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Eine umfassende Einsicht in Erziehung_ein familylab.de - Artikel

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<strong>E<strong>in</strong>e</strong> <strong>umfassen<strong>de</strong></strong> <strong>E<strong>in</strong>sicht</strong> <strong>in</strong> <strong>Erziehung</strong>_e<strong>in</strong> <strong>familylab</strong>.<strong>de</strong> - <strong>Artikel</strong><br />

A comprehensive un<strong>de</strong>rstandig of education and socialization<br />

Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt von Christ<strong>in</strong>e Ordnung<br />

<strong>E<strong>in</strong>e</strong> <strong>umfassen<strong>de</strong></strong> <strong>E<strong>in</strong>sicht</strong> <strong>in</strong> <strong>Erziehung</strong> und Sozialisation<br />

Von Jesper Juul<br />

Jesper Juul (1948), Lehrer, Familientherapeut, Autor und von 1979 bis<br />

2004 kl<strong>in</strong>ischer Direktor <strong>de</strong>s Kempler-Instituts von Skand<strong>in</strong>avien, Zentrum<br />

für Familien und Weiterbildung <strong>in</strong> Dänemark. Jesper Juul schrieb mehrere<br />

Bücher für Eltern und professionelle Erzieher. Er ist e<strong>in</strong> anerkannter<br />

Sprecher und Supervisor <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Bereichen Familientherapie, Beratung und<br />

Pädagogik. 2002 veröffentlichten er und se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong> Helle Jensen<br />

Phd. ihr Buch „Vom Gehorsam zur Verantwortung“. Es ist <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong><br />

verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong> Klassiker <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ausbildung von Erziehern und<br />

Lehrern. Seit 2004 ist Jesper Juul <strong>in</strong>ternationaler Direktor von Family-lab<br />

International SA – e<strong>in</strong>e private Organisation, die Elternbildung <strong>in</strong>s<br />

Zentrum stellt.<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

1993 schrieb ich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Büchle<strong>in</strong> mit <strong>de</strong>m Titel: „E<strong>in</strong> Apfel für <strong>de</strong>n<br />

Lehrer – die nicht gesehene Dimension <strong>in</strong> öffentlichen Schulen“. Ich hob<br />

zwei Faktoren hervor, die nach me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung zu beleuchten waren. Der<br />

erste war die Isolation von Lehrern – die meisten von ihnen arbeiten<br />

alle<strong>in</strong>. Der 2. Faktor betraf die Kultur <strong>in</strong> öffentlichen Schulen, die ihren<br />

menschlichen und professionellen Bedürfnissen nur wenig o<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>e<br />

Aufmerksamkeit widmete. Es fehlte <strong>de</strong>r Fokus auf <strong>de</strong>n<br />

zwischenmenschlichen pädagogischen Prozess als Quelle für Energie,<br />

Inspiration und besserem Lernen. Dies war e<strong>in</strong> Versuch, das Schulsystem<br />

dah<strong>in</strong> zu bewegen e<strong>in</strong> gesün<strong>de</strong>res Gleichgewicht zwischen Inhalt und<br />

Prozess anzustreben. Es war die Zeit, als viele Schulen und e<strong>in</strong>zelne<br />

Lehrer über das Verhalten <strong>de</strong>r Schüler klagten. Zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt<br />

begannen Schulen zu erkennen, dass die E<strong>in</strong>führung <strong>de</strong>mokratischer<br />

Werte nicht ausreichte, um e<strong>in</strong> Lernumfeld zu schaffen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m bei<strong>de</strong> -<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r wie Lehrer - ge<strong>de</strong>ihen.<br />

<strong>E<strong>in</strong>e</strong> ähnliche Verwirrung charakterisierte viele Familien, die neue Wege<br />

suchten, ihre K<strong>in</strong><strong>de</strong>r gewaltfrei zu erziehen. Die nordischen Län<strong>de</strong>r<br />

än<strong>de</strong>rten ihr Schulgesetz. Sie fügten Paragraphen e<strong>in</strong>, die festlegten, dass<br />

