Burn-out ist ansteckend
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S T R E S S<br />
BERUF<br />
<strong>Burn</strong>-<strong>out</strong> <strong>ist</strong> <strong>ansteckend</strong><br />
Erschöpfungsdepression <strong>ist</strong> nicht nur eine Folge der<br />
Selbstausbeutung, die fast überall gefördert wird. Sie <strong>ist</strong> auch<br />
<strong>ansteckend</strong>. Doch es gibt wirksame Gegenstrategien.<br />
VON Ilona Bürgel | 16. September 2013 - 07:38 Uhr<br />
© Julian Stratenschulte/dpa<br />
ILLUSTRATION - Eine Frau steht am 09.02.2012 in einem Treppenhaus in Hannover. Depressionen<br />
sind ein Volksleiden, doch bei vielen Patienten werden sie nicht erkannt. Der Europäische<br />
Depressionstag am kommenden Montag (1. Oktober) will auf die lange tabuisierte Krankheit<br />
aufmerksam machen und Verständnis für die Betroffenen wecken. Foto: Julian Stratenschulte dpa<br />
(zu dpa 0129 "Psychiater: Gute Arbeit kann das beste Antidepressivum sein" am 30.09.2012) +++(c)<br />
dpa - Bildfunk+++<br />
Wettbewerb, Zeitdruck, Le<strong>ist</strong>ung, Pflichten, Erwartungen. Stress an sich <strong>ist</strong> kein Problem.<br />
Negativer Stress entsteht durch unsere Bewertung einer Situation als unangenehm und nicht<br />
zu bewältigen, Angst einflößend. Dann konzentrieren wir uns auf die Probleme statt auf<br />
Lösungen und finden diese auch gar nicht, weil der so genannte Tunnelblick eintritt.<br />
Wir fahren heute die Ernte der letzten Jahre ein. Immer weniger Menschen mussten immer<br />
mehr le<strong>ist</strong>en, so dass die Batterien leer sind. Belastung können wir gut verkraften – wenn<br />
dieser angemessene Erholung folgt. Doch diese fehlte.<br />
Unsere Kultur der Selbstausbeutung <strong>ist</strong> nicht auf die Arbeit beschränkt, sondern<br />
findet genau so im Privatleben statt. Wir leben in einer Welt, in der keiner den ständig<br />
wachsenden Ansprüchen mehr gerecht werden kann. Weil es zu viele und zu hohe in allen<br />
Lebensbereichen gleichzeitig sind.<br />
Le<strong>ist</strong>ung <strong>ist</strong> eine geförderte Sucht<br />
Svenja Flaßpöhler hat sich in ihrem Buch Wir Genussarbeiter mit der Le<strong>ist</strong>ungssucht<br />
befasst. Sie schreibt, dass wir exzessiv, statt ekstatisch arbeiten . Während wir am<br />
Schreibtisch kein Ende finden und Überstunden schon nicht mehr als solche empfunden<br />
werden, müssen wir uns zum Genuss zwingen, werden wir unruhig, wenn es um uns<br />
ruhig und langsam wird. Arbeiten wir einmal nicht, sind wir immer noch in ständiger<br />
Betriebsamkeit (E-Mails, joggen, aufräumen).<br />
D R . I L O N A B Ü R G E L<br />
<strong>ist</strong> Psychologin und Referentin. In ihrem aktuellen Buch<br />
Jetzt denk ich wirklich nur an mich beschäftigt sie sich mit<br />
dem Faktor Wohlfühlen.<br />
Wir sind ständig mit unseren Gedanken woanders. Ärgern uns über das, was gestern war,<br />
machen uns Sorgen über Dinge, die wir hören und lesen und die (noch) gar nicht real sind.<br />
Diese Tendenz, sich mental auf Probleme oder Gefahren zu konzentrieren, wird in der<br />
Positiven Psychologie das "Katastrophische Gehirn" genannt.<br />
1
Die sich selbst erfüllende Zukunft<br />
BERUF<br />
In der TK-Studie 2012 gab jeder zweite an, dass der Stress im persönlichen und sozialen<br />
Umfeld zunehmen wird. Hier kommen die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen ins<br />
Spiel. Wir sehen, was wir erwarten, alles andere filtert unser Gehirn gnadenlos aus. Mit<br />
diesem so genannten "Bestätigungsirrtum" machen wir uns selbst kaputt. Wir verhalten uns<br />
