Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer
Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer
Jazz-Improvisation und Management - IDS Scheer
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ARIS Expert Paper<br />
ARIS<br />
Platform<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult.<br />
August-Wilhelm <strong>Scheer</strong><br />
Expert<br />
Paper<br />
<strong>Jazz</strong>-<strong>Improvisation</strong> <strong>und</strong> <strong>Management</strong><br />
www.ids-scheer.com
ARIS Expert Paper<br />
<strong>Jazz</strong>-<strong>Improvisation</strong> <strong>und</strong> <strong>Management</strong><br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm <strong>Scheer</strong><br />
Das Wesen der <strong>Jazz</strong>-Musik ist die <strong>Improvisation</strong>. Ein <strong>Jazz</strong>-Solist erfindet aus<br />
dem Stegreif neue Melodien, die zu der vorgegebenen Struktur eines<br />
Themas passen. Er trifft damit in extrem kurzer Zeit irreversible Ent -<br />
scheidungen über die Höhe der Note, die er spielt, den Ausdruck, den er ihr<br />
verleiht, <strong>und</strong> über ihre rhythmische Einordnung. Gleichzeitig beeinflusst die<br />
gespielte Note sofort den weiteren Ablauf. Sein Spiel wird wiederum beeinflusst<br />
durch seine Mitspieler.<br />
Hier lesen Sie:<br />
Was das Besondere an einer guten <strong>Jazz</strong>band ist<br />
Welche Unterschiede, aber auch welche Gemeinsamkeiten<br />
zwischen einer <strong>Jazz</strong>band <strong>und</strong> dem modernen <strong>Management</strong><br />
bestehen<br />
Warum sich eine <strong>Jazz</strong>band <strong>und</strong> das <strong>Management</strong> im<br />
empfindlichen Gleichgewicht zwischen Flexibilität <strong>und</strong> Stabilität<br />
bewegen müssen<br />
1 Die <strong>Jazz</strong>-Band als Vorbild für ein modernes<br />
<strong>Management</strong> team<br />
In einer guten <strong>Jazz</strong>-Band spielen Experten miteinander, die zeit- <strong>und</strong> ortsgleich<br />
in hohem Maße kommunizieren. Jeder hört auf den anderen, insbesondere auf<br />
den Solisten, <strong>und</strong> geht auf dessen harmonische <strong>und</strong> melodische Weiter -<br />
entwicklung seines Solos ein. Gleichzeitig erhält der Solist Anregungen durch<br />
die harmonischen <strong>und</strong> rhythmischen Figuren der Rhythmus-Gruppe (im allgemeinen<br />
Piano, Bass <strong>und</strong> Schlagzeug). So entsteht bei der <strong>Jazz</strong>-<strong>Improvisation</strong> eine<br />
hohe Intensität an Kommunikation zwischen den Beteiligten, die zu hoher<br />
Kreativität anregt.<br />
Im <strong>Management</strong> ist der Begriff <strong>Improvisation</strong> dagegen eher negativ belegt. Die<br />
Formulierung „wir müssen improvisieren“ bringt zum Ausdruck, dass nicht wie<br />
gewünscht planmäßig gehandelt wird, sondern eben aus dem Stegreif. Nun setzt<br />
Planung aber voraus, dass das Umfeld des Plans stabil ist oder zumindest richtig<br />
eingeschätzt werden kann. In einem turbulenten Umfeld, in dem sich die<br />
Rahmen bedingungen schnell verändern, ist dagegen Planung problematisch.<br />
Generell wird in der neueren betriebswirtschaftlichen <strong>Management</strong>literatur deshalb<br />
auch die Bedeutung der Planung eher reduziert. Es gibt zu viele Beispiele,<br />
wo gerade das Gegenteil einer geplanten Aktion eingetreten ist <strong>und</strong> erfolgreich<br />
wurde. So plante das japanische Motorradunternehmen Honda den Markteintritt<br />
mit schweren Motorrädern in die USA (vgl. Mintzberg 1999). Ein vorbereitendes<br />
Team wurde in die USA geschickt, aber mit geringem Budget ausgestattet, so<br />
dass es für die eigene Fortbewegung lediglich Leichtmotorräder mitnahm. Da in<br />
den USA durch Marken wie Harley Davidson bereits ein erfolgreicher einheimischer<br />
Markt bestand, war es für Honda schwer, in das gleiche Marktsegment<br />
einzudringen. Das Team merkte aber, dass Leichtmotorräder ein Erfolg sein<br />
könnten <strong>und</strong> hat die ursprüngliche Strategie spontan verändert <strong>und</strong> Honda auf<br />
diesem Marktsegment zu einem Eintrittserfolg verholfen.<br />
2<br />
Über den Autor:<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult.<br />
August-Wilhelm <strong>Scheer</strong><br />
gründete 1984 die <strong>IDS</strong> <strong>Scheer</strong> AG.<br />
Zugleich ist der Autor Gründer <strong>und</strong><br />
Aufsichtsrats vorsitzender der<br />
imc AG.<br />
1975 hat er einen der ersten<br />
Lehrstühle für Wirtschafts -<br />
informatik übernommen <strong>und</strong> das<br />
Institut für Wirtschaftsinformatik<br />
(IWi) an der Universität des Saar -<br />
landes gegründet. Schwerpunkt<br />
seiner Forschungstätigkeit ist das<br />
Informations- <strong>und</strong> Geschäfts -<br />
prozess management in Industrie,<br />
Dienstleistung <strong>und</strong> Verwaltung.<br />
Professor <strong>Scheer</strong> hat zahlreiche<br />
Auszeichnungen wie den Philip<br />
Morris-Forschungspreis, den Preis<br />
der Erich Gutenberg Arbeits -<br />
gemeinschaft <strong>und</strong> das B<strong>und</strong>es -<br />
verdienst kreuz Erster Klasse<br />
erhalten <strong>und</strong> ist in zahlreichen<br />
Funktionen in Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Wirtschaft tätig. Seit 2007 ist er<br />
Präsident des B<strong>und</strong>esverbandes<br />
Informationswirtschaft, Tele kom -<br />
mu nikation <strong>und</strong> Neue Medien e.V.<br />
(BITKOM).<br />
Contact:<br />
arisproductmarketing@ids-scheer.com
Die Entwicklung des ERP-Systems R/3 der Softwarefirma SAP AG war zunächst als eine Lösung für mittelständische<br />
Unternehmen auf der Plattform der IBM-Rechner vom Typ AS 400 geplant (vgl. Plattner/<strong>Scheer</strong>/Wendt/Morrow 2000).<br />
Aufgr<strong>und</strong> von Performance-Schwierigkeiten wurde dann die Systemarchitektur geändert <strong>und</strong> zum Schluss ein weltweit<br />
erfolgreiches System entwickelt, das vornehmlich von Großunternehmen eingesetzt wird <strong>und</strong> auf technischen Platt -<br />
formen der Client-Server-Architektur mit neutralen Schnittstellen wie UNIX <strong>und</strong> SQL basiert.<br />
Diese Beispiele zeigen, dass erfolgreiche Unternehmensführung nicht durch das sture Festhalten an einmal getroffenen<br />
Planungsentscheidungen begründet ist, sondern durch das wache Aufnehmen neuer Entwicklungen <strong>und</strong> das darauf<br />
gekonnte <strong>und</strong> schnelle Reagieren.<br />
