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Tarzans Sohn - Spitzenlicht.de

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TARZANS SOHN<br />

1952 Pegasus Verlag, Wetzlar<br />

Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt von Tony Kellen<br />

Umschlagsentwurf von Heinz Gerster<br />

Titel <strong>de</strong>r amerikanischen Originalausgabe<br />

The Son of Tarzan<br />

by Edgar Rice Burroughs<br />

Über <strong>de</strong>n Autor<br />

Tarzan wur<strong>de</strong> im wil<strong>de</strong>n afrikanischen Dschungel<br />

geboren - sein literarischer Schöpfer hingegen<br />

erblickte das Licht <strong>de</strong>r Welt in einer doch<br />

beschaulichen und geborgenen Umgebung.<br />

Als <strong>Sohn</strong> <strong>de</strong>s Fabrikanten und Bürgerkriegsveteranen<br />

George T. Burroughs wur<strong>de</strong> Edgar Rice Burroughs<br />

am 1. September 1875 in Chicago - Illinois geboren.<br />

Major Burroughs und seine Frau Mary hatten neben<br />

Edgar fünf weitere Söhne. Nach <strong>de</strong>m Besuch mehrerer<br />

Privatschulen verlebte Eddie <strong>de</strong>n Grossteil seiner<br />

Jugend auf <strong>de</strong>r Ranch seiner Brü<strong>de</strong>r George und Harry<br />

in Idaho.<br />

Im Jahr 1895 trat Eddie nach seinem Abschluss auf <strong>de</strong>r<br />

Militär Aka<strong>de</strong>mie in Michigan in die US-Kavallerie<br />

ein. Als jedoch ein Armeearzt bei ihm einen<br />

Herzfehler diagnostizierte und er <strong>de</strong>shalb nicht<br />

Offizier wer<strong>de</strong>n konnte, verliess er im Jahr 1897 die<br />

Armee vorzeitig und arbeitete bis 1899 wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r<br />

Ranch seiner Brü<strong>de</strong>r. Danach ging er zurück nach<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 1 von 271


Chicago und arbeitete in <strong>de</strong>r Firma seines Vaters.<br />

1900 heiratete Burroughs seine Jugendliebe Emma C.<br />

Hulbert. Die tägliche Routine in <strong>de</strong>r Fabrik seines<br />

Vaters war aber nicht nach Burroughs Geschmack und<br />

so verliessen die bei<strong>de</strong>n Chicago, um wie<strong>de</strong>rum in<br />

Idaho zu leben. Zusammen mit seinen Brü<strong>de</strong>rn, die<br />

inzwischen ihre Ranch aufgegeben hatten, versuchte<br />

er sich erfolglos als Goldgräber. Kurze Zeit später<br />

arbeitete er auch als Eisenbahnpolizist. Doch auch<br />

diesen Job gab Burroughs auf und zog mit seiner Frau<br />

wie<strong>de</strong>r zurück nach Chicago. Er nahm eine Reihe<br />

weiterer Jobs an und 1911 investierte er sein letztes<br />

Geld in einer Han<strong>de</strong>lsagentur und scheiterte auch<br />

damit.<br />

1912 blickte er auf ein enttäuschen<strong>de</strong>s Leben zurück.<br />

Dann kam Burroughs auf die I<strong>de</strong>e, eine Geschichte für<br />

ein Magazin zu schreiben. Seine erste Erzählung "A<br />

Princess of Mars", wur<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Pseudonym<br />

Norman Bean im All-Story-Magazin zwischen Februar<br />

und Juli 1912 als Fortsetzung veröffentlicht.<br />

Zunächst stellte die Schriftstellerei für Burroughs<br />

nichts als ein weiterer Versuch dar, an Geld zu<br />

kommen. Er erwies sich dabei auch nicht unbedingt<br />

als ein begna<strong>de</strong>ter Stilist, dafür aber war er ein<br />

geborener Geschichtenerzähler.<br />

Burroughs zweite Story "The Outlaw of Torn“ wur<strong>de</strong><br />

jedoch vom Magazin abgelehnt. Der grosse<br />

Durchbruch kam dann für Burroughs im drittem<br />

Anlauf mit <strong>de</strong>r Erzählung "Tarzan of the Apes“.<br />

Burroughs finanzielle Situation verbesserte sich<br />

zunehmend und er entwickelte einen ungeahnten<br />

Geschäftssinn. 1919 war er bereits Millionär.<br />

Beson<strong>de</strong>rs weitsichtig war es von ihm die Rechte an<br />

<strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Tarzan nicht zu verkaufen. Auch die<br />

gegrün<strong>de</strong>te Firma zur Vermarktung seiner Werke<br />

sollte sehr erfolgreich sein. Es verwun<strong>de</strong>rt daher<br />

nicht, dass <strong>de</strong>r Reichtum Burroughs bei seinem Tod<br />

am 19. März 1950 <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r von ihm beschriebenen<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

sagenumwobenen "Goldstadt Opar" weit übertraf.<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 2 von 271


Mit seinem Arbeitstempo konnte sein<br />

schriftstellerisches Talent allerdings nur bedingt<br />

Schritt halten und so bleibt die erste Erzählung<br />

"Tarzan of the Apes" wohl auch die beste. Will nicht<br />

be<strong>de</strong>uten, dass die nachfolgen<strong>de</strong>n Romane langweilig<br />

waren und "The Return of Tarzan" weist laut<br />

Kritikern im Stil und Inhalt sogar Fortschritte seines<br />

Verfassers auf. Von <strong>de</strong>n späten Abenteuern lässt sich<br />

dies nicht unbedingt sagen, aber da war <strong>de</strong>r<br />

Schriftsteller längst eine leben<strong>de</strong> Legen<strong>de</strong> und Afrika<br />

war längst nicht mehr <strong>de</strong>r dunkle, geheimnisvolle<br />

Kontinent.<br />

Kurzbeschreibung<br />

Mit Recht ist Tarzan stolz auf seinen <strong>Sohn</strong>, <strong>de</strong>r zu<br />

einem quicklebendigen Knaben herangewachsen ist.<br />

Nur eines macht ihm und Jane Sorge: Jacks Sehnsucht<br />

nach wil<strong>de</strong>n Tieren, Abenteuern und Urwäl<strong>de</strong>rn.<br />

Nichts kann <strong>de</strong>n Jungen halten, als auf einer Tierschau<br />

ein Menschenaffe gezeigt wird, <strong>de</strong>r Interesse für<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong> zeigt. Kein Wun<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn es han<strong>de</strong>lt<br />

sich um Akut, <strong>Tarzans</strong> alten Dschungelgefährten. Mit<br />

ihm zusammen entwischt Jack nach Afrika, in das Land<br />

seiner Träume. Dort wan<strong>de</strong>lt er auf <strong>de</strong>n Spuren seines<br />

Vaters, was im bald bei <strong>de</strong>n Dschungelbewohnern <strong>de</strong>n<br />

Namen Korak einbringen sollte. Als er die Sklavin<br />

Meriem befreit, bekommt er Fein<strong>de</strong>, die weitaus<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

gefährlicher sind als die wil<strong>de</strong>n Tiere <strong>de</strong>s Dschungels.<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 3 von 271


Inhalt<br />

Ein Riesenaffe reist nach London! . 4<br />

Der dressierte Affe! . 13<br />

Die kleine braune Meriem! . 47<br />

Erste Dschungeltaten! . 61<br />

Der Löwe! . 74<br />

Korak!83<br />

Die Tierfalle! . 121<br />

"Bwana" und seine Farm!136<br />

Das Heer <strong>de</strong>r Paviane! . 144<br />

Die Jagd!152<br />

Korak, <strong>de</strong>r Einsame! . 182<br />

Der Ritt ins Unbekannte! . 192<br />

Das tote Dorf! . 206<br />

Abdul Kamak, <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong> <strong>de</strong>r Wüste! . 217<br />

Tantor hält Abrechnung! . 227<br />

Die schaurige Nacht! . 238<br />

Tarzan ist wie<strong>de</strong>r da!250<br />

Ein Riesenaffe reist nach London<br />

Ein Boot <strong>de</strong>r "Marjorie W." trieb zur Zeit <strong>de</strong>r Ebbe<br />

<strong>de</strong>n breiten Ugambi mit <strong>de</strong>r Strömung hinab; es war<br />

