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WER IST DER KöNIG VOM RING? - Shop des Kölner Stadt-Anzeiger

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Fotos: privat (außer S. 21 © Blatzheim-Betriebe, S. 25, S. 27, S. 37 © WDR)<br />

1. Auflage 2011<br />

© 2011 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln<br />

Lizenzgeber: Labonté Köhler Osnowski Verlagsgesellschaft mbH, Köln<br />

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil <strong>des</strong> Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,<br />

Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung <strong>des</strong> Verlages<br />

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt<br />

oder verbreitet werden.<br />

Lektorat: Anne Polch, Köln<br />

Umschlaggestaltung, Satz und Layout: Friedemann Weise, Köln<br />

Druck und Bindearbeiten: Lego S.p.A., Lavis, Italien<br />

ISBN 978-3-462-03830-9<br />

INHALT<br />

Die Protagonisten 6<br />

Einleitung 8<br />

Wer ist der König vom Ring? 15<br />

Schäfers Nas und Dummse Tünn und der Kampf<br />

um die Krone der <strong>Kölner</strong> Unterwelt<br />

»Ich hatte 1800 Frauen« 41<br />

… wie Abels Män die Frauenwelt eroberte<br />

Das Herz der Szene 61<br />

... schlägt im Klein Köln bei Beckers Schmal<br />

und Karin Cöllen<br />

Jeden Tag zum Friseur 79<br />

… warum der Frischse Pitter stolz auf seine Rente ist<br />

Was kostet die Welt? 95<br />

… wie der Lange Tünn mehrere Vermögen verzockte<br />

Jeden Abend 50 Mark 115<br />

… wie Essers Häns Zuhälter wurde, ohne es zu merken<br />

Undercover 137<br />

… wie Steuerfahnder Kai Löhmer zum Tode<br />

verurteilt wurde<br />

Danke 156


Heinrich Schäfer<br />

»Schäfers Nas«<br />

Anton Dumm<br />

»Dummse Tünn«<br />

Manfred Abel<br />

»Abels Män«<br />

Dieter Becker<br />

»Beckers Schmal«<br />

Karin Cöllen<br />

Peter Frisch<br />

»Frischse Pitter«<br />

Anton Claahsen<br />

»Der Lange Tünn«<br />

Hans Esser<br />

»Essers Häns«<br />

Steuerfahnder<br />

Kai Löhmer


EINLEITUNG<br />

Es gab eine Zeit, da hatte Köln in der gesamten Republik einen<br />

nahezu legendär schlechten Ruf. Denn in den späten 1950er-,<br />

vor allem in den 1960er-Jahren und auch noch bis in die 1970er-<br />

Jahre hinein scheint es oftmals, als herrsche in einigen Teilen<br />

der Domstadt die Unter- und Halbwelt. Die Boulevardpresse<br />

zimmert begeistert ihre Schlagzeilen über den Sündenpfuhl<br />

im Schatten <strong>des</strong> Doms und verleiht Köln sogar den Beinamen<br />

»Chikago am Rhein«. Die <strong>Stadt</strong> gilt zu dieser Zeit neben Hamburg<br />

und Berlin als die Hochburg <strong>des</strong> Verbrechens in Deutschland.<br />

Vor allem Rotlicht- und Sittlichkeitsdelikte, Prostitution<br />

und Glücksspiel, aber auch Diebstahl, Hehlerei, Raub und Einbruch<br />

erreichen immer neue, schwindelerregende Fallzahlen.<br />

Zwischen 1961 und 1964 steigt die Zahl der Straftaten in Köln<br />

um fast 6000 auf rund 48 600 im Jahr, während gleichzeitig<br />

die Aufklärungsquote nur noch bei rund 34 Prozent liegt, wie<br />

der Spiegel staunend und sich wohlig gruselnd referiert.<br />

Dass man in Köln scheinbar weitgehend unbehelligt von<br />

effektiver Strafverfolgung seinen dunklen Machenschaften<br />

nachgehen kann, zieht Ganoven, Diebe und Betrüger, Hehler<br />

und Stehler, Fälscher und Zocker aus der ganzen Republik<br />

in die Rheinmetropole. Es scheint zunächst, als müsse die<br />

<strong>Stadt</strong> der Invasion <strong>des</strong> kleineren und größeren Verbrechens<br />

tatenlos zusehen. Doch dann reagiert die bis dato weitgehend<br />

machtlose Obrigkeit: Ausgerechnet aus der ungeliebten Lan<strong>des</strong>hauptstadt<br />

