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Achim Schnurrer FÜR EIN PAAR GROSCHEN...

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erscheinenden Heftromane und die<br />

revolutionäre Erneuerung des Buchmarkts<br />

durch das preiswerte Taschenbuch. Neben<br />

diesen Umwälzungen im Buchhandel wird<br />

heute leicht ein Gebiet vergessen, das für das<br />

Lesebedürfnis beinahe ebenso revolutionär<br />

war: die Explosion des Markts der<br />

gewerblichen Leihbüchereien. Die für diesen<br />

Markt produzierenden Verlage brachten ihre<br />

Bücher schon bald ausschließlich für<br />

Leihbüchereien heraus. Ausnahmen waren<br />

Verlage wie Gebrüder Weiß, Berlin und<br />

Gebrüder Zimmermann, Balve, die neben dem<br />

Hardcoverband für die Leihbücherei auch mit<br />

andere Publikationsformen experimentierten.<br />

1956 bis 1957 erschienen die "UTO<br />

Taschenbücher" in Balve, während die Reihe<br />

"Utopische Taschenbücher" beim Weiß Verlag<br />

bis 1959 herauskam.<br />

Schon rasch setzte sich der leihbuchtypische<br />

Umschlag mit dem Supronylbezug durch.<br />

Dabei handelte es sich um eine<br />

widerstandsfähige und für den häufigen<br />

Gebrauch geeignete, zur Not auch<br />

abwaschbare Klarsichtfolie, die über den<br />

Pappdeckel des Umschlags gezogen wurde.<br />

Nicht selten wurden diese Bände zusätzlich<br />

noch mit einem Schutzumschlag ausgestattet,<br />

der von den Büchereien vor der ersten<br />

Ausleihe jedoch entfernt wurde.<br />

Dementsprechend selten wird man auf<br />

Flohmärkten oder in Antiquariaten noch<br />

Exemplare mit Schutzumschlag finden.<br />

Die weitaus meisten Bände, die einem heute in<br />

die Hände fallen, sind in einem erbärmlichen<br />

Zustand. Völlig zerlesen, oft fehlt der Rücken,<br />

oder er ist lose und manch Kaffeefleck oder<br />

andere undefinierbare Stoff verunziert die<br />

Seiten. Solche Exemplare sind in der Regel<br />

wertlos, je nach Zustand mag man sie noch<br />

nicht einmal in die Hand nehmen. Gelegentlich<br />

kann man ungelesene Bücher finden, die<br />

meistens aus den Restbeständen der Verlage<br />

stammen.<br />

Speziell im schwer zerstörten Nachkriegs-<br />

Deutschland der späten 40er und frühen 50er<br />

Jahre traf die leichte Unterhaltung der<br />

Leihbücher den Nerv der Zeit. Bücher,<br />

spannende zumal, waren Mangelware. Die<br />

rigide Zensur während der Nazizeit und die<br />

10<br />

immer dramatischere Papierknappheit, die<br />

auch noch Jahre nach dem Krieg den Alltag<br />

bestimmte, hatten die Menschen hungrig nach<br />

Lektüre gemacht. Teure Hardcoverbände<br />

konnten sich die wenigsten leisten: Es war die<br />

richtige Zeit für die Einführung des<br />

Taschenbuchs und es war die richtige Zeit für<br />

die gewerblichen Leihbüchereien. In ihnen<br />

konnte man für wenige Groschen Leihgebühr<br />

den neuesten Schmöker bekommen. Es ist<br />

kein Zufall, dass das Wirtschaftswunder und<br />

die Ausbreitung des Fernsehens schon bald<br />

das Ende dieser Phase einleiteten. Doch es<br />

sollte ein langsames Sterben werden, bis dann<br />

Mitte der 70er Jahre die meisten<br />

Leihbüchereien wieder verschwunden waren.<br />

Heiß begehrt und angefeindet<br />

Weigand weist in seiner Untersuchung nach, dass<br />

sich noch bis Mitte der 90er Jahre in der<br />

ländlichen Region südlich von Freiburg im<br />

Breisgau vereinzelte Nebenerwerbsleihbüchereien<br />

befunden haben, die letzte wurde 1998 aufgelöst.<br />

Auch in Aschaffenburg und in Berlin existierten<br />

noch bis in die jüngere Vergangenheit hinein<br />

einige wenige Leihbüchereien.<br />

1960 war quantitativ der wirtschaftliche<br />

Höhepunkt der Leihbüchereien erreicht: 27.685<br />

Ausleihstellen verzeichnen die Postwurflisten<br />

der Deutschen Bundespost. [Weigand, a.a.O.<br />

S. 19.] Darunter befanden sich große Betriebe<br />

mit hundert oder mehr Filialen. Die weitaus<br />

meisten Leihbüchereien aber waren, wie schon<br />

vor dem Krieg, so genannte<br />

Nebenerwerbsbetriebe, die zusammen mit<br />

Tabak-, Zeitschriften- oder Schreibwarenläden<br />

betrieben wurden. Anfang der 60er Jahre<br />

waren die Ausleihen von gewerblichen<br />

Büchereien mehr als doppelt so hoch wie die<br />

von öffentlichen Bibliotheken.<br />

Um eine Leihbücherei zu unterhalten, bedurfte<br />

es keiner besonderen Kenntnisse oder<br />

Ausbildung. Weigand zitiert sogar Freisprüche<br />

in Gerichtsverfahren, weil die angeklagten<br />

Inhaber der Leihbüchereien nicht lesen<br />

konnten. Der Vorwurf der Anklage bestand in<br />

einem Fall darin, dass der Betreiber einer<br />

Trinkhalle mit einer angeschlossenen<br />

Leihbücherei von 500 Bänden einen

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