Wolfgang Pohrts Theorie des Gebrauchswerts - HAL
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216 Kolja Lindner<br />
es gibt nichts Unverstümmeltes mehr – von dem, was unter den Tauschvorgängen<br />
sich verbirgt“ (Adorno 1969b, 751), gilt Adornos Erkenntnisinteresse.<br />
Zwar ist sicher die „fahrlässige Vermischung der Rede von Dialektik und<br />
Subsumtionslogik“ (Hafner 1989, 69) Grundlage für den Umgang der Kritischen<br />
<strong>Theorie</strong> mit dem Gebrauchswertbegriff. Dennoch sollte nicht übersehen<br />
werden, dass die Feststellung einer kapitalistischen Formbestimmung <strong>des</strong> <strong>Gebrauchswerts</strong><br />
die gegenüber Marx’ Zeiten weit fortgeschrittene Durchkapitalisierung<br />
der Welt im 20. Jahrhundert auszudrücken versucht. Dies ist ein Fortschritt<br />
gegenüber einem naiven Begriff <strong>des</strong> <strong>Gebrauchswerts</strong>, der allein auf die<br />
Interaktion zwischen Mensch und Natur abhebt und in diesem Verhältnis keine<br />
gesellschaftlichen Bestimmungen zu lokalisieren vermag. Außerdem muss<br />
für die Kritische <strong>Theorie</strong> festgehalten werden, dass trotz aller Subsumtionslogik<br />
die Diagnose eines völlig dem Kapital einverleibten Gebrauchswert ambivalent<br />
bleibt. Dies liegt nicht nur an den verschiedenen Versionen und Kontexten,<br />
in denen sie in über 25 Jahren theoretischer Arbeit präsentiert wird,<br />
sondern auch an Adornos schillernder Konzeption von Gesellschaft. Diese sei<br />
die Gebrauchswerte subsumierende Totalität (vgl. Adorno 1968, 364), zugleich<br />
jedoch „der fortwesende Antagonismus“ (Adorno 1962b, 620) und die<br />
mit ihm gesetzte Möglichkeit der Überwindung von Totalität (vgl. Adorno<br />
1965, 14f.). Für den hiesigen Zusammenhang ist dies insofern von Bedeutung,<br />
als dass bei Adorno durchaus die Hoffnung besteht, gesellschaftliche Auseinandersetzung<br />
würde die bestehende Totalität der Produktionsverhältnisse<br />
umwerfen und die Gebrauchswerte aus ihrer gesellschaftlichen Verklammerung<br />
lösen, d.h. ihr emanzipatorisches Potenzial – so sie über ein solches im<br />
Sinne <strong>des</strong> bien-êtres der Menschheit verfügen – zur Geltung bringen (vgl.<br />
Adorno 1968, 362ff.) 3 . Die Hermetik der Konzeption einer gesellschaftlichen<br />
Totalität, wie sie spätestens seit den 1940er Jahren Adornos Werk bestimmt,<br />
steht also in Kontrast zu der Diagnose, dass der zeitgenössische Gesellschaftszustand<br />
„die Resultante von Kräften“ sei, „deren Spannung ihn zu zerreißen<br />
droht“ (ebd., 363). Formulierungen wie die von einer „antagonistischen<br />
Totalität“ (Adorno/Jaerisch 1968, 187) versuchen diese widersprüchliche Bestimmung<br />
einzufangen. Seine Eigentümlichkeit erhält der Kontrast von Ant-<br />
3 Daher entsteht für Adorno die Idee der Freiheit erst aufgrund eines gewissen, kapitalistischen<br />
Entwicklungsstan<strong>des</strong> der Produktivkräfte, d.h. nachdem die notwendige Arbeit<br />
auf ein verschwindend geringes Minimum zusammengeschmolzen und potentiell der<br />
physische Mangel der Menschheit beseitigt ist (vgl. Adorno 1962b, 618ff.). Dies ist ein<br />
– wie zu zeigen sein wird – in Gänze problematischer Gedanke, der auch für Pohrt einen<br />
zentralen Stellenwert besitzt. Letztlich ist <strong>des</strong>sen Begriff <strong>des</strong> emphatischen <strong>Gebrauchswerts</strong><br />
in der Kritischen <strong>Theorie</strong> implizit schon enthalten.