eine Son<strong>de</strong>rstellung<br />
<strong>Israel</strong>s zielen lassen, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>nen diese Son<strong>de</strong>rstellung eine Funktion für das Heil <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Völker hat.“ (Crüsemann, 2012, S. 203). So ist in <strong>de</strong>r Schrift eine doppelte Perspektive sichtbar:<br />
<strong>Die</strong> universale, auf die ganze Menschheit bezogene, die sich bereits im Schöpfungsbericht<br />
eröffnet, wie die partikulare, auf <strong>Israel</strong> bezogene. Bei<strong>de</strong> stehen jedoch in einer engen Relation,<br />
die universale Perspektive ist in die partikulare eingeschrieben (Ebach, 2002, S. 47). Mit <strong>de</strong>r<br />
eschatologischen Vision <strong>de</strong>r Völkerwallfahrt z<strong>um</strong> Zion (Jes 2/ Mi 4) wird <strong>de</strong>n Völkern versprochen,<br />
Anteil zu erhalten an <strong>de</strong>r Beziehung z<strong>um</strong> Gott <strong>Israel</strong>s <strong>und</strong> von seinen Weisungen zu lernen.<br />
Ein Verständnis <strong>de</strong>s Neuen Testaments, wie es in <strong>de</strong>m Dok<strong>um</strong>ent z<strong>um</strong> Ausdruck kommt, entzieht<br />
uns die Gr<strong>und</strong>lage, die Verkündigung Jesu <strong>und</strong> damit auch das Neue Testament angemessen zu<br />
verstehen. Das Neue Testament spricht nicht aus sich heraus, son<strong>de</strong>rn ist untrennbar auf die<br />
Schrift bezogen. <strong>Die</strong>se Einsicht, die wir im Rahmen <strong>de</strong>s christlich-jüdischen Gesprächs gewonnen<br />
haben, wird in <strong>de</strong>r Formulierung <strong>de</strong>utlich, dass das Alte Testament <strong>de</strong>r Wahrheitsra<strong>um</strong> <strong>de</strong>s Neuen<br />
ist (Crüsemann, 2012).<br />
3. Politischer Kontext<br />
3.1 Der israelisch-arabische Konflikt<br />
<strong>Die</strong> Geschichte <strong>de</strong>s Nahost-Konflikts kann an dieser Stelle nicht dargestellt wer<strong>de</strong>n. 4 Vielmehr<br />
geht es hier <strong>um</strong> die gegenwärtige Situation. <strong>Die</strong>se ist mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Stillstands nur insofern<br />
zutreffend beschrieben, wie er sich auf eine immer noch ausstehen<strong>de</strong> Implementierung <strong>de</strong>r<br />
in Oslo ausgehan<strong>de</strong>lten Zwei-<strong>Staat</strong>en-Lösung bezieht. <strong>Die</strong> Zustimmung zu einem palästinensischen<br />
<strong>Staat</strong> stand für die PLO am En<strong>de</strong> eines langen Weges, be<strong>de</strong>utete sie doch auch die Anerkennung<br />
<strong>Israel</strong>s, die allerdings in <strong>de</strong>r Unabhängigkeitserklärung von 1988 bereits implizit formuliert<br />
war. Hiermit verband sich eine zunehmen<strong>de</strong> Abwendung vom bewaffneten Kampf hin zu<br />
politischen Lösungen (Sterzing, 2011, S. 14).<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung <strong>de</strong>r letzten Jahre kann nur als eine zunehmen<strong>de</strong> Entfernung von einer friedlichen<br />
Lösung beschrieben wer<strong>de</strong>n. De facto sind in <strong>de</strong>n letzten Jahren von israelischer Seite mit<br />
<strong>de</strong>m Bau von immer neuen, z.T. auch gegen Gerichtsbeschlüsse gedul<strong>de</strong>ten Siedlungen im Westjordanland<br />
weitere Fakten geschaffen wor<strong>de</strong>n, die ein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Besatzung in immer weitere<br />
Ferne rücken lassen. Der Mauerbau <strong>und</strong> auch <strong>de</strong>r Bau <strong>de</strong>s Zaunes an <strong>de</strong>r ägyptischen Grenze sind<br />
eine Reaktion auf die Selbstmordattentate, wodurch vielen zivile Opfer zu beklagen waren <strong>und</strong><br />
auch das öffentliche Leben in <strong>Israel</strong> insgesamt massiv beeinträchtigt wur<strong>de</strong>. Dabei verläuft die<br />
Mauer z<strong>um</strong> Teil wi<strong>de</strong>rrechtlich auf palästinensischem Gebiet, hin<strong>de</strong>rt Palästinenser am Zugang<br />
zu ihrem <strong>Land</strong> <strong>und</strong> erschwert ihre Bewegungsmöglichkeiten. War <strong>de</strong>r Mauerbau im Hinblick auf<br />
eine Abnahme <strong>de</strong>r Attentate durchaus erfolgreich, so wer<strong>de</strong>n hiermit doch an<strong>de</strong>rerseits die Ursachen<br />
für die Gewalt nicht behoben, son<strong>de</strong>rn es wird ein Status Quo festgeschrieben, wenn<br />
3 Jürgen Ebach zeigt <strong>de</strong>n Zusammenhang zwischen Universalismus <strong>und</strong> Partikularismus anhand einer Diskussion aus<br />
<strong>de</strong>m Traktat Sukka (55b) <strong>de</strong>s Babylonischen Talmuds („70 Völker“), nachzulesen in: Ebach, 2002, S. 44ff.<br />
4 Eine gut zu lesen<strong>de</strong> <strong>und</strong> f<strong>und</strong>ierte Einführung, die auch auf die aktuellen innerisraelischen <strong>Debatte</strong>n Bezug nimmt,<br />
bietet z.B. John Bunzl, <strong>Israel</strong> im Nahen Osten, Wien/Köln/Weimar 2008.<br />
12
nicht sogar eine Zunahme <strong>de</strong>r Frustration <strong>und</strong> Verbitterung auf palästinensischer Seite noch<br />
vorangetrieben.<br />
Gleichzeitig haben sich auf Seiten <strong>de</strong>r Palästinenser seit <strong>de</strong>n letzten Wahlen im Jahr 2006 die<br />
Spaltungen weiter vertieft. <strong>Die</strong> Hamas, die als Sieger daraus hervorging, wur<strong>de</strong> international<br />
isoliert, weil sie weiterhin das Existenzrecht <strong>Israel</strong>s nicht anerkennt. Dabei ist <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologische<br />
Unterschied zwischen bei<strong>de</strong>n Gruppen wohl nicht so gr<strong>und</strong>sätzlich wie oft angenommen. Unzweifelhaft<br />
ist die Hamas eine islamistische Organisation <strong>und</strong> eine Islamisierung <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
Lebens ist eines ihrer langfristigen Ziele. Trotz<strong>de</strong>m sind – wie bei <strong>de</strong>n Muslimbrü<strong>de</strong>rn in an<strong>de</strong>ren<br />
arabischen Län<strong>de</strong>rn auch – ein pluralistischer Zugang z<strong>um</strong> Islam <strong>und</strong> eine weitgefasste Interpretation<br />
<strong>de</strong>s islamischen Rechts zu beobachten. An<strong>de</strong>rerseits bezieht sich auch die Fatah stark auf<br />
religiöse Symbole. So fin<strong>de</strong>t sich z.B. im palästinensischen Gr<strong>und</strong>gesetz von 2002 ein Bezug auf<br />
die Scharia als (eine) Quelle <strong>de</strong>r Gesetzgebung (Ab<strong>de</strong>l Shafi, 2011, S. 111), während die Hamas<br />
zunehmend politisch arg<strong>um</strong>entiert. Bei <strong>de</strong>r Frage, welche Rolle <strong>de</strong>r Islam spielen soll, unterschei<strong>de</strong>n<br />
sich bei<strong>de</strong> Gruppen in Schwerpunktsetzungen, jedoch nicht gr<strong>und</strong>sätzlich.<br />
Palästinensische Christen wer<strong>de</strong>n von bei<strong>de</strong>n Gruppierungen offiziell als legitimer Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
anerkannt <strong>und</strong> ihnen wird eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben eingerä<strong>um</strong>t<br />
(Brown, 2011, S. 259). Es steht zu befürchten, dass sich in <strong>de</strong>r Realität eine zunehmen<strong>de</strong> Islamisierung<br />
<strong>de</strong>s öffentlichen Lebens sehr negativ für christliche Palästinenser auswirkt. Letztendlich<br />
geht es bei <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen Hamas <strong>und</strong> Fatah jedoch vorrangig <strong>um</strong> die Kontrolle<br />
über nationalistische <strong>und</strong> religiöse Symbole sowie über Institutionen, Macht <strong>und</strong> Geld<br />
(Brown, 2011, S. 256).<br />
Mit <strong>de</strong>r zweiten Intifada, <strong>de</strong>n Selbstmordattentaten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Raketenangriffen auf <strong>Israel</strong>, die<br />
sich gegen die israelische Zivilbevölkerung richteten <strong>und</strong> schließlich zu <strong>de</strong>m Kriegseinsatz<br />
2008/2009 im Gazastreifen führten, nahm die Konfrontation eine neue Qualität an. Von <strong>de</strong>n<br />
westlichen Medien wenig wahrgenommen, gab es in diesem Rahmen auch zahlreiche Aktionen<br />
zivilen Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s, während vorrangig über Anschläge <strong>und</strong> Raketenbeschuss berichtet wur<strong>de</strong>.<br />
Durch die Strategie <strong>de</strong>r Gewalt, die die Hamas <strong>und</strong> ihr militärischer Flügel, die Qassem-Briga<strong>de</strong>n,<br />
verfolgte, wur<strong>de</strong> die Weltöffentlichkeit zwar wie<strong>de</strong>r auf die Situation <strong>de</strong>r Palästinenser aufmerksam,<br />
gleichzeitig gewann dadurch in <strong>Israel</strong> ein sicherheitspolitisches Denken das Übergewicht,<br />
<strong>de</strong>ren Umsetzung eher <strong>de</strong>n rechten Kräften zugetraut wur<strong>de</strong>.<br />
Mittlerweile ist die politische <strong>Land</strong>schaft in <strong>Israel</strong> mehrheitlich rechts orientiert, wobei einige<br />
religiöse Parteien, die die Sache <strong>de</strong>r Siedler vertreten, eine Schlüsselrolle spielen. Linke <strong>und</strong> liberale<br />
Kräfte, die sich für ein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Besatzung aussprechen, gegen Menschrechtsverletzungen<br />
protestieren <strong>und</strong> Wege <strong>de</strong>s Dialogs beschreiten, sind in einer <strong>de</strong>utlichen Min<strong>de</strong>rheitenposition<br />
<strong>und</strong> fin<strong>de</strong>n ka<strong>um</strong> Gehör. <strong>Die</strong> Hamas, die das Elend im Gazastreifen verwaltet <strong>und</strong> weiterhin ihre<br />
islamistische Agenda verfolgt, sieht sich mit inneren Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen konfrontiert, die zu<br />
Abspaltungen <strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong>r Kontrolle führen. Gegenüber <strong>de</strong>r Fatah wer<strong>de</strong>n seit vielen Jahren<br />
Vorwürfe <strong>de</strong>r Korruption <strong>und</strong> politischer Ineffektivität erhoben, die in <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Krise<br />
zunehmend lauter wer<strong>de</strong>n. Zwar konnte durch hohe ausländische Zuwendungen seit 2007 ein<br />
wirtschaftlicher Aufschwung in Gang gesetzt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r allerdings nicht nachhaltig zu sein<br />
scheint <strong>und</strong> unter <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>r Besatzungen auch nicht sein kann. <strong>Die</strong> volle Kontrolle<br />
hat die Palästinensische Autonomiebehör<strong>de</strong> (PA) nur in <strong>de</strong>n sog. A-Gebieten, was die großen<br />
Städte <strong>und</strong> ca. 18% <strong>de</strong>r Westbank <strong>um</strong>fasst. In <strong>de</strong>n B-Gebieten behält <strong>Israel</strong> sich die Kontrolle in<br />
Sicherheitsfragen vor <strong>und</strong> die C-Gebieten, ca. 62% <strong>de</strong>r Westbank, stehen vollständig unter israelischer<br />
Kontrolle (Wildnagel, 2012a). <strong>Die</strong> intensive Nutzung dieses <strong>Land</strong>es <strong>und</strong> seiner Ressourcen<br />
kommen jedoch nur begrenzt <strong>de</strong>r israelischen Wirtschaft zugute, sind die Kosten <strong>de</strong>r Besatzung<br />
<strong>und</strong> die auch auf das Wirtschaftsleben insgesamt negativen Auswirkungen größer als <strong>de</strong>r Nutzen.<br />
Der Gazastreifen ist seit 2007 aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Totalblocka<strong>de</strong> vollkommen von <strong>de</strong>r Westbank<br />
abgeschnitten.<br />
<strong>Die</strong> gesamte Zollhoheit <strong>und</strong> die komplette Kontrolle <strong>de</strong>r palästinensischen Außenwirtschaft liegen<br />
in israelischer Hand. <strong>Israel</strong> erhebt die Steuern, <strong>und</strong> benutzt die Weiterleitung bzw. Zurückhaltung<br />
als politisches Druckmittel (Wildnagel 2012a).<br />
<strong>Die</strong> PA, mit Gel<strong>de</strong>rn internationaler Geber am Leben gehalten <strong>um</strong> vorstaatliche Strukturen aufzubauen,<br />
lei<strong>de</strong>t zunehmend unter einem Legitimationsverlust, wird sie von vielen doch als Erfül-<br />
13
lungsgehilfe <strong>de</strong>r israelischen Besatzungsmacht gesehen, die ihrerseits nun etliche Aufgabe an die<br />
PA abgeben konnte.<br />
Selbst wenn es zu einer Implementierung <strong>de</strong>r Beschlüsse von Oslo käme, auf <strong>de</strong>r alle weiteren<br />
Frie<strong>de</strong>nsinitiativen aufbauen, stellt sich die Frage, wie dieser <strong>Staat</strong>, <strong>de</strong>r ca. 20% <strong>de</strong>s ehemaligen<br />
Mandatsgebietes <strong>um</strong>fasst, überleben soll, setzt sich seine Fläche doch weitgehend aus vielen<br />
kleinen, miteinan<strong>de</strong>r unverb<strong>und</strong>enen Gebieten zusammen.<br />
Insgesamt scheint die israelische Regierung für eine Umsetzung <strong>de</strong>r Beschlüsse von Oslo keinen<br />
Anlass zu sehen, ist <strong>de</strong>r schon lange bestehen<strong>de</strong> Status Quo <strong>de</strong>r Besatzung erprobt <strong>und</strong> besser<br />