Es wird berichtet (vgl. Lewin 1998), dass der CEO des Lego-Unternehmens seinen Vorstand als <strong>Jazz</strong>-Band präsentieren<br />
ließ, um zu zeigen, dass diese das Bild eines modernen Führungsteams repräsentiert: Die Art <strong>und</strong> Weise, wie in einer<br />
<strong>Jazz</strong>-Band Kreativität entsteht, ist somit ein Vorbild für modernes <strong>Management</strong>verhalten.<br />
Sowohl im <strong>Jazz</strong> als auch im modernen <strong>Management</strong> dominiert der Teamgedanke. Die Zusammensetzung des Teams<br />
durch möglichst weit gefächerte Kernkompetenzen <strong>und</strong> das Nutzen von Synergien zwischen den Kompetenzen durch<br />
hohe Kommunikation sind der Schlüssel zum Erfolg.<br />
Die Beziehungen zwischen <strong>Jazz</strong>-<strong>Improvisation</strong> <strong>und</strong> <strong>Management</strong> werden zunehmend auch wissenschaftlich bearbeitet.<br />
In der Sonderausgabe der Zeitschrift Organization Science (Vol. 9, No. 5, Sept./Oct. 1998) sind viele interessante Beispiele<br />
<strong>und</strong> Erkenntnisse erarbeitet worden. An ihnen haben <strong>Jazz</strong>-Musiker <strong>und</strong> Organisationswissenschaftler mitgewirkt. Einige<br />
Beispiele in diesem Artikel sind ihr entnommen.<br />
2 Am Rande des Chaos<br />
In der modernen Organisationstheorie werden Ansätze verfolgt, die der Dynamik innerhalb von Unternehmen <strong>und</strong> auf den<br />
Märkten Rechnung tragen <strong>und</strong> starre Organisationsprinzipien überwinden. Mit dem Konzept sogenannter emergenter<br />
Prozesse wird dieser Ansatz konkretisiert. Emergente Prozesse, die als sich selbst entwickelnde Prozesse bezeichnet<br />
werden können, werden durch Ideen von Mitarbeitern, ohne dass diese unbedingt mit diesen Aufgaben betraut sind,<br />
angetrieben. Sie entspringen nicht einer festgelegten Strategie, sondern ergeben sich situativ spontan. Strategische Ent -<br />
wicklungen werden deshalb eher rückwärts als folgerichtig interpretierbar angesehen, als dass man sie im voraus planen<br />
kann.<br />
Eine <strong>Jazz</strong>-Band ist Quelle ständiger emergenter Prozesse. In Abbildung 1 (vgl. Tomenendal 2002 <strong>und</strong> Scholz 2000) ist in<br />
einfacher Form dargestellt, wie Konnektivität (auch als Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion zu interpretieren) sowie die<br />
Regelungs intensität einer Organisation die Möglichkeiten für flexibles, kreatives Verhalten bestimmen. Bestehen in einer<br />
Organisation sehr viele Regeln, so sind alle Arbeitsabläufe festgelegt. Wird gleichzeitig wenig zwischen den Organi -<br />
sationsteilnehmern kommuniziert, so dass keine informelle Organisation an den Regeln vorbei entstehen kann, so erstarrt<br />
die Organisation. Sie ist nicht fähig, auf unerwartete Situationen schnell zu reagieren (unteres linkes Feld in der Ab -<br />
bildung 1). Bestehen dagegen keinerlei Regeln,<br />
so dass bei einer hohen Interaktion quasi „alle<br />
durcheinander reden“ ohne zu einem Ergebnis<br />
zu kommen, herrscht das Chaos (oberes rechtes<br />
Feld in der Abbildung). Der eingezeichnete Bal -<br />
ken repräsentiert einen Korridor des Gleich -<br />
gewichts zwischen geringer Rege lung <strong>und</strong><br />
hoher Kommunikation, bei der eine Organisation<br />
besonders in der Lage ist, flexibel <strong>und</strong> kreativ zu<br />
reagieren. Der Bereich II kennzeichnet eine stabilere<br />
Orga nisation, die noch nicht erstarrt ist,<br />
aber doch nicht die Spontanität <strong>und</strong> Flexi bilität<br />
aufweist, wie der eingezeichnete Balken.<br />
Eine hohe Konnektivität der Gruppen mitglieder<br />
wirkt deshalb tendenziell positiv, weil die einzelnen<br />
Mitglieder relativ auseinandergezogene<br />
Kernkompetenzen aufweisen.<br />
Abb. 1: Ausgleich von Flexibilität <strong>und</strong> Stabilität<br />
ARIS Expert Paper<br />
3
ARIS Expert Paper<br />
Bei einer <strong>Jazz</strong>-Band sind die einzelnen Musiker Spezialisten auf ihren unterschiedlichen Instrumenten. Ein plötzliches<br />
Vertauschen der Instrumente unter den Musikern würde nicht funktionieren. Obwohl jeder Musiker nur wenig von den<br />
Instrumenten der anderen versteht, können sie gemeinsam interessante Ergebnisse erzeugen. Hierzu ist aber die enge<br />
Kommunikation erforderlich, um jedes Instrument in das Gesamtwerk einzubringen. In gleicher Weise funktioniert auch<br />
eine <strong>Management</strong>gruppe. In einem Vorstand sind Spezialisten für rechtliche Fragen, technische Fragestellungen,<br />
Personal führung, Produktion <strong>und</strong> kaufmännische Tätigkeiten vorhanden. Ein zu lösendes Problem erfordert in der Regel<br />
mehrere dieser Kompetenzen, die dann von der Gruppe in den Lösungsprozess eingebracht werden müssen. Dies geht<br />
wiederum nur durch eine enge kooperative Zusammenarbeit. Tendenziell wird der Korridor deshalb durch geringe<br />
Regelung <strong>und</strong> hohe Konnektivität erreicht.<br />
Die Synergien der unterschiedlichen Kernkompetenzen der Musiker können sich nur dann entfalten, wenn sie zur gleichen<br />
Zeit <strong>und</strong> am gleichen Ort aufeinander treffen. Würde jeder Musiker für sich in seinem Musizierstübchen üben, ohne<br />
Kontakt zu den anderen, wäre eine Gemeinschaftsleistung nicht gegeben. Der gleiche Effekt gilt auch bei dem Zusam -<br />
men bringen verschiedener Kernkompetenzen eines <strong>Management</strong>teams. Eine Unternehmensstrategie zu entwickeln, in -<br />
dem jeder Vorstand für seinen Bereich ein Konzept entwickelt <strong>und</strong> es den anderen zur Verfügung stellt, ist noch lange<br />
keine gemeinsame Unternehmensstrategie. Nur dann, wenn das Strategieteam zu einer Strategiesitzung zusammenkommt,<br />
die Argumente aufeinandertreffen, auch emotionale <strong>und</strong> erhitzte Diskussionen bis hin zu Streitgesprächen entstehen,<br />
ist die Atmosphäre am Rande des Chaos gegeben, um zu wirklich neuen Ideen vorzudringen. Eine Strategie -<br />
sitzung sollte deshalb auch nicht durch zu detaillierte Tagesordnungen mit festgeschriebenen Redezeiten bestimmt sein,<br />
sondern Freiräume enthalten, die durch ausweitende Diskussionen genutzt werden können. Natürlich müssen anschließend<br />
die Ergebnisse in greifbarer Form zusammengefasst werden.<br />
Die in dem Korridor gestellten Forderungen werden in idealer Weise von einer <strong>Jazz</strong>-Band erfüllt. Die Koordination bzw.<br />