Düsseldorf schickt der damalige Innenminister<br />

Willi Weyer im Mai 1965 den mit Sondervollmachten ausgestatteten<br />

Kriminalrat Werner Haas sowie eine ganze Reihe<br />

zusätzlicher Polizisten in die damals 850 000 Einwohner zäh-<br />

lende Domstadt. Und Haas und seine Truppe machen Ernst! In<br />

einer strategisch durchdachten und wohlorganisierten Kampagne<br />

beginnen sie, mit der wuchernden Unterwelt aufzuräumen.<br />

Sie erhöhen den Druck auf die <strong>Kölner</strong> Kriminellen. Jede<br />

zweite Nacht gibt es irgendwo in der <strong>Stadt</strong> eine Razzia. Es wird<br />

zunehmend ungemütlich für die Ganoven zwischen Eigelstein<br />

und Südstadt. Noch im gleichen Jahr kann unter der Ägide von<br />

Kriminalrat Haas die Zahl der Straftaten erstmals gesenkt werden,<br />

und die Zahl der aufgeklärten Verbrechen steigt – wenn<br />

auch nur geringfügig.<br />

Trotzdem kommt es auch in Köln weiterhin zu einigen spektakulären<br />

Mordtaten, Banküberfällen und Kin<strong>des</strong>entführungen.<br />

Einige gelangen zu trauriger Berühmtheit und zementieren<br />

das düstere und schwer zu korrigierende Image nur noch weiter.<br />

Das, was in dieser Zeit als das »Milieu« bekannt ist, hat<br />

mit diesen »harten« Fällen wenig zu tun. In der <strong>Kölner</strong> Szene<br />

herrschen die sogenannten Kleinkriminellen. Doch auch die<br />

besonders im Nachhinein oft zu Legenden erklärten – oder<br />

besser verklärten – <strong>Kölner</strong> Milieugrößen sind nicht ohne. Für<br />

die kriminellen Machenschaften kann es keine Entschuldigung<br />

sein, dass »das Unrechtsbewusstsein im Milieu relativ niedrig<br />

angesiedelt war, weil einige noch aus den Trümmern der <strong>Stadt</strong><br />

kamen und eben mit Maggeln, Klauen und Mitgehenlassen<br />

groß geworden sind«, wie Josef Menth, ehemaliger Kripobeamter<br />

und heute im Karneval als »Der Kölsche Schutzmann«<br />

unterwegs, zu bedenken gibt.<br />

Es scheint, als ob in diesen wilden Jahren kein Schutzmann<br />

und kein Kripobeamter, kein Finanzbeamter und kein Steuerfahnder<br />

und damit am Ende auch kein Richter den Unterweltgrößen<br />

das Handwerk legen könne. Unbeirrt ziehen sie<br />

ihre Bahnen. Als ob sie die Strafverfolger verhöhnen würden,<br />

8 9


sonnen sie sich dazu im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit<br />

und genießen nach allen Regeln der Kunst ihr ganz eigenes<br />

Wirtschaftswunder.<br />

»Was kostet die Welt?« scheint die wichtigste Frage dieser<br />

neuen Zeit zu sein. Im Milieu fließt das Geld in Strömen: Ob durch<br />

Zuhälterei, Hehlerei, Zockerei oder die florierende Gastronomie,<br />

reich sind in dieser Zeit viele. Und genauso schnell wie das Geld<br />

verdient wird, wird es auch wieder verprasst. Autos, Schmuck,<br />

Champagner, Urlaub – man lässt es sich gut gehen im Milieu.<br />

Auch wenn der Begriff der Parallelgesellschaft noch nicht erfunden<br />

ist, macht sich eine solche entlang <strong>des</strong> Rings immer breiter.<br />