kontrollierbar. <strong>Die</strong> Siedlungspolitik im Westjordanland <strong>und</strong> in Ostjerusalem, wo allein 200.000<br />
Siedler 5 leben (Wildnagel, 2012a), sowie weitere <strong>Land</strong>annektierungen schreiten unter diesen<br />
Bedingungen weiter fort. Innerisraelische Konflikte, die mit einer Rä<strong>um</strong>ung <strong>de</strong>r Siedlungen unweigerlich<br />
aufbrechen, können so <strong>um</strong>gangen wer<strong>de</strong>n. Es gibt also ka<strong>um</strong> Anreize für die israelische<br />
Regierung, wirklich mit einer Umsetzung <strong>de</strong>r Oslo-Beschlüsse zu beginnen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n nun seit<br />
fast 20 Jahren bestehen<strong>de</strong>n „Übergangszeitra<strong>um</strong>“ zu been<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> <strong>de</strong>rzeitige israelische Regierung<br />
verweigert an<strong>de</strong>rs als die Vorgängerregierung jegliche Gespräche mit <strong>de</strong>r palästinensischen<br />
Führung.<br />
<strong>Die</strong> Flüchtlingsfrage<br />
Insgesamt sind 4,7 Mio. Flüchtlinge offiziell registriert, davon leben 1,4 Mio. in anerkannten<br />
Flüchtlingslagern, die Hälfte von ihnen seit mehr als 60 Jahren. Der größte Teil <strong>de</strong>r Flüchtlinge<br />
lebt auf <strong>de</strong>r Westbank (788.000), o<strong>de</strong>r im Gazastreifen (1,12 Mio.) (Sterzing, 2011, S. 35f). <strong>Die</strong><br />
Situation palästinensischer Flüchtlingen in <strong>de</strong>n Nachbarlän<strong>de</strong>rn ist sehr unterschiedlich. So stellen<br />
Palästinenser ca. 40 % <strong>de</strong>r Bevölkerung in Jordanien <strong>und</strong> sind weitgehend integriert. Wie<br />
auch in Syrien verfügen sie über eine Art von <strong>Staat</strong>sbürgerschaft. Im Unterschied dazu leben die<br />
Flüchtlinge im Libanon in Lagern, sie haben keinen klaren rechtlichen Status, ihre soziale Lage ist<br />
von Armut <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit geprägt <strong>und</strong> sie sind weitreichen<strong>de</strong>n Restriktionen in vielen<br />
Lebensbereichen ausgesetzt (Ging, 2011, S. 337).<br />
<strong>Die</strong> Möglichkeit einer Rückkehr ist mit vielen Fragezeichen verb<strong>und</strong>en. Z<strong>um</strong> einen ist ungeklärt,<br />
wohin die Flüchtlinge <strong>de</strong>nn zurückkehren sollen, wenn es die Häuser, in <strong>de</strong>nen sie lebten, nicht<br />
mehr gibt, wenn Orte sich verän<strong>de</strong>rt haben <strong>und</strong> nun zu <strong>Israel</strong> gehören. Deshalb geht es bei dieser<br />
<strong>Debatte</strong> nicht <strong>um</strong> die Rückkehr als solche, son<strong>de</strong>rn <strong>um</strong> Wie<strong>de</strong>rgutmachung, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs: <strong>um</strong><br />
Schuld <strong>und</strong> Schul<strong>de</strong>n. Das zeigt sich auch daran, dass von israelischer Seite im Gegenzug die<br />
Frage einer Entschädigung für orientalische Ju<strong>de</strong>n thematisiert wird, die nach <strong>de</strong>m Krieg 1948<br />
aus ihren Heimatlän<strong>de</strong>rn geflohen sind. So sind in <strong>de</strong>n bisherigen Frie<strong>de</strong>nsverhandlungen Fragen<br />
einer möglichen Rückkehr <strong>de</strong>r palästinensischen Flüchtlinge ausgespart wor<strong>de</strong>n. Erst recht nicht<br />
ist eine Entschädigung thematisiert wor<strong>de</strong>n. Eine Beschäftigung mit diesen Fragen wird zeitlich<br />
<strong>und</strong> sachlich einer <strong>Staat</strong>sgründung nachgeordnet. Gr<strong>und</strong>sätzlich gehören die palästinensischen<br />
Flüchtlinge zu <strong>de</strong>r schwächsten <strong>und</strong> am meisten vernachlässigten Gruppe in <strong>de</strong>m Konflikt. Langfristig<br />
ist allerdings klar, dass es nicht zu einer befriedigen<strong>de</strong>n Lösung <strong>de</strong>s Konflikts kommen<br />
kann, wenn nicht auch diese Frage geklärt wird.<br />
Kollektive Narrative<br />
Sozialpsychologisch gesehen ist einer <strong>de</strong>r größten Hin<strong>de</strong>rnisse für ein friedliches Zusammenleben<br />
die jeweilige Geschichte von Ju<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Palästinensern, die von je spezifischen Tra<strong>um</strong>ata geprägt<br />
sind. Hier ist allerdings <strong>de</strong>utlich zu unterschei<strong>de</strong>n: Für <strong>de</strong>n Holocaust sind die Palästinenser nicht<br />
verantwortlich, während für die Nakba („Katastrophe“ o<strong>de</strong>r „Heimsuchung“ auf Arabisch, womit<br />
die Vertreibung <strong>de</strong>r palästinensischen Bevölkerung nach <strong>de</strong>m Krieg von 1947 bezeichnet wird)<br />
<strong>Israel</strong> die Verantwortung trägt.<br />
Sowohl <strong>de</strong>r Holocaust, als auch die Nakba bestimmen die kollektiven Narrative, politisches Denken<br />
<strong>und</strong> Han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> die Wahrnehmung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren (Sterzing, 2011, S. 30f). Damit verb<strong>und</strong>en<br />
ist eine Selbstwahrnehmung als Opfer, bei gleichzeitiger Nichtanerkennung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>rfahrung<br />
<strong>de</strong>r jeweils an<strong>de</strong>ren Gruppe. Der große palästinensische Intellektuelle Edward Said for<strong>de</strong>rte bereits<br />
vor etlichen Jahren die arabische Welt <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re die Palästinenser dazu auf, endlich<br />
5 <strong>Die</strong> Siedler stammen fast ausschließlich aus <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> in geringerer Zahl aus Europa.<br />
14
<strong>de</strong>n Holocaust <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Lei<strong>de</strong>rfahrungen <strong>de</strong>s jüdischen Volkes anzuerkennen.<br />
Doch auch in <strong>Israel</strong> gibt es seit vielen Jahren Wissenschaftler, die sich mit <strong>de</strong>r palästinensischen<br />
Geschichte von Flucht <strong>und</strong> Vertreibung befassen. In bei<strong>de</strong>n Lagern gibt es Menschen, die z.T.<br />
trotz massiver Anfeindungen auch die i<strong>de</strong>ologische Funktionalisierung dieser Erfahrungen auf<br />
bei<strong>de</strong>n Seiten kritisieren <strong>und</strong> manchen Mythos entzauberten. Doch aus <strong>de</strong>r Angst heraus, dass<br />
das eigene Leid relativiert wird o<strong>de</strong>r Ansprüche daraus abgeleitet wer<strong>de</strong>n könnten, reagieren<br />
viele Menschen in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> Palästina mit großen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>n auf die For<strong>de</strong>rung das Leid <strong>de</strong>s<br />
an<strong>de</strong>ren anzuerkennen. In Bezug auf die Nakba kommt erschwerend hinzu, dass es am En<strong>de</strong><br />
auch <strong>um</strong> die Anerkennung von materiell-politischen Rechten geht, also <strong>um</strong> <strong>Land</strong> als dinglichem<br />
Recht <strong>und</strong> allem, was sich daraus ableitet. Trotz dieser Hin<strong>de</strong>rnisse ist die Anerkennung <strong>de</strong>s Leids<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren ein unverzichtbarer Schritt zu einer wirklichen Aussöhnung <strong>und</strong> einer gemeinsamen<br />
Zukunft. Dabei kann es nicht dar<strong>um</strong> gehen, in einen Wettstreit <strong>um</strong> das qualitativ o<strong>de</strong>r quantitativ<br />
größere Lei<strong>de</strong>n einzutreten, sicher auch nicht <strong>um</strong> eine Relativierung <strong>de</strong>s Holocaust, son<strong>de</strong>rn<br />
es geht <strong>um</strong> eine empathische Haltung, die Geschehenes nicht mehr verleugnen <strong>und</strong> verdrängen<br />
o<strong>de</strong>r totschweigen muss.<br />
3.2 <strong>Die</strong> Umbrüche in <strong>de</strong>r arabischen Welt<br />
Nach <strong>de</strong>r Initialzündung <strong>de</strong>r Protestbewegung in Tunesien <strong>und</strong> <strong>de</strong>m schnellen Sturz Ben Alis<br />
sahen sich in fast allen arabischen Län<strong>de</strong>rn die Regime ähnlichen Bewegungen gegenüber, reagierten<br />
darauf allerdings durchaus unterschiedlich. Bei aller Verschie<strong>de</strong>nheit liegt die Gemeinsamkeit<br />
<strong>de</strong>r Proteste darin, dass sie soziale, wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Anliegen verbin<strong>de</strong>n.<br />
Letztere bezogen sich in <strong>de</strong>r Regel auf die Ablösung autoritärer Herrscher, die z.T. seit Jahrzehnten<br />
an <strong>de</strong>r Macht waren. Der Demokratisierung Ägyptens <strong>und</strong> Tunesiens kommt in <strong>de</strong>r Region<br />
eine Schlüsselstellung zu, da sie auf die an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>r eine große Ausstrahlung haben<br />
(Asseburg, 2011a, S. 6).<br />
<strong>Die</strong> Entwicklungen in <strong>de</strong>n einzelnen Län<strong>de</strong>rn haben gezeigt, dass die Alternative zwischen Autoritarismus<br />
<strong>und</strong> Islamismus so nicht besteht. Islamistische Kräfte sind zwar weitgehend in die<br />
neuen Machtstrukturen eingeb<strong>und</strong>en, was jedoch in diesem Spektr<strong>um</strong> zu Programm<strong>de</strong>batten<br />
<strong>und</strong> politischen Aufspaltungen führen wird.<br />
<strong>Die</strong> For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zivilgesellschaft nach Demokratisierung wi<strong>de</strong>rlegt ein verallgemeinern<strong>de</strong>s<br />
kulturalistisches Arg<strong>um</strong>ent, wonach Islam <strong>und</strong> Demokratie unvereinbar sind. Inwieweit diese<br />
gesellschaftlichen Gruppen allerdings stark genug sind, eine wirkliche Demokratisierung einzufor<strong>de</strong>rn,<br />
ist offen.<br />
Wenn auch mit <strong>de</strong>r Ablösung <strong>de</strong>r alten Machthaber <strong>und</strong> ihrer Apparate eine Zäsur stattgef<strong>und</strong>en<br />
hat, so ist das En<strong>de</strong> dieses Prozesses noch nicht abzusehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es<br />
Jahre dauern wird, bis Phasen <strong>de</strong>r Instabilität überw<strong>und</strong>en sind. Möglich sind auch <strong>de</strong>r Zerfall<br />
von <strong>Staat</strong>en o<strong>de</strong>r die Separation einzelner ethnisch-religiöser Gruppen, insbeson<strong>de</strong>re dort, wo<br />
die Bevölkerung – an<strong>de</strong>rs als in Ägypten <strong>und</strong> Tunesien – ethnisch <strong>und</strong> religiös heterogen ist.<br />
In Hinblick auf <strong>de</strong>n israelisch-arabischen Konflikt wird diese Entwicklung auf kürzere Sicht einem<br />
Frie<strong>de</strong>nsschluss wenig zuträglich sein.<br />
Ein Gr<strong>und</strong> liegt darin, dass <strong>Israel</strong> kalkulierbare Größen in <strong>de</strong>n Nachbarstaaten verloren hat: <strong>Die</strong><br />
neue ägyptische Außenpolitik orientiert sich weniger an Vorgaben <strong>de</strong>r USA <strong>und</strong> nimmt größere<br />
Rücksicht auf die öffentliche Meinung. <strong>Die</strong>s zeigt sich u.a. an <strong>de</strong>r Aufnahme diplomatischer Beziehungen<br />
mit Teheran <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Vermittlerrolle <strong>de</strong>r ägyptischen Regierung bei einer Versöhnung<br />
zwischen Hamas <strong>und</strong> Fatah im Mai 2011. <strong>Die</strong>sem Übereinkommen, <strong>de</strong>ssen Tragfähigkeit unterschiedlich<br />
beurteilt wird, gingen Demonstrationen in <strong>de</strong>n palästinensischen Gebieten voraus, bei<br />
<strong>de</strong>nen eine Überwindung <strong>de</strong>r Spaltung gefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> (Asseburg, 2011b). An<strong>de</strong>rerseits gibt es<br />
von ägyptischer Seite keine größere Rücksichtnahme auf die Interessen <strong>de</strong>r Hamas.<br />
Für <strong>Israel</strong> sind diese Entwicklungen mit größerer Unsicherheit verb<strong>und</strong>en, auch wenn alle relevanten<br />
politischen Kräfte in Ägypten <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nsvertrag mit <strong>Israel</strong> stellen. Hinzu kommt die<br />
Abkühlung im Verhältnis zur Türkei, mit <strong>de</strong>r bis dahin engste Beziehungen bestan<strong>de</strong>n.<br />
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor entsteht durch die Entwicklung in Syrien. Zwar baute Syrien<br />
seine Allianz mit <strong>de</strong>m Iran in <strong>de</strong>n letzen Jahren aus, unterstützte Hamas <strong>und</strong> Hisbollah, war doch<br />
ein kalkulierbarer Nachbar, was die Sicherheit <strong>de</strong>r Grenze betraf. <strong>Die</strong>s führte u.a. zur Kooperati-<br />
15
on bei Exporten, die über die Golanhöhen gingen (Asseburg, a.a.O.). Schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Sicherheit <strong>de</strong>r<br />
Grenzen insgesamt wird bei einer regionalen Destabilisierung für <strong>Israel</strong> eine Schwierigkeit darstellen.<br />
Insgesamt ist <strong>Israel</strong> in <strong>de</strong>r Region stärker als vorher isoliert, auch wenn international gute Beziehungen<br />
nicht nur zu <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> <strong>de</strong>r EU bestehen, son<strong>de</strong>rn auch zu Russland, <strong>de</strong>n GUS-<br />
