Leitungskongress Von der Radikalität des Glaubens Die neue Bonhoeffer-Biografie und ihre Parallelen zu den Fragen der Gemeinde von heute Vor kurzem las Bill Hybels die neue Bonhoeffer-Biografie – „Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet“. Der US-Autor Eric Metaxas, Sohn einer deutschen Mutter, hat darin interes- santes, bislang unveröffentlichtes Material über Dietrich Bonhoeffer zusammengetragen. Hybels war von dem Buch so fasziniert, dass er den Autor als zusätzlichen Referenten beim Leitungskongress 2012 in Stuttgart vorgeschlagen hat. Dort wird er den Bestseller-Autor nun ausführlich intervie- wen. Das Thema des Buches ist hochaktuell, sagt Hybels: Wann ist für uns heute der Punkt erreicht, an dem staatli- che Belange so in die Autorität der Kirche eingreifen, dass die Kirche ein deutliches Stoppsignal setzen muss? Über die Hintergründe zu seiner Bonhoeffer-Biographie hat Scott Horton den Autor befragt. Herr Metaxas, Sie haben Ihr Buch – sogar in deutscher Sprache – Ihrem Großvater gewidmet. Welche Bedeutung hat diese Widmung für Sie? Mein Großvater war deutscher Soldat, allerdings kein Anhänger des NS- Regimes. Er fiel 1944 im Krieg, mit 31 Jahren. Meine Mutter war damals neun Jahre alt. Die Tragödie des frühen Vaterverlustes hat auch mein Leben beeinflusst. Mein Großvater wollte nicht in Hitlers Krieg kämpfen. Sein Vorgesetzter in der Fabrik, in der er arbeitete, ein Freund der Familie, den ich 1971 persönlich kennenlernte, konnte bis 1943 verhindern, dass mein Großvater zur Wehrmacht musste. Leider hat es seinen Tod dann doch nicht verhindert. Wie kam es zu Ihrer Nähe zu Dietrich Bonhoeffer? Als ich 1988 zum ersten Mal von Bonhoeffer hörte, hat mich seine Geschichte verblüfft. Damals fand ich gerade zum christlichen Glauben zurück, den ich als Student in Yale verloren hatte. Bonhoeffers Schicksal sowie sein herausragendes Buch „Nachfolge“ haben mich sehr berührt und mir bei den vielen Fragen, die ich hatte, weitergeholfen. Als Deutsch-Amerikaner hat mich sein Schicksal besonders berührt, da er als Deutscher für diejenigen sprach, die es selber nicht konnten. Für die Juden in Europa, aber auch für Menschen wie meinen Großvater, die machtlos und auf ihre Art selbst Opfer der Nazis waren. Von Albert Einstein stammt die berühmte Aussage, dass die größte Schwäche der Deutschen der „alberne Glaube an Autorität“ sei. Schriftsteller wie Heinrich Mann, Hermann Hesse und Frank Wedekind beschreiben ein Bildungssystem, das darauf ausgerichtet ist, den Willen des Einzelnen zu brechen und soziale Konformisten hervorzubringen. Aber Bonhoeffer ging daraus unbeeinflusst und mit einer starken oppositionellen Haltung hervor. Welche Aspekte seiner Persönlichkeit und seiner Erziehung haben aus ihm einen derart entschiedenen Gegner des Nazi-Regimes gemacht? Die Haltung der Familie Bonhoeffer war nicht einfach gegen das System gerichtet bzw. „anti-autoritär“ im heutigen, oberflächlichen Sinn. Vielmehr scheint sie eine seltene, gesunde Perspektive der eigenen Person und auch Deutschlands eingenommen zu haben. Sie waren Patrioten, standen aber gewissen Zügen des deutschen „Nationalwesens“ skeptisch gegenüber. Bonhoeffers Mutter war gläubige Christin, die ihre Kinder zu Hause unterrichtete, weil ihr der autoritäre Charakter des öffentlichen Schulwesens missfiel. Sie nahm das Sprichwort ernst, dass deutschen Kindern „zweimal das Rückgrat gebrochen wird“: erst in der Schule, dann in der Armee. Wer es mit dem Christsein ernst meint, wird immer skeptisch sein, wenn Autorität aus einem Reflex heraus abgelehnt wird. Antiautoritarismus ist die typische und gegensätzliche amerikanische Haltung dazu. Er gehört zum amerikanischen Wesen und muss immer wieder kritisch hinterfragt werden. Bonhoeffer hat diese Haltung, die er am Union Theological Seminary in New York erlebte, abgeschreckt. Ihn interessierte: „Was ist legitime Autorität?