<strong>de</strong>r Bemannung anzusehen, dass sie sich freute, die<br />

harte Ru<strong>de</strong>rarbeit <strong>de</strong>r Fahrt stromaufwärts hinter sich<br />

zu haben, und je<strong>de</strong>r machte es sich, so gut es ging,<br />

bequem. Man war ja noch etwa drei Meilen von <strong>de</strong>r<br />

"Marjorie W." entfernt, die allerdings sofort in See<br />

gehen sollte, sowie sie das lange Boot samt seiner<br />

Insassen an Bord hatte.<br />

Als so je<strong>de</strong>r seinen Gedanken nachhing o<strong>de</strong>r sich mit<br />

seinen Kamera<strong>de</strong>n mehr o<strong>de</strong>r weniger angeregt<br />

unterhielt, wur<strong>de</strong> plötzlich die Aufmerksamkeit aller<br />

nach <strong>de</strong>m Nordufer <strong>de</strong>s Stromes gelenkt: Dort stand<br />

jemand ... War es ein Mensch? Weit ausgestreckt die<br />

dürren, abgemagerten Arme ... und dazu die<br />

betteln<strong>de</strong>n Rufe in höchsten Fisteltönen!<br />

Was will er eigentlich? stieß einer <strong>de</strong>r Matrosen<br />

hervor. Es ist ein Weißer! brummte <strong>de</strong>r Steuermann<br />

vor sich hin. Dann kommandierte er: Alle Mann an die<br />

Ru<strong>de</strong>r! Wollen gera<strong>de</strong> auf ihn zu halten und sehen,<br />

was mit ihm los ist, fügte er noch hinzu.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 4 von 271


Beim Näherkommen erkannten sie in <strong>de</strong>r Gestalt<br />

<strong>de</strong>utlich das klägliche Zerrbild eines Menschen. Ein<br />

paar armselige weiße Locken <strong>de</strong>ckten wirr und kraus<br />

das Haupt, <strong>de</strong>r nackte Körper schien nur Haut und<br />

Knochen, und um die schmalen Len<strong>de</strong>n hing lose ein<br />

Leinenfetzen. Tränen rannen von <strong>de</strong>n eingefallenen<br />

und narbenbe<strong>de</strong>ckten Wangen, als <strong>de</strong>r Mann die<br />

Ankömmlinge mit frem<strong>de</strong>m, unbekanntem Gestammel<br />

anre<strong>de</strong>te.<br />

Das ist vielleicht ein Russe, meinte <strong>de</strong>r Steuermann.<br />

Kannst du Englisch? rief er <strong>de</strong>m Fremdling zu.<br />

Er verstand die Frage und ra<strong>de</strong>brechte nun langsam<br />

und stockend hervor, was er wollte. Es machte <strong>de</strong>n<br />

Eindruck, als seien Jahrzehnte verflossen, seit er das<br />

letzte mal englisch gesprochen hatte, doch ließ sich<br />

seinen Worten soviel entnehmen, dass er unter allen<br />

Umstän<strong>de</strong>n aus diesem "Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schrecken"<br />

fortwollte. Als er an Bord <strong>de</strong>r Marjorie W." war,<br />

erzählte er seinen Rettern seine ganze<br />

Lei<strong>de</strong>nsgeschichte, die überall mit lebhafter<br />

Anteilnahme aufgenommen wur<strong>de</strong>. Es war eine<br />

ununterbrochene Kette von Entbehrungen, Nöten und<br />

Qualen gewesen, die ihn zehn Jahre lang gefesselt<br />

hatte. Und tatsächlich war auch nichts, was beim<br />

Anblick dieses bedauernswerten Menschenwracks an<br />

die stattliche Erscheinung <strong>de</strong>s Schurken Alexei<br />

Pawlowitsch von einst erinnert hätte.<br />

Zehn Jahre waren verflossen, seit <strong>de</strong>r Russe <strong>de</strong>m<br />

Schicksal, das seinen Freund, <strong>de</strong>n Bösewicht Rokoff,<br />

ereilt, entgangen war. Nicht nur einmal, nein,<br />

unzählige Male hatte Pawlowitsch in diesen zehn<br />

Jahren das Schicksal verwünscht, das Nikolaus Rokoff<br />

<strong>de</strong>n Tod und damit die Befreiung von allen Lei<strong>de</strong>n<br />

gewährt, während es ihm die schrecklichsten<br />

Schrecken eines Lebens zumaß, das wahrlich<br />

schlimmer als <strong>de</strong>r Tod war, <strong>de</strong>n es ihm hartnäckig<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

immer und immer wie<strong>de</strong>r versagte. Pawlowitsch hatte<br />

sich in die Dschungel davongemacht, sowie er <strong>Tarzans</strong><br />

Tieren mit ihrem wil<strong>de</strong>n Herrn und Gebieter an Bord<br />

<strong>de</strong>r "Kincaid" <strong>de</strong>n letzten Streich gespielt hatte. In<br />

seiner Angst, dass Tarzan ihn doch noch verfolgen und<br />

gefangen nehmen könnte, hatte er sich in die Tiefen<br />

<strong>de</strong>r Dschungel geflüchtet und war so schließlich in die<br />

Hän<strong>de</strong> eines grausamen Kannibalenstammes gefallen,<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 5 von 271


<strong>de</strong>r Rokoffs Schandtaten noch sehr in Erinnerung<br />

hatte. Zehn Jahre lang hatte er dann die Zielscheibe<br />

aller Rachegelüste dieser Wil<strong>de</strong>n sein müssen, Weiber<br />

und Kin<strong>de</strong>r hatten ihn geschlagen und mit Steinen<br />

nach ihm geworfen, und die Männer waren nur zu oft<br />

mit Messern und Knüppeln über ihn hergefallen. Ein<br />

bösartiges Fieber nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren hatte sich ihn zu<br />

seinem Opfer auserkoren - und doch starb er nicht,<br />

auch als die Blattern ihn mit furchtbaren Krallen<br />

umklammerten.<br />

Sie hatten ihn also mit an Bord <strong>de</strong>r "Marjorie W."<br />

genommen und dort für Nahrung und gute Pflege<br />

gesorgt. Gewiss, er kräftigte sich ein wenig, aber ihm<br />

war fast nichts davon anzusehen. Als das Wrack eines<br />

Menschen, zerschlagen und halbzerborsten, hatten sie<br />

ihn gefun<strong>de</strong>n - und das Wrack eines Menschen,<br />

zerschlagen und halbzerborsten, wür<strong>de</strong> er auch<br />

bleiben, bis <strong>de</strong>r Tod ihn einmal zu sich rief. Alexei<br />

Pawlowitsch war noch in <strong>de</strong>n vierziger Jahren, und<br />

doch hätte man ihn leicht für einen Achtziger<br />

gehalten. Die unergründliche Natur hatte <strong>de</strong>m bloßen<br />

Helfershelfer schwerere Strafen auferlegt, als <strong>de</strong>r<br />

Führer und Anstifter auf sich nehmen musste .<br />

Keinerlei Rachegedanken durchwühlten das Hirn<br />

dieses Alexei Pawlowitsch mehr, aber er grollte doch<br />

<strong>de</strong>m Manne, <strong>de</strong>n er und Rokoff nicht hatten<br />

zerschmettern können. Groll empfand er auch, wenn<br />

er an Rokoff dachte, <strong>de</strong>nn Rokoff hatte ihn mit sich in<br />

dieses Schreckensreich hineingerissen, <strong>de</strong>ssen Qualen<br />

er nun bis zur Neige ausgekostet hatte. Er grollte auch<br />

<strong>de</strong>r Polizei einiger Städte, aus <strong>de</strong>nen er hatte fliehen<br />

müssen, er hasste die Gesetze, die Ordnung, er hasste<br />

alles. Den Matrosen, die ihn vor <strong>de</strong>m völligen<br />

Untergang gerettet hatten, trat er kaum näher. Zum<br />

Arbeiten war er zu schwach, er war auch viel zu<br />

griesgrämig, um ein guter Gesellschafter zu sein. Man<br />

ließ ihn bald allein; er mochte sich mit sich selbst<br />

beschäftigen.<br />

Die "Marjorie W." war seinerzeit von einer<br />

Vereinigung wohlhaben<strong>de</strong>r Fabrikanten gechartert<br />

wor<strong>de</strong>n; man hatte auf ihr ein Laboratorium<br />

eingerichtet und ihr einen Stab von Gelehrten<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 6 von 271


mitgegeben, die nach einem Rohstoff suchen sollten.<br />

<strong>de</strong>n die Unternehmer <strong>de</strong>r Expedition bisher unter<br />

ungeheurem Kostenaufwand aus Südamerika<br />

einführen mussten. Um was für einen Rohstoff es sich<br />

han<strong>de</strong>lte, war allein <strong>de</strong>n Gelehrten an Bord <strong>de</strong>r<br />

"Marjorie W." bekannt. Für uns hat dies nur insofern<br />

Be<strong>de</strong>utung, als <strong>de</strong>r weitere Verlauf <strong>de</strong>r<br />

Forschungsreise das Schiff, nach<strong>de</strong>m man Pawlowitsch<br />

an Bord genommen, nach einer Insel in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r<br />

afrikanischen Küste führte.<br />

Das Schiff lag einige Wochen unweit <strong>de</strong>s Inselufers<br />

vor Anker. Kein Wun<strong>de</strong>r, dass das ewige Einerlei für<br />

die Mannschaft mit <strong>de</strong>r Zeit recht langweilig wur<strong>de</strong>.<br />