Mit dem spießbürgerlichen Nachkriegsdeutschland hat das, was<br />

zwischen Christophstraße und Rudolfplatz passiert, wenig zu<br />

tun. Es sprießen immer mehr Bordelle, Striplokale, Bars, Nachtclubs<br />

und Spielhöllen aus der Erde. Im Stavenhof am Eigelstein,<br />

in der Nächelsgasse am Rhein und am Klapperhof stehen die<br />

Häuser, in denen immer mehr Frauen <strong>des</strong> Gewerbes, die »Mädchen<br />

aus dem Leben« – wie sie im Milieu heißen –, nach Freiern<br />

Ausschau halten. Die auf beiden Seiten von hohen Mauern abgesperrte<br />

Kleine Brinkgasse macht als Puffmeile der berühmten<br />

Hamburger Herbertstraße Konkurrenz.<br />

Und die Regeln, die in diesem Milieu herrschen, sind eisern.<br />

Ihre Einhaltung wird streng überwacht, jede Übertretung wird<br />

hart geahndet. Man betrügt sich nicht, man vergreift sich nicht<br />

an der Frau eines anderen, Schulden sind Ehrenschulden, Konflikte<br />

werden mit den Fäusten geregelt, Waffen sind verpönt.<br />

Die Hierarchie <strong>des</strong> Milieus wird von Stärke und Härte bestimmt:<br />

Wer zuerst zuschlägt, hat meist schon gewonnen. Wer zuerst<br />

fällt, hat kaum noch eine Chance.<br />

Diese Parallelwelt und ihre führenden Köpfe, allen voran<br />

die Könige <strong>des</strong> Milieus Anton Dumm alias Dummse Tünn und<br />

Heinrich Schäfer, bekannt als Schäfers Nas, faszinieren viele –<br />

damals wie heute. Der Journalist und Schriftsteller Peter Meisenberg,<br />

der in den 1980er-Jahren in einfühlsamen Reportagen<br />

und Büchern das <strong>Kölner</strong> Alltagsleben und die <strong>Kölner</strong> Veedel<br />

und Milieus beschrieben hat, erklärte, warum diese Köpfe so<br />

faszinierend waren, wie folgt: »Das wären sie nicht, wenn sie<br />

wirklich, bis auf den Grund ihrer Seele, so wären: so einfach<br />

und eindeutig, so in sich ruhend und in schlichter Naivität<br />

stark und brutal. Denn, und das ist der springende Punkt: sie<br />

tun nur so als ob. Sie sind nämlich die geborenen Mythomanen.<br />

Sie können gar nicht anders, als sich selbst zum Mythos<br />

zu machen. Das fängt bei ihren Bewegungen, ihren Gesten an.<br />

Die sind, als wären sie, die Gangster, hundertmal in den gleichen<br />

Gangsterfilm mit Lino Ventura gegangen und hätten jede<br />

Miene von ihm, jede Handbewegung, jede Drehung <strong>des</strong> Oberkörpers<br />

bis ins kleinste Detail studiert. Vielleicht haben sie das<br />

tatsächlich.«<br />

Dennoch darf nicht vergessen werden, wie kompromisslos<br />

und brutal diese Mythomanen und ihre Welt waren. Und wo es<br />

eine Täterwelt gibt, die sich verklärt und bis heute verklärt wird<br />

wie der Wilde Westen und Jesse James, gibt es natürlich auch<br />

eine Opferwelt. So sehr die Herren Luden und Zuhälter sich<br />

untereinander um einen korrekten und ehrenhaften Umgang<br />

bemühen, so zwiespältig ist das Verhältnis zur Gewalt Frauen<br />

gegenüber. Die wenigsten dieser Gewalttaten werden jedoch<br />

publik oder gar vor einem Gericht verhandelt. Zuhälterei ist<br />

nur strafbar, wenn die Prostituierte Anzeige erstattet oder<br />

wenn der Zuhälter öffentlich auffällig wird. Aber eine Frau in<br />

der Öffentlichkeit zu schlagen war aus verständlichen Gründen<br />

außerordentlich verpönt. In den Gesprächen, die wir mit<br />

den Protagonisten geführt haben, haben wir das Thema Gewalt<br />

10 11


gegenüber Frauen immer wieder angesprochen und Fragen<br />

gestellt. Doch richtig darüber reden möchte heute kaum einer.<br />

Genauso wenig ist über die Hintergründe diverser Knastaufenthalte<br />

aus ihnen herauszubekommen. »Eine Gedächtnislücke«<br />

gibt zum Beispiel der Lange Tünn vor, wenn er auf den<br />

Grund für die zweieinhalb Jahre, die er im berühmt-berüchtigten<br />

»Klingelpütz« absitzen musste, angesprochen wird. Auf der<br />

anderen Seite sind sie fast alle stolz, das alte <strong>Kölner</strong> Gefängnis<br />

am Hansaring auch von innen zu kennen. »Ein richtiger Kölscher<br />

aus dem Milieu, der musste mal im Klingelpütz gewesen<br />

sein. Das musste sein, um mitsprechen zu können«, bringt es<br />

Hans-Jürgen Kuhl, in der Szene als »de Duv« und bun<strong>des</strong>weit<br />

