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Theoretische Physik: Mechanik - Skriptum zur Vorlesung - Laserphysik

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<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong><br />

- <strong>Skriptum</strong> <strong>zur</strong> <strong>Vorlesung</strong> -<br />

Prof. Dr. H.-J. Kull<br />

Fraunhofer Institut für Lasertechnik<br />

und<br />

Lehr- und Forschungsgebiet <strong>Laserphysik</strong><br />

Institut für <strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong> A<br />

Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule<br />

Aachen<br />

13. Februar 2007


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Grundprinzipien der <strong>Mechanik</strong> 4<br />

2 Eindimensionale Bewegungen 9<br />

2.1 Elementar lösbare Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

2.2 Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

2.2.1 Freie ungedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

2.2.2 Freie gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

2.2.3 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

2.3 Bewegungen mit veränderlicher Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

3 Kinematik 26<br />

3.1 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

3.1.1 Galileisches Relativitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

3.1.2 Galileitransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

3.1.3 Orthogonale Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

3.2 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

3.2.1 Translatorisch beschleunigtes Bezugssystem . . . . . . . . . . 34<br />

3.2.2 Rotierendes Bezugssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

3.2.3 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . 39<br />

3.2.4 Begleitendes Dreibein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />

4 Newtonsche <strong>Mechanik</strong> 43<br />

4.1 Newtonsche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

4.2 Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

4.2.1 Impulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

1


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 2<br />

4.2.2 Drehimpulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

4.2.3 Energiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

4.3 Systeme von Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

4.3.1 Additive Bewegungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

4.3.2 Impulssatz und Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

4.3.3 Drehimpulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

4.3.4 Energiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

4.3.5 Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />

4.4 Zentralpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

4.5 Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

4.6 Coulomb-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

4.6.1 Ablenkwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

4.6.2 Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />

4.6.3 Streuung an harten Kugeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />

4.6.4 Rutherfordscher Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . 72<br />

4.7 Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

5 Lagrangesche <strong>Mechanik</strong> 78<br />

5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />

5.1.1 Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />

5.1.2 Zwangskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />

5.2 Lagrangegleichungen erster Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />

5.2.1 D’Alembertsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

5.2.2 Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften . . . . . . . . . . . 87<br />

5.3 Lagrangegleichungen zweiter Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

5.3.1 Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />

5.3.2 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />

5.3.3 Erhaltungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

5.4 Variationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

5.4.1 Eulersche Gleichung der Variationsrechung . . . . . . . . . . . 97<br />

5.4.2 Hamiltonsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />

5.5 Symmetrien und Erhaltungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />

5.6 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 3<br />

5.6.1 Entwicklung um die Gleichgewichtslage . . . . . . . . . . . . . 106<br />

5.6.2 Schwingungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />

5.7 Starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109<br />

5.7.1 Freiheitsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109<br />

5.7.2 Eulersche Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

5.7.3 Winkelgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

5.7.4 Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />

5.7.5 Eulersche Kreiselgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />

5.7.6 Kräftefreie Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />

6 Hamiltonsche <strong>Mechanik</strong> 118<br />

6.1 Kanonische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118<br />

6.2 Modifiziertes Hamiltonsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />

6.3 Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

6.4 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />

6.5 Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

7 Relativistische <strong>Mechanik</strong> 125<br />

7.1 Relativitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

7.2 Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />

7.3 Der Abstand von Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

7.3.1 Raumzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

7.3.2 Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130<br />

7.3.3 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

7.3.4 Eigenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />

7.3.5 Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />

7.4 Vierervektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133<br />

7.5 Relativistische <strong>Mechanik</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134


Kapitel 1<br />

Grundprinzipien der <strong>Mechanik</strong><br />

Die <strong>Mechanik</strong> beruht auf Grundbegriffen wie Raum, Zeit, Masse, Kraft und Energie,<br />

die in der Geschichte der <strong>Physik</strong> immer wieder zu unterschiedlichen Interpretationen<br />

Anlaß gaben. Wir wollen hier voraussetzen, daß es hinreichend genaue Meßverfahren<br />

gibt, die die physikalischen Größen jeweils durch eine Meßvorschrift definieren.<br />

Daher verwenden wir diese Begriffe hier ohne weitere Definition in ihrer üblichen<br />

physikalischen Bedeutung. Einleitend stellen wir einige der Grundprinzipien der <strong>Mechanik</strong><br />

zusammen. Die Newtonschen Gesetze und die sich aus ihnen ergebenden<br />

Folgerungen werden ausführlicher in einem späteren Kapitel behandelt.<br />

Impulssatz<br />

Eine Masse m, die sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, besitzt den Impuls p =<br />

mv. Das wichtigste Grundgesetz der <strong>Mechanik</strong> besteht in der Aussage, daß <strong>zur</strong><br />

zeitlichen Änderung des Impulses eine äußere Einwirkung in Form einer Kraft F<br />

notwendig ist. Dies wird durch den Impulssatz formuliert,<br />

dp<br />

dt<br />

= F . (1.1)<br />

Der Impulssatz wird auch Newtonsche Grundgleichung der <strong>Mechanik</strong> oder Newtonsche<br />

Bewegungsgleichung genannt.<br />

Massenpunkt<br />

Die Masse wird hier als punktförmig angenommen. Daher kann der Ort der Masse<br />

bereits durch die Angabe der Koordinaten eines Punktes festgelegt werden. Man<br />

spricht von der Bewegung von Massenpunkten bzw. von Punktmechanik.<br />

4


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 5<br />

Definition 1.1 Ein Körper dessen gesamte Masse in einem Punkt vereinigt ist,<br />

heißt Massenpunkt.<br />

Ein Massenpunkt stellt eine Idealisierung eines ausgedehnten Körpers dar. Diese<br />

Idealisierung setzt voraus, daß die Eigenbewegungen des Körpers, d.h. Drehungen<br />

und Deformationen, für den betrachteten Vorgang vernachlässigt werden können.<br />

Neben der Punktmechanik gibt es die <strong>Mechanik</strong> des starren Körpers und die Kontinuumsmechanik.<br />

Diese stellen Verallgemeinerungen der Punktmechanik auf ausgedehnte<br />

starre Körper bzw. auf deformierbare Medien dar.<br />

Inertialsystem<br />

Der Ort eines Massenpunktes kann nur relativ zu einem Bezugssystem angegeben<br />

werden. In der <strong>Mechanik</strong> spielen bestimmte Bezugssysteme eine ausgezeichnete Rolle,<br />

die als Inertialsysteme bezeichnet werden.<br />

Definition 1.2 Ein Inertialsystem ist ein Bezugssystem, in dem sich ein kräftefreier<br />

Körper geradlinig und gleichförmig bewegt.<br />

Erfahrungsgemäß sind Bezugssysteme, die gegenüber dem Fixsternhimmel ruhen<br />

oder sich gegenüber dem Fixsternhimmel mit konstanter Geschwindigkeit bewegen,<br />

Inertialsysteme.<br />

In einem Inertialsystem verwenden wir ein kartesisches Koordinatensystem mit den<br />

Koordinaten x, y, z und messen die Zeit t mit einer Uhr. Die Bewegung eines Massenpunktes<br />

läßt sich dann durch einen zeitabhängigen Ortsvektor<br />

r(t) = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez<br />

(1.2)<br />

darstellen, wobei ex, ey, ez die Basisvektoren des Koordinatensystems bezeichnen<br />

(Abb.(1.1)).<br />

Bewegung und Bahnkurve<br />

Vom mathematischen Standpunkt aus ist eine Bewegung eine Abbildung.<br />

Definition 1.3 Eine differenzierbare Abbildung t ↦→ r(t), die jedem Zeitpunkt t<br />

einen Ortsvektor r(t) zuordnet, nennt man eine Bewegung. Das Bild der Abbildung<br />

nennt man die Bahnkurve.<br />

Die Eindeutigkeit, Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Abbildung beinhalten physikalische<br />

Annahmen: Aus der Eindeutigkeit folgt, daß sich der Massenpunkt zu<br />

jedem Zeitpunkt t an genau einem Ort r(t) befindet. Aus der Stetigkeit folgt, daß


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 6<br />

r(t)<br />

Abbildung 1.1: Bahnkurve eines Massenpunktes<br />

die Bahn keine Sprünge macht (natura non facit saltus). Aus der (zweimaligen)<br />

Differenzierbarkeit der Abbildung folgt, daß die Bewegung gemäß (1.1) aus der Impulsänderung<br />

bestimmt werden kann. Die erste Ableitung der Funktion r(t) nach<br />

der Zeit definiert die Geschwindigkeit, die zweite Ableitung die Beschleunigung,<br />

r(t+dt)<br />

r(t)<br />

dr<br />

dv<br />

v(t+dt)<br />

Abbildung 1.2: Änderungen des Ortsvektors und des Geschwindigkeitsvektors<br />

v(t) = ˙r = lim<br />

ɛ→0<br />

a(t) = ˙v = lim<br />

ɛ→0<br />

r(t + ɛ) − r(t)<br />

,<br />

ɛ<br />

v(t + ɛ) − v(t)<br />

.<br />

ɛ<br />

v(t)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 7<br />

Hier und im folgenden werden Zeitableitungen oft durch einen Punkt gekennzeichnet<br />

Determinismus<br />

˙r = dr<br />

. (1.3)<br />

dt<br />

Zur Bestimmung der Bewegung aus der Grundgleichung (1.1) ist eine Kenntnis des<br />

Kraftgesetzes notwendig. Eine allgemeine Aussage hierzu macht das Newtonsche<br />

Gesetz des Determinismus: Jede Bewegung wird eindeutig durch die Vorgabe von<br />

Anfangswerten für den Ort und die Geschwindigkeit festgelegt, d.h.<br />

r(t) = r(t; r0, v0, t0),<br />

wobei die Anfangswerte mit dem Index 0 bezeichnet werden. Differenziert man diese<br />

Funktion zweimal nach t und wertet das Ergebnis <strong>zur</strong> Zeit t0 aus, so folgt<br />

a(t0) = ¨r(t0; r0, v0, t0)<br />

Da der Anfangspunkt t0 beliebig ist, muß die Beschleunigung eine Funktion von den<br />

Variablen t, r, und v darstellen. Damit besitzt die Kraft in (1.1) die allgemeine<br />

Form<br />

Phasenraum<br />

F = F (r, v, t). (1.4)<br />

Eine Bahnkurve durch einen Punkt r im Ortsraum ist nicht eindeutig. Man kann in<br />

jedem Punkt die Geschwindigkeit noch beliebig wählen. Insbesondere kann sich eine<br />

Bahnkurve im Ortsraum schneiden. Es ist daher oft von Vorteil die Bewegung in<br />

einem erweiterten Raum, dem Phasenraum darzustellen. Ein Punkt im Phasenraum<br />

wird durch die Komponenten des Orts- und Impulsvektors (r, p) angegeben. Die<br />

Bewegungsgleichung definiert im Phasenraum ein Richtungsfeld ( ˙r, ˙p) durch:<br />

˙r = 1<br />

p, ˙p = F . (1.5)<br />

m<br />

Eine Bahnkurve im Phasenraum ist eine Integralkurve, deren Tangente in jedem<br />

Punkt durch das Richtungsfeld (1.5) bestimmt ist. Da die Richtung der Kurve in<br />

jedem Punkt eindeutig bestimmt ist, kann sich eine Phasenraumkurve nicht schneiden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 8<br />

Gültigkeitsgrenzen der <strong>Mechanik</strong><br />

Die Bewegungsgesetze der <strong>Mechanik</strong> erlauben im Prinzip die exakte Vorhersage<br />

der zukünftigen Entwicklung des Systems. Sie sind streng deterministisch, d.h. der<br />

zukünftige Zustand wird eindeutig durch die Kenntnis des Anfangszustandes zu<br />

einem Zeitpunkt bestimmt.<br />

Die Erfolge der Newtonschen <strong>Mechanik</strong> haben anfänglich zu der Ansicht geführt,<br />

daß alle Naturvorgänge exakt den mechanischen Gesetzen gehorchen und durch<br />

diese erklärt werden können (mechanistisches Weltbild). Heute wissen wir, daß die<br />

<strong>Mechanik</strong> ein mathematisches Modell ist, welches empirische Beobachtungen nur<br />

innerhalb bestimmter Gültigkeitsgrenzen beschreiben kann. Die folgenden Beispiele<br />

sollen dies verdeutlichen:<br />

• Die Vorhersagbarkeit eines Systems wird durch die Quantentheorie (Unschärferelation)<br />

prinzipiell eingeschränkt. Die Größe der Quanteneffekte wird durch<br />

das Plancksche Wirkungsquantum charakterisiert. Man unterscheidet daher<br />

zwischen klassischer <strong>Mechanik</strong> ( → 0) und der Quantenmechanik ( = 0).<br />

• Für Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit c müssen die Gesetze der<br />

<strong>Mechanik</strong> entsprechend der speziellen Relativitätstheorie modifiziert werden.<br />

Man unterscheidet hierbei die nichtrelativistische <strong>Mechanik</strong> (v ≪ c) und die<br />

relativistische <strong>Mechanik</strong> (v ≈ c).<br />

• In starken Gravitationsfeldern ist die Newtonsche Theorie der Gravitationskräfte<br />

nicht mehr anwendbar. Die relativistische Gravitationstheorie von Einstein<br />

führt Gravitationskräfte auf Trägheitskräfte <strong>zur</strong>ück, die infolge der<br />

Krümmung des Raumes durch Massen auftreten.<br />

• Die Theorie der nichtlinearen Dynamik zeigt, daß der Vorhersagbarkeit eines<br />

nichtlinearen Systems bereits im Rahmen der Newtonschen <strong>Mechanik</strong> prinzipielle<br />

Grenzen gesetzt sind. Die Lösungen nichtlinearer Bewegungsgleichungen<br />

hängen i.a. in komplizierter Weise von den Anfangsbedingungen ab und können<br />

bei beliebig kleinen Änderungen des Anfangszustandes zu ganz unterschiedlichen<br />

Ergebnissen führen (deterministisches Chaos).<br />

Trotz diesen Einschränkungen ist die klassische <strong>Mechanik</strong> auch heute noch von<br />

großer Bedeutung für viele Gebiete der <strong>Physik</strong>, wie z.B. die Astronomie, die Erforschung<br />

des Weltraums oder die Molekulardynamik. Mit dem Einsatz moderner<br />

Computer kann das mechanische Verhalten von Vielteilchensystemen mit mehr als<br />

10 4 Teilchen untersucht werden.


Kapitel 2<br />

Eindimensionale Bewegungen<br />

Im folgenden betrachten wir eindimensionale Bewegungen x = x(t), die einer Bewegungsgleichung<br />

2. Ordnung<br />

m¨x = F (x, ˙x, t)<br />

mit den Anfangsbedingungen<br />

x(0) = x0, v(0) = v0<br />

genügen. Die wesentliche physikalische Einschränkung ist hierbei, daß die x-<br />

Komponente der Kraft F (x, ˙x, t) unabhängig ist von den restlichen Koordinaten y,<br />

z und Geschwindigkeiten ˙y, ˙z des Massepunktes. Die Bewegung in der x-Richtung<br />

ist dann unabhängig von der Bewegung in der y oder z Richtung.<br />

2.1 Elementar lösbare Fälle<br />

Zeitabhängige Kraft<br />

Hängt die Kraft nur von der Zeit ab, F = F (t), so kann die Bewegungsgleichung<br />

durch Integration direkt gelöst werden,<br />

v(t) = v0 + 1<br />

m<br />

x(t) = x0 +<br />

9<br />

t<br />

0<br />

t<br />

0<br />

dt ′ F (t ′ )<br />

dt ′ v(t ′ )


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 10<br />

Geschwindigkeitsabhängige Kraft<br />

Ist die Kraft nur von der Geschwindigkeit abhängig, F = F (v), so bestimmt man<br />

zunächst die Funktion t = t(v) durch<br />

dt(v)<br />

dv<br />

= 1<br />

˙v<br />

<br />

t =<br />

v0<br />

v<br />

= m<br />

F (v)<br />

′ m<br />

dv<br />

F (v ′ )<br />

(2.1)<br />

Die gesuchte Funktion v = v(t) ist die Umkehrfunktion von t = t(v). Die Umkehrfunktion<br />

existiert lokal in der Umgebung eines Punktes v∗ falls t ′ (v∗) = 0. Dann<br />

ist dt = t ′ (v∗)dv nach dv = dt/t ′ (v∗) auflösbar. Mit v(t) erhält man x(t) durch<br />

Integration<br />

Ortsabhängige Kraft<br />

x(t) = x0 +<br />

t<br />

0<br />

dt ′ v(t ′ ). (2.2)<br />

Besondere Bedeutung haben Kräfte F = F (x), die nur vom Ort abhängen. Für<br />

diese Kräfte existiert ein Energieerhaltungssatz. Multipliziert man die Bewegungsgleichung<br />

mit ˙x, so gilt<br />

m¨x ˙x = F (x) ˙x,<br />

<br />

d 1<br />

m ˙x2 =<br />

dt 2 d<br />

⎛<br />

<br />

⎝<br />

dt<br />

x(t)<br />

a<br />

dx ′ F (x ′ )<br />

Definiert man die kinetische Energie T (v) und die potentielle Energie U(x) durch<br />

T (v) = 1<br />

2 mv2 , U(x) = −<br />

x<br />

a<br />

⎞<br />

⎠ .<br />

dx ′ F (x ′ ), U(a) = 0 (2.3)<br />

mit einem beliebigen Bezugspunkt a, so folgt daraus der Energieerhaltungssatz<br />

d<br />

(T + U) = 0, T (v) + U(x) = E. (2.4)<br />

dt<br />

Die Gesamtenergie E ist eine Konstante, die bei der Bewegung, x = x(t), v = v(t)<br />

erhalten bleibt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 11<br />

Bewegung im Potential, Umkehrpunkte, Gleichgewichte<br />

Aus dem Energiesatzes können wichtige Folgerungen für die Bewegung des Massepunktes<br />

gezogen werden. Dazu verwendet man häufig eine graphische Darstellung<br />

der Energie als Funktion der Koordinate x (Abb. (2.1)). Die potentielle Energie<br />

y = U(x) ist eine Funktion von x, die Gesamtenergie y = E eine vorgegebene Konstante.<br />

Die kinetische Energie am Ort x ergibt sich aus der Differenz T = E − U(x).<br />

Da die kinetische Energie nie negativ sein kann, ist die Bewegung auf Gebiete mit<br />

E −U(x) > 0 eingeschränkt, d.h. auf diejenigen Gebiete in denen die Potentialkurve<br />

y = U(x) unterhalb der horizontalen Geraden y = E verläuft.<br />

Die Umkehrpunkte x = xu der Bewegung werden definiert durch die Nullstellen von<br />

E − U(xu) = 0. (2.5)<br />

An den Umkehrpunkten gilt T = 0 und daher auch v = 0. Im Umkehrpunkt ist die<br />

Kraft i.a. ungleich Null, so daß die Bewegung nicht <strong>zur</strong> Ruhe kommt, sondern nur<br />

ihre Richtung umkehrt. Aus der Definition des Potentials folgt, daß die Kraft immer<br />

in der Richtung des abnehmenden Potentials gerichtet ist,<br />

F (x) = − dU(x)<br />

. (2.6)<br />

dx<br />

Verläuft eine Bahn zwischen zwei Umkehrpunkten, so ist die Bewegung periodisch.<br />

Gleichgewichtspunkte x = xg, die eine mögliche Ruhelage darstellen, werden definiert<br />

durch die Nullstellen der Kraft, bzw. die Extrema des Potentials,<br />

F (xg) = − dU(xg)<br />

dx<br />

= 0 . (2.7)<br />

Um die Stabilität eines solchen Kräftegleichgewichts zu untersuchen, entwickelt man<br />

das Potential um den Gleichgewichtspunkt bis <strong>zur</strong> zweiten Ordnung,<br />

U(x) = U(xg) + dU(xg)<br />

dx (x − xg) + 1<br />

2<br />

d2U(xg) dx2 (x − xg) 2 .<br />

Wegen der Gleichgewichtsbedingung (2.7) verschwindet die erste Ordnung, so daß<br />

die Kraft durch die zweite Ordnung bestimmt wird,<br />

F (x) = − d2U(xg) dx2 (x − xg).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 12<br />

Abhängig vom Vorzeichen der zweiten Ableitung des Potentials unterscheidet man<br />

stabile und instabile Gleichgewichte,<br />

d 2 U(xg)<br />

dx 2 > 0, stabil<br />

d 2 U(xg)<br />

dx 2 < 0, instabil<br />

Ein stabiles Gleichgewicht entspricht also einem Potentialminimum, ein instabiles<br />

einem Potentialmaximum.<br />

y<br />

E<br />

E<br />

E<br />

E<br />

E<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

Phasenebene<br />

y=<br />

U(x)<br />

x<br />

Abbildung 2.1: Bewegung im Potential<br />

U(x) bei verschiedenen Energien.<br />

E1: Stabiles Gleichgewicht, E2: Periodische<br />

Bewegung im linken Potentialminimum,<br />

stabiles Gleichgewicht im<br />

rechten Potentialminimum, E3: Periodische<br />

Bewegungen in beiden Minima,<br />

E4: Instabiles Gleichgewicht, Grenzkurve<br />

zwischen den periodischen Bewegungen<br />

unterhalb und oberhalb des Potentialmaximums,<br />

E5: Periodische Bewegung<br />

oberhalb des Potentialmaximums.<br />

Der Phasenraum einer eindimensionalen Bewegung ist die durch (x, p) aufgespannte<br />

Phasenebene. Die Kurven, die eine Bewegung in der Phasenebene durchläuft, werden<br />

durch den Energiesatz bestimmt,<br />

p 2<br />

2m + U(x) = E, p = ± 2m(E − U(x)).<br />

Abbildung (2.2) zeigt die der Potentialdarstellung (2.1) entsprechenden Kurven in<br />

der Phasenebene. Die Kurven werden im Uhrzeigersinn durchlaufen. Kurven zu verschiedenen<br />

Energien dürfen sich nicht schneiden, da sie durch eine Anfangsbedingung<br />

(x, p) bereits eindeutig festgelegt sind. Sie bilden daher ein System ineinandergeschachtelter<br />

Ringe um die stabilen Gleichgewichtspunkte. Die Kurve durch den instabilen<br />

Gleichgewichtspunkt nennt man Separatrix, da Sie Bereiche mit qualitativ<br />

verschiedenen Kurven voneinander trennt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 13<br />

p<br />

Zeitabhängigkeit der Bewegung, Periode<br />

x<br />

Abbildung 2.2: Bewegung in der Phasenebene.<br />

Die einzelnen Kurven entsprechen den<br />

Energien in Abbildung (2.1). Die auf der<br />

x-Achse hervorgehobenen Punkte sind die<br />

Gleichgewichtspunkte. Durch den mittleren<br />

instabilen Gleichgewichtspunkt geht die Separatrix.<br />

Ausgehend vom Energiesatz erhält man für die Geschwindigkeit den Ausdruck,<br />

v = dx<br />

<br />

2<br />

= ± (E − U(x)).<br />

dt m<br />

Das Vorzeichen wird durch das Vorzeichen der Anfangsgeschwindigkeit und nachfolgende<br />

Vorzeichenwechsel an den Umkehrpunkten bestimmt. Damit läßt sich<br />

zunächst die Funktion t = t(x) als Integral darstellen<br />

dt<br />

dx<br />

t(x) =<br />

= 1<br />

dx<br />

dt<br />

x<br />

<br />

x0<br />

=<br />

1<br />

v(x, E)<br />

dx ′<br />

<br />

2 ± m (E − U(x′ . (2.8)<br />

))<br />

Durch die Bildung der Umkehrfunktion erhält man aus t = t(x) die gesuchte Bewegung<br />

x = x(t). Die Umkehrfunktion existiert lokal für t ′ (x) = 1/v = 0.<br />

Ist die Bewegung periodisch so erhält man die Periode T durch eine Integration über<br />

einen Umlauf. Sind die beiden Umkehrpunkte der Bahn x1 und x2, dann gilt<br />

x2<br />

T =<br />

x1<br />

dx<br />

+<br />

2 (E − U)<br />

m<br />

=<br />

x2<br />

dx<br />

2 <br />

2 (E − U)<br />

m<br />

x1<br />

x1<br />

x2<br />

dx<br />

<br />

2 − (E − U)<br />

m<br />

(2.9)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 14<br />

Lineares Kraftgesetz<br />

Ist die Kraft linear in x und ˙x, so sind spezielle Lösungsmethoden für lineare Differentialgleichungen<br />

anwendbar. Ein wichtiges Beispiel hierzu ist der harmonische<br />

Oszillator, der im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt wird.<br />

2.2 Harmonischer Oszillator<br />

Ein harmonischer Oszillator führt harmonische Schwingungen aus, die durch die<br />

Kreisfunktionen Sinus und Kosinus beschriebenen werden. <strong>Physik</strong>alisch wird der<br />

harmonische Oszillator in guter Näherung durch eine an einer elastischen Feder<br />

aufgehängte Masse realisiert. Allerdings gibt es viele weitere physikalische Anwendungen,<br />

da das Modell allgemeine Eigenschaften eines Systems in der Nähe eines<br />

Gleichgewichts beschreibt.<br />

In der Umgebung eines Gleichgewichtspunktes, x = 0, v = 0, kann eine allgemeine<br />

Kraft F (x, v) durch die lineare Approximation<br />

F (x, v) = F (0, 0) + ∂F<br />

<br />

<br />

x +<br />

∂x<br />

∂F<br />

<br />

<br />

v (2.10)<br />

∂v<br />

x=0,v=0<br />

dargestellt werden. Für ein stabiles Gleichgewicht gilt<br />

F (0, 0) = 0,<br />

<br />

∂F <br />

<br />

∂x<br />

= −f,<br />

<br />

∂F <br />

<br />

∂v<br />

x=0,v=0<br />

x=0,v=0<br />

x=0,v=0<br />

= −2mβ,<br />

mit positiven Konstanten f und β. Die Kraft besteht in dieser Näherung aus einer<br />

<strong>zur</strong> Auslenkung proportionalen Rückstellkraft<br />

Fx = −fx<br />

und einer <strong>zur</strong> Geschwindigkeit proportionalen Reibungskraft<br />

Fv = −2mβv<br />

Die Bewegungsgleichung einer Masse m in der Nähe eines Gleichgewichtspunktes<br />

besitzt daher die allgemeine Form<br />

¨x + 2β ˙x + ω 2 0x = 0, ω0 = f/m. (2.11)<br />

Sie wird als die Bewegungsgleichung oder Schwingungsgleichung des gedämpften<br />

harmonischen Oszillators bezeichnet. Für β = 0 ist der Oszillator ungedämpft.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 15<br />

2.2.1 Freie ungedämpfte Schwingungen<br />

Das Anfangswertproblem des ungedämpften harmonischen Oszillators lautet<br />

¨x + ω 2 0x = 0, mit x(0) = x0, v(0) = v0. (2.12)<br />

An diesem Beispiel sollen zwei unterschiedliche Lösungsmethoden veranschaulicht<br />

werden, die auf dem Energiesatz bzw. dem Exponentialansatz basieren.<br />

Energiesatz, Phasenebene und Schwingungsbewegung<br />

Im vorliegenden Fall ist die Kraft nur von x abhängig, so daß ein Energieerhaltungssatz<br />

existiert. Definiert man den Energienullpunkt durch U(0) = 0, so ergibt sich<br />

das Potential<br />

x<br />

U(x) = − dx(−fx) = 1<br />

2 fx2 = 1<br />

2 mω2 0x 2<br />

(2.13)<br />

und die Gesamtenergie<br />

0<br />

E = p2 1<br />

+<br />

2m 2 mω2 0x 2 . (2.14)<br />

Für Energien E > 0 bewegt sich der Massepunkt in einem parabelförmigen Potentialtopf<br />

(Abb.2.3). Für E < 0 gibt es keine reellen Lösungen.<br />

In der Phasenebene stellen die Kurven konstanter Energie E Ellipsen dar,<br />

x 2<br />

a<br />

2 + p2<br />

= 1, a =<br />

b2 <br />

2E/mω 2 0, b = √ 2Em, (2.15)<br />

deren Halbachsen mit a und b bezeichnet wurden (Abb.2.3). Die Umkehrpunkte auf<br />

der x-Achse ergeben sich daraus zu x1,2 = ±a. Die von einer Bahnkurve in der<br />

Phasenebene eingeschlossene Fläche wird durch die Energie und die Umlaufperiode<br />

T = 2π/ω0 bestimmt,<br />

S(E) = πab = 2π E<br />

= ET. (2.16)<br />

Allgemein gilt für Bewegungen in einem eindimensionalen Potential der Zusammenhang<br />

dS(E)<br />

= T. (2.17)<br />

dE<br />

ω0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 16<br />

-a<br />

U<br />

E<br />

+a<br />

x<br />

Abbildung 2.3: Bewegung des harmonischen Oszillators im Potential und in der<br />

Phasenebene<br />

-a<br />

p<br />

+b<br />

S(E)<br />

Die Zeitabhängigkeit der Bewegung ergibt sich aus dem Integral<br />

t =<br />

x<br />

x0<br />

dx<br />

v(x)<br />

mit<br />

<br />

2<br />

v(x) = ± (E − U) = ±ω0<br />

m<br />

Das Integral kann durch eine Substitution<br />

-b<br />

+a<br />

x<br />

(2.18)<br />

√ a 2 − x 2 . (2.19)<br />

x = a cos ϕ, v = aω0 sin ϕ. (2.20)<br />

ausgewertet werden. Der Ausdruck für v ergibt sich aus (2.19) indem man dort x<br />

substituiert und 0 < ϕ < π für v > 0 und −π < ϕ < 0 für v < 0 setzt. Dies entspricht<br />

einem Übergang zu den in Abb. 2.4 gezeigten Polarkoordinaten. Die Amplitude a<br />

und die Anfangsphase ϕ0 werden durch die Anfangsbedingungen festgelegt,<br />

a =<br />

Damit ergibt die Integration<br />

<br />

v 2 0<br />

ω 2 0<br />

+ x 2 0, tan ϕ0 = v0<br />

ϕ<br />

ω0t = − dϕ = ϕ0 − ϕ,<br />

ϕ0<br />

ω0x0<br />

. (2.21)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 17<br />

und somit<br />

Abbildung 2.4: Polarkoordinaten a, ϕ<br />

x(t) = a cos(ω0t − ϕ0). (2.22)<br />

Dies ist eine harmonische Schwingung mit der durch die Schwingungsgleichung vorgegebenen<br />

Frequenz ω0. Die Amplitude a und die Phasenverschiebung δ sind gemäß<br />

(2.21) durch die Anfangsbedingungen bestimmt.<br />

Exponentialansatz, charakteristisches Polynom und Basissystem linear<br />

unabhängiger Lösungen<br />

Die zweite Methode <strong>zur</strong> Lösung der Schwingungsgleichung (2.12) beruht auf dem<br />

Exponentialansatz<br />

x(t) = A exp(λt), (2.23)<br />

mit Konstanten A und λ. Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten,<br />

n<br />

Lx =<br />

i=0<br />

ci<br />

dix = 0,<br />

dti können durch diesen Ansatz gelöst werden. Die Ableitungen werden hierbei durch<br />

Potenzen von λ ersetzt. Die Differentialgleichung definiert damit ein charakteristisches<br />

Polynom P (λ), dessen Nullstellen die möglichen Werte von λ bestimmen,<br />

<br />

n<br />

P (λ)x = ciλ i<br />

<br />

x = 0.<br />

i=0<br />

Sind alle Nullstellen verschieden, so bestimmen diese genau ein Basissystem linear<br />

unabhängiger Lösungen der Differentialgleichung. Bei mehrfachen Nullstellen muß<br />

der Ansatz erweitert werden. Im Fall der Schwingungsgleichung (2.12) folgt<br />

P (λ) = λ 2 + ω 2 0 = (λ − iω0)(λ + iω0)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 18<br />

mit den beiden Nullstellen,<br />

λ1,2 = ±iω0.<br />

Die allgemeine Lösung ist die Linearkombination<br />

Die Anfangsbedingungen<br />

x(t) = A1 exp(iω0t) + A2 exp(−iω0t). (2.24)<br />

x0 = A1 + A2, v0 = iω0(A1 − A2)<br />

bestimmen die Konstanten A1,2 zu<br />

A1 = 1<br />

<br />

x0 +<br />

2<br />

v0<br />

<br />

, A2 =<br />

iω0<br />

1<br />

<br />

x0 −<br />

2<br />

v0<br />

<br />

iω0<br />

Wie in Abbildung (2.4) dargestellt, können die komplexen Amplituden durch ihren<br />

Betrag und ihre Phase ausgedrückt werden<br />

x0 + i v0<br />

ω0<br />

= a exp(iϕ0).<br />

Damit folgt wiederum die Lösung in der Form (2.22). Alternativ kann man A1,2<br />

direkt in (2.24) einsetzen und erhält dann das Ergebnis<br />

x(t) = x0 cos(ω0t) + v0<br />

2.2.2 Freie gedämpfte Schwingungen<br />

ω0<br />

sin(ω0t). (2.25)<br />

Um die Wirkung der Reibungskraft in der Schwingungsgleichung (2.11) zu veranschaulichen<br />

betrachten wir zunächst zwei einfache Spezialfälle. Vernachlässigt man<br />

die Rückstellkraft, so führt die Reibungskraft zu einer Abbremsung der Anfangsgeschwindigkeit<br />

v0 eines Teilchens<br />

˙v + 2βv = 0, v = v0e −2βt . (2.26)<br />

Die Geschwindigkeit relaxiert mit der Rate 2β in den Ruhezustand. Vernachlässigt<br />

man andererseits die Beschleunigung, so entsteht ein Kräftegleichgewicht von Reibungskraft<br />

und Rückstellkraft. Dabei geht eine Anfangsauslenkung x0 in die Ruhelage<br />

<strong>zur</strong>ück,<br />

2β ˙x + ω 2 0x0 = 0, x = x0e −(ω2 0 /2β)t . (2.27)<br />

Die Auslenkung relaxiert mit der Rate ω 2 0/(2β). Relaxiert die Geschwindigkeit<br />

schneller als die Auslenkung, β ≫ ω0, so ergibt sich eine stark gedämpfte aperiodische<br />

Bewegung. Im umgekehrten Fall kehrt die Masse mit einer endlichen Geschwindigkeit<br />

in die Ruhelage <strong>zur</strong>ück, was zu periodischen Schwingungen führt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 19<br />