Man ging also öfters an Land, und schließlich hatte<br />

auch Pawlowitsch das eintönige Leben an Bord<br />

gründlich satt und fragte, ob er sich <strong>de</strong>n Matrosen<br />

anschließen dürfe.<br />

Die Insel war dicht bewal<strong>de</strong>t, üppiges<br />

Dschungelgestrüpp wucherte bis zum Stran<strong>de</strong> herab.<br />

Die Gelehrten waren weit ins Innere vorgedrungen<br />

und suchten nach <strong>de</strong>n wertvollen Schätzen <strong>de</strong>r<br />

unberührten Natur, die - wie die Eingeborenen <strong>de</strong>s<br />

Festlan<strong>de</strong>s ihnen versichert hatten - dort in<br />

erstaunlicher Fülle zu fin<strong>de</strong>n sein sollten. Die<br />

Matrosen fischten, gingen auf die Jagd o<strong>de</strong>r streiften<br />

planlos in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn herum, während Pawlowitsch<br />

am Stran<strong>de</strong> auf und ab hinkte o<strong>de</strong>r im Schatten <strong>de</strong>r<br />

großen Bäume am Wal<strong>de</strong>ssaum vor sich hindämmerte.<br />

Eines Tages schlief er wie<strong>de</strong>r unter einem solchen<br />

Baumriesen. Die Matrosen stan<strong>de</strong>n in einiger<br />

Entfernung um einen Leopar<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m die Kugel eines<br />

ihrer Kamera<strong>de</strong>n im Innern <strong>de</strong>r Insel <strong>de</strong>n Garaus<br />

gemacht hatte. Mit einem Male erwachte Pawlowitsch.<br />

Es kam ihm vor, als habe sich eine Hand auf seine<br />

Schulter gelegt, er richtete sich entsetzt auf: Neben<br />

ihm hockte ein riesiger Menschenaffe und starrte ihm<br />

fest in die Augen.<br />

Der Russe war zu To<strong>de</strong> erschrocken, seine Blicke<br />

schweiften hinüber zu <strong>de</strong>n Matrosen, doch die waren<br />

einige hun<strong>de</strong>rt Meter weit weg. Wie<strong>de</strong>rum zupfte <strong>de</strong>r<br />

Affe an seiner Schulter und stieß dabei ein paar<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

klägliche Jammerlaute hervor. Pawlowitsch erkannte,<br />

dass in <strong>de</strong>m forschen<strong>de</strong>n, bitten<strong>de</strong>n Blick <strong>de</strong>s Tieres<br />

und in <strong>de</strong>ssen ganzer Haltung im Augenblick nichts<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 7 von 271


Bedrohliches lag. Als er sich dann langsam erhob,<br />

stand <strong>de</strong>r Affe neben ihm auch sofort auf. Halbgebückt<br />

wankte Pawlowitsch vorsichtig davon; er musste<br />

versuchen, mit heiler Haut zu <strong>de</strong>n Matrosen<br />

hinüberzukommen. Doch <strong>de</strong>r Affe ging ruhig mit und<br />

fasste ihn sogar an seinem Arm. So gelangten sie<br />

unbemerkt ziemlich nahe an die Matrosen heran;<br />

Pawlowitsch hatte inzwischen die Überzeugung<br />

gewonnen, dass das Tier nichts Böses im Schil<strong>de</strong><br />

führte; es schien an menschliche Gesellschaft gewöhnt<br />

zu sein. Sofort schoss ihm <strong>de</strong>r Gedanke durch <strong>de</strong>n<br />

Kopf, dass dieser Affe eigentlich einen riesigen Wert<br />

hatte. Und <strong>de</strong>n wollte er sich zunutze machen, sich<br />

ganz allein. Bevor er noch zu <strong>de</strong>n Matrosen stieß, war<br />

diese I<strong>de</strong>e bei ihm abgemachte Sache.<br />

Die Matrosen waren aufs höchste bestürzt, als sie mit<br />

einem Male das seltsame Paar aus <strong>de</strong>m Dickicht heran<br />

humpeln sahen, und sogleich reckte sich <strong>de</strong>n<br />

Ankömmlingen ein Gewehrlauf Ver<strong>de</strong>rben drohend<br />

entgegen. Doch <strong>de</strong>r Affe zeigte nicht die geringste<br />

Furcht. Er packte sofort einen Matrosen nach <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren an <strong>de</strong>n Schultern und musterte je<strong>de</strong>n lange<br />

mit einem forschen<strong>de</strong>n Blick. Dann wandte er sich<br />

wie<strong>de</strong>r zu Pawlowitsch zurück. In seinen Zügen und in<br />

seiner ganzen Haltung war bittere Enttäuschung zu<br />

lesen. Den Matrosen machte <strong>de</strong>r Affe jetzt Spaß. Sie<br />

drängten sich heran, suchten <strong>de</strong>n Russen auszufragen<br />

und musterten seinen Begleiter von allen Seiten. Der<br />

Russe sagte nur soviel, dass <strong>de</strong>r Affe ihm gehöre, Im<br />

übrigen rückte er, nicht weiter heraus, betonte aber<br />

immer wie<strong>de</strong>r: Der Affe gehört mir. Allmählich konnte<br />

man diese alberne Erklärung Pawlowitschs schon gar<br />

nicht mehr anhören. Einer <strong>de</strong>r Matrosen versuchte<br />

sich mit einer kleinen Neckerei. Er schlich um <strong>de</strong>n<br />

Affen herum und stach ihn mit einer Na<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n<br />

Rücken. Doch <strong>de</strong>r Affe stürzte sich blitzartig auf<br />

seinen Peiniger. In <strong>de</strong>m Augenblick, in <strong>de</strong>m es sich<br />

umdrehte, hatte sich das erst so harmlose friedliche<br />

Tier in eine wutschnauben<strong>de</strong> Bestie verwan<strong>de</strong>lt. Das<br />

breite Lachen, das um die Lippen <strong>de</strong>s Matrosen<br />

spielte, als er sich <strong>de</strong>n kühnen Scherz erlaubte, wich<br />

augenblicklich wil<strong>de</strong>m Entsetzen. Er suchte <strong>de</strong>n<br />

langen Armen, die sich nach ihm ausstreckten, durch<br />

einen raschen Seitensprung zu entgehen, doch<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 8 von 271


vergeblich. Und als er sein langes Messer aus <strong>de</strong>m<br />

Leibgurt zog, schlug <strong>de</strong>r Affe es ihm mit einem Ruck<br />

aus <strong>de</strong>r Faust zu Bo<strong>de</strong>n. Dann gruben sich die gelben<br />

Fangzähne <strong>de</strong>s Ungeheuers in die Schultern <strong>de</strong>s<br />

Matrosen.<br />

Mit Knütteln und Messern fielen die an<strong>de</strong>ren<br />

Matrosen über das Tier her, während Pawlowitsch um<br />

<strong>de</strong>n fluchen<strong>de</strong>n und brüllen<strong>de</strong>n Knäuel <strong>de</strong>r<br />

Kämpfen<strong>de</strong>n herumschlich und seiner Wut mit mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger lauten Bitten und Drohungen Luft<br />

machte; <strong>de</strong>nn all seine schönen Träume von<br />

Wohlstand und Reichtum sah er schon unter <strong>de</strong>n<br />

Dolchen und Knütteln <strong>de</strong>r Matrosen ins Nichts<br />

zerfließen ...<br />

Allein <strong>de</strong>r Affe war nicht gewillt, sich ohne weiteres<br />

<strong>de</strong>r übermacht zu fügen, wenn es auch schien, als<br />

müsse er unterliegen. Er riss sich jetzt von <strong>de</strong>m<br />

Matrosen los, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n gebrochen hatte, zwei<br />

an<strong>de</strong>re, die sich an seinen Rücken festgeklammert<br />

hatten, schüttelte er einfach ab und stürzte dann auf<br />

die Angreifer, dass einer nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren zu Bo<strong>de</strong>n<br />

flog. Bald sprang er hierhin, bald dorthin, er war<br />

behänd wie ein Meerkätzchen.<br />

Der Kapitän und <strong>de</strong>r Steuermann waren vom Stran<strong>de</strong><br />

aus Zeugen dieses Kampfes gewesen. und kamen jetzt<br />

mit schussbereiten Revolvern heran geeilt. Zwei<br />

Matrosen, die das Boot <strong>de</strong>r "Marjorie W." herüber<br />

geru<strong>de</strong>rt hatten, folgten ihnen auf <strong>de</strong>m Fuße.<br />