als einer der besten Dollarfälscher schlechthin bekannt, auf<br />

den Punkt. Einmal hinter Gittern, richtete man sich halt ein –<br />

der Informationsfluss untereinander funktionierte, und man<br />

hatte sogar ein »Warenbewirtschaftungssystem« mithilfe von<br />

Pendeln, die man aus der Zelle baumeln ließ, perfektioniert. So<br />

konnten Geld, Kassiber oder Rauschgift ausgetauscht werden.<br />

Es ranken sich viele Geschichten und Anekdoten um den<br />

1969 gesprengten und durch die JVA Ossendorf ersetzten Klingelpütz.<br />

Gleich mehrmals bringt es das alte <strong>Kölner</strong> Zuchthaus<br />

sogar in die Schlagzeilen. Zum Beispiel, als sich am 23. August<br />

1968 sieben Gefangene am helllichten Tag an aneinandergeknoteten<br />

Bettlaken aus dem dritten Stock <strong>des</strong> Gefängnisbaus<br />

abseilen, nachdem sie die Gitter eines Fensters durchgesägt<br />

hatten. Seelenruhig verlassen sie anschließend in voller<br />

Gefängnismontur mit Bus und Bahn die <strong>Stadt</strong>. Es folgt die bis<br />

dahin größte Fahndung in der Geschichte der Bun<strong>des</strong>republik.<br />

