HANAU - frohberg media gmbh
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100. INTERNAT. FRAUENTAG<br />
Keine Quote zum 100. Internationalen Frauentag<br />
DER WEIBLICHE KAMPF UM GLEICHBERECHTIGUNG<br />
Am 8. März feiern die Frauen dieser Welt den 100. Internationalen Frauentag.<br />
Auch für das meinJournal ein Grund, diesen Tag als wichtigen Meilenstein auf<br />
dem Weg zur Gleichberechtigung in den Blick zu nehmen.<br />
In den USA feierten Fabrikarbeiterinnen schon<br />
1909 einen nationalen Frauentag. Sie verdienten<br />
für die gleiche Arbeit nur einen Bruchteil des<br />
Lohns der Männer und streikten immer vehementer<br />
für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.<br />
So ist die Frauenbewegung stark mit der voranschreitenden<br />
Industrialisierung verwoben – auch<br />
in Europa. Dort sind es vor allem die Frauen<br />
aus der sozialdemokratischen Bewegung, die um<br />
die Jahrhundertwende die Gleichberechtigung<br />
des „schwachen“ Geschlechts vorantreiben. Eine<br />
Schlüsselrolle etwa spielt die Sozialistin Clara<br />
Zetkin. Sie ist es auch, die auf der II. Internationalen<br />
Sozialistischen Frauenkonferenz, an der<br />
mehr als 100 Delegierte aus 17 Ländern teilnehmen,<br />
einen jährlichen Internationalen Frauentag<br />
fordert.<br />
Der erste seiner Art fi ndet am 19. März 1911 in<br />
Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz<br />
und den USA statt. Mehr als eine Million<br />
Frauen gehen auf die Straßen. Ihre Forderung:<br />
das aktive und passive Wahlrecht für Frauen.<br />
Als dieses 1918 durch die provisorische Reichsregierung<br />
in Deutschland verkündet wird, scheint<br />
der Frauentag dort seine Legitimation zu verlieren.<br />
Aber es blieb noch eine Menge zu tun.<br />
1921 wurde der Internationale Frauentag auf den<br />
8. März verlegt – zu Ehren der Rolle der Frauen<br />
in der russischen Februarrevolution von 1917.<br />
Und der Kampf gegen Ungerechtigkeit und<br />
Diskriminierung ging weiter. Einen zweiten<br />
Höhepunkt erreichte die Frauenbewegung in<br />
den 1970er und 80er Jahre. In Deutschland war<br />
zwar nach dem Zweiten Weltkrieg – das Nazi-<br />
Regime war auch in Sachen Geschlechterrollen<br />
ein großer Rückschritt – die Gleichberechtigung<br />
von Mann und Frau im<br />
Grundgesetz verankert worden,<br />
doch sah der Alltag der 50er<br />
und 60er Jahre anders aus. Das<br />
Die Frauenbewegung<br />
der siebziger und achtziger<br />
Jahre hat Deutschland nachhaltig<br />
verändert, stärker als jede andere<br />
soziale Bewegung. In diesem<br />
Buch kommen Aktivistinnen und<br />
Zeitzeuginnen zu Wort, die in<br />
Hanau und im Main-Kinzig-Kreis<br />
für Frauenrechte kämpften.<br />
Das Beispiel der Frauenbewegung<br />
in Hanau zeigt, dass die Gleich-<br />
12 www.mein-Journal.de<br />
Das Private ist politisch!<br />
Die Frauenbewegung in Hanau<br />
berechtigung nicht automatisch<br />
Teil unserer Kultur ist, sondern<br />
dass sie erstritten wurde von<br />
Frauen, die sich und ihre Schwestern<br />
aus der ihnen zugedachten<br />
Rolle befreien wollten.<br />
Die Frauenbewegung hat sich in<br />
alle gesellschaftlichen Bereiche<br />
eingemischt und sie weitreichend<br />
beeinfl usst: die Bildung, die Kultur,<br />
die Arbeitswelt, das Gesundheitswesen<br />
und die Sexualität.<br />
Ehe- und Familienrecht machte den Mann zum<br />
Alleinherrscher über die Familie.<br />
Frauenbewegung und außerparlamentarische<br />
Opposition gingen in Deutschland damals Hand<br />
in Hand Sie unterstützten sich wechselseitig im<br />
Kampf gegen den „Muff “ der 50er und 60er Jahre<br />
und für die Demokratisierung und Liberalisierung<br />
der Gesellscha . Einen Gipfel erreichte die Zweite<br />
Frauenbewegung in den Protesten gegen das Abtreibungsgesetz,<br />
Paragraf 218. Unter dem Motto<br />
„Mein Bauch gehört mir“ demonstrierten die<br />
Frauen für ihr Selbstbestimmungsrecht.<br />
Anlässlich des 100. Internationalen Frauentages<br />
gibt das Frauenbüro der Stadt Hanau ein Buch<br />
heraus, das diese bewegte Zeit der Emanzipation<br />
im lokalen Kontext fokussiert und an deren<br />
Errungenscha erinnert: Im Sammelband „Das<br />
Private ist politisch! Die Frauenbewegung nach<br />
1968 in Hanau Stadt und Land“ sowie in einer<br />
gleichnamigen Ausstellung (vom 8. bis 23. März<br />
im Neustädter Rathaus) kommen Aktivistinnen<br />
und Zeitzeuginnen zu Wort, die damals in<br />
Hanau und im Main-Kinzig-Kreis für Frauenrechte<br />
kämp en. „Wir möchten jungen Frauen<br />