Die allgemeine Lösung der gedämpften Schwingungsgleichung (2.11) bestimmen wir<br />

wieder durch den Exponentialansatz (2.23). Das charakteristische Polynom,<br />

besitzt die Nullstellen<br />

P (λ) = λ 2 + 2βλ + ω 2 0<br />

λ1,2 = −β ± γ, γ =<br />

Die allgemeine Lösung hat daher die Form<br />

Mit den Anfangsbedingungen<br />

x(t) = A1e γt + A2e −γt e −βt .<br />

x0 = A1 + A2<br />

v0 = (γ − β)A1 − (γ + β)A2<br />

bestimmt man die Integrationskonstanten<br />

Daraus folgt die Lösung,<br />

<br />

β 2 − ω 2 0. (2.28)<br />

(γ + β)x0 + v0 = 2γA1, A1 = x0<br />

2 + v0 + 2βx0<br />

2γ<br />

(γ − β)x0 − v0 = 2γA2, A2 = x0<br />

2 − v0 + 2βx0<br />

.<br />

2γ<br />

<br />

x(t) = x0 cosh(γt) + v0 + βx0<br />

γ<br />

<br />

sinh(γt) e −βt<br />

Nach Gleichung (2.28) kann man die folgenden drei Fälle unterscheiden.<br />

Aperiodische Bewegung (β > ω0):<br />

(2.29)<br />

In diesem Fall ist γ reell und beide Nullstellen sind negativ, λ1,2 < 0. Die beiden<br />

partikulären Lösungen sind exponentiell abfallend. Die allgemeine Lösung ist nicht<br />

notwendig monoton fallend. Sie kann jedoch höchstens ein Maximum besitzen. Aus<br />

der Bedingung für einen Umkehrpunkt, v = 0, folgt<br />

e 2γt = − λ2A2<br />

λ1A1<br />

= r.<br />

Für r < 1 gibt es keinen, für r ≥ 1 genau einen Umkehrpunkt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 20<br />

Im Grenzfall starker Dämpfung, ω0/β ≪ 1, läßt sich die Lösung noch weiter vereinfachen.<br />

Unter Verwendung der Potenzreihenentwicklung,<br />

erhält man<br />

√ 1<br />

1 + x = 1 + x + · · ·<br />

2<br />

<br />

γ = β 1 − ω2 0/β2 <br />

≈ β 1 − ω2 0<br />

2β2 <br />

λ1 = − ω2 0<br />

2β , λ2 = −2β.<br />

Diese Relaxationsraten entsprechen den oben behandelten Grenzfällen (2.26) und<br />

(2.27). Da |λ1| ≪ |λ2| ist, handelt es sich hier um ein Beispiel einer Differentialgleichung,<br />

deren Lösungen stark unterschiedliche Zeitskalen aufweisen. Für große<br />

Zeiten spielt nur der langsam veränderliche Anteil eine Rolle. Für kleine Zeiten<br />

benötigt man den schnell veränderlichen Anteil, um die Anfangsbedingungen erfüllen<br />

zu können. Mit den Anfangswerten<br />

folgt<br />

A1 = x0 + v0<br />

2β , A2 = − v0<br />

2β<br />

x(t) = x0e λ1t v0 λ1t λ2t<br />

+ e − e<br />

2β<br />

.<br />

Bei einer Anfangsauslenkung x0 relaxiert die Amplitude auf der langsamen Zeitskala<br />

in die Ruhelage. Bei einer Anfangsgeschwindigkeit v0 relaxiert die Amplitude<br />

dagegen zuerst schnell ins Kräftegleichgewicht und danach langsam in die Ruhelage<br />

(Abb. (2.5)).<br />

x(t)<br />

Abbildung 2.5: Auslenkung x(t) als Superposition<br />

einer schnell und langsam<br />

relaxierenden Lösung. Für große Zeiten<br />

nähert sich x(t) asymptotisch der<br />

langsam relaxierenden Lösung. Diese<br />

Lösung erfüllt jedoch nicht die Anfangsbedingung<br />

x0 = 0. Daher ist für<br />

kleine Zeiten auch die schnell relaxierende<br />

Lösung erforderlich.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 21<br />

Gedämpft periodische Bewegung (ω0 > β)<br />

In diesem Fall ist γ imaginär. Setzt man γ = iΩ so erhält man aus (2.28) und (2.29)<br />

die Lösung,<br />

<br />

x(t) = x0 cos(Ωt) + v0 + βx0<br />

Ω<br />

<br />

sin(Ωt) e −βt <br />

, Ω = ω2 0 − β2 . (2.30)<br />

Alternativ kann man auch die Amplitude und Phasenverschiebung der Schwingung<br />

durch<br />

A2 = A ∗ 1 = 1<br />

<br />

x0 + i<br />

2<br />

v0<br />

<br />

+ βx0<br />

=<br />

Ω<br />

1<br />

2 reiδ<br />

mit<br />

r =<br />

definieren. Damit folgt<br />

<br />

x2 0 + 1<br />

Ω2 (v0 + βx0)<br />

0<br />

2 , tan δ = v0 + βx0<br />

Ωx0<br />

x(t) = r cos(Ωt − δ)e −βt . (2.31)<br />

Es handelt sich hierbei um eine gedämpfte Schwingung. Ihre Schwingungsfrequenz<br />

Ω ist kleiner als die Eigenfrequenz ω0 des ungedämpften Oszillators. Ihre Amplitude<br />

ist exponentiell abfallend.<br />

Abbildung 2.6: Schematische Darstellung<br />

einer gedämpften Schwingung. Die<br />

Einhüllende ±re −βt wird jeweils in den<br />

Maxima bzw. Minima der Kosinus-<br />

Schwingung berührt. Die Phasenverschiebung<br />

δ wurde Null gesetzt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 22<br />

Aperiodischer Grenzfall (β = ω0)<br />

In diesem Fall ist γ = Ω = 0 und das charakteristische Polynom besitzt die doppelte<br />

Nullstelle λ1,2 = −β. Der obige Exponentialansatz ergibt hier nur eine partikuläre<br />

Lösung. Die vollständige Lösung des aperiodischen Grenzfalls erhält man, indem<br />

man in der Lösung des Anfangswertproblems (2.30) den Grenzübergang Ω → 0 zu<br />

einer festen Zeit t ausführt. Mit<br />

folgt<br />

sin x<br />

lim<br />

x→0 x<br />

= 1<br />

x(t) = [x0 + (v0 + βx0)t] e −βt . (2.32)<br />

Die Amplitude enthält hier einen linear in t anwachsenden Anteil.<br />

2.2.3 Erzwungene Schwingungen<br />

Wird ein harmonischer Oszillator mit einer harmonischen Kraft, F (t) = F0 cos(ωt),<br />

angetrieben, so lautet die Bewegungsgleichung,<br />

¨x + 2β ˙x + ω 2 0x = a0 cos(ωt), a0 = F0/m. (2.33)<br />

Hierbei handelt es sich um eine inhomogene lineare Differentialgleichung. Ihre allgemeine<br />

Lösung besitzt die Form,<br />

x(t) = xh(t) + xs(t),<br />

wobei xh(t) die allgemeine Lösung der bereits behandelten homogenen Differentialgleichung<br />

(2.11) bezeichnet und xs(t) eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung<br />

darstellt. Offensichtlich erfüllt dieser Ansatz die Bewegungsgleichung<br />

(2.33) und besitzt genau die erforderliche Anzahl von Integrationskonstanten<br />

<strong>zur</strong> Erfüllung der Anfangsbedingungen.<br />

Wegen der Dämpfung der freien Schwingungen, d.h. aller Lösungen der homogenen<br />

Differentialgleichung, stellt sich für große Zeiten ein Zustand ein, der von den Anfangsbedingungen<br />

unabhängig ist und als erzwungene Schwingung bezeichnet wird.<br />

Es handelt sich dabei um eine Schwingung mit der Frequenz der anregenden Kraft.<br />

Zunächst sind die Spezialfälle instruktiv, bei denen die Anregungsfrequenz ω sehr<br />

viel kleiner bzw. sehr viel größer ist als die Oszillatorfrequenz ω0. Für ω → 0 gilt<br />

näherungsweise,<br />

ω 2 0x = a0 cos(ωt), x = a0<br />

ω2 cos(ωt). (2.34)<br />

0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 23<br />

Die Auslenkung folgt der anregenden Kraft instantan ins neue Kräftegleichgewicht.<br />

Für ω → ∞ gilt entsprechend<br />

¨x = a0 cos(ωt), x = − a0<br />

cos(ωt). (2.35)<br />

ω2 Hierbei handelt es sich um die erzwungene Schwingung eines freien Teilchens. Die<br />

Auslenkung schwingt gegenphasig <strong>zur</strong> anregenden Kraft und die Amplitude nimmt<br />

wie 1/ω 2 ab.<br />

Für beliebige Anregungsfrequenzen ist es einfacher anstelle von (2.33) die Schwingungsgleichung<br />

¨z + 2β ˙z + ω 2 0z = a0e iωt , (2.36)<br />

mit einer komplexen Variable z(t) zu betrachten. Für jede komplexe Lösung z(t)<br />

von (2.36) ist der Realteil x = ℜ(z) eine Lösung der ursprünglichen Schwingungsgleichung<br />

(2.33). Dies beruht darauf, daß die Gleichung linear ist und nur reelle<br />

Koeffizienten besitzt.<br />

Es ist naheliegend für die erzwungene Schwingung einen Exponentialansatz mit der<br />

Frequenz ω zu wählen,<br />

z = Be iωt .<br />

Die Schwingungsgleichung (2.36) bestimmt dann die komplexe Amplitude der erzwungenen<br />

Schwingung,<br />

B =<br />

a0<br />

ω2 0 − ω2 . (2.37)<br />

+ 2iβω<br />

Setzt man B = be −iδ so erhält man die gesuchte reelle Lösung in der Form<br />

mit der Amplitude und Phase<br />

b =<br />

x(t) = b cos(ωt − δ), (2.38)<br />

a0<br />

<br />

2 (ω0 − ω2 ) 2 + 4β2 2βω<br />

, tan δ =<br />

ω2 ω2 . (2.39)<br />

0 − ω2 Für schwache Dämpfung (β ≪ ω0) ist die Frequenzabhängigkeit der Amplitude und<br />

Phase in Abb. (2.7) dargestellt. Für kleine und große Frequenzen werden die schon<br />

diskutierten Grenzfälle<br />

⎧<br />

⎪⎨<br />

b(ω) →<br />

⎪⎩<br />

a0<br />

ω 2 0<br />

für ω → 0<br />

a0<br />

ω 2 für ω → ∞


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 24<br />

erreicht. Dazwischen nimmt die Amplitude ein Maximum mit<br />

ωm = Ω 2 − β 2 , bm = a0<br />

2βΩ , Ω = ω 2 − β 2<br />

an. Es liegt etwas unterhalb der Eigenfrequenz Ω des gedämpften harmonischen<br />

Oszillators. Die Auslenkung folgt der anregenden Kraft um die Phase δ verschoben<br />

nach. Die Phase wächst mit zunehmender Frequenz monoton von 0 bis π an und<br />

erreicht bei ω = ω0 den Wert π/2.<br />

Abbildung 2.7: Frequenzabhängigkeit<br />

der Amplitude und der Phase einer erzwungenen<br />

Schwingung des harmonischen<br />

Oszillators.<br />

2.3 Bewegungen mit veränderlicher Masse<br />

Zwei unterschiedliche Massen m1 und m2, auf die dieselbe Kraft F einwirkt, erfahren<br />

unterschiedliche Beschleunigungen ˙v1 und ˙v2 aber dieselbe Impulsänderung<br />

˙p = m1 ˙v1 = m2 ˙v2 = F.<br />

Die Impulsänderung, die eine Kraft hervorruft, ist unabhängig von den Eigenschaften<br />

des speziellen Körpers. Bei Körpern mit veränderlicher Masse ist die Kraft daher<br />

als Ursache von Impulsänderungen aufzufassen. Nur bei konstanter Masse ist die<br />

Impulsänderung der Beschleunigung proportional.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 25<br />

Massenänderung ohne Rückstoß<br />

Für eine zeitabhängige Masse m(t) lautet der Impulssatz,<br />

d<br />

[m (t) v] = F, ˙p = m ˙v + ˙mv = F, m ˙v = F − ˙mv (2.40)<br />

dt<br />

Diese Form der Bewegungsgleichung tritt bei relativistischen Teilchen auf, deren<br />

Geschwindigkeit im Bereich der Lichtgeschwindigkeit c liegt. In diesem Fall ist die<br />

Zeitabhängigkeit der Masse durch die Geschwindigkeit gegeben,<br />

m(t) = m0γ, γ =<br />

<br />

1<br />

1 − v2<br />

c2 ,<br />

wobei m0 die Ruhemasse bezeichnet. Eine allgemeine Begründung der relativistischen<br />

Bewegungsgleichung wird in der relativistischen <strong>Mechanik</strong> gegeben.<br />

Massenänderung mit Rückstoß<br />

Die Bewegungsgleichung (2.40) berücksichtigt noch nicht die Impulsänderung, die<br />

durch die zu- oder abgeführte Masse hervorgerufen wird. Im Zeitintervall dt werde<br />

der Masse m mit der Geschwindigkeit v eine zusätzliche Masse dm mit der Geschwindigkeit<br />

v ′ = v+vr zugeführt. Hierbei ist vr die Geschwindigkeit der Masse dm relativ<br />

<strong>zur</strong> Masse m. Der Gesamtimpuls der noch getrennten Massen ist mv + (dm)v ′ . Der<br />

Impuls der Gesamtmasse nach der Zeit dt ist (m + dm)(v + dv). Für die gesamte<br />

Impulsänderung gilt demnach<br />

dp = (m + dm)(v + dv) − [mv + (dm)v ′ ] = mdv + (dm)(v − v ′ ) = F dt.<br />

Die Bewegungsgleichung lautet in diesem Fall<br />

m ˙v = F + ˙mvr. (2.41)<br />

Auf der rechten Seite steht nun die Relativgeschwindigkeit der zugeführten Masse.<br />

Wird die Masse dm ohne Impulsübertrag zugeführt, d.h. v ′ = 0, so gilt vr = −v und<br />

man erhält wieder das Ergebnis (2.40).<br />

Ein Anwendungsbeispiel für die Gleichung (2.41) ist die Beschleunigung einer Rakete<br />

durch den Rückstoß des verbrannten Brennstoffs. Nimmt man an, daß pro Zeiteinheit<br />

eine konstante Masse µ der Antriebsgase mit einer konstanten Geschwindigkeit u<br />

austritt, so gilt entsprechend ˙m = −µ und vr = −u. Auf die Rakete wirkt also bei<br />

abnehmender Masse eine konstante Antriebskraft ˙mvr = µu.


Kapitel 3<br />

Kinematik<br />

Die Kinematik beschreibt Bewegungen ohne Bezugnahme auf die wirkenden Kräfte.<br />

Kinematische Grundgrößen sind die Geschwindigkeit und Beschleunigung. Von besonderem<br />

Interesse sind Koordinatentransformationen beim Wechsel des Bezugssystems.<br />

Man unterscheidet Koordinatentransformationen zwischen Inertialsystemen<br />

und Koordinatentransformationen von Inertialsystemen in beschleunigte Bezugssysteme.<br />

In beschleunigten Systemen treten sogenannte Scheinkräfte auf, deren Ursache<br />

in der beschleunigten Bewegung des Bezugssystems liegt.<br />

3.1 Inertialsysteme<br />

Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in denen sich ein kräftefreier Körper geradlinig<br />

und gleichförmig bewegt. Die besondere Bedeutung der Inertialsysteme beruht<br />

darauf, daß es diejenigen Bezugssysteme sind, in denen die Newtonsche Bewegungsgleichung<br />

gilt.<br />

3.1.1 Galileisches Relativitätsprinzip<br />

Es gibt viele verschiedene Inertialsysteme. Das Galileische Relativitätsprinzip besagt<br />

allgemein:<br />

Alle Inertialsysteme sind gleichberechtigt.<br />

Demnach ist es nicht möglich physikalisch zwischen zwei Inertialsystemen zu unterscheiden.<br />

In einem Zug, der mit konstanter Geschwindigkeit fährt, ist es z.B. nicht<br />

möglich die Geschwindigkeit des Zuges durch eine Messung innerhalb des Zuges<br />

festzustellen.<br />

26


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 27<br />

3.1.2 Galileitransformationen<br />

Das Galileische Relativitätsprinzip definiert in Verbindung mit der Grundgleichung<br />

der <strong>Mechanik</strong> die Klasse der Galileitransformationen. Da alle Inertialsysteme gleichberechtigt<br />

sind, muß die Newtonsche Bewegungsgleichung in allen diesen Systemen<br />

in der gleichen Form gelten. Galileitransformationen sind Koordinatentransformationen,<br />

gegenüber denen die Grundgleichung der <strong>Mechanik</strong> für einen Massepunkt<br />

mit fester Masse m forminvariant ist.<br />

Definition 3.1 Eine Gleichung F (Xi) = 0 zwischen verschiedenen Größen<br />

Xi(x, y, z, t) heißt forminvariant, wenn sie in den transformierten Größen<br />

X ′ i(x ′ , y ′ , z ′ , t ′ ) dieselbe Form besitzt, wie in den ursprünglichen Größen Xi:<br />

F (Xi) = F (X ′ i).<br />

Man unterscheidet zwischen Forminvarianz und Invarianz.<br />

Definition 3.2 Invarianz bedeutet die stärkere Forderung, daß die transformierte<br />

Gleichung identisch ist mit der ursprünglichen Gleichung, d.h. die transformierten<br />

Größen sind auch die gleichen Funktionen der Koordinaten wie die ursprünglichen<br />

Größen<br />

X ′ i(x ′ , y ′ , z ′ , t ′ ) = Xi(x, y, z, t)<br />

Aus der Invarianz folgt, daß jede Lösung als Funktion der alten Koordinaten auch<br />

eine Lösung als Funktion der neuen Koordinaten darstellt.<br />

Die möglichen Galileitransformationen werden im folgenden behandelt. Nicht dazu<br />

gezählt werden Umskalierungen der Koordinaten: x ′ = αx, t ′ = βt. Fasst man die<br />

Koordinaten als dimensionsbehaftete Größen auf, so entspricht einer Umskalierung<br />

der Maßzahl eine inverse Umskalierung der Einheit. Die dimensionsbehaftete Größe<br />

wird dadurch nicht geändert.<br />

Verschiebung des Zeitursprungs<br />

Eine Verschiebung des Zeitursprungs um eine feste Zeit t0,<br />

ist eine Galileitransformation.<br />

t ′ = t − t0, (3.1)<br />

Das ursprüngliche Koordinatensystem S sei ein Inertialsystem, so daß dort die Newtonsche<br />

Bewegungsgleichung gilt. Wegen dt = dt ′ , r ′ = r gilt im neuen System S ′<br />

die transformierte Gleichung<br />

m d2 r<br />

dt ′2 = F ′ , (3.2)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 28<br />

mit<br />

F ′ = F (r, dr<br />

dt ′ , t′ + t0). (3.3)<br />

Die transformierte Kraft F ′ ist <strong>zur</strong> Zeit t ′ in S ′ identisch mit der alten Kraft <strong>zur</strong><br />

entsprechenden Zeit t = t ′ +t0 in S. Die Gleichung ist daher forminvariant gegenüber<br />

einer Zeitverschiebung. Das System S ′ ist ebenfalls ein Inertialsystem. Hängt die<br />

Kraft nicht explizit von der Zeit ab, so ist die Gleichung sogar invariant gegenüber<br />

einer Zeitverschiebung.<br />

Parallelverschiebung der Koordinatenachsen<br />

Eine Verschiebung des Koordinatenursprungs<br />

r ′ = r − d0, d0 =<br />

3<br />

d0iei, (3.4)<br />

um einen konstanten Vektor d0 ist eine Galileitransformation. In beiden Systemen<br />

können die gleichen Basisvektoren ei gewählt werden, so daß die Achsen von S und<br />

S ′ parallel sind. Man nennt dies eine Translation.<br />

i=1<br />

Abbildung 3.1: Verschiebung des Koordinatenursprungs<br />

um einen konstanten Vektor d.<br />

Die Koordinatenachsen von S und S ′ sind<br />

parallel.<br />

Wegen dr = dr ′ folgt die Forminvarianz der Bewegungsgleichung,<br />

m d2r ′<br />

dt2 = F ′ ; F ′ <br />

= F r ′ + d0, dr′<br />

<br />

, t .<br />

dt<br />

(3.5)<br />

Invarianz gegenüber Translationen liegt vor, falls die Kraft nur von den Relativvektoren<br />

ri − rj, der Massenpunkte abhängt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 29<br />

Gleichförmige Bewegung<br />

Eine Koordinatentransformation zu einem mit der konstanten Geschwindigkeit v0<br />

bewegten Koordinatenssystem<br />

r ′ = r − v0t, v ′ = v − v0, (3.6)<br />

ist eine Galileitransformation. Wegen dv = dv ′ ist die Bewegungsgleichung forminvariant,<br />

m dv′<br />

dt = F ′ ; F ′ <br />

= F r ′ + v0t, dr′<br />

dt + v0,<br />

<br />

t . (3.7)<br />

Invarianz liegt vor, falls die Kraft nur von den Relativvektoren ri − rj und den<br />

Relativgeschwindigkeiten vi − vj der Massenpunkte abhängt.<br />

Orthogonale Transformationen<br />

Sei αij eine orthogonale Transformation der Koordinaten<br />

x ′ i = <br />

j<br />

αijxj, α −1<br />

ij = αji . (3.8)<br />

Orthogonale Transformationen werden im folgenden Abschnitt behandelt. Sie stellen<br />

ebenfalls Galileitransformationen dar. Die Forminvarianz der Bewegungsgleichung<br />

gegenüber orthogonalen Transformationen beruht auf dem Vektorcharakter<br />

der Gleichung, d.h. die linke und die rechte Seite der Gleichung transformieren sich<br />

in gleicher Weise<br />

<br />

m¨x ′ i = F ′<br />

i , F ′<br />

i = <br />

Allgemeine Galileitransformation<br />

j<br />

αijFj<br />

<br />

<br />

α −1<br />

ij x′ j, <br />

i<br />

i<br />

α −1<br />

ij xj, ˙ t<br />

. (3.9)<br />

Die Galileitransformationen bilden eine Gruppe mit insgesamt 10 Parametern:<br />

t0,v0i,d0i und die 3 unabhängigen Parameter einer orthogonalen Transformation.<br />

Die allgemeine Transformation lautet<br />

x ′ i = αijxj − v0it − d0i (3.10)<br />

t ′ = t − t0 . (3.11)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 30<br />

3.1.3 Orthogonale Transformationen<br />

Orthogonale Transformationen sind Transformationen einer Orthonormalbasis.<br />

Definition 3.3 Eine Orthonormalbasis im dreidimensionalen Ortsraum ist eine<br />

Basis von Einheitsvektoren {ei}, mit i = 1, 2, 3, die jeweils paarweise senkrecht<br />

zueinander stehen:<br />

ei·ej = δij, δij =<br />

1 ; i = j<br />

0 ; i = j<br />

. (3.12)<br />

Man bezeichnet δij als das Kroneckersymbol. Es stellt die Elemente der Einheitsmatrix<br />

dar.<br />

Definition 3.4 Die Einheitsvektoren ei bilden ein Rechtssystem, falls<br />

mit<br />

ei·(ej×ek) = ɛijk, (3.13)<br />

⎧<br />

⎨ +1 ; i, j, k zyklische Vertauschung von 1, 2, 3<br />

ɛijk = −1<br />

⎩<br />

0<br />

;<br />

;<br />

i, j, k antizyklische Vertauschung von 1, 2, 3<br />

sonst<br />

Man bezeichnet ɛijk als den Levi-Civita-Tensor oder den Epsilontensor.<br />

Basistransformation<br />

. (3.14)<br />

Wir untersuchen nun die Eigenschaften von Transformationen, die eine gegebene<br />

Orthonormalbasis {ei} in eine neue Orthonormalbasis {e ′ i} überführen. Jeder Basisvektor<br />

der neuen Basis kann als Linearkombination der Basisvektoren der alten<br />

Basis geschrieben werden,<br />

e ′ i =<br />

3<br />

αijej, αij = e ′ i·ej = cos(ϕij). (3.15)<br />

j=1<br />

Die Entwicklungskoeffizienten αij werden als Richtungskosinus bezeichnet, da sie<br />

durch den Kosinus des Winkels ϕij zwischen der i-ten neuen und der j-ten alten<br />

Richtung dargestellt werden.<br />

Als Beispiel betrachten wir eine Drehung des Koordinatensystems um die x3-Achse<br />

um den Winkel ϕ. Nach Abb.(3.2) gilt hier<br />

α11 = α22 = cos ϕ,<br />

α12 = cos(ϕ − π/2) = sin ϕ, α21 = cos(ϕ + π/2) = − sin ϕ,<br />

α33 = 1, α13 = α23 = α31 = α32 = 0.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 31<br />

Als Matrix geschrieben erhält man<br />

⎛<br />

cos ϕ sin ϕ<br />

⎞<br />

0<br />

α = ⎝ − sin ϕ cos ϕ 0 ⎠ . (3.16)<br />

0 0 1<br />

Abbildung 3.2: Drehung des<br />

kartesischen Koordinatensystems<br />

um den Winkel ϕ.<br />

Wie man an diesem Beispiel bereits erkennt sind die αij nicht unabhängig voneinander.<br />

Allgemein muß man an die Transformation (3.15) noch die Orthonormalitätsbedingungen<br />

für die neue Basis stellen,<br />

e ′ i·e ′ j = <br />

αinαjmen·em = <br />

αinαjn = δij. (3.17)<br />

n,m<br />

Die Indizes i und j stellen hier die Indizes der Zeilen der Matrix α dar. Die Orthonormalität<br />

der neuen Basis wird also durch die Orthonormalität der Zeilen der<br />

Transformationsmatrix ausgedrückt. Dies sind insgesamt 6 Bedingungen an die 9<br />

Matrixelemente αij. Eine allgemeine orthogonale Transformation wird durch die<br />

verbleibenden 3 freien Parameter festgelegt. Definiert man die transponierte Matrix<br />

α T mit den Elementen α T ij = αji und die Einheitsmatrix I mit den Elementen δij,<br />

so lassen sich die Orthonormalitätsbedingungen in Matrixschreibweise zusammenfassen,<br />

α·α T = I. (3.18)<br />

Drehungen und Spiegelungen<br />

Aus der Orthonormalitätsbedingung folgt, daß die Determinante einer orthogonalen<br />

Transformation den Betrag eins besitzt:<br />

Das Vorzeichen der Determinante,<br />

n<br />

det α·α T = det α det α T = det α 2 = 1. (3.19)<br />

det α = ±1, (3.20)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 32<br />

bestimmt, ob das neue Basissystem ein Rechtssystem (+1)oder ein Linkssystem (−1)<br />

darstellt, denn es gilt<br />

e ′ 1·(e ′ 2×e3) ′ = <br />

α1iα2jα3kei·(ej×ek) = <br />

ɛijkα1iα2jα3k = det <br />

α . (3.21)<br />

i,j,k<br />

Durch eine stetige Variation der Parameter einer orthogonalen Transformation kann<br />

sich das Vorzeichen der Determinante nicht sprunghaft ändern. Drehungen eines<br />

Rechtssystems werden daher durch orthogonale Transformationen mit der Determinante<br />

+1 dargestellt. Beim Übergang von einem Rechtssytem zu einem Linkssystem<br />

muß zusätzlich eine Koordinatenachse gespiegelt werden. Raumspiegelungen stellen<br />

keine exakte Symmetrie der physikalischen Gesetze dar. Diese Symmetrie wird durch<br />

die schwache Wechselwirkung gebrochen.<br />

Umkehrtransformation<br />

Da die Determinante einer orthogonalen Transformation immer ungleich Null ist,<br />

existiert die Umkehrtransformation. Durch die Entwicklung eines alten Basisvektors<br />

nach der neuen Basis erhält man,<br />

ei =<br />

3<br />

j=1<br />

i,j,k<br />

α −1<br />

ij e′ j, α −1<br />

ij = ei·e ′ j = αji. (3.22)<br />

Die Orthonormalitätsbedingungen für die alte Basis lauten entsprechend,<br />

ei·ej = <br />

n,m<br />

α −1<br />

in α−1<br />

jm e′ n·e ′ m = <br />

n<br />

αniαnj = δij. (3.23)<br />

Die Indizes i und j stellen hier die Indizes der Spalten der Matrix α dar. Die Orthonormalität<br />

der alten Basis wird also durch die Orthonormalität der Spalten der<br />

Transformationsmatrix ausgedrückt. Damit besitzen orthogonale Transformationen<br />

die Eigenschaften<br />

α·α T = α T ·α = I, α −1 = α T , det α = ±1 . (3.24)<br />

Transformation von Vektoren und Skalaren<br />

Zur Beschreibung der Drehung von Vektoren unterscheidet man zwei Möglichkeiten.<br />

Bei einer passiven Drehung wird die Basis bei festgehaltenen Vektoren gedreht.<br />

Umgekehrt werden bei einer aktiven Drehung die Vektoren bei festgehaltener Basis<br />

gedreht.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 33<br />

Entwickelt man einen beliebigen Vektor V nach der alten und der neuen Basis einer<br />

passiven Drehung, so gilt<br />

V = <br />

Vjej = <br />

j<br />

j<br />

V ′<br />

j e ′ j,<br />

V ′<br />

i = e ′ i·V = <br />

e ′ i·ejVj = <br />

αijVj. (3.25)<br />

j<br />

Man bezeichnet Vi und V ′<br />

i als Darstellungen des Vektors bezüglich der Basis S bzw.<br />

S ′ . Diese Darstellungen können auch als Spaltenvektoren<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

V = ⎝<br />

V1<br />

V2<br />

V2<br />

⎠ , V ′ = ⎝<br />

j<br />

V ′<br />

1<br />

V ′<br />

2<br />

V ′<br />

2<br />

⎠ (3.26)<br />

zusammengefaßt werden. Für diese Darstellungen gilt das Transformationsgesetz<br />

V ′<br />

i = <br />

αijVj, V ′ = α·V . (3.27)<br />

j<br />

Bei einer aktiven Transformation bezeichnet umgekehrt V ′ die Darstellung des alten<br />

Vektors und V die Darstellung des neuen Vektors. Demnach gilt hier die inverse<br />

Transformation<br />

Vi = <br />

j<br />

α T ijV ′<br />

j , V = α T ·V ′<br />

. (3.28)<br />

Im folgenden werden Drehungen meist unter dem passiven Gesichtspunkt behandelt.<br />

Aufgrund der Eigenschaften orthogonaler Transformationen bleiben Skalarprodukte<br />

zwischen Vektoren invariant,<br />

<br />

X ′ iY ′<br />

i = <br />

αimαinXmXn = <br />

<br />

<br />

αimαin XmXn<br />

i<br />

i,m,n<br />

n,m<br />

= <br />

δmnXmXn = <br />

XmYm.<br />

n,m<br />

3.2 Beschleunigte Bezugssysteme<br />

In beschleunigten Bezugssystemen treten in den Bewegungsgleichungen Zusatzterme<br />

auf, die als Trägheitskräfte bezeichnet werden. Die Form der Bewegungsgleichungen<br />

im beschleunigten System muß durch eine explizite Koordinatentransformation bestimmt<br />

werden.<br />

m<br />

i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 34<br />

3.2.1 Translatorisch beschleunigtes Bezugssystem<br />

Der Ursprung von S ′ werde relativ zum Ursprung von S um einen zeitabhängigen<br />

Vektor d(t) verschoben. Ein Punkt P befinde sich in S am Ort r, in S ′ am Ort r ′ .<br />

Dann gelten die Transformationsgesetze:<br />

Die Bewegungsgleichung in S ′ lautet:<br />

r ′ = r − d(t) (3.29)<br />

v ′ = v − ˙ d(t) (3.30)<br />

˙v ′ = ˙v − ¨ d(t) (3.31)<br />

m ˙v ′ = F − m ¨ d (3.32)<br />

In S ′ tritt eine Trägheitskraft −m ¨ d auf, die entgegen der Richtung der Beschleunigung<br />

wirkt.<br />

Bemerkungen:<br />

(i) Auf ein Teilchen, welches in S ′ ruht (v ′ = 0) wirkt in S die Kraft F = m ¨ d.<br />

(ii) Auf ein Teilchen, welches in S ruht (v = 0) wirkt in S ′ die Kraft F = −m ¨ d.<br />

(iii) Einsteinsches Äquivalenzprinzip: Ein homogenes Schwerefeld mit der konstanten<br />

Schwerkraft G = mSg ist äquivalent zu einem beschleunigten Bezugssystem<br />

mit der Trägheitskraft F T = −mta. Hierbei wird vorausgesetzt,<br />

daß die schwere Masse mS für alle Körper gleich der trägen Masse mt ist<br />

und a = −g gesetzt wird. Man kann den Einfluß der Schwerkraft (lokal)<br />

eliminieren, indem man sich in ein frei fallendes Bezugssystem begibt.<br />

Abbildung 3.3: Beschleunigtes Bezugssystem<br />

S ′ mit Beschleunigung a relativ zum Inertialsystem<br />

S. Eine in S ′ ruhende Masse m<br />

erfährt eine der Beschleunigung entgegengerichtete<br />

Trägheitskraft −ma, die äquivalent<br />

ist zu einer Schwerebeschleunigung g = −a.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 35<br />

3.2.2 Rotierendes Bezugssystem<br />

Ein rotierendes Bezugssystem werde durch eine zeitabhängige Orthonormalbasis<br />

{e ′ i(t)} dargestellt, die sich gegenüber der festen Orthonormalbasis {ei} eines Inertialsystems<br />

dreht. Zu jedem Zeitpunkt ist die Transformation der Basis eine orthonormale<br />

Transformation, d.h. es gilt<br />

e ′ i(t) = <br />

αij(t)ej. (3.33)<br />

j<br />

Zur Berechnung der Geschwindigkeit und der Beschleunigung eines Massenpunktes<br />

im rotierenden System benötigt man die zeitliche Änderung der Basisvektoren. Diese<br />

Änderung kann zu jedem Zeitpunkt durch eine Drehachse und eine Winkelgeschwindigkeit<br />

angegeben werden. Wir zeigen dies zuerst am Beispiel einer Rotation um die<br />

x3-Achse und dann allgemein für beliebige Drehungen.<br />

Drehung um die x3-Achse<br />

Eine Rotation um die x3-Achse mit einer Winkelgeschwindigkeit ω = ˙ϕ wird durch<br />

eine orthogonale Transformation der Form (3.16) mit einem zeitabhängigen Drehwinkel<br />