Der Affe stand jetzt ruhig da und schien zu<br />

betrachten, was er angerichtet hatte. Pawlowitsch<br />

vermochte in<strong>de</strong>ssen nicht zu erraten, was er nun tun<br />

wür<strong>de</strong>. Ob <strong>de</strong>r Affe einen neuen Angriff erwartete<br />

o<strong>de</strong>r ob er überlegte, welchen seiner Gegner er zuerst<br />

ins Jenseits beför<strong>de</strong>rn sollte? Er wußte nur soviel,<br />

dass die bei <strong>de</strong>n Offiziere mit <strong>de</strong>m Tier kurzen Prozess<br />

machen wür<strong>de</strong>n, sowie sie auf Schussweite heran<br />

waren. Irgend etwas musste also getan wer<strong>de</strong>n, und<br />

zwar schnell, wenn er das verhin<strong>de</strong>rn wollte. Keine<br />

Bewegung <strong>de</strong>s Affen <strong>de</strong>utete darauf hin, dass er auch<br />

<strong>de</strong>n Russen angreifen wür<strong>de</strong>; immerhin war<br />

Pawlowitsch nicht sicher, was passierte, sowie er sich<br />

mit diesem wil<strong>de</strong>n Tiere weiter einließe. Ob nicht<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

trotz<strong>de</strong>m die Bestie sich zu wüten<strong>de</strong>m Angriff auch<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 9 von 271


gegen ihn erhöbe, nach<strong>de</strong>m ihr eben erst frisches Blut<br />

in die Nase gestiegen war? Er zögerte einen<br />

Augenblick, doch dann schwebten vor seinen Augen<br />

wie<strong>de</strong>r die Traumbil<strong>de</strong>r von Reichtum und Überfluss,<br />

die dieser große Menschenaffe zweifellos zur<br />

Wirklichkeit machen konnte, wenn Pawlowitsch erst<br />

einmal wohlbehalten mit ihm in irgend einer<br />

Metropole <strong>de</strong>r zivilisierten Welt - vielleicht in<br />

London? - gelan<strong>de</strong>t wäre.<br />

Der Kapitän rief Pawlowitsch laut entgegen, er solle<br />

beiseite treten, damit er <strong>de</strong>n Affen nie<strong>de</strong>rschießen<br />

könne. Statt <strong>de</strong>ssen drängte sich Pawlowitsch näher an<br />

das Tier heran und, wiewohl ihm vor Angst die Haare<br />

zu Berge stan<strong>de</strong>n, bezwang er sich und stützte sich auf<br />

<strong>de</strong>s Affen Arm.<br />

Komm mit, gebot er <strong>de</strong>m Affen und suchte ihn mit<br />

Anspannung aller Kräfte aus <strong>de</strong>m Kreise <strong>de</strong>r Matrosen<br />

wegzuzerren, die mit schreckensweiten Augen<br />

dasaßen o<strong>de</strong>r auf Hän<strong>de</strong>n und Knien aus <strong>de</strong>m Bereich<br />

ihres Bezwingers davon krochen.<br />

Langsam ließ sich <strong>de</strong>r Affe beiseite führen, und es war<br />

nicht das geringste Anzeichen dafür zu ent<strong>de</strong>cken,<br />

dass er <strong>de</strong>m Russen ein Leid antun wür<strong>de</strong>. Der<br />

Kapitän war inzwischen bis auf ein paar Schritte an das<br />

seltsame Paar herangekommen und blieb stehen.<br />

Tritt beiseite, Sabrov! befahl er. Ich will die Bestie<br />

dorthin beför<strong>de</strong>rn, wo sie einem braven Seemann<br />

nichts mehr anhaben kann.<br />

Das Tier war nicht schuld an <strong>de</strong>r ganzen Sache, warf<br />

Pawlowitsch ein. Schießen Sie bitte nicht! Die Leute<br />

reizten das Tier - sie haben <strong>de</strong>n Kampf vom Zaun<br />

gebrochen. Sehen Sie nur, <strong>de</strong>r Affe ist völlig zahm,<br />

und - er ist mein, er gehört mir, ja, mir gehört dieser<br />

Affe! Ich dul<strong>de</strong> nicht, dass Sie ihn töten, schloss er,<br />

und in seinem angekränkelten Hirn tauchte wie<strong>de</strong>r die<br />

kühne I<strong>de</strong>e von vorhin auf. Er berauschte sich<br />

förmlich an <strong>de</strong>m Gedanken, dass <strong>de</strong>r Affe ihm in<br />

London Geld einbringen wür<strong>de</strong>, viel Geld, so viel, wie<br />

er nie zu besitzen gehofft hätte, wäre ihm nicht dieser<br />

wertvolle Affe vom Glück in <strong>de</strong>n Weg geschickt<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Der Kapitän ließ seine Waffe sinken. Die Matrosen<br />

haben das Tier gereizt? Stimmt das? forschte er. Wie<br />

steht es damit? wandte er sich an die Matrosen, die<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 10 von 271


sich inzwischen vom Bo<strong>de</strong>n erhoben. Sie hatten alle<br />

Lehrgeld zahlen müssen, aber am schlimmsten war <strong>de</strong>r<br />

daran, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zusammenstoß auf <strong>de</strong>m Gewissen<br />

hatte, und <strong>de</strong>m nun seine wun<strong>de</strong> Schulter eine Woche<br />

o<strong>de</strong>r länger zu schaffen machen wür<strong>de</strong>.<br />

Simpson war s, sagte einer <strong>de</strong>r Matrosen. Er stach <strong>de</strong>n<br />

Affen mit einer Na<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n Rücken, und <strong>de</strong>r Affe<br />

packte ihn. Das geschah ihm ganz recht; und dass <strong>de</strong>r<br />

Affe uns auch gehörig anfasste, kann ich ihm nicht<br />

ver<strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>nn wir sind dann alle zusammen auf ihn<br />

losgestürzt.<br />

Der Kapitän sah Simpson an, <strong>de</strong>r die Wahrheit <strong>de</strong>r<br />

Aussage bestätigen musste . Dann trat <strong>de</strong>r Kapitän auf<br />

<strong>de</strong>n Affen zu; er tat so, als wolle er sich nun auch<br />

selbst ein Bild davon machen, ob <strong>de</strong>r Affe tatsächlich<br />

gar nicht bösartig sei. Dabei hielt er <strong>de</strong>n Revolver<br />

schussbereit, um im Notfall das Tier je<strong>de</strong>n Augenblick<br />

nie<strong>de</strong>rstrecken zu können. In begütigen<strong>de</strong>m Tone<br />

sprach er auf <strong>de</strong>n Affen ein, <strong>de</strong>r jetzt neben <strong>de</strong>m<br />

Russen. hockte und zuerst die bei<strong>de</strong>n neuen Matrosen<br />

betrachtete. Als <strong>de</strong>r Kapitän immer näher kam, erhob<br />

er sich halb und humpelte ihm entgegen. In seinen<br />

Augen lag <strong>de</strong>rselbe eigenartige forschen<strong>de</strong> Ausdruck<br />

von vorhin, als er auf die Matrosen stieß und ihnen<br />

nacheinan<strong>de</strong>r prüfend in die Augen schaute. Ganz<br />

nahe trat er an <strong>de</strong>n Offizier heran, legte eine Hand auf<br />

<strong>de</strong>ssen linke Schulter und starrte ihm lange mit<br />

suchen<strong>de</strong>m Blick in die Augen. Und wie<strong>de</strong>r huschte<br />

ein Ausdruck von Enttäuschung über sein Gesicht,<br />

und so etwas wie ein menschlicher Seufzer entrang<br />

sich seiner Brust. Dann wandte er sich von <strong>de</strong>m<br />

Kapitän ab und forschte in <strong>de</strong>rselben seltsamen Art in<br />

<strong>de</strong>n Gesichtern <strong>de</strong>s Steuermanns und <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Matrosen, die mit <strong>de</strong>n Offizieren nachgekommen<br />

waren. Je<strong>de</strong>s mal trottete er seufzend weiter und<br />

schließlich wie<strong>de</strong>r zu Pawlowitsch, neben <strong>de</strong>m er sich<br />

abermals nie<strong>de</strong>rließ. Er zeigte darauf nicht das<br />

geringste Interesse mehr an seiner Umgebung, ja, es<br />

schien, als habe er <strong>de</strong>n Kampf von vorhin bereits<br />

vergessen.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Als man an Bord <strong>de</strong>r "Marjorie W." zurückkehrte,<br />

nahm Pawlowitsch <strong>de</strong>n Affen mit; es schien auch, als<br />

sei das Tier gera<strong>de</strong>zu darauf erpicht, mitzukommen.<br />

Der Kapitän legte keine Schwierigkeiten in <strong>de</strong>n Weg;<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 11 von 271


<strong>de</strong>r große Menschenaffe wur<strong>de</strong> stillschweigend als<br />