<strong>Staat</strong>en, China <strong>und</strong> Indien. <strong>Die</strong> regionale Situation verstärkt innenpolitisch ein Wagenburg<strong>de</strong>nken,<br />
das sich praktisch in einem Ausbau <strong>de</strong>r militärischen Überlegenheit nie<strong>de</strong>rschlägt. Auch in<br />
<strong>de</strong>r Breite <strong>de</strong>r Gesellschaft scheint die Frie<strong>de</strong>nsfrage kein Thema zu sein. <strong>Die</strong> sozialen Proteste im<br />
letzten Jahr, die nie gesehene Ausmaße annahmen, bezogen sich allein auf die katastrophale<br />
soziale Situation in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> die zunehmen<strong>de</strong> Verarmung weiter Teile <strong>de</strong>r Bevölkerung, stellten<br />
jedoch keinen Bezug zu <strong>de</strong>n Kosten <strong>de</strong>r Besatzung her (Asseburg, a.a.O.)<br />
Ein dritter Faktor, <strong>de</strong>r hier genannt wer<strong>de</strong>n sollte, ist <strong>de</strong>r, dass die USA <strong>de</strong>rzeit keinerlei Politik<br />
zur Durchsetzung <strong>de</strong>r Zwei-<strong>Staat</strong>en-Lösung betreiben. Aktiv in diesem Prozess, ist zwar das sog.<br />
Nahost-Quartett (bestehend aus <strong>de</strong>n USA, <strong>de</strong>r EU, <strong>de</strong>r UN <strong>und</strong> Russland), jedoch mit geringer<br />
Einflussmöglichkeit auf <strong>Israel</strong>.<br />
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Entwicklung bei <strong>de</strong>n Palästinensern selbst. Es wird darüber<br />
spekuliert, ob dort ähnliche Proteste wie in an<strong>de</strong>ren arabischen Län<strong>de</strong>rn zu erwarten sind,<br />
wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert <strong>und</strong> dies <strong>de</strong>r Palästinensischen Autonomiebehör<strong>de</strong><br />
angelastet wird o<strong>de</strong>r diese nur noch als Erfüllungsgehilfe <strong>de</strong>r israelischen Besatzungspolitik<br />
wahrgenommen wird. <strong>Die</strong>s verschärft das Risiko einer dritten Intifada.<br />
In weiten Teilen <strong>de</strong>r Bevölkerung ist eine wachsen<strong>de</strong> Ablehnung gegen das in Oslo ausgehan<strong>de</strong>lte<br />
Zwei-<strong>Staat</strong>en-Mo<strong>de</strong>ll zu verzeichnen. Aus intellektuellen Kreisen wer<strong>de</strong>n Stimmen laut, die<br />
längst eine Zwei-<strong>Staat</strong>en-Lösung für obsolet halten <strong>und</strong> Mo<strong>de</strong>lle in die Diskussion bringen, die<br />
von einem <strong>Staat</strong> mit zwei Regierungen <strong>und</strong> getrennten Zuständigkeiten ausgehen (Nusseibeh,<br />
2012). So unrealistisch <strong>und</strong> marginal diese Mo<strong>de</strong>lle heute auch scheinen mögen, so nahe sind sie<br />
doch insofern an <strong>de</strong>r Realität, als dass das Leben von <strong>Israel</strong>is <strong>und</strong> Palästinensern auf <strong>de</strong>r alltäglichen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Ebene z<strong>um</strong> Teil wesentlicher verquickter ist, als <strong>de</strong>r Konflikt glauben<br />
macht.<br />
Jüngste Proteste <strong>de</strong>r Palästinenser im September 2012 richteten sich in erster Linie gegen Steuererhöhungen<br />
<strong>und</strong> enorme Preissteigerungen, verursacht durch hohe Benzinpreise in <strong>Israel</strong>. Es ist<br />
jedoch durchaus <strong>de</strong>nkbar, dass sie sich bald auch gegen die zunehmend autoritäre Politik <strong>de</strong>r PA<br />
richten <strong>und</strong> Korruptionsvorwürfe aufgreifen, die schon seit langem immer wie<strong>de</strong>r laut wer<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Die</strong> <strong>de</strong>mokratische Legitimation bröckelt ebenso: <strong>Die</strong> letzten freien Wahlen waren 2006, <strong>de</strong>r<br />
Legislativrat, das Quasi-Parlament, ist seit 2007 nicht mehr zusammengetreten, mehrere Parlamentarier<br />
sitzen noch ohne Anklage in israelischen Gefängnissen (Wildnagel, 2012a).<br />
Am 20. Oktober 2012 wur<strong>de</strong>n aktuell in <strong>de</strong>r Westbank Kommunalwahlen durchgeführt, bei <strong>de</strong>nen<br />
immerhin eine Wahlbeteiligung von fast 55 % erreicht wur<strong>de</strong>. Wahlbeobachter bescheinigten<br />
ein korrektes Verfahren, auch wenn es etliche Wahlbezirke gab, in <strong>de</strong>nen nur eine Liste vorlag<br />
o<strong>de</strong>r überhaupt nicht gewählt wer<strong>de</strong>n konnte. Eine schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Legitimation <strong>de</strong>r etablierten<br />
politischen Kräfte zeigte sich auch daran, dass zunehmend unabhängige Kandidaten antraten<br />
(Wildnagel 2012b). <strong>Die</strong> Hamas in Gaza führte jedoch keine Wahlen durch <strong>und</strong> boykottierte das<br />
Verfahren.<br />
Sieht die kurzfristige Analyse insgesamt eher düster aus, was eine baldige Lösung betrifft, so<br />
liegt langfristig in <strong>de</strong>n Umbrüchen in <strong>de</strong>r arabischen Welt <strong>und</strong> möglicherweise auch in Palästina<br />
durchaus die Chance, dass es zu einem Frie<strong>de</strong>n kommen kann, <strong>de</strong>r nicht allein von <strong>de</strong>n Regieren<strong>de</strong>n<br />
ausgehan<strong>de</strong>lt, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Gesellschaft getragen wird. Dazu wird es darauf ankommen,<br />
dass Prozesse <strong>de</strong>r Demokratisierung voranschreiten, es Chancen auf Bildung, soziale Sicherheit<br />
<strong>und</strong> wirtschaftliche Entwicklung gibt. Hierfür wer<strong>de</strong>n die arabischen Län<strong>de</strong>r auf Unterstützung<br />
aus Europa <strong>und</strong> <strong>de</strong>n USA angewiesen sein.<br />
3.3 Kriegsgefahr Iran<br />
Noch viel weniger als <strong>de</strong>r Nahost-Konflikt kann <strong>de</strong>r Konflikt zwischen <strong>de</strong>r israelischen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
iranischen Regierung auf die bei<strong>de</strong>n Konfliktparteien beschränkt wer<strong>de</strong>n. Eine beson<strong>de</strong>re Rolle<br />
spielen auch hier die USA <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>ne regionale Akteure<br />
16
Zur völkerrechtlichen <strong>und</strong> ethischen Legitimation eines Angriffs auf <strong>de</strong>n Iran <strong>und</strong> seiner strategischen<br />
Rationalität<br />
Präventive Angriffe gegen die nukleare Infrastruktur potentieller Gegner sind fester Bestandteil<br />
<strong>de</strong>s sicherheitspolitischen Denkens, sowohl in <strong>de</strong>n USA als auch in <strong>Israel</strong>. In <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
haben bei<strong>de</strong> Län<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rholt solche Angriffe durchgeführt. So zerstörte <strong>Israel</strong> 1981 einen<br />
irakischen Atomreaktor, in <strong>de</strong>r Folge beschleunigte sich das irakische Atomprogramm, 2007<br />
wur<strong>de</strong> ein syrischer Nuklearreaktor zerstört. In bei<strong>de</strong>n Fällen han<strong>de</strong>lte es sich <strong>um</strong> präventive bzw.<br />
antizipatorische Verteidigung, weil es nicht dar<strong>um</strong> ging, einem unmittelbar bevorstehen<strong>de</strong>n<br />
Angriff zuvorzukommen, son<strong>de</strong>rn eine möglichen spätere Bedrohung vorsorglich auszuschalten.<br />
<strong>Die</strong>se Position nimmt <strong>Israel</strong> auch gegenüber <strong>de</strong>m iranischen Atomprogramm ein (Rudolf, 2012, S.<br />
7f).<br />
Im Unterschied zu <strong>Israel</strong> sieht die Obama-Administration die „rote Linie“ in Bezug auf <strong>de</strong>n Iran<br />
im Bau einer Atombombe <strong>und</strong> nicht in <strong>de</strong>r Fähigkeit, solch eine zu produzieren. Deshalb zielt die<br />
gegenwärtige amerikanische Politik darauf ab, <strong>Israel</strong> davon zu überzeugen, dass noch Zeit bleibt.<br />
Offensichtlich haben die USA die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung noch nicht aufgegeben.<br />
Gleichzeitig ist die Drohkulisse eines Militärschlages aufgebaut wor<strong>de</strong>n, die die Handlungsspielrä<strong>um</strong>e<br />
einschränkt.<br />
In <strong>Israel</strong> verläuft die Diskussion an<strong>de</strong>rs. Hier ist von einer „Zone <strong>de</strong>r Immunität“ die Re<strong>de</strong>, die<br />
dann durchbrochen ist, sobald <strong>de</strong>r Iran eine Bombe bauen kann. Sobald dies geschehen ist, kann<br />
ein israelischer Militärschlag dann auch die weiteren Schritte nicht mehr verhin<strong>de</strong>rn. <strong>Die</strong>ses Stadi<strong>um</strong><br />
soll angeblich im Jahr 2012 erreicht sein (Rudolf, 2012, S. 11f).<br />
Präventive Militäreinsätze dieser Art sind völkerrechtlich nicht legitim <strong>und</strong> verstoßen gegen Art.<br />
2 (4) <strong>de</strong>r Genfer Konvention. <strong>Die</strong>s ist z<strong>um</strong>in<strong>de</strong>st im kontinental-europäischen Denken weitgehen<strong>de</strong>r<br />
Kon–sens. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite gibt es Positionen, die das generelle Gewaltverbot in<br />
Frage stellen <strong>und</strong> das Recht von Präventionskriegen zur Selbstverteidigung anführen. In Großbritannien<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>n USA haben sich aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher Rechtstraditionen an<strong>de</strong>re rechtliche<br />
Bewertungen ergeben. <strong>Die</strong> Rechtsentwicklung geschieht dort eher anhand von Präze<strong>de</strong>nzfällen<br />
<strong>und</strong> wird weniger systematisch-normativ betrieben. Das führt u.a. dazu, dass offen <strong>und</strong> bewusst<br />
politische <strong>und</strong> normative Entscheidungen in ein Urteil einfließen. In <strong>de</strong>n USA sind zu<strong>de</strong>m normative<br />
<strong>und</strong> politische Gesichtspunkte eng mit <strong>de</strong>m sicherheitspolitischen hegemonialen Denken<br />
verb<strong>und</strong>en. Militärische Interventionen wer<strong>de</strong>n selbstverständlich als ein außenpolitisches Instr<strong>um</strong>ent<br />
angesehen. Nach <strong>de</strong>n Anschlägen <strong>de</strong>s 11. September, bei <strong>de</strong>nen die USA attackiert<br />
wur<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n diese als legitime Verteidigung angesehen. <strong>Die</strong>s drückt sich u.a. aus in <strong>de</strong>r Definition<br />
von „Schurkenstaaten“ unter <strong>de</strong>r Bush-Administration (Rudolf, 2012, S. 21).<br />
Wenn also in <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s Völkerrechts diese Spannweite existiert <strong>und</strong> Ein<strong>de</strong>utigkeit auch<br />
hier nur schwer zu haben <strong>und</strong> noch schwieriger durchzusetzen ist, so muss nach <strong>de</strong>n ethischen<br />
<strong>und</strong> moralischen Kriterien eines Präventivangriffs gefragt wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>s führt letztlich in die Tradition<br />
<strong>de</strong>s bell<strong>um</strong> iust<strong>um</strong>, die auf Augustin <strong>und</strong> Thomas von Aquin zurückgeht. Auch wenn es<br />
angesichts <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Völkerrechts nicht mehr <strong>um</strong> die klassische Diskussion eines „gerechten“<br />
Krieges geht, so rekurrieren sowohl die frie<strong>de</strong>nsethische als auch die philosophische <strong>Debatte</strong><br />
bei <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Rechtfertigung eines militärischen Einsatzes insofern auf diese Tradition,<br />
als es <strong>um</strong> Kriterien für eine militärische Intervention geht (Rudolf, 2012, S. 24).<br />
<strong>Die</strong> katholische Kirche <strong>und</strong> die evangelischen Kirchen in Deutschland haben sich hier klar positioniert:<br />
Ein militärischer Einsatz ist ein schwerwiegen<strong>de</strong>s Übel <strong>und</strong> nur zu rechtfertigen, wenn<br />
damit eine h<strong>um</strong>anitäre Katastrophe o<strong>de</strong>r ein Völkermord verhin<strong>de</strong>rt wenn soll o<strong>de</strong>r wenn die<br />
politische Souveränität o<strong>de</strong>r territoriale Integrität eines <strong>Staat</strong>es bedroht ist. Präventivinterventionen<br />
sind gr<strong>und</strong>sätzlich nicht erlaubt (EKD-Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkschrift 2007, S. 71ff).<br />
Der amerikanische Philosoph Michael Walzer hat diese Definition ausge<strong>de</strong>hnt. Nicht die Unmittelbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Angriffs, son<strong>de</strong>rn das Ausmaß <strong>de</strong>r Bedrohung ist relevant: „Angesichts eines drohen<strong>de</strong>n<br />
Krieges dürfen <strong>Staat</strong>en han<strong>de</strong>ln, wenn <strong>de</strong>r Verzicht auf Präemption 6 eine ernsthafte<br />
Gefährdung für die territoriale Integrität <strong>und</strong> politische Unabhängigkeit eines <strong>Staat</strong>es darstellt“<br />
(zitiert nach Rudolf, 2012, S. 26).<br />
6 Zu unterschei<strong>de</strong>n ist die völkerrechtlich abgesicherte präemptive Selbstverteidigung, die voraussetzt, dass einen<br />
unmittelbare Bedrohung besteht, von einem <strong>de</strong>utlich vager begrün<strong>de</strong>ten Präventivangriff (Rudolf, 2012, S. 21).<br />