nämlich auch so, dass es zu unseren Erwartungen passt und sagen dann "hab ich es doch<br />
gewusst".<br />
Totale Erschöpfung, am Ende seiner Kräfte zu sein, das, was oft mit dem Begriff "<strong>Burn</strong>-<br />
<strong>out</strong>" beschrieben wird, scheint der Endpunkt eines Weges zu sein, an dem man sich endlich<br />
einmal zurück ziehen darf, für sich sorgt und sozial akzeptiert "ich kann nicht mehr"<br />
sagt. Der allgemeine Konsens dahinter scheint zu sein, dass die Erkrankten richtig viel<br />
gele<strong>ist</strong>et haben müssen. Doch muss es wirklich erst so weit kommen, dass Krankheiten den<br />
Einzelnen und damit die Gesellschaft zu neuem Denken zwingen? Es steht zu fürchten.<br />
Denn wir Menschen machen ja immer gern weiter, so lange es nicht weh genug tut.<br />
Gefühle sind <strong>ansteckend</strong><br />
Arnold B. Bakker widmet sich an der Erasmus Universität Rotterdam diesem Thema.<br />
Er stellte fest, dass es Lebenspartnern selbst bei großer Anstrengung nicht gelingt, ihre<br />
Gefühle und Probleme bei der Arbeit von zu Hause fern zu halten. Dies betrifft zum<br />
Beispiel Erschöpfung und Zynismus, die als <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Bestandteile definiert sind.<br />
Was geschieht mit Menschen, wenn die Mehrheit eines Teams vor dem <strong>Burn</strong><strong>out</strong> steht oder<br />
umgekehrt engagiert und euphorisch <strong>ist</strong>? Auch hier gibt Arnold B. Bakker Antwort. Die<br />
"kollektive Stimmung" <strong>ist</strong> messbar. Das <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Niveau von Teams korreliert mit den<br />
individuellen <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Niveaus. Auch die Höhe des Gesamtengagements eines Teams sagt<br />
die Höhe des Engagements des Einzelnen voraus.<br />
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Reaktion der Unternehmen, mehr<br />
aufzuklären, der richtige Weg <strong>ist</strong> oder ob wir nicht gerade durch die Sensibilisierung für<br />
das Thema es selbst verstärken. Aufgrund der vermehrten Konfrontation mit der <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-<br />
Symptomatik ordnen Menschen viel eher kurzfr<strong>ist</strong>ig erlebte Symptome in diese Richtung<br />
ein und bewerten dann etwa Kopfschmerzen nicht mehr als Kopfschmerzen, sondern als<br />
Zeichen eines sich anbahnenden <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>s.<br />
Die psychologischen Hintergrundmechanismen<br />
Geschlecht, eigene Erfahrungen und Empfänglichkeit variieren den Grad und die<br />
Leichtigkeit der Übernahme von Gefühlen und Symptomen. Doch wie geschieht diese<br />
Übertragung?<br />
2
BERUF<br />
Andere Menschen fungieren wie Vorbilder, Symptome werden bemerkt und werden<br />
automatisch und unbewusst übernommen, so wie wir auch Gesten, Blicke oder Worte von<br />
anderen übernehmen.<br />
Gefühle können "aufgeschnappt werden" indem ich mich versuche, in eine Situation hinein<br />
zu versetzen (zum Beispiel was der Partner oder Kollege erlebt hat). Dabei werden ähnliche<br />
Situationen im eigenen Leben aktiviert und die Gefühle übernommen.<br />
Bei der empathischer Identifikation stellen wir uns vor, wie wir uns an Stelle der anderen<br />
Person fühlen würden. Dies <strong>ist</strong> besonders bei Paaren und Familien verbreitet, wo "einer die<br />
Last des anderen" ganz selbstverständlich trägt und es ungehörig scheint sich gut zu fühlen,<br />
wenn es dem andern schlecht geht.<br />
Unter dem Titel <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>? Nein, danke. Ich hab schon veröffentlichten Charlotte Kraus<br />