ϕ(t) dargestellt. Differenziert man (3.16) nach der Zeit, so folgt in Matrix-<br />

schreibweise<br />

⎛<br />

d<br />

⎝<br />

dt<br />

e ′ 1<br />

e ′ 2<br />

e ′ 3<br />

⎞<br />

⎠ = d<br />

⎛<br />

cos ϕ(t)<br />

⎝ − sin ϕ(t)<br />

dt<br />

0<br />

⎛<br />

− sin ϕ(t)<br />

sin ϕ(t)<br />

cos ϕ(t)<br />

0<br />

cos ϕ(t)<br />

⎞ ⎛<br />

0<br />

0 ⎠ ⎝<br />

1<br />

⎞ ⎛<br />

0<br />

= ω ⎝ − cos ϕ(t) − sin ϕ(t) 0 ⎠ ⎝<br />

⎛<br />

0<br />

0<br />

1<br />

⎞ ⎛<br />

0<br />

0<br />

⎞<br />

0<br />

= ω ⎝ −1 0 0 ⎠ ⎝ ⎠ .<br />

0 0 0<br />

Definiert man mit Hilfe der Drehachse e3 und der Winkelgeschindigkeit ω eine vektorielle<br />

Winkelgeschwindigkeit ω = ωe3, so folgt<br />

e ′ 1<br />

e ′ 2<br />

e ′ 3<br />

˙e ′ 1 = ω×e ′ 1 ˙e ′ 2 = ω×e ′ 2 ˙e ′ 3 = ω×e ′ 3 . (3.34)<br />

Die spezielle Wahl des Koordinatensystems spielt hierbei keine Rolle, so daß dieses<br />

Ergebnis auch auf allgemeine Drehungen angewandt werden kann.<br />

e1<br />

e2<br />

e3<br />

e1<br />

e2<br />

e3<br />

⎞<br />

⎠<br />

⎞<br />


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 36<br />

Infinitesimale Rotationen<br />

Die Änderung der rotierenden Basis in einem infinitesimalen Zeitintervall dt kann<br />

durch eine infinitesimale orthogonale Transformation dargestellt werden. Dies ist<br />

eine orthogonale Transformation, die nur in linearer Ordnung in dt von der Einheitsmatrix<br />

abweicht,<br />

Die Matrix Ω ist antisymmetrisch,<br />

Letzteres folgt aus der Orthonormalitätsbedingung<br />

α = I + Ωdt . (3.35)<br />

Ω T = −Ω . (3.36)<br />

α · α T − I = (I + Ωdt) · (I + Ω T dt) − I = Ω + Ω T dt = 0 . (3.37)<br />

Eine antisymmetrische 3 × 3 Matrix besitzt nur drei unabhängige Elemente. Diese<br />

können den drei Elementen eines Vektors ω auf folgende Weise zugeordnet werden,<br />

Ωij = (ei×ej)·ω = <br />

ɛijkωk . (3.38)<br />

Die zugehörige Matrix besitzt die Form<br />

⎛<br />

0<br />

Ω = ⎝ −ω3<br />

ω3<br />

0<br />

⎞<br />

−ω2<br />

ω1 ⎠ . (3.39)<br />

ω2 −ω1 0<br />

Unter Verwendung von (3.35) und (3.38) erhält man für die Änderung der Basisvektoren,<br />

e ′ i(t + dt) = <br />

j<br />

˙e ′ i = <br />

j<br />

= <br />

j<br />

k<br />

(δij + Ωijdt) e ′ j(t)<br />

Ωije ′ j = <br />

ω·(e ′ i×e ′ j)e ′ j<br />

j<br />

(ω×e ′ i)·e ′ je ′ j = ω×e ′ i .<br />

Damit ist gezeigt, daß (3.34) auch für beliebige infinitesimale Rotationen gilt.<br />

Schreibt man ω = ωn, so definiert der Betrag ω die Winkelgeschwindigkeit und


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 37<br />

der Einheitsvektor n die Richtung der Drehachse. Im allgemeinen ist der Vektor<br />

ω(t) zeitabhängig.<br />

Drehungen mit konstanter Winkelgeschwindigkeit und Drehachse können in der folgenden<br />

Weise veranschaulicht werden. Ein beliebiger Vektor V , der im rotierenden<br />

System ruht, besitzt in S ′ die Darstellung<br />

V = <br />

i<br />

V ′<br />

i e ′ i(t)<br />

mit zeitunabhängigen Komponenten V ′<br />

i . Er ändert sich daher genauso wie die Ba-<br />

sisvektoren<br />

˙V = <br />

V ′<br />

i ˙e′ i = <br />

V ′<br />

i ω×e ′ i = ω × V .<br />

i<br />

i<br />

Der Vektor dreht sich in S auf einem Kegelmantel um die Drehachse. Die Komponente<br />

des Vektors entlang der Drehachse bleibt fest. Die Komponente senkrecht <strong>zur</strong><br />

Drehachse rotiert in der Ebene senkrecht <strong>zur</strong> Drehachse.<br />

Bewegung im rotierenden System<br />

Abbildung 3.4: Drehung eines Vektors V um<br />

die Drehachse ω.<br />

Der Ortsvektor eines Massenpunktes sei r im Inertialsystem S und r ′ im rotierenden<br />

System S ′ . Da es sich um denselben Vektor handelt gilt<br />

r ′ = r. (3.40)<br />

Der Ortsvektor besitzt jedoch in beiden Systemen unterschiedliche Koordinatendarstellungen<br />

r = <br />

xi(t)ei(t) , r ′ = <br />

i<br />

i<br />

x ′ i(t)e ′ i(t) . (3.41)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 38<br />

Die Geschwindigkeit des Massenpunktes wird in beiden Systemen unterschiedlich<br />

definiert. Ein Beobachter im rotierenden System bestimmt die Geschwindigkeit des<br />

Massenpunktes anhand der Koordinatendarstellung in S ′ ,<br />

v ′ = <br />

˙x ′ ie ′ i . (3.42)<br />

Die Geschwindigkeit des Massenpunktes in S ist aber<br />

v = ˙r = ˙r ′ = <br />

˙x ′ ie ′ i + x ′ i ˙e′ i = <br />

i<br />

i<br />

i<br />

˙x ′ ie ′ i + ω×x ′ ie ′ i . (3.43)<br />

Damit ergibt sich für die Geschwindigkeit das Transformationsgesetz<br />

v = v ′ + ω × r ′<br />

. (3.44)<br />

Der Unterschied der Geschwindigkeiten ist die Rotationsgeschwindigkeit des Systems.<br />

Dieses Transformationsgesetz gilt nicht nur für die Zeitableitung des Ortsvektors,<br />

sondern genauso für die Zeitableitung eines beliebigen Vektors. Daher kann<br />

man es auch als Transformationsgesetz für die Zeitableitung auffassen,<br />

d<br />

dt<br />

′<br />

d<br />

= + ω×, (3.45)<br />

dt<br />

die links auf die Darstellung im Inertialsystem S und rechts auf die Darstellung im<br />

rotierenden System S’ wirkt.<br />

Das Transformationsgesetz für die Beschleunigungen erhält man durch zweimalige<br />

Anwendung von (3.45),<br />

d2 r<br />

dt2 =<br />

′ ′ <br />

d<br />

d<br />

+ ω× + ω× r<br />

dt dt<br />

′<br />

= a ′ + 2ω × v ′ + ω×(ω × r ′ ) + dω<br />

′<br />

×r<br />

dt<br />

′ . (3.46)<br />

Die Beschleunigung im rotierenden System wird hierbei definiert durch<br />

a ′ = <br />

¨x ′ ie ′ i.<br />

i<br />

Mit dem Transformationsgesetz für die Beschleunigungen erhält man für die Newtonsche<br />

Bewegungsgleichung im rotierenden System<br />

m¨r ′ = F + F C + F Z + F A. (3.47)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 39<br />

Hierbei treten die folgenden Scheinkräfte auf<br />

F C = −2mω × v ′<br />

F Z = −mω×(ω × r ′ )<br />

F A = −m ˙ω×r ′ .<br />

Man bezeichnet F C als Corioliskraft, F Z als Zentrifugalkraft. Bei einer beschleunigten<br />

Drehbewegung wirkt noch die Kraft F A.<br />

3.2.3 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten<br />

Polarkoordinaten sind krummlinig orthogonale Koordinaten. Dies bedeutet, daß die<br />

Tangenteneinheitsvektoren an die Koordinatenlinien in jedem Punkt ein lokales i.a.<br />

gedrehtes Orthonormalsystem bilden. Die lokale Basis am Ort eines bewegten Massenpunktes<br />

bildet somit ein rotierendes Bezugssystem, in dem die Bewegungsgleichung<br />

die Form (3.47) besitzt.<br />

Abbildung 3.5: Koordinatennetz der Polarkoordinaten<br />

(r, ϕ) mit lokaler Basis {er, eϕ}.<br />

Die Polarkoordinaten (r, ϕ) eines Punktes (x, y) werden durch die Koordinatentransformation<br />

x = r cos ϕ, y = r sin ϕ (3.48)<br />

definiert. Der Ortsvektors besitzt im kartesischen Basissystem die Form<br />

r = r cos ϕ ex + r sin ϕ ey.<br />

Seine Änderung in Richtung der Koordinatenlinien r und ϕ bestimmt die Tangenteneinheitsvektoren<br />

des lokalen Basissystems<br />

er = ∂r<br />

∂r = cos ϕ ex + sin ϕ ey<br />

eϕ = ∂r<br />

r∂ϕ = − sin ϕ ex + cos ϕ ey. (3.49)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 40<br />

Bei einer Bewegung des Massenpunktes dreht sich diese lokale Basis mit der Winkelgeschwindigkeit<br />

ω = ˙ϕ um die z-Achse.<br />

Im lokalen Basissystem erhält man für den Ortsvektor (3.41), die Geschwindigkeit<br />

(3.44) und die Beschleunigung (3.47) jeweils<br />

r = r er<br />

v = ˙r er + ωr ez×e r = ˙r er + ωr eϕ . (3.50)<br />

a = ¨r er + 2ω ˙r ez×e r + ω 2 r ez×(ez×e r) + ˙ωr ez×e r<br />

= ¨r er + 2ω ˙r eϕ − ω 2 r er + ˙ωr eϕ .<br />

Damit lauten die beiden Komponenten der Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten<br />

3.2.4 Begleitendes Dreibein<br />

m¨r = Fr + mω 2 r, Fr = F · er,<br />

mr ¨ϕ = Fϕ − 2mω ˙r , Fϕ = F · eϕ . (3.51)<br />

Eine Raumkurve definiert in jedem Punkt der Kurve ein spezielles Orthonormalsystem<br />

von Basisvektoren, das man als das begleitende Dreibein bezeichnet. Das<br />

Dreibein ändert seine Richtung entlang der Kurve, so daß man es hier physikalisch<br />

mit einem speziellen rotierenden Bezugssystem zu tun hat. Die Änderungen<br />

der Basisvektoren entlang der Kurve definieren die lokalen Kurveneigenschaften der<br />

Krümmung und Torsion. Die Komponenten der Beschleunigung definieren die lokale<br />

Tangential- und Zentripetalbeschleunigung.<br />

Interessiert man sich für die geometrischen Eigenschaften der Bahnkurve, so ist es<br />

besser die Bogenlänge s anstelle der Zeit t als Kurvenparameter zu verwenden. Aus<br />

dem skalaren Weg-Differential<br />

ds = √ dr·dr (3.52)<br />

erhält man für eine Kurve mit der Parameterdarstellung r = r(t) die Bogenlänge<br />

s(t) mit dem Anfangswert s(0) = 0 durch<br />

s =<br />

t<br />

0<br />

dt ′ √ ˙r· ˙r =<br />

t<br />

0<br />

dt ′ v(t ′ ) (3.53)<br />

Als ersten Basisvektor des Dreibeins definiert man den Tangenten-Einheitsvektor<br />

t = dr<br />

ds<br />

˙r<br />

= . (3.54)<br />

v<br />

Es ist ein Einheitsvektor, der in Richtung der Geschwindigkeit gerichtet ist.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 41<br />

Ändert der Tangentenvektor t seine Richtung entlang der Kurve, so bildet die Änderung<br />

dt zusammen mit t die lokale Kurvenebene. Da t ein Einheitsvektor ist, gilt<br />

t· dt<br />

ds<br />

1 dt<br />

=<br />

2<br />

2<br />

ds<br />

= 0, (3.55)<br />

d.h. dt steht senkrecht auf t. Als zweiten Einheitsvektor des Dreibeins definiert man<br />

daher die Hauptnormale n durch<br />

dt<br />

ds<br />

= κn (3.56)<br />

Der Betrag der Änderung wird als die Krümmung κ bezeichnet. Der Kehrwert der<br />

Krümmung ist der Krümmungsradius R = 1/κ.<br />

Der dritte Einheitsvektor des Dreibeins, die Binormale b, steht senkrecht auf der<br />

lokalen Kurvenebene und bildet mit t und n ein Rechtssystem,<br />

b = t×n, t = n×b, n = b×t. (3.57)<br />

Abbildung 3.6: Begleitendes Zweibein einer<br />

ebenen Kurve.<br />

Wir bestimmen nun noch die Änderungen der Binormalen und der Hauptnormale.<br />

Die Änderung der Binormalen steht senkrecht auf b, da es sich wie in (3.55) um<br />

einen Einheitsvektor handelt. Andererseits steht die Änderung auch senkrecht auf<br />

t,<br />

db<br />

ds<br />

dt<br />

= ×n + t×dn<br />

ds ds<br />

= t×dn<br />

ds .


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 42<br />

Der erste Beitrag verschwindet wegen (3.56). Daher besitzt die Änderung der Binormalen<br />

nur eine Komponente in Richtung der Hauptnormalen<br />

db<br />

ds<br />

= −τn. (3.58)<br />

Die Proportionalitätskonstante τ heißt die Torsion der Raumkurve, 1/τ ist der Windungsradius.<br />

Die Änderung der Hauptnormalen kann durch die Differentiation von (3.57) ebenfalls<br />

bestimmt werden,<br />

dn<br />

ds<br />

db<br />

= ×t + b×dt<br />

ds ds<br />

= −τn×t + κb×n<br />

= τb − κt. (3.59)<br />

Die Änderungen der Basisvektoren des begleitenden Dreibeins werden als Frenetsche<br />

Ableitungen bezeichnet:<br />

dt<br />

ds<br />

= κn,<br />

db<br />

ds<br />

= −τn,<br />

dn<br />

ds<br />

= τb − κt (3.60)<br />

Wir bestimmen noch die Komponenten der Beschleunigung in diesem Basissystem.<br />

Die Geschwindigkeit besitzt nur eine Komponente entlang des Tangenten-<br />

Einheitsvektors,<br />

v = vt (3.61)<br />

Unter Verwendung der Produktregel und der Frenetschen Ableitungen folgt für die<br />

Beschleunigung<br />

mit<br />

a = ˙vt + v ˙t<br />

=<br />

2 dt<br />

˙vt + v<br />

ds<br />

= att + aZn, (3.62)<br />

at = ˙v = d2 s<br />

dt 2 , aZ = v 2 κ = v2<br />

R .<br />

Man nennt at die Tangentialbeschleunigung und aZ die Zentripetalbeschleunigung.


Kapitel 4<br />

Newtonsche <strong>Mechanik</strong><br />

Die Newtonschen Grundgesetze der <strong>Mechanik</strong> bestimmen die Bewegung von<br />

Körpern unter der Einwirkung von Kräften. Sie wurden von Newton in der Form<br />

von drei Grundgesetzen oder Axiomen formuliert. Sein grundlegendes Werk Philosophiae<br />

Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturlehre)<br />

erschien im Jahr 1687.<br />

Als Folgerungen ergeben sich aus den Newtonschen Grundgesetzen die Erhaltungssätze<br />

für den Impuls, den Drehimpuls und die Energie. Als Anwendungen der<br />

Newtonschen <strong>Mechanik</strong> behandeln wir Bewegungen im Zentralpotential, das Kepler-<br />

Problem, die Coulomb-Streuung und das Zweikörperproblem.<br />

4.1 Newtonsche Gesetze<br />

Die Newtonschen Gesetze werden im folgenden nach Ernst Mach zitiert und dann<br />

formelmäßig angegeben.<br />

Erstes Gesetz:<br />

Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen geradlinigen<br />

Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand<br />

zu ändern.<br />

F = 0 =⇒ p = mv = const. (4.1)<br />

Das erste Newtonsche Gesetz ist eine Neuformulierung des Galileischen Trägheitsgesetzes.<br />

Galilei hatte bereits die gleichförmige Bewegung auf einer horizontalen<br />

Ebene (als Grenzfall der schiefen Ebene) beobachtet und dabei das Trägheitsgesetz<br />

43


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 44<br />

entdeckt. Dies widersprach der jahrhundertealten Vorstellung, daß Bewegung von<br />

selbst <strong>zur</strong> Ruhe kommt. Bei Newton bekommt das Trägheitsgesetz eine universelle<br />

Bedeutung.<br />

Das Trägheitsgesetz gilt nur in ausgezeichneten Bezugssystemen, nämlich den<br />

Inertialsystemen. Man kann es daher auch als eine Definition der Bezugssysteme<br />

ansehen, in denen die Newtonschen Gesetze gelten. Damit bekommt es eine vom<br />

zweiten Newtonschen Gesetz unabhängige Bedeutung.<br />

Zweites Gesetz:<br />

Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional<br />

und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft<br />

wirkt.<br />

dp<br />

dt<br />

= F (4.2)<br />

Mit Änderung der Bewegung ist nach heutiger Ausdrucksweise Änderung des Impulses<br />

gemeint. Die Kraft ist eine gerichtete Größe, also ein Vektor. Sie ändert im<br />

allgemeinen Betrag und Richtung des Impulses. Bei konstanter Masse gilt das Beschleunigungsgesetz<br />

m d2r = F . (4.3)<br />

dt2 Die Beschleunigung ist also umgekehrt proportional <strong>zur</strong> Masse.<br />

Die Kraft hängt von der Wechselwirkung ab. Neben den Bewegungsgesetzen wurde<br />

von Newton auch das Gesetz für die Gravitationskraft eingeführt. Das Newtonsche<br />

Gravitationsgesetz führt alle Schwerkräfte auf eine Anziehungskraft zwischen Massen<br />

<strong>zur</strong>ück. Die Kraft, die von einer Masse m2 am Ort r2 auf eine Masse m1 am Ort<br />

r1 ausgeübt wird ist,<br />

F 12 = −γ m1m2<br />

r 2 12<br />

r1 − r2<br />

r12<br />

. (4.4)<br />

Hierbei ist r12 = r1 − r2 der Abstand der Massenpunkte und γ die Gravitationskonstante.<br />

In der Elektrostatik gilt für die Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen q1 und q2 das<br />

analoge Coulombgesetz,<br />

F 12 = k q1q2<br />

r 2 12<br />

r1 − r2<br />

r12<br />

. (4.5)<br />

Gleichnamige Ladungen (q1q2 > 0) stoßen sich ab, ungleichnamige (q1q2 < 0) ziehen<br />

sich an. Die Proportionalitätskonstante k ist vom Maßsystem abhängig. Im Gaußsystem<br />

gilt k = 1.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 45<br />

Abbildung 4.1: Gravitationskraft zwischen<br />

zwei Massenpunkten. Die Kräfte<br />

auf die beiden Massenpunkte sind betragsmäßig<br />

gleich aber entgegengesetzt<br />

entlang der Verbindungslinie der Massen<br />

gerichtet.<br />

In der Elektrodynamik wird die Kraft auf eine Ladung q durch das elektrische Feld<br />

E(r) und das magnetische Feld B(r) am Ort r der Ladung bestimmt. Im Gaußsystem<br />

gilt<br />

F = q(E + 1<br />

v × B). (4.6)<br />

c<br />

Drittes Gesetz:<br />

Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper<br />

aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.<br />

F 12 = −F 21, r1×F 12 = −r2×F 21 . (4.7)<br />

Der Begriff Wirkung wurde hier sowohl als Kraft als auch als Drehmoment gedeutet.<br />

Die Kräfte auf zwei Massenpunkte sind demnach einander entgegengesetzt gleich und<br />

wirken entlang der Verbindungslinie der Massenpunkte,<br />

(r1 − r2)×F 12 = 0 . (4.8)<br />

In Kurzform wird dieses Gesetz als actio=reactio bezeichnet. Das bedeutet z.B., daß<br />

ein fallender Stein die Erde genauso stark anzieht wie die Erde den fallenden Stein.<br />

Aufgrund der größeren Masse ist aber die Beschleunigung der Erde sehr viel kleiner<br />

als die des Steins.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 46<br />

Zusatz<br />

Abbildung 4.2: Links: Actio=reactio<br />

gilt für die Kräfte aber nicht für die<br />

Drehmomente. Rechts: Actio=reactio<br />

gilt für die Kräfte und für die Drehmomente.<br />

Die Kräfte sind in diesem Fall<br />

nicht nur entgegengesetzt gleich sondern<br />

auch entlang der Verbindungslinie<br />

der Massen gerichtet.<br />

Greifen an einem Körper mehrere Kräfte an, so addieren sich diese vektoriell,<br />

F = <br />

F i. (4.9)<br />

Dies wird als Superpositionsprinzip der Kräfte oder als Regel vom Parallelogramm<br />

der Kräfte bezeichnet. Es wurde von Newton als Zusatz zu den Bewegungsgesetzen<br />

angegeben.<br />

4.2 Erhaltungssätze<br />

Aus den Newtonschen Gesetzen folgen Erhaltungssätze für den Impuls, den Drehimpuls<br />

und die Energie. Wir betrachten zunächst einen Massenpunkt in einem äußeren<br />

Kraftfeld.<br />

4.2.1 Impulssatz<br />

Die Änderung des Impulses wird durch das zweite Newtonsche Gesetz (4.2) bestimmt.<br />

Es wird daher auch als Impulssatz bezeichnet. Impulserhaltung gilt falls<br />

auf den Massenpunkt keine Kraft einwirkt,<br />

i<br />

F = 0 =⇒ p = mv = const . (4.10)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 47<br />

4.2.2 Drehimpulssatz<br />

Ein Massenpunkt bewege sich gleichförmig auf einer Kreisbahn mit Radius r. Bei<br />

einer Veränderung des Radius stellt man fest, daß der Drehimpuls L = rp erhalten<br />

ist. Es liegt nahe, daß es sich bei dieser Erhaltungsgröße ebenfalls um einen Vektor<br />

handelt. Da die Vektoren r und p ihre Richtung ändern, muß dieser Vektor senkrecht<br />

auf der Bewegungsebene stehen. Man definiert allgemein für einen Massenpunkt am<br />

Ort r mit Impuls p den Drehimpulsvektor<br />

L = r×p. (4.11)<br />

Für eine Kreisbahn besitzt der Betrag von L den Maximalwert L = rp. Für eine<br />

Gerade durch den Ursprung verschwindet der Drehimpuls.<br />

Abbildung 4.3: Radiale Bewegung mit Drehimpuls<br />

L = 0 und Kreisbewegung mit Drehimpuls<br />

L = rp.<br />

Der Drehimpuls hängt vom Bezugspunkt ab. Von einem beliebigen festen Bezugspunkt<br />

r0 aus ist der Ortsvektor r ′ = r(t) − r0 und der Drehimpuls<br />

L ′ = r ′ ×p = L − r0×p.<br />

Die zeitliche Änderung des Drehimpulses (4.11) ergibt nach der Produktregel<br />

dL<br />

= v × p + r × ˙p = r × F .<br />

dt<br />

Der erste Term verschwindet, da v parallel ist zu p = mv. Im zweiten Term wurde<br />

die Bewegungsgleichung (4.2) eingesetzt. Damit lautet der Drehimpulssatz,<br />

dL<br />

dt<br />

= N, N = r × F . (4.12)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 48<br />

Hierbei bezeichnet N das Drehmoment der Kraft F am Ort r. Der Drehimpuls<br />

ändert sich durch Einwirkung eines Drehmomentes.<br />

Drehimpulserhaltungssatz: Wirkt auf den Massenpunkt kein Drehmoment, so<br />

gilt<br />

N = 0 ⇒ L = mr×v = const. (4.13)<br />

Aufgrund der Drehimpulserhaltung verläuft die Bewegung entweder entlang einer<br />

Ursprungsgeraden<br />

L = 0, v r<br />

oder in einer Ebene senkrecht zum Drehimpulsvektor<br />

L = 0, v · L = r · L = 0.<br />

Die Bahnebene wird hierbei durch die beiden zu L senkrechten Vektoren r und v<br />

aufgespannt.<br />

Flächensatz: Eine geometrische Deutung der Drehimpulserhaltung gibt der<br />

Flächensatz. Der Ortsvektor zum Massenpunkt überstreicht in gleichen Zeiten gleiche<br />

Flächen.<br />

Abbildung 4.4: Ist der Drehimpuls erhalten,<br />

so werden vom Ortsvektor r in gleichen Zeiten<br />

gleiche Flächen überstrichen.<br />

Beweis: Im Zeitintervall dt bewegt sich der Massenpunkt um dr = vdt. Hierbei<br />

überstreicht der Ortsvektor die Fläche<br />

dS = 1<br />

1<br />

|r×dr| = Ldt. (4.14)<br />

2 2m<br />

Bei konstantem Drehimpuls ist die Flächenänderungsrate dS/dt konstant.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 49<br />

4.2.3 Energiesatz<br />

Die kinetische Energie eines Massenpunktes mit der Masse m und der Geschwindigkeit<br />

v wird definiert durch<br />

T = 1<br />

2 mv2 . (4.15)<br />

Dies ist eine Verallgemeinerung der Definition (2.3) für eindimensionale Bewegungen.<br />

Die kinetische Energie ist richtungsunabhängig. Sie hängt nur vom Betragsquadrat<br />

v 2 = v · v ab.<br />

Für die zeitliche Änderung der kinetischen Energie erhält man mit Hilfe der Bewegungsgleichung<br />

(4.2)<br />

dT<br />

= mv · ˙v = F · v.<br />

dt<br />

Man bezeichnet diese Änderung als die von der Kraft verrichtete Leistung<br />

P = F · v . (4.16)<br />

Im Zeitintervall dt ändert sich der Ort des Massenpunktes um dr = vdt. Man<br />

bezeichnet<br />

dW = P dt = F ·dr . (4.17)<br />

als die von der Kraft F längs des vektoriellen Wegelementes dr geleistete Arbeit.<br />

Nur die Kraftkomponente parallel zum Wegelement verrichtet Arbeit. Zum Beispiel<br />

verrichtet die Lorentzkraft keine Arbeit, wenn sich eine Ladung q in einem Magnetfeld<br />

B mit der Geschwindigkeit v bewegt:<br />

dW = F ·vdt = q<br />

(v×B)·vdt = 0.<br />

c<br />

Bewegt sich der Massenpunkt zwischen den Zeitpunkten t0 und t1 von einem Anfangspunkt<br />

r0 zu einem Endpunkt r1 entlang einer Kurve γ, so erhält man für diesen<br />

Weg den Energiesatz<br />

<br />

T1 − T0 =<br />

γ<br />

F ·dr =<br />

t1<br />

t0<br />

F (r(t), v(t), t)·v(t)dt . (4.18)<br />

Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der gesamten von der Kraft auf<br />

dem Weg verrichteten Arbeit. Im allgemeinen hängt die von einer Kraft F =<br />

F (r(t), ˙r(t), t) verrichtete Arbeit vom Verlauf der Bahnkurve r(t) ab (Abb. 4.5).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 50<br />

Abbildung 4.5: Für jedes Wegelement dr verrichtet die Tangentialkomponente der<br />

Kraft F die Arbeit dW = F ·dr (links). Die Gesamtarbeit, die zwischen einem<br />

Anfangspunkt 1 und einem Endpunkt 2 verrichtet wird, hängt im allgemeinen vom<br />

Weg ab (rechts). Für den Weg γ1 ist die Tangentialkomponente der Kraft immer<br />

kleiner als für den Weg γ2.<br />

Energieerhaltung<br />

Ein wichtiger Spezialfall liegt vor, wenn die Arbeit wegunabhängig ist, d.h. für alle<br />

Wege zwischen zwei Endpunkten hängt die Arbeit nur von der Lage der Endpunkte<br />

ab. In diesem Fall gibt es einen Energieerhaltungssatz und die Kraft wird als<br />

konservativ bezeichnet.<br />

Ein Beispiel einer konservativen Kraft ist die Schwerkraft. Für einen beliebigen Weg<br />

von der Höhe z0 auf die Höhe z1 verrichtet die Schwerkraft G = −mgez immer die<br />

Arbeit<br />

<br />

W =<br />

r0<br />

r1<br />

dr·G =<br />

z1<br />

z0<br />

dz(−mg) = −mg(z1 − z0) = U(z0) − U(z1).<br />

Hierbei ist U(z) = mgz die potentielle Energie, die nur von der Höhe des Körpers<br />

abhängt.<br />

Ist die Arbeit wegunabhängig, so kann man allgemein eine potentielle Energie<br />

U(r) = − F ·dr (4.19)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 51<br />

definieren. Ohne Einschränkung kann man einen beliebigen Weg wählen und entlang<br />

dieses Weges mit der Bogenlänge als Kurvenparameter eine Stammfunktion<br />

berechnen,<br />

<br />

U(r) = −<br />

(F ·t) ds , t = dr<br />

ds .<br />

Die Arbeit ist dann die Differenz der potentiellen Energien in den Endpunkten des<br />

Weges,<br />

r1<br />

r1<br />

<br />

W = F ·dr = −U(r) <br />

= U(r0) − U(r1) . (4.20)<br />

Aus dem Energiesatz (4.18) folgt mit (4.20)<br />

r0<br />

r0<br />

T1 + U(r1) = T0 + U(r0) = E.<br />

Da der Endpunkt beliebig gewählt werden kann, bleibt die Gesamtenergie E bei<br />

der Bewegung r = r(t) mit der Geschwindigkeit v = v(t) konstant und es gilt der<br />

Energieerhaltungssatz<br />

Konservative Kräfte<br />

1<br />

2 mv2 + U(r) = E (4.21)<br />

Es stellt sich nun die Frage, welche Kräfte konservativ sind, d.h. ein Potential besitzen.<br />

Dazu nehmen wir an, daß ein Potential existiert und leiten daraus die allgemeine<br />

Form des zugehörigen Kraftfeldes her.<br />

Es existiere ein Potential U(r), so daß die Arbeit wegunabhängig ist und der Energiesatz<br />

(4.21) gilt. Dann erhält man durch Zeitableitung<br />

Hierbei bezeichnet<br />

den Nabla-Operator und<br />

dT<br />

dt<br />

+ dU<br />

dt<br />

= (F + ∇U)·v = 0 . (4.22)<br />

∂ ∂ ∂<br />

∇ = ex + ey + ez<br />

∂x ∂y ∂z<br />

∂U<br />

∇U = ex<br />

∂x<br />

∂U<br />

+ ey<br />

∂y<br />

∂U<br />

+ ez<br />

∂z<br />

(4.23)<br />

(4.24)<br />

den Gradienten von U. Allgemein kann das Differential einer Funktion f(r) mit<br />

Hilfe des Gradienten angegeben werden,<br />

df = ∂f<br />

∂x<br />

dx + ∂f<br />

∂y<br />

∂f<br />

dy + dz = dr·∇f. (4.25)<br />

∂z


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 52<br />

Aus (4.22) folgt, daß der Vektor F +∇U senkrecht auf der Geschwindigkeit v steht.<br />

Mit einem beliebigen Vektor A gilt daher für konservative Kräfte<br />

F = −∇U + v×A. (4.26)<br />

Insbesondere haben geschwindigkeitsunabhängige konservative Kräfte die einfache<br />

Form<br />

F = −∇U. (4.27)<br />

Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium dafür, daß eine geschwindigkeitsunabhängige<br />

Kraft in einem zusammenhängenden Gebiet konservativ ist, lautet<br />

∇ × F = 0. (4.28)<br />

Man bezeichnet das Kreuzprodukt von F mit Nabla als die Rotation von F . In<br />

Komponenteschreibweise gilt,<br />

(∇ × F )i = <br />

jk<br />

ɛijk<br />

∂Fk<br />

.<br />

∂xj<br />

Die Bedingung ist notwendig. Ist F konservativ, so folgt daraus notwendig (4.28).<br />

Denn eine konservative ortsabhängige Kraft ist nach (4.27) aus einem Potential<br />

ableitbar und die Rotation des Gradienten verschwindet:<br />

(∇ × F )i = − <br />

jk<br />

ɛijk<br />

∂ 2 U<br />

∂xj∂xk<br />

= − <br />

kj<br />

ɛikj<br />

∂ 2 U<br />

∂xk∂xj<br />

= <br />

jk<br />

ɛijk<br />

∂ 2 U<br />

∂xj∂xk<br />

= 0.<br />

Umgekehrt kann man auch zeigen, daß die Bedingung (4.28) hinreichend dafür ist,<br />

daß die Arbeit wegunabhängig ist. Dies folgt aus dem Stokeschen Satz, der aber erst<br />

in der Vektoranalysis und in der Elektrostatik behandelt wird.<br />

4.3 Systeme von Massenpunkten<br />

Wir betrachten nun ein System von N Massenpunkten mit den Bewegungsgleichungen<br />

mi¨ri = F i, i = 1, 2, 3, · · · , N. (4.29)<br />

Für die Kraft auf den i-ten Massenpunkt gilt das Superpositionsprinzip der Kräfte,<br />

F i =<br />

N<br />

j=1,j=i<br />

F ij + F e<br />

i . (4.30)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 53<br />

Hierbei bezeichnet F e<br />

i eine externe Kraft auf den i-ten Massenpunkt und F ij die<br />

Wechselwirkungskraft, die vom j-ten auf den i-ten Massenpunkt ausgeübt wird. Für<br />

die Wechselwirkungskräfte gelte das actio=reactio Gesetz,<br />

F ij = −F ji, ri×F ij = −rj×F ji . (4.31)<br />

4.3.1 Additive Bewegungsgrößen<br />

Für Systeme von Massenpunkten definiert man eine Reihe von additiven Bewegungsgrößen,<br />