17
Bei bei<strong>de</strong>n Definitionen gilt: Ein Rest von Unsicherheit bleibt in je<strong>de</strong>m Fall, ein Einsatz kann nur<br />
ultima ratio sein. Legt man diese Kriterien an, lässt sich im Hinblick auf <strong>de</strong>n Iran diese Situation<br />
so nicht konstatieren.<br />
Ein weiteres ethisches Arg<strong>um</strong>ent kommt hinzu: Bei <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r nuklearen Infrastruktur<br />
geht es nicht nur <strong>um</strong> Anlagen <strong>und</strong> Gebäu<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch <strong>um</strong> die Experten, die dort arbeiten.<br />
<strong>Die</strong>se Gruppe von Menschen, <strong>de</strong>ren Wissen für <strong>de</strong>n Bau von Waffen nötig ist, wür<strong>de</strong>n <strong>und</strong> müssten<br />
entsprechend <strong>de</strong>r zugr<strong>und</strong>e liegen<strong>de</strong>n Zielbestimmung genauso ausgelöscht wer<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong><br />
hier ist es nicht mehr möglich, unter Maßgabe <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit das Töten dieser Menschen<br />
zu rechtfertigen (Rudolf, 2012, S. 28).<br />
Mögliche Ziele eines Angriffs können sein:<br />
1. <strong>Die</strong> Verzögerung <strong>de</strong>s iranischen Nuklearprogramms, was gezielte begrenzte Zerstörung<br />
be<strong>de</strong>utet.<br />
2. <strong>Die</strong> Beendigung <strong>de</strong>s Atomprogramms, was breite Zerstörung nötig macht.<br />
3. Der Sturz <strong>de</strong>s Regimes, was einen großangelegten militärischen Einsatz gegen die<br />
nukleare, militärische, politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Infrastruktur <strong>de</strong>s Iran erfor<strong>de</strong>rt<br />
(Rudolf, 2012, S.15).<br />
<strong>Die</strong> Hauptarg<strong>um</strong>ente <strong>de</strong>r israelischen Befürworter <strong>de</strong>s Militäreinsatzes lauten:<br />
1. Ein atombewaffneter Iran wird die geopolitische Machtbalance in <strong>de</strong>r Region zuungunsten<br />
<strong>Israel</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r USA verän<strong>de</strong>rn,<br />
2. Eine riskante <strong>und</strong> kostspielige Eindämmung <strong>und</strong> Abschreckung wür<strong>de</strong> nötig wer<strong>de</strong>n.<br />
Dass diese funktioniert, setzt ein Überlebensinteresse voraus, das allerdings bei <strong>de</strong>r schiitischen<br />
Märtyreri<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>r iranischen Führung nicht unbedingt gegeben ist (dieses<br />
Arg<strong>um</strong>ent wird beson<strong>de</strong>rs von Netanjahu vertreten).<br />
<strong>Die</strong> Sorge, die iranische Führung könnte aus i<strong>de</strong>ologischem Eifer Atomwaffen gegen <strong>Israel</strong> richten,<br />
beschäftigt vor allem die politische Elite <strong>de</strong>s <strong>Land</strong>es. <strong>Israel</strong>ische Sicherheitsexperten sehen<br />
eher das geopolitische Arg<strong>um</strong>ent im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> sehen keine unmittelbare Gefahr eines<br />
Angriffs auf <strong>Israel</strong>. Sie fürchten eher, dass <strong>de</strong>r Konflikt, einmal losgetreten, unkontrolliert eskalieren<br />
wür<strong>de</strong>. Zu<strong>de</strong>m wird für die israelische Gesellschaft befürchtet, dass eine Abwan<strong>de</strong>rung<br />
gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gut ausgebil<strong>de</strong>ten Eliten drohen könnte, wenn <strong>Israel</strong> als „sichere Heimstatt“ von einem<br />
Atomangriff bedroht wäre (Rudolf, 2012, S.16f).<br />
<strong>Die</strong> Befürworter in <strong>de</strong>n USA stellen eher die hohen Kosten einer Abschreckungspolitik in <strong>de</strong>n<br />
Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong>, wie auch eine mögliche Proliferationskette in <strong>de</strong>r Region: Hier ist beson<strong>de</strong>rs die<br />
Vorstellung eines nuklear bewaffneten Saudi-Arabiens, <strong>de</strong>s Gegenspielers <strong>de</strong>s Iran, besorgniserregend.<br />
Wie können diese Arg<strong>um</strong>ente beurteilt wer<strong>de</strong>n?<br />
Auffällig ist, dass die Befürworter eines Einsatzes in Bezug auf die Situation <strong>de</strong>n „worst case“ annehmen,<br />
in Bezug auf die Erfolge allerdings vom „best case“ ausgehen. <strong>Die</strong> Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit<br />
<strong>de</strong>r Arg<strong>um</strong>entation fällt schnell ins Auge: Einerseits wird behauptet, dass <strong>de</strong>r Iran auf eine Abschreckungspolitik<br />
nicht rational reagieren wür<strong>de</strong> (Stichwort „Märtyreri<strong>de</strong>ologie“), an<strong>de</strong>rerseits<br />
wird von einer rationalen, kalkulierbaren Reaktion bei einem militärischen Angriff auf die Nuklearanlagen<br />
ausgegangen. Es ist jedoch vollkommen unklar, ob die iranische Führung auf einen<br />
Angriff rational reagieren wür<strong>de</strong>. Fraglich ist z<strong>um</strong> einen, ob sie die begrenzten Ziele eines Angriffs<br />
erkennt, o<strong>de</strong>r davon ausgeht, dass ein Regimesturz intendiert ist. Unklar ist, ob im Iran<br />
selbst überhaupt eine zentrale Kontrolle über eine mögliche Reaktion bestän<strong>de</strong>. Eine rationale<br />
Reaktion <strong>de</strong>s Iran wäre auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r UN <strong>de</strong>nkbar, wo er als Opfer eines Militärangriffs auftreten<br />
<strong>und</strong> eine entsprechen<strong>de</strong> Resolution initiieren könnte. Amerikanische Sicherheitsexperten<br />
gehen davon aus, dass <strong>de</strong>r Iran mit terroristischen Anschlägen im Ausland gegenüber amerikanischen<br />
Einrichtungen reagieren wird.<br />
<strong>Die</strong> Befürchtung einer Proliferationskette ist insofern fragwürdig, als die meisten infrage kommen<strong>de</strong>n<br />
Kandidaten in einem engen Verhältnis zu <strong>de</strong>n USA stehen, so z.B. Saudi-Arabien.<br />
Insgesamt ist es nicht möglich, die Wahrscheinlichkeit eines <strong>de</strong>r zahlreichen Szenarien einzuschätzen.<br />
Fraglich ist, ob es wirklich dauerhaft zu verhin<strong>de</strong>rn ist, dass <strong>de</strong>r Iran in die Lage<br />
kommt, eine Atombombe zu bauen. Mittlerweile zeigt sich Unmut in <strong>de</strong>r iranischen Bevölkerung<br />
18
gegen die wirtschaftlichen Folgen <strong>de</strong>r Sanktionen, wie z.B. in <strong>de</strong>n Protesten <strong>de</strong>r Basarhändler in<br />
Teheran vor einigen Wochen. <strong>Die</strong>s könnte ein leises Anzeichen dafür sein, dass die Sanktionen zu<br />
greifen beginnen. Auch wenn dies schwer einzuschätzen ist, so ist eines doch sicher: Ein Präventionsangriff<br />
wür<strong>de</strong> dazu führen, dass <strong>de</strong>r Iran nun noch entschlossener <strong>de</strong>n Bau von Kernwaffen<br />
forciert. Dann wäre <strong>Israel</strong> in noch größerer Gefahr als z<strong>um</strong> gegenwärtigen Zeitpunkt. Überzeugend<br />
ist die Einschätzung eines amerikanischen Sicherheitsexperten: „Schlimmer als ein atomar<br />
bewaffneter Iran ist ein Iran, <strong>de</strong>r von <strong>Israel</strong> attackiert wur<strong>de</strong>.“ (Rudolf 2012, S.19).<br />
Wie wahrscheinlich ist ein atomarer Angriff <strong>de</strong>s Iran auf <strong>Israel</strong>?<br />
Hier geht es dar<strong>um</strong>, zwischen Rhetorik <strong>und</strong> einer Beurteilung anhand <strong>de</strong>r bisherigen Politik <strong>de</strong>s<br />
Iran zu unterschei<strong>de</strong>n. Im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r öffentlichen Wahrnehmung stehen die <strong>Israel</strong> feindlichen<br />
Äußerungen <strong>de</strong>s iranischen <strong>Staat</strong>spräsi<strong>de</strong>nten Ahmadinedschad. Sie nahmen ihren Ausgang<br />
mit seiner Aussage, <strong>Israel</strong> müsse von <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>karte verschwin<strong>de</strong>n. Es stellte sich später heraus,<br />
dass diese Äußerung auf einer unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>ntenkonferenz fiel <strong>und</strong> ein Zitat <strong>de</strong>s Revolutionsführers<br />
Ayatholla Khomeini war, das wörtlich übersetzt lautet: „Das Regime, das Jerusalem<br />
besetzt hält, muss von <strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r Geschichte verschwin<strong>de</strong>n.“ (von Schwerin, 2012) Auch<br />
wenn <strong>de</strong>r iranische <strong>Staat</strong>spräsi<strong>de</strong>nt beteuerte, dass hiermit keine Kriegsdrohung gemeint war, so<br />
schienen doch die allgemein heftigen Reaktionen ihn dazu zu ermuntern, sich nun auch weiter<br />
mit extremen Positionen wie <strong>de</strong>r Leugnung <strong>de</strong>s Holocaust o<strong>de</strong>r einer behaupteten Verbindung<br />
z<strong>um</strong> Messias die öffentliche Aufmerksamkeit zu sichern.<br />
Um die Aussagekraft dieser Drohungen realistisch einzuschätzen, ist ein Blick auf die bisherige<br />
Außenpolitik <strong>de</strong>s Iran hilfreich. So ist letztlich für außenpolitische Entscheidungen nicht <strong>de</strong>r<br />
<strong>Staat</strong>spräsi<strong>de</strong>nt, son<strong>de</strong>rn als Oberbefehlshaber <strong>de</strong>r Streitkräfte <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Revolutionsrates,<br />
Ali Chamenei verantwortlich. <strong>Die</strong>ser ist im Unterschied zu Ahmadinedschad, <strong>de</strong>ssen Amtszeit<br />
2013 endgültig abläuft, eher ein konservativer Realpolitiker, <strong>de</strong>m es an einem Erhalt <strong>de</strong>s<br />
Status Quo gelegen ist. So zeigt auch die Außenpolitik <strong>de</strong>s Iran in <strong>de</strong>n letzen Jahre einen <strong>de</strong>utliche<br />
Kontinuität <strong>und</strong> eher Vernunft <strong>und</strong> Pragmatismus als revolutionäres Abenteurert<strong>um</strong>: Seit<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Irakkrieges 1988 waren die außenpolitischen Reaktionen eher an eigenen Interessen<br />
orientiert, als i<strong>de</strong>ologisch geprägt. Im Karabach-Konflikt stellte die iranische Führung auf die<br />
Seite <strong>de</strong>r christlichen Armenier, in Tadschikistan unterstützte <strong>de</strong>r Iran nicht die Rebellen, son<strong>de</strong>rn<br />
nahm eine Vermittlerrolle ein, im Afghanistan-Konflikt spielte <strong>de</strong>r Iran überwiegend eine<br />
untergeordnete Rolle, die Vertreibung <strong>de</strong>r Taliban <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Al-Qaida nach <strong>de</strong>m 11. September<br />
wur<strong>de</strong> ausdrücklich begrüßt, Waffenlieferungen an diese Gruppen konnten nie belegt wer<strong>de</strong>n.<br />
Beim Sturz Saddam Husseins kooperierte <strong>de</strong>r Iran mit <strong>de</strong>n USA. Dabei unterstützte die iranische<br />
Politik die schiitischen Min<strong>de</strong>rheiten, sei es im Irak o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Golfstaaten. Deren Poteste gegen<br />
die autoritären Herscherhäuser war jedoch kein Ergebnis iranischer Intervention, son<strong>de</strong>rn sie<br />
hatten ihren Gr<strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>und</strong> Diskriminierung durch die jeweiligen Regime (von<br />
Schwerin, 2012).<br />
In welcher Weise <strong>de</strong>r Iran die Hamas nicht nur i<strong>de</strong>ologisch, son<strong>de</strong>rn auch direkt militärisch unterstützt,<br />
ist jüngst im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Abschuss iranischer Fadjr-5 Raketen von Gaza<br />
auf <strong>Israel</strong> diskutiert wor<strong>de</strong>n. Während sich von offizieller Seite Sprecher <strong>de</strong>r iranischen Regierung<br />
damit brüsten 7 , ist es unklar, ob es direkte Waffenlieferungen wirklich gibt o<strong>de</strong>r ob nicht<br />
vielmehr das Interesse Teherans dahin geht, sich in <strong>de</strong>r islamischen Welt eine Führungsposition<br />
zu erarbeiten. Ob eine direkte Unterstützung <strong>de</strong>r Hamas durch <strong>de</strong>n Iran einen israelischen Angriff<br />
legitimiert, ist fraglich, auch wenn das Vorgehen <strong>de</strong>s Iran sicherlich auch völkerrechtlich zu<br />
verurteilen ist.<br />
Eine direkte Verbindung besteht allerdings mit <strong>de</strong>r schiitischen Hisbollah im Libanon, die vom<br />
Iran mit Geld <strong>und</strong> Waffen unterstützt wird. Ihre wichtige politische Rolle im Libanon geht jedoch<br />
weit über die Unterstützung durch Teheran hinaus <strong>und</strong> resultiert aus ihren sozialen Netzwerken<br />
<strong>und</strong> ihrem Nimbus als Verteidiger <strong>de</strong>r nationalen Integrität <strong>de</strong>s Libanons, vor allem durch<br />
ihren Kampf gegen die israelische Besatzung im Südlibanon.<br />
Das Bündnis <strong>de</strong>s Iran mit Syrien hat wie<strong>de</strong>r<strong>um</strong> rein pragmatische Hintergrün<strong>de</strong> <strong>und</strong> ist nicht<br />
i<strong>de</strong>ologisch begrün<strong>de</strong>t.<br />
7 So Spiegel-online vom 21.11.2012.<br />
19
Wie diese kurze Aufzählung zeigt, kann die bisherige Außenpolitik Teherans eher als reaktiv bis<br />