Schulen auch für die „persönliche und soziale Entwicklung <strong>de</strong>r K<strong>in</strong><strong>de</strong>r“<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d. Die Verordnung dieser Verantwortung been<strong>de</strong>te e<strong>in</strong>e<br />

über zwei Generationen dauern<strong>de</strong> Debatte <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s Schulsystems:<br />

Sollen Lehrer auch zu <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>en <strong>Erziehung</strong> von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn<br />

beitragen o<strong>de</strong>r sollen sie sich aufs Unterrichten beschränken<br />

(„Bildung o<strong>de</strong>r <strong>Erziehung</strong>“)?<br />

Natürlich hat es diese Diskussion schon immer zu allen Zeiten <strong>in</strong> allen<br />

Schulen gegeben. Jetzt aber fand die Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung auf offizieller<br />

Ebene statt. Sie wies auf e<strong>in</strong>e professionelle Aufgabe h<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Lehrerausbildung ke<strong>in</strong>e substantiell wirksame Beachtung fand. Überdies<br />

än<strong>de</strong>rten sich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die Zusammenarbeit zwischen<br />

Lehrern und Eltern ganz erheblich, es wur<strong>de</strong> notwendig geme<strong>in</strong>same<br />

Grundlagen im H<strong>in</strong>blick auf Werte und Zielvorstellung zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

1995 schrieb ich e<strong>in</strong> Buch für Erwachsene, die mit K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn zu tun haben:<br />

„Das kompetente K<strong>in</strong>d“. Das Buch wur<strong>de</strong> zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen<br />

Bestseller. Sehr bald tauchte es als Lehrbuch verschie<strong>de</strong>ner pädagogischer<br />

Ausbildungen auf, obwohl es weit davon entfernt war <strong>de</strong>n<br />

wissenschaftlichen Ansprüchen und Anfor<strong>de</strong>rungen solcher Bücher zu<br />

genügen. Das brachte uns dazu, „Vom Gehorsam zur Verantwortung“ zu<br />

1


schreiben. Wir hofften, das Buch kann <strong>de</strong>n Dialog mit Lehrern stärken und<br />

die sehr notwendige Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Perspektive und <strong>de</strong>r Haltung<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s (öffentlichen) Schulsystems und auch <strong>in</strong> vielen privaten und<br />

alternativen Schulen anregen.<br />

Vorgeschichte<br />

Seit 1980 waren wir als Supervisoren und Berater <strong>in</strong> zahlreichen sehr<br />

unterschiedlichen Schulen und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rgärten tätig.<br />

• Wir wur<strong>de</strong>n <strong>in</strong> die Schulen gerufen, wenn sie „schwierige“ o<strong>de</strong>r<br />

„unmögliche“ Klassen hatten.<br />

• Wir nahmen an Gesprächen zwischen Eltern und Lehrern teil,<br />

wenn die Verständigung nicht gelang.<br />

• Wir halfen Lehrern, Teams zu bil<strong>de</strong>n, die sie <strong>in</strong>spirieren und<br />

unterstützen.<br />

• Wir berieten und befähigten die Kollegen und Mitarbeiter bei<br />

Krisen mit <strong>de</strong>r Leitung und <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zusammenarbeit <strong>de</strong>r<br />

Erwachsenen.<br />

• Wir ermutigten die Schulpsychologen und leiteten sie an, direkter<br />

mit Lehrern und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn zu arbeiten.<br />

• Wir halfen <strong>de</strong>n Psychologen, ihren Fokus weg vom e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d<br />

h<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>e familiäre Betrachtungsweise zu richten.<br />

Aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r Familientherapie kommend begrün<strong>de</strong>ten sich unsere<br />

Interventionen und Blickrichtungen auf systemische Theorien, allerd<strong>in</strong>gs<br />

s<strong>in</strong>d unsere Wege mehr Erlebnis aktivierend.<br />

In <strong>de</strong>n 90er Jahren eskalierte vor allem <strong>in</strong> öffentlichen Schulen die „Krise<br />

<strong>de</strong>r Diszipl<strong>in</strong>“. In <strong>de</strong>r Zeit hatten wir die Möglichkeit mit vielen e<strong>in</strong>zelnen<br />