und Simon Hahnzog ihre Studie zu der Frage inwieweit <strong>Burn</strong><strong>out</strong> durch die Präsenz in<br />
Umfeld und Medien zur Verstärkung eigener Symptom führt.<br />
Neu <strong>ist</strong>, dass die Übertragung von negativen Gefühlen und <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Symptomen keine<br />
Anwesenheit von Menschen braucht, sondern durch die mediale Präsenz des Themas<br />
zustande kommt. Wir hören, lesen, sehen immer öfter davon, die gefühlte <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Präsenz<br />
wächst unaufhörlich und beeinflusst die Einschätzung des eigenen <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>-Zustandes.<br />
So schützen Sie sich und andere<br />
Ist der Anstieg von psychischen Erkrankungen wirklich so groß wie berichtet? Dieser Frage<br />
ging der Gesundheitsreport der DAK 2013 nach und sagt eindeutig: nein.<br />
Zum einen sei die Bereitschaft der Ärzte gestiegen, mit psychischen Ziffern krank zu<br />
schreiben, vor allem aber die Bereitschaft der Betroffenen, über ihre Beschwerden zu<br />
sprechen. Früher wurde wegen Magen- oder Rückenproblemen eine Auszeit genommen,<br />
heute nennt man das Kind eher beim Namen.<br />
Norbert Schmacke , Professor am Institut für Public Health an der Universität Bremen<br />
bestätigt, dass es bis in die 80er Jahre eine klare Tabuisierung psychologischer<br />
Erkrankungen in Deutschland gab. Als Quelle für Krankenkassen und Rentenversicherer,<br />
auf die die Behauptung der Zunahme psychischer Erkrankungen gestützt wird, werden<br />
immer die Diagnosen und Kodierungen der Ärzte genommen. Belastbare Belege wie<br />
standardisierte Längsschnittstudien lägen nicht vor.<br />
Neue Perspektiven einnehmen<br />
Wenn etwa jeder Zehnte über chronischen Stress klagt, heißt das auch, dass neun von zehn<br />
keinen chronischen Stress haben.<br />
Mehr als drei Viertel der Beschäftigten fühlen sich den Anforderungen gewachsen<br />
und schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand besser ein als der EU-<br />
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BERUF<br />
Durchschnittsarbeitnehmer sagt die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland des<br />
Robert-Koch-Instituts: Knapp 77 Prozent der Männer und 73 Prozent der Frauen bewerten<br />
ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut.<br />
Der Frage, ob das Thema Erreichbarkeit ein Krankmacher <strong>ist</strong>, ging der DAK<br />
Gesundheitsreport 2012 nach und befragte dazu 3.000 Erwachsene. 51,7 Prozent der<br />
Menschen, deren Kollegen und Vorgesetzte ihre privaten Nummern haben, werden nie<br />
angerufen, nur 7,5 Prozent der Befragten fühlen sich durch telefonische Erreichbarkeit<br />
etwas oder erheblich belastet. 78,9 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu "Mein<br />
Arbeitgeber akzeptiert, wenn ich außerhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar bin".<br />
Auch hier scheint uns also unser Gehirn einen Streich zu spielen, indem wir mehr Druck<br />
empfinden, als real ex<strong>ist</strong>iert, in einer Art voraus eilendem Gehorsam "bereiter" sind als<br />
nötig.<br />
Erfreulicherweise können wir uns auch mit guten Gefühlen wir Energie und Enthusiasmus<br />
anstecken. Ein gutes Gefühl bei der Arbeit hat positiven Einfluss auf das Privatleben. Wer<br />
nach einen angenehmen erfolgreichen Tag nach Hause kommt, <strong>ist</strong> eher bereit, den anderen<br />
zu unterstützen. Das gute private Klima kommt zurück zur Arbeit.<br />
Betroffene unterstützen und Teams schützen<br />
Vermitteln und erwerben Sie Wissen über Stress und <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong>, aber legen Sie darauf nicht<br />
