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Die nationalsozialistische Herrschaft in Niedersachsen ... - FOKO-NS

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sicherer Unterschlupf für anreisende Kuriere – das waren ganz alltägliche Elemente der<br />

Untergrundtätigkeit, die sich aus e<strong>in</strong>er vertrauten alltäglichen Lebenswelt heraus entfaltete.<br />

Unter den Bed<strong>in</strong>gungen der sich stabilisierenden Diktatur mussten diese Milieustrukturen<br />

freilich über kurz oder lang anfälliger werden. Zudem boten sie auch der professionell<br />

agierenden Gestapo wichtige Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen. <strong>Die</strong> Verwurzelung im<br />

Milieu, die anfangs die Stärke des Arbeiterwiderstandes ausgemacht hatte, wurde nun<br />

zunehmend zu e<strong>in</strong>em Faktor, der die konspirative Tarnung bedrohte.<br />

<strong>Die</strong> Aussage, dass Arbeiter den zahlenmäßig größten Anteil am organisierten politischen<br />

Widerstand hatten, bedeutet allerd<strong>in</strong>gs im Umkehrschluss ke<strong>in</strong>eswegs, dass die Arbeiterschaft<br />

<strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e resistente Haltung gegen den Nationalsozialismus e<strong>in</strong>genommen und<br />

durchgehalten hätte. Sehr große Verhaltensunterschiede ergaben sich zwischen dem <strong>in</strong> den<br />

Freien Gewerkschaften und sozialistischen Vere<strong>in</strong>en fest verankerten Kernmilieu der<br />

Industriearbeiter und anderen, eher organisationsabst<strong>in</strong>enten und <strong>in</strong>sgesamt nationaler<br />

e<strong>in</strong>gestellten Gruppen der Arbeiterschaft, die etwa bei der Post oder der Eisenbahn und eher<br />

<strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>stadt oder <strong>in</strong> ländlichen Gebieten vorzuf<strong>in</strong>den waren. <strong>Die</strong> Erfahrung, nach langen<br />

Jahren der Arbeitslosigkeit unter Hitler wieder Beschäftigung zu f<strong>in</strong>den, söhnte zudem<br />

manchen Kritiker zum<strong>in</strong>dest teilweise mit dem ungeliebten Regime aus. Schließlich sprachen<br />

die Nationalsozialisten ganz gezielt auch die Arbeiterschaft mit den Mitteln der symbolischen<br />

Politik an: Der 1. Mai wurde zum Feiertag der nationalen Arbeit erhoben, womit e<strong>in</strong>e alte<br />

Forderung der sozialistischen Bewegung geschickt usurpiert wurde. <strong>Die</strong> Unterschiede<br />

zwischen den »Arbeiter der Stirn und der Faust« sollten aufgehoben werden, lautete e<strong>in</strong>e<br />

plakative Parole.<br />

Systematische Untersuchungen darüber, welche Erfolge die Nationalsozialisten mit ihrer<br />

Arbeiterpolitik erzielten, gibt es kaum. Derzeit s<strong>in</strong>d wir eher auf punktuelle Beobachtungen<br />

und Indizien angewiesen. Vor etlichen Jahren habe ich beispielsweise im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

regionalen Forschungsprojektes mit e<strong>in</strong>er größeren Zahl von Zeitzeugen aus Hannover-<br />

L<strong>in</strong>den (und zwar sowohl aus dem sozialdemokratischen Mehrheitsmilieu als auch aus dem<br />

katholischen Diasporamilieu) <strong>in</strong>tensive Gespräche geführt. Dabei hat sich e<strong>in</strong> sehr<br />

vielschichtiges und ambivalentes, zum Teil auch widersprüchliches Bild der Verhältnisse<br />

ergeben. Neben zahlreichen Episoden, die e<strong>in</strong>e vergleichsweise hohe Resistenz illustrieren,<br />

wurden ebenso auch gegenteilige Erfahrungen geschildert, etwa dass rote Fahnen quasi über<br />

Nacht durch Hakenkreuzfahnen ersetzt worden seien. E<strong>in</strong> Interviewpartner berichtete: »Kurz<br />

vor dem 30. Januar zog noch e<strong>in</strong>e kommunistische Schalmeien-Kapelle durch L<strong>in</strong>den. Unter<br />

ihnen waren welche, die e<strong>in</strong>ige Tage später <strong>in</strong> SA-Uniform durch die Straßen g<strong>in</strong>gen und<br />

Nazigegner verhafteten.«<br />

Völlig konträr hierzu steht die Er<strong>in</strong>nerung e<strong>in</strong>es katholischen Kaplans über e<strong>in</strong>e<br />

Straßenbahnfahrt durch L<strong>in</strong>den <strong>in</strong> den Kriegsjahren: »Stehe vorne neben dem Fahrer. Zivil,<br />

mit Schlips und so weiter. Bei den Nazis g<strong>in</strong>gen wir ja viel zivil. Und der f<strong>in</strong>g an, auf die<br />

Nazis zu schimpfen. Und da sage ich: Na, hören Sie mal, haben Sie ke<strong>in</strong>e Angst? Na, sieht<br />

man doch, was sie s<strong>in</strong>d. Wenn Sie auch e<strong>in</strong>en Schlips umhaben, dass Sie Pastor s<strong>in</strong>d. Da darf<br />

ich wohl ehrlich se<strong>in</strong> [...] <strong>Die</strong> Leute waren froh, wenn Sie mal etwas Dampf ablassen konnten<br />

[...] <strong>Die</strong> ganze Kirchenpolitik der Nazis hat uns ja näher zusammengeführt, die verschiedenen<br />

Konfessionen.«<br />

In der Diasporasituation – im hier betrachteten Beispiel also mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em als »rot«<br />

bekannten hannoverschen Arbeiterviertel – lebten die Katholiken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vergleichsweise<br />

unauffälligen und daher erträglichen Sondersituation. E<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Gesprächspartner hat<br />

gemutmaßt, dass der hier nur etwa 10 bis 15% ausmachende katholische Bevölkerungsteil von<br />

den Machthabern quasi als e<strong>in</strong>e zu vernachlässigende Größe angesehen wurde. Weitaus<br />

brisanter stellte sich dagegen die Konfrontation zwischen dem Katholizismus und dem<br />

Nationalsozialismus im Oldenburger Münsterland dar.<br />

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