Lehrern zu arbeiten. Diese Lehrer waren ausgebrannt (Burn-Out) o<strong>de</strong>r<br />

erlebten Zusammenbrüche (Break-down). Es kam auch e<strong>in</strong>e wachsen<strong>de</strong><br />

Zahl junger Lehrer zu uns, die bereits nach 1 o<strong>de</strong>r 2 Jahren Berufsalltag<br />

dazu neigten, aufzugeben. Die meisten dieser Lehrer erholten sich und<br />

kehrten <strong>in</strong>s Klassenzimmer zurück. Sie hatten <strong>E<strong>in</strong>sicht</strong>en und Fähigkeiten<br />

gewonnen, die sie vorher nicht gekannt hatten o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> ihrem Beruf für<br />

nicht von Be<strong>de</strong>utung erachteten.<br />

In diesen Jahren stellte sich für uns heraus, dass die Qualität <strong>de</strong>s<br />

Unterrichtens fast nie die Ursache <strong>de</strong>r Probleme war. E<strong>in</strong>zelne Lehrer und<br />

Schulen hatten sehr unterschiedliche pädagogische Herangehensweisen.<br />

Es gab e<strong>in</strong>e generelle Offenheit und <strong>de</strong>n Willen, sich auf <strong>de</strong>n neuesten<br />

Stand zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Wir erkannten außer<strong>de</strong>m, dass die „Krise“ weit davon entfernt war, e<strong>in</strong>e<br />

„Krise <strong>de</strong>r Diszipl<strong>in</strong>“ zu se<strong>in</strong>, die von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn mit krankhaft schlechten<br />

Manieren und <strong>de</strong>ren faulen Eltern verursacht wor<strong>de</strong>n war. Falls es<br />

überhaupt e<strong>in</strong>e Krise gab, dann han<strong>de</strong>lte es sich um e<strong>in</strong>e „soziale Krise“<br />

<strong>in</strong>nerhalb je<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Schule. Zur Bewältigung dieser Krise brauchte<br />

die Schulleitung und das Kollegium Hilfe, um sich neue <strong>E<strong>in</strong>sicht</strong>en und<br />

Blickrichtungen anzueignen und um neue Fähigkeiten im<br />

zwischenmenschlichen Verhalten zu lernen.<br />

E<strong>in</strong> neues Paradigma<br />

Für Lehrer wie für K<strong>in</strong><strong>de</strong>r stützen sich Leben und Arbeit <strong>in</strong> Schulen auf<br />

moralische Werte und psychologisches Wissen, die nicht nur altmodisch,<br />

son<strong>de</strong>rn auch beschränkt und häufig überholt waren. K<strong>in</strong><strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n<br />

gleichermaßen wie Lehrer auf ihre Rollen als Schüler bzw. Lehrer reduziert<br />

betrachtet. Die Autorität, die <strong>de</strong>r Lehrer nur durch se<strong>in</strong>e Funktion <strong>in</strong>ne<br />

hatte und die ihn über Generationen unterstützte, war jedoch so gut wie<br />

verschwun<strong>de</strong>n. Sie musste durch e<strong>in</strong>e viel persönlichere Autorität ersetzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ebenso durften K<strong>in</strong><strong>de</strong>r nicht mehr nur <strong>in</strong> ihrer begrenzten Rolle<br />

2


<strong>de</strong>s Schülers gesehen wer<strong>de</strong>n. Sie mussten <strong>in</strong> ihrer gesamten Existenz<br />

wahr- und ernst genommen wer<strong>de</strong>n.<br />

In Schulen wie <strong>in</strong> Familien suchten die Erwachsenen verzweifelt nach<br />

Lösungen. Doch sehr oft blieben sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er beschränkten und überholten<br />

<strong>in</strong>tellektuellen Polarisierung stecken: „Strenge Regeln und Konsequenzen“<br />

das e<strong>in</strong>e und „Freie <strong>Erziehung</strong>“ das an<strong>de</strong>re Extrem.<br />

An dieser Stelle griff unsere 40jährige Forschung und praktische Erfahrung<br />

mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir zeigten die Chance, e<strong>in</strong>en<br />