<strong>de</strong>fensiv beschrieben wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Wahrnehmung, dass es sich beim Iran <strong>um</strong> einen aggressiven<br />
<strong>Staat</strong> han<strong>de</strong>lt, resultiert eher aus <strong>de</strong>r repressive Innenpolitik sowie <strong>de</strong>r brutalen Verfolgung von<br />
Oppositionellen im Ausland (von Schwerin, 2012).<br />
David Grossmann (2012) stellt schließlich die Frage, ob es nicht selbst für <strong>de</strong>n Fall, dass das<br />
Atomprogramm <strong>de</strong>s Iran nicht gestoppt wer<strong>de</strong>n kann, besser wäre, dass <strong>Israel</strong> sich bei einem<br />
Angriff zurückhielte, selbst wenn dies be<strong>de</strong>utet, dass <strong>Israel</strong> mit einem nuklear bewaffneten Iran<br />
leben müsste. „Und was, wenn Saudi-Arabien eines Tages ebenfalls Atomwaffen haben will <strong>und</strong><br />
sie auch bekommt? Wird <strong>Israel</strong> auch die Saudis angreifen? Und wenn Ägypten unter <strong>de</strong>m neuen<br />
Regime ebenfalls diesen Weg geht? Wird <strong>Israel</strong> dann Ägypten bombardieren? Und wird es für<br />
alle Zeiten das einzige <strong>Land</strong> im Nahen Osten sein, das Atombomben haben darf? Selbst wenn<br />
diese Fragen schon gestellt <strong>und</strong> abgewogen wur<strong>de</strong>n, wir müssen sie immer wie<strong>de</strong>r stellen, bevor<br />
unsere Ohren taub wer<strong>de</strong>n vom Schlachtenlärm. Kann ein Krieg uns etwas Gutes bringen?“<br />
Feindbil<strong>de</strong>r <strong>und</strong> historische Tra<strong>um</strong>ata<br />
Es ist sicher nicht zu bestreiten, dass auch in <strong>de</strong>r iranischen Bevölkerung, wie in <strong>de</strong>r gesamten<br />
arabischen Welt, eine kritische bis feindliche Haltung gegenüber <strong>Israel</strong> vorherrscht, das als Unrechtsstaat<br />
<strong>und</strong> Aggressor wahrgenommen wird. <strong>Die</strong> Palästinenserfrage steht dabei im Iran nicht<br />
im Zentr<strong>um</strong> <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit.<br />
Sowohl in <strong>Israel</strong> wie im Iran ist <strong>de</strong>r jeweils an<strong>de</strong>re <strong>Staat</strong> als Feindbild präsent, ohne dass man<br />
voneinan<strong>de</strong>r viel wüsste. Auch wenn <strong>Israel</strong> unzweifelhaft ein säkularer <strong>de</strong>mokratischer <strong>Staat</strong> ist,<br />
was über <strong>de</strong>n Iran sicher so nicht gesagt wer<strong>de</strong>n kann – bei genauerem Hinsehen gibt es einige<br />
Gemeinsamkeiten: Bei<strong>de</strong> Län<strong>de</strong>r verfügen über eine entwickelte Zivilgesellschaft, die sich autoritärer<br />
<strong>und</strong> f<strong>und</strong>amentalistischer Strömungen erwehren muss, in bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn haben es liberale<br />
Kräfte zurzeit sehr schwer. Gemeinsam ist ihnen auch ihre religiöse Singularität in einer arabischen<br />
<strong>und</strong> sunnitischen Umgebung (Schmierer, 2012a).<br />
Geschichtliche Erfahrungen bestimmen zu<strong>de</strong>m das politische Han<strong>de</strong>ln, gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m gegenwärtigen<br />
Konflikt. Während <strong>Israel</strong> aus <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>s Holocaust seinen Anspruch auf eine qualitative<br />
strategische Überlegenheit in <strong>de</strong>r Region zieht, <strong>und</strong> die eigene Atombewaffnung je<strong>de</strong>r<br />
<strong>Debatte</strong> entzieht, sind es beim Iran in erster Linie die Erfahrungen mit <strong>de</strong>m europäischem Imperialismus<br />
<strong>und</strong> Kolonialismus in <strong>de</strong>r Region. <strong>Die</strong> Unterstützung <strong>de</strong>s Schah-Regimes durch die USA<br />
galt als Gipfel <strong>de</strong>r Demütigung. Daraus entsteht eine Haltung, sich nie wie<strong>de</strong>r vom Westen etwas<br />
vorschreiben zu lassen. Das Verhalten <strong>de</strong>s Iran zielt auf uneingeschränkte Souveränität <strong>und</strong><br />
Gleichbehandlung in <strong>de</strong>r Völkergemeinschaft. So stehen sich in bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn eine jeweilige<br />
<strong>Staat</strong>sräson gegenüber, die in Ihrer Genese nichts miteinan<strong>de</strong>r zu tun haben. Der Iran hat keine<br />
Mitverantwortung für <strong>de</strong>n Holocaust, vielmehr fan<strong>de</strong>n europäische Ju<strong>de</strong>n dort Asyl. Genauso<br />
wenig trägt <strong>Israel</strong> eine Mitschuld an <strong>de</strong>r iranischen Opfergeschichte. In <strong>de</strong>r Gegenwart wirken<br />
sich diese voneinan<strong>de</strong>r unabhängigen Erfahrungen aber eskalierend auf <strong>de</strong>n Konflikt aus<br />
(Schmierer, 2012a).<br />
4. Reaktionen auf die <strong>Debatte</strong> <strong>um</strong> <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Debatte</strong> <strong>um</strong> <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong>, insbeson<strong>de</strong>re das Wort <strong>de</strong>r palästinensischen Christen, hat<br />
auch in <strong>de</strong>n Kirchen zu Reaktionen geführt. Im folgen<strong>de</strong>n soll hier auf die Plattform <strong>de</strong>r Evangelischen<br />
Kirche im Rheinland z<strong>um</strong> <strong>Israel</strong>-Palästina-Konflikt Bezug genommen wer<strong>de</strong>n, wie auch<br />
auf die <strong>de</strong>m Text zugr<strong>und</strong>e liegen<strong>de</strong>n Ausführungen in <strong>de</strong>r Arbeitshilfe „Den rheinischen Synodalbeschluss<br />
z<strong>um</strong> Verhältnis von Christen <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n weiter<strong>de</strong>nken – <strong>de</strong>n Gottesdienst erneuern“<br />
aus <strong>de</strong>m Jahr 2008. Eine direkte Reaktion <strong>de</strong>r EMOK (Evangelische Mittel-Ost-Konferenz), die<br />
anschließend von <strong>de</strong>r Kirchenkonferenz <strong>de</strong>r EKD übernommen wur<strong>de</strong>, geht ebenfalls mit Würdigung<br />
<strong>und</strong> Kritik auf das palästinensische Dok<strong>um</strong>ent ein.<br />
Schließlich wird die Orientierungshilfe <strong>de</strong>r EKD „Gelobtes <strong>Land</strong>? <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> in <strong>de</strong>r<br />
Diskussion“ aus <strong>de</strong>m Jahr 2012 vorgestellt <strong>und</strong> einer kritischen Würdigung unterzogen.<br />
20
4.1. <strong>Die</strong> Arbeitshilfe z<strong>um</strong> Rheinischen Synodalbeschluss<br />
entfaltet in Kapitel 3.3. eine gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Klärung zur Genese <strong>und</strong> z<strong>um</strong> Verständnis <strong>de</strong>r Formulierung<br />
im Rheinischen Synodalbeschluss, wonach die „fortdauern<strong>de</strong>(n) Existenz <strong>de</strong>s jüdischen<br />
Volkes, seine(r) Heimkehr in das <strong>Land</strong> <strong>de</strong>r Verheißung <strong>und</strong> auch ...( ) in <strong>de</strong>r Errichtung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es<br />
<strong>Israel</strong> Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ sei. Gera<strong>de</strong> im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m<br />
Vorwurf einer f<strong>und</strong>amentalistischen Bibelauslegung, die sich zwar nicht explizit aber implizit<br />
gegen solche Aussagen wen<strong>de</strong>t, wer<strong>de</strong>n sich die folgen<strong>de</strong>n Überlegungen auf die Entfaltung<br />
dieser Formulierung <strong>und</strong> daraus resultieren<strong>de</strong> Positionen beziehen.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich wird bekräftigt, dass die Existenz <strong>Israel</strong>s aus theologischen Grün<strong>de</strong>n bejaht wird,<br />
ohne dass damit <strong>de</strong>n Einzelentscheidungen von staatlichen Organen Recht gegeben wür<strong>de</strong>.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für alle weitere Arg<strong>um</strong>entation ist die Klarstellung, dass es sich bei dieser Formulierung<br />
<strong>um</strong> eine theologische Deutung han<strong>de</strong>lt. Nicht bestimmte geschichtliche Ereignisse sind<br />
es, die etwas offenbaren (das wäre in <strong>de</strong>r Tat eine fragwürdige „Geschichtstheologie“), son<strong>de</strong>rn<br />
es geht dar<strong>um</strong>, diese Ereignisse aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Glaubens zu <strong>de</strong>uten (S. 39). Sie sind nicht Ziel,<br />
son<strong>de</strong>rn Ausgangspunkt einer theologischen Erklärung. Es sind also die beson<strong>de</strong>ren<br />
Verstehensvoraussetzungen, die diese Deutung erst ermöglichen:<br />
<strong>Die</strong>se gehen einerseits aus vom biblischen Bef<strong>und</strong>, wonach Gottes bleiben<strong>de</strong> Erwählung <strong>de</strong>s Volkes<br />
<strong>Israel</strong> untrennbar mit <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>verheißung verb<strong>und</strong>en ist. Hinzu kommen die Einsichten, dass<br />
Christinnen <strong>und</strong> Christen <strong>und</strong> die europäische <strong>Staat</strong>engemeinschaft es nicht vermocht haben,<br />
die Existenz <strong>de</strong>s jüdischen Volkes zu sichern <strong>und</strong> schließlich die Glaubenseinsicht, dass Gott seinem<br />
Volk unverbrüchlich die Treue hält.<br />
Dabei ist nicht gemeint, dass mit <strong>de</strong>r Rückkehr ins <strong>Land</strong> <strong>Israel</strong> die <strong>Land</strong>verheißung vollständig<br />
erfüllt wäre.<br />
An erster Stelle steht die Heimkehr <strong>und</strong> das Leben von Jüdinnen <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n im <strong>Land</strong> ihrer Väter,<br />
die <strong>Staat</strong>sgründung leitet sich davon ab. Der <strong>Staat</strong> ist das Mittel, diese Heimkehr zu sichern. Es<br />
geht nicht dar<strong>um</strong>, das Wesen <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es theologisch zu überhöhen. Son<strong>de</strong>rn es geht <strong>um</strong> die<br />
Funktionen, die dieser <strong>Staat</strong> in Hinblick auf das Volk ausübt: Heimstatt zu sein, Ra<strong>um</strong> für die<br />
Verwirklichung von Gerechtigkeit <strong>und</strong> Erfüllung <strong>de</strong>r Tora zu bieten.<br />
Reale Verhältnisse nehmen Einfluss darauf, inwieweit <strong>de</strong>r <strong>Staat</strong> diese Funktionen erfüllt <strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>utliches Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes ist o<strong>de</strong>r dies eben nicht o<strong>de</strong>r nur sehr unzureichend erfüllt<br />
<strong>und</strong> damit seinen Zeichencharakter verdunkelt<br />
Hierin liegt kritisches Potential <strong>de</strong>m <strong>Staat</strong> gegenüber.<br />
<strong>Die</strong> Kritik an <strong>de</strong>n Formulierungen <strong>de</strong>s Rheinischen Synodalbeschlusses fokussiert ihn häufig auf<br />
das Ereignis <strong>de</strong>r <strong>Staat</strong>sgründung. <strong>Die</strong> Trias <strong>de</strong>r Ereignisse, nämlich die Fortexistenz <strong>de</strong>s jüdischen<br />
Volkes, die Heimkehr nach <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> die Gründung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es ist allerdings nicht so zu verstehen,<br />
dass sie auf die <strong>Staat</strong>sgründung hinauslaufen. Vielmehr ist allein schon die Fortexistenz <strong>de</strong>s<br />
jüdischen Volkes – sei es in <strong>Israel</strong>, sei es in <strong>de</strong>r Diaspora – angesichts <strong>de</strong>r Shoah ein Zeichen <strong>de</strong>r<br />
Treue Gottes zu seinem Volk.<br />
Schließlich fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r Arbeitshilfe eine <strong>de</strong>utliche Wahrnehmung <strong>und</strong> Beschreibung <strong>de</strong>r<br />
Situation von Palästinenserinnen <strong>und</strong> Palästinensern <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re auch <strong>de</strong>r Christen unter<br />
ihnen. Hierbei wer<strong>de</strong>n die Probleme <strong>de</strong>r Besatzungs- <strong>und</strong> Siedlungspolitik <strong>und</strong> Verletzungen <strong>de</strong>r<br />
Menschenrechte offen benannt.<br />
<strong>Die</strong> Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Gründung <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Bestand <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> als Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes<br />
kann <strong>und</strong> soll über diese Sachverhalte nicht hinwegtäuschen. Doch Gründung <strong>und</strong> Fortbestand<br />
<strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es sowie Frie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Gerechtigkeit gegenüber seinen Bürgern <strong>und</strong> Gerechtigkeit für die<br />
Palästinenser schließen sich nicht aus. Gera<strong>de</strong> die theologische Wertschätzung <strong>de</strong>r Funktionen<br />
dieses <strong>Staat</strong>es schließt Kritik ein <strong>und</strong> sensibilisierte für die realen Lebensbedingungen in diesem<br />
<strong>Staat</strong>.<br />
4.2. Der Rheinische „Diskussionsimpuls zur Lage in <strong>Israel</strong>/Palästina“ aus <strong>de</strong>m Jahr 2011<br />