Am Ende sind es dann Hinweise aus dem <strong>Kölner</strong> Milieu, die<br />

die Festnahme der Ausbrecher ermöglichen. Denn die Szene<br />

fühlte sich durch den massiven Polizeieinsatz in ihrem Alltags-<br />

geschäft gestört. »Da hat man bei spektakulären Kriminalfällen<br />

auch mit der Polizei zusammengearbeitet, um schnell wieder<br />

Ruhe im Laden zu haben«, erinnert sich der ehemalige Kriminalbeamte<br />

Walter Volmer. Nur der letzte Flüchtige kann erst<br />

nach vier Monaten gefasst werden – er hat es einmal um die<br />

ganze Welt geschafft und wurde erwischt, als er vom Heimweh<br />

getrieben zurück nach Köln kam ...<br />

Die Zeit bleibt nicht stehen, und immer mehr Faktoren tragen<br />

schließlich dazu bei, dass es das Milieu, wie es dieses Buch<br />

beschreibt, heute so nicht mehr gibt. Anfang der 1980er-Jahre<br />

halten härtere Drogen Einzug in die Szene, die Auseinandersetzungen<br />

werden blutiger, die Lino-Ventura-Typen gehen in<br />

Rente. Aber auf ihre Art haben sie noch eine ganze Generation<br />

von Türstehern und Luden geprägt. Und ja, Mythomanen sind<br />

sie alle, denen wir auf den kommenden Seiten noch begegnen<br />

werden. In ihren Schlangenlederanzügen, mit ihren langen,<br />

täglich gepflegten Dauerwellen, die unvermeidliche Rolex<br />

am Handgelenk, das unvermeidliche Pfund Gold um den Hals,<br />

die unvermeidlichen Mädchen im Arm und die unvermeidliche<br />

offene Corvette oder den Mustang vor der Bar geparkt. Bis zum<br />

heutigen Tag klingt die Ehrfurcht nach, wenn die Größen von<br />

einst in ihren zumeist kleinen Mietwohnungen von den Zeiten<br />

erzählen, als sie schön und reich waren. Alle haben sie inzwischen<br />

das 60. Lebensjahr überschritten. Die Jugend, das Geld<br />

und die Schönheit sind weg. Die Geschichten bleiben. Und<br />

bereut wird nichts. Der Tenor bei unseren Recherchegesprächen<br />

für den WDR-Film »Im Miljö«, auf denen auch dieses Buch<br />

basiert, ist eindeutig. Alle sind sie der Meinung, dass sie ein<br />

schönes Leben gehabt haben – dass dies oft auf Kosten anderer<br />

und der Gesellschaft ging, interessiert sie dabei nicht.<br />

12 13


Wer ist der<br />

König vom ring?<br />

Schäfers Nas und Dummse Tünn<br />

und der Kampf um die Krone<br />

der <strong>Kölner</strong> Unterwelt


Die großen, scheinbar groben Hände greifen ganz langsam und<br />

vorsichtig nach der Taube. Beruhigend redet Anton Dumm auf<br />

das Tier ein, dann hebt er den Vogel behutsam an, spreizt mit<br />

sicheren und geübten Fingern erst den einen Flügel, dann den<br />

anderen, kontrolliert Knochen und Gefieder und legt das Tier<br />

schließlich auf die Waage. Der eher kleine und gedrungene<br />

Mann mit den kurzen weißen Haaren, den gutmütig blickenden<br />

Augen und dem grauen Monteurskittel sieht in seinem Taubenschlag<br />

genauso aus, wie sich wohl jeder zwischen Flensburg<br />

und Garmisch-Partenkirchen einen Taubenzüchter vorstellt. Die<br />

Tauben hat Dummse Tünn, wie er in Köln genannt wird, einst<br />

von seinem Vater übernommen. Untergebracht sind sie auf seinem<br />

Reiterhof, den er schon seit Jahrzehnten betreibt. Er ist<br />

inzwischen 73 Jahre alt, und noch immer zählt es zu seinen<br />

größten Vergnügungen, mit seinen Tauben an Flugwettbewerben<br />

teilzunehmen. Heute geht es ins Bergische. Am Zielort wird<br />

er von den anderen Taubenfreunden herzlich begrüßt, ein Stimmengewirr<br />

aus breitem Kölsch und bergischer Mundart.<br />

Vor mehr als 45 Jahren, im Januar 1966, beschreibt Der Spiegel<br />

unseren Taubenfreund folgendermaßen: »Wann immer der<br />

stets schlagfertige Tünnes (1,70 Meter groß, etwa 165 Pfund<br />

schwer) samt seinen Muskelmännern in Kölns Strip-Bars und<br />

Nachtlokalen auftauchte, verbreitete er Angst und Schrecken.<br />

Vor Anton Dumm und seinem Kommandotrupp, raunte es in<br />

Kölns Unterwelt, zitterten selbst die Polizisten. Obgleich er als<br />

Beruf ›Rohrleger‹ angibt, war er gekleidet ›wie ein englischer<br />

Lord‹ und benutzte stets nur teure Wagen – Jaguar, Porsche,<br />

Merce<strong>des</strong>.«<br />

Bereits mit 28 Jahren hat es Anton Dumm, Jahrgang 1938<br />

und bekannt als der »stärkste Mann von Köln«, durch sein Auftreten<br />

in der <strong>Kölner</strong> Halb- und Unterwelt zu überregionaler<br />

Berühmtheit gebracht. »Der <strong>Kölner</strong> Lotterlord« überschreibt<br />

die Zeit wenig später einen Artikel über Dummse Tünn, und<br />

der <strong>Kölner</strong> <strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong> zitiert Zeugen, die ausgesagt haben,<br />

dass »er sich jahrelang mit seinen Knochenbrechern durch die<br />

Lokale am Ring geschlagen habe, dass zertrümmerte Theken,<br />

zersplitterte Gläser und gebrochene Nasenbeine seinen Weg<br />

nach oben gezeichnet hätten«. Es soll Wirte gegeben haben, die<br />

gar nicht erst auf die Idee gekommen wären, seine Getränke zu<br />

berechnen. Lieber regelmäßig Dummse Tünn und seinen Hofstaat<br />

aushalten, als regelmäßig das Lokal renovieren und neu<br />

ausstatten zu müssen.<br />

Der junge Anton Dumm hat schon früh ein eher gespaltenes<br />

Verhältnis zu Recht und Ordnung und den Buchstaben <strong>des</strong><br />

Gesetzes. Schon mit 15 Jahren ist er bei der Polizei aktenkundig.<br />

Diebstahl, Hehlerei, Körperverletzung, Sachbeschädigung<br />

und immer wieder Fahren ohne Führerschein – die Zahl der<br />

Delikte, Vergehen und Vorstrafen, die Dummse Tünn im Laufe<br />

seiner »Karriere« in der <strong>Kölner</strong> Halbwelt ansammelt, ist schwer<br />

