Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer
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Bei einer <strong>Jazz</strong>-Band sind die einzelnen Musiker Spezialisten auf ihren unterschiedlichen Instrumenten. Ein plötzliches<br />
Vertauschen der Instrumente unter den Musikern würde nicht funktionieren. Obwohl jeder Musiker nur wenig von den<br />
Instrumenten der anderen versteht, können sie gemeinsam interessante Ergebnisse erzeugen. Hierzu ist aber die enge<br />
Kommunikation erforderlich, um jedes Instrument in das Gesamtwerk einzubringen. In gleicher Weise funktioniert auch<br />
eine <strong>Management</strong>gruppe. In einem Vorstand sind Spezialisten für rechtliche Fragen, technische Fragestellungen,<br />
Personal führung, Produktion <strong>und</strong> kaufmännische Tätigkeiten vorhanden. Ein zu lösendes Problem erfordert in der Regel<br />
mehrere dieser Kompetenzen, die dann von der Gruppe in den Lösungsprozess eingebracht werden müssen. Dies geht<br />
wiederum nur durch eine enge kooperative Zusammenarbeit. Tendenziell wird der Korridor deshalb durch geringe<br />
Regelung <strong>und</strong> hohe Konnektivität erreicht.<br />
Die Synergien der unterschiedlichen Kernkompetenzen der Musiker können sich nur dann entfalten, wenn sie zur gleichen<br />
Zeit <strong>und</strong> am gleichen Ort aufeinander treffen. Würde jeder Musiker für sich in seinem Musizierstübchen üben, ohne<br />
Kontakt zu den anderen, wäre eine Gemeinschaftsleistung nicht gegeben. Der gleiche Effekt gilt auch bei dem Zusam -<br />
men bringen verschiedener Kernkompetenzen eines <strong>Management</strong>teams. Eine Unternehmensstrategie zu entwickeln, in -<br />
dem jeder Vorstand für seinen Bereich ein Konzept entwickelt <strong>und</strong> es den anderen zur Verfügung stellt, ist noch lange<br />
keine gemeinsame Unternehmensstrategie. Nur dann, wenn das Strategieteam zu einer Strategiesitzung zusammenkommt,<br />
die Argumente aufeinandertreffen, auch emotionale <strong>und</strong> erhitzte Diskussionen bis hin zu Streitgesprächen entstehen,<br />
ist die Atmosphäre am Rande des Chaos gegeben, um zu wirklich neuen Ideen vorzudringen. Eine Strategie -<br />
sitzung sollte deshalb auch nicht durch zu detaillierte Tagesordnungen mit festgeschriebenen Redezeiten bestimmt sein,<br />
sondern Freiräume enthalten, die durch ausweitende Diskussionen genutzt werden können. Natürlich müssen anschließend<br />
die Ergebnisse in greifbarer Form zusammengefasst werden.<br />
Die in dem Korridor gestellten Forderungen werden in idealer Weise von einer <strong>Jazz</strong>-Band erfüllt. Die Koordination bzw.<br />
der Regelbedarf innerhalb einer <strong>Jazz</strong>-Band ist relativ gering. Die wichtigsten Regeln werden durch das Thema des zu<br />
spielenden Stücks festgelegt. Es enthält den taktmäßigen Aufbau, der z. B. bei einem Blues 12 Takte oder bei einem typischen<br />
Song 32 Takte umfasst. In Ab bil -<br />
dung 2 ist das Thema des bekannten<br />
Stückes „A Night In Tunisia“ von Dizzy<br />
Gillespie angegeben, das nach dem 32taktigen<br />
Aufbau AABA komponiert worden<br />
ist. Die A-Teile umfassen 8 Takte mit<br />
einem bestimmten Harmonieaufbau <strong>und</strong><br />
der B-Teil, der sogenannte Mittelteil,<br />
eben so. Die Harmonien des Stückes sind<br />
ebenfalls in Abbildung 2 angegeben. Ein<br />
guter <strong>Jazz</strong>-Improvisator kennt die Harmo -<br />
niefolgen der sogenannten Standard -<br />
themen, also Themen, die von <strong>Jazz</strong>-<br />
Musikern häufig gespielt werden, auswendig.<br />
Bei der <strong>Improvisation</strong> folgt der<br />
Solist nun dem Schema des Stückaufbaus Abb. 2: A Night In Tunisia, Dizzy Gillespie<br />
<strong>und</strong> kann innerhalb der Harmoniefolgen<br />
neue Melodien im Stegreif erfinden.<br />
Man kann deshalb sagen, dass eine <strong>Jazz</strong>-Band mit geringen Regelungen höchste kreative Leistungen erzeugt.<br />
Es bestehen Gefahren aus dem Korridor auszubrechen <strong>und</strong> deswegen an Kreativität zu verlieren. Bei der Entwicklung des<br />
Freejazz wurde die Koordination durch eine vorgegebene Songstruktur als zu stark reglementierend empf<strong>und</strong>en, so dass<br />
die Gruppe quasi ohne vorgegebene Struktur improvisierte. Da dies auch von allen Musikern gleichzeitig getan wurde,<br />
ergab sich zum Teil eine überhöhte Interaktion. Für viele Hörer war man deshalb im Chaos gelandet. Die Musik war<br />
schwer zu verstehen. Verstehen bedeutet, dass man die Struktur erkennt, nach der sich das musikalische Geschehen<br />
abspielt. Da eine feste Struktur aber gerade nicht gewollt war, ist auch ihr Verstehen nur schwer möglich. Die hohe<br />
Kommu nikation zwischen den Teilnehmern <strong>und</strong> das „aufeinander eingespielt sein“ des Teams erzeugten aber dann doch<br />
wiederum Ähnlichkeiten durch sich wiederholende Klangfarben <strong>und</strong> Collagen. Trotzdem war diese Musikrichtung nicht<br />
dauerhaft <strong>und</strong> hat wieder in eine strukturiertere Form zurückgef<strong>und</strong>en. Bildlich gesprochen hat man den oberen rechten<br />
Bereich der Abbildung 1 verlassen <strong>und</strong> sich wieder in den Korridor am Rand des Chaos begeben.<br />
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