würdigt das palästinensische Papier. <strong>Die</strong> darin geäußerte Klage wird als Anstoß zu einem intensiveren<br />
Dialog mit palästinensischen Christinnen <strong>und</strong> Christen gesehen wie auch als Aufruf, „erneut<br />
z<strong>um</strong> Konflikt zwischen <strong>de</strong>m <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m palästinensischen Volk Stellung zu beziehen“<br />
. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Ausführungen wer<strong>de</strong>n die zentralen Arg<strong>um</strong>ente <strong>de</strong>r Arbeitshilfe aus <strong>de</strong>m<br />
Jahr 2008 aufgeführt <strong>und</strong> auf die aktuelle Situation bezogen.<br />
21
Der Diskussionsimpuls geht im Schlussteil über die Arbeitshilfe hinaus, da konkrete Handlungsvorschläge<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>se beziehe sich im Wesentlichen auf drei Bereiche:<br />
1. Bereits vorhan<strong>de</strong>nes Engagement soll in Gemein<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nsten sichtbarer wer<strong>de</strong>n. Hierunter<br />
wird dann verstan<strong>de</strong>n: die finanzielle Unterstützung verschie<strong>de</strong>ner Projekte <strong>und</strong> Einrichtungen<br />
durch Kollekten <strong>und</strong> Haushaltsmittel; die finanzielle Unterstützen für Gruppen aus Kirchengemein<strong>de</strong>n,<br />
Schulen <strong>und</strong> Universitäten, die <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> Palästina besuchen; schließlich die bereits<br />
bestehen<strong>de</strong> Gesprächszusammenhänge sowie Publikationen <strong>und</strong> Stellungnahmen.<br />
2. Verstärkt wer<strong>de</strong>n soll das Engagement: in<strong>de</strong>m Gesprächszusammenhänge initiiert wer<strong>de</strong>n, in<br />
<strong>de</strong>nen sich Menschen austauschen, die sie jeweils für <strong>Israel</strong> o<strong>de</strong>r Palästina engagieren; in<strong>de</strong>m das<br />
Gespräch mit palästinensischen Christinnen <strong>und</strong> Christen zu theologisch <strong>und</strong> politisch strittigen<br />
Fragen geführt wird; in<strong>de</strong>m Dreieckspartnerschaften zwischen Kommunen, Kirchengemein<strong>de</strong>n<br />
<strong>und</strong> Schulen im Rheinland mit solchen in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> Palästina aufgebaut wer<strong>de</strong>n.<br />
3. Neue Wege zur gewaltfreien Verständigung <strong>und</strong> Kommunikation sollen gesucht wer<strong>de</strong>n: Hier<br />
soll geprüft wer<strong>de</strong>n, ob Waren aus <strong>de</strong>r Westbank so gekennzeichnet wer<strong>de</strong>n können, dass man<br />
unterschei<strong>de</strong>n kann, welche aus Siedlerbetrieben <strong>und</strong> welche aus palästinensischen Betrieben<br />
kommen; Partnerschaften zwischen Kirchengemein<strong>de</strong>n im Rheinland mit Kirchengemein<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />
Synagogen in <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> Palästina sollen ermutigt wer<strong>de</strong>n sowie Begegnung von israelischen <strong>und</strong><br />
palästinensischen Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Jugendlichen, Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern. Hier sollen Synagogen<br />
<strong>und</strong> auch Moscheegemein<strong>de</strong>n beteiligt wer<strong>de</strong>n.<br />
4.3. <strong>Die</strong> Stellungnahme <strong>de</strong>r Kirchenkonferenz <strong>de</strong>r EKD <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Exekutivausschusses <strong>de</strong>r<br />
EMOK „<strong>Die</strong> St<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r Wahrheit (Kairos Palästina)“<br />
<strong>Die</strong>se vom EMOK-Exekutivausschuss am 22.4.2010 vorgelegte Stellungnahme wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r<br />
Kirchenkonferenz <strong>de</strong>r EKD am 31.08.2011 übernommen.<br />
<strong>Die</strong> Stellungnahme glie<strong>de</strong>rt sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil steht unter <strong>de</strong>r Überschrift:<br />
„Was nehmen wir Gutes <strong>und</strong> Neues wahr in diesem Dok<strong>um</strong>ent?“<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich wird das Dok<strong>um</strong>ent als ein Hilferuf von Menschen gesehen, die unter <strong>de</strong>r israelischen<br />
Besetzung lei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ihre christlichen Geschwister in <strong>de</strong>r Ök<strong>um</strong>ene <strong>um</strong> Solidarität bitten.<br />
Positive gesehen wird die implizite Anerkennung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> als politischem Gegenüber,<br />
die Ablehnung je<strong>de</strong>r Instr<strong>um</strong>entalisierung <strong>de</strong>r Religion in politischen Konflikten <strong>und</strong> die klare<br />
Orientierung an <strong>de</strong>n Menschenrechten wie auch die erkennbare Versöhnungsbereitschaft, die<br />
Absage an Gewalt <strong>und</strong> Rache, worin ein entschlossener Frie<strong>de</strong>nswille z<strong>um</strong> Ausdruck kommt.<br />
Im zweiten Teil wer<strong>de</strong>n Anfragen <strong>und</strong> Vorbehalte gegenüber <strong>de</strong>m palästinensischen Dok<strong>um</strong>ent<br />
entfaltet. Hier wer<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re die Formulierungen in <strong>de</strong>n Blick genommen, die Missverständnissen<br />
Ra<strong>um</strong> geben:<br />
Ein Dialog <strong>de</strong>r Religionen kann sich nicht nur auf <strong>de</strong>n christlich-muslimischen Dialog beschränken,<br />
son<strong>de</strong>rn muss auch das Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> einbeziehen. <strong>Die</strong> Begründung allen Leids mit <strong>de</strong>r israelischen<br />
Besatzung lässt eine notwendige Differenzierung vermissen.<br />
Beson<strong>de</strong>rs sind es die Äußerungen, die sich mit Fragen <strong>de</strong>r Gewalt im Konkreten befassen. Wenn<br />
die Wurzeln <strong>de</strong>s „Terrorismus“ allein in <strong>de</strong>r israelischen Besatzung gesehen wer<strong>de</strong>n, wenn Hochachtung<br />
vor <strong>de</strong>njenigen z<strong>um</strong> Ausdruck gebracht wird, die ihr Leben für die Nation dahingegeben<br />
haben, so kritisiert die Stellungnahme zu recht, dass hier nicht <strong>de</strong>utlich genug gesagt wird, wer<br />
alles damit gemeint ist, <strong>und</strong> wer eben auch nicht (z.B. Selbstmordattentäter). Ein allgemeiner<br />
wirtschaftlicher Boykott gegen <strong>Israel</strong>, beson<strong>de</strong>rs von Produkten, die unter <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>r<br />
Besatzung hergestellt sind, wird vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Geschichte zurückgewiesen.<br />
Eingerä<strong>um</strong>t wird hier allerdings die Möglichkeit, keine Produkte aus wi<strong>de</strong>rrechtlichen Siedlungen<br />
zu kaufen.<br />
Es wird kritisiert, dass <strong>de</strong>r Ruf zur Umkehr von f<strong>und</strong>amentalistischen Positionen in Hinblick auf<br />
<strong>Israel</strong> unklar ist, wird hier doch nicht <strong>de</strong>utlich, welche Positionen genau gemeint sind. Einigkeit<br />
herrscht darüber, dass keine Theologie das Leid von Menschen rechtfertigen darf. Es besteht<br />
jedoch Gesprächsbedarf, wenn damit auch die theologischen Einsichten <strong>de</strong>r Kirchen in Europa<br />
<strong>und</strong> Nordamerika über die bleiben<strong>de</strong>, von Gott gegebene Verheißung an das Volk <strong>Israel</strong> gemeint<br />
ist.<br />
Schließlich wird je<strong>de</strong> implizierte Gleichsetzung mit <strong>de</strong>m Kampf gegen das Apartheidsregime in<br />
Südafrika zurückgewiesen, die durch die Begriffswahl <strong>de</strong>s ÖRK bei <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>s Dok<strong>um</strong>ents<br />
als „Kairos-Papier“ hergestellt wird.<br />
22
Insgesamt macht die Stellungnahme die zentralen Probleme <strong>de</strong>s Dok<strong>um</strong>ents <strong>de</strong>utlich, lässt jedoch<br />
eine gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n darin enthaltenen theologischen Denkmustern<br />
vermissen. Auch eine Bezugnahme auf die Re<strong>de</strong> vom <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> als „Zeichen <strong>de</strong>r Treue<br />
Gottes“ , wie z.B. in <strong>de</strong>r Plattform aus <strong>de</strong>r EKiR fin<strong>de</strong>t sich dort nicht.<br />
4.4. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n bisher vorgestellten Papieren hat die Orientierungshilfe <strong>de</strong>r EKD „Gelobtes<br />
<strong>Land</strong>? <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> in <strong>de</strong>r Diskussion“ aus <strong>de</strong>m Jahr 2012<br />
einen <strong>de</strong>utlich an<strong>de</strong>ren Charakter. Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich <strong>um</strong> eine Ausarbeitung, die das Thema<br />
vorrangig historisch <strong>und</strong> theologiegeschichtlich reflektiert.<br />
Nach einer Einführung <strong>und</strong> einer Verhältnisbestimmung von Christen z<strong>um</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> wer<strong>de</strong>n<br />
Begriffe geklärt <strong>und</strong> Fragen formuliert, die sich heute mit <strong>de</strong>r biblischen <strong>Land</strong>verheißung, jüdischem<br />
Selbstverständnis <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Verhältnis von biblischen Bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> heutiger Politik verbin<strong>de</strong>n.<br />
Im Zweiten Kapitel stehen biblische Aussagen im Alten <strong>und</strong> Neuen Testament im Mittelpunkt.<br />
Hier wird u.a. <strong>de</strong>utlich, dass die biblischen Aussagen über die Grenzen dieses <strong>Land</strong>es nicht ein<strong>de</strong>utig<br />
sind, an<strong>de</strong>rerseits Gebiete, die heute z<strong>um</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> gehören, nicht genannt wer<strong>de</strong>n. Ein<br />
Gang durch das Neue Testament zeigt, dass hier das <strong>Land</strong> <strong>und</strong> die <strong>Land</strong>verheißungen keine große<br />
theologische Be<strong>de</strong>utung haben, dies keine Frage war, die die ersten Christen beschäftigt.<br />
Das dritte Kapitel nimmt das nachbiblische Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> in <strong>de</strong>n Blick. Über die hellenistische Zeit<br />
<strong>und</strong> das rabbinischen Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> wird bis z<strong>um</strong> Zionismus <strong>und</strong> seiner Aufnahme innerhalb <strong>de</strong>r<br />
verschie<strong>de</strong>nen Strömungen im Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> eine Linie aufgespannt. Durchgängiges Thema ist die<br />
Spannung zwischen <strong>de</strong>m dauerhaften Leben in <strong>de</strong>r Diaspora <strong>und</strong> einer Rückkehr ins <strong>Land</strong> <strong>Israel</strong>.<br />
Sowohl die historischen Umstän<strong>de</strong> als auch die unterschiedlichen theologischen Deutungen<br />
wer<strong>de</strong>n in Gr<strong>und</strong>zügen dargestellt.<br />
Der Zionismus als eine Bewegung, die vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Antisemitismus in Europa als Versuch <strong>de</strong>r<br />
Emanzipation wie auch im Kontext <strong>de</strong>r europäischen Nationalbewegungen entstand, stellt eine neue Entwicklung<br />
dar. Sowohl Befürworter als Gegner sahen darin eine Diskontinuität z<strong>um</strong> traditionellen religiösen<br />
Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong>, das die Rückkehr in das <strong>Land</strong> mit <strong>de</strong>m Kommen <strong>de</strong>s Messias verband (S. 24).<br />
Säkulare Zionisten legten die religiösen Traditionen nicht-religiös aus, auch wenn sie sich weiterhin darauf<br />
bezogen.<br />
Das orthodoxe Ju<strong>de</strong>nt<strong>um</strong> reagierte gespalten: Ein Teil <strong>de</strong>utet die Gründung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> als verborgenes<br />
Wirken Gottes, die Besetzung Ostjerusalems <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Westbank 1967 wur<strong>de</strong> als Beatätigung messianischer<br />
Deutungen interpretiert (S. 25) Damit verband sich <strong>de</strong>r bis heute andauern<strong>de</strong> Versuch, auch in <strong>de</strong>r<br />
Gesetzgebung <strong>de</strong>m <strong>Staat</strong> eine zunehmend religiöse Prägung zu geben.<br />
An<strong>de</strong>re orthodoxe Gruppen hielten an <strong>de</strong>r traditionellen messianische Hoffnung fest <strong>und</strong> kritisieren einen<br />
Messianismus, <strong>de</strong>r militärische Siege als Beweis göttlicher Hilfe <strong>de</strong>utet. Auch im orthodoxen Spektr<strong>um</strong> gibt<br />
es Gruppen, die eine Rückgabe <strong>de</strong>r besetzen Gebiete unterstützen <strong>und</strong> sich für eine friedliche Lösung<br />
einsetzen.<br />
Im vierten Kapitel wird die Geschichte <strong>de</strong>s „Heiligen <strong>Land</strong>es“ aus kirchengeschichtlicher Perspektive<br />
beschrieben. Ausgehend von neutestamentlichen Zeugnissen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kirchenvätern wird<br />