der Regelbedarf innerhalb einer <strong>Jazz</strong>-Band ist relativ gering. Die wichtigsten Regeln werden durch das Thema des zu<br />
spielenden Stücks festgelegt. Es enthält den taktmäßigen Aufbau, der z. B. bei einem Blues 12 Takte oder bei einem typischen<br />
Song 32 Takte umfasst. In Ab bil -<br />
dung 2 ist das Thema des bekannten<br />
Stückes „A Night In Tunisia“ von Dizzy<br />
Gillespie angegeben, das nach dem 32taktigen<br />
Aufbau AABA komponiert worden<br />
ist. Die A-Teile umfassen 8 Takte mit<br />
einem bestimmten Harmonieaufbau <strong>und</strong><br />
der B-Teil, der sogenannte Mittelteil,<br />
eben so. Die Harmonien des Stückes sind<br />
ebenfalls in Abbildung 2 angegeben. Ein<br />
guter <strong>Jazz</strong>-Improvisator kennt die Harmo -<br />
niefolgen der sogenannten Standard -<br />
themen, also Themen, die von <strong>Jazz</strong>-<br />
Musikern häufig gespielt werden, auswendig.<br />
Bei der <strong>Improvisation</strong> folgt der<br />
Solist nun dem Schema des Stückaufbaus Abb. 2: A Night In Tunisia, Dizzy Gillespie<br />
<strong>und</strong> kann innerhalb der Harmoniefolgen<br />
neue Melodien im Stegreif erfinden.<br />
Man kann deshalb sagen, dass eine <strong>Jazz</strong>-Band mit geringen Regelungen höchste kreative Leistungen erzeugt.<br />
Es bestehen Gefahren aus dem Korridor auszubrechen <strong>und</strong> deswegen an Kreativität zu verlieren. Bei der Entwicklung des<br />
Freejazz wurde die Koordination durch eine vorgegebene Songstruktur als zu stark reglementierend empf<strong>und</strong>en, so dass<br />
die Gruppe quasi ohne vorgegebene Struktur improvisierte. Da dies auch von allen Musikern gleichzeitig getan wurde,<br />
ergab sich zum Teil eine überhöhte Interaktion. Für viele Hörer war man deshalb im Chaos gelandet. Die Musik war<br />
schwer zu verstehen. Verstehen bedeutet, dass man die Struktur erkennt, nach der sich das musikalische Geschehen<br />
abspielt. Da eine feste Struktur aber gerade nicht gewollt war, ist auch ihr Verstehen nur schwer möglich. Die hohe<br />
Kommu nikation zwischen den Teilnehmern <strong>und</strong> das „aufeinander eingespielt sein“ des Teams erzeugten aber dann doch<br />
wiederum Ähnlichkeiten durch sich wiederholende Klangfarben <strong>und</strong> Collagen. Trotzdem war diese Musikrichtung nicht<br />
dauerhaft <strong>und</strong> hat wieder in eine strukturiertere Form zurückgef<strong>und</strong>en. Bildlich gesprochen hat man den oberen rechten<br />
Bereich der Abbildung 1 verlassen <strong>und</strong> sich wieder in den Korridor am Rand des Chaos begeben.<br />
4
Das Verlassen des Korridors nach unten bedeutet, dass sich immer mehr <strong>und</strong> mehr Regeln einschleichen oder bei gleicher<br />
Regelung die Kommunikation nachlässt. Diese Gefahr ist z. B. gegeben, wenn eine <strong>Jazz</strong>-Gruppe sehr lange zusammen<br />
ist <strong>und</strong> man sich quasi in- <strong>und</strong> auswendig kennt. Es finden dann kaum noch unerwartete Ausbrüche aus dem bereits<br />
Bekannten statt. Selbst eine so fantastische Gruppe wie das Oskar Peterson Trio hatte nach einiger Zeit ihren erfolgreichen<br />
Stil gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sich dann quasi nur noch selbst kopiert. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1985 unterscheidet sich<br />
nicht gr<strong>und</strong>legend von einer Aufnahme aus dem Jahr 1975. Dagegen hat<br />
der <strong>Jazz</strong>-Musiker Miles Davis mehrfach stilbildend gewirkt. Mitte der<br />
vierziger Jahre entwickelte er mit Charlie Parker <strong>und</strong> anderen den<br />
Bebop, Ende der vierziger Jahre durch die berühmte Aufnahme „Birth of<br />
the cool“ den Cooljazz, dann 1959 mit der Aufnahme „Kind of Blue“ den<br />
modalen <strong>Jazz</strong> <strong>und</strong> später mit Musikern wie Herby Hancock <strong>und</strong> Chick<br />
Corea den Rockjazz.<br />
Um zu verhindern, dass eine Gruppe in der Wiederholung von Klischees<br />
erstarrt, muss man sie mit neuen Situationen konfrontieren, bei denen<br />
das „Eingeübte“ nicht angewendet werden kann. Von Miles Davis wird<br />
berichtet, dass er seinen Musikern quasi verboten hat, außerhalb der<br />
Konzerte zu üben; er würde sie schließlich dafür bezahlen, dass sie auf<br />
der Bühne „üben“. Sie sollten eben nicht eingeübte Figuren während<br />
des Konzertes abspulen, sondern kreativ sein <strong>und</strong> auch Mut zu Neuem<br />
zeigen. John Coltrane hat seine Musiker mit völlig neuen Harmonie -<br />
folgen überrascht, bei denen sie auch ihre bereits in Fleisch <strong>und</strong> Blut<br />
übergegangenen Phrasen nicht verwenden konnten. Bekannt ist die<br />
Anekdote, dass der Pianist Tommy Flannigan von John Coltrane mit den<br />
Harmonien des Kultstückes „Giant Steps“ konfrontiert wurde <strong>und</strong> während<br />
der Plattenaufnahme große Schwierigkeiten hatte, sie zu verarbeiten.<br />
Trotzdem ist die Aufnahme veröffentlicht worden <strong>und</strong> gilt als einer<br />
der Meilensteine im <strong>Jazz</strong>. Auch die Miles Davis-Aufnahme „Kind of<br />
Blue“ ist ein solches Beispiel (vgl. Kahn 2001).<br />
Miles Davis hatte zur Aufnahme lediglich geringe Skizzen der zu spielenden Stücke mitgebracht. Die Musiker wurden<br />
somit mit neuartigen harmonischen Strukturen <strong>und</strong> Themen konfrontiert <strong>und</strong> mussten sich im Höchstmaß konzentrieren.<br />
Diese Intensität war eine Quelle höchster Inspiration.<br />
Auch bei einem <strong>Management</strong>team, das in dem Korridor am Rande des Chaos operiert, bestehen Gefahren zum Verlassen<br />
des gewünschten Gleichgewichts. Völlig regelloses Verhalten, bei dem niemand einen gemeinsamen Koordinations -<br />
bedarf akzeptiert, führt zu widersprechenden Entscheidungen <strong>und</strong> Aktionen, also zum Chaos. Die Anwendung von Stereo -<br />
typen (man weiß ja schon, was der Andere sagen wird, also hört man ihm kaum noch zu) birgt die Gefahr zur Erstarrung.<br />
Hier können in dem Team durch die Konfrontation mit ungewöhnlichen Situationen ebenfalls neue Impulse erzeugt werden.<br />
Von British Airways wird berichtet (vgl. Lewin 1998), dass bei einem <strong>Management</strong>seminar die Hotelbetten ausgeräumt<br />
wurden <strong>und</strong> alle Teilnehmer in Flugzeugsitzen übernachten mussten. Diese Situation hat sicher zu intensivsten<br />
Überlegungen zur Verbesserung des Sitzkomforts angeregt. Auch ist vorstellbar, dass das <strong>Management</strong> von Software -<br />
unternehmen gezwungen wird, in einem Strategieseminar seine eigene Software anzuwenden.<br />
