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Strafrecht Allgemeiner Teil 2 - Kohlhammer

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870, 871 Das Unterlassungsdelikt – Übersicht<br />

8<br />

sondern dass er Bruno nicht geholfen hat, liegt der Schwerpunkt hier auf dem Unterlassen<br />

der Rettung). Da die Verursachung des Unfalls lediglich fahrlässig war (§ 222<br />

StGB), das Nicht-Helfen aber vorsätzlich (§§ 211, 212, 13 StGB; zur Verdeckung einer<br />

Straftat) und Anton auf Grund seines fahrlässigen (= pflichtwidrigen) Vorverhaltens<br />

eine Garantenpflicht besaß 29 , liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit hier auf dem<br />

(vorsätzlichen) Unterlassen. In diesem „beliebten“ Klausurfall ist Anton daher strafbar<br />

wegen § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB (Unfall) in Tatmehrheit (§ 53 StGB) zu §§ 211, 212,<br />

13 StGB (und § 142 Abs. 1, § 316, § 52 StGB) 30 .<br />

Bsp. (2): Insoweit ist im Ausgangsfall 1 zu differenzieren, je nachdem ob der Händler<br />

die Kontrollen vorsätzlich unterließ (und insoweit bereits zu diesem Zeitpunkt mit<br />

bedingtem Körperverletzungsvorsatz handelte) oder ob er erst durch die bekannt<br />

gewordenen Schadensfälle auf die unterlassenen Kontrollen aufmerksam wurde. Im<br />

ersten Fall liegt durch den Vertrieb ein vorsätzliches Handeln (§ 223 StGB) vor, welches<br />

das vorsätzliche Unterlassen der Kontrollen (§§ 223, 13 StGB) verdrängt (insoweit:<br />

Gleichzeitigkeit von Tun und Unterlassen). Das spätere vorsätzliche Unterlassen des<br />

Rückrufs (§§ 223, 13 StGB) erlangt keine eigenständige Bedeutung mehr. Im zweiten<br />

Fall ist im Vertreiben des Fleisches (lediglich) ein fahrlässiges aktives Handeln (§ 229<br />

StGB) anzunehmen, welches ebenfalls dem fahrlässigen Unterlassen der Kontrollen<br />

(§§ 229, 13 StGB) vorgeht (insoweit: Gleichzeitigkeit von Tun und Unterlassen). Der<br />

Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt jedoch – schon mit Blick auf den angedrohten<br />

Strafrahmen – im späteren vorsätzlichen Unterlassen der Rückrufaktion nach Erkennen<br />

der Sachlage (insoweit also: Mehraktigkeit). Es liegt demnach eine Strafbarkeit<br />

nach §§ 223, 13 StGB vor.<br />

870 c) Sonderproblem: Arztstrafrecht/Sterbehilfe. Insbesondere im Arztstrafrecht, wo<br />

es zumeist um die Rettung von Patienten geht, wird die Frage der Abgrenzung von<br />

Tun und Unterlassen häufig relevant 31 .<br />

Bsp. 32 : Berta ist unheilbar an Krebs erkrankt. Sie liegt seit Monaten im Koma, die Ärzte<br />

halten es für aussichtslos, dass sie jemals wieder ihr Bewusstsein erlangt. Ihr Leben<br />

wird lediglich noch durch den Anschluss an lebensverlängernde Geräte aufrecht erhalten.<br />

Nach Rücksprache mit den Angehörigen schaltet Arzt Armin die Geräte ab. Berta<br />

stirbt.<br />

871 Zusammenfassend gesagt gilt in Deutschland der Grundsatz, dass aktive Sterbehilfe<br />

als Maßnahme der aktiven Lebensbeendigung (z.B. mittels einer Todesspritze)<br />

stets als Totschlag strafbar ist, während die passive Sterbehilfe zwar konstruktiv<br />

als Totschlag durch Unterlassen zu erfassen wäre, man hier jedoch von<br />

einer Straflosigkeit des Arztes ausgeht, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.<br />

So führt der BGH 33 aus: „Sterbehilfe ist nur entsprechend dem erklärten oder<br />

mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch<br />

29 Vgl. zu dieser Garantenstellung aus „Ingerenz“ unten Rn. 952 ff., insbesondere<br />

Rn. 955a.<br />

30 Vgl. aber auch BGHSt 7, 287; Seelmann, JuS 1987, L 33 (L 35): Realkonkurrenz zwischen<br />

fahrlässiger Tötung durch Tun und versuchter Tötung durch Unterlassen, wenn<br />

der Täter lediglich irrtümlich davon ausging, dem Opfer sei noch zu helfen.<br />

31 Vgl. hierzu BGHSt 40, 257 (265 f.); Puppe, AT 2, § 46 Rn. 9 ff.; Seelmann, JuS 1987,<br />

L 33 (L 34); ferner die Übungsfälle bei Herzberg/Scheinfeld, JuS 2003, 880; Rudolphi,<br />

JURA 1979, 39; Thoss, JA 2001, 951; Vogel/Hocke, JURA 2005, 709.<br />

32 Zu dieser Fallkonstellation auch Führ, JURA 2006, 265 (266 ff.); Jäger, Rn. 336; Krey,<br />

AT 2, Rn. 320.<br />

33 BGHSt 37, 376 (379); restriktiver noch BGHSt 32, 367 (371).<br />

© 2009 W. <strong>Kohlhammer</strong>, Stuttgart

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