M =<br />

R =<br />

P =<br />

L =<br />

T =<br />

N<br />

mi, Gesamtmasse (4.32)<br />

i=1<br />

N<br />

miri<br />

i=1<br />

M<br />

, Schwerpunkt , (4.33)<br />

N<br />

mi ˙ri, Gesamtimpuls (4.34)<br />

i=1<br />

N<br />

ri×(mi ˙ri), Gesamtdrehimpuls (4.35)<br />

i=1<br />

N<br />

i=1<br />

4.3.2 Impulssatz und Schwerpunkt<br />

1<br />

2 mi ˙r 2 i , Gesamte kinetische Energie (4.36)<br />

Der Schwerpunkt ist dadurch ausgezeichnet, daß seine Bewegung durch die Gesamtmasse<br />

und durch die Gesamtkraft auf die Massenverteilung,<br />

N N<br />

F i =<br />

i=1<br />

i=1<br />

F e<br />

i = F e , (4.37)<br />

bestimmt wird. Die Gesamtkraft hängt nur von den externen Kräften ab, da sich<br />

die Wechselwirkungskräfte wegen des Gesetzes von actio=reactio zu Null addieren,<br />

<br />

F ij = <br />

F ij + <br />

F ij = <br />

F ij + F ji = 0.<br />

i,j,i=j<br />

i,j,ij<br />

i,j,i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 54<br />

Die erste Gleichung ergibt sich aus der Definition des Schwerpunktes durch einmalige<br />

Zeitableitung. Demnach bewegt sich der Schwerpunkt mit derselben Geschwindigkeit<br />

wie ein Massenpunkt mit der Masse M und mit dem Impuls P . Die zweite Gleichung<br />

ist der Impulssatz des Gesamtsystems.<br />

Ändert sich die externe Kraft nur wenig über die Massenverteilung, so kann sie<br />

näherungsweise im Schwerpunkt ausgewertet werden,<br />

F e =<br />

N<br />

i=1<br />

F e<br />

i (ri) ≈<br />

N<br />

i=1<br />

F e<br />

i (R) = F e(R).<br />

In diesem Fall ist die Schwerpunktsbewegung unabhängig von der Bewegung der<br />

einzelnen Massenpunkte und kann tatsächlich durch einen einzigen Massenpunkt mit<br />

der Gesamtmasse M ersetzt werden. Unter dieser Voraussetzung ist die Idealisierung<br />

ausgedehnter Körper als Massenpunkte gerechtfertigt.<br />

Gibt es keine äußeren Kräfte, so bezeichnet man das System als abgeschlossen. Für<br />

ein abgeschlossenes System ist der Gesamtimpuls erhalten. Der Schwerpunkt ist<br />

dann entweder in Ruhe oder er bewegt sich gleichförmig,<br />

F e = 0 ⇒ P = P 0, R = R0 + 1<br />

P t. (4.39)<br />

M<br />

Die Bewegung der Massenpunkte relativ zum Schwerpunkt wird durch die Relativvektoren<br />

r ′ i = ri − R (4.40)<br />

beschrieben. Die Relativvektoren sind die Ortsvektoren der Massenpunkte in einem<br />

Bezugssystem S ′ , dessen Ursprung im Schwerpunkt liegt. Daher verschwinden der<br />

Schwerpunkt und der Gesamtimpuls in S’<br />

MR ′ =<br />

P ′ =<br />

N<br />

i=1<br />

N<br />

i=1<br />

mir ′ i =<br />

mi ˙r ′<br />

i =<br />

N<br />

mi(ri − R) = M(R − R) = 0.<br />

i=1<br />

N<br />

mi( ˙ri − ˙R) = P − M ˙R = 0. (4.41)<br />

i=1<br />

Der Drehimpuls L’ in S’ ist der Gesamtdrehimpuls um den Schwerpunkt. Er unterscheidet<br />

sich vom Drehimpuls L in S durch den Drehimpuls des mit dem Gesamtimpuls<br />

P bewegten Schwerpunktes,<br />

L = L ′ + R×P . (4.42)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 55<br />

Dieses Transformationsgesetz folgt mit (4.41) aus,<br />

L =<br />

=<br />

N<br />

ri×(mi ˙ri) =<br />

i=1<br />

N<br />

i=1<br />

r ′ i×(mi ˙r ′ i) +<br />

= L ′ + R × P .<br />

N<br />

i=1<br />

(r ′ i + R)×(mi ˙ri)<br />

N<br />

mir ′ i×( ˙R) + R × P<br />

Für die kinetische Energie T erhält man eine entsprechende Zerlegung,<br />

i=1<br />

T = T ′ + 1<br />

2 M ˙ R 2 , (4.43)<br />

in die kinetische Energie T ’ und die kinetische Energie des mit der Gesamtmasse<br />

bewegten Schwerpunktes. Dies folgt aus<br />

T =<br />

=<br />

4.3.3 Drehimpulssatz<br />

N<br />

i=1<br />

N<br />

i=1<br />

1<br />

2 mi( ˙r ′<br />

i + ˙R) 2<br />

1<br />

2 mi( ˙r ′2<br />

i + 2 ˙r ′<br />

i· ˙R + ˙ R 2 )<br />

= T ′ + 1<br />

2 M ˙ R 2 .<br />

Für ein System von Massenpunkten lautet der Drehimpulssatz<br />

˙L = N e . (4.44)<br />

Hierbei bezeichnet L den Gesamtdrehimpuls und N e das Gesamtdrehmoment der<br />

externen Kräfte,<br />

N e N<br />

=<br />

i=1<br />

ri×F e<br />

i .<br />

Beweis: Zur Herleitung von (4.44) verwenden wir den Drehimpulssatz (4.12) für<br />

den i-ten Massenpunkt und erhalten durch Summation über die Massenpunkte<br />

˙L =<br />

N<br />

i=1<br />

˙Li =<br />

N<br />

ri×F i.<br />

i=1


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 56<br />

Die Drehmomente, die durch die Wechselwirkungskräfte ausgeübt werden, addieren<br />

sich wegen des actio=reactio-Gesetzes zu Null,<br />

<br />

ri×F ij = <br />

ri×F ij + <br />

ri×F ij = <br />

ri×F ij + rj×F ji = 0.<br />

i,j,i=j<br />

i,j,ij<br />

i,j,i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 57<br />

Mit der kinetischen Energie,<br />

lautet der Energieerhaltungssatz<br />

T = 1<br />

2<br />

N<br />

i=1<br />

mi ˙r 2 i ,<br />

T + U = E = const. (4.47)<br />

Beweis: Zum Beweis des Energieerhaltungssatzes ist zu zeigen, daß die Zeitableitung<br />

der Gesamtenergie E verschwindet, wenn die Bewegung der Massenpunkte<br />

den Bewegungsgleichungen (4.29) genügt. Für die zeitliche Änderung der Wechselwirkungsenergie<br />

gilt<br />

dUW<br />

dt<br />

d <br />

= Uij(rij)<br />

dt<br />

i,j,i


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 58<br />

besitzt und daß die Größe<br />

G(t) = <br />

pi(t)·ri(t) i<br />

für alle Zeiten beschränkt bleibt. Die letzte Annahme ist erfüllt wenn die Bewegung<br />

in einem endlichen Raumgebiet lokalisiert ist und die Energie endlich bleibt. Dies ist<br />

insbesondere bei allen beschränkten periodischen Bewegungen der Fall. Dann gilt<br />

der Virialsatz<br />

wobei<br />

T = − 1<br />

2<br />

1<br />

f = lim<br />

τ→∞ τ<br />

<br />

F i·ri<br />

i<br />

<br />

+τ/2<br />

−τ/2<br />

das Zeitmittel der Funktion f(t) bezeichnet.<br />

f(t)dt<br />

Beweis: Der Beweis des Virialsatzes beruht auf der Identität<br />

dG<br />

dt<br />

= <br />

i<br />

˙p i·ri + pi· ˙ri = <br />

F i·ri + 2T.<br />

Da G beschränkt ist, verschwindet das Zeitmittel der linken Seite:<br />

dG<br />

dt<br />

G(τ/2) − G(−τ/2)<br />

= lim<br />

τ→∞ τ<br />

i<br />

= 0.<br />

Aus dem Zeitmittel der rechten Seite ergibt sich dann (4.48).<br />

(4.48)<br />

Beispiele: Für einen harmonischen Oszillator mit der potentiellen Energie U =<br />

fx2 /2 folgt aus dem Virialsatz die Gleichverteilung von kinetischer und potentieller<br />

Energie,<br />

T = − 1<br />

(−fx)x = U<br />

2<br />

Für ein Zentralpotential U = −α/r einer Zentralkraft F = −αr/r3 ist die mittlere<br />

kinetische Energie betragsmäßig halb so groß wie die mittlere potentielle Energie,<br />

T = − 1<br />

2 (−αr/r3 )·r = − 1<br />

U .<br />

2<br />

Für ein freies Teilchen (F = 0) ergibt der Virialsatz das offensichtlich unrichtige<br />

Ergebnis T = 0. Hier ist die Voraussetzung des Satzes nicht erfüllt, daß die Bewegung<br />

in einem endlichen Raumbereich verläuft.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 59<br />

4.4 Zentralpotential<br />

Wir betrachten nun die Bewegung eines Massenpunktes in einem Zentralfeld der<br />

Form,<br />

U = U(r), F = −∇U = −U ′ (r) r<br />

.<br />

r<br />

(4.49)<br />

Die potentielle Energie hängt nur vom Abstand r vom Kraftzentrum ab. Die Äquipotentialflächen<br />

sind Kugelflächen. Der Gradient zeigt in Richtung der Flächennormalen.<br />

Die abgeleitete Zentralkraft ist daher in radialer Richtung gerichtet. Ein<br />

Zentralfeld wird von einer Masse erzeugt, die so groß ist, daß sie als unbeweglich im<br />

Ursprung des Koordinatensystems angenommen werden kann.<br />

Erhaltungssätze<br />

Die Bewegung eines Teilchens im Zentralpotential kann man aufgrund der Erhaltung<br />

des Drehimpulses und der Energie auf eine eindimensionale Bewegung in einem<br />

effektiven Potential <strong>zur</strong>ückführen.<br />

Eine Zentralkraft erzeugt kein Drehmoment, da sie parallel zum Ortsvektor gerichtet<br />

ist,<br />

N = r × F = (F (r)/r)r × r = 0.<br />

Damit gilt der Drehimpulserhaltungssatz (4.13). Wie bereits gezeigt, verläuft die<br />

Bahn in diesem Fall in einer Ebene senkrecht zum Drehimpulsvektor. In der Bahnebene<br />

beschreiben wir die Bewegung durch Polarkoordinaten (r(t), ϕ(t)).<br />

Abbildung 4.6: In Polarkoordinaten(r, ϕ) ist die<br />

Änderung des Ortsvektors dr = drer + rdϕeϕ.<br />

Unter Verwendung der Darstellung (3.50) oder nach Abb.(4.6) erhält man in Polarkoordinaten<br />

r = rer, v = ˙rer + r ˙ϕeϕ, r × v = r 2 ˙ϕez, v 2 = ˙r 2 + r 2 ˙ϕ 2 .


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 60<br />

Damit lauten der Drehimpuls- und Energieerhaltungssatz<br />

L = mr 2 ˙ϕ = const, (4.50)<br />

E = 1<br />

2 m ˙r2 + 1<br />

2 mr2 ˙ϕ 2 + U(r) = const. (4.51)<br />

Diese Erhaltungssätze bilden ein System von 2 gekoppelten Differentialgleichungen<br />

1. Ordnung für die Funktionen r(t) und ϕ(t). Zur eindeutigen Festlegung einer<br />

Lösung sind noch zwei Anfangsbedingungen<br />

r(0) = r0, ϕ(0) = ϕ0 (4.52)<br />

erforderlich. Die Newtonsche Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt stellt ein<br />

System von 3 gekoppelten Differentialgleichungen 2.Ordnung dar. Die allgemeine<br />

Lösung besitzt 6 Integrationskonstanten. 4 Integrationskonstanten werden durch<br />

die Energie und die drei Komponenten des Drehimpulses bestimmt. Die restlichen<br />

beiden Integrationskonstanten sind durch (4.52) festgelegt.<br />

Integration der Bewegungsgleichungen<br />

Eliminiert man ˙ϕ mit Hilfe der Beziehungen<br />

so lautet der Energiesatz<br />

˙ϕ = L<br />

,<br />

mr2 1<br />

2 mr2 ˙ϕ 2 = L2<br />

2mr 2<br />

(4.53)<br />

E = 1<br />

2 m ˙r2 + Ueff(r), Ueff(r) = U(r) + L2<br />

. (4.54)<br />

2mr2 Man kann die Radialbewegung r = r(t) als eine eindimensionale Bewegung in einem<br />

effektiven Potential Ueff(r) auffassen und entsprechend integrieren<br />

<br />

2<br />

˙r = ±<br />

m (E − Ueff), t = ±<br />

r(t)<br />

r0<br />

dr ′<br />

.<br />

2 (E − Ueff)<br />

m<br />

Die Lösung t = t(r) bestimmt implizit die Radialbewegung r = r(t). Damit kann<br />

die Winkelbewegung ϕ = ϕ(t) ebenfalls integriert werden,<br />

ϕ(t) = ϕ0 +<br />

t<br />

0<br />

L<br />

mr 2 dt′ . (4.55)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 61<br />

Die Bewegung r = r(t), ϕ = ϕ(t) stellt eine Parameterdarstellung der Bahnkurve<br />

r = r(ϕ) mit dem Kurvenparameter t dar. Die Bahnkurve kann wegen<br />

dϕ<br />

dr<br />

auch direkt durch das Integral<br />

= ˙ϕ<br />

˙r<br />

ϕ = ϕ0 ±<br />

L<br />

= ±<br />

r22m(E − Ueff)<br />

r(t)<br />

r0<br />

(4.56)<br />

Ldr<br />

r2 , (4.57)<br />

2m(E − Ueff)<br />

dargestellt werden. Die Umkehrung von ϕ = ϕ(r) ergibt r = r(ϕ).<br />

Bahnkurven<br />

Die Radialbwegung wird durch das effektive Potential Ueff(r) bestimmt. Das effektive<br />

Potential Ueff(r) ist die Summe aus dem Zentralpotential U(r) und einem<br />

Potential Uz = L 2 /2mr 2 , das als Zentrifugalpotential bezeichnet wird. Abbildung<br />

(4.7) zeigt das effektive Potential für die Potentiale U = αr 2 und U = −α/r mit<br />

α > 0. Die Radialbewegung ist auf die Bereiche mit E > Ueff eingeschränkt. Punkte,<br />

in denen E = Ueff sind Umkehrpunkte der Radialbewegung. Falls die Bedingung<br />

E > Ueff nur in einem endlichen Intervall rmin < r < rmax erfüllt ist, spricht man<br />

von einer gebundenen Bahn.<br />

Abbildung 4.7: Effektives Potential Ueff = U+L 2 /2mr 2 für U = αr 2 und U = −α/r.<br />

An den Umkehrpunkten der Radialbewegung gilt ˙r = 0 aber ˙ϕ = 0, nach (4.53).<br />

Daher dreht sich der Ortsvektor an diesen Umkehrpunkten in der Bahnebene weiter.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 62<br />

Bei einer ungebundenen Bewegung kommt die Bahn aus dem Unendlichen, nähert<br />

sich dem Kraftzentrum bis auf einen minimalen Abstand r0 und entfernt sich dann<br />

wieder ins Unendliche.<br />

Abbildung 4.8: Bahnkurven einer<br />

ungebundenen Bewegung in einem<br />

anziehenden (rechts) und einem<br />

abstoßenden (links) Zentralpotential.<br />

Die Bahn nähert sich<br />

dem Zentrum bis zum minimalen<br />

Abstand r0.<br />

Bei einer gebundenen Bahn verläuft die Radialbewegung zwischen zwei Umkehrpunkten<br />

rmin und rmax. Einem Umlauf im effektiven Potential von rmin nach rmax<br />

und <strong>zur</strong>ück nach rmin entspricht ein Winkelzuwachs<br />

∆ϕ =<br />

rmax<br />

rmin<br />

2Ldr<br />

r 2 2m(E − Ueff)<br />

(4.58)<br />

für den Umlauf des Teilchens um das Kraftzentrum. Die Bahn des Teilchens verläuft,<br />

wie in Abb. (4.9) dargestellt innerhalb eines Kreisringes, wobei sich die Radien<br />

zu zwei aufeinanderfolgenden Scheitelpunkten der Bahn am äußeren bzw. inneren<br />

Rand des Ringes um den Winkel (4.58) drehen. Die Bahn ist geschlossen, falls für<br />

ganzzahlige m und n die Bedingung<br />

m∆ϕ = n2π (4.59)<br />

erfüllt wird. Dann schließt sich die Bahn nach m Umläufen im effektiven Potential<br />

bzw. n Umläufen um das Kraftzentrum (Rosettenbahn). Ist ∆ϕ kein rationales Vielfaches<br />

von 2π, so ist die Bahn offen und erfüllt nach beliebig vielen Umläufen den<br />

gesamten Kreisring. Man kann zeigen, daß sie jedem Punkt des Kreisringes beliebig<br />

nahe kommt und bezeichnet solche Bahnen als ergodisch.<br />

Newtonsche Bewegungsgleichung: Zum selben Ergebnis gelangt man auch<br />

durch direkte Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichung<br />

m¨r = m{(¨r − r ˙ϕ 2 )er + (r ¨ϕ + 2 ˙r ˙ϕ)eϕ} = −U ′ (r)er<br />

(4.60)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 63<br />

Abbildung 4.9: Bahnkurve einer gebundenen<br />

Bewegung in einem Zentralpotential. Die<br />

Bahn verläuft innerhalb des Kreisringes zwischen<br />

rmin und rmax. Die Teilstücke der Bahn<br />

zwischen 2 Umkehrpunkten sind jeweils spiegelsymmetrisch<br />

bezüglich der vom Zentrum<br />

zu den Umkehrpunkten gerichteten Radien<br />

rmin bzw. rmax.<br />

in der Bahnebene. Die Komponente der Bewegungsgleichung in Richtung eϕ,<br />

r ¨ϕ + 2 ˙r ˙ϕ = 1<br />

r<br />

d 2<br />

r ˙ϕ = 0 (4.61)<br />

dt<br />

ergibt die Drehimpulserhaltung L = mr 2 ˙ϕ = const. Damit kann die Radialkomponente<br />

der Bewegungsgleichung in der Form<br />

m¨r = −U ′ (r) + mr L2<br />

m 2 r 4 = −U ′ eff(r) (4.62)<br />

angegeben werden. Zusätzlich <strong>zur</strong> vorgegebenen Zentralkraft tritt eine Zentrifugalkraft<br />

auf, die immer radial nach außen gerichtet ist und aus dem Zentrifugalpotential<br />

abgeleitet werden kann. Der Energiesatz dieser eindimensionalen Bewegungsgleichung<br />

stimmt mit dem obigen Energiesatz für die Gesamtenergie des Teilchens<br />

überein.<br />

4.5 Kepler-Problem<br />

Die Bestimmung der Bewegung eines Massenpunktes in einem Zentralfeld der Form<br />

U(r) = − α<br />

α<br />

, F = −<br />

r r2 r<br />

, α = const, (4.63)<br />

r<br />

wird als das Kepler-Problem bezeichnet. Für α = γmM ist es auf die Planetenbewegung<br />

(Masse m) um die Sonne (Masse M) anwendbar, wobei die Sonne als festes<br />

Zentrum behandelt wird. Im Rahmen der Newtonschen Theorie können die Keplerschen<br />

Planetengesetze hergeleitet und durch das universelle Gravitationsgesetz


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 64<br />

(4.63) begründet werden. Dies war einer der größten und überzeugensten Erfolge<br />

der Newtonschen <strong>Mechanik</strong>.<br />

Für α = q1q1 erhält man das Coulomb-Gesetz der Elektrostatik. Es beschreibt zum<br />

Beispiel die klassischen Elektronenbahnen in einem Atom oder die Streuung geladener<br />

Teilchen. Für α > 0 ist das Potential anziehend, für α < 0 abstoßend.<br />

Keplersche Gesetze<br />

1.) Die Planetenbahnen sind Ellipsen. Die Sonne befindet sich in einem Brennpunkt<br />

der Ellipse.<br />

2.) Der von der Sonne zum Planeten gerichtete Vektor überstreicht in gleichen<br />

Zeiten gleiche Flächen.<br />

3.) Für 2 Planetenbahnen verhalten sich die Quadrate der Umlaufzeiten wie die<br />

Kuben der großen Halbachsen.<br />

Das zweite Keplersche Gesetz ist der Flächensatz (4.14), der allgemein aus der Drehimpulserhaltung<br />

folgt. Das erste und dritte Gesetz werden im folgenden aus der<br />

Lösung des Kepler-Problems abgeleitet.<br />

Effektives Potential<br />

Abbildung 4.10: Effektives Potential<br />

für ein anziehendes 1/r-<br />

Potential. Für negative Energien<br />

sind die Bahnen gebunden.<br />

Die Radialbewegung verläuft zwischen<br />

den Umkehrpunkten rmin<br />

und rmax. Für positive Energien<br />

existieren keine gebundenen<br />

Bahnen. Ein einfallendes Teilchen<br />

wird am Kraftzentrum gestreut<br />

und entfernt sich danach<br />

wieder beliebig weit.<br />

Das effektive Potential<br />

Ueff = − α L2<br />

+<br />

r 2mr2 (4.64)<br />

besitzt das in Abb.(4.10) dargestellte Verhalten. Für L = 0 existiert ein Minimum<br />

bei<br />

r∗ = L2<br />

mα , U∗ = − 1 mα<br />

2<br />

2<br />

.<br />

L2 (4.65)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 65<br />

Demnach gibt es gebundene Bahnen für negative Energien im Intervall<br />

Für positive Energien sind die Bahnen ungebunden.<br />

Bahnkurven<br />

Die Bahnkurve r = r(ϕ) wird durch das Integral<br />

<br />

L dr<br />

ϕ =<br />

r2 <br />

− mα2<br />

≤ E < 0. (4.66)<br />

2L2 2m(E + α<br />

r<br />

) − L2<br />

r 2<br />

(4.67)<br />

bestimmt. Es ist hilfreich mit Hilfe von (4.65) die Parameter p = r∗ und ɛ =<br />

(U∗ − E)/U∗ einzuführen. Explizit lautet diese Definition<br />

Damit erhält man durch quadratische Ergänzung<br />

Mit der Substitution<br />

p = L2<br />

<br />

, ɛ = 1 +<br />

mα 2EL2<br />

. (4.68)<br />

mα2 2m(E + α L2<br />

) −<br />

r r2 = m2α2 L2 2 2EL 2p p2<br />

+ −<br />

mα2 r r2 <br />

= L2<br />

p2 <br />

ɛ 2 <br />

p<br />

<br />

2<br />

− − 1<br />

r<br />

= L2ɛ2 p2 <br />

2<br />

p/r − 1<br />

1 −<br />

.<br />

ɛ<br />

ξ =<br />

der Integrationsvariablen folgt<br />

<br />

ϕ = −<br />

p/r − 1<br />

, dξ = −<br />

ɛ<br />

p<br />

ɛ<br />

dξ<br />

1 − ξ 2<br />

1<br />

dr,<br />

r2 = arccos ξ + const.<br />

Die hierbei auftretende Integrationskonstante kann Null gesetzt werden. Dies entspricht<br />

einer Drehung des Koordinatensystems, so daß der Wert ξ = 1 für ϕ = 0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 66<br />

angenommen wird. Löst man nach r auf, so erhält man die Bahnkurve:<br />

r =<br />

p<br />

1 + ɛ cos ϕ<br />

(4.69)<br />

Sie beschreibt Kegelschnitte mit Parameter p und Exzentrizität ɛ. Für ɛ < 1 sind<br />

dies Ellipsen, für ɛ > 1 Hyperbeln, für ɛ = 1 Parabeln. Eine Kreisbahn (ɛ = 0)<br />

ist ein Spezialfall einer Ellipse.<br />

Ellipsenbahnen<br />

Für ɛ im Intervall 0 < ɛ < 1 sind die Bahnkurven Ellipsen. Dieses Intervall entspricht<br />

dem Energieintervall (4.66) für gebundene Bahnen im effektiven Potential.<br />

Der Grenzfall ɛ = 0 entspricht dabei der Kreisbahn im Minimum des effektiven<br />

Potentials.<br />

Nach Abbildung (4.11) und gemäß der Polargleichung (4.69) bestehen für die Parameter<br />

der Ellipse folgende Relationen,<br />

2a = r1 + r2<br />

rmin = r(0) = p<br />

1 + ɛ , rmax = r(π) = p<br />

<br />

1<br />

a = 1<br />

2 (rmin + rmax) = p<br />

2<br />

∆ = 1<br />

2 (rmax − rmin) = p<br />

2<br />

b 2 + ∆ 2 = a 2 , b = √ 1 − ɛ 2 a<br />

Daraus erhält man für die große Halbachse<br />

und für die kleine Halbachse<br />

a = p L2<br />

=<br />

1 − ɛ2 mα<br />

b = √ 1 − ɛ 2 a =<br />

, p = r(π/2)<br />

1 −<br />

<br />

ɛ<br />

1<br />

+ =<br />

1 + ɛ 1 − ɛ<br />

p<br />

.<br />

1 − ɛ2 <br />

1 1<br />

− =<br />

1 − ɛ 1 + ɛ<br />

ɛp<br />

= ɛa .<br />

1 − ɛ2 2|E|L 2<br />

mα 2<br />

mα2 α<br />

=<br />

2|E|L2 2|E|<br />

α<br />

2|E| =<br />

(4.70)<br />

L<br />

2m|E| . (4.71)<br />

Der Halbparameter p ist eindeutig durch L bestimmt. Die große Halbachse a ist<br />

eindeutig durch E bestimmt. Abbildung (4.12) zeigt schematisch die Ellipsenbahnen<br />

als Funktion des Drehimpulses bei fester Energie und als Funktion der Energie bei<br />

festem Drehimpuls.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 67<br />

Abbildung 4.11: Ellipse mit<br />

Halbachsen a, b, Halbparameter<br />

p und Exzentrität ɛ.<br />

Abbildung 4.12: Links: Bahnellipsen bei festem E und Variation von L. Die Kreisbahn<br />

besitzt den größtmöglichen Drehimpuls. Rechts: Bahnellipsen bei festem L und<br />

Variation von E. Die Kreisbahn besitzt die kleinstmögliche Energie.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 68<br />

Umlaufperiode<br />

Aufgrund des Flächensatzes (4.14) gilt für eine Umlaufperiode T<br />

S = πab = L<br />

2m T<br />

T = 2m 2πm<br />

πab =<br />

L L<br />

α<br />

2|E|<br />

<br />

L<br />

m 3<br />

= 2π a 2<br />

2m|E| α<br />

Mit α = γmM ergibt sich für die Umlaufperiode T und die große Halbachse a der<br />

Zusammenhang.<br />

T 2 = (2π)2<br />

γM a3<br />

(4.72)<br />

Da die Proportionalitätskonstante für alle Planeten und für alle Drehimpulse gleich<br />

groß ist, erhält man hieraus das dritte Keplersche Gesetz.<br />

4.6 Coulomb-Streuung<br />

Für ɛ > 1 sind die Bahnkurven Hyperbeln. Sie beschreiben die Streuung von Teilchen<br />

mit Energien E > 0. Die Energie E und der Drehimpuls L bleiben bei der Streuung<br />

erhalten. Das einfallende Teilchen bewege sich asymptotisch in konstantem Abstand<br />

s von der x-Achse mit der Geschwindigkeit v0, d.h. es gilt<br />

r = xex + sey, v = v0ex, L = mr × v = −msv0ez. (4.73)<br />

Man bezeichnet s als den Stoßparameter. Die asymptotische Geschwindigkeit und<br />

der Stoßparameter legen die Parameter der Bahnkurve fest,<br />

4.6.1 Ablenkwinkel<br />

E = 1<br />

2 mv2 0, L = −msv0, L 2 = 2ms 2 E,<br />

p = 2Es2<br />

<br />

2 2Es<br />

, ɛ = 1 + . (4.74)<br />

α α<br />

Das auslaufende Teilchen bewegt sich asymptotisch ebenfalls entlang einer Geraden.<br />

Diese ist gegenüber der x-Achse um den Ablenkwinkel ϑ geneigt. Für abstoßende<br />

Wechselwirkung gilt gemäß (4.68) und (4.69),<br />

α < 0, p < 0, 1 + ɛ cos ϕ < 0, ϕ(rmin) = π. (4.75)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 69<br />

Abbildung 4.13: Streuung an einem abstoßenden Coulomb-Potential.<br />

Abbildung 4.14: Streuung an einem anziehenden Coulomb-Potential.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 70<br />

Die Polarkoordinaten sind so zu wählen, daß ϕ = π für r = rmin gilt. Die Achse des<br />

Polarkoordinatensystems ist also von rmin zum Ursprung gerichtet (Abb. (4.13)).<br />

Bei anziehender Wechselwirkung gilt entsprechend<br />

α > 0, p > 0, 1 + ɛ cos ϕ > 0, ϕ(rmin) = 0. (4.76)<br />

Hier zeigt die Achse des Polarkoordinatensystems vom Ursprung zum Punkt rmin<br />

(Abb. (4.14)). In beiden Fällen besteht zwischen dem Polarwinkel ϕ = ϕ0 und dem<br />

Ablenkwinkel ϑ der auslaufenden Asymptote der Zusammenhang<br />

ϑ = 2ϕ0 − π, ϕ0 = ϑ<br />

2<br />

π<br />

+ . (4.77)<br />

2<br />

Der Ablenkwinkel bei der Coulomb-Streuung läßt sich nun einfach bestimmen. Aus<br />

der Polargleichung (4.69), ergibt sich für die auslaufende Asymptote (r → ∞) die<br />

Bedingung<br />

<br />

ϑ π<br />

1 + ɛ cos ϕ0 = 1 + ɛ cos + = 1 − ɛ sin<br />

2 2<br />

ϑ<br />

2<br />

Damit folgt für den Ablenkwinkel die Beziehung<br />

4.6.2 Wirkungsquerschnitt<br />

sin ϑ<br />

2<br />

= 0.<br />

1<br />

= . (4.78)<br />

ɛ<br />

Die Teilchen eines Teilchenstrahls können durch Stöße mit einem anderen Teilchen<br />

abgelenkt und als Funktion des Ablenkwinkels mit einem Detektor nachgewiesen<br />

werden. Diesen Vorgang nennt man Streuung. Wir betrachten hier die Streuung<br />

eines Teilchenstrahls an einem festen Streuzentrum.<br />

Abbildung 4.15: Streuung von<br />

Teilchen aus dem Flächenelement<br />

dσ = sdsdϕ in das Raumwinkelelement<br />

dΩ = sin ϑdϑdϕ.<br />

Zur Definition des Wirkungsquerschnittes betrachte man einen Strahl monoenergetischer<br />

Teilchen, die von einem Streuzentrum in ein Raumwinkelelement gestreut


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 71<br />

werden (Abb. 4.15). Der Abstand der Bahn des ungestörten Teilchens vom Streuzentrum<br />

wird als Stoßparameter s bezeichnet. Teilchen, die durch den Kreisring<br />

zwischen s und s + ds hindurchtreten werden um einen Winkel zwischen ϑ und<br />

ϑ + dϑ abgelenkt.<br />

Einfallender Teilchenstrom: Die Anzahl der Teilchen, die pro Zeiteinheit durch<br />

die Fläche dσ hindurchtreten, sei<br />

Detektorfläche:<br />

Raumwinkelelement:<br />

I = jdσ; dσ = sdϕds (4.79)<br />

dO = RdϑR sin ϑdϕ = R 2 dΩ (4.80)<br />

dΩ = dO<br />

= sin ϑdϑdϕ (4.81)<br />

R2 Gestreuter Teilchenstrom pro Raumwinkelelement:<br />

dI<br />

dΩ<br />

= j dσ<br />

dΩ<br />

Differentieller Wirkungsquerschnitt:<br />

1 dI dσ<br />

=<br />

j dΩ dΩ =<br />

<br />

<br />

<br />

sdsdϕ <br />

<br />

s<br />

sin<br />

ϑdϑdϕ<br />

=<br />

sin ϑ<br />

<br />

<br />

<br />

ds <br />

<br />

dϑ<br />

= s<br />

sin ϑ<br />

1<br />

<br />

dϑ<br />

ds<br />

(4.82)<br />

(4.83)<br />

Der Betrag ist notwendig, da in der Regel einer Zunahme des Stoßparameters ds<br />

eine Abnahme des Ablenkwinkels dϑ entspricht.<br />

4.6.3 Streuung an harten Kugeln<br />

Abbildung 4.16: Streuung eines Teilchens an<br />

einer harten Kugel mit Radius a.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 72<br />

Ein Teilchen werde an einer harten Kugel mit Radius a gestreut (Abb. 4.16). Die<br />

Beziehung zwischen dem Stoßparamter und dem Ablenkwinkel ergibt sich aus der<br />

Abbildung zu<br />

π − ϑ ϑ<br />

s = a sin ϕ0 = a sin = a cos<br />

2 2 .<br />

Damit kann der Differentielle Wirkungsquerschnitt wie folgt berechnet werden:<br />

ds = − a ϑ<br />

sin<br />

2 2 dϑ<br />

ϑ<br />

dσ cos <br />

2 = −a −<br />

dΩ sin ϑ<br />

a<br />

<br />

sin<br />

2<br />

ϑ a2<br />

ϑ ϑ<br />

= , mit: sin cos 2 2 2 4<br />

Durch Integration über den Raumwinkel erhält man den totalen Wirkungsquerschnitt.<br />