den Fokus. Die neue Gehirnforschung zeigt: Je häufiger wir etwas wiederholen, umso<br />
stärker werden die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn. Also raus aus der Problem – hin<br />
zu Lösungsorientierung.<br />
Schauen Sie hin statt weg bei Anzeichen von <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong> wie Erschöpfung, Zynismus,<br />
abwertender Kommunikation und Ineffizienz. Reagieren Sie lieber einmal zu früh als<br />
einmal zu spät. Denn auch wenn immer mehr Menschen Hilfe wegen psychischer Probleme<br />
suchen, <strong>ist</strong> die Erwartung von Verständnis bei Kollegen und Chef gering. Dies hat zur<br />
Folge, dass trotz eingeschränkter Befindlichkeit zur Arbeit gegangen wird.<br />
Die besten Tipps für ein Leben ohne <strong>Burn</strong>-<strong>out</strong><br />
Geben Sie die Illusion auf, wir könnten Arbeit und Privatleben trennen. Sorgen Sie lieber<br />
dafür, dass Sie in einem guten Zustand nach Hause kommen. Me<strong>ist</strong> verbrauchen wir alle<br />
Kraft bei der Arbeit und verhalten uns dann, wie wir es Kunden oder Kollegen gegenüber<br />
nie tun würden.<br />
Jeder sollte nach der Arbeit zunächst einmal allein Stress abbaut. Zum Beispiel durch Sport<br />
oder zumindest einen kleinen Weg zu Fuß, denn der Körper baut das Stresshormon Cortisol<br />
durch Bewegung ab. Führen Sie Rituale zum Schaffen von Abstand ein. Nutzen Sie Musik<br />
und Entspannungs-CDs auf dem Heimweg oder schreiben Sie sich den Frust von der Seele.<br />
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Egoismus 2.0<br />
BERUF<br />
Es <strong>ist</strong> ego<strong>ist</strong>isch, nicht gut für sich zu sorgen, weil wir dann von anderen die Lieferung der<br />
Zutaten für unser Wohlbefinden erwarten. Ermutigen Sie also und leben Sie vor wie es <strong>ist</strong>,<br />
gut für sich zu sorgen.<br />
Glück und Gesundheit brauchen ge<strong>ist</strong>ige Disziplin. Als günstig gilt der Quotient von drei<br />
zu eins. Das heißt: Auf jedes schlechte Gefühl sollten mindestens drei gute kommen. Diese<br />
Quote kann man erheblich verbessern, indem man nur lernt, mehr auf die guten Dinge im<br />
Leben zu achten.<br />
Glück bedeutet viele kleine tägliche Annehmlichkeiten und ein generelles Gefühl der<br />
Zufriedenheit mit dem Leben, nicht seltene emotionalen Highlights wie eine Hochzeit. Also<br />
umgedacht und Augen auf!<br />
Betreiben Sie Gedankenhygiene – so wie Sie ja auch regelmäßig Ihre Zähne putzen. Yoga,<br />
Meditation, Achtsamkeitsübungen helfen dem Ge<strong>ist</strong>, sich zu beruhigen.<br />
Schluss mit negativer Stimmung<br />
Sie entscheiden, wie lange Sie Ärger, Missmut, Zweifel und Sorgen in Ihrem Kopf<br />
zulassen. Schalten Sie bewusst auf konstruktives Denken um.<br />
Halten Sie sich fern von schlechten Nachrichten in den Medien, limitieren Sie die Zeit, in<br />
der Sie sich schlechte Erfahrungen von Freunden und Familie anhören, stoppen Sie Klatsch<br />
und Tratsch.<br />
Wenn Sie Enttäuschungen oder Verletzungen nicht vergessen können hilft die<br />
Schreibtechnik nach Pennebaker. Schreiben Sie an vier aufeinander folgenden Tagen je 20<br />
Minuten (Wecker stellen) auf, was genau geschehen <strong>ist</strong> und welche Gefühle das in Ihnen<br />
ausgelöst hat. Beschreiben Sie Schlimmes, Peinliches und Schmerzvolles. So kommt es in<br />
den Verarbeitungsmodus des Gehirns.<br />
Erschienen in der WirtschaftsWoche<br />
COPYRIGHT: ZEIT ONLINE<br />
ADRESSE: http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-09/burn<strong>out</strong>-<strong>ansteckend</strong><br />
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