die Geschichte insbeson<strong>de</strong>re Jerusalems unter byzantinischer Herrschaft, persischer <strong>und</strong> muslimischer<br />
Eroberung, <strong>de</strong>n Kreuzzügen, <strong>de</strong>n Mamelucken <strong>und</strong> schließlich <strong>de</strong>r osmanischen Herrschaft<br />
beschrieben. Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verban<strong>de</strong>n sich mit <strong>de</strong>n wachsen<strong>de</strong>n Einflüssen <strong>de</strong>s europäischen<br />
Kolonialismus in <strong>de</strong>r Region Gründungen von Missionsgesellschaften.<br />
Es folgt ein fünftes Kapitel, in <strong>de</strong>m die engen Beziehungen <strong>de</strong>s Islam zu Jerusalem in theologischer<br />
<strong>und</strong> religiöser Hinsicht beschrieben wer<strong>de</strong>n. Eingegangen wird auch auf Arg<strong>um</strong>entationsmuster<br />
<strong>de</strong>r Gegenwart, was mit <strong>de</strong>m gegenwärtigen Dialog zwischen Christen <strong>und</strong> Muslimen<br />
begrün<strong>de</strong>t wird. Hier setzt die Orientierungshilfe bei <strong>de</strong>n islamischen Reformbewegungen im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert an. An verschie<strong>de</strong>nen Stellen wird zwar betont, dass die meisten Muslime auch in<br />
Deutschland eine mo<strong>de</strong>rate Position einnehmen, doch die Darstellung insgesamt rä<strong>um</strong>t eher<br />
extremen Positionen einen weiten Ra<strong>um</strong> ein.<br />
Vieles davon – wie die weit verbreitete Verschwörungstheorie <strong>und</strong> die Rezeption antisemitischer Texte<br />
europäischer Provenienz, wie die Protokolle <strong>de</strong>r Weisen von Zion – ist eher im arabischen Kontext angesie<strong>de</strong>lt.<br />
Lei<strong>de</strong>r wird auch kein Zusammenhang zur kolonialen Erfahrung in <strong>de</strong>r Region hergestellt, vor <strong>de</strong>r<br />
die Entstehung <strong>de</strong>s arabische Nationalismus erst verständlich wird <strong>und</strong> die auch ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Impuls<br />
23
neben religiösen Begründungen für die Ablehnung <strong>Israel</strong>s war. <strong>Die</strong>ses Kapitel lei<strong>de</strong>t beson<strong>de</strong>rs unter <strong>de</strong>r<br />
sehr knappen Zusammenfassung, so dass bei vielen <strong>de</strong>r dargestellten Positionen <strong>de</strong>r historische, regionale<br />
<strong>und</strong> religiöse Kontext im Dunkeln bleibt. Gera<strong>de</strong> weil die islamische Diskussion manchen Lesern nicht so<br />
vertraut sein mag, wäre hier eine größere Sorgfalt angebracht gewesen.<br />
Das folgen<strong>de</strong> sechste Kapitel beschreibt das Spektr<strong>um</strong> christlicher Kirchen <strong>und</strong> die z<strong>um</strong> Teil bedrücken<strong>de</strong><br />
Lebenssituation beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r palästinensischen Christen <strong>und</strong> gibt einen statistischen<br />
Überblick über die Entwicklung <strong>de</strong>r Religionsgemeinschaften in <strong>Israel</strong> mit Schwerpunkt auf die<br />
christliche Kirchen.<br />
Das siebte Kapitel gibt schlaglichtartig einen Überblick über <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> in <strong>de</strong>r Theologiegeschichte<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Israel</strong>theologie im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Dabei wer<strong>de</strong>n die Ansätze einzelner<br />
Theologen mit ein bis zwei Sätzen charakterisiert; die Frage ist, ob in dieser Verkürzung nicht die<br />
Gefahr von Missverständnissen liegen kann. Auch die Position <strong>de</strong>r orientalischen Kirche <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
Römisch-katholischen Kirche wer<strong>de</strong>n kurz gestreift.<br />
Mehr Ra<strong>um</strong> nimmt dankenswerter Weise ein Unterkapitel über <strong>de</strong>n christlichen Zionismus ein,<br />
<strong>de</strong>m eine <strong>de</strong>utliche Absage erteilt wird.<br />
<strong>Die</strong> letzten bei<strong>de</strong>n Abschnitte (7.3 <strong>und</strong> 7.4.) setzen sich mit <strong>de</strong>r palästinensischen Befreiungstheologie<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>r palästinensischen Christen auseinan<strong>de</strong>r. Sie stellen die klaren Stellungnahmen<br />
sowohl <strong>de</strong>r EKD (Christen <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n I-III, 1975-2000) wie auch <strong>de</strong>r GEKE („Kirche <strong>und</strong><br />
<strong>Israel</strong>. Ein Beitrag <strong>de</strong>r reformatorischen Kirchen Europas z<strong>um</strong> Verhältnis von Christen <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n“<br />
2001) heraus, in <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong>r Universalisierung <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>verheißungen an <strong>Israel</strong> eine Absage erteilt<br />
wird.<br />
Statt<strong>de</strong>ssen wird die Erkenntnis von <strong>de</strong>r bleiben<strong>de</strong>n Erwählung <strong>Israel</strong>s betont, die im Rheinischen<br />
Synodalbeschluss von 1980 <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Leitsätzen <strong>de</strong>s Reformierten B<strong>und</strong>es von 1990 mit <strong>de</strong>r einschlägigen<br />
Formulierung vom „Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes“ ihren Höhepunkt fin<strong>de</strong>t. Es wird darauf<br />
hingewiesen, dass diese Positionen bis heute kontrovers diskutiert wer<strong>de</strong>n. Dem wer<strong>de</strong>n die Konsensformulierungen<br />
von EKD <strong>und</strong> GEKE gegenübergestellt. Hier ist davon die Re<strong>de</strong>, dass das Existenzrecht<br />
<strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> „völkerrechtlich un<strong>um</strong>stritten“ ist <strong>und</strong> somit „keiner theologischen<br />
Legitimation bedarf“. Gleichzeitig wird die Verpflichtung formuliert „für das Lebensrecht <strong>de</strong>s<br />
jüdischen Volkes in <strong>Land</strong>e <strong>de</strong>r Väter einzutreten“ (S. 49). Lei<strong>de</strong>r wird hier ein Missverständnis<br />
reproduziert, als sei mit <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> vom Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes eine theologische Legitimation<br />
<strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten intendiert. Dem ist entgegenzuhalten,<br />
dass es, wie oben bereits dargestellt, <strong>um</strong> eine Aussage <strong>de</strong>s Glaubens geht, die sich primär auf die<br />
Funktionen dieses <strong>Staat</strong>es in Hinblick auf das jüdische Volk bezieht.<br />
<strong>Die</strong> folgen<strong>de</strong>n Ausführungen in einem achten Kapitel z<strong>um</strong> evangelischen <strong>Staat</strong>sverständnis <strong>und</strong><br />
<strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> beginnen mit <strong>de</strong>m Neuen Testament <strong>und</strong> beschreiten einen Weg, <strong>de</strong>r über die lutherische<br />
Zwei-Reiche-Lehre <strong>und</strong> die 5. These <strong>de</strong>r Barmer Theologischen Erklärung zu <strong>de</strong>n Kriterien<br />
von Freiheit, Gerechtigkeit <strong>und</strong> Frie<strong>de</strong>n führt, die an die mo<strong>de</strong>rnen <strong>Staat</strong>sformen angelegt wer<strong>de</strong>n.<br />
An <strong>de</strong>r Erfüllung dieser Kriterien lässt sich aus evangelischer Sicht die Legitimität eines<br />
<strong>Staat</strong>es messen. Ziel dieser Ausführung ist es, <strong>de</strong>n <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> als einem säkularen <strong>de</strong>mokratischen<br />
<strong>Staat</strong> zu sehen, an <strong>de</strong>n ebenfalls diese Kriterien angelegt wer<strong>de</strong>n sollen. <strong>Die</strong>s steht jedoch<br />
nicht im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n Positionen, die dazu im Rheinland formuliert wer<strong>de</strong>n.<br />
Das letzte neunte Kapitel greift schließlich noch einmal mit <strong>de</strong>r Überschrift „<strong>Israel</strong> – Zeichen <strong>de</strong>r<br />
Treue Gottes?“ die rheinische Formulierung auf – <strong>und</strong> versieht sie mit einem Fragezeichen. Nach<br />
einem längeren Exkurs über die Frage, ob Orte „heilig“ sein können, <strong>de</strong>m weitgehend eine Absage<br />
erteilt wird, wird das <strong>Land</strong> <strong>Israel</strong> als ein Ort beschrieben, <strong>de</strong>r insofern von religiöser Be<strong>de</strong>utung<br />
ist, als sich dort die Geschichte <strong>de</strong>r Selbstmitteilung Gottes ereignete. <strong>Die</strong> „Heiligkeit“ <strong>de</strong>s<br />
<strong>Land</strong>es liegt nicht im <strong>Land</strong> selbst o<strong>de</strong>r in einer beson<strong>de</strong>ren Gottesgegenwart, „son<strong>de</strong>rn in seiner<br />
Deutung <strong>und</strong> seiner Be<strong>de</strong>utung für <strong>de</strong>n Glauben“ (S. 57).<br />
Der Schlussabschnitt greift die Re<strong>de</strong> vom Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes noch einmal auf. Einerseits<br />
wird geschlossen, dass die biblischen <strong>Land</strong>verheißungen aus <strong>de</strong>m agrarischen Kontext stammen<br />
<strong>und</strong> die Sicherstellung <strong>de</strong>r Lebensgr<strong>und</strong>lage be<strong>de</strong>uten. Sie sind Hoffnungsbil<strong>de</strong>r in Zeiten <strong>de</strong>s<br />
Exils. Im Zentr<strong>um</strong> <strong>de</strong>r <strong>Land</strong>verheißung steht also Gottes Versprechen, sein Volk zu bewahren.<br />
Biblische Aussagen können nicht als „göttlicher Fahrplan“ betrachtete wer<strong>de</strong>n.<br />
Schließlich wird doch noch in einem kurzen Passus (S. 59) die Re<strong>de</strong> vom „Zeichen <strong>de</strong>r Treue Gottes“<br />
aufgegriffen. Nach vielen Abgrenzungen wird formuliert: „Auch die Gründung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es<br />
24
kann als ein Mittel erscheinen, <strong>um</strong> unter <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>r unerlösten Welt <strong>und</strong> angesichts<br />
<strong>de</strong>r realen Konflikte im Nahen Osten Jüdinnen <strong>und</strong> Ju<strong>de</strong>n ein Leben in Recht <strong>und</strong> Frie<strong>de</strong>n zu<br />
ermöglichen. In diesem Sinn kann die Gründung <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> als ‚ein Zeichen <strong>de</strong>r Treue<br />
Gottes zu seinem Volk’ ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.“<br />
Was die Orientierungshilfe leisten kann – <strong>und</strong> was nicht<br />
Unzweifelhaft bietet die Orientierungshilfe eine Fülle an Informationen. Sie zeigt wie vielfältig<br />
die Zugangsweisen zu <strong>de</strong>r Fragestellung nach <strong>Land</strong> <strong>und</strong> <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> sind <strong>und</strong> liefert u.a. eine<br />
Fülle von historischen Informationen, die Interesse wecken <strong>und</strong> z<strong>um</strong> Weiterlesen anregen. <strong>Die</strong>s<br />
ist an vielen Stellen sicher auch nötig, <strong>de</strong>nn aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s begrenzten Umfangs konnte manches<br />
nur angerissen wer<strong>de</strong>n, was bei komplexen Sachverhalten leicht zu Missverständnissen führen<br />
kann.<br />
Geht es <strong>um</strong> theologische Gewichtungen, so ist das bei solchen Veröffentlichungen übliche Dilemma<br />
offensichtlich, dass z<strong>um</strong> Teil sehr gegensätzliche Positionen wenn nicht auf einen Nenner,<br />
so doch in eine angemessene Form gebracht wer<strong>de</strong>n müssen. Das führt dazu, dass vieles auf<br />
<strong>de</strong>r darstellen<strong>de</strong>n Ebene bleibt <strong>und</strong> nach einem Mittelweg gesucht wird, <strong>de</strong>r keinem weh tut<br />
aber auch keinen wirklich zufrie<strong>de</strong>nstellt. <strong>Die</strong>s bleibt an vielen Stellen unbefriedigend.<br />
So ist es auch nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass die Orientierungshilfe da aufhört, wo es eigentlich brisant<br />
wird: bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r aktuellen Politik <strong>und</strong> wie wir uns dazu verhalten sollen.<br />
5. Folgerungen<br />
1. Absage an je<strong>de</strong> <strong>und</strong>ifferenzierte <strong>Israel</strong>kritik<br />
Eine Position, wie sie sich in <strong>de</strong>n Beiträgen von Vollmer, Braverman <strong>und</strong> Müller fin<strong>de</strong>t, bedient<br />
altbekannte Klischees. <strong>Die</strong> Autoren gerieren sich als vermeintliche Tabubrecher. Ihre theologische,<br />
historische <strong>und</strong> politische Arg<strong>um</strong>entation ist leicht zu entkräften, ihrer For<strong>de</strong>rung nach<br />
Ein<strong>de</strong>utigkeit sollte mit Differenziertheit <strong>und</strong> Information begegnet wer<strong>de</strong>n. Wo Sachverhalte<br />
falsch o<strong>de</strong>r verkürzt dargestellt wer<strong>de</strong>n, muss <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>n begegnet wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>se Beiträge<br />
spiegeln jedoch auch wie<strong>de</strong>r, was Umfragen zeigen: Eine wachsen<strong>de</strong> Mehrheit in Deutschland,<br />