Er entspricht hier der Querschnittsfläche der Kugel:<br />

<br />

σ =<br />

dΩ dσ<br />

dΩ<br />

1 = sin ϑ. (4.84)<br />

2<br />

= a2<br />

4 · 4π = πa2 . (4.85)<br />

4.6.4 Rutherfordscher Wirkungsquerschnitt<br />

Bei der Coulomb-Streuung wird der Zusammenhang zwischen dem Ablenkwinkel<br />

und dem Stoßparameter (Abb.4.17) durch die Formel (4.78) bestimmt. Damit ergibt<br />

sich folgende Berechnung des Wirkungsquerschnittes.<br />

Berechnung der Funktion s = s(ϑ):<br />

2Es<br />

α<br />

2<br />

Abbildung 4.17: Ablenkung eines Teilchens<br />

um einen Winkel ϑ bei einem Stoß mit Stoßparameter<br />

s.<br />

ɛ 2 1<br />

=<br />

sin2 (ϑ/2)<br />

1<br />

=<br />

sin2 ϑ/2 − 1 = 1 − sin2 ϑ/2<br />

sin2 ϑ/2 =<br />

<br />

cos ϑ/2<br />

sin ϑ/2<br />

s = |α| cos ϑ/2<br />

2E sin ϑ/2 →<br />

<br />

∞ ; ϑ = 0<br />

0 ; ϑ = π<br />

2<br />

(4.86)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 73<br />

Ableitung ds/dϑ:<br />

ds<br />

dϑ<br />

= |α|<br />

2E<br />

− 1<br />

2 sin2 ϑ/2 − 1<br />

2 cos2 ϑ/2<br />

sin 2 ϑ/2<br />

= − |α|<br />

4E<br />

1<br />

sin 2 ϑ/2<br />

(4.87)<br />

Differentieller Wirkungsquerschnitt:<br />

dσ<br />

dΩ<br />

=<br />

|α| cos ϑ/2 1<br />

−<br />

2E sin ϑ/2 sin ϑ<br />

<br />

− |α|<br />

<br />

4E<br />

1<br />

sin2 ;<br />

ϑ/2<br />

ϑ ϑ<br />

sin ϑ = 2 sin cos<br />

2 2 ,<br />

=<br />

<br />

α<br />

2 1<br />

4E sin4 .<br />

ϑ/2<br />

(4.88)<br />

Beispiel: Im Rutherfordschen Streuexperiment wurden α-Teilchen (Z1 = 2; E ≈<br />

4 − 8MeV ) an Goldkernen (Z2 = 79) gestreut. Mit α = −Z1Z2e 2 erhält man den<br />

Rutherfordschen Wirkungsquerschnitt<br />

dσ<br />

dΩ =<br />

Z1Z2e 2<br />

4E<br />

2<br />

1<br />

sin4 (4.89)<br />

ϑ<br />

2<br />

Wird der Rutherfordsche Wirkungsquerschnitt im Experiment gemessen, so kann<br />

daraus geschlossen werden, daß die Streuzentren näherungsweise punktförmig sein<br />

müssen. Der Kernradius ist also kleiner als der minimale Stoßparameter rmin ≈<br />

30 . . . 60fm (1 fm = 10 −15 m). Dadurch wurde das Rutherfordsche Atommodell<br />

bestätigt: Die Masse des Atoms ist in einem Atomkern konzentriert, dessen Ausdehnung<br />

sehr viel kleiner ist als die der Elektronenhülle (rAtom ≈ 1˚A, 1˚A=10 −10 m).<br />

Totaler Wirkungsquerschnitt:<br />

<br />

σ =<br />

dΩ dσ<br />

dΩ =<br />

2π<br />

0<br />

<br />

dϕ<br />

0<br />

π<br />

dϑ sin ϑ dσ<br />

dΩ<br />

<br />

= 2π<br />

0<br />

π<br />

dϑ sin ϑ dσ<br />

dΩ<br />

(4.90)<br />

Wegen der unendlichen Reichweite der Coulombwechselwirkung divergiert der totale<br />

Wirkungsquerschnitt. Man erhält einen endlichen Wirkungsquerschnitt, wenn man<br />

die Abschirmung der Ladung durch die Atomhülle berücksichtigt.<br />

4.7 Zweikörperproblem<br />

Wir behandeln nun ein abgeschlossenes System aus zwei Massenpunkten, die miteinander<br />

wechselwirken. Dieses Zweikörperproblem kann mit Hilfe des Impulserhaltungssatzes<br />

auf ein Einkörperproblem <strong>zur</strong>ückgeführt werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 74<br />

Die Bewegungsgleichungen der beiden Teilchen besitzen die Form<br />

m1¨r1 = F 12, m2¨r2 = F 21. (4.91)<br />

Die Wechselwirkungskräfte sollen nur vom Abstand der Teilchen abhängen und das<br />

Gesetz von actio=reactio erfüllen:<br />

F 12 = F 12(|r1 − r2|), F 12 = −F 21. (4.92)<br />

Schwerpunkts- und Relativkoordinaten<br />

Das Gleichungssystem (4.91) kann durch die Einführung von Schwerpunkts- und Relativkoordinaten<br />

entkoppelt werden. Die Koordinatentransformation und ihre Umkehrtransformation<br />

werden durch die Vektorgleichungen<br />

R = 1<br />

M (m1r1 + m2r2) , r = r2 − r1 (4.93)<br />

r1 = R − µ<br />

m1<br />

r, r2 = R + µ<br />

m2<br />

r, (4.94)<br />

mit<br />

M = m1 + m2, µ = m1m2<br />

m1 + m2<br />

definiert. Man bezeichnet µ als die reduzierte Masse. Bei stark unterschiedlichen<br />

Massen entspricht die reduzierte Masse näherungsweise der kleineren Masse, d.h.<br />

µ ≈ m2 für m2 ≪ m1. Bei gleichen Massen gilt m1 = m2 = 2µ, d.h. µ ist gegenüber<br />

den Massen m1,2 um den Faktor 1/2 reduziert.<br />

Der Relativvektor r ist vom Massenpunkt r1 zum Massenpunkt r2 gerichtet. Die in<br />

(4.40) definierten Relativvektoren sind vom Ursprung des Schwerpunktssystems aus<br />

definiert und besitzen hier die Form<br />

r ′ 1 = − µ<br />

r, r<br />

m1<br />

′ 2 = µ<br />

m2<br />

Für die Impulse der Massenpunkte gilt die Transformation<br />

mit<br />

p 1 = m1V − µv, p 2 = m2V + µv, (4.95)<br />

V = ˙R, v = ˙r.<br />

r.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 75<br />

Abbildung 4.18:<br />

Laborsystem und<br />

Schwerpunktssystem.<br />

Die kinetische Energie der Massenpunkte kann als Summe der kinetischen Energien<br />

der Schwerpunkts- und Relativbewegungen dargestellt werden,<br />

Dies folgt unmittelbar aus (4.43) wobei<br />

T ′ = 1<br />

2<br />

′2<br />

m1v 1 + 1<br />

2<br />

= 1<br />

2 m1<br />

<br />

µv<br />

= 1<br />

2 µv2<br />

m1<br />

2<br />

T = 1<br />

2 MV 2 + 1<br />

2 µv2 . (4.96)<br />

m1v ′2<br />

2<br />

+ 1<br />

2 m2<br />

µv<br />

m2<br />

die Energie im Schwerpunktssystem darstellt.<br />

2<br />

= 1<br />

2 µ2v 2<br />

<br />

1<br />

+<br />

m1<br />

1<br />

<br />

m2<br />

(4.97)<br />

Die Bewegung der Teilchen wird durch die Schwerpunktsbewegung und die Relativbewegung<br />

eindeutig bestimmt. Die Schwerpunktsbewegung und die Relativbewegung<br />

können unabhängig voneinander behandelt werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 76<br />

Schwerpunkts- und Relativbewegung<br />

Durch die Addition der beiden Bewegungsgleichungen in (4.91) ergibt sich die Bewegungsgleichung<br />

für den Schwerpunkt:<br />

m1¨r1 + m2¨r2 = M ˙V = F 12 + F 21 = 0<br />

(4.98)<br />

Da die Gesamtkraft verschwindet, ist der Gesamtimpuls erhalten und der Schwerpunkt<br />

bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit.<br />

V = V 0 = const, R = R0 + V 0t. (4.99)<br />

Für die Relativbewegung erhält man mit (4.95) und (4.99) die Bewegungsgleichung<br />

˙p 2 = µ¨r = F 21(r) (4.100)<br />

Hierbei handelt es sich um ein Einkörperproblem für ein fiktives Teilchen mit der<br />

reduzierten Masse µ und dem Ortsvektor r unter Einwirkung der Kraft F 21(r).<br />

Schwerpunktsystem (SS): Ein Bezugssystem in dem der Schwerpunkt im Koordinatenursprung<br />

ruht, R = V = 0, wird Schwerpunktsystem genannt. Für die<br />

Teilchenbewegung im SS gilt:<br />

r1(t) = − µ<br />

m1<br />

r(t), r2(t) = µ<br />

p 1 = −µv, p 2 = µv.<br />

m2<br />

r(t)<br />

(4.101)<br />

Die Impulse der beiden Teilchen sind entgegengesetzt gerichtet und betragsmäßig<br />

gleich groß.<br />

Elastische Stöße<br />

Bei elastischen Stößen gelten die Erhaltungssätze für die Energie und den Impuls.<br />

Aufgrund dieser Erhaltungssätze besteht das Ergebnis des Stoßes im Schwerpunktsystem<br />

in einer Drehung der Richtung der Relativgeschwindigkeit. Die Größe des<br />

Ablenkwinkels im Schwerpunktsystem hängt von der Art der Wechselwirkung ab.<br />

Zur Bestimmung des Ablenkwinkels muß die Bewegungsgleichung gelöst werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 77<br />

Impulserhaltung: Aufgrund der Impulserhaltung kann sich beim Stoß nur die<br />

Relativgeschwindigkeit ändern. Die Schwerpunktgeschwindigkeit bleibt erhalten:<br />

V = V ′ . (4.102)<br />

Der Strich kennzeichnet Größen nach dem Stoß. Im Schwerpunktsystem verschwindet<br />

der Gesamtimpuls vor und nach dem Stoß:<br />

P = µv − µv = 0, P ′ = µv ′ − µv ′ = 0. (4.103)<br />

Energieerhaltung: Aufgrund der Energieerhaltung kann sich beim Stoß nur die<br />

Richtung der Relativgeschwindigkeit ändern. Die Relativgeschwindigkeit vor dem<br />

Stoß sei v = vt, nach dem Stoß v ′ = v ′ t ′ mit Einheitsvektoren t bzw. t ′ in Richtung<br />

der Relativgeschwindigkeit. Im Schwerpunktssystem lautet der Energieerhaltungs-<br />

satz nach (4.96)<br />

E = E ′ , E = µv2<br />

2 , E′ 2 µv′<br />

= . (4.104)<br />

2<br />

Daraus folgt, daß der Betrag der Relativgeschwindigkeit erhalten ist,<br />

v = v ′ .<br />

Der noch unbestimmte Winkel zwischen t und t ′ wird als Ablenkwinkel ϑ bezeichnet<br />

und hängt vom speziellen Wechselwirkungsgesetz ab.<br />

Die Geschwindigkeiten nach dem Stoß sind im Schwerpunktssystem<br />

und im Laborsystem<br />

v ′ 1 = − µ<br />

v ′ 1,L = V − µ<br />

m1<br />

m1<br />

vt ′ , v ′ 2 = µ<br />

m2<br />

vt ′ , v ′ 2,L = V + µ<br />

vt ′ , (4.105)<br />

m2<br />

vt ′ . (4.106)


Kapitel 5<br />

Lagrangesche <strong>Mechanik</strong><br />

Die Behandlung von Systemen von Massenpunkten mit Zwangsbedingungen erfordert<br />

eine Erweiterung der Newtonschen <strong>Mechanik</strong>. Die Einführung von Zwangskräften<br />

führt zu den Lagrangegleichungen erster Art, die von generalisierten Koordinaten<br />

zu den Lagrangegleichungen zweiter Art.<br />

Die Lagrangegleichungen können auch aus Variationsprinzipien abgeleitet werden.<br />

Das d’Alembertsche Prinzip ist äquivalent zu den Lagrangegleichungen erster Art,<br />

das Hamiltonsche Prinzip zu den Lagrangegleichungen zweiter Art. Im Rahmen des<br />

Hamiltonschen Variationsprinzips formuliert das Noether-Theorem den allgemeinen<br />

Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungsgrößen.<br />

5.1 Systeme mit Zwangsbedingungen<br />

5.1.1 Zwangsbedingungen<br />

Ein System aus N freien Massenpunkten besitzt 3N Freiheitsgrade. Diese entsprechen<br />

den Lagekoordinaten der Massenpunkte im dreidimensionalen Raum. Ist ein<br />

Massenpunkt Teil eines mechanischen Systems, so kann die Zahl seiner Freiheitsgrade<br />

durch äußere Vorgaben eingeschränkt sein. Beim ebenen Pendel bewegt sich die<br />

Masse auf einer Kreisbahn und besitzt daher nur noch einen Freiheitsgrad. Bedingungen,<br />

die die Zahl der Freiheitsgrade einschränken, werden Zwangsbedingungen<br />

genannt.<br />

<strong>Physik</strong>alische Systeme mit Zwangsbedingungen sind in der Technik sehr verbreitet.<br />

Bei mechanischen Maschinen werden die beweglichen Teile, wie Kolben und Räder,<br />

so geführt, daß meist schon ein Freiheitsgrad ausreicht um deren Stellung anzugeben.<br />

Die Reduktion der Anzahl der Freiheitsgrade auf wenige relevante Freiheitsgrade ist<br />

von prinzipieller Bedeutung. Viele Probleme werden erst auf diese Weise behandelbar.<br />

Ein starrer Körper besteht z.B. aus unendlich vielen Massenpunkten. Da wir<br />

78


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 79<br />

aber wissen, daß die Abstände zwischen den Massenpunkten bei der Bewegung fest<br />

bleiben, reduziert sich das Problem auf eine Bewegung mit den sechs Freiheitsgraden<br />

der Translation und Rotation.<br />

Die folgenden Beispiele zeigen einige typische Zwangsbedingungen:<br />

• Massenpunkt mit Ortsvektor r auf einer<br />

Ebene mit Normalenvektor n:<br />

n · r = 0.<br />

• Massenpunkt mit Ortsvektor r auf<br />

oder oberhalb einer Ebene mit Normalenvektor<br />

n:<br />

n · r ≥ 0<br />

• Massenpunkt auf der Oberfläche einer<br />

Kugel mit Radius R:<br />

r − R = 0<br />

• Starr verbundene Massenpunkte mit<br />

Abständen rij:<br />

(ri − rj) 2 − r 2 ij = 0


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 80<br />

• Massenpunkt auf rotierender Stange<br />

mit Richtung e(t).<br />

r × e(t) = 0<br />

• Mittelpunkt des rollenden Rades:<br />

Konfigurationsraum<br />

˙x − R ˙ϕ = 0, z − R = 0<br />

Zur Klassifikation der Zwangsbedingungen ist es hilfreich ein System von N Massenpunkten<br />

in einem 3N dimensionalen Konfigurationsraum darzustellen. Das System<br />

wird im Konfigurationsraum durch einen Punkt x repräsentiert. Hierbei werden die<br />

Koordinaten des Punktes im Konfigurationsraum,<br />

xi, i = 1, · · · , 3N ,<br />

durch die Koordinaten der N Massenpunkte definiert,<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

r1 = ⎝<br />

x1<br />

x2<br />

x3<br />

⎠ , r2 = ⎝<br />

Holonome Zwangsbedingungen<br />

x4<br />

x5<br />

x6<br />

⎛<br />

⎠ , · · · , rN = ⎝<br />

x3N−2<br />

x3N−1<br />

Unter holonomen Zwangsbedingungen versteht man Zwangsbedingungen, die sich<br />

in Form einer Gleichung<br />

x3N<br />

⎞<br />

⎠ .<br />

g(x, t) = 0. (5.1)<br />

zwischen den Lagekoordinaten und eventuell der Zeit ausdrücken lassen. Holonome<br />

Zwangsbedingungen werden im Rahmen der Lagrangegleichungen zweiter Art<br />

vorausgesetzt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 81<br />

Lineare differentielle Zwangsbedingungen<br />

Das totale Differential von (5.1) definiert in jedem Punkt eine lineare differentielle<br />

Zwangsbedingung,<br />

3N ∂g<br />

dg(x, t) = dxi +<br />

∂xi<br />

∂g<br />

dt = 0. (5.2)<br />

∂t<br />

i=1<br />

Lineare differentielle Zwangsbedingungen besitzen die allgemeine Form,<br />

3N<br />

i=1<br />

Ai(x, t)dxi + B(x, t)dt = 0, (5.3)<br />

mit beliebigen Funktionen Ai(x, t) und B(x, t). Differentielle Zwangsbedingungen<br />

können holonom oder nicht-holonom sein. Im holonomen Fall ist (5.3) das totale<br />

Differential einer Funktion g(x, t). Dazu müssen Integrabilitätsbedingungen erfüllt<br />

sein. Im Rahmen der Lagrangegleichungen erster Art wird nur die lineare differentielle<br />

Form der Zwangsbedingungen vorausgesetzt.<br />

Dividiert man (5.3) durch dt, so ergeben sich Zwangsbedingungen, die außer von<br />

den Lagekoordinanten auch noch linear von den Geschwindigkeiten abhängen.<br />

3N<br />

i=1<br />

Ai(x, t)vi + B(x, t) = 0, (5.4)<br />

Ein Beispiel dieser Art ist die Zwangsbedingung für das rollende Rad. Allgemeinere<br />

Zwangsbedingungen, die sich nicht in der Form von (5.3) schreiben lassen, sind<br />

z.B. Ungleichungen oder Gleichungen, die nicht linear von den Geschwindigkeiten<br />

abhängen.<br />

Rheonome und skleronome Zwangsbedingungen<br />

Man unterscheidet auch noch zeitabhängige, g = g(x, t), und zeitunabhängige,<br />

g = g(x), Zwangsbedingungen. Zeitabhängige Zwangsbedingungen heißen rheonom,<br />

zeitunabhängige skleronom.<br />

Hyperflächennormale und virtuelle Verrückungen<br />

Wir betrachten nun die durch eine holonome Zwangsbedingung definierte Hyperfläche<br />

zu einem festen Zeitpunkt t. Die Richtung der Hyperflächennormalen wird<br />

durch den Gradienten<br />

A(x, t) =<br />

∂g(x, t)<br />

. (5.5)<br />

∂x


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 82<br />

bzw. in Komponentenschreibweise<br />

Ai(x, t) =<br />

∂g(x, t)<br />

,<br />

∂xi<br />

bestimmt. Denn es gilt für jede infinitesimale Verschiebung δx innerhalb der momentanen<br />

Hyperfläche gemäß (5.3) die Orthogonalitätsbedingung<br />

A · δx =<br />

3N<br />

i=1<br />

Aiδxi = 0. (5.6)<br />

Der Vektor A zeigt in Normalenrichtung, er ist aber nicht auf eins normiert. Die<br />

infinitesimalen Verschiebungen δx innerhalb der momentanten Hyperfläche werden<br />

als virtuelle Verrückungen bezeichnet. Es sind infinitesimale Änderungen der Koordinaten,<br />

die mit den Zwangsbedingungen des Systems zu einer festen Zeit konsistent<br />

sind. Virtuelle Verrückungen müssen von den tatsächlichen Verschiebungen dx der<br />

Massenpunkte in einem Zeitintervall dt unterschieden werden, da sich in dieser Zeit<br />

die Zwangsbedingungen ändern können.<br />

Abbildung 5.1: Hyperfläche mit Normale und<br />

virtueller Verrückung.<br />

Nicht-holonome linear differentielle Zwangsbedingungen haben lokal eine entsprechende<br />

geometrische Bedeutung. Die Zwangsbedingung (5.3) definiert zu einer festen<br />

Zeit ganz analog ein Richtungsfeld A(x, t) im Konfigurationsraum. In jedem Punkt x<br />

liegen die virtuellen Verrückungen in einer zu A(x, t) orthogonalen Tangentialebene.<br />

5.1.2 Zwangskräfte<br />

Zwangsbedingungen führen zu einer Erweiterung der Newtonschen <strong>Mechanik</strong>. Um<br />

die Zwangsbedingungen erfüllen zu können, werden in den Bewegungsgleichungen<br />

zusätzliche Kräfte eingeführt. Diese Kräfte werden als Zwangskräfte bezeichnet.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 83<br />

Die Bewegungsgleichung eines Massenpunktes mit einer Zwangskraft Z lautet<br />

m¨r = F + Z.<br />

Die Rolle der Zwangskraft soll zuerst an den folgenden Beispielen illustriert werden.<br />

Schiefe Ebene<br />

Abbildung 5.2: Schiefe Ebene<br />

mit Schwerkraft G und<br />

Zwangskraft Z.<br />

Ein Massenpunkt bewege sich unter Einwirkung der Schwerkraft G = −mgez auf<br />

einer um den Winkel α geneigten schiefen Ebene (Abb.5.2). In einem um den Winkel<br />

α gedrehten Inertialsystem S ′ lauten die Bewegungsgleichungen<br />

m¨x ′ = −mg sin α + Z ′ x<br />

m¨z ′ = −mg cos α + Z ′ z (5.7)<br />

Um die Zwangsbedingung z ′ = 0 zu erfüllen, kann die Zwangskraft<br />

Z ′ x = 0, Z ′ z = mg cos α .<br />

gewählt werden. Dabei ist die Normalenkomponente Z ′ z eindeutig durch die Zwangsbedingung<br />

bestimmt. Die Tangentialkomponente wird zu Null gewählt, da in dieser<br />

Richtung keine Zwangsbedingung vorliegt.<br />

Die Zwangskraft kompensiert hier gerade die Komponente der Schwerkraft in Richtung<br />

der Flächennormale. Das folgende Beispiel zeigt, daß die Größe der Zwangskraft<br />

im allgemeinen nicht nur von den Kräften im Gleichgewicht sondern auch von der<br />

Bewegung abhängt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 84<br />

Ebenes Pendel<br />

Abbildung 5.3: Ebenes Pendel<br />

mit einer zum Aufhängepunkt<br />

gerichteten Zwangskraft Z =<br />

−mg cos α − ml ˙α 2 .<br />

Ein ebenes Pendels mit Pendellänge l sei im Schwerefeld g = −gez um den Winkel<br />

α(t) gegenüber der unteren Gleichgewichtslage ausgelenkt (Abb.5.3). Setzt man ϕ =<br />

α+3π/2, so kann die in (3.51) angegebene Polardarstellung der Bewegungsgleichung<br />

verwendet werden und man erhält<br />

m¨r = mg cos α + mr ˙α 2 + Zr (5.8)<br />

mr¨α = −mg sin α − 2m ˙r ˙α + Zα (5.9)<br />

Die Zwangsbedingung r = l, ˙r = ¨r = 0 wird durch die Zwangskraft<br />

Zr = −mg cos α − ml ˙ϕ 2 , Zα = 0<br />

erfüllt. Sie kompensiert hier die Normalkomponente der Schwerkraft und die von<br />

der Bewegung abhängige Zentrifugalkraft.<br />

Masse auf rotierender Stange<br />

Als Beispiel für eine rheonome Zwangsbedingung betrachten wir eine in der Ebene<br />

rotierende Stange, auf der ein Massenpunkt reibungsfrei gleiten kann. Die Zwangsbedingung<br />

lautet in Polarkoordinaten (r,ϕ),<br />

<br />

˙ϕ = ω(t), ϕ = dt ′ ω(t ′ ) (5.10)<br />

wobei ω(t) die vorgegebene Kreisfrequenz der Stange darstellt.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 85<br />

Abbildung 5.4: Virtuelle Verrückung δx,<br />

tatsächliche Verrückung dx und Zwangskraft<br />

Z für einen Massepunkt auf einer rotierenden<br />

Stange.<br />

In einem rotierendes Bezugssystem, in dem die Stange ruht, gelten nach (3.51) die<br />

Bewegungsgleichungen,<br />

m¨r = mrω 2 + Zr (5.11)<br />

mr ˙ω = −2m ˙rω + Zϕ (5.12)<br />

Die Zwangsbedingung (5.10) beinhaltet keine Einschränkung an die radiale Bewegung.<br />

Daher wählt man die Zwangskraft,<br />

Zr = 0, rZϕ = mr 2 ˙ω + 2mr ˙rω = d<br />

dt (mr2 ω). (5.13)<br />

Sie stellt das <strong>zur</strong> Drehimpulsänderung notwendige Drehmoment dar. In diesem Fall<br />

unterscheiden sich virtuelle und tatsächliche Verrückungen (Abb.5.4). Die virtuelle<br />

radiale Verrückung bestimmt die Richtung, die tatsächliche azimuthale Verrückung<br />

die Größe der Zwangskraft.<br />

5.2 Lagrangegleichungen erster Art<br />

Gegeben sei nun ein System von N Massenpunkten mit k linear differentiellen<br />

Zwangsbedingungen,<br />

m · ¨x = F + Z. (5.14)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 86<br />

A l (x, t) · dx + B l (x, t)dt = 0, l = 1, 2, · · · , k. (5.15)<br />

Hierbei sind F und Z Vektoren im Konfigurationsraum, deren Komponenten durch<br />

die Kräfte F j und Zwangskräfte Zj auf die Massenpunkte bestimmt werden,<br />

⎛ ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

F j = ⎝<br />

F3j−2<br />

F3j−1<br />

F3j<br />

⎠ , Zj = ⎝<br />

Z3j−2<br />

Z3j−1<br />

Die Matrix m ist eine Diagonalmatrix mit den Matrixelementen mik = miδik. Die<br />

Diagonalelemente mi werden durch die Massen Mj der Massenpunkte definiert<br />

⎛ ⎞<br />

Mj = ⎝<br />

m3j−2<br />

m3j−1<br />

5.2.1 D’Alembertsches Prinzip<br />

Die Zwangskraft wird durch die zugehörige Zwangsbedingung mathematisch nicht<br />

eindeutig bestimmt. In den Beispielen aus Abschnitt (5.1.2) wurden die Komponenten<br />

der Zwangskräfte in Richtung der virtuellen Verrückungen jeweils Null gesetzt.<br />

Diese Wahl beruht auf einem physikalischen Postulat über die Richtung der Zwangskraft,<br />

welches als das d’Alembertsche Prinzip bezeichnet wird:<br />

Die Richtung der Zwangskraft Z ist so zu wählen, daß für beliebige virtuellle<br />

Verrückungen δx<br />

Z · δx =<br />

3N<br />

i=1<br />

m3j<br />

⎠ .<br />

Z3j<br />

⎠<br />

Ziδxi = 0. (5.16)<br />

gilt. Man sagt auch, die Zwangskräfte leisten keine virtuelle Arbeit. Hierbei ist aber<br />

zu beachten, daß die virtuelle Arbeit i.a. nicht die tatsächliche Arbeit darstellt.<br />

Das d’Alembertsche Prinzip definiert die Zwangskräfte. Daneben können in realen<br />

physikalischen Systemen auch andere Kräfte, wie z.B. Reibungskräfte, durch den<br />

Kontakt mit Führungselementen hervorgerufen werden.<br />

Eine alternative Formulierung des d’Alembertschen Prinzips erhält man, indem man<br />

die Zwangskräfte mit Hilfe der Bewegungsgleichung eliminiert,<br />

(F − m · ¨x) · δx = 0. (5.17)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 87<br />

Ein Spezialfall des d’Alembertschen Prinzips ist das Prinzip der virtuellen Arbeit.<br />

Für ein Kräftegleichgewicht, bei dem alle Koordinaten zeitunabhängig sind, gilt die<br />

Gleichgewichtsbedingung,<br />

Im Gleichgewicht leisten die Kräfte keine virtuelle Arbeit.<br />

F · δx = 0. (5.18)<br />

Als Beispiel für das Prinzip der virtuellen Arbeit betrachten wir das Gleichgewicht<br />

eines Hebels (Abb.5.5). Die virtuellen Verrückungen der Massen m1,2 bei einer Drehung<br />

um den vektoriellen Drehwinkel δϕ sind jeweils δr1,2 = δϕ×r 1,2. Aus dem<br />

Prinzip der virtuellen Arbeit folgt<br />

F 1·(δϕ×r 1) + F 2·(δϕ×r 2) = δϕ·(r1×F 1 + r2×F 2) = 0.<br />

Der Hebel ist im Gleichgewicht, wenn sich die Drehmomente in Richtung der Drehachse<br />

zu Null addieren.<br />

Abbildung 5.5: Virtuelle<br />

Verrückungen eines Hebels<br />

aus der Gleichgewichtslage.<br />

5.2.2 Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften<br />

Mit Mitteln der Variationsrechnung kann man aus dem d’Alembertschen Prinzip die<br />

Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften herleiten. Wir wollen diese hier lediglich<br />

angeben. Für jede Zwangsbedingung kann man die zugehörige Zwangskraft in der<br />

Form<br />

Z l = λ l A l<br />

(5.19)<br />

mit einer noch unbestimmten Funktion λ l (t) ansetzen. Dieser Ansatz erfüllt das<br />

d’Alembertsche Prinzip, da die virtuellen Verrückungen definitionsgemäß den Bedingungen<br />

A l · δx = 0, l = 1, 2, · · · , k


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 88<br />

genügen. Das zugehörige Gleichungssystem nennt man die Lagrangegleichungen erster<br />

Art,<br />

m · ¨x = F + Z, Z =<br />

k<br />

λ l A l , A l · dx + B l dt = 0. (5.20)<br />

l=1<br />

Dies sind 3N + k Gleichungen für 3N Koordinaten xi und k Parameter λ l .<br />

Diskussion des d’Alembertschen Prinzips<br />

Am Beispiel einer linear differentiellen Zwangsbedingung zeigen wir explizit wie diese<br />

Zwangsbedingung in Verbindung mit dem d’Alembertschen Prinzip die Zwangskraft<br />

bestimmt.<br />

Wir fragen zuerst in welcher Weise eine linear differentielle Zwangsbedingung die<br />

tatsächliche Bewegung einschränkt. Aus (5.4) erhält man für die Geschwindigkeiten<br />

der Massenpunkte die Bedingung<br />

A(x, t) · v(t) = −B(x, t). (5.21)<br />

Sie bestimmt die Geschwindigkeit in Richtung der Hyperflächennormalen. Für skleronome<br />

Zwangsbedingungen ist diese Geschwindigkeitskomponente Null, für rheonome<br />

eine vorgegebene Funktion. Eine entsprechende Aussage läßt sich auch für<br />

die Beschleunigung machen. Differenziert man (5.21) nach der Zeit, so folgt eine<br />

Bedingung für die Normalenkomponente der Beschleunigung<br />

A(x, t) · ¨x(t) = −C(x, v, t), C(x, v, t) = ˙ B + ˙<br />

A · v. (5.22)<br />

Sie muß von der Lösung der Bewegungsgleichung mit einer Zwangskraft Z,<br />

erfüllt werden.<br />

m · ¨x = F + Z,<br />

Wir zeigen nun, daß man die vorgegebene Beschleunigung unter gleichen Voraussetzungen<br />

für eine ganze Klasse von Zwangskräften erreichen könnte. Das<br />

d’Alembertsche Prinzip ist dann notwendig, um die physikalisch richtige Zwangskraft<br />

zu bestimmen. Dazu betrachten wir eine Transformation, bei der jede Koordinate<br />

um einen konstanten Faktor αi gestreckt wird,<br />

x ′ i = αixi<br />

Diese Transformation bewirkt eine Deformation der Hyperfläche und eine entsprechende<br />

Änderung der Hyperflächennormalen. Aus der Invarianz der Zwangsbedingung<br />

in (5.20) oder (5.22) folgt für die Normale das Transformationsgesetz,<br />

A ′ i = Ai/αi . (5.23)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 89<br />

Die transformierte Beschleunigung wird durch die Bewegungsgleichung<br />

¨x ′ = m −1 · (F ′ + Z ′ ), F ′<br />

i = αiFi, Z ′ i = αiZi<br />

bestimmt. Ihre Komponente in Richtung der transformierten Normalen (5.23) wird<br />

durch die Zwangsbedingung vorgegeben. Unter der Annahme, daß die Zwangsbeschleunigung<br />

nur in Richtung der Hyperflächennormale auftritt, folgt für die transformierte<br />

Zwangskraft der Ansatz<br />

Z ′ = λm · A ′ .<br />

Der Parameter λ wird durch die vorgegebene Normalenkomponente der Beschleunigung<br />

bestimmt,<br />

A ′ · ¨x ′ = A ′ · m −1 · F ′ + λA ′ · A ′ = −C<br />

λ = − C + A′ · m −1 · F ′<br />

A ′ · A ′ . (5.24)<br />

Damit erhält man für die ursprüngliche Zwangskraft den Ausdruck<br />

Zi = λ mi<br />

α2 Ai . (5.25)<br />

i<br />

Obwohl diese Zwangskraft für beliebige αi die Zwangsbedingung erfüllt, genügt sie<br />

im allgemeinen nicht dem d’Alembertschen Prinzip. Um auch letzteres zu erfüllen<br />

muß Z in Richtung der Normalen A gewählt werden. Dies ist aber nur möglich falls<br />

αi = α √ mi<br />

wobei α eine von i unabhängige Konstante darstellt. Da eine Proportionalitätskonstante<br />

bereits durch λ berücksichtigt wurde, kann ohne Einschränkung α = 1 gesetzt<br />

werden. Für Systeme mit unterschiedlichen Massen mi stellt das d’Alembertsche<br />

Prinzip also eine wesentliche zusätzliche Forderung dar. Der Grund hierfür ist, daß<br />

dann Beschleunigungen und Kräfte im Konfigurationsraum linear unabhängige Vektoren<br />

sind.<br />

5.3 Lagrangegleichungen zweiter Art<br />

Für Systeme mit holonomen Zwangsbedingungen können die Zwangskräfte durch<br />

eine geeignete Koordinatenwahl eliminiert werden. Dies führt zu den Lagrangegleichungen<br />

zweiter Art. Nicht-holonome Zwangsbedingungen müssen weiterhin durch<br />

die Gleichungen erster Art beschrieben werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 90<br />

5.3.1 Herleitung<br />

Gegeben sei ein System von N Massenpunkten mit k holonomen Zwangsbedingungen<br />

Generalisierte Koordinaten<br />

mi¨xi = Fi + Zi, i = 1, 2, · · · , 3N<br />

g l (x, t) = 0, l = 1, 2, · · · , k .<br />

Die Zwangsbedingungen bestimmten zu jedem Zeitpunkt eine Hyperfläche im Konfigurationsraum.<br />

Auf dieser Hyperfläche können geeignete, i.a. krummlinige, Koordinaten<br />

q1, q2, · · · , qn, · · · , qf gewählt werden, wobei f die Dimension der Hyperfläche<br />

bezeichnet. Solche Koordinaten werden als generalisierte oder verallgemeinerte<br />

Koordinaten bezeichnet. Generalisierte Koordinaten auf einer Kugel sind z.B.<br />

die Winkel ϕ, ϑ der Kugelkoordinaten. Die Koordinatentransformation zwischen den<br />

generalisierten Koordinaten und den kartesischen Koordinaten besitzt die Form<br />

xi = xi(q1, q2, · · · , qf, t), i = 1, 2, · · · , 3N (5.26)<br />

Abkürzend verwenden wir auch die Notation x = x(q, t), wobei q für die Argumente<br />

q1, q2, · · · , qf steht.<br />

D’Alembertsches Prinzip in generalisierten Koordinaten<br />

Der Ortsvektor auf der momentanen Hyperfläche wird durch (5.26) dargestellt. Eine<br />

virtuelle Verrückung ist definitionsgemäß eine infinitesimale Verschiebung dieses<br />