Passagier gedul<strong>de</strong>t. An Bord prüfte er minutenlang<br />

je<strong>de</strong>s Gesicht, und je<strong>de</strong>s mal lag wie<strong>de</strong>r dieselbe<br />

Enttäuschung in seinen Zügen. Die Offiziere und<br />

Seeleute an Bord unterhielten sich über das Tier,<br />

konnten aber keine Erklärung für das seltsame<br />

Gebaren fin<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Affe je<strong>de</strong>s neue Gesicht<br />

empfing. Hätte man ihn auf <strong>de</strong>m afrikanischen<br />

Festland o<strong>de</strong>r auch irgendwo an<strong>de</strong>rs eingefangen,<br />

je<strong>de</strong>nfalls aber nicht gera<strong>de</strong> auf dieser unbekannten<br />

Insel, die seine Heimat sein musste , dann wür<strong>de</strong> man<br />

<strong>de</strong>r Überzeugung gewesen sein, dass Menschen ihn<br />

früher einmal gezähmt hatten. Diese Auffassung war<br />

aber hier unhaltbar, weil er doch von dieser völlig<br />

unbewohnten Insel stammte.<br />

Er schien übrigens beständig jeman<strong>de</strong>n zu suchen,<br />

und während <strong>de</strong>r ersten Tage nach Abfahrt von <strong>de</strong>r<br />

Insel fand man ihn oft, wie er in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Teilen <strong>de</strong>s Schiffes herumstöberte. Nach<strong>de</strong>m er aber<br />

je<strong>de</strong>s neue Gesicht an Bord gemustert und alles bis in<br />

die entlegensten Ecken <strong>de</strong>s Schiffes<br />

ausgekundschaftet hatte, verfiel er in nahezu völlige<br />

Teilnahmslosigkeit. Seine ganze Umgebung kümmerte<br />

ihn nicht mehr; nur für <strong>de</strong>n Russen behielt er einiges<br />

Interesse, so oft er ihm sein Futter brachte. Sonst<br />

schien er <strong>de</strong>n Russen auch nur zu dul<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn er<br />

legte ihm gegenüber keinerlei beson<strong>de</strong>re Zuneigung<br />

an <strong>de</strong>n Tag. Im Übrigen <strong>de</strong>utete nichts darauf hin,<br />

dass seine wil<strong>de</strong>n Instinkte, die sich damals bei <strong>de</strong>m<br />

Zusammenstoß mit <strong>de</strong>n Matrosen in seinem Zorn so<br />

schrecklich entla<strong>de</strong>n hatten, eines schönen Tages<br />

wie<strong>de</strong>r erwachen wür<strong>de</strong>n.<br />

Und so kam die "Marjorie W." schließlich nach<br />

England. Die Offiziere und Gelehrten hatten Mitleid<br />

mit <strong>de</strong>m armen halbgebrochenen Russen, <strong>de</strong>n sie in<br />

<strong>de</strong>r Wildnis aufgelesen, und entließen ihn mit einigem<br />

Geld und <strong>de</strong>n besten Wünschen für seine und <strong>de</strong>s<br />

Affen Zukunft.<br />

Im Hafen und auf <strong>de</strong>r Fahrt nach London hatte <strong>de</strong>r<br />

Russe mit Ajax seine liebe Not. Beinahe je<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Tausen<strong>de</strong>, die unterwegs in seine Reichweite kamen,<br />

suchte <strong>de</strong>r Menschenaffe eingehend zu mustern, wobei<br />

natürlich nicht wenige seiner "Opfer" zu To<strong>de</strong><br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

erschrocken waren. Als er dann offenbar merkte, dass<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 12 von 271


<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n er suchte, nicht zu fin<strong>de</strong>n war, verfiel er<br />

wie<strong>de</strong>r in eine gera<strong>de</strong>zu krankhafte<br />

Teilnahmslosigkeit, aus <strong>de</strong>r er sich nur ganz selten<br />

aufraffte, wenn jemand an ihm vorbeikam.<br />

In London ging Pawlowitsch mit seiner "Beute" sofort<br />

zu einem bekannten Tierbändiger. Der Mann war<br />

sogleich für Ajax begeistert, zumal die Verhandlungen<br />

dazu führten, dass er <strong>de</strong>n Löwenanteil an <strong>de</strong>m zu<br />

erwarten<strong>de</strong>n Gewinn <strong>de</strong>r Schaustellung zugesichert<br />

erhielt. Zunächst wollte er <strong>de</strong>n Affen dressieren und<br />

während <strong>de</strong>r hierfür nötigen Zeit auch für <strong>de</strong>n<br />

Unterhalt <strong>de</strong>s Tieres und seines Besitzers sorgen.<br />

So kam Ajax nach London, und damit hatte sich das<br />

Glied einer Kette eigenartiger Zufälle geschlossen,<br />

die für das Leben vieler Menschen von<br />

einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sein sollten.<br />

Der dressierte Affe<br />

Mister Harold Moore war ein gebil<strong>de</strong>ter junger Herr,<br />

sehr fleißig, aber auch schon ein wenig griesgrämig,<br />

er nahm sich selbst sehr ernst, nicht min<strong>de</strong>r sein<br />

ganzes Leben und seinen Beruf. Er war als Hauslehrer<br />

zur Erziehung <strong>de</strong>s jungen <strong>Sohn</strong>es eines britischen<br />

Lords engagiert wor<strong>de</strong>n, und da er bald zu <strong>de</strong>r<br />

Überzeugung gekommen war, dass sein Zögling nicht<br />

die Fortschritte machte, die <strong>de</strong>ssen Eltern mit Recht<br />

erwarten musste n, trug er eines Tages <strong>de</strong>r Mutter <strong>de</strong>s<br />

Jungen gewissenhaft seine Be<strong>de</strong>nken vor.<br />

Ich kann nicht behaupten, dass <strong>de</strong>r Junge nicht<br />

geweckt und klug ist, meinte Mr. Moore. Wäre dies<br />

<strong>de</strong>r Fall, könnte ich bestimmt auf Erfolge hoffen, <strong>de</strong>nn<br />

ich wür<strong>de</strong> alle meine Kräfte dafür einsetzen, um diese<br />

Schwächen auszugleichen o<strong>de</strong>r ganz zu beheben. Die<br />

Hauptschwierigkeit liegt vielmehr darin, dass <strong>de</strong>r<br />

Junge übermäßig geweckt und begabt ist. Er lernt so<br />

rasch, dass ich nicht das geringste an <strong>de</strong>m auszusetzen<br />

habe, was er für die Stun<strong>de</strong>n vorbereitet. Es<br />

bekümmert mich jedoch, dass er offenbar nicht ein<br />

Fünkchen innerer Anteilnahme für das aufbringt, was<br />

wir jeweils zusammen durcharbeiten. Er sitzt<br />

gewissermaßen nur je<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong> ab wie etwas, was man<br />

sich möglichst schnell vom Halse schaffen will, und ich<br />

bin sicher, dass kein Unterrichtsthema ihm eine<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 13 von 271


Minute eher wie<strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Kopf geht, als bis die<br />

Stun<strong>de</strong>n unseres gemeinsamen Studiums und Vortrags<br />

wie<strong>de</strong>r herangekommen sind. Das einzige, was ihn<br />

wirklich interessiert, scheinen Stoffe zu sein, die von<br />

Hel<strong>de</strong>ntaten und Beweisen körperlicher Tüchtigkeit<br />

berichten. Er ließt alles, was er an Büchern über wil<strong>de</strong><br />

Tiere sowie über Leben und Gebräuche unzivilisierter<br />

Völker in die Hän<strong>de</strong> bekommen kann. Den<br />

Tiergeschichten gibt er dabei <strong>de</strong>n Vorrang. Er will,<br />

dass wir stun<strong>de</strong>nlang zusammen in <strong>de</strong>n Werken<br />