Das Gleichgewicht zwischen Flexibilität <strong>und</strong> Starrheit zu erhalten, ist somit ein ständiger Kampf.<br />
3 Gefühl für Zeit<br />
<strong>Jazz</strong>-Musik lebt vom Swinggefühl. Duke Ellington hat dies mit<br />
dem Musiktitel „It don’t mean a thing when it ain’t got that<br />
Swing“ auf den Punkt gebracht. Swing ist schwer zu beschreiben.<br />
Es ist ein rhythmisches Span nungs gefühl, das während<br />
des Spielens nicht aufgelöst wird. Es gibt inzwischen wissenschaftliche<br />
Ab hand lungen, die es durch einen Konflikt zwischen<br />
einer Dreier- <strong>und</strong> Vierermetrik zu erklären versuchen.<br />
Alle Er klä rungs versuche sind aber bisher unbefriedigend. Es<br />
bleibt dabei: Man spürt es oder man spürt es nicht. Während<br />
andere Spannungen in der Musik, z. B. Dis sonanzen, sofort auf -<br />
gelöst werden durch Konso nanzen, wird das Swinggefühl<br />
während des gesamten Musikstücks aufrechterhalten. Es ist<br />
damit auch eine Quelle für die Inspiration des <strong>Jazz</strong>-Solisten.<br />
ARIS Expert Paper<br />
5
ARIS Expert Paper<br />
Bei einem hohen Maß an Übereinstimmung, wenn sozusagen die Zeitgefühle der Musiker miteinander verschmelzen,<br />
kann dies zu unerwarteten eruptiven Höchst leistungen führen. Ein Beispiel dafür ist der Auftritt der Ellington Bigband<br />
1956 auf dem Newport <strong>Jazz</strong>-Festival bei New York. In dem Stück „Diminuendo and Crescendo in Blue“ ergab sich eine<br />
solche unwiederholbare Situation an Spannung <strong>und</strong> Dichte, die den Tenor-Saxofonisten Paul Consalves zu einem 28<br />
Chorusse langen Solo inspirierte. Dies war völlig ungeplant. Wie mir der damalige Bassist der Ellington Band Jimmy<br />
Woodie einmal erzählte, war die Band per Bus am Tag zuvor aus Florida angereist <strong>und</strong> hatte dort das Stück nach mehreren<br />
Jahren zum ersten Mal wieder gespielt. Der berühmte Schlagzeuger Joe Jones von der Count Basie Bigband war bei<br />
dem Newport-Konzert anwesend <strong>und</strong> stand neben der Band. Er hatte eine Zeitung in der Hand <strong>und</strong> schlug den Takt mit<br />
der Zeitung in seiner Hand mit. Insgesamt ergab sich eine so dichte <strong>und</strong> ekstatische Atmosphäre, die den Solisten zu<br />
immer neuen Ideen anregte.<br />
Eine Gruppe in Spannung zu halten <strong>und</strong> sie ständig zu neuen Ideen zu inspirieren, sie quasi zum Swingen zu bringen, ist<br />
die Kunst eines Topmanagers. Die emotionale Übereinstimmung der Gruppenmitglieder kann wichtiger sein als intellektuelle<br />
Einzelleistungen. Dazu müssen auch Gelegenheiten geschaffen werden. Das Ausbrechen aus der Tageshektik zu<br />
einem gemeinsamen Wochenendseminar in ungewohnter Umgebung <strong>und</strong> lockerer Atmosphäre kann hier hilfreich sein.<br />
Moderatoren <strong>und</strong> Antreiber (wie Joe Jones beim Newport-Festival) können kreative Prozesse verstärken.<br />
Das Zeitgefühl spielt im <strong>Jazz</strong> in mehrfacher Hinsicht eine große Rolle. Jeder, der ein Musikinstrument erlernt hat, weiß,<br />
dass es lange Zeit braucht, um es richtig zu beherrschen. Die Anekdote (vgl. Lewin 1998) von der Mutter, die als Fan der<br />
eleganten Klarinettenmusik von Benny Goodman ihrem Sohn eine Klarinette kaufte <strong>und</strong> dann erwartete, dass ab dem<br />
nächsten Tag das Haus von melodiöser Klarinettenmusik erfüllt sei, ist ein gutes Beispiel. Der Sohn fand sich nämlich<br />
nach wenigen Tagen in der Garage wieder, wo er im Auto üben musste <strong>und</strong> das bei geschlossenen Fensterscheiben.<br />
Virtuosität benötigt Zeit. Diesen Satz müssen sich auch Manager hinter die Ohren schreiben. Häufig erwarten sie bei<br />
einer Umorganisation, dass die Erfolge bereits am nächsten Tag zu spüren sind. Die zeitdauernden Lernprozesse einer<br />
neuen Organisation werden ignoriert.<br />
Auch Innovation fällt nicht vom Himmel. Bei der Entwicklung unseres Softwareproduktes ARIS haben wir mehrere Jahre<br />
Vorlaufforschung an meinem Forschungsinstitut betrieben, auf der wir aufbauen konnten. Dagegen sind in den letzten<br />
Jahren viele Dotcom-Unternehmen, die glaubten, eine schon vorhandene Idee aus den USA schnell nach Deutschland<br />
übertragen <strong>und</strong> darauf ein erfolgreiches Unternehmen gründen zu können, kläglich gescheitert.<br />
Alle großen <strong>Jazz</strong>-Musiker haben fanatisch geübt. Von dem Saxofonisten John Coltrane wird berichtet, dass er bei langen<br />
Soli seines Schlagzeugers von der Bühne verschwand, um in<br />
seiner Garderobe weiterzuüben. Auch Charlie Parker hat bis<br />
zur Besessenheit Themen in allen Tonarten geübt <strong>und</strong> darüber<br />
improvisiert. Selbst die höchste Begabung nützt nichts, wenn<br />
nicht dieser Fleiß zur Beherrschung der handwerklichen Fähig -<br />
keiten vorhanden ist.<br />
Man kann nicht immer nur von sich geben, man muss auch für<br />
neuen Input sorgen. Musiker wie Miles Davis <strong>und</strong> Sonny<br />
Rollins haben lange Pausen in ihren Karrieren gehabt, in denen<br />
sie nicht gespielt haben. Miles Davis hatte sich für mehrere<br />
Jahre ins Haus zurückgezogen (vgl. Davis 2000), um dort völlig<br />
in sich gekehrt zu leben (es war allerdings auch eine dunkle<br />
Seite dabei, die durch Drogen <strong>und</strong> sexuelle Eskapaden be -<br />
stimmt war). Sonny Rollins ist ausgestiegen, um intensiv für<br />
sich neue Musikwelten zu entdecken. Hierbei hat er für sich<br />
allein auf der Williamsburgbrücke in New York gegen den Wind<br />
gespielt, um seine Tonbildung weiter zu perfektionieren (vgl.<br />
Wilson 1991).<br />
Dem Pianisten Thelonious Monk wurde Anfang der 50er-Jahre<br />
die Auftrittslizenz für New York auf Gr<strong>und</strong> eines Miss verständ -<br />
nisses entzogen. Diesen ungewollten Auftrittsentzug nutzte er<br />
für Kompositionstätigkeiten.<br />
Auch für Manager gilt, dass ihr Vorrat an Kreativität <strong>und</strong> Dyna -<br />
mik nicht unendlich ist. Auch sie müssen in Form eines<br />
„Sabbatical“ ihre Kenntnisse auffrischen <strong>und</strong> erweitern, um<br />
daraus zu neuer Motivation <strong>und</strong> Schaffenskraft zu gelangen.<br />
6
Das durch den Swing ausgelöste Spannungsgefühl des Solisten wird durch weitere Faktoren verstärkt. Beispielsweise<br />
besitzen viele Musikstücke einen sogenannten Einstiegsbreak, d. h. die letzten Takte eines Themas sind von der Melodie<br />