und Mädchen die Möglichkeit zur Identifi kation<br />
geben und deutlich machen, dass Frauenrechte<br />
Menschenrechte sind, die verteidigt und, wo sie<br />
noch nicht umgesetzt sind, erkämp werden<br />
müssen“, so die Frauenbeau ragte der Stadt<br />
Hanau, Imke Meyer.<br />
„Was noch zu erledigen wäre“ heißt entsprechend<br />
das letzte Kapitel des Buches mit einem Blick<br />
in die Zukun . Immerhin verdienen Frauen<br />
in Deutschland immer noch bis zu 23 Prozent<br />
weniger als ihre männlichen Kollegen. Bei der<br />
Förderung von Frauen in Spitzenpositionen – bei<br />
den 200 größten deutschen Unternehmen sind es<br />
nur 3 bis 4 Prozent – durch die Einführung einer<br />
Quote, die die Günstlingswirtscha männlicher<br />
Eliten durchbrechen könnte, hat die Politik erst<br />
kürzlich wieder einen Rückzieher gemacht.<br />
Das Private wurde politisch und<br />
damit überdeutlich, dass die Rollenzuweisungen<br />
nicht die Entscheidung<br />
der Frauen (und Männer),<br />
auch keine Frage der Schöpfung,<br />
sondern gesellschaftspolitisch<br />
bedingt waren.<br />
Cocon-Verlag, ISBN 978-3863142-<br />
03-2, Broschur, 80 Seiten, mit Texten<br />
von Aktivistinnen und Zeitzeuginnen,<br />
Schwarzweißfotos und Dorle Obländers<br />
„Frauenporträts“ 10,- Euro<br />
Drei Fragen an<br />
Angelika<br />
Foltin-Alig<br />
Frauenbeauftragte des Main-Kinzig-Kreises<br />
mJ: 100 Jahre Internationaler Frauentag: Wie feiert<br />
das Frauenbüro des Main-Kinzig-Kreises diesen Tag?<br />
Foltin-Alig: Wir feiern mit einem Blick auf die<br />
historische Entwicklung der Frauenrechte. Am 9.<br />
März biete ich gemeinsam mit der Gelnhäuser<br />
Frauenbeauftragten Heike Schmidt Themenführungen<br />
unter dem Titel „Rosenduft und Sauerkraut:<br />
Frauen(arbeits)leben im Wandel der Zeiten“ an.<br />
Wir zeigen am Beispiel Gelnhausens, wie Frauen<br />
in der hoch- und spätmittelalterlichen Stadt neue<br />
Spielräume bekamen, indem sie selbständig das<br />
Bürgerrecht erwerben und in Handel oder Gewerbe<br />
tätig werden konnten. Dazu gibt es das Angebot<br />
eines gemeinsamen Frühstücks oder Abendessens.<br />
mJ: Was sind Ihre Aufgaben als Frauenbeauftragte?<br />
Foltin-Alig: Als Kreisfrauenbeauftragte will ich helfen,<br />
die noch vorhandenen Benachteiligungen für<br />
die rund 207.000 Frauen und Mädchen im Landkreis<br />
abzubauen. In der Praxis bin ich vor allem Ansprechpartnerin<br />
für Frauen, in deren Wohnorten<br />
keine Frauenbeauftragte vor Ort ist. Ihnen biete<br />
ich Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen:<br />
etwa bei Fragen der sozialen Sicherung, beim<br />
Umgang mit Ämtern, bei Trennung oder Scheidung,<br />
Partnerschaftskonfl ikten oder Gewalt durch den<br />
Partner, beim Wiedereintritt ins Berufsleben oder<br />
bei der Organisation einer Kinderbetreuung. Dabei<br />
sind Beratungen und Serviceleistungen kostenfrei,<br />
alle Anliegen werden vertraulich behandelt. Außerdem<br />
unterstütze ich zahlreiche Frauenprojekte,<br />
eine enge Zusammenarbeit gibt es mit den Frauenhäusern<br />
in Hanau und Wächtersbach.<br />
mJ: Was sagen Sie zur aktuellen Quoten-Debatte?<br />
Foltin-Alig: Ein Blick nach Norwegen belegt den<br />
Erfolg und auch die Notwendigkeit einer gesetzlichen<br />
Regelung: Nach Einführung einer Quote<br />
in 2003 liegt dort der Frauenanteil in staatlichen<br />
Institutionen und börsennotierten Unternehmen<br />
inzwischen bei 40 Prozent. Zeitgleich hat sich<br />
dieser auch in Unternehmen, die dem Gesetz nicht<br />
unterliegen, beachtlich gesteigert. Und nicht nur<br />
das: Die durchschnittliche jährliche Zunahme des<br />
Wirtschaftswachstums in Norwegen liegt seitdem<br />
bei nahezu zwei Prozent. Auch verschiedene Studien<br />
im eigenen Land zeigen, dass es einen nachweislichen<br />
Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil<br />
in Spitzenpositionen und der wirtschaftlichen Situation<br />
von Unternehmen gibt. Kurz gesagt: Die<br />
Steigerung des Frauenanteils bedeutet auch eine<br />
fi nanzielle Gewinnsteigerung.<br />
Freiwillige Selbstverpfl ichtungen zwischen Wirtschaftsverbänden<br />
und Bundesregierung zeigen auch<br />
nach rund neun Jahren keine nachhaltigen Auswirkungen<br />
auf die Karrieremöglichkeiten von Frauen.<br />
Die Quote muss also sein – und 30 Prozent sind<br />
zumindest ein Anfang.<br />
Je eher hier die Weichen gestellt werden, desto<br />
eher kann sich der Erfolg einstellen. Dass er sich<br />
einstellen wird, ist unzweifelhaft.<br />
Interview: Frauke Döll