einiger Afrikaforscher herumstöbern, und überdies<br />

habe ich ihn zweimal dabei ertappt, wie er nachts im<br />

Bette sitzend Carl Hagenbecks Buch "Von Tieren und<br />

Menschen" las. Die Mutter setzte ihren Fuß nervös<br />

auf <strong>de</strong>n Kaminteppich.<br />

Sie haben ihm das natürlich verboten? unterbrach sie<br />

ihn.<br />

Mr. Moore wur<strong>de</strong> etwas verlegen.<br />

Ich - - ja - - ich versuchte ihm das Buch wegzunehmen,<br />

erwi<strong>de</strong>rte er - und eine leichte Röte verfärbte sein<br />

sonst bleiches Gesicht. Aber . . . nun . . . Ihr <strong>Sohn</strong> ist<br />

doch schon recht kräftig für sein Alter ... Er wollte<br />

sich das Buch nicht wegnehmen lassen? forschte die<br />

Mutter weiter.<br />

Ja, er wollte es nicht, gestand <strong>de</strong>r Hauslehrer. Er war<br />

erst im Grun<strong>de</strong> durchaus gutmütig, erklärte jedoch<br />

hartnäckig, dass er ein Gorilla sei und ich ein<br />

Schimpanse, <strong>de</strong>r ihm seine Nahrung rauben wolle.<br />

Dann sprang er mit wil<strong>de</strong>m Knurren, wie ich es noch<br />

nie gehört, auf mich zu, hob mich bis über seinen<br />

Kopf hoch und schleu<strong>de</strong>rte mich auf sein Bett. Mit<br />

allerhand Grimassen und Bewegungen wollte er dann<br />

wohl ausdrücken, dass er mich eigentlich zu To<strong>de</strong><br />

würgen müsste. Schließlich stellte er sich auf meinen<br />

ausgestreckt daliegen<strong>de</strong>n Körper und stieß einen<br />

furchtbaren Schrei aus. Das sollte, wie er erklärte, <strong>de</strong>r<br />

Siegesruf <strong>de</strong>r Menschenaffen sein. Darauf trug er mich<br />

an die Tür, schob mich hinaus in <strong>de</strong>n Vorraum und<br />

sperrte sein Zimmer von innen zu . . .<br />

Einige Minuten waren bei<strong>de</strong> sprachlos. Die Mutter <strong>de</strong>s<br />

Jungen brach schließlich das Schweigen.<br />

Es ist hochnötig, Mr. Moore, sagte sie, dass Sie alles,<br />

was in Ihrer Macht steht, daransetzen, Jack aus dieser<br />

Bahn herauszubringen; er ...<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 14 von 271


Sie kam nicht weiter. Lautes Geschrei drang zum<br />

Fenster herein. Sie sprangen bei<strong>de</strong> auf. Das Zimmer<br />

lag im zweiten Stock <strong>de</strong>s Hauses, und <strong>de</strong>m Fenster<br />

gegenüber stand ein großer Baum, <strong>de</strong>r einen Ast bis<br />

auf etwa einen Meter an <strong>de</strong>n Fenstersims heran<br />

streckte. Eben auf diesem Ast ent<strong>de</strong>ckten bei<strong>de</strong> jetzt<br />

<strong>de</strong>n Gegenstand ihrer ernsten Unterhaltung. Der<br />

große, kräftig gebaute Junge hielt sich auf <strong>de</strong>m<br />

schwanken<strong>de</strong>n, gekrümmten Ast mit Leichtigkeit im<br />

Gleichgewicht und brach, als er die entsetzten<br />

Gesichter <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n gewahrte, in laute Freu<strong>de</strong>nrufe<br />

aus.<br />

Die Mutter und <strong>de</strong>r Hauslehrer stürzten bei<strong>de</strong> nach<br />

<strong>de</strong>m Fenster zu, doch noch ehe sie halb dort waren,<br />

war <strong>de</strong>r Junge behänd auf <strong>de</strong>n Sims<br />

herübergesprungen und im Zimmer.<br />

Der wil<strong>de</strong> Mann aus Borneo, trällerte er vor sich hin<br />

und führte dabei eine Art Kriegstanz um seine<br />

entsetzte Mutter und <strong>de</strong>n sichtlich verstimmten<br />

Hauslehrer auf. Dann schlang er seine Arme um <strong>de</strong>n<br />

Hals seiner Mutter und küsste sie auf die Wangen.<br />

o Mutter, rief er, in einer Musikhalle wird ein<br />

wun<strong>de</strong>rvoller dressierter Affe vorgeführt. Willy<br />

Grimsbay sah ihn gestern Abend. Er sagte, das Tier<br />

könne einfach alles, nur nicht richtig sprechen. Der<br />

Affe fährt Rad, isst mit Messer und Gabel, zählt bis<br />

zehn und kann noch viele an<strong>de</strong>re schöne<br />

Kunststückchen. Darf ich auch hin und ihn ansehen? 0<br />

bitte, Mutter - lass mich hin! Die Mutter strich ihrem<br />

Jungen freundlich über die Wangen, schüttelte jedoch<br />

ablehnend <strong>de</strong>n Kopf. Nein, Jack, entgegnete sie<br />

bestimmt. Du weißt, ich bin nicht für solche Sachen.<br />

Mutter, ich sehe aber nicht ein, warum, unterbrach sie<br />

<strong>de</strong>r Junge. Alle meine Altersgenossen gehen hin, sie<br />

gehen auch nach <strong>de</strong>m Zoo, und du lässt mich nie mit.<br />

Je<strong>de</strong>r meint, ich bin ein Mä<strong>de</strong>l, o<strong>de</strong>r ... o<strong>de</strong>r ... ein<br />

Muttersöhnchen. Vater, du ... , rief er <strong>de</strong>m stattlichen<br />

Herrn mit <strong>de</strong>n grauen Augen entgegen, <strong>de</strong>r eben zur<br />

Tür hereintrat. Vater, darf ich hingehen? Wohin <strong>de</strong>nn,<br />

mein Junge? fragte dieser.<br />

Er will durchaus in eine Musikhalle und sich dort<br />

einen dressierten Affen ansehen, warf die Mutter <strong>de</strong>s<br />

Jungen ein und gab dabei ihrem Gatten mit einem<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 15 von 271


Blick zu verstehen, dass die Erlaubnis versagt wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Was für ein Affe? Ajax etwa? forschte <strong>de</strong>r Herr<br />

weiter. Jack nickte.<br />

Gut, ich habe nichts daran auszusetzen, mein <strong>Sohn</strong>;<br />

habe nicht übel Lust, mir die Sache selbst anzusehen.<br />

Man sagt allgemein, <strong>de</strong>r Affe sei ein Prachtexemplar<br />

und für einen Menschenaffen außergewöhnlich groß.<br />

Wir wollen alle zusammen gehen. Meinst du nicht<br />

auch, Jane?<br />

Er richtete diese Frage an seine Frau, die aber <strong>de</strong>n<br />

Kopf schüttelte. Sie lehnte also glatt ab. Darauf fragte<br />

er Mr. Moore, ob er und Jack jetzt nicht bei <strong>de</strong>n<br />

Vormittagsstudien zu sein hätten. Die bei <strong>de</strong>n gingen.<br />

Die Lady wandte sich sofort an ihren Gatten.<br />

John, begann sie, es muss etwas getan wer<strong>de</strong>n, um<br />

Jacks Neigung für alles, was mit <strong>de</strong>r Wildnis<br />

zusammenhängt, einzudämmen. Ich fürchte übrigens,<br />

er hat das von dir geerbt. Du weißt ja aus eigener<br />

Erfahrung, wie stark sich bisweilen die Sehnsucht<br />

nach <strong>de</strong>r Urgewalt <strong>de</strong>s Dschungellebens bei dir<br />

geltend macht. Du weißt, wie es dich oft einen harten<br />

Kampf kostet, <strong>de</strong>m fast wahnsinnig heftigen Verlangen<br />

zu wi<strong>de</strong>rstehen, wenn es dich peinigt, und du dich<br />

wie<strong>de</strong>r in das Land <strong>de</strong>r Gefahren stürzen möchtest, das<br />

dich so viele, viele Jahre an sich kettete. Und du weißt<br />

auch - besser als irgend jemand an<strong>de</strong>res - wie<br />

furchtbar es für Ja<strong>de</strong> wäre, sollte ihn eines Tages die<br />

Dschungel ernstlich locken, o<strong>de</strong>r ihm <strong>de</strong>r Weg dahin<br />

gar irgendwie geebnet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Ich bezweifle, ob überhaupt zu befürchten ist, dass<br />

<strong>de</strong>r<br />

Junge eine beson<strong>de</strong>re Sehnsucht nach <strong>de</strong>m<br />

Dschungelleben von mir geerbt haben könnte,<br />

erwi<strong>de</strong>rte Lord Greystoke. Ich kann mir gar nicht<br />

vorstellen, dass <strong>de</strong>rlei Beson<strong>de</strong>rheiten vom Vater auf<br />