freigelassen <strong>und</strong> der Solist kann frei den Einstieg in sein Solo gestalten. Am bekanntesten ist hierfür das bereits oben<br />
angeführte Stück „A Night In Tunisia“ (siehe Abb. 2). Hier wird nach dem Melodieteil <strong>und</strong> vor der <strong>Improvisation</strong> ein<br />
Interlude (Zwischenspiel) eingeschaltet, das eine gleiche rhythmische Figur melodisch etwas variierend siebenmal wiederholt<br />
<strong>und</strong> dann mit zwei Achteln den Solisten in einen viertaktigen Einstiegsbreak entlässt. Der Solist ist dann vier Takte<br />
ohne Begleitung <strong>und</strong> muss im fünften Takt auf der „Eins“ mit der dann wieder einsetzenden Rhythmusgruppe zusammentreffen.<br />
Diese vier Takte können zu einer Ewigkeit werden. Durch die rhythmischen Phrasen angefeuert, hebt er mit den<br />
zwei letzten Achteln sozusagen vom Schanzentisch ab <strong>und</strong> muss nun einen Skiflug absolvieren, um genau im fünften Takt<br />
sicher zu landen. Während dieser vier Takte kann aber sein individuelles Zeitgefühl anders schlagen als der weiterlaufende<br />
Rhythmus. Hier eine Übereinstimmung zu finden, also den Rhythmus, wie er vorher bestand <strong>und</strong> vom Schlagzeuger<br />
bei seinem Einsatz fortgesetzt wird, in Übereinstimmung mit seinem eigenen Rhythmusgefühl zu bringen, ist nicht einfach.<br />
Der Solist muss die vier Takte ausfüllen <strong>und</strong> ist damit beschäftigt, Ideen zu entwickeln <strong>und</strong> sich auf die zielgenaue<br />
Landung vorzubereiten, d. h. es spielen sich in ihm viele Prozesse gleichzeitig ab, die ihn von dem weiterlaufenden<br />
Rhythmus entfernen können.<br />
Auch Manager kennen dieses Gefühl. Wenn ein Unternehmen in eine Krise gerät, läuft die Uhr anders. Die Manager<br />
möchten schnell wirksame Entscheidungen treffen, befinden sich in einer extremen Ausnahmesituation <strong>und</strong> meinen häufig,<br />
dass ihre Umwelt in dem gleichen Takt schwingen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Die Umwelt läuft im alten<br />
Rhythmus weiter <strong>und</strong> interessiert sich nicht für die Ausnahmesituation des Unternehmens. Ein Krisenmanager möchte<br />
schnell Antwort auf eine Anfrage erhalten, um darauf neue Entscheidungen aufbauen zu können. Ihm läuft die Zeit davon,<br />
wenn die Liquidität in Gefahr ist. Alles das lässt das Umfeld unberührt. Auch hier kommt es also darauf an, dass Manager<br />
in Stresssituationen die Ruhe bewahren <strong>und</strong> sich mit dem zeitlichen Ablauf ihrer Umwelt synchronisieren, um nicht weiteren<br />
Schaden anzurichten. Das ständige Bedrängen eines Partners für eine schnelle Antwort oder Entscheidung kann<br />
Gegenwehr hervorrufen. Zu hastiges Reagieren kann Entwicklungen überinterpretieren. Die Synchronisation der inneren<br />
Uhr mit der Uhr der Umwelt ist also ein wichtiger Faktor.<br />
4 Kreativität in der <strong>Improvisation</strong><br />
ARIS Expert Paper<br />
Improvisieren heißt nicht wahlloses Herumfaseln,<br />
sondern spontan sinnvolle Melodien erfinden; der<br />
Solist muss eine musikalische Story erzählen. Diese<br />
beruht natürlich auf einer Sammlung von gelernten<br />
<strong>und</strong> geübten Bausteinen. Wie ein Redner, der eine<br />
spontane Rede hält, über ein Vokabular verfügen <strong>und</strong><br />
rhetorische Techniken beherrschen muss, gilt dies<br />
auch für einen <strong>Jazz</strong>-Musiker. Er muss ein umfangreiches<br />
theoretisches Wissen über <strong>Jazz</strong>-Harmonik<br />
besitzen, die Melodien vieler Standardstücke auswendig<br />
spielen können (häufig in mehreren Tonarten)<br />
<strong>und</strong> auch ihre Harmoniefolgen kennen. Darüber hin -<br />
aus kann er auch Melodiephrasen, sogenannte<br />
Pattern üben, die für bestimmte Akkordverbindungen<br />
passen. Dies alles sind aber nur die Vokabeln, die<br />
spontan zu neuen inhaltsreichen Sätzen zusammengefügt<br />
werden müssen. Ein Chorus muss dabei so<br />
gestaltet werden, dass der Zuhörer den Sinn des Solos erfasst. Werden lediglich technische Finessen etüdenhaft hintereinander<br />
geschaltet, so führt das zu einer Beliebigkeit. Es ist dann egal, ob der vierte Chorus nach dem dritten gespielt<br />
wird oder auch vor dem dritten hätte gespielt werden können. Ein Hörer würde keinen unterschiedlichen Aufbau des<br />
Solos erkennen.<br />
Bei perfekten Soli, wie sie z. B. von Chet Baker, Gerry Mulligan oder aber auch von Miles Davis gespielt worden sind, ist<br />
dies dagegen nicht der Fall: Jeder Chorus baut aufeinander auf <strong>und</strong> jede Note hat ihren Sinn.<br />
Die hohe Anzahl von Noten pro Sek<strong>und</strong>e ist noch kein Maß für hohen künstlerischen Wert eines <strong>Jazz</strong>-Solos. Gerade die<br />
aufgeführten Musiker, wie Chet Baker, Miles Davis <strong>und</strong> auch Gerry Mulligan, beeindrucken durch sparsame melodische<br />
Führung.<br />
7
ARIS Expert Paper<br />
Solche Regeln sollten auch von Managern bei Vorträgen oder Präsentationen befolgt werden. Häufig ist weniger mehr.<br />
Nicht eine Folienschlacht, bei der in kurzer Zeit zig Folien über den Overheadprojektor gezogen werden oder im Beamer<br />
durchrauschen, beeindruckt, sondern klare Aussagen, die folgerichtig aufeinander aufbauen. Je höher jemand einen<br />
Managerrang besitzt, desto weniger Folien sollte er benutzen <strong>und</strong> mehr auf das Charisma seiner Persönlichkeit vertrauen.<br />
Obwohl bei einer <strong>Improvisation</strong> intellektuelle Anstrengungen erforderlich sind, z. B. bei der Verfolgung der harmonischen<br />
Entwicklung eines Stückes, ist die Emotionalität sehr stark beteiligt. Als dritte Komponente kommt die Motorik hinzu, die<br />
bei Pianisten oder Saxofonspielern durch eine besonders ausgebildete Fingerfertigkeit vorhanden sein muss. Diese drei<br />
Komponenten: Intellekt, Emotion <strong>und</strong> Motorik zu koordinieren, erfordert eine hohe Anstrengung. Die emotionale Seite ist<br />
sicher besonders herauszustellen. Die Anregungen <strong>und</strong> das Spannungsgefühl, die durch den Rhythmus <strong>und</strong> den Swing<br />
erzeugt werden, verhelfen dem Solisten dazu, aus dem vorhandenen Baukasten an Wörtern in Blitzesschnelle sinnvolle<br />
Sätze zusammenzustellen. Vieles davon geschieht unbewusst, d. h. der Solist versenkt sich in das rhythmische <strong>und</strong> melodische<br />
Gefühl des Stückes <strong>und</strong> lässt sich von seinem Inneren treiben. Häufig ist er sogar erstaunt, wenn er eine aufgezeichnete<br />