überschaubar. Er arbeitet zwar auch mal auf dem Bau, mal in<br />

einer Schlosserwerkstatt, und auch als mehr oder weniger professioneller<br />

Boxer versucht er sich zwischenzeitlich – doch um<br />

sich seinen Rang und seine unangefochtene Stellung im Milieu<br />

zu erkämpfen und zu sichern, nutzt er vor allem seine immensen,<br />

furchterregenden Kräfte. Er ist ziemlich skrupellos, geht<br />

keinem Kampf aus dem Weg und ist fast immer der Erste, der<br />

zuschlägt. Gegen Dummse Tünn kommt niemand an, und so ist<br />

sein Weg vom heimischen Rath über die Szene in Köln-Kalk bis<br />

in die Innenstadt nahezu ein Spaziergang. Er hat sich seinen<br />

Weg buchstäblich freigekämpft und sich nahezu den Nimbus<br />

der Unbesiegbarkeit geschaffen.<br />

16 17


Zudem lässt er Frauen für sich anschaffen, sodass für den<br />

regelmäßigen Geldfluss gesorgt ist und er einen seinem<br />

Erwerbszweig »angemessenen« Lebensstil führen kann. An der<br />

Spitze seines Hofstaates aus Männern, die meist wie er von der<br />

rechten Rheinseite kommen, zieht er seine Kreise durch das<br />

Milieu. Er ist das leuchtende Beispiel eines erfolgreichen Zuhälters<br />

und Unterweltkönigs. Viele eifern ihm nach, doch erreichen<br />

kann ihn keiner. Neben seinem Ruf als starker Kämpfer<br />

wird er als »netter, jooder Minsch« geschätzt, wie sein Zuhälterkollege<br />

Essers Häns sagt. Als »immer korrekt« hat auch sein<br />

»Ziehsohn« Abels Män ihn in Erinnerung.<br />

Dummse Tünn und ein Teil seiner Gang<br />

In der Boulevardpresse avanciert Dummse Tünn zu einer Art<br />

lokalem Szenestar, regelmäßig sorgt er für Schlagzeilen im<br />

<strong>Kölner</strong> Express. Selbst die meisten Polizisten halten gebührenden<br />

Abstand – oder suchen sich sogar einen Platz, an dem sie<br />

ein wenig Licht von der strahlenden Milieugröße abbekommen:<br />

Oft erzählt wird die Geschichte eines Polizeibeamten, der gerne<br />

mal eine Runde in Dummse Tünns Jaguar drehte – bis er das<br />

265-PS-Geschoss vor eine Mauer setzte. Dummse Tünn kam<br />

ohne viel Aufhebens für den Schaden auf, denn dafür war ihm<br />

der Dank <strong>des</strong> Polizisten gewiss. Allerdings bezahlte der Polizist<br />

seine Nähe zum Unterweltkönig später mit dem sehr abrupten<br />

Ende seiner Karriere im Staatsdienst.<br />

Doch der Alleinherrscher über das <strong>Kölner</strong> Milieu ist Dummse<br />

Tünn nicht. Er hat einen großen Konkurrenten, der einen ähnlichen<br />

Ruf genießt: Heinrich Schäfer, aufgrund seines imposanten<br />

Riechorgans Schäfers Nas genannt. Die »Nas« ist zwei<br />

Jahre älter als Dummse Tünn und ebenfalls ein starker Mann. Er<br />

hat eine große und imposante Statur und mit seinem breiten<br />

Kreuz und seinem mächtigen Schädel ist er selbst aus der Ferne<br />

von niemandem zu übersehen. Auch er gehört zu denen, mit<br />

denen man sich tunlichst nicht anlegt – oder wenn doch, dann<br />

nur dieses eine Mal. Der Lange Tünn, mit bürgerlichem Namen<br />

Anton Claahsen, selbst eine Türsteher- und Zockerlegende,<br />

weist fachmännisch und augenzwinkernd auf die unterschiedlichen<br />

Kämpfertypen hin: »Der Tünn wor anders stark wie die<br />

Nas. Die Nas wor zwar stärker, ävver dä Tünn wor su ene kleine<br />

Kräftije, dä kriss de schwer ze packe. Dä wor bärenstark … Die<br />

Nas wor jo vill ze jroß, ich will nit sage unbeweglich, ävver su<br />

ne Mann kunnts de jriefe.«<br />

In jungen Jahren hat Schäfers Nas sich als Hafenarbeiter<br />

verdingt und genau wie Dummse Tünn auf dem Bau gearbeitet.<br />

Doch Karriere macht er schließlich im Kielwasser eines Mannes,<br />

der es nicht nur als Gastronom zu einiger – wenn auch<br />

manchmal zweifelhafter – Berühmtheit gebracht hatte: Hans<br />

Herbert Blatzheim. Der Sohn eines <strong>Kölner</strong> Großkaufmanns<br />

18 19

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