Ortsvektors bei festgehaltener Zeit. Dafür erhalten wir durch Differentiation,<br />

δxi =<br />

f<br />

n=1<br />

∂xi<br />

δqn. (5.27)<br />

∂qn<br />

Die Verrückungen δq auf der Hyperfläche unterliegen keinen Einschränkungen mehr.<br />

Die Vektoren<br />

a n = ∂x<br />

, n = 1, · · · , f (5.28)<br />

∂qn<br />

bilden in jedem Punkt der Hyperfläche eine lokale Basis (Abb.5.6). Hierbei ist an ein Tangentenvektor an die qn-Koordinate.<br />

Mit (5.27), (5.28) lautet das d’Alembertsche Prinzip (5.17),<br />

<br />

(m · ¨x − F ) · a n δqn = 0. (5.29)<br />

n


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 91<br />

Abbildung 5.6: Generalisierte<br />

Koordinaten und lokale Basis auf<br />

der Hyperfläche.<br />

Da die δqn unabhängig voneinander beliebig gewählt werden können, muß jeder<br />

Koeffizient einzeln verschwinden,<br />

(m · ¨x − F ) · a n = 0, n = 1, · · · , f. (5.30)<br />

Dies sind die Komponenten der Bewegungsgleichung entlang der lokalen Basis. Damit<br />

wurden genau f Bewegungsgleichungen für die f Freiheitsgrade der Hyperfläche<br />

gewonnen. Die Zwangskräfte wurden durch die Koordinatenwahl eliminert.<br />

Generalisierte Geschwindigkeiten<br />

In den Bewegungsgleichungen (5.30) müssen x und ¨x durch die generalisierten Koordinaten<br />

q ausgedrückt werden.<br />

Für die Geschwindigkeit erhält man aus (5.27) das Transformationsgesetz<br />

f ∂x(q, t) ∂x(q, t)<br />

˙x =<br />

˙qn + = v(q, ˙q, t) (5.31)<br />

∂qn ∂t<br />

n=1<br />

Man bezeichnet ˙q = ( ˙q1, · · · , ˙qf) als generalisierte Geschwindigkeiten und behandelt<br />

in der Transformationsgleichung (5.31) q, ˙q, und t als unabhängige Variablen. Dann<br />

gilt<br />

∂v<br />

∂ ˙qn<br />

d ∂x<br />

dt ∂qn<br />

= ∂x<br />

∂qn<br />

f ∂<br />

=<br />

2x ∂qm∂qn<br />

m=1<br />

˙qm + ∂2 x<br />

∂t∂qn<br />

(5.32)<br />

= ∂v<br />

. (5.33)<br />

∂qn


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 92<br />

Der Beschleunigungsterm in der Bewegungsgleichung läßt sich damit wie folgt umformen<br />

∂xi<br />

mi¨xi =<br />

∂qn<br />

i<br />

<br />

<br />

d ∂xi d ∂xi<br />

mivi − mivi<br />

dt ∂qn dt ∂qn<br />

i<br />

= <br />

<br />

d ∂vi<br />

∂vi<br />

mivi − mivi<br />

dt ∂ ˙qn ∂qn<br />

i<br />

= d<br />

<br />

∂T<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂T<br />

. (5.34)<br />

∂qn<br />

Hierbei bezeichnet<br />

T (q, ˙q, t) = <br />

i<br />

1<br />

2 mivi(q, ˙q, t) 2<br />

die kinetische Energie des Systems als Funktion der generalisierten Koordinaten und<br />

Geschwindigkeiten.<br />

Generalisierte Kraft<br />

Der Kraftterm in der Bewegungsgleichung wird als generalisierte Kraft,<br />

Qn(q, ˙q, t) = F · a n<br />

(5.35)<br />

bezeichnet. Damit lauten die auf generalisierte Koordinaten transformierten Bewegungsgleichungen<br />

Generalisiertes Potential<br />

<br />

d ∂T<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂T<br />

∂qn<br />

= Qn . (5.36)<br />

Falls die Kraft F aus einem Potential U(x) abgeleitet werden kann,<br />

F = − ∂U<br />

∂x ,<br />

so gilt dies auch für die generalisierte Kraft,<br />

Qn(q, ˙q, t) = F · a n = − ∂U(x)<br />

∂x<br />

· ∂x<br />

∂qn<br />

∂U(x(q, t))<br />

= − . (5.37)<br />

∂qn


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 93<br />

Allgemeiner nennt man eine Funktion U(q, ˙q, t) ein generalisierte Potential, falls die<br />

generalisierte Kraft in der Form<br />

Qn = d<br />

<br />

∂U<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂U<br />

∂qn<br />

(5.38)<br />

darstellbar ist. Das geschwindigkeitunabhängige Potential (5.37) ist ein Spezialfall<br />

hiervon.<br />

Lagangegleichungen zweiter Art<br />

Existiert ein Potential, so können die kinetische und die potentielle Energie in der<br />

Bewegungsgleichung (5.36) zusammengefasst werden,<br />

<br />

d ∂T<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂T<br />

− Qn<br />

∂qn<br />

= d<br />

<br />

∂T<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂T<br />

−<br />

∂qn<br />

d<br />

<br />

∂U<br />

−<br />

dt ∂ ˙qn<br />

∂U<br />

∂qn<br />

= d<br />

<br />

∂(T − U) ∂(T − U)<br />

− .<br />

dt ∂ ˙qn ∂qn<br />

Damit erhält man aus (5.36)<br />

mit<br />

d<br />

dt<br />

<br />

∂L<br />

∂ ˙qn<br />

= ∂L<br />

, n = 1, · · · , f, (5.39)<br />

∂qn<br />

L(q, ˙q, t) = T (q, ˙q, t) − U(q, ˙q, t).<br />

Man nennt L(q, ˙q, t) die Lagrangefunktion und (5.39) die Lagrangegleichungen zweiter<br />

Art. Dies ist ein System von f Differentialgleichungen zweiter Ordnung für die<br />

Bewegung q(t) auf der Hyperfläche. Es ist im allgemeinen einfacher zu behandeln<br />

als die 3N + k gekoppelten Lagrangegleichungen erster Art.<br />

5.3.2 Anwendung<br />

Lösungsweg<br />

Ein mechanisches System mit holonomen Zwangsbedingungen wird damit<br />

vollständig durch die Wahl der verallgemeinerten Koordinaten q, durch Anfangsbedingungen<br />

(q0, ˙q0) und durch die Angabe der Lagrangefunktion L(q, ˙q, t) in diesen


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 94<br />

Koordinaten beschrieben. Dabei ist die Form der Gleichungen von der Koordinatenwahl<br />

unabhängig.<br />

Das Verfahren <strong>zur</strong> Lösung eines mechanischen Problems mit den Lagrangegleichungen<br />

zweiter Art besteht aus den folgenden Teilschritten:<br />

1. Angabe der holonomen Zwangsbedingungen<br />

2. Wahl der generalisierten Koordinaten: q<br />

3. Bestimmung der Koordinatentransformation: x = x(q, t)<br />

4. Aufstellen der Lagrangefunktion. Hierzu müssen T und U als Funktion von q,<br />

˙q und t angegeben werden.<br />

5. Herleitung der Bewegungsgleichungen aus den Lagrangegleichungen<br />

6. Lösung der Bewegungsgleichungen<br />

7. Bestimmung der Integrationskonstanten durch Anfangsbedingungen<br />

Massenpunkt auf schiefer Ebene<br />

Ein einfaches Beispiel ist die Bewegung eines Massenpunktes auf einer schiefen Ebene<br />

mit Neigungswinkel α im Schwerefeld (Abb.5.2). Verwendet man Polarkoordinaten<br />

(r, ϕ), so ist der Winkel durch die Zwangsbedingung, ϕ − α = 0 festgelegt. Der<br />

Radius kann als verallgemeinerte Koordinate q = r gewählt werden. Die Koordinatentransformation<br />

lautet<br />

x = r cos α, z = r sin α .<br />

Durch Ableitung erhält man die Geschwindigkeiten<br />

und damit die kinetische Energie<br />

Die potentielle Energie ist<br />

˙x = ˙r cos α, ˙z = ˙r sin α<br />

T = 1<br />

2 m( ˙x2 + ˙z 2 ) = 1<br />

2 m ˙r2 (cos 2 α + sin 2 α) = 1<br />

2 m ˙r2 .<br />

U = mgz = mgr sin α.<br />

Die Lagrangefunktion besitzt damit die Form<br />

L(r, ˙r) = T − U = 1<br />

2 m ˙r2 − mgr sin α.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 95<br />

Mit den partiellen Ableitungen<br />

∂L<br />

∂ ˙r<br />

= m ˙r,<br />

folgt aus (5.39) die Bewegungsgleichung<br />

∂L<br />

∂r<br />

m¨r = −mg sin α .<br />

= −mg sin α,<br />

Dasselbe Ergebnis hatten wir in (5.7) mit der Newtonschen Bewegungsgleichung<br />

abgeleitet. Die dort benötigte Zwangskraft tritt jetzt nicht mehr in Erscheinung.<br />

5.3.3 Erhaltungsgrößen<br />

Zyklische Koordinaten und generalisierte Impulse<br />

Analog <strong>zur</strong> Impulserhaltung in der Newtonschen <strong>Mechanik</strong> folgt aus den Lagrangegleichungen<br />

(5.39) der Erhaltungssatz<br />

∂L<br />

∂qn<br />

Man bezeichnet die Größe<br />

= 0 =⇒ pn = ∂L<br />

∂ ˙qn<br />

pn = ∂L<br />

∂ ˙qn<br />

= const. (5.40)<br />

(5.41)<br />

als generalisierten Impuls. Hängt die Lagrangefunktion nicht explizit von einer generalisierten<br />

Koordinate qn ab, so nennt man diese Koordinate zyklisch. Für jede<br />

zyklische Variable ist der zugehörige generalisierte Impuls erhalten.<br />

Energieerhaltung<br />

Der Energieerhaltungssatz kann in der Lagrangemechanik in der folgenden Form<br />

angegeben werden<br />

∂L<br />

∂t<br />

<br />

= 0 =⇒ E = pn ˙qn − L = const. (5.42)<br />

Ist die Lagrangefunktion nicht explizit zeitabhängig, so ist die Energie E erhalten.<br />

n


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 96<br />

Beweis: Differenziert man L(q, ˙q, t) nach der Zeit und verwendet die Lagrangegleichungen<br />

(5.39), so folgt<br />

Damit gilt<br />

d<br />

∂L<br />

L(q, ˙q, t) = ˙qn +<br />

dt ∂qn n<br />

∂L<br />

¨qn +<br />

∂ ˙qn<br />

∂L<br />

∂t<br />

= <br />

˙pn ˙qn + pn¨qn + ∂L<br />

∂t<br />

n<br />

= d<br />

dt<br />

<br />

<br />

pn ˙qn<br />

n<br />

<br />

d <br />

pn ˙qn − L<br />

dt<br />

n<br />

+ ∂L<br />

∂t .<br />

= − ∂L<br />

. (5.43)<br />

∂t<br />

Die Zwangsbedingungen seien nun skleronom und die potentielle Energie sei geschwindigkeitsunabhängig.<br />

Dann gilt für die Energie die übliche Beziehung<br />

E = <br />

pn ˙qn − L = T + U. (5.44)<br />

n<br />

Beweis: Für skleronome Zwangsbedingungen ist die Koordinatentransformation<br />

x = x(q) zeitunabhängig. Mit (5.27) und (5.28) lauten die entsprechenden Transformationen<br />

für die Geschwindigkeit und die kinetische Energie,<br />

mit<br />

v = ∂x<br />

˙qn<br />

(5.45)<br />

∂qn n<br />

T = 1 <br />

µnm ˙qn ˙qm, (5.46)<br />

2<br />

n,m<br />

µnm(q) = <br />

i<br />

∂xi ∂xi<br />

mi<br />

∂qn ∂qm<br />

Die kinetische Energie ist eine positiv definite quadratische Form mit einer symmetrischen<br />

Matrix µnm = µmn. Für geschwindigkeitsunabhängige Potentiale werden<br />

die verallgemeinerten Impulse allein durch die kinetische Energie bestimmt<br />

pn = ∂L<br />

∂ ˙qn<br />

.<br />

= ∂T<br />

. (5.47)<br />

∂ ˙qn


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 97<br />

Die Differentiation ergibt<br />

pk = 1<br />

2<br />

= 1<br />

2<br />

= 1<br />

2<br />

<br />

n,m<br />

<br />

m<br />

<br />

m<br />

µnm(δnk ˙qm + ˙qnδkm)<br />

µkm ˙qm + 1<br />

2<br />

<br />

µnk ˙qn<br />

n<br />

(µkm + µmk) ˙qm = <br />

m<br />

µkm ˙qm . (5.48)<br />

Damit erhält man die Gesamtenergie<br />

E = <br />

pk ˙qk − L = 2T − (T − U) = T + U. (5.49)<br />

5.4 Variationsprinzipien<br />

k<br />

Die Lagrangegleichungen zweiter Art können aus einem Variationsprinzip hergeleitet<br />

werden. Diese Formulierung ist besonders elegant, da das vollständige mechanische<br />

System durch eine einfache skalare Gleichung beschrieben wird. Außerdem findet<br />

das Hamiltonsche Prinzip Anwendung in anderen Gebieten der <strong>Physik</strong>, wie z.B. in<br />

Feldtheorien.<br />

5.4.1 Eulersche Gleichung der Variationsrechung<br />

Differential und stationäre Punkte<br />

Bei Variationsproblemen handelt es sich um eine Verallgemeinerung der Extremwertbestimmung<br />

von Funktionen. Für eine Funktion f(x1, · · · , xn) nennt man die<br />

Punkte, bei denen das Differential der Funktion verschwindet stationäre Punkte:<br />

(x01, · · · , x0n) stationär ⇐⇒ df = 0 .<br />

Das Verschwinden des Differentials ist gleichbedeutend mit dem Verschwinden aller<br />

partiellen Ableitungen. Diese Bedingung ist notwendig aber nicht hinreichend für<br />

ein Extremum. Es können neben Extrema auch Wendepunkte oder Sattelpunkte<br />

auftreten. Daher bezeichnet man die Punkte, bei denen das Differential verschwindet<br />

allgemein als stationäre Punkte.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 98<br />

Variation und stationäre Funktionen<br />

Bei Variationsproblemen betrachtet man anstelle von Funktionen Funktionale. Funktionale<br />

sind Abbildungen aus einem Funktionenraum in den Zahlenkörper:<br />

J : y ↦→ J[y] .<br />

Zur Einführung in die Methode der Variationsrechnung behandeln wir die folgende<br />

Aufgabenstellung. Gesucht sei diejenige Funktion y(x) im Intervall x1 < x < x2, mit<br />

den Randwerten<br />

y(x1) = y1, y(x2) = y2<br />

für die das Integral<br />

J[y] =<br />

x2<br />

x1<br />

dxF (y, y ′ , x) (5.50)<br />

stationär ist. Hierbei seien die Funktionen F (y, y ′ , x) und y(x) bezüglich ihrer Argumente<br />

zweimal stetig differenzierbar.<br />

Das Variationsproblem kann auf eine gewöhnliche Extremwertaufgabe <strong>zur</strong>ückgeführt<br />

werden. Hierzu sei vorausgesetzt, daß eine Lösung y(x) des Variationsproblems innerhalb<br />

einer vorgegebenen Funktionenklasse existiert. Die Vergleichsfunktionen in<br />

einer Nachbarschaft dieser Funktion seien<br />

y(x) = y(x) + δy(x), δy(x) = ɛη(x) . (5.51)<br />

wobei ɛ ein Parameter ist, der hinreichend klein gewählt werden kann. Man nennt<br />

δy eine Variation von y. Aufgrund der vorgegebenen Randwerte muß die Variation<br />

für alle Vergleichsfunktionen y am Rand verschwinden<br />

δy(x1) = δy(x2) = 0. (5.52)<br />

Mit diesem Ansatz ist J(ɛ) = J[y + ɛη] eine gewöhnliche Funktion der Variablen ɛ.<br />

In Analogie zum Differential einer Funktion bezeichnet man den Ausdruck<br />

δJ = J[y + δy] − J[y] = dJ(ɛ)<br />

<br />

<br />

ɛ (5.53)<br />

dɛ<br />

als die Variation von J.<br />

Funktionen bei denen die Variation von J verschwindet heißen stationäre Funktionen:<br />

ɛ=0<br />

y stationär ⇐⇒ δJ = 0. (5.54)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 99<br />

Eulersche Gleichung<br />

Die Variation δJ läßt sich berechnen, indem man bis <strong>zur</strong> linearen Ordnung in δy<br />

bzw. δy ′ entwickelt,<br />

δJ =<br />

=<br />

x2<br />

x1<br />

<br />

x1<br />

x2<br />

dxF (y + δy, y ′ + δy ′ , x) − F (y, y ′ , x)<br />

dx ∂F ∂F<br />

δy +<br />

∂y ∂y ′ δy′ . (5.55)<br />

Ein typischer Schritt der Variationsrechnung besteht nun darin, den zweiten Term<br />

partiell zu integrieren, so daß dieser ebenfalls proportional zu δy wird,<br />

δJ = ∂F<br />

<br />

<br />

δy<br />

∂y ′ <br />

x1<br />

x2<br />

x1<br />

+<br />

x2<br />

x1<br />

dx<br />

<br />

∂F d ∂F<br />

δy −<br />

∂y dx ∂y ′<br />

<br />

δy<br />

(5.56)<br />

Der Randterm verschwindet wegen der Randbedingung (5.52). Für stationäre Funktionen<br />

gilt<br />

x2<br />

<br />

∂F d ∂F<br />

δJ = dx −<br />

∂y dx ∂y ′<br />

<br />

η(x) = 0. (5.57)<br />

An dieser Stelle wird ein Hilfssatz der Variationsrechnung benötigt. Sei η(x) eine<br />

beliebige zweimal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt<br />

x2<br />

x1<br />

dx ϕ(x)η(x) = 0 =⇒ ϕ(x) = 0. (5.58)<br />

Zum Beweis nehmen wir an, es sei ϕ(x) = 0 für ξ1 < x < ξ2, wobei dieses Intervall<br />

beliebig klein sein kann. Wählt man dann für η(x) eine Funktion, die außerhalb<br />

dieses Intervalls verschwindet und innerhalb des Intervalls ungleich Null ist, z.B.<br />

<br />

(x − ξ1)<br />

η(x) =<br />

4 (x − ξ2) 4 ; ξ1 < x < ξ2<br />

0 ; sonst<br />

so ist das Integral ungleich Null im Widerspruch <strong>zur</strong> Voraussetzung. Daher gilt ϕ = 0<br />

im ganzen Intervall, x1 < x < x2.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 100<br />

Mit diesem Hilfssatz folgt aus (5.57) die Eulersche Differentialgleichung der Variationsrechnung<br />

<br />

d ∂F<br />

dx ∂y ′<br />

<br />

− ∂F<br />

∂y<br />

= 0. (5.59)<br />

Dies ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für die gesuchte Funktion y(x).<br />

Die beiden Integrationskonstanten werden durch die Randbedingungen festgelegt.<br />

5.4.2 Hamiltonsches Prinzip<br />

Ein Vergleich der Lagrangegleichungen zweiter Art (5.39) mit der Eulerschen Differentialgleichung<br />

der Variationsrechnung (5.59) legt es nahe, daß die Lagrangegleichungen<br />

aus einem Variationsprinzip abgeleitet werden können. Dieses Variationsprinzip<br />

wird als Hamiltonsches Prinzip bezeichnet.<br />

Für ein physikalisches System mit der Lagrangefunktion L(q, ˙q, t) definiert man die<br />

Wirkung<br />

S[q] =<br />

t2<br />

t1<br />

dt L(q, ˙q, t) . (5.60)<br />

Die Wirkung ist ein Funktional der Bahn q(t), die in einem Zeitintervall t1 < t < t2<br />

zwischen einem Anfangspunkt q(t1) und einem Endpunkt q(t2) durchlaufen wird.<br />

Nach dem Hamiltonschen Prinzip ist die Wirkung für die tatsächlich durchlaufene<br />

Bahn stationär,<br />

δS[q] = 0 mit δq(t1) = δq(t2) = 0 . (5.61)<br />

Als Vergleichsfunktionen sind hier alle Bahnen zwischen dem Anfangspunkt q(t1)<br />

und dem Endpunkt q(t2) zugelassen. Da die Anfangs- und Endpunkte vorgegeben<br />

sind, verschwindet die Variation in diesen Randpunkten.<br />

Der Beweis des Hamiltonschen Prinzips beruht auf der oben dargestellten Variationsrechnung.<br />

Anstatt einer Funktion y(x) müssen nun die f Funktionen q1(t), · · · , qf(t)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 101<br />

variiert werden:<br />

δS = S[q + δq] − S[q]<br />

t2<br />

= dt {L(q + δq, ˙q + δ ˙q, t) − L(q, ˙q, t)}<br />

=<br />

=<br />

t1<br />

t2<br />

f<br />

<br />

∂L<br />

dt<br />

∂qn<br />

n=1<br />

t1<br />

⎧<br />

f ⎨ <br />

∂L <br />

δqn<br />

<br />

⎩∂<br />

˙qn<br />

n=1<br />

t2<br />

t1<br />

δqn + ∂L<br />

<br />

δ ˙qn<br />

∂ ˙qn<br />

+<br />

t2<br />

t1<br />

<br />

∂L<br />

dt −<br />

∂qn<br />

d<br />

dt<br />

⎫<br />

<br />

∂L<br />

⎬<br />

δqn = 0 . (5.62)<br />

∂ ˙qn ⎭<br />

Aufgrund der Randbedingungen δq(t1) = δq(t2) = 0 verschwindet der Randterm<br />

bei der partiellen Integration. Da die Variationen δqn(t) unabhängig voneinander<br />

gewählt werden können, muß jeder der f Summanden für sich allein verschwinden.<br />

Wegen (5.58) gilt dann<br />

d<br />

dt<br />

<br />

∂L<br />

∂ ˙qn<br />

− ∂L<br />

∂qn<br />

= 0, n = 1, · · · , f . (5.63)<br />

Die Eulerschen Differentialgleichungen des Hamiltonschen Variationsprinzips sind<br />

also genau die Lagrangegleichungen der <strong>Mechanik</strong>.<br />

Eichtransformationen<br />

Die Lagrangefunktion eines mechanischen Systems ist nicht eindeutig. Multipliziert<br />

man die Lagrangefunktionen L mit einem konstanten Faktor c, so führt die neue<br />

Lagrangefunktion L ′ = cL auf dieselben Bewegungsgleichungen. Dasselbe gilt bei<br />

Addition einer Konstanten, L ′ = L + c. Diese Lagrangefunktionen sind also völlig<br />

gleichwertig.<br />

Unter einer Eichtransformation versteht man eine allgemeinere Transformation<br />

L ′ = L + d<br />

f(q, t), (5.64)<br />

dt<br />

der Lagrangefunktion. Die neue Lagrangefunktion L ′ unterscheidet sich dabei von<br />

der alten Lagrangefunktion L durch eine totale Zeitableitung einer beliebigen Funktion<br />

f(q, t). Beide Lagrangefunktionen sind gleichwertig. Man sagt auch, die Lagrangefunktion<br />

ist nur bis auf eine totale Zeitableitung bestimmt.<br />

Der Beweis der Gleichwertigkeit der Lagrangefunktionen bei Eichtransformationen<br />

ist eine einfache Folgerung aus dem Hamiltonschen Prinzip. Wegen<br />

δS ′ <br />

− δS = δ<br />

t1<br />

t2<br />

dt df<br />

dt<br />

<br />

<br />

= δf(q, t) <br />

<br />

t2<br />

t1<br />

=<br />

f<br />

<br />

∂f <br />

δqn<br />

∂qn<br />

n=1<br />

t2<br />

t1<br />

= 0,


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 102<br />

führt die Variation der Wirkung in beiden Fällen zum selben Ergebnis. Hierbei<br />

wurde verwendet, daß die Variation in den Endpunkten der Bahn verschwindet.<br />

Galileitransformation als Eichtransformation<br />

Bei einer Galileitransformation mit einer konstanten Geschwindigkeit u<br />

erhält man aus der Lagrangefunktion<br />

L =<br />

die neue Lagrangefunktion<br />

L ′ =<br />

v ′ i = vi − u, r ′ i = r − ut<br />

N<br />

i=1<br />

N<br />

i=1<br />

= L + d<br />

dt<br />

1<br />

2 miv 2 i −<br />

1 ′2<br />

miv i −<br />

2<br />

i=1<br />

N i−1<br />

U(ri − rj)<br />

i=2<br />

j=1<br />

N i−1<br />

i=2<br />

j=1<br />

U(r ′ i − r ′ j)<br />

N<br />

<br />

−mivi·u + 1<br />

2 miu 2 <br />

t .<br />

Die Lagrangefunktion im neuen Inertialsystem unterscheidet sich also von der<br />

Lagrangefunktion im alten Inertialsystem durch eine Eichtransformation.<br />

Eichtransformation der elektromagnetischen Potentiale<br />

In der Elektrodynamik können die elektrischen und magnetischen Felder aus einem<br />

Vektorpotential A(r, t) und einem skalaren Potential φ(r, t) in folgender Weise abgeleitet<br />

werden,<br />

E = − 1<br />

c ∂tA − ∇φ, B = ∇ × A.<br />

Hierbei ist c die Lichtgeschwindigkeit und wir verwenden das Gaußsche Maßsystem.<br />

Die Potentiale sind nicht eindeutig. Bei einer Transformation<br />

A ′ = A + ∇χ(r, t), φ ′ = φ − 1<br />

c ∂tχ(r, t)<br />

mit einer beliebigen Funktion χ(r, t) bleiben die Felder E und B invariant. Man<br />

nennt diese Transformationen Eichtransformationen der Potentiale. Die Lagrangefunktion<br />

einer Ladung q im elektromagnetischen Feld ist<br />

L = 1<br />

2 mv2 − q(φ − 1<br />

v · A). (5.65)<br />

c


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 103<br />

Einer Eichtransformation der Potentiale entspricht eine Eichtransformation der Lagrangefunktion,<br />

L ′ = 1<br />

2 mv2 <br />

− q φ ′ − 1<br />

<br />

v · A′<br />

c<br />

= 1<br />

2 mv2 <br />

− q φ − 1<br />

c ∂tχ(r, t) − 1<br />

<br />

1<br />

v · A − v·∇χ(r, t)<br />

c c<br />

= L + d<br />

<br />

q<br />

<br />

χ(r, t) .<br />

dt c<br />

5.5 Symmetrien und Erhaltungsgrößen<br />

Aus dem Hamiltonschen Prinzip folgt ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Symmetrien<br />

und Erhaltungsgrößen. Er wurde von der Mathematikerin Emmy Noether<br />

abgeleitet und wird als Noether-Theorem bezeichnet.<br />

Punkttransformationen<br />

Beim Noether-Theorem betrachtet man Symmetrien gegenüber einer Klasse einparametriger<br />

infinitesimaler Punkttransformationen,<br />

q ′ = q + ɛψ(q, ˙q, t), t ′ = t + ɛφ(q, ˙q, t). (5.66)<br />

Hierbei bezeichnet ψ = (ψ1, · · · , ψf) eine Transformation der verallgemeinerten Koordinaten,<br />

φ eine Transformation der Zeit und ɛ einen infinitesimal kleinen Parameter.<br />

Invarianzbedingung<br />

Die Wirkung des Systems als Funktion der neuen Koordinaten sei<br />

S ′ =<br />

t ′ 2<br />

t ′ 1<br />

dt ′ L(q ′ , ˙q ′ , t ′ ).<br />

mit einer Lagrangefunktion L ′ = L(q ′ , ˙q ′ , t ′ ). Für ɛ = 0 ergibt sich die identische<br />

Abbildung. Die Lagrangefunktion des Systems als Funktion der alten Koordinaten<br />

ist daher,<br />

L = L(q ′ , ˙q ′ , t ′ ) ɛ=0 = L(q, ˙q, t).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 104<br />

Ersetzt man in der Wirkung die Integrationsvariable t ′ durch t und entwickelt um<br />

die Stelle ɛ = 0 bis <strong>zur</strong> linearen Ordnung in ɛ, so folgt<br />

S ′ =<br />

t2<br />

t1<br />

′ dt<br />

dt<br />

dt L(q′ , ˙q ′ , t ′ <br />

) = S + ɛ<br />

t2<br />

t1<br />

dt d<br />

′ dt<br />

dɛ dt L(q′ , ˙q ′ , t ′ <br />

ɛ=0<br />

) ,<br />

wobei S die Wirkung in den alten Koordinaten bezeichnet. Eine Symmetrie des Systems<br />

gegenüber einer infinitesimalen Punkttransformationen liegt dann vor, wenn<br />

die Transformation nur zu einer ”Umeichung” der Lagrangefunktion führt. In diesem<br />

Fall gilt für den Zusatzterm in der Wirkung S ′<br />

′ d dt<br />

dɛ dt L(q′ , ˙q ′ , t ′ <br />

ɛ=0<br />

) = d<br />

f(q, t). (5.67)<br />

dt<br />

Die Invarianzbedingung (5.67) ist der formale Ausdruck für eine Symmetrie des<br />

durch die Lagrangefunktion L beschriebenen Systems gegenüber der Punkttransformation<br />

(5.66).<br />

Erhaltungsgrößen<br />

Das Noether-Theorem kann nun in der folgenden Form angegeben werden. Für jede<br />

einparametrige infinitesimale Punkttransformation (5.66), die einer Invarianzbedingung<br />

der Form (5.67) genügt, gibt es eine Erhaltungsgröße. Diese lautet<br />

I =<br />

f<br />

n=1<br />

<br />

∂L<br />

ψn + L −<br />

∂ ˙qn<br />

f<br />

n=1<br />

<br />

∂L<br />

˙qn<br />

∂ ˙qn<br />

φ − f(q, t) . (5.68)<br />

Als Beispiele betrachten wir die Energie-, Impuls- und Drehimpulserhaltung. Die<br />

Energieerhaltung folgt aus der Homogenität der Zeit. Für eine infinitesimale Zeittranslation,<br />

t ′ = t + ɛ, ist ψ = 0 und φ = 1. Hängt die Lagrangefunktion nicht<br />

explizit von der Zeit ab, so ist die Invarianzbedingung (5.67) mit f = 0 erfüllt.<br />

Dann entspricht der Erhaltungsgröße (5.68) die Energie,<br />

E =<br />

f<br />

n=1<br />

∂L<br />

˙qn − L.<br />

∂ ˙qn<br />

Die Impulserhaltung folgt aus der Homogenität des Raumes. Für eine infinitesimale<br />

räumliche Translation, q ′ n = qn + ɛ, ist ψn = 1 und φ = 0. Hängt die Lagrangefunktion<br />

nicht explizit von der Koordinate qn ab, so ist (5.67) mit f = 0 erfüllt. Dann


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 105<br />

entspricht der Erhaltungsgröße (5.68) der Impuls,<br />

pn = ∂L<br />

.<br />

∂ ˙qn<br />

Die Drehimpulserhaltung folgt aus der Isotropie des Raumes. Bei einer infinitesimalen<br />

Drehung um eine Drehachse n ändern sich die Ortsvektoren aller Teilchen<br />

gemäß r ′ i = ri + ɛn×ri. Für diese Transformation ist ψi = n×ri und φ = 0. Aus<br />

der Invarianz von L mit f = 0 folgt die Erhaltungsgröße<br />

N<br />

N<br />

<br />

∂L<br />

· (n×ri) = n· ri×<br />

∂ ˙ri<br />

∂L<br />

<br />

.<br />

∂ ˙ri<br />

i=1<br />

Dies ist die Komponente des Drehimpulses in Richtung der Drehachse n.<br />

Beweis des Noether-Theorems<br />

Aus der Zeittransformation in (5.66) folgt<br />

dt ′<br />

= 1 + ɛdφ<br />

(5.69)<br />

dt dt<br />

In linearer Ordnung in ɛ erhält man für die Transformation der verallgemeinerten<br />

Geschwindigkeiten<br />

˙q ′ n = dq′ n<br />

dt ′ = dq′ n<br />

dt<br />

i=1<br />

dt<br />

dt ′<br />

=<br />

<br />

dqn<br />

+ ɛdψn 1 − ɛ<br />

dt dt<br />

dφ<br />

=<br />

<br />

dt<br />

<br />

dψn dφ<br />

˙qn + ɛ − ˙qn .<br />

dt dt<br />

(5.70)<br />

Die linke Seite von (5.67) ergibt<br />

′ d dt<br />

dɛ dt L′<br />

<br />

ɛ=0<br />

= dL′<br />

<br />

<br />

<br />

dɛ + L<br />

ɛ=0<br />

dφ<br />

dt<br />

f ∂L<br />

= ψn +<br />

∂qn n=1<br />

∂L<br />

<br />

dψn dφ<br />

− ˙qn +<br />

∂ ˙qn dt dt<br />

∂L<br />

φ + Ldφ<br />

∂t dt<br />

f<br />

<br />

d ∂L<br />

=<br />

ψn +<br />

dt ∂ ˙qn<br />

n=1<br />

∂L<br />

<br />

f<br />

<br />

dψn<br />

∂L dφ ∂L<br />

+ L − ˙qn +<br />

∂ ˙qn dt<br />

∂ ˙qn dt ∂t<br />

n=1<br />

φ<br />

= d<br />

<br />

f<br />

<br />

∂L<br />

ψn +<br />

dt ∂ ˙qn<br />

d<br />

<br />

f<br />

<br />

∂L<br />

L − ˙qn φ . (5.71)<br />

dt<br />

∂ ˙qn<br />

n=1<br />

In der dritten Zeile wurden die Lagrangegleichungen (5.63), in der vierten der Energiesatz<br />

(5.43) verwendet. Mit diesem Ausdruck ergibt die Integration von (5.67) die<br />

Erhaltungsgröße (5.68).<br />

n=1


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 106<br />

5.6 Schwingungen<br />

Gegeben sei ein konservatives System mit f Freiheitsgraden, das sich in einem stabilen<br />

Gleichgewicht befindet. Bei kleinen Auslenkungen der Massenpunkte aus ihrer<br />