Aufnahme seines Solos hört. Es ist ungefähr so wie bei einem Tausendfüßler: Ihm ist nicht bewusst, welches<br />
schwierige Koordinationsproblem er beim Gehen zu bewältigen hat, trotzdem funktioniert es. Wäre ihm das Koordi -<br />
nations problem bewusst, könnte er straucheln.<br />
Zu viel intellektuelle Kontrolle während des Solos kann schaden. Der Solist klebt zu stark an eingeübten Pattern <strong>und</strong> die<br />
eigentliche Freisetzung spontaner <strong>und</strong> unerwarteter Ideen fehlt.<br />
Auch erfolgreiche Unternehmer handeln häufig „aus dem Bauch“. Wahrscheinlich sind Instinkt <strong>und</strong> Angstgefühle für ein<br />
erfolgreiches Unternehmertum unabdingbar. Natürlich ist ein Bauchgefühl nicht nur angeboren, sondern auch Ergebnis<br />
vielfältiger Erfahrungen, die sich dann zu Verhaltensmustern verdichtet haben <strong>und</strong> bei entsprechenden Ereignissen spontan<br />
abgerufen werden können. Gerade bei Entscheidungen mit hohem Risiko, Personalgesprächen <strong>und</strong> beim Eingehen<br />
von Partnerschaften mit anderen Unternehmen entscheidet häufig das Bauchgefühl.<br />
Schnell zu reagieren <strong>und</strong> blitzschnell interessante Aussagen zu finden hat häufig etwas mit Humor <strong>und</strong> Witz zu tun. Es<br />
sollen eben keine langatmigen Geschichten erzählt werden, sondern kurze Storys mit Pointen. Viele <strong>Jazz</strong>-Musiker besitzen<br />
einen Sinn für Witz <strong>und</strong> Humor. Die Anzahl von Musikerwitzen belegt dies. Der kürzeste lautet:<br />
Drei <strong>Jazz</strong>-Musiker gehen an einer Kneipe vorbei ....<br />
Ein weiterer bringt die schwierigen wirtschaftlichen Umstände von <strong>Jazz</strong>-Musikern auf den Punkt:<br />
Frage: Wie wird man als <strong>Jazz</strong>-Musiker Millionär?<br />
Antwort: Indem man als Milliardär beginnt.<br />
In den Vorstandsetagen ist normalerweise Humor <strong>und</strong> Witz nicht sonderlich verbreitet.<br />
Die Business-Kleidung verbreitet eher eine steife Atmosphäre. Hier<br />
könnte ein Schuss Esprit <strong>und</strong> Pointenorientierung häufig aufgesetztes Verhalten<br />
menschlicher <strong>und</strong> kommunikativer gestalten.<br />
5 <strong>Jazz</strong> als Lernprozess<br />
<strong>Jazz</strong> ist eine Musik, die von dem ständigen Lernen der Musiker lebt. Jeder hört<br />
aufeinander, jeder ist mal Solist, mal Begleiter. Da ständig überraschende<br />
Situationen entstehen, sind Missverständnisse <strong>und</strong> auch Fehler möglich. <strong>Jazz</strong><br />
ist deshalb keine vollkommene Musik, sondern es überwiegt die Kreativität. Um<br />
neue Dinge auszuprobieren, darf man nicht ängstlich vor Fehlern sein. Fehler<br />
gehören zum Lernprozess; nur wer nichts Neues versucht, macht keine Fehler.<br />
Diese Erkenntnis gilt natürlich auch im <strong>Management</strong>. Nicht jede Idee für ein<br />
neues Produkt ist erfolgreich. Die Einstellung einer Produktentwicklung ist kein<br />
Misserfolg, sondern zeigt lediglich, dass während der Produktentwicklung neue<br />
Erkenntnisse aufgetreten sind, welche die ursprünglichen Annahmen korrigieren. Der Mut, neue Märkte oder neue<br />
Produktideen aufzunehmen, muss positiv betrachtet werden. Selbstverständlich gilt es, jede Idee kritisch zu hinterfragen,<br />
aber sie darf auch nicht von vornherein durch zu kritische Argumente getötet werden.<br />
Im <strong>Jazz</strong> haben sich in den ersten h<strong>und</strong>ert Jahren seines Bestehens die Stilrichtungen in kurzer Zeit abgelöst. Bei dem<br />
Musiker Miles Davis wurde bereits darauf hingewiesen, dass er viermal im Leben stilbildend an neuen Musikrichtungen<br />
beteiligt war.<br />
8
In einer Welle führend zu sein, ist nur dann ausreichend für eine längere Karriere, wenn dieser Stil zeitlich stabil ist. Jeder<br />
neuen Welle lediglich nachzulaufen, genügt nicht, da sich dann bereits andere Künstler, die die Welle kreiert haben, etabliert<br />
haben.<br />
In der Hightech-Welt ist die Fähigkeit, sich neuen Technologiewellen zu öffnen <strong>und</strong> mitzugestalten, Voraussetzung für ein<br />
längerfristiges Überleben der Unternehmen. Unternehmen, die lediglich in einer Technologiewelle führend waren <strong>und</strong><br />
dann die nächste verschlafen haben, sind trotz hoher Erfolge wieder vom Markt verschw<strong>und</strong>en. Dem Softwarehaus SAP<br />
AG ist es dagegen gelungen, durch ihre Produkte R/1, R/2, R/3 <strong>und</strong> mySAP.com in vier Technologiewellen mit führend zu<br />
sein. Ein Unternehmen wie Digital Equipment, einst zweitgrößter Hardwarehersteller der Welt, hatte zwar die Welle von<br />
vernetzten Kleincomputern angeführt, dann aber die Welle von standardisierten Betriebssystemen, Datenbanksystemen<br />
<strong>und</strong> Netzwerken übersehen <strong>und</strong> wurde später von dem Unternehmen Compaq aufgekauft.<br />
6 Wettbewerb <strong>und</strong> Kreativität<br />
Der zwischen <strong>Jazz</strong>-Musikern bestehende sportliche Wettbewerb ist ein weiterer treibender Faktor für Engagement <strong>und</strong><br />
Inspiration in der Musik. Zum Teil wird der Wettbewerb regelrecht in einer Band installiert. Bei Count Basie waren z. B.<br />
jeweils Vertreter unterschiedlicher Stilrichtungen bei den Tenor-Saxofonisten engagiert, die sich bei den Soli intensive<br />
„Schlachten“ (Tenor-Battles) lieferten, wer der beste, d. h. einfallsreichste <strong>und</strong> ausdrucksstärkste Musiker sei. Schüler<br />
des Tenor-Saxofonisten Colman Hawkins vertraten die sonore, vibratoreiche Spielweise, während Lester Young selbst<br />
<strong>und</strong> seine Schüler eher die zurückhaltende Spielweise bevorzugten. Am Anfang waren so Hershel Evans <strong>und</strong> Lester<br />
Young die installierten Kombattanten, später Frank Foster <strong>und</strong> Frank Wess. Auch in dem berühmten Miles Davis-Sextett<br />
waren mit Cannonball Adderley, einer dem Blues verb<strong>und</strong>enen Saxofonspieler, <strong>und</strong> John Coltrane mit seiner moderneren<br />
Spielweise zwei Gegenpole engagiert.<br />
In Jam Sessions können sich die Musiker gegenseitig anheizen <strong>und</strong> so zu wahren Höhenflügen inspirieren. Auch in dem<br />
Spielen sogenannter „Vierer“, d. h. es werden abwechselnd jeweils vier Takte eines Chorus gespielt, versuchen die<br />
Musiker sich gegenseitig zu übertrumpfen. In den Konzerttourneen des Impresarius Norman Grantz „<strong>Jazz</strong> at the philharmonic“<br />