“ Bonhoeffer würde sagen, wir sollen Autorität hinterfragen, um zu entscheiden, ob sie legitim ist. Aber davon auszugehen, dass jegliche Autorität unberechtigt ist und man ihr daher nicht gehorchen muss, ist genauso fragwürdig wie die Haltung, dass jegliche Autorität legitim und Gehorsam angebracht ist. Im Buch erwähne ich die berühmte Rede Bonhoeffers, die er zwei Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hielt. Darin beschäftigt er sich ausführlich mit diesem Thema. Für uns ist sie heute ebenso wichtig wie damals in Deutschland, allerdings im umgekehrten Sinn. John Baillie und Reinhold Niebuhr schreiben, dass Bonhoeffer während seiner New Yorker Zeit „standhaft unpolitisch“ gewesen sei. Sie zeigen uns einen Bonhoeffer, der in der damals herrschenden Kontroverse zwischen „Modernisten“ und „Fundamentalisten“ durchaus Stellung bezogen hat. Er bevorzugte letztere Gruppe, bewunderte vor allem die fundamentalistischen Gemeinden in Harlem und war vom Schicksal der Afro-Amerikaner in den USA erschüttert. Sind diese unterschiedlichen Darstellungen ein Widerspruch? Überhaupt nicht. Walt Whitman formuliert es in Grashalme so: „Ich bin groß. In mir sind viele.“ Die Wahrheit ist zwangsläufig sehr weit gefasst, daher müssen auch Dinge aus einer großzügigen Perspektive betrachtet werden. Leitungskongress Bonhoeffer war nicht liberal oder konservativ, er war einfach Christ. Ihm war wichtig, die Dinge aus Gottes Perspektive zu sehen, die natürlich viel weiter ist als der beschränkte Standardblick. Manchmal zwingt sie uns zu einer liberalen Sicht, manchmal zu einer konservativen. Weil Bonhoeffer durchgängig als liberaler Theologe beschrieben worden ist – was er nicht war – müssen wir auch die andere Seite sehen, von der ich hoffe, dass sie in meinem Buch deutlich wird. Ihn schockierte die Art und Weise, in der am Union Theological Seminary ganz ungeniert auf die Grundlagen des christlichen Glaubens verzichtet und eine Ersatzreligion geschaffen wurde, die sich an der herrschenden progressiven Einstellung orientierte. Beeindruckt war er von dem ernsthaften Wunsch, den Armen zu helfen; allerdings fragte er sich, auf welcher Grundlage das als „Christentum“ bezeichnet wurde. Er fand die dortige Theologie oberflächlich, fast nicht mehr vorhanden. Aber er sah auch deutlich die Gefahren der anderen Seite – von Fundamentalismus und Pietismus. Bonhoeffer ist kompliziert, aber im guten Sinne. Er ist ein theologischer Kritiker, der sich nicht auf eine Sicht festlegen lässt. Sie beschreiben den Prozess, in dessen Verlauf die evangelische Kirche sehr rasch der Macht der Nazis nachgab. Da wurde mit ketzerischen Rassentheorien gespielt und Hitler mit messianischen Begriffen bedacht. Wie hat Bonhoeffer diese Schwächen verstanden? War für ihn der Umstand, dass es sich um eine etablierte Kirche handelte, ein Grund für ihre Anfälligkeit? Bonhoeffer war nicht gegen eine etablierte deutsche Kirche an sich, aber er war sich der bestehenden Gefahren deutlich bewusst. Er hatte amerikanische Kirchen erlebt, daher war ihm der Gedanke einer Trennung von Kirche und Staat nicht fremd. Diese Trennung konnte durchaus funktionieren und hatte auch gewisse Vorteile, war aber für ihn nicht die Lösung aller Probleme. Als die Nazis versuchten, sich die deutsche Kirche einzuverleiben, bekam er aus erster Hand mit, wie eine etablierte Kirche den falschen Weg einschlagen kann. Wenn der Staat übermäßig in die Autorität der Kirche eingreift, muss die Kirche klar Stellung beziehen, oder sie wird untergehen. Sie muss sich 7