„dritten Weg“ zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

Diese Erfahrung aus <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Psychotherapie galt es nun <strong>in</strong> die<br />

pädagogische Wirklichkeit wie Unterricht und Sozialisation <strong>in</strong><br />

pädagogischen E<strong>in</strong>richtungen zu übertragen. Die professionelle und<br />

pädagogische I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Lehrers musste auf <strong>de</strong>n neuesten Stand<br />

gebracht und gestärkt wer<strong>de</strong>n. Lehrer sollten jedoch we<strong>de</strong>r zu<br />

Amateurpsychologen, noch zu Amateurpsychotherapeuten gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Mit an<strong>de</strong>ren Worten:<br />

Wir müssen uns gut um die Lehrer kümmern, bevor wir von ihnen<br />

erwarten können, dass sie sich besser um die K<strong>in</strong><strong>de</strong>r kümmern.<br />

(<strong>E<strong>in</strong>e</strong> von vielen wertvollen Lehren aus <strong>de</strong>r Familientherapie.)<br />

Gleichwürdigkeit<br />

Das erste Schlüsselwort ist „Gleichwürdigkeit“, nicht zu verwechseln mit<br />

Gleichheit. Gleichwürdigkeit als neuer Maßstab für zwischenmenschliche<br />

Beziehungen zwischen Erwachsenen und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn zieht ihre Be<strong>de</strong>utung,<br />

ihre Kraft und ihr Potential aus zwei Quellen. Die e<strong>in</strong>e ist die kl<strong>in</strong>ische<br />

Erfahrung aus <strong>de</strong>r Arbeit mit gestörten Beziehungen zwischen Eltern und<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn. Die an<strong>de</strong>re Quelle ist die wissenschaftliche Forschung <strong>de</strong>r frühen<br />

B<strong>in</strong>dung zwischen Eltern und Säugl<strong>in</strong>gen. Für diese Arbeit stehen<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Namen wie Daniel N. Stern, Peter Fornagy und an<strong>de</strong>re. <strong>E<strong>in</strong>e</strong><br />

ihrer Schlussfolgerungen ist, dass die gesün<strong>de</strong>ste Beziehung und auch<br />

das optimale Ge<strong>de</strong>ihen von Eltern und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn sich dann e<strong>in</strong>stellt, wenn<br />

die Beziehung e<strong>in</strong>e „Subjekt-Subjekt-Beziehung“ und ke<strong>in</strong>e „Subjekt-<br />

Objekt-Beziehung“ ist , <strong>in</strong> <strong>de</strong>r das K<strong>in</strong>d das Objekt ist. Diese Forschung<br />

begrün<strong>de</strong>te <strong>in</strong> sich selbst e<strong>in</strong> neues Paradigma, das die meisten bisherigen<br />

„Wahrheiten“ <strong>de</strong>r Entwicklungspsychologie auf <strong>de</strong>n Kopf stellt.<br />

Was ich „Gleichwürdigkeit“ nenne ist das, was e<strong>in</strong>e „Subjekt-Subjekt-<br />

Beziehung“ von Natur aus kennzeichnet – e<strong>in</strong>e Beziehung, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r die<br />

Gedanken, die Reaktionen, die Gefühle, das Selbstbild, die Träume und<br />

die <strong>in</strong>nere Realität <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s genauso ernst genommen wer<strong>de</strong>n, wie die<br />

<strong>de</strong>r Erwachsenen und vom Erwachsenen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beziehung berücksichtigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Auf diesem Weg wird das K<strong>in</strong>d unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>s<br />

Erwachsenen zum Mit-Gestalter se<strong>in</strong>er eigenen Welt. Das ist ke<strong>in</strong><br />

politisches Recht, aber es ist <strong>de</strong>r Auftrag, die persönliche Integrität <strong>de</strong>s<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>s sowie die <strong>de</strong>s Erwachsenen zu schützen.<br />

Wir leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit <strong>de</strong>s Übergangs. Die Herausfor<strong>de</strong>rung liegt dar<strong>in</strong>,<br />

Lehrern, diese neue <strong>E<strong>in</strong>sicht</strong> und Perspektive nahe zu br<strong>in</strong>gen, auch wenn<br />

sie selbst <strong>in</strong> ihr <strong>Erziehung</strong> und Ausbildung von Eltern und Lehrern als<br />