(JATP) wurden die Musiker so zusammengestellt, dass gerade die Battles herausragende Höhepunkte dieser<br />
Konzerte waren. Dieser Wettbewerb ist nicht zerstörerisch, sondern dient jeweils zur gegenseitigen Inspiration: Es werden<br />
dabei auch Ideen des anderen aufgenommen <strong>und</strong> bei der eigenen <strong>Improvisation</strong> eingeb<strong>und</strong>en, so dass eine hohe<br />
Kommunikation besteht.<br />
Auch in einem <strong>Management</strong>team muss nicht immer wohlgefällige Harmonie herrschen, sondern auch hier kann Wett -<br />
bewerb die Leistung des Teams steigern. Er darf aber nicht zerstörerisch sein, indem ein Einzelner sich auf Kosten der<br />
anderen Teammitglieder übermäßig profilieren will. Konzeptionelle Meinungsverschiedenheiten <strong>und</strong> unterschiedliche<br />
Temperamente können dagegen die Kreativität für neue Strategien fördern. Treiber <strong>und</strong> Bewahrer in einem Team können<br />
zu riskante Manöver abmildern <strong>und</strong> gleichzeitig die Gefahr zum Erstarren verhindern.<br />
7 Das Richtige liegt neben dem Falschen<br />
ARIS Expert Paper<br />
In einer <strong>Improvisation</strong> kann es vorkommen, dass ein falschklingender Ton gespielt wird. Ein falscher Ton heißt, dass der<br />
Ton in dem augenblicklichen harmonischen Zusammenhang nicht wohlgefällig klingt. Nun gilt die Regel, dass die nächstliegenden<br />
Töne, also die jeweils um einen Halbton erhöhten oder erniedrigten Töne, bei dem harmonischen Zusammen -<br />
hang als „richtig“ klingend empf<strong>und</strong>en werden. Wenn es dem Spieler also gelingt, sobald er den „falschen“ Ton hört,<br />
sofort den daneben liegenden Ton zu spielen, dann fällt das einem Zuhörer kaum auf, da der falsche Ton zu einem Durch -<br />
gangston reduziert wird <strong>und</strong> die Betonung auf den wohlklingenden Ton gelegt wird.<br />
Auch bei den oben angeführten Beispielen der USA-Markteinführung des Unternehmens Honda <strong>und</strong> der R/3-Entwicklung<br />
des Softwarehauses SAP AG lag die richtige Strategie direkt neben der „falschen“.<br />
Wenn das Hondateam sich aus den USA zurückgezogen hätte, nachdem der ursprüngliche Plan, schwere Motorräder auf<br />
dem Markt einzuführen, misslungen war, wäre der anschließende Markterfolg mit Leichtmotorrädern ausgeblieben. Es<br />
war richtig, dass das Unternehmen die USA als Auslandsmarkt erkannt hatte, nur das Produkt lag einen „Halbton“ neben<br />
dem zunächst geplanten.<br />
Auch das R/3-Entwicklungsteam hätte sich zurückziehen können, nachdem die ursprünglich geplante Lösung technisch<br />
nicht umsetzbar war. Aber auch hier lag die richtige Lösung direkt neben der falschen. Es war richtig, eine neue Software<br />
für dezentrale Rechnersysteme zu entwickeln, nur war die proprietäre AS 400-Plattform falsch <strong>und</strong> die danebenliegende<br />
Lösung mit UNIX-Betriebssystem <strong>und</strong> weiteren neutralen Standards war die richtige Wahl.<br />
Diese Erkenntnisse besagen, dass ein vermeintlicher Misserfolg noch lange nicht endgültig sein muss, sondern sehr<br />
genau auf seine Ursachen analysiert werden sollte <strong>und</strong> danebenliegende Varianten sorgfältig geprüft werden müssen,<br />
um unter ihnen die Perle in der Muschel zu finden.<br />
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ARIS Expert Paper<br />
Übrigens gibt es noch eine andere Möglichkeit, beim Spielen eines falschen Tones zu reagieren, indem man ihn extra<br />
betont <strong>und</strong> absichtlich lange aushält oder sogar mehrfach wiederholt. Da es ja eigentlich keine falschen Töne gibt, sondern<br />
nur in einem harmonischen Zusammenhang ein ungewöhnlicher Höreffekt auftritt, kann man ihn als beabsichtigt<br />
interpretieren. Harmonische Reibung ist in der Musik durchaus üblich, da sie anschließend durch eine gefälliger klingende<br />
Harmonie aufgelöst werden kann. Also einen reibungsvollen Ton extra zu betonen, um ihn dann anschließend aufzulösen,<br />
ist ein zulässiges Stilmittel. Dieses Vorgehen erinnert etwas an den zynischen <strong>und</strong> damit möglichst nicht zu befolgenden<br />
Satz: Frech gelogen <strong>und</strong> fest darauf bestanden, ist so gut wie die Wahrheit gesagt.<br />
8 Relaunch alter Produkte<br />
Ein Song, der als Vorlage zur <strong>Improvisation</strong> dient, besteht aus einer Taktstruktur, dem harmonischen Aufbau <strong>und</strong> der<br />
Melodie. Die Variationen von Taktstrukturen sind im <strong>Jazz</strong> relativ begrenzt. Meist dominiert der 32-taktige Aufbau mit den<br />
jeweils acht Taktpaketen in der Form AABA. Bei den Harmoniefolgen eignen sich einige besonders gut zum Impro -<br />
visieren. Damit sich die zugehörenden Melodien nicht verschleißen, werden häufig neue Melodien zu den Harmonien<br />
komponiert. Am bekanntesten ist die Bluesform, über die unzählige Melodien komponiert worden sind, dann folgen aber<br />
die sogenannten Rhythm Changes, die dem Stück „I got Rhythm“ von George Gershwin entnommen worden sind. Auch<br />
hier sind die Akkordfolgen einfach <strong>und</strong> eröffnen dem Improvisator viele Entfaltungsmöglichkeiten. Viele Melodien haben<br />
sich dabei von dem ursprünglichen Thema „I got Rhythm“ soweit entfernt, dass man die Verwandtschaft kaum bemerkt,<br />
beispielsweise bei „Oleo“ von Sonny Rollins oder „Thriving on a riff“ von Charlie Parker.<br />
Die Entwicklung von neuen Produkten auf Basis bestehender erfolgreicher Produkte wird im Marketing von Unternehmen<br />
als Relaunch bezeichnet. Ein bewährtes Produktkonzept wird dadurch modernisiert, indem es ein neues Marketingprofil<br />
bekommt oder aber auch produkttechnisch abgewandelt wird. Auch hier wird das vom Konsumenten Gewohnte <strong>und</strong><br />
Akzeptierte übernommen, um aber durch neue Eigenschaften oder Imagefaktoren eine neue Attraktivität zu bekommen.<br />
9 <strong>Jazz</strong>-Solo als dynamischer Prozess<br />
Wenn ein <strong>Jazz</strong>-Musiker ein Solo beginnt, hat er noch nicht den gesamten<br />
Aufbau, geschweige denn die zu spielenden Melodiebögen im Kopf.<br />
Vielmehr fängt er mit einer Anfangsphrase an, die vielleicht auf den zuletzt<br />
gespielten Tönen seines Vorgängers aufbaut. Die nächste Phrase wird<br />
dann von der vorhergehenden beeinflusst <strong>und</strong> ist entweder die Antwort<br />
auf die zuerst gespielten Takte oder deren Erweiterung. Im weiteren<br />
Ablauf setzt sich dieser Prozess fort. Dabei werden die Impulse der anderen<br />