Gleichgewichtslage führt das System Schwingungen aus. Diese können als Überlagerung<br />

von Normalmoden dargestellt werden, denen jeweils eine charakteristische<br />

Schwingungsfrequenz zugeordnet ist.<br />

5.6.1 Entwicklung um die Gleichgewichtslage<br />

Sei ξ = q − q0 eine Auslenkung des Systems aus der Gleichgewichtslage q0. Wir<br />

wählen diese Auslenkungen als verallgemeinerte Koordinaten und entwickeln die<br />

kinetische und die potentielle Energie bis <strong>zur</strong> quadratischen Ordnung in ξ.<br />

Die kinetische Energie eines konservativen Systems besitzt die Form (5.45). Da im<br />

Gleichgewicht ˙q0 = 0 gilt, ist ˙q = ˙ ξ. In quadratischer Ordnung ergibt sich für die<br />

kinetische Energie der Ausdruck<br />

T = 1<br />

2<br />

f<br />

n,m=1<br />

µnm ˙ ξn ˙ ξm mit µnm = <br />

i<br />

mi<br />

<br />

∂xi ∂xi q=q0<br />

.<br />

∂qn ∂qm<br />

Da das Produkt der Geschwindigkeiten bereits von quadratischer Ordnung ist, kann<br />

µnm im Gleichgewicht ausgewertet werden. In dieser Näherung ist µnm eine konstante<br />

Matrix. Diese ist symmetrisch laut Definition und positiv definit, da die kinetische<br />

Energie für ˙ ξ = 0 positiv ist.<br />

Im stabilen Gleichgewicht besitzt die potentielle Energie U = U(q) ein Minimum,<br />

d.h. es gilt<br />

n,m=1<br />

<br />

∂U <br />

<br />

∂qn<br />

q=q0<br />

= 0.<br />

Die Entwicklung der potentiellen Energie lautet daher<br />

U = U(q0) + 1<br />

2<br />

f<br />

knm ξnξm mit knm = ∂2 <br />

U <br />

<br />

∂qn∂qm<br />

q=q0<br />

Ohne Einschränkung kann U(q0) = 0 gewählt werden, da die Bewegungsgleichungen<br />

nicht von einer additiven Konstante in der Lagrangefunktion abhängen. Die Matrix<br />

knm ist definitionsgemäß symmetrisch und positiv definit, da die potentielle Energie<br />

nach Voraussetzung im Gleichgewicht ein Minimum annimmt.<br />

Damit erhält man in quadratischer Ordnung die Lagrangefunktion<br />

L(ξ, ˙ ξ) = 1<br />

2<br />

f <br />

µnm ˙ ξn ˙ <br />

ξm − knm ξnξm . (5.72)<br />

n=1<br />

.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 107<br />

Zur Aufstellung der Lagrangegleichungen berechnen wir zuerst das totale Differential<br />

von L unter Berücksichtigung der Symmetrie von µnm und knm,<br />

dL = 1<br />

f <br />

µnm d<br />

2<br />

˙ ξn ˙ ξm + ˙ ξnd ˙ <br />

ξm − knm (dξnξm + ξndξm)<br />

= 1<br />

2<br />

=<br />

n,m=1<br />

f<br />

n,m=1<br />

(µnm + µmn) ˙ ξmd ˙ ξn − (knm + kmn) ξmdξn<br />

f<br />

µnm ˙ ξmd ˙ ξn − knmξmdξn.<br />

n=1<br />

Daraus erhält man für die verallgemeinerten Impulse und Kräfte<br />

∂L<br />

∂ ˙ ξn<br />

=<br />

f<br />

µnm<br />

m=1<br />

˙ ξm<br />

∂L<br />

∂ξn<br />

=<br />

f<br />

− knmξm.<br />

5.6.2 Schwingungsgleichung<br />

Die zugehörigen Lagrangegleichungen stellen ein Gleichngssystem von f gekoppelten<br />

linearen Oszillatoren dar,<br />

f<br />

In Vektornotation gilt<br />

m=1<br />

m=1<br />

µnm ¨ ξm + knmξm = 0 (5.73)<br />

µ · ¨ ξ + k · ξ = 0. (5.74)<br />

Die Bewegungsgleichungen (5.74) bilden ein Differentialgleichungessystem mit konstanten<br />

Koeffizienten, das durch einen Exponentialansatz,<br />

ξ = Ae −iωt , (5.75)<br />

gelöst werden kann. Mit diesem Lösungsansatz folgt ein homogenes algebraisches<br />

Gleichungssystem k − ω 2 µ · A = 0. (5.76)<br />

Nichtverschwindende Lösungen existieren nur für bestimmte Werte von ω 2 die durch<br />

die Lösbarkeitsbedingung des linearen Gleichungssystems<br />

D(ω 2 ) = det k − ω 2 µ = 0 (5.77)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 108<br />

bestimmt werden. Hierbei ist D(λ) ein Polynom vom Grad f, das f komplexe Nullstellen<br />

besitzt. Diese seien<br />

λk, k = 1, · · · , f .<br />

Treten Mehrfachnullstellen auf, so sind einige der λk gleich. Zu einer r-fachen Nullstelle<br />

bestimmt das Gleichungessystem<br />

(k − λkµ) · A (k) = 0 (5.78)<br />

einen r-dimensionalen Lösungsraum, d.h. r der Komponenten von A (k) können beliebig<br />

gewählt werden, die restlichen Komponenten sind dann durch das Gleichungssystem<br />

eindeutig bestimmt. Insgesamt findet man auf diese Weise f Lösungsvektoren<br />

A (k) .<br />

Eigenfrequenzen<br />

Zu jeder Nullstelle λk gibt es eine Frequenz ωk = √ λk. Diese werden auch als<br />

Eigenfrequenzen bezeichnet. Wir zeigen, daß die Eigenfrequenzen für ein stabiles<br />

Gleichgewicht reell sind.<br />

Im allgemeinen besitzt ein Polynom komplexe Nullstellen. Aus der Symmetrie der<br />

Matrizen folgt jedoch, daß die Nullstellen λk reell sind. Um dies zu zeigen, nehmen<br />

wir zunächst an, es gäbe eine komplexe Nullstelle λ und einen zugehörigen komplexen<br />

Lösungsvektor A. Durch skalare Multiplikation von (5.78) mit A ∗ erhält man<br />

Die konjugiert komplexe Gleichung ist<br />

λ = A∗ · k · A<br />

A ∗ · µ · A .<br />

λ ∗ = (A∗ · k · A) ∗<br />

(A ∗ · µ · A) ∗<br />

Für eine hermitesche Matrix, Mmn = M ∗ nm, ist<br />

(A ∗ · M · A) ∗ = A · M ∗ · A ∗ = A ∗ · M · A<br />

reell. Die reellen symmetrischen Matrizen µmn und kmn sind auch hermitesch. Daraus<br />

folgt λ ∗ = λ, so daß λ tatsächlich reell ist. Damit können auch die Lösungsvektoren<br />

A reell gewählt werden. Da die Matrizen außerdem positiv definit sind, folgt sogar,<br />

daß alle Nullstellen positiv sind. Daher können auch die Eigenfrequenzen ωk reell<br />

und positiv gewählt werden.<br />

Eine Sonderrolle spielt die doppelte Nullstelle ω 2 k = 0. Wegen ¨ ξ = −ω 2 ξ entspricht<br />

diese Lösung einer gleichförmigen Bewegung<br />

ξ = ξ0 + ˙ ξ0t.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 109<br />

Normalmoden<br />

Die Lösungen der Schwingungsgleichung für ωk > 0 besitzen die Form<br />

ξ (k) = A (k) ℜ Cke −iωkt = A (k) Bk cos(ωkt + αk), (5.79)<br />

wobei Ck = Bke −iαk eine komplexe Integrationskonstante darstellt und die Lösungsvektoren<br />

A (k) durch eine Normierungsvorschrift<br />

A (k) · µ · A (l) = δkl<br />

(5.80)<br />

festgelegt wurden. Dies sind Schwingungen mit genau einer Eigenfrequenzen, die als<br />

Normalmoden bezeichnet werden.<br />

Die allgemeine Lösung des linearen Gleichungssystems ist eine Superposition aller<br />

Normalmoden,<br />

f<br />

ξ = A (k) Bk cos(ωkt + αk) . (5.81)<br />

k=1<br />

Die hierbei auftretenden 2f Integrationskonstanten werden durch die Anfangsbedingungen<br />

ξ(0) = ξ0 und ˙ ξ(0) = ˙ ξ0 bestimmt.<br />

5.7 Starrer Körper<br />

5.7.1 Freiheitsgrade<br />

Ein Körper wird als starrer Körper bezeichnet, wenn alle Punkte der Massenverteilung<br />

feste Relativabstände zueinander besitzen. Die Massenverteilung kann<br />

punktförmig oder kontinuierlich vorgegeben sein.<br />

Ein Punkt Pν eines starren Körpers kann in einem Inertialsystem S durch den Ortsvektor<br />

(5.82)<br />

rν,S = r0 + rν<br />

dargestellt werden. Hierbei bezeichnet r0 einen beliebigen Bezugspunkt im starren<br />

Körper, der den Ursprung eines körperfesten Bezugssystems K bildet. Der Ortsvektor<br />

von Pν im körperfesten System ist rν. Die Basisvektoren und die Koordinaten<br />

in den beiden Bezugssystemen werden durch folgende Notation unterschieden:<br />

S : rS = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez,<br />

K : r = x1e1(t) + x2e2(t) + x3e3(t).<br />

Ein starrer Körper besitzt 6 Freiheitsgrade, drei Freiheitsgrade der Translation und<br />

drei Freiheitsgrade der Rotation. Die Lage seiner Punkte kann dementsprechend<br />

durch die 3 Komponenten des Bezugspunktes und durch die 3 Winkel der Drehung<br />

von K relativ zu S angegeben werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 110<br />

5.7.2 Eulersche Winkel<br />

Die Drehung von K relativ zu S kann durch die drei Eulerwinkel φ, θ und ψ angegeben<br />

werden, die durch die folgenden drei aufeinanderfolgenden Drehungen definiert<br />

sind. Die xy Ebene von S schneidet die x1x2 Ebene von K entlang einer Geraden, die<br />

als Knotenlinie bezeichnet wird. Die erste Drehung ist eine Drehung um die z-Achse<br />

um den Winkel φ, so daß die x-Achse mit der Knotenlinie <strong>zur</strong> Deckung gebracht<br />

wird. Der Einheitsvektor der gedrehten x-Achse zeigt entlang der Knotenlinie und<br />

wird mit eK bezeichnet. Die zweite Drehung ist eine Drehung um die Knotenlinie<br />

um den Winkel θ, so daß die z-Achse mit der x3-Achse <strong>zur</strong> Deckung kommt. Bei<br />

der dritten Drehung um die x3-Achse um den Winkel ψ wird schließlich die x-Achse<br />

von der Knotenlinie bis <strong>zur</strong> x1-Achse gedreht. Damit sind die Achsen von S in die<br />

Achsen von K überführt worden.<br />

Die Einheitsvektoren der drei Drehachsen besitzen im körperfesten System die Darstellung<br />

nφ = ez = sin θ sin ψe1 + sin θ cos ψe2 + cos θe3<br />

nθ = eK = cos ψe1 − sin ψe2 (5.83)<br />

nψ = e3<br />

5.7.3 Winkelgeschwindigkeit<br />

Die Geschwindigkeit eines Punktes Pν ist<br />

Abbildung 5.7: Eulerwinkel<br />

vν,S = v0 + ω × r ν . (5.84)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 111<br />

Der erste Term bezeichnet die Geschwindigkeit des Bezugspunktes, der zweite die<br />

Geschwindigkeit der Drehung um den Bezugspunkt. Die Komponenten der vektoriellen<br />

Winkelgeschwindigkeit ω im körperfesten System werden mit<br />

ω = pe1 + qe2 + re3. (5.85)<br />

bezeichnet. Sie können in folgender Weise durch die Euler-Winkel ausgedrückt werden.<br />

Die infinitesimale Drehung um dϕ = ωdt im Zeitintervall dt kann additiv aus<br />

den Drehungen um die drei Eulerwinkel zusammengesetzt werden,<br />

ω = ˙ φnφ + ˙ θnθ + ˙ ψnψ. (5.86)<br />

Die hierbei angenommene Additivität infinitesimaler Drehungen zeigt man wie folgt:<br />

dr1 = ω1×rdt<br />

dr2 = ω2×(r + dr1)dt = ω2×rdt<br />

dr = dr1 + dr2 = (ω1 + ω2)×rdt = ω×rdt<br />

ω = ω1 + ω2. (5.87)<br />

Die Komponenten von ω in K berechnen sich damit zu<br />

5.7.4 Trägheitstensor<br />

Kinetische Energie<br />

p = ω · e1 = ˙ φ sin θ sin ψ + ˙ θ cos ψ<br />

q = ω · e2 = ˙ φ sin θ cos ψ − ˙ θ sin ψ (5.88)<br />

r = ω · e3 = ˙ φ cos θ + ˙ ψ<br />

Die kinetischen Energie des starren Körpers kann durch Momente der Massenverteilung,<br />

die Gesamtmasse M, den Schwerpunkt R, und den Trägheitstensor<br />

ausgedrückt werden. Man findet<br />

Θ = <br />

ν<br />

mν<br />

<br />

2<br />

rνI − rνrν<br />

(5.89)<br />

T = 1<br />

2 Mv2 0 + 1<br />

2 ω·Θ · ω + ω·(R×Mv0). (5.90)<br />

Der erste Anteil ist die Translationsenergie des Bezugspunktes, der zweite die Rotationsenergie<br />

um den Bezugspunkt. Als neue Größe tritt hierbei der Trägheitstensor


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 112<br />

auf. Der dritte Anteil ist ein Mischterm. Er verschwindet, wenn entweder der Bezugspunkt<br />

ruht (v0 = 0) oder wenn der Schwerpunkt als Bezugspunkt gewählt wird<br />

(R = 0).<br />

Zur Herleitung dieses Ergebnisses summiert man die kinetischen Energien der einzelnen<br />

Massenpunkte mit den Geschwindigkeiten (5.84),<br />

T = 1<br />

2<br />

= 1<br />

2<br />

<br />

mν(v0 + ω × rν) 2<br />

ν<br />

<br />

ν<br />

mν<br />

v 2 0 + 2v0·(ω × r ν) + (ω × r ν) 2<br />

= 1<br />

2 Mv2 0 + ω·(R×Mv0) + 1<br />

2<br />

<br />

mν(ω × rν) 2 .<br />

Der letzte Term stellt die Rotationsenergie dar. Sie kann auf folgende Weise umgeformt<br />

werden,<br />

Trot = 1<br />

2<br />

= 1<br />

2<br />

= 1<br />

2<br />

<br />

mν(ω × rν)·(ω × rν) ν<br />

<br />

mνω· {rν× (ω × rν))} ν<br />

<br />

ν<br />

= 1<br />

2 ω·<br />

mνω· r 2 <br />

νω − (ω · rν) rν<br />

<br />

Der in Klammern stehende Ausdruck ist der Trägheitstensor.<br />

ν<br />

mν<br />

Koordinatendarstellung des Trägheitstensors<br />

ν<br />

2<br />

rνI − rνrν<br />

<br />

·ω. (5.91)<br />

Definiert man die Koordinaten des Punktes Pν durch x ν i = rν·ei, so lautet die<br />

Komponentendarstellung des Trägheitstensors<br />

Θik = ei·Θ · ek = <br />

ν<br />

mν<br />

2<br />

rνδik − x ν i x ν k<br />

Die entsprechende Darstellung der Rotationsenergie lautet<br />

Trot = 1<br />

2<br />

3<br />

i,k=1<br />

Θikωiωk<br />

(5.92)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 113<br />

Für eine kontinuierliche Massenverteilung mit der Massendichte γ(r) kann die Summation<br />

durch eine Integration ersetzt werden,<br />

<br />

<br />

M = dV γ(r), Θik = dV γ(r) r 2 <br />

δik − xixk . (5.93)<br />

Trägheitsmomente<br />

Eine einfachere Darstellung erhält man, indem man die Drehachse n als eine Koordinatenachse<br />

wählt. Hier gilt<br />

Trot = 1<br />

2 Θnnω 2 , Θnn = n · Θ · n, ω = ωn.<br />

Hierbei wird Θnn als das Trägheitsmoment des starren Körpers bezüglich der Drehachse<br />

n bezeichnet. Es kann nach der Formel<br />

Θnn = <br />

mν(n × rν) 2 = <br />

ν<br />

ν<br />

mνr 2 ν sin 2 ϑν<br />

berechnet werden, wobei ϑν den Winkel zwischen rν und n bezeichnet.<br />

Hauptträgheitsmomente<br />

Der Trägheitstensor ist symmetrisch und besitzt daher in einem beliebigen Koordinatensystem<br />

6 unabhängige Elemente. Eine symmetrische Matrix kann durch eine<br />

Drehung der Koordinatenachsen immer auf Diagonalform gebracht werden. Dieses<br />

Koordinatensystem heißt Hauptachsensystem des Trägheitstensors, die Diagonalelemente<br />

der Matrix sind die Hauptträgheitsmomente. Die Hauptachsen xi und die<br />

zugehörigen Hauptträgheitsmomente Θi findet man als Lösungen des Eigenwertproblems<br />

Θ · xi = Θixi, det |Θik − Θiδik| = 0. (5.94)<br />

Sind allle Hauptträgheitsmomente verschieden, so nennt man den starren Körper<br />

einen unsymmetrischen Kreisel. Sind zwei Hauptträgheitsmomente gleich, so handelt<br />

es sich um einen symmetrischen Kreisel. Sind alle drei Hauptträgheitsmomente<br />

gleich, so spricht man von einem Kugelkreisel.<br />

Drehimpuls<br />

Der Drehimpuls des starren Körpers um den Bezugspunkt r0 kann ebenfalls mit<br />

Hilfe des Trägheitstensors angegeben werden,<br />

L = R×Mv0 + Θ · ω. (5.95)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 114<br />

Der erste Term verschwindet, wenn der Bezugspunkt ruht oder wenn der Schwerpunkt<br />

als Bezugspunkt gewählt wird. Unter diesen Voraussetzungen gilt<br />

L = Θ · ω. (5.96)<br />

Der Trägheitstensor ist eine lineare Abbildung der Winkelgeschwindigkeit auf den<br />

Drehimpuls. Nur bei Drehungen um eine Hauptträgheitsachse ist L parallel zu ω.<br />

Zur Herleitung von (5.95) summiert man wieder die Einzeldrehimpulse,<br />

L = <br />

rν×mν(v0 + ω × rν) ν<br />

= <br />

(mνrν)×v0 + mνrν×(ω × rν) ν<br />

= R×Mv0 +<br />

<br />

ν<br />

mν<br />

5.7.5 Eulersche Kreiselgleichungen<br />

2<br />

rν − rνrν<br />

<br />

·ω. (5.97)<br />

Die Änderungen des Gesamtimpulses P und des Gesamtdrehimpulses L eines starren<br />

Körpers genügen im Inertialsystem S den Gleichungen<br />

Hierbei bezeichen<br />

d<br />

P = F ,<br />

dt<br />

F = <br />

F e<br />

ν, N = <br />

ν<br />

d<br />

L = N. (5.98)<br />

dt<br />

ν<br />

rS,ν×F e<br />

ν<br />

(5.99)<br />

die Summe der äußeren Kräfte bzw. Drehmomente. Wir beschränken uns auf den<br />

Fall, in dem die von außen einwirkende Gesamtkraft verschwindet, so daß<br />

F = 0, N = <br />

(r0 + rν)×F e<br />

ν = <br />

ν<br />

ν<br />

rν×F e<br />

ν<br />

gesetzt werden kann. Damit ist der Gesamtimpuls erhalten. Das Drehmoment kann<br />

wie angegeben auf das körperfeste System bezogen werden.<br />

Zur Vereinfachung des Drehimpulssatzes sei der Bezugspunkt so gewählt, daß für<br />

den Drehimpuls (5.96) gilt. Die Achsen des körperfesten Bezugssystems können noch<br />

so gewählt werden, daß das körperfeste System ein Hauptachsensystem darstellt. Die


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 115<br />

Transformation der Drehimpulsänderung auf das körperfeste System ergibt dann,<br />

<br />

dL<br />

<br />

dt <br />

S<br />

= dL<br />

=<br />

<br />

<br />

<br />

dt + ω × L<br />

K <br />

dω K<br />

Θ· + ω× (Θ · ω)<br />

dt<br />

(5.100)<br />

In Komponentenschreibweise lautet das Gleichungssystem<br />

Θ1 ˙p + (Θ3 − Θ2)qr = N1<br />

Θ2 ˙q + (Θ1 − Θ3)pr = N2 (5.101)<br />

Θ3 ˙r + (Θ2 − Θ1)pq = N3.<br />

Hierbei sind die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit durch (5.88) und die<br />

Hauptträgheitsmomente durch (5.94) definiert. Diese Gleichungen werden als Eulersche<br />

Kreiselgleichungen bezeichnet. Sie bestimmen die Eulerwinkel und damit die<br />

Orientierung des starren Körper als Funktion der Zeit.<br />

5.7.6 Kräftefreie Bewegung<br />

Bei der Diskussion der Eulerschen Kreiselgleichungen beschränken wir uns auf den<br />

kräftefreien Fall. Hier verschwindet das Drehmoment N auf der rechten Seite von<br />

(5.101).<br />

Gleichförmige Rotation eines unsymmetrischen Kreisels<br />

Wir untersuchen zuerst unter welchen Bedingungen ein unsymmetrischer Kreisel um<br />

eine körperfeste Achse gleichförmig rotieren kann. Unter der Voraussetzung ˙ω = 0<br />

folgt aus (5.100), daß der Drehimpuls parallel <strong>zur</strong> Winkelgeschwindigkeit gerichtet<br />

sein muß,<br />

L = Θ · ω = Θiω<br />

Dies ist die Bedingung für eine Hauptträgheitsachse. Somit sind gleichförmige Rotationen<br />

nur um Hauptträgheitsachsen möglich.<br />

Die Drehachse sei nun nahezu parallel zu einer Hauptträgheitsachse. Ohne Einschränkung<br />

sei dies die Achse mit dem Hauptträgheitsmoment Θ1, so daß q


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 116<br />

Aus der ersten Gleichung folgt, daß p = p0 als konstant angenommen werden kann.<br />

Aus den beiden anderen Gleichungen erhält man die Schwingungsgleichungen<br />

¨q + Hq = 0, ¨r + Hr = 0, H = (Θ1 − Θ3)(Θ1 − Θ2)<br />

p 2 0.<br />

Θ2Θ3<br />

Für H > 0 ist die Drehung um die Hauptträgheitsachse stabil, für H < 0 instabil.<br />

Stabile Drehungen erfolgen daher um die Hauptträgheitsachsen mit dem kleinsten<br />

und dem größten Trägheitsmoment. Die Drehung um die Hauptträgheitsachse mit<br />

dem mittleren Trägheitsmoment ist instabil.<br />

Symmetrischer Kreisel<br />

Gegeben sei nun ein symmetrischer Kreisel mit der Symmetrieachse x3. Die Symmetrieachse<br />

wird als Figurenachse bezeichnet. Setzt man<br />

Θ1 = Θ2, w = (Θ1 − Θ3)<br />

so reduzieren sich die Bewegungsgleichungen (5.101) auf die Form<br />

˙p − wqr = 0<br />

Θ1<br />

˙q + wpr = 0 (5.103)<br />

˙r = 0.<br />

Die Lösung bestimmt die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit im körperfesten<br />

System,<br />

p = ˙ φ sin θ sin ψ + ˙ θ cos ψ = a sin(wt + ψ0),<br />

q = ˙ φ sin θ cos ψ − ˙ θ sin ψ = ˙p<br />

w = a cos(wt + ψ0), (5.104)<br />

r = ˙ φ cos θ + ˙ ψ = r0,<br />

mit Integrationskonstanten a, ψ0 und r0. Die Winkelgeschwindigkeit ω bildet einen<br />

festen Winkel γ mit der Figurenachse, der durch tan γ = a/r0 bestimmt ist. Dabei<br />

läuft sie auf einem Kegel, dem Polkegel, um die Figurenachse um.<br />

Im Inertialsystem ist der Drehimpuls erhalten. Wählt man die z- Achse des Inertialsystems<br />

in Richtung des Drehimpulsvektors, so gilt L = L0ez. Die Komponenten<br />

von L im körperfesten System sind dann<br />

⎛<br />

⎝<br />

L1<br />

L2<br />

L3<br />

⎞ ⎛ ⎞ ⎛<br />

ez·e1<br />

⎠ = L0 ⎝ ez·e2 ⎠ = L0 ⎝<br />

ez·e3<br />

sin θ sin ψ<br />

sin θ cos ψ<br />

cos θ<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎠ = ⎝<br />

θ1p<br />

θ2q<br />

θ3r<br />

⎞<br />

⎠ . (5.105)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 117<br />

Abbildung 5.8: Präzession<br />

eines kräftefreien symmetrischen<br />

Kreisels.<br />

Wegen θ3r0 = const folgt aus der dritten Komponente L3 = L0 cos θ = θ3r0, daß der<br />

Eulerwinkel<br />

θ = θ0<br />

konstant ist. Daher läuft die Figurenachse auf einem Kegel mit Öffnungswinkel 2θ0<br />

um die raumfeste Drehimpulsachse um. Dieser Kegel wird als Präzessionskegel bezeichnet.<br />

Die Drehachse ω = ˙ φez + ˙ ψe3 bildet mit der Drehimpulsachse ebenfalls<br />

einen festen Winkel. Sie läuft auf dem sogenannten Spurkegel um die Drehimpulsachse<br />

um. Anschaulich ergibt sich die Präzession der Figurenachse, indem der Polkegel<br />

auf dem Spurkegel abrollt.<br />

Die restlichen beiden Eulerwinkel können durch die ersten beiden Gleichungen von<br />

(5.104) bestimmt werden. Man erhält<br />

˙φ 2 sin 2 θ0 = a 2<br />

=⇒ φ = φ0 + a<br />

t<br />

sin θ0<br />

˙φ sin θ0 sin ψ = a sin ψ =⇒ ψ = ψ0 + wt.


Kapitel 6<br />

Hamiltonsche <strong>Mechanik</strong><br />

Die mechanischen Bewegungsgleichungen können als ein 2f dimensionales Differentialgleichungssystem<br />

erster Ordnung für Bewegungen im Phasenraum dargestellt<br />

werden. An die Stelle der Lagrangefunktion tritt hier die Hamiltonfunktion. Die<br />

Hamiltonsche Theorie ist von besonderer Bedeutung, da der Übergang <strong>zur</strong> Quantenmechanik<br />

hier durch einfache Quantisierungsregeln vollzogen werden kann.<br />

6.1 Kanonische Gleichungen<br />

Die verallgemeinerten Impulse werden durch die partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion<br />

nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten definiert,<br />

pn = pn(q, ˙q, t) = ∂L<br />

. (6.1)<br />

∂ ˙qn<br />

Wir suchen nun umgekehrt eine Funktion, deren partielle Ableitungen nach den verallgemeinerten<br />

Impulsen die verallgemeinerten Geschwindigkeiten bestimmen. Eine<br />

solche Umkehrung läßt sich mit einer Legendretransformation erreichen.<br />

Legendretransformation<br />

Das totale Differential der Lagrangefunktion<br />

dL = ∂L<br />

dqn +<br />

∂qn n<br />

∂L<br />

d ˙qn +<br />

∂ ˙qn<br />

∂L<br />

∂t dt<br />

= ∂L<br />

dqn + pnd ˙qn +<br />

∂qn<br />

∂L<br />

∂t dt<br />

n<br />

118


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 119<br />

drückt die Abhängigkeit dieser Funktion von den Variablen q, ˙q und t aus. In der<br />

zweiten Zeile wurde nur die Definition der verallgemeinerten Impulse (6.1) substituiert.<br />

Subtrahiert man davon das Differential<br />

d <br />

pn ˙qn = <br />

pnd ˙qn + ˙qndpn<br />

n<br />

n<br />

so erhält man das Differential einer Funktion, die von den Variablen q, p und t<br />

abhängt <br />

d L − <br />

<br />

pnqn = ∂L<br />

dqn − ˙qndpn +<br />

∂qn<br />

∂L<br />

dt.<br />

∂t<br />

(6.2)<br />

n<br />

n<br />

Man definiert die Hamiltonfunktion H = H(p, q, t) durch<br />

H = H(p, q, t) = <br />

pn ˙qn − L. (6.3)<br />

Dies ist die Energie des Systems, ausgedrückt durch die Variablen q, p und t. Die<br />

partiellen Ableitungen der Hamiltonfunktion nach diesen Variablen sind<br />

∂H<br />

∂pn<br />

= ˙qn,<br />

∂H<br />

∂qn<br />

n<br />

= − ∂L<br />

,<br />

∂qn<br />

H<br />

∂t<br />

= −∂L . (6.4)<br />

∂t<br />

Die partiellen Ableitungen der Hamiltonfunktion nach den verallgemeinerten Impulsen<br />

bestimmen somit die verallgemeinerten Geschwindigkeiten. Die restlichen<br />

partiellen Ableitungen sind bis auf das Vorzeichen unverändert.<br />

Bewegungsgleichungen<br />

Mit der Hamiltonfunktion lassen sich die Bewegungsgleichungen des Systems im<br />

Phasenraum (q, p) angeben. Aus (5.39) und (6.4) erhält man die kanonischen Gleichungen,<br />

˙qn = ∂H<br />

, ˙pn = −<br />

∂pn<br />

∂H<br />

∂qn<br />

. (6.5)<br />

Sie stellen ein Differentialgleichungessystem 1. Ordnung für die 2f Variablen (q, p)<br />

dar.<br />

Zyklische Variablen und Energieerhaltung<br />

Hängt die Hamiltonfunktion nicht explizit von einer Koordinate ab, so ist der zugehörige<br />

verallgemeinerte Impuls erhalten,<br />

∂H<br />

= 0 =⇒ pn = const.<br />

∂qn


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 120<br />

Ist die Hamiltonfunktion nicht explizit zeitabhängig, so ist die Energie erhalten,<br />

dH<br />

dt<br />

∂H<br />

= ˙pn +<br />

∂pn n<br />

∂H<br />

˙qn +<br />

∂qn<br />

∂H<br />

∂t<br />

= <br />

<br />

∂H<br />

−<br />

∂pn<br />

∂H<br />

<br />

+<br />

∂qn<br />

∂H ∂H<br />

+<br />

∂qn ∂pn<br />

∂H<br />

∂t<br />

n<br />

= ∂H<br />

∂t<br />

= 0. (6.6)<br />

Hamiltonfunktion einer Ladung im elektromagnetischen Feld<br />

Aus der Lagrangefunktion (5.65) findet man den kanonischen Impuls<br />

Damit erhält man die Hamiltonfunktion<br />

p = mv + q<br />

c A.<br />

H = p · v − L<br />

= p · v − 1<br />

2 mv2 + qφ − q<br />

=<br />

v · A<br />

c<br />

mv 2 − 1<br />

2 mv2 =<br />

+ qφ<br />

1<br />

2 mv2 + qφ<br />

= (p − q<br />

cA)2 + qφ.<br />

2m<br />

6.2 Modifiziertes Hamiltonsches Prinzip<br />

Die Hamiltonschen Gleichungen lassen sich aus einem Variationsprinzip ableiten. Sei<br />

LH(q, ˙q, p, t) =<br />

f<br />

pn ˙qn − H(p, q, t)<br />

n=1<br />

die Lagrangefunktion des Systems als Funktion der unabhängigen Variablen q, ˙q, p<br />

und<br />

S[p, q] =<br />

t2<br />

t1<br />

dtLH<br />

die Wirkung als Funktional der Bahn (p, q) im Phasenraum. Dann folgen die Hamiltonschen<br />

Gleichungen aus dem modifizierten Hamiltonschen Prinzip<br />

δS[q, p] = 0, mit δq(t1) = δq(t2) = δp(t1) = δp(t2) = 0. (6.7)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 121<br />

Die Variation nach den Funtionen q und p ergibt die Euler-Lagrangegleichungen,<br />

Mit<br />

∂LH<br />

∂ ˙qn<br />

∂LH<br />

∂ ˙pn<br />

d ∂LH<br />

dt ∂ ˙qn<br />

d ∂LH<br />

dt ∂ ˙pn<br />

= pn,<br />

= 0,<br />

= ∂LH<br />

∂qn<br />

= ∂LH<br />

.<br />

∂pn<br />

folgen daraus die kanonischen Gleichungen (6.5).<br />

6.3 Poisson-Klammern<br />

∂LH<br />

∂qn<br />

= − ∂H<br />

∂qn<br />

∂LH<br />

∂pn<br />

= ˙qn − ∂H<br />

∂pn<br />

Sei F (p, q, t) eine beliebige Funktion der Variablen p, q, t. Dann ist deren totale<br />

Zeitableitung<br />

dF<br />

dt<br />

∂F ∂F<br />

= + ˙qn +<br />

∂t ∂qn n<br />

∂F<br />

˙pn<br />

∂pn<br />

= ∂F ∂F ∂H<br />

+ −<br />

∂t ∂qn ∂pn<br />

∂F ∂H<br />

.<br />

∂pn ∂qn<br />

n<br />

Definiert man die Poissonklammern zweier Funktionen u(p, q) und v(p, q) durch<br />

so gilt<br />

u, v = <br />

dF<br />

dt<br />

n<br />

∂u<br />

∂v<br />

∂qn ∂pn<br />

− ∂u<br />

∂pn<br />

∂v<br />

, (6.8)<br />

∂qn<br />

= ∂F<br />

∂t + F, H . (6.9)<br />

Setzt man F = q bzw. F = p so erhält man die Bewegungsgleichungen in der<br />

symmetrischen Form<br />

˙qn = qn, H , ˙pn = pn, H . (6.10)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 122<br />

Eine Größe F , die nicht explizit von der Zeit abhängt, ist genau dann eine Erhaltungsgröße,<br />

wenn die mit F und der Hamiltonfunktion H gebildete Poissonklammer<br />

verschwindet:<br />

∂F<br />

∂t<br />

= dF<br />

dt<br />

= 0, ⇐⇒<br />

F, H = 0.<br />

Die Poissongleichungen zwischen Paaren von Koordinaten und Impulsen lauten,<br />

<br />

qn, qm = 0,<br />

<br />

pn, pm = 0,<br />

<br />

qn, pm = − pm, qn = δnm. (6.11)<br />

Die Poissongleichungen erfüllen folgende algebraische Identitäten:<br />

u, v = − v, u <br />

λu + µv, w = λ u, w + µ v, w <br />

uv, w = u, w v + u v, w <br />

u, v , w + w, u , v + v, w , u = 0.<br />

Die letzte Gleichung heißt Jacobi-Identität.<br />

In der Quantenmechanik werden die Variablen p und q zu Operatoren und die Poissonklammern<br />

zu Kommutatoren. Die Gleichungen (6.11) bilden die Grundlage für<br />

die Quantisierung eines mechanischen Systems.<br />

6.4 Kanonische Transformationen<br />

In der Lagrangetheorie können beliebige verallgemeinerte Koordinaten gewählt werden.<br />

Bei einer Koordinatentransformation q −→ Q = Q(q, t) bleibt die Form der<br />

Lagrangegleichungen erhalten.<br />

In der Hamiltonschen Theorie lassen sich Koordinaten und Impulse gemeinsam<br />

transformieren. Man nennt eine solche Transformation kanonisch, wenn dabei die<br />

Form der kanonischen Gleichungen erhalten bleibt. Eine kanonische Transformation<br />

besitzt demnach die Form<br />

q −→ Q = Q(p, q, t), p −→ P = P (p, q, t), H −→ K = K(P, Q, t). (6.12)<br />

Hierbei bezeichnen Q die neuen Koordinaten, P die neuen Impulse und K eine neue<br />

Hamiltonfunktion. Diese erfüllen die kanonischen Bewegungsgleichungen,<br />

˙Qn = ∂K<br />

,<br />

∂Pn<br />

Pn<br />

˙ = − ∂K<br />

. (6.13)<br />

∂Qn<br />

Kanonische Transformationen können durch Umeichungen der Larangefunktion erzeugt<br />

werden. Bei einer solchen Umeichung bleiben die Bewegungsgleichungen invariant.<br />

Wir fordern daher, daß sich die Lagrangefunktionen des modifizierten Hamiltonschen<br />

Prinzips in den alten und neuen Koordinaten nur durch eine totale<br />

Zeitableitung voneinander unterscheiden,


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 123<br />

<br />

pn ˙qn − H = <br />

Pn ˙ Qn − K + d<br />

F (q, p, Q, P, t) (6.14)<br />

dt<br />

n<br />

n<br />

Hierbei ist F (q, p, Q, P, t) eine beliebige Funktion, die man erzeugende Funktion<br />

der kanonischen Transformation nennt. Aufgrund der Transformationsgleichungen<br />

(6.12) sind nur zwei der vier Variablen unabhängig voneinander. Ohne Einschränkung<br />

können wir eine erzeugende Funktion F = F (q, Q, t) annehmen und<br />

(6.14) in der Form<br />

dF = <br />

pndqn − PndQn − (H − K)dt (6.15)<br />

schreiben. Daraus folgt<br />

n<br />

pn = ∂F<br />

, Pn = −<br />

∂qn<br />

∂F<br />

, K = H +<br />

∂Qn<br />

∂F<br />

. (6.16)<br />

∂t<br />

Für eine gegebene Funktion F = F (q, Q, t) bestimmen die ersten beiden Gleichungen<br />

die kanonische Transformation der Koordinaten und Impulse, die letzte Gleichung<br />

stellt die Transformation der Hamiltonfunktion dar. Die erste Gleichung hat die<br />

Form p = p(q, Q, t). Sie definiert implizit die neuen Koordinaten Q = Q(q, p, t). Die<br />

zweite Gleichung besitzt die Form P = P (q, Q). Zusammen mit der ersten Gleichung<br />

erhält man daraus die neuen Impulse.<br />

Man kann erzeugende Funktionen wählen, die von anderen Variablenpaaren<br />

abhängen, z.B. S = S(q, P, t). Durch Legendretransformation erhält man<br />

<br />

dS = d F + <br />

<br />

= <br />

pndqn + QndPn − (H − K)dt. (6.17)<br />

n<br />

PnQn<br />

n<br />

Damit lauten die Transformationsgleichungen für die erzeugende Funktion S<br />

pn = ∂S<br />

, Qn =<br />

∂qn<br />

∂S<br />

, K = H +<br />

∂Pn<br />

∂S<br />

. (6.18)<br />

∂t<br />

6.5 Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung<br />

Sei S(q, P, t) eine kanonische Transformation, die so gewählt ist, daß für die neue<br />

Hamiltonfunktion K = 0 gilt. In diesem Fall sind die neuen Koordinaten und Impulse<br />

konstant und stellen 2f Integrationskonstanten des Differentialgleichungssystems<br />

dar.<br />

Die zugehörige kanonische Transformation genügt nach (6.18) der Hamilton-Jacobi-<br />

Differentialgleichung,<br />

∂S<br />

∂t<br />

∂S<br />

+ H(q, , t) = 0. (6.19)<br />

∂q


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 124<br />

Dies ist eine partielle Differentialgleichung, deren Lösung dem Auffinden der Teilchenbahnen<br />

äquivalent ist.