beson<strong>de</strong>rs unter <strong>de</strong>r jüngeren Generation, stimmt <strong>de</strong>r unterstützen<strong>de</strong>n Haltung <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik<br />
gegenüber <strong>de</strong>m <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> nicht mehr zu, ohne dass dies mit antisemitischen Einstellung<br />
einhergeht. 8 Es zeigt sich hier also ein Mangel an differenzierter, <strong>info</strong>rmieren<strong>de</strong>r <strong>und</strong> offener<br />
<strong>Debatte</strong>. <strong>Die</strong>se zu führen ist notwendig, <strong>um</strong> selbsternannten Tabubrechern <strong>de</strong>n arg<strong>um</strong>entativen<br />
Bo<strong>de</strong>n zu entziehen. Was letztere betrifft, so ist zu fragen, welches eigentliche Thema sich hinter<br />
diesen Diskursen verbirgt.<br />
2. Theologische Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
Eine wirkliche Anfrage an uns stellt das Wort <strong>de</strong>r palästinensischen Christen dar. Trotz theologischem<br />
<strong>und</strong> politischem Dissens an verschie<strong>de</strong>nen Stellen können <strong>und</strong> sollen wir uns einer Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
nicht entziehen. Es wird wenig Überzeugungskraft haben, wenn wir unsere theologische<br />
Position als die richtige <strong>de</strong>r ihren bloß entgegenhalten. Es geht <strong>um</strong> eine intensive theologische<br />
<strong>Debatte</strong>, in <strong>de</strong>r wir möglicherweise <strong>de</strong>utlicher aufzeigen müssen, was mit <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> von<br />
<strong>de</strong>r Treue Gottes gemeint ist <strong>und</strong> worauf sie sich grün<strong>de</strong>t – <strong>und</strong> was eben nicht gemeint ist. <strong>Die</strong><br />
Probleme einer Befreiungstheologie dieser Art können nur im Dialog <strong>und</strong> im theologischen Austausch<br />
bearbeitet wer<strong>de</strong>n. Hierfür müssen verstärkt Möglichkeiten geschaffen wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong>s kann<br />
<strong>um</strong>so glaubwürdiger geschehen, wenn wir unsererseits das dahinter stehen<strong>de</strong> Anliegen aufgreifen<br />
<strong>und</strong> uns ernsthaft mit <strong>de</strong>r bedrücken<strong>de</strong>n Wirklichkeit <strong>de</strong>r palästinensischen Bevölkerung<br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen.<br />
8 Eine ausführliche Darstellung einer wachsen<strong>de</strong>n israelkritischen Haltung insbeson<strong>de</strong>re im Zusammenhang mit israelischen<br />
Militäraktionen fin<strong>de</strong>t sich bei Asseburg/Busse, 2011c, S. 711. <strong>Die</strong>se kritische Haltung geht zahlenmäßig <strong>um</strong> ein<br />
Vielfaches über die weitgehend konstanten antisemitischen Einstellung von immerhin 15-20 % <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung<br />
hinaus, wie die Forschergruppe <strong>um</strong> Wilhelm Heitmeyer in <strong>de</strong>n jährlichen Untersuchungen „Deutsche Zustän<strong>de</strong>“<br />
(2005-2010) dok<strong>um</strong>entiert.<br />
25
Ein Blick in verschie<strong>de</strong>ne Veröffentlichungen von kirchlicher Seite zeigt, dass immer wie<strong>de</strong>r unmissverständlich<br />
gegen die israelische Politik <strong>de</strong>r Besatzung Stellung bezogen <strong>und</strong> das asymmetrische<br />
Machtverhältnis benannt wur<strong>de</strong>. Eine beson<strong>de</strong>rs klare Positionierung, kombiniert mit Vorschlägen<br />
einer praktischen Umsetzung, bietet <strong>de</strong>r „Diskussionsimpuls zur Lage in <strong>Israel</strong>/Palästina“<br />
<strong>de</strong>r EKiR. Es ist schwer nachzuvollziehen, war<strong>um</strong> darauf von <strong>de</strong>n Kritikern – insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r<br />
rheinischen Position – ka<strong>um</strong> Bezug genommen wird. Wird hier bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst eine<br />
differenzierte Haltung nicht wahrgenommen, o<strong>de</strong>r wirft dies eher Fragen nach unserer Kommunikationsfähigkeit<br />
auf?<br />
Es sollte geprüft wer<strong>de</strong>n, welche Wege <strong>de</strong>r Vermittlung verstärkt, welche institutionellen Verbindungen<br />
genutzt <strong>und</strong> welche Rahmenbedingungen für gemeinsame theologische Arbeit <strong>und</strong> Austausch<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n können.<br />
3. Politische Implikationen<br />
<strong>Die</strong> Politik <strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> seiner Repräsentanten kann nur mit <strong>de</strong>n gleichen Kriterien<br />
beurteilt wer<strong>de</strong>n wie die je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren <strong>Staat</strong>es. Hier kommen Fragen <strong>de</strong>s Völkerrechts <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
Menschenrechte in <strong>de</strong>n Blick. Wo diese durch die herrschen<strong>de</strong> Politik gebrochen o<strong>de</strong>r verletzt<br />
wer<strong>de</strong>n, gibt es keinen Gr<strong>und</strong>, dies zu beschönigen o<strong>de</strong>r zu entschuldigen.<br />
Eine Kritik am <strong>Staat</strong> <strong>Israel</strong> sollte allerdings folgen<strong>de</strong> Kriterien erfüllen:<br />
1. <strong>Israel</strong> muss mit <strong>de</strong>m gleichen Maß gemessen wer<strong>de</strong>n, wie an<strong>de</strong>re Völker <strong>und</strong> <strong>Staat</strong>en<br />
auch;<br />
2. Kritik an <strong>Israel</strong> darf keine Zweifel am gr<strong>und</strong>sätzlichen Existenzrecht <strong>Israel</strong>s aufkommen<br />
lassen;<br />
3. Kritik an <strong>Israel</strong> darf sich keiner antijüdischen Stereotypen bedienen;<br />
4. Kritik an <strong>Israel</strong> sollte je<strong>de</strong>n Vergleich mit Ereignissen <strong>de</strong>s Dritten Reichs unterlassen,<br />
weil dies einer Verharmlosung <strong>de</strong>s Holocaust gleichkommt (Meißner, 2011).<br />
Darüber hinaus ist es wichtig, <strong>Israel</strong> <strong>und</strong> seine Bevölkerung nicht mit <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Regierung<br />
gleichzusetzen. <strong>Die</strong> ethnische <strong>und</strong> kulturelle Vielfalt innerhalb <strong>de</strong>r israelischen Gesellschaft<br />
stellt einen großen Reicht<strong>um</strong> dar, gleichzeitig kann diese Vielfalt auch immer wie<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />
Rand einer Zerreißprobe <strong>und</strong> zu massiven Konflikten führen. <strong>Die</strong> Frage ist, welche innergesellschaftliche<br />
Dynamik in Gang kommt, wenn es wirklich zu einem Frie<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Palästinensern<br />
kommen sollte <strong>und</strong> äußere Bedrohung nicht mehr <strong>de</strong>n inneren Zusammenhalt erfor<strong>de</strong>rt. Hinzu<br />
kommt die zunehmend schwierige soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Situation, die bereits im Sommer<br />
letzten Jahres zu massiven Protesten führte. Unsere Solidarität mit <strong>Israel</strong> ist in erster Linie eine<br />
Solidarität mit <strong>de</strong>n Menschen, die dort leben, nicht mit je<strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r jeweiligen Regierungen.<br />
In <strong>de</strong>r gegenwärtigen Situation kann Solidarität mit <strong>Israel</strong> gera<strong>de</strong> nicht be<strong>de</strong>uten, die Politik <strong>de</strong>r<br />
gegenwärtigen israelischen Regierung zu rechtfertigen, da sie die Sicherheit <strong>de</strong>s <strong>Land</strong>es <strong>und</strong><br />
seiner Menschen eher gefähr<strong>de</strong>t als schützt. <strong>Die</strong> größte Sicherheit für <strong>Israel</strong> bietet ein friedliches<br />
Zusammenleben in <strong>de</strong>r Region. <strong>Die</strong> Bereitschaft dazu kann natürlich nicht nur von <strong>Israel</strong> eingefor<strong>de</strong>rt<br />
wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn muss auch auf Seiten <strong>de</strong>r Palästinenser <strong>und</strong> <strong>de</strong>r arabischen <strong>Staat</strong>en<br />
bestehen. Hier ist es wichtig, die Angst <strong>de</strong>r Menschen in <strong>Israel</strong> selbst ernst zu nehmen, die täglich<br />
nicht nur von feindlicher Rhetorik aus <strong>de</strong>n Nachbarstaaten, son<strong>de</strong>rn auch durch <strong>de</strong>n Raketenbeschuss<br />
aus <strong>de</strong>m Gaza-Streifen Nahrung erhält.<br />
Aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s asymmetrischen Machtverhältnisses liegt es trotz<strong>de</strong>m nahe, hier von <strong>Israel</strong> entsprechen<strong>de</strong><br />
Schritte zu erwarten. Es ist fraglich, ob das En<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r Gewalt eine Vorbedingung<br />
sein kann, o<strong>de</strong>r ob hierdurch nicht je<strong>de</strong> Weiterentwicklung zu einem friedlichen Zusammenleben<br />
auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben wird. Ein dauerhafter Frie<strong>de</strong> wird vermutlich<br />
nur im Laufe eines Prozesses erreicht wer<strong>de</strong>n, auch in <strong>de</strong>m Sinne, dass gewalttätiger Wi<strong>de</strong>rstand<br />
zunehmend an Legitimation <strong>und</strong> Zustimmung verliert.<br />
<strong>Die</strong> Umbrüche in <strong>de</strong>r arabischen Welt bringen erst einmal weitere Unsicherheiten <strong>und</strong> Risiken für<br />
<strong>Israel</strong> mit sich. Langfristig kann jedoch durch Entwicklung <strong>und</strong> eine Stärkung <strong>de</strong>r Zivilgesellschaft<br />
die Chance auf einen dauerhaften Frie<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Region wachsen. Doch dies wer<strong>de</strong>n die<br />
arabischen Län<strong>de</strong>r nicht alleine schaffen. Deshalb sollten wir uns gegenüber <strong>de</strong>n politisch Verantwortlichen<br />
für ein starkes Engagement Deutschlands <strong>und</strong> <strong>de</strong>r EU beim Aufbau tragfähiger<br />
26
politischer, wirtschaftlicher <strong>und</strong> sozialer Strukturen einsetzen. Vorschläge hierzu sind bereits<br />
erarbeitet wor<strong>de</strong>n. 9<br />
4. Frie<strong>de</strong>nsethische Erwägungen<br />
Eine frie<strong>de</strong>nsethische Fragestellung verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Kriegsgefahr zwischen<br />
<strong>Israel</strong>, <strong>de</strong>n USA <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Iran.<br />
Selbst wenn man die völkerrechtlichen Probleme solch eines Präventivangriffs, die an sich schon<br />
schwerwiegend genug sind, außen vor lässt, stellen die nicht abzuwägen<strong>de</strong>n Folgen eines Angriffs<br />
auf <strong>de</strong>n Iran ein großes Risiko dar. <strong>Die</strong> Befürworter eines Angriffs können auch im Sinne<br />
einer strategischen Rationalität, d.h. einer Ausschaltung <strong>de</strong>r potentiellen atomaren Bedrohung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Staat</strong>es <strong>Israel</strong>, nicht überzeugen.<br />
In <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>ns<strong>de</strong>nkschrift <strong>de</strong>r EKD wer<strong>de</strong>n klare Positionen formuliert, die einen Militäreinsatz<br />
zur Ultima Ratio erklären. Nicht nur, dass die darin formulierten Kriterien bei einem Angriff auf<br />
<strong>de</strong>n Iran nicht gegeben sind. Ein schwerwiegen<strong>de</strong>s Arg<strong>um</strong>ent stellt auch die nicht nur in Kauf<br />
genommene, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>s Angriffs intendierte Tötung von Menschen dar, die mit<br />
<strong>de</strong>m Nuklearprogramm <strong>de</strong>s Iran beruflich zu tun haben.<br />
Letztlich ist bisher nicht abschließend zu beurteilen, inwieweit die Sanktionen <strong>und</strong> Wege <strong>de</strong>r<br />
Diplomatie doch Wirkung zeigen. Darüber hinaus sind vertrauensbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Maßnahmen flankierend<br />
in Betracht zu ziehen, <strong>um</strong> Wege einer zivilen Konfliktlösung beschreiten zu können.<br />
Auch wenn die Möglichkeiten einer Einflussnahme von Seiten <strong>de</strong>r Kirchen beschränkt sind, so<br />
sind kleinen Schritte <strong>de</strong>nnoch möglich. So fan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n Jahren in unterschiedlichen<br />
Kontexten immer wie<strong>de</strong>r Begegnungen mit Theologen aus <strong>de</strong>m Iran statt. <strong>Die</strong>se Gespräche<br />
sollten ausgebaut wer<strong>de</strong>n. Auch gilt es, einen differenzierten Blick auf die komplexe iranische<br />
Gesellschaft zu stärken, wozu auch eine bewusste Wahrnehmung von Reformkräften <strong>und</strong> Akteuren<br />
<strong>de</strong>r iranischen Zivilgesellschaft gehört.<br />
Literatur<br />
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9 So for<strong>de</strong>rt Muriel Asseburg eine Überprüfung aller bestehen<strong>de</strong>n Projekte <strong>und</strong> Kooperationen <strong>und</strong> einen „Pakt für<br />
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27
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