Mitspieler aufgenommen <strong>und</strong> einbezogen. Im Gr<strong>und</strong>e ist damit ein<br />
Solo ein sich selbst nährender Entwicklungsprozess, in dem ein gespielter<br />
musikalischer Gedankengang auf einem vorhergehenden aufbaut <strong>und</strong><br />
selbst wiederum die Basis für die nächsten darstellt.<br />
Ganz ähnlich entwickelt sich auch die Geschichte eines Unternehmens<br />
aus aufeinander aufbauenden Entscheidungen <strong>und</strong> Strategien. Nicht jede<br />
Entscheidung <strong>und</strong> Strategierichtung muss dabei für sich genommen als<br />
Ideal gelten, sondern es muss ihr Beitrag für den gesamten Ablauf gesehen<br />
werden. Dann können auch falsche Entscheidungen, wenn sie hinterher<br />
korrigiert werden, durchaus ihren Sinn gehabt haben, weil sie zum<br />
Erkenntnis gewinn beigetragen haben. Auch in einem Solo kann eine<br />
Musik phrase, die für sich genommen vielleicht wenig Intuition beinhaltet,<br />
doch den Musiker anregen, seinem nächsten musikalischen Gedanken<br />
mehr Inhalt zu geben.<br />
10 Kann man Improvisieren lernen?<br />
Genau wie an einer Musikhochschule das Fach klassische Komposition angeboten wird <strong>und</strong> also auch Komponieren<br />
gelernt werden kann, gilt dieses auch für die <strong>Jazz</strong>-<strong>Improvisation</strong>. Allerdings besteht der Widerspruch, dass die schöpferische<br />
Kraft eines Komponisten oder eines <strong>Jazz</strong>-Improvisators gerade die Erweiterung des Erlernten durch neue Klang -<br />
vorstellungen ausmacht. Gelernt werden können bei der <strong>Improvisation</strong> wie bei einem Redner die Wörter, die Grammatik<br />
<strong>und</strong> Wortverbindungen, die er aber dann bei einer freigesprochenen Rede gemäß seiner emotionalen Stimmung <strong>und</strong> seinen<br />
gewollten Aussagen zusammenstellt. Eine abgelesene Rede ist meistens langweilig, während eine engagiert vorgetragene<br />
freie Rede interessant sein kann.<br />
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Die Grammatik ist für einen <strong>Jazz</strong>-Musiker die <strong>Jazz</strong>-Harmonielehre. Während ein Orchestermusiker eines klassischen<br />
Orchesters im Wesentlichen die Fähigkeit besitzen muss, vom Blatt zu spielen <strong>und</strong> deswegen tiefe Kenntnisse in der<br />
Harmonie lehre nicht unbedingt erforderlich sind, ist dies bei einem <strong>Jazz</strong>-Musiker ausgesprochen wichtig <strong>und</strong> bringt ihn<br />
damit auch näher zu den Anforderungen, die man in der klassischen Musik an einen Komponisten stellt. Neben der<br />
Harmoniestruktur, also der Grammatik, ist aber auch der Wortvorrat wichtig. Hier gibt es unzählige Melodiefolgen, meistens<br />
auf ein bis vier Takte beschränkt, die für einzelne Akkorde <strong>und</strong> Akkordfolgen geübt werden können. Diese Melodie -<br />
phrasen stur auswendig zu lernen <strong>und</strong> hinterher in einem Solo mechanisch aneinander zu reihen, ist allerdings noch lange<br />
keine gelungene <strong>Improvisation</strong>. Hier fehlt dann musikalische Tiefe, überraschende Ideen <strong>und</strong> auch emotionale<br />
Beteiligung.<br />
Bei einem Manager ist die Beeinflussung seines Teams, eines Entscheidungsgremiums seines K<strong>und</strong>en durch rhetorischen<br />
Beiträge ein wichtiges Instrument. Auf einer Rednerschule gelernte Phrasen sind häufig sofort als solche zu<br />
erkennen <strong>und</strong> wirken wenig überzeugend, sondern eher entlarvend. Charismatische Ausstrahlung ist auch das Ergebnis<br />
der Lebenserfahrung einer Persönlichkeit. Und so bestimmt sich auch die musikalische Tiefe eines <strong>Jazz</strong>-Solisten aus seinem<br />
gesamten Persönlichkeitsbild. Sicher hat Louis Armstrong in den 20er-Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts technisch <strong>und</strong><br />
musikalisch brillante Soli gespielt, die auch heute noch hörenswert sind. Der So<strong>und</strong> seines Trompetenspiels in seinem<br />
fortgeschrittenen Alter enthält aber auch die Höhen <strong>und</strong> Tiefen seines Lebens <strong>und</strong> ist an musikalischer Ausdruckstärke<br />
um Welten von seiner früheren Spielweise entfernt. Das Gleiche gilt auch für Musiker wie Miles Davis oder Sonny Rollins.<br />
Gerade da im <strong>Jazz</strong> die Individualität des musikalischen Ausdrucks im Vordergr<strong>und</strong> steht, ergeben sich hier auch besondere<br />
Möglichkeiten des Einbringens der individuellen Persönlichkeit des Musikers.<br />
Auch im <strong>Management</strong> sind Dynamik, Aggressivität <strong>und</strong> technische Brillanz noch nicht alles. Große Unter nehmer -<br />
persönlichkeiten strahlen Sozialkompetenz, Lebenserfahrung <strong>und</strong> Souveränität aus. Lernen <strong>und</strong> Leben gehören dann<br />
zusammen.<br />
Literatur:<br />
Barrett, F. J. (1998):<br />
Creativity and <strong>Improvisation</strong> in <strong>Jazz</strong> and Organizations: Implications for Organizational Learning, in: Organization Science,<br />
Vol. 9, No. 5, Sept./Oct., (1998), S. 605 – 622.<br />
Davis, M. (2000):<br />
Die Autobiographie; Heyne Verlag, München 2000.<br />
Kahn, A. (2001):<br />
Kind of Blue: The Making Of The Miles Davis Masterpiece; Granta Books, London 2001.<br />
Lewin, A. Y. (1998):<br />
<strong>Jazz</strong> <strong>Improvisation</strong> as a Metaphor for Organization Theory, in: Organization Science, Vol. 9, No. 5 (1998), S. 539.<br />
Mintzberg, H. (1999):<br />
Strategiesafari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen <strong>Management</strong>s; Ueberreuter Verlag, Wien 1999.<br />
Organization Science, Vol. 9, No. 5, 1998.<br />
Plattner, H.; <strong>Scheer</strong>, A.-W.; Wendt, S.; Morrow, D. S. (2000):<br />
Hasso Plattner im Gespräch: Dem Wandel voraus; Galileo Press, Bonn 2000.<br />
<strong>Scheer</strong>, A.-W. (2000):<br />
Unternehmen gründen ist nicht schwer ...; Springer Verlag, Berlin et al. 2000.<br />
Scholz, C. (2000):<br />
Strategische Organisation: Multiperspektivität <strong>und</strong> Virtualität, 2. überarbeitete Auflage; Verlag Moderne Industrie,<br />
Landsberg/Lech 2000.<br />
Tomenendal, M. (2002):<br />
Virtuelle Organisation am Rande des Chaos – Eine complex-dynamische Modellierung organisatorischer Virtualität, Diss.,<br />
Saarbrücken 2002.<br />
Wilson, P. N. (1991):<br />
Sonny Rollins. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten; Oreos Verlag, Schaftlach 1991.<br />
ARIS Expert Paper<br />
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