Objekt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Beziehung behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n waren. Auch wenn sie als<br />

Heranwachsen<strong>de</strong> mit Erwachsenen zu tun hatten, die Macht ausübten<br />

anstatt fürsorglich zu se<strong>in</strong>. Viele Schulen und Lehrer – sowie viele Eltern –<br />

brauchten daher erst <strong>de</strong>n Umweg über Verhaltenskontrolle und an<strong>de</strong>re<br />

mo<strong>de</strong>rnisierte Metho<strong>de</strong>n, die die Macht <strong>de</strong>r Erwachsenen exerzierten und<br />

die existenzielle Wirklichkeit von bei<strong>de</strong>n - Erwachsenen und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn -<br />

missachteten. Selbst wenn diese Metho<strong>de</strong>n kurzfristig „funktionieren“,<br />

erkennen sie oft, dass <strong>de</strong>r Preis, <strong>de</strong>n sie dafür zu bezahlen hatten, sehr<br />

hoch ist.<br />

Der Weg zur Gleichwürdigkeit ist schwierig - emotional wie <strong>in</strong>tellektuell. Es<br />

ist e<strong>in</strong>fach schwer aufzuhören, im „Erwachsenen gegen K<strong>in</strong>d“ Modus zu<br />

3


<strong>de</strong>nken. Es ist schwer, e<strong>in</strong>e Haltung anzunehmen, die bei<strong>de</strong>n Seiten gleich<br />

dient und nicht die Bedürfnisse <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>en über die <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren stellt. Der<br />

Fokus muss darauf gerichtet wer<strong>de</strong>n, was zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n abläuft<br />

(Prozess). Das ist für Lehrer e<strong>in</strong> komplett neues Terra<strong>in</strong>. Sie wur<strong>de</strong>n<br />

ausgebil<strong>de</strong>t, ihr Augenmerk auf <strong>de</strong>n Inhalt und die Präsentation zu richten.<br />

Darum treffen wir e<strong>in</strong>e Menge Lehrer, die sehr großes Geschick im<br />

traditionellen Unterrichten besitzen. Sie haben aber nicht genug<br />

zwischenmenschliche Fähigkeiten. Es fehlt ihnen das Können,<br />

<strong>de</strong>struktivem Verhalten konstruktiv zu begegnen.<br />

Verantwortung<br />

Das zweite Schlüsselwort ist Verantwortung, genauer gesagt persönliche<br />

Verantwortung – die Verantwortung, die zu übernehmen wir alle <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Lage s<strong>in</strong>d, Verantwortung für unser eigenes Verhalten, unsere Gefühle,<br />

unsere Reaktionen, unsere Werte usw. Und für <strong>de</strong>n Erwachsenen kommt<br />

noch h<strong>in</strong>zu, dass er es ist, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r Beziehung/Begegnung zwischen<br />

e<strong>in</strong>em Erwachsenen und e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r Verantwortliche für die Qualität<br />

ihrer Beziehung ist. K<strong>in</strong><strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d schlicht nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, die<br />

Verantwortung zu übernehmen. Und da, wo sie dazu gezwungen s<strong>in</strong>d, weil<br />

<strong>de</strong>r Erwachsene es nicht will o<strong>de</strong>r kann, lei<strong>de</strong>n die K<strong>in</strong><strong>de</strong>r (und die<br />

Beziehung). Das ist so, egal ob wir über die Familien o<strong>de</strong>r das<br />

Klassenzimmer sprechen. Es ist unerlässlich, dass Erwachsene diese<br />

Zusammenhänge verstehen. Diese Verantwortung kann mit K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn we<strong>de</strong>r<br />

geteilt noch an sie <strong>de</strong>legiert wer<strong>de</strong>n. Sie bleibt alle<strong>in</strong>ig beim erwachsenen<br />

Elternteil o<strong>de</strong>r Lehrer.<br />

Diese psychologischen Fakten wi<strong>de</strong>rsprechen <strong>de</strong>m seit Generationen<br />