<strong>de</strong>n <strong>Sohn</strong> übergehen. Bisweilen will es mir aber<br />

scheinen, liebe Jane, dass du in <strong>de</strong>iner Sorge um Jacks<br />

Zukunft etwas zu weit gehst, wenn du ihn von <strong>de</strong>m und<br />

jenem fern hältst. Seine Liebe zu Tieren - zum<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Beispiel <strong>de</strong>r jetzige Wunsch, diesen dressierten Affen<br />

zu sehen - ist bei einem gesun<strong>de</strong>n, normalen Jungen<br />

seines Alters etwas ganz Natürliches. Wenn er Ajax<br />

sehen will, so sagt das doch noch lange nicht, dass er<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 16 von 271


einen Affen heiraten will, und, selbst wenn er das<br />

wollte, liebe Jane, wür<strong>de</strong>st du nicht das Recht haben,<br />

ihm zu sagen: Schäme dich doch! John Clayton, <strong>de</strong>r<br />

Lord Greystoke, schlang einen Arm um seine Gattin.<br />

Sie blickte zu ihm auf; ein gütiges Lächeln breitete<br />

sich über sein Gesicht, er neigte sein Haupt zu ihr<br />

nie<strong>de</strong>r und küsste sie.<br />

Dann fuhr er mit ernsterer Betonung fort: Du hast<br />

Jack nie etwas von meinem früheren Leben erzählt und<br />

hast es auch mir nicht gestattet. Ich glaube, du hast<br />

damit einen Fehler gemacht. Hätte ich ihm von <strong>de</strong>n<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>s Affen-Tarzan berichten können, ich<br />

wür<strong>de</strong> ihm zweifellos viel von <strong>de</strong>r zauberhaften<br />

Romantik genommen haben, in <strong>de</strong>r das<br />

Dschungelleben sich in <strong>de</strong>n Köpfen <strong>de</strong>rer malt, die<br />

nicht selber alles durchgemacht haben. Meine<br />

Erfahrung wür<strong>de</strong> ihm zugute gekommen sein, aber so?<br />

Wenn ihn jetzt eines schönen Tages die Dschungel<br />

gera<strong>de</strong>zu unwi<strong>de</strong>rstehlich locken sollte, wird er sich<br />

nur von seinen Impulsen leiten lassen, und ich weiß,<br />

wie mächtig die uns zuzeiten gera<strong>de</strong> in die falsche<br />

Bahn abdrängen können. Allein Lady Greystoke<br />

schüttelte nur wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf, wie sie es hun<strong>de</strong>rt und<br />

mehr Male getan, so oft man auf die Vergangenheit zu<br />

sprechen gekommen war. Nein, John! Sie blieb bei<br />

ihrer Ansicht. Ich wer<strong>de</strong> niemals meine Zustimmung<br />

dazu geben, dass Jack genaueren Einblick in das<br />

Leben <strong>de</strong>r Wildnis erhält, vor <strong>de</strong>m wir ihn bei<strong>de</strong><br />

bewahren wollen. Ich möchte nicht, dass ihm dies<br />

gewissermaßen eingeimpft wird.<br />

Am Abend tauchte das Thema von neuem auf, und<br />

zwar wur<strong>de</strong> es von Jack selbst angeschnitten. Er hatte<br />

sich bequem in einem großen Lehnstuhl eingekuschelt<br />

und las. Plötzlich blickte er auf und wandte sich an<br />

seinen Vater.<br />

Weshalb, fragte er und ging damit gera<strong>de</strong> auf das Ziel<br />

los, darf ich mir Ajax nicht ansehen?<br />

Deine Mutter billigt das nicht, erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Vater.<br />

Und du?<br />

Darum han<strong>de</strong>lt es sich jetzt nicht, wich Lord<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Greystoke geschickt aus. Es genügt, dass <strong>de</strong>ine Mutter<br />

dagegen ist. Ich wer<strong>de</strong> doch hingehen, kündigte Jack<br />

an, nach<strong>de</strong>m er ein paar Sekun<strong>de</strong>n schweigend und in<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 17 von 271


Gedanken versunken gewartet hatte. Ich bin nichts<br />

an<strong>de</strong>res als Willy Grimsby o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>iner meiner<br />

Kamera<strong>de</strong>n, die Ajax gesehen haben. Das hat ihnen<br />

nichts gescha<strong>de</strong>t und mir wird es auch nichts scha<strong>de</strong>n.<br />

Ich hätte ja auch gehen können, ohne dir etwas davon<br />

zu sagen, doch das wollte ich nicht. Ich sage es dir<br />

also jetzt vorher, dass ich mir <strong>de</strong>n Ajax ansehen wer<strong>de</strong>.<br />

Im Ton und in <strong>de</strong>r ganzen Art, wie Jack seinen<br />

Entschluss vorbrachte, lag nichts Unehrerbietiges<br />

o<strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s. Lei<strong>de</strong>nschaftslos klang alles,<br />

wie eine rein sachliche Feststellung. Sein Vater<br />

vermochte kaum ein leichtes Lächeln und eine gewisse<br />

Hochachtung vor <strong>de</strong>r mannhaften Art seines <strong>Sohn</strong>es zu<br />

unterdrücken.<br />

Ich freue mich über <strong>de</strong>ine Aufrichtigkeit, sagte er. Ich<br />

wer<strong>de</strong> nun ebenso offen sein. Wenn du ohne unsere<br />

Zustimmung fortgehst und dir <strong>de</strong>n Ajax ansiehst,<br />

wer<strong>de</strong> ich dich bestrafen. Ich habe dich nie schlagen<br />

müssen, aber ich warne dich. Wenn du dich <strong>de</strong>n<br />

Wünschen <strong>de</strong>iner Mutter nicht fügst, wer<strong>de</strong> ich es tun.<br />

Gut, Vater! Ich wer<strong>de</strong> es dir sagen, wenn ich Ajax<br />

gesehen habe.<br />

Mr. Moores Zimmer lag neben <strong>de</strong>m seines jungen<br />

Zöglings, und <strong>de</strong>r Lehrer war gewöhnt, allabendlich<br />

noch einmal einen Blick in das Zimmer <strong>de</strong>s Jungen zu<br />

werfen, ehe er sich zurückzog. Heute Abend nahm er<br />

es mit dieser seiner Aufgabe beson<strong>de</strong>rs genau. Er war<br />

gera<strong>de</strong> von einer Besprechung mit <strong>de</strong>n Eltern Jacks<br />

zurück, in <strong>de</strong>r man ihm die größte Achtsamkeit<br />

dringend ans Herz gelegt hatte; er sollte auf alle Fälle<br />

verhin<strong>de</strong>rn, dass Jack die Musikhalle besuchte, in <strong>de</strong>r<br />

man Ajax vorführte. Als er so gegen halb neun Uhr<br />

abends die Tür zu Jacks Zimmer öffnete, war er zwar<br />

nicht gera<strong>de</strong> völlig überrascht, aber doch sofort aufs<br />

höchste aufgebracht. Er fand <strong>de</strong>n künftigen Lord<br />

Greystoke fertig zum Ausgehen angeklei<strong>de</strong>t und<br />

musste sehen, wie er gera<strong>de</strong> dabei war, zum offenen<br />

Schlafzimmerfenster hinauszuklettern.<br />

Mr. Moore sprang rasch hinzu, doch hätte er sich<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

diese unnütze Kraftvergeudung schenken können. Als<br />

Jack hörte, dass <strong>de</strong>r Lehrer ins Zimmer trat und ihn<br />

ertappt hatte, kehrte er um. Es schien, als ob er das<br />

geplante Abenteuer aufgeben wollte. Wohin wolltest<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 18 von 271


du eben? forschte Mr. Moore, außer sich vor<br />

Aufregung.<br />

Ich will mir <strong>de</strong>n Ajax ansehen, erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Knabe<br />

ruhig, als ob nichts vorgefallen wäre.<br />

Ich fin<strong>de</strong> keine Worte, schrie Mr. Moore. Doch im<br />

nächsten Augenblick sollte er sich noch ganz an<strong>de</strong>rs<br />

wun<strong>de</strong>rn: Der Junge trat dicht an ihn heran, packte<br />

ihn an <strong>de</strong>n Hüften, hob ihn hoch und schleu<strong>de</strong>rte ihn<br />

mit <strong>de</strong>m Gesicht nach unten auf das Bett nie<strong>de</strong>r. Dann<br />

presste er das Gesicht seines Opfers tief in das weiche<br />

Kissen.<br />

Ruhig! gebot <strong>de</strong>r Sieger mit warnen<strong>de</strong>r Stimme. O<strong>de</strong>r<br />

ich wer<strong>de</strong> Sie einfach erwürgen.<br />

Mr. Moore wehrte sich mit Hän<strong>de</strong>n und Füßen, doch<br />

vergeblich. Mochte <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong> <strong>de</strong>s Affen-Tarzan nun<br />

nach seinem Vater geraten sein o<strong>de</strong>r nicht, auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall hatte er aber von ihm eine gera<strong>de</strong>zu unglaubliche<br />

