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Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer

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ARIS Expert Paper<br />

Bei einem hohen Maß an Übereinstimmung, wenn sozusagen die Zeitgefühle der Musiker miteinander verschmelzen,<br />

kann dies zu unerwarteten eruptiven Höchst leistungen führen. Ein Beispiel dafür ist der Auftritt der Ellington Bigband<br />

1956 auf dem Newport <strong>Jazz</strong>-Festival bei New York. In dem Stück „Diminuendo and Crescendo in Blue“ ergab sich eine<br />

solche unwiederholbare Situation an Spannung <strong>und</strong> Dichte, die den Tenor-Saxofonisten Paul Consalves zu einem 28<br />

Chorusse langen Solo inspirierte. Dies war völlig ungeplant. Wie mir der damalige Bassist der Ellington Band Jimmy<br />

Woodie einmal erzählte, war die Band per Bus am Tag zuvor aus Florida angereist <strong>und</strong> hatte dort das Stück nach mehreren<br />

Jahren zum ersten Mal wieder gespielt. Der berühmte Schlagzeuger Joe Jones von der Count Basie Bigband war bei<br />

dem Newport-Konzert anwesend <strong>und</strong> stand neben der Band. Er hatte eine Zeitung in der Hand <strong>und</strong> schlug den Takt mit<br />

der Zeitung in seiner Hand mit. Insgesamt ergab sich eine so dichte <strong>und</strong> ekstatische Atmosphäre, die den Solisten zu<br />

immer neuen Ideen anregte.<br />

Eine Gruppe in Spannung zu halten <strong>und</strong> sie ständig zu neuen Ideen zu inspirieren, sie quasi zum Swingen zu bringen, ist<br />

die Kunst eines Topmanagers. Die emotionale Übereinstimmung der Gruppenmitglieder kann wichtiger sein als intellektuelle<br />

Einzelleistungen. Dazu müssen auch Gelegenheiten geschaffen werden. Das Ausbrechen aus der Tageshektik zu<br />

einem gemeinsamen Wochenendseminar in ungewohnter Umgebung <strong>und</strong> lockerer Atmosphäre kann hier hilfreich sein.<br />

Moderatoren <strong>und</strong> Antreiber (wie Joe Jones beim Newport-Festival) können kreative Prozesse verstärken.<br />

Das Zeitgefühl spielt im <strong>Jazz</strong> in mehrfacher Hinsicht eine große Rolle. Jeder, der ein Musikinstrument erlernt hat, weiß,<br />

dass es lange Zeit braucht, um es richtig zu beherrschen. Die Anekdote (vgl. Lewin 1998) von der Mutter, die als Fan der<br />

eleganten Klarinettenmusik von Benny Goodman ihrem Sohn eine Klarinette kaufte <strong>und</strong> dann erwartete, dass ab dem<br />

nächsten Tag das Haus von melodiöser Klarinettenmusik erfüllt sei, ist ein gutes Beispiel. Der Sohn fand sich nämlich<br />

nach wenigen Tagen in der Garage wieder, wo er im Auto üben musste <strong>und</strong> das bei geschlossenen Fensterscheiben.<br />

Virtuosität benötigt Zeit. Diesen Satz müssen sich auch Manager hinter die Ohren schreiben. Häufig erwarten sie bei<br />

einer Umorganisation, dass die Erfolge bereits am nächsten Tag zu spüren sind. Die zeitdauernden Lernprozesse einer<br />

neuen Organisation werden ignoriert.<br />

Auch Innovation fällt nicht vom Himmel. Bei der Entwicklung unseres Softwareproduktes ARIS haben wir mehrere Jahre<br />

Vorlaufforschung an meinem Forschungsinstitut betrieben, auf der wir aufbauen konnten. Dagegen sind in den letzten<br />

Jahren viele Dotcom-Unternehmen, die glaubten, eine schon vorhandene Idee aus den USA schnell nach Deutschland<br />

übertragen <strong>und</strong> darauf ein erfolgreiches Unternehmen gründen zu können, kläglich gescheitert.<br />

Alle großen <strong>Jazz</strong>-Musiker haben fanatisch geübt. Von dem Saxofonisten John Coltrane wird berichtet, dass er bei langen<br />

Soli seines Schlagzeugers von der Bühne verschwand, um in<br />

seiner Garderobe weiterzuüben. Auch Charlie Parker hat bis<br />

zur Besessenheit Themen in allen Tonarten geübt <strong>und</strong> darüber<br />

improvisiert. Selbst die höchste Begabung nützt nichts, wenn<br />

nicht dieser Fleiß zur Beherrschung der handwerklichen Fähig -<br />

keiten vorhanden ist.<br />

Man kann nicht immer nur von sich geben, man muss auch für<br />

neuen Input sorgen. Musiker wie Miles Davis <strong>und</strong> Sonny<br />

Rollins haben lange Pausen in ihren Karrieren gehabt, in denen<br />

sie nicht gespielt haben. Miles Davis hatte sich für mehrere<br />

Jahre ins Haus zurückgezogen (vgl. Davis 2000), um dort völlig<br />

in sich gekehrt zu leben (es war allerdings auch eine dunkle<br />

Seite dabei, die durch Drogen <strong>und</strong> sexuelle Eskapaden be -<br />

stimmt war). Sonny Rollins ist ausgestiegen, um intensiv für<br />

sich neue Musikwelten zu entdecken. Hierbei hat er für sich<br />

allein auf der Williamsburgbrücke in New York gegen den Wind<br />

gespielt, um seine Tonbildung weiter zu perfektionieren (vgl.<br />

Wilson 1991).<br />

Dem Pianisten Thelonious Monk wurde Anfang der 50er-Jahre<br />

die Auftrittslizenz für New York auf Gr<strong>und</strong> eines Miss verständ -<br />

nisses entzogen. Diesen ungewollten Auftrittsentzug nutzte er<br />

für Kompositionstätigkeiten.<br />

Auch für Manager gilt, dass ihr Vorrat an Kreativität <strong>und</strong> Dyna -<br />

mik nicht unendlich ist. Auch sie müssen in Form eines<br />

„Sabbatical“ ihre Kenntnisse auffrischen <strong>und</strong> erweitern, um<br />

daraus zu neuer Motivation <strong>und</strong> Schaffenskraft zu gelangen.<br />

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