Kapitel 7<br />

Relativistische <strong>Mechanik</strong><br />

7.1 Relativitätsprinzip<br />

Erfahrungsgemäß ist die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen gleich groß:<br />

8 m<br />

c = 2.998 · 10<br />

s<br />

km<br />

≈ 300 000 . (7.1)<br />

s<br />

Dies wurde zuerst 1887 im Experiment von Michelson und Morley nachgewiesen.<br />

Die beobachtete Konstanz der Lichtgeschwindigkeit steht jedoch im Widerspruch<br />

zum Galileischen Relativitätsprinzip der Newtonschen <strong>Mechanik</strong>.<br />

Galileitransformation: Wir betrachten einen Vorschub des Koordinatensystems<br />

S ′ mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung:<br />

x ′ = x − vt, t ′ = t. (7.2)<br />

Die Phase Φ = kx − ωt einer Lichtwelle bestimmt die Anzahl der Wellenlängen<br />

125<br />

Abbildung 7.1: Bewegtes Koordinatensystem<br />

S ′ . Der Ursprung<br />

von S’ ist gegenüber S um vt verschoben.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 126<br />

eines Wellenzuges. Sie muß daher unabhängig vom Bezugssystem sein. Aus dieser<br />

Forderung ergibt sich<br />

k ′ x ′ − ω ′ t ′ = k ′ x − (ω ′ + k ′ v)t ! = kx − ωt<br />

k = k ′ , ω = ω ′ + k ′ v. (7.3)<br />

Im Vakuum breitet sich die Lichtwelle mit der Phasengeschwindigkeit ω ′ /k ′ = ω/k =<br />

c aus. Aufgrund der Galileitransformation (7.3) erhält man jedoch<br />

c = ω<br />

k = ω′ + k ′ v<br />

k ′<br />

= ω′<br />

k ′ + v = c′ + v (7.4)<br />

Dies widerspricht der Beobachtung c = c ′ . Einstein hat diesen Widerspruch dadurch<br />

gelöst, daß er die Forderung nach Galilei-Invarianz durch ein neues Relativitätsprinzip<br />

(Lorentz-Invarianz) ersetzt hat. Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird<br />

dabei als physikalisches Grundprinzip eingeführt.<br />

Einsteinsches Relativitätsprinzip (ER):<br />

(E1) Alle Inertialsysteme sind gleichwertig.<br />

(E2) Die Lichtgeschwindigkeit ist in allen Inertialsystemen gleich groß.<br />

Die Transformation zwischen Inertialsystemen, die dem ER genügen, nennt<br />

man Lorentz-Transformationen. <strong>Physik</strong>alische Gesetze, die gegenüber Lorentz-<br />

Transformationen invariant sind, nennt man lorentzinvariant oder relativistisch.<br />

7.2 Lorentz-Transformation<br />

Als Verallgemeinerung der Galileitransformation wird eine allgemeine lineare Transformation<br />

der Koordinaten angenommen:<br />

0 x<br />

x1 ′ <br />

0 Λ 0 Λ<br />

=<br />

0 1<br />

Λ1 0 Λ1 0 x<br />

1 x1 <br />

(7.5)<br />

Koordinaten in S : (ct, x) ≡ (x 0 , x 1 )<br />

Koordinaten in S’ : (ct ′ , x ′ ) ≡ (x 0′<br />

, x 1′<br />

)<br />

Die 4 Konstanten Λ α β hängen nur von v ab. Sie werden durch folgende Forderungen<br />

bestimmt:<br />

1. Ursprung von S’: x 1′<br />

= 0; x 1 = vt = βx 0 ; β = v<br />

c<br />

x 1′<br />

= Λ 1 0x 0 + Λ 1 1x 1 = 0<br />

x 1<br />

x 0 = −Λ1 0<br />

Λ 1 1<br />

!<br />

= β (7.6)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 127<br />

2. Ursprung von S: x1 = 0; x1′ = −vt ′ = −βx0′ x 1′<br />

x 0′ = Λ1 0<br />

Λ 0 0<br />

3. Invarianz der Lichtgeschwindigkeit: x 1′<br />

x 1′<br />

x 0′ = Λ1 0 + Λ 1 1<br />

Λ 0 0 + Λ 0 1<br />

!<br />

= −β (7.7)<br />

= x0′ , x1 = x0 = 1 (7.8)<br />

Damit sind 3 der 4 Konstanten festgelegt. Setzt man γ(v) := Λ 0 0 für die<br />

verbleibende Konstante, so gilt<br />

x 0<br />

x 1<br />

′<br />

<br />

1 −β<br />

= γ(v)<br />

−β 1<br />

0 x<br />

x1 <br />

,<br />

Λ 1 1 = Λ 0 0 = γ; Λ 1 0 = Λ 0 1 = −βγ. (7.9)<br />

4. Raumspiegelung: Eine Raumspiegelung x 1 → −x 1 , x 1′<br />

→ −x1′ ist äquivalent<br />

zu einer Umkehr der Geschwindigkeit v → −v. Führt man gleichzeitig<br />

eine Raumspiegelung und eine Geschwindigkeitsumkehr durch, so muß sich das<br />

ursprüngliche Transformationsgesetz ergeben.<br />

Daraus folgt:<br />

0 x<br />

−x1 ′ <br />

1<br />

= γ(−v)<br />

β<br />

0<br />

β x<br />

1 −x1 <br />

0 x<br />

x1 ′ <br />

= γ(−v)<br />

1<br />

−β<br />

0<br />

−β x<br />

1 x1 <br />

γ(v) = γ(−v). (7.10)<br />

5. Inverse Transformation: Die inverse Transformation<br />

0 x<br />

x1 <br />

= 1 1<br />

γ(v) 1 − β2 <br />

1<br />

β<br />

0<br />

β x<br />

1 x1 ′<br />

(7.11)<br />

muß äquivalent sein zu einer Transformation mit der Geschwindigkeit −v.<br />

Daraus folgt:<br />

γ(−v) = 1 1<br />

. (7.12)<br />

γ(v) 1 − β2 Aus (7.10) und (7.12) folgt<br />

γ =<br />

1<br />

. (7.13)<br />

1 − β2


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 128<br />

Die gesuchte Lorentz-Transformation ist,<br />

x 0<br />

x 1<br />

′<br />

= γ<br />

1 −β<br />

−β 1<br />

In expliziter Form lautet sie:<br />

t ′ =<br />

0 x<br />

x1 <br />

; γ =<br />

t − vx/c2<br />

1 − v 2 /c 2 , x′ =<br />

1<br />

v<br />

; β =<br />

1 − β2 c<br />

(7.14)<br />

x − vt<br />

. (7.15)<br />

1 − v2 /c2 Für kleine Geschwindigkeiten, v 2 /c 2 ≪ 1, geht die Lorentz-Transformation (7.15) in<br />

die Galileitransformation (7.2) über.<br />

Die Koordinatenachsen (x 0′ = 0, x 1′ = 0) des bewegten Systems S’ erscheinen im<br />

Inertialsystem S gegeneinander verdreht (Abb. 7.2). Punkte t > 0, die in S am Ort<br />

x = 0 beobachtet werden, erscheinen in S’ entlang der negativen x’-Achse. Punkte<br />

x > 0, die in S <strong>zur</strong> Zeit t = 0 beobachtet werden, erscheinen in S’ zu früheren Zeiten<br />

t ′ < 0.<br />

Abbildung 7.2: Koordinatenlinien x 0′ = const, x 1′ = const eines bewegten Inertialsystems<br />

S’ (rechts) im Inertialsystem S (links).<br />

7.3 Der Abstand von Ereignissen<br />

7.3.1 Raumzeit<br />

Ereignis: Die Ortskoordinaten x 1 , x 2 , x 3 und die Zeitkoordinate x 0 = ct eines Inertialsystems<br />

bilden einen 4-dimensionalen Raum. Die Punkte (x 0 , x 1 , x 2 , x 3 ) dieses<br />

Raumes nennt man Ereignisse. Betrachtet man nur Relativbewegungen in einer Koordinatenrichtung<br />

(x 1 ), so können die Ereignisse (x 0 , x 1 ) in einer Ebene dargestellt<br />

werden.


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 129<br />

Weltlinien: Die Bahnkurve eines Teilchens im 4-dimensionalen Raum heißt Weltlinie<br />

(Abb. 7.3). Die Weltlinien eines Photons, welches sich <strong>zur</strong> Zeit t = 0 im Ursprung<br />

befindet, liegen auf dem Lichtkegel ct = r. Die Weltlinie x = vt eines Teilchens mit<br />

der Geschwindigkeit v < c liegt innerhalb des Lichtkegels. Ereignisse innerhalb des<br />

Lichtkegels können vom Ursprung aus durch ein Signal, welches sich mit einer Geschwindigkeit<br />

v < c ausbreitet, erreicht werden. Ereignisse außerhalb des Lichtkegels<br />

sind so weit vom Ursprung entfernt, daß sie durch kein Signal mit v ≤ c erreicht<br />

werden können.<br />

Abbildung 7.3: Die Weltlinie eines<br />

Teilchens mit der Geschwindigkeit<br />

v.<br />

Abstand: In Analogie zum 3-dimensionalen Abstandsquadrat r 2 = (x 1 ) 2 + (x 2 ) 2 +<br />

(x 3 ) 2 definiert man das 4-dimensionale Abstandsquadrat<br />

s 2 = (x 0 ) 2 − r 2 . (7.16)<br />

Im Unterschied <strong>zur</strong> euklidischen Geometrie ist das Vorzeichen beim räumlichen<br />

Abstand negativ. Damit wird das Abstandsquadrat unabhängig von der Wahl des<br />

Inertialsystems. Nach dem Relativitätsprinzip gilt für ein Photon r = x 0 und damit<br />

s 2 = 0 für alle Inertialsysteme. Aufgrund der Lorentz-Transformation sind auch<br />

Abstände s 2 = 0 unabhängig vom Inertialsystem:<br />

s ′2 = (x 0′<br />

) 2 − (x 1′<br />

) 2 = γ 2 [+(x 0 − βx 1 ) 2 − (x 1 − βx 0 ) 2 ]<br />

Nach dem Vorzeichen von s 2 unterscheidet man:<br />

= +(x 0 ) 2 − (x 1 ) 2 = s 2 . (7.17)<br />

s 2 = 0 : Lichtartiger Abstand<br />

s 2 < 0 : Raumartiger Abstand (7.18)<br />

s 2 > 0 : Zeitartiger Abstand<br />

Da s 2 invariant ist, ist diese Unterscheidung unabhängig vom Inertialsystem. Bei<br />

raumartigen Abständen kann ein Koordinatensystem gefunden werden, in dem das<br />

Ereignis (x 0 , x 1 ) gleichzeitig zum Ereignis (0, 0) stattfindet:<br />

x 0′ = γ(x 0 − βx 1 ) ! = 0 ⇒ β = x0<br />

< 1. (7.19)<br />

x1


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 130<br />

Bei zeitartigen Abständen kann ein Koordinatensystem gefunden werden, in dem<br />

das Ereignis (x 0 , x 1 ) am selben Ort wie das Ereignis (0, 0) stattfindet:<br />

7.3.2 Längenkontraktion<br />

x 1′ = γ(x 1 − βx 0 ) ! = 0 ⇒ β = x1<br />

< 1. (7.20)<br />

x0 Abbildung 7.4: Der Lichtkegel<br />

trennt raumartige von zeitartigen<br />

Abständen.<br />

Ein Stab bewege sich im Laborsystem S mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung<br />

(Abb.7.5a).<br />

Längenmessung in S: Die Positionen x1, x2 der Stabenden werden in S <strong>zur</strong> gleichen<br />

Zeit t1 = t2 gemessen:<br />

∆x = x2 − x1 = l, ∆t = t2 − t1 = 0 (7.21)<br />

Der Stab ruht in einem mit v bewegten Inertialsystem. Die Länge<br />

∆x ′ = x ′ 2 − x ′ 1 = l0<br />

im Ruhesystem ist die Eigenlänge des Stabes.<br />

Lorentz-Transformation:<br />

Mit ∆x ′ = l0, ∆x = l und ∆t = 0 folgt<br />

(7.22)<br />

∆x ′ = γ(∆x − v∆t) (7.23)<br />

l = 1 − v 2 /c 2 l0<br />

(7.24)<br />

Die Ereignisse der Messung der Stabenden finden in S ′ zu verschiedenen Zeiten statt<br />

∆t ′ = γ(∆t − v v<br />

∆x) = −<br />

c2 c<br />

2 l0<br />

(7.25)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 131<br />

Abbildung 7.5: a) bewegte Maßstäbe erscheinen verkürzt b) bewegte Uhren gehen<br />

langsamer.<br />

7.3.3 Zeitdilatation<br />

Eine Uhr bewege sich in S mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung. Zu den Zeitpunkten<br />

t1 und t2 wird der Stand der Uhr mit Uhren in S an den Orten x1 bzw.<br />

x2 = x1 + v(t2 − t1) verglichen (Abb.7.5b).<br />

Zeitintervall im Ruhesystem S ′ der Uhr:<br />

Zeitmessung in S:<br />

Lorentz-Transformation<br />

Die Uhr wird in S an verschiedenen Orten abgelesen.<br />

∆t ′ = ∆τ, ∆x ′ = 0 (7.26)<br />

∆t; ∆x = v∆t (7.27)<br />

∆x ′ = γ(∆x − v∆t) (7.28)<br />

∆t ′ = γ(∆t − v<br />

∆x) (7.29)<br />

c2 ∆x ′ = 0 ⇒ ∆x = v∆t. (7.30)<br />

Damit gilt:<br />

∆τ = γ(1 − v2<br />

<br />

)∆t = 1 −<br />

c2 v2<br />

∆t. (7.31)<br />

c2 Die bewegte Uhr geht gegenüber den Uhren, die im Laborsystem ruhen nach (Zeitdehnung<br />

oder Zeitdilatation).


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 132<br />

7.3.4 Eigenzeit<br />

Die Eigenzeit τ einer Uhr wird definiert als die Zeit im Ruhesystem der Uhr:<br />

v = 0 ⇒ ds 2 = c 2 dτ 2 ; τ2 − τ1 = 1<br />

c (s2 − s1) (7.32)<br />

Die Eigenzeit ist unabhängig vom Inertialsystem, da der Abstand s2 − s1 lorentzinvariant<br />

ist.<br />

Zeit einer bewegten Uhr: Zur Zeit t bewege sich die Uhr in S mit Geschwindigkeit<br />

v(t). Im infinitesimalen Zeitintervall dt bewegt sie sich mit der momentanen<br />

Geschwindigkeit v(t) über eine Strecke dx = v(t)dt. In einem Inertialsystem S ′ , welches<br />

sich mit der konstanten Geschwindigkeit v0 = v(t) bewegt ist die Uhr momentan<br />

in Ruhe. Dem Zeitintervall dt entspricht das Eigenzeitintervall<br />

√ c 2 dt 2 − dx 2<br />

dτ = 1 1<br />

ds =<br />

c c<br />

= 1 − v2 (t)/c2dt (7.33)<br />

Für ein endliches Zeitintervall von t1 bis t2 gilt daher<br />

τ =<br />

t2<br />

t1<br />

<br />

1 − v2 (t)<br />

dt. (7.34)<br />

c2 Eine in S bewegte Uhr geht daher langsamer als eine in S ruhende Uhr.<br />

Um den Zeitvergleich der beiden Uhren <strong>zur</strong> Zeit t1 und t2 ausführen zu können,<br />

müssen sich die Uhren zu diesen Zeitpunkten am selben Ort befinden. Dies ist nur<br />

möglich, falls die bewegte Uhr im Zeitintervall zwischen t1 und t2 beschleunigt wurde.<br />

Da in beschleunigten Bezugssystemen andere Gesetze gelten, ist die angezeigte<br />

Zeitdifferenz der Uhren nicht im Widerspruch zum Relativitätsprinzip. Diejenige der<br />

beiden Uhren, die beschleunigt wurde, geht nach.<br />

(Zwillingsparadoxon, Lebensdauer schneller Myonen).<br />

7.3.5 Gleichzeitigkeit<br />

Nach dem Galileischen Relativitätsprinzip können sich die Zeiten t und t ′ in zwei<br />

Inertialsystemen nur durch eine Konstante t0 unterscheiden:<br />

t ′ = t + t0<br />

(7.35)<br />

Daher sind Zeitdifferenzen zwischen 2 Ereignissen in allen Inertialsystemen gleich<br />

groß:<br />

∆t ′ = ∆t (7.36)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 133<br />

Zwei Ereignissen, die in einem Inertialsystem gleichzeitig stattfinden, ∆t = 0, sind<br />

dann auch in jedem anderen Inertialsystem gleichzeitig: ∆t ′ = 0. Durch das Einsteinsche<br />

Relativitätsprinzip wird Gleichzeitigkeit zu einem relativen Begriff, der<br />

vom Inertialsystem des Beobachters abhängt.<br />

Zwei gleichzeitige Ereignisse (∆t = 0), die in S im Abstand ∆x voneinander stattfinden,<br />

treten in einem bewegten Inertialsystem S ′ im zeitlichen Abstand<br />

voneinander auf. Mit<br />

erhält man in S ′ die Zeitdifferenz<br />

∆t ′ = γ(∆t − v v<br />

∆x) = −γ ∆x (7.37)<br />

c2 c2 ∆x ′ = γ(∆x − v∆t) = γ∆x (7.38)<br />

∆t ′ = − v<br />

c<br />

∆x ′<br />

. (7.39)<br />

c<br />

Eine absolute Bedeutung hat nur das Abstandsquadrat ∆s 2 = c 2 ∆t 2 − ∆x 2 .<br />

7.4 Vierervektoren<br />

4-dimensionale Raumzeit: 3 Orts- und eine Zeitkoordinate.<br />

Ortsvektor:<br />

Wegelement:<br />

Lorentz-Metrik:<br />

x α ≡ (x 0 , x 1 , x 2 , x 3 ) = (ct, x, y, z) (7.40)<br />

ds 2 = (x 0 ) 2 − (x 1 ) 2 − (x 2 ) 2 − (x 3 ) 2 = −ηαβdx α dx β<br />

ηαβ =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

−1 0 0 0<br />

0 1 0 0<br />

0 0 1 0<br />

0 0 0 1<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

(7.41)<br />

(7.42)<br />

Summenkonvention: Über paarweise auftretende obere und untere Indizes wird summiert:<br />

ηαβdx α dx β 3 3<br />

≡ ηαβdx α dx β<br />

(7.43)<br />

Lorentz-Transformation: x α → x α′<br />

α=0 β=0<br />

x α′<br />

= Λ α γx γ + b α<br />

(7.44)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 134<br />

b α = 0 : homogene Lorentz-Transformation<br />

b α = 0 : inhomogene Lorentz-Transformation<br />

Invarianz der Metrik gegenüber Lorentz-Transformation:<br />

ηαβdx α′<br />

dx β′<br />

= ηαβΛ α βΛ β δdx γ dx δ<br />

!<br />

= ηγδdx γ dx δ<br />

Da diese Bedingung für beliebige dx α gelten soll gilt:<br />

oder<br />

(7.45)<br />

ηγδ = ηαβΛ α γΛ β δ = (Λγ α ) T ηαβΛ β δ. (7.46)<br />

η = Λ T ηΛ (7.47)<br />

Vierervektoren: Koordinatendifferentiale transformieren sich bei Lorentztransformationen<br />

wie<br />

dx α′<br />

= Λ α βdx β . (7.48)<br />

Jede 4-komponentige Größe V α , die sich wie die Koordinatendifferentiale transformiert<br />

heißt 4-Vektor:<br />

V α′<br />

= Λ α βV β<br />

(7.49)<br />

Lorentz-Skalare: Größen, die invariant sind gegenüber Lorentz-Transformationen<br />

heißen Lorentz-Skalare:<br />

s ′ = s (7.50)<br />

Bsp.: s = ηαβV α V β , Eigenzeit, Eigenlänge<br />

Kovariante u. kontravariante Komponenten<br />

V α ≡ (V 0 , V 1 , V 2 , V 3 ) kontravariant<br />

Vα ≡ (V0, V1, V2, V3) kovariant<br />

Vα := ηαβV β = (−V 0 , V 1 , V 2 , V 3 ). (7.51)<br />

Skalarprodukte können damit in der üblichen Form geschrieben werden<br />

7.5 Relativistische <strong>Mechanik</strong><br />

s = ηαβV α V β = VαV α . (7.52)<br />

Kovarianz: Gleichungen zwischen Skalaren, Vektoren oder allgemeiner Tensoren in<br />

der 4-dimensionalen Raumzeit sind gegenüber Lorentz-Transformationen forminvariant.<br />

Man nennt solche Gleichungen auch kovariant. Eine kovariante Gleichung ist<br />

z.B.<br />

a µ = b µ . (7.53)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 135<br />

In einem anderen Inertialsystem S ′ gilt dann entsprechend<br />

für die transformierten Komponenten<br />

a µ′<br />

= b µ′<br />

(7.54)<br />

a µ′<br />

= Λ µ νa ν , b µ′<br />

= Λ µ νb ν . (7.55)<br />

Aus dem Einsteinschen Relativitätsprinzip ergibt sich die weitreichende Forderung,<br />

daß die Newtonsche Bewegungsgleichung revidiert und durch eine kovariante Bewegungsgleichung<br />

ersetzt werden muß.<br />

Geschwindigkeit: Die Geschwindigkeit eines Teilchens kann in naheliegender Weise<br />

als 4-Vektor verallgemeinert werden. Da das Koordinatendifferential dxα einen 4-<br />

dt einen Skalar darstellt, ist<br />

Vektor und das Eigenzeitintervall dτ = 1<br />

γ<br />

u α = dxα<br />

dτ<br />

(7.56)<br />

ein 4-Vektor, der als die 4-Geschwindigkeit bezeichnet wird. In einem Inertialsystem<br />

S, in dem das Teilchen die Koordinaten xα = (ct, vt) besitzt, sind die Komponenten<br />

der 4-Geschwindigkeit<br />

u α = γ dxα<br />

= γ(c, v). (7.57)<br />

dt<br />

Im Ruhesystem des Teilchens (v = 0) gilt<br />

Der Skalar<br />

u α = (c, 0, 0, 0). (7.58)<br />

uαu α = γ 2 (−c 2 + v 2 ) = −c 2<br />

ist eine durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmte Invariante.<br />

Additionstheorem der Geschwindigkeiten:<br />

(7.59)<br />

Abbildung 7.6: Ein Teilchen bewege<br />

sich in dem Inertialsystem<br />

S ′ mit der Geschwindigkeit v ′ .


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 136<br />

Umkehrung:<br />

x ′ t<br />

= γ(x − ut)<br />

′ =<br />

<br />

γ t − ux<br />

c2 <br />

v ′ = x′ x − ut<br />

=<br />

t ′ t − ux<br />

x = γ(x ′ + ut ′ )<br />

t = γ<br />

c 2<br />

<br />

t ′ + ux′<br />

c2 <br />

v = x<br />

t = x′ + ut ′<br />

t ′ + ux′<br />

c 2<br />

= v − u<br />

1 − uv<br />

c 2<br />

= v′ + u<br />

1 + uv′<br />

c 2<br />

(7.60)<br />

(7.61)<br />

Impuls: Die im Ruhesystem des Teilchens definierte Masse m (Ruhemasse) ist ebenfalls<br />

ein Lorentz-Skalar. Der 4-Vektor<br />

p α = mu α<br />

(7.62)<br />

wird als 4-Impuls bezeichnet. Definiert man den relativistischen Impuls p = mγv<br />

und die relativistische Energie E = mγc2 so gilt<br />

p α <br />

E<br />

= , p<br />

(7.63)<br />

c<br />

Die Energie im Ruhesystem, ER = mc 2 , heißt Ruheenergie, E − ER = m(γ − 1)c 2<br />

heißt kinetische Energie. Zwischen Energie und Impuls besteht die relativistische<br />

Energie-Impulsbeziehung:<br />

pαp α = − E2<br />

c 2 + p2 = −m 2 c 2<br />

E = m2c4 + p2c2 <br />

2 p<br />

mc +<br />

→<br />

2<br />

; p ≪ m<br />

2m<br />

pc ; p ≫ m<br />

(7.64)<br />

Relativistische Bewegungsgleichung: Die kovariante Form der Bewegungsgleichung<br />

ist<br />

d<br />

dτ pα = f α . (7.65)<br />

Auf der linken Seite steht ein 4-Vektor. Die Kraft f α stellt daher ebenfalls einen<br />

4-Vektor dar, der als 4-Kraft bezeichnet wird. Im momentanen Ruhesystem (S ′ ) des<br />

Teilchens gilt:<br />

f 0′<br />

= dp0<br />

dt = 0, f ′ = dp<br />

dt<br />

= F , (7.66)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 137<br />

wobei F die Newtonsche Kraft darstellt. Im Laborsystem S bewegt sich das Ruhesystem<br />

mit der Geschwindigkeit v. Durch Lorentz-Transformation erhält man,<br />

f 0 = γ(f 0′<br />

f = γ(f ′<br />

f ⊥ = f ⊥′<br />

= F ⊥ .<br />

+ βf ′ v · F<br />

) = γ ,<br />

c<br />

+ βf 0′<br />

) = γF , (7.67)<br />

Hierbei bezeichnen bzw. ⊥ Vektorkomponenten parallel bzw. senkrecht zu v. Zusammen<br />

ergibt dies die 4-Kraft<br />

f α <br />

v · F<br />

v(v · F )<br />

= γ , F + (γ − 1)<br />

c<br />

v2 <br />

(7.68)<br />

Komponenten der Bewegungsgleichung:<br />

0-Komponente: (Energiesatz)<br />

Komponente v:<br />

γ d v · F<br />

(mγc) = γ ,<br />

dt c<br />

γ<br />

<br />

d<br />

dt (mγv)<br />

<br />

<br />

Komponente ⊥ v:<br />

<br />

d<br />

γ<br />

dt (mγv)<br />

<br />

⊥<br />

= γF,<br />

= F ⊥,<br />

d<br />

dt (mγc2 ) = v · F . (7.69)<br />

<br />

d<br />

dt (mγv)<br />

<br />

= F. (7.70)<br />

<br />

<br />

d<br />

dt (mγv)<br />

<br />

=<br />

⊥<br />

1<br />

γ F ⊥. (7.71)<br />

Man definiert die relativistische Energie E und den relativistischen Impuls p durch<br />

E = γmc 2 , p = γmv. (7.72)<br />

Die zeitliche Komponente der Bewegungsgleichung stellt den Energiesatz, die räumlichen<br />

Komponenten den Impulssatz dar.<br />

Lorentz-Kraft<br />

Die Bewegungsgleichung einer Ladung q im elektrischen Feld E und Magnetfeld B<br />

erhält man in folgender Weise. Das elektrische Feld im momentanen Ruhesystem<br />

sei E ′ . Die Kraft auf eine ruhende Ladung wird ausschließlich durch das elektrische<br />

Feld bestimmt,<br />

K = qE ′ . (7.73)


<strong>Theoretische</strong> <strong>Physik</strong>: <strong>Mechanik</strong> WS 02/03, H.-J. Kull 138<br />

In der Elektrodynamik wird gezeigt, dass sich elektrische Felder beim Übergang in<br />

ein bewegtes Bezugssystem ebenfalls transformieren. Die Transformation für den<br />

Übergang von S nach S ′ lautet<br />

v × B)<br />

c<br />

(7.74)<br />

Damit erhält man die Komponenten der 4er-Kraft<br />

⎛ 1qv<br />

· E c<br />

F = γ ⎝<br />

q(E + 1v<br />

× B)<br />

c<br />

Der Energie- und Impulssatz lautet in diesem Fall<br />

⎞<br />

⎠ . (7.75)<br />

Energie-Impulsbeziehung<br />

E ′ = E, E ′ ⊥ = γ(E⊥ + 1<br />

d<br />

dt (mγc2 ) = qE · v.<br />

d<br />

<br />

(mγv) = q E +<br />

dt v<br />

c ×B<br />

<br />

. (7.76)<br />

Der relativistische Impuls p = mγv und die relativistische Energie E = mγc2 sind<br />

Komponenten des 4er-Impulses,<br />

<br />

E<br />

<br />

p = c<br />

p<br />

. (7.77)<br />

Die Energie im Ruhesystem, ER = mc 2 , heißt Ruheenergie, E − ER = m(γ − 1)c 2<br />

heißt kinetische Energie. Zwischen Energie und Impuls besteht die relativistische<br />

Energie-Impulsbeziehung:<br />

p · p = − E2<br />

c2 + p2 = −m 2 c 2<br />

E = m2c4 + p2c2 <br />

2 p<br />

mc +<br />

→<br />

2<br />

; p ≪ m<br />

2m<br />

pc ; p ≫ m<br />

(7.78)<br />

Bei der Bewegung eines einzelnen Teilchens ist die Ruheenergie nur eine additive<br />

Konstante. Ihre wichtige Rolle erkennt man jedoch bei Reaktionen die <strong>zur</strong> Umwandlung<br />

von Teilchen führen. Als Beispiel betrachte man ein ruhendes Teilchen<br />

mit der Masse M, das in zwei Teilchen mit den Ruhemassen m1 und m2 zerfällt.<br />

Beim Zerfall ist die relativistische Energie erhalten,<br />

E = Mc 2 = m1c 2 + m1c 2 + m1(γ1 − 1)c 2 + m2(γ2 − 1)c 2 . (7.79)<br />

Die Ruhemasse ist dagegen keine Erhaltungsgröße,<br />

M = m1 + m2 + ∆m, ∆m = m1(γ1 − 1) + m2(γ2 − 1). (7.80)<br />

Der Massendefekt ∆m ist auf die unterschiedlich starken Bindungsenergien der einzelnen<br />

Teilchen <strong>zur</strong>ückzuführen (Kernspaltung).

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