üblichen Selbstverständnis <strong>de</strong>r Erwachsenen, ihre Realität nach „zweierlei<br />

Maß“ zu messen. Will sagen: „wenn me<strong>in</strong>e Beziehung zu e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d gut<br />

verläuft, dann ist es me<strong>in</strong> Verdienst (o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erfolg me<strong>in</strong>er Metho<strong>de</strong>).<br />

Wenn die Beziehung zu e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d (o<strong>de</strong>r zu e<strong>in</strong>er Schulklasse) schwierig<br />

ist, dann ist es das Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s (bzw. <strong>de</strong>r Klasse).<br />

Von <strong>de</strong>n vielen Phänomenen, die das schulische Leben negativ<br />

bee<strong>in</strong>flussen, ist dieses wahrsche<strong>in</strong>lich das am meisten zerstören<strong>de</strong>.<br />

Vor weniger als e<strong>in</strong>er Generation waren sich alle Erwachsenen über dieses<br />

„zweierlei Maß“ e<strong>in</strong>ig. K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, die sich nicht fügten, wur<strong>de</strong>n entwe<strong>de</strong>r<br />

ausgeschlossen o<strong>de</strong>r bestraft. Konsequenterweise entwickelten die<br />

meisten K<strong>in</strong><strong>de</strong>r Angst vor <strong>de</strong>n Lehrern (im Rückblick wur<strong>de</strong> diese Angst oft<br />

mit Respekt verwechselt). Die heutigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>r haben im K<strong>in</strong><strong>de</strong>rgarten<br />

nicht mehr auf dieselbe Weise gelernt, <strong>de</strong>n Erwachsenen zu fürchten. Sie<br />

verlangen Respekt vom Lehrer, bevor sie ihn „zurück“ respektieren<br />

können und wollen.<br />

Die For<strong>de</strong>rung nach persönlichem Respekt geht <strong>in</strong> bei<strong>de</strong> Richtungen.<br />

Damit K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gesun<strong>de</strong>n Weise aufwachsen können, brauchen sie<br />

die Erfahrung beständiger Fürsorge für die Wahrung ihrer persönlichen<br />

Integrität (Bedürfnisse und Grenzen). Sie müssen e<strong>in</strong>e gesun<strong>de</strong><br />

Selbstachtung und e<strong>in</strong>en starken S<strong>in</strong>n für persönliche Verantwortung<br />

entwickeln. Das Verhalten von Erwachsenen, welches diese Entwicklung<br />

ermöglicht, unterschei<strong>de</strong>t sich fast <strong>in</strong> je<strong>de</strong>r H<strong>in</strong>sicht von <strong>de</strong>m Verhalten,<br />

das auf Gehorsam pocht.<br />

Was ich bisher ausgeführt habe, ist nicht nur an<strong>de</strong>rs als bisheriges<br />

Denken, es ist vielmehr komplett neu. Es gibt nichts Geeignetes, aus <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit, auf das wir zurückgreifen könnten. Eltern s<strong>in</strong>d gezwungen,<br />

neue Wege zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, um ihre (sehr nötige) Führungsaufgabe als<br />

Erwachsene wahrzunehmen. Genauso müssen Lehrer neue Formen <strong>de</strong>r<br />

professionellen Führung im Klassenzimmer und im e<strong>in</strong>s-zu-e<strong>in</strong>s Kontakt<br />

mit e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn entwickeln. Viele Schulen und Lehrer haben diesen<br />

Prozess bereits begonnen und genießen die Ergebnisse.<br />

4


Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt von Christ<strong>in</strong>e Ordnung.<br />

Jepser Juul & Helle Jensen, „Vom Gehorsam zur Verantwortung“<br />

©Jesper Juul, www.<strong>familylab</strong>.<strong>de</strong><br />

f a m i l y l a b.<strong>de</strong><br />

die familienwerkstatt<br />

Mathias Voelchert GmbH<br />

Amalienstrasse 71<br />

D-80799 München<br />

T 089 - 219 499 71<br />

F 089 - 22 807 200<br />

<strong>in</strong>fo@<strong>familylab</strong>.<strong>de</strong><br />

www.<strong>familylab</strong>.<strong>de</strong><br />

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