Körperkraft ererbt, wie sie sein Vater im gleichen<br />

Alter ebenfalls besessen. Der Lehrer war in <strong>de</strong>r Hand<br />

<strong>de</strong>s Jungen gleichsam Teig, <strong>de</strong>n er kneten konnte, wie<br />

er wollte. Jack kniete jetzt auf ihm, riss schmale<br />

Streifen aus <strong>de</strong>m Leinentuch <strong>de</strong>s Bettes und band<br />

damit seinem Opfer die Hän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Rücken<br />

zusammen. Dann wälzte er ihn herum und stopfte ihm<br />

einen Leinenknebel zwischen die Zähne, <strong>de</strong>n er auch<br />

noch durch einen Streifen um <strong>de</strong>n Mund und<br />

Hinterkopf sicherte. Dabei sprach er mit leiser<br />

Stimme, wie wenn er eine harmlose Geschichte zu<br />

erzählen hätte, vor sich hin. Ich bin Waja, <strong>de</strong>r<br />

Häuptling <strong>de</strong>r Waji, erklärte er, und du bist<br />

Mohammed Dubn, <strong>de</strong>r Araberscheich, <strong>de</strong>r meine<br />

Leute mor<strong>de</strong>n und mein Elfenbein rauben wollte.<br />

Er hob behän<strong>de</strong> Mr. Moores gefesselte Füße hoch<br />

zurück, um sie mit <strong>de</strong>n gefesselten Handgelenken zu<br />

verbin<strong>de</strong>n.<br />

So Schurke! Jetzt habe ich dich endlich doch in<br />

meiner Gewalt. Ich gehe; aber ich wer<strong>de</strong><br />

zurückkommen.<br />

Und <strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong> sprang durch das Zimmer,<br />

schlüpfte zum Fenster hinaus und glitt an <strong>de</strong>n<br />

Dachrinnen in die Freiheit hinab.<br />

Mr. Moore bewegte sich unter großen Anstrengungen<br />

auf <strong>de</strong>m Bett hin und her, um seine Lage zu<br />

verbessern; <strong>de</strong>nn er befürchtete, dass er ersticken<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 19 von 271


müsste, wenn nicht rasche Hilfe käme. In seiner<br />

Verzweiflung wälzte er sich vom Bett herunter, und<br />

Erschütterung und Schmerzen dieses Sturzes brachten<br />

ihn wenigstens dahin, dass er seine Lage nüchterner<br />

betrachtete. War er vorher ganz im Banne einer<br />

gera<strong>de</strong>zu wahnsinnigen Furcht und absolut unfähig,<br />

klar nachzu<strong>de</strong>nken, so blieb er jetzt erst einmal ganz<br />

ruhig liegen und überlegte, wie er am leichtesten aus<br />

dieser Klemme herauskäme. Schließlich fiel ihm ein,<br />

dass sich das Zimmer, in <strong>de</strong>m er vorhin mit Lord und<br />

Lady Greystoke zusammengesessen hatte, gera<strong>de</strong><br />

unter Jacks Schlafzimmer befand, auf <strong>de</strong>ssen Diele er<br />

jetzt lag. Er wußte, dass immerhin einige Zeit<br />

verstrichen war, seit er sich nach oben<br />

zurückgezogen. Die bei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n inzwischen auch<br />

gegangen sein; <strong>de</strong>nn es kam ihm wie eine Ewigkeit<br />

vor, seit er auf <strong>de</strong>m Bette gelegen und sich dort wie<br />

ein Verzweifelter zu befreien gesucht hatte, Das<br />

Allerbeste, was sich tun ließ, war, dass er zusah, ob er<br />

nicht irgend jeman<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m unteren Stock auf sich<br />

aufmerksam machen konnte. Nach zahlreichen<br />

vergeblichen Versuchen hatte er sich endlich soweit<br />

gebracht und gewen<strong>de</strong>t, dass es ihm gelang, mit <strong>de</strong>r<br />

Fußspitze auf die Diele zu pochen. Er wie<strong>de</strong>rholte das<br />

Pochen in kurzen Abstän<strong>de</strong>n mit großer Ausdauer,<br />

Endlos lang kam ihm die Zeit vor, aber schließlich<br />

schien die Belohnung nahe. Tritte nahten von unten,<br />

es stieg jemand die Treppe nach oben und klopfte an<br />

die Türe. Mr. Moore pochte nur wie<strong>de</strong>r kräftig mit<br />

<strong>de</strong>m Fuß auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn er konnte ja nicht<br />

an<strong>de</strong>rs antworten. Einen Augenblick war es draußen<br />

still, dann wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r geklopft und Mr. Moore stieß<br />

wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Fuß auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n. Warum man nur<br />

nicht einfach die Tür öffnete! Mühsam wälzte er sich<br />

in <strong>de</strong>r Richtung weiter, aus <strong>de</strong>r die Hilfe winkte.<br />

Wenn er sich jetzt mit <strong>de</strong>m Rücken gegen die Tür<br />

lehnte, wür<strong>de</strong> er an die Türfläche pochen können und<br />

dann müsste er doch sicher gehört wer<strong>de</strong>n. Man<br />

klopfte draußen etwas stärker, und schließlich rief<br />

jemand: Mr. Jack! Es war einer <strong>de</strong>r Hausangestellten,<br />

Mr. Moore erkannte ihn an <strong>de</strong>r Stimme. Die A<strong>de</strong>rn<br />

drohten <strong>de</strong>m Lehrer zu zerspringen, als er jetzt durch<br />

<strong>de</strong>n fest in <strong>de</strong>n Mund gepressten Knebel hindurch<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

"Her, ein" zu schreien versuchte. Wie<strong>de</strong>r vergingen<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 20 von 271


ein paar Minuten, dann klopfte <strong>de</strong>r Mann draußen<br />

ganz laut und rief <strong>de</strong>n Jungen beim Namen. Als er<br />

erneut keine Antwort bekam, drückte er die Türklinke<br />

nie<strong>de</strong>r ... Schlagartig durchschoss Mr. Moore <strong>de</strong>r<br />

entsetzliche Gedanke, dass er ja selbst die Tür hinter<br />

sich verriegelt hatte, als er in Jacks Zimmer<br />

eingetreten war.<br />

Er hörte noch, wie <strong>de</strong>r Diener mehrmals klinkte und<br />

schließlich fortging, dann fiel Mr. Moore in tiefe<br />

Ohnmacht.<br />

Inzwischen genoss Jack in vollen Zügen das<br />

erschlichene Glück, nun doch in <strong>de</strong>r Musikhalle sein<br />

zu können. Er war noch rechtzeitig in das<br />

Vergnügungslokal gekommen; die Vorführung mit<br />

Ajax begann erst.<br />

Jack nahm einen Logenplatz und lehnte sich in<br />

atemloser Spannung über das Gelän<strong>de</strong>r. Seine Augen<br />

waren weit geöffnet und verfolgten staunend je<strong>de</strong><br />

Bewegung <strong>de</strong>s großen Affen. Der Dompteur bemerkte<br />

bald <strong>de</strong>n Jungen mit <strong>de</strong>m hübschen Gesicht, <strong>de</strong>r so<br />

ganz Feuer und Flamme für <strong>de</strong>n Affen zu sein schien.<br />

Nun gehörte es zu <strong>de</strong>n Glanzleistungen <strong>de</strong>s Affen,<br />

dass er gewöhnlich während <strong>de</strong>r Vorstellung eine o<strong>de</strong>r<br />

mehrere Logen betrat und dort offenbar nach einem<br />

lange vermissten Bekannten suchte, wie <strong>de</strong>r Dompteur<br />

je<strong>de</strong>s mal erklärend vorausschickte. Der Mann nahm<br />

sich diesmal fest vor, <strong>de</strong>n Affen in die Loge mit <strong>de</strong>m<br />

hübschen Jungen zu schicken, <strong>de</strong>r zweifellos zu To<strong>de</strong><br />

erschrecken wür<strong>de</strong>, wenn <strong>de</strong>r zottige, wuchtige<br />

Affenkoloss so nahe an ihn heranrückte.<br />

Als dann schließlich <strong>de</strong>r Affe die Schwingschaukel<br />

verließ, und Beifallsstürme eine Wie<strong>de</strong>rholung o<strong>de</strong>r<br />

Zuggabe heischten, lenkte <strong>de</strong>r Dompteur die<br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>s Affen auf <strong>de</strong>n Jungen, <strong>de</strong>r zufällig<br />

als einziger in seiner Loge saß. Mit einem Satz sprang<br />

<strong>de</strong>r große Menschenaffe von <strong>de</strong>r Bühne zu <strong>de</strong>m<br />

Jungen. Doch wenn <strong>de</strong>r Dompteur sich auf eine<br />

komische Szene gespitzt hatte, die durch die<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

To<strong>de</strong>sangst <strong>de</strong>s Knaben beson<strong>de</strong>rs gewürzt wer<strong>de</strong>n<br />

sollte, hatte er sich gewaltig geirrt. Ein Lächeln hellte<br />

die Züge <strong>de</strong>s Jungen auf, als er seine Hand auf <strong>de</strong>n<br />

zottigen Arm seines Besuchers legen konnte; <strong>de</strong>r Affe<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 21 von 271


fasste sein Gegenüber bei bei<strong>de</strong>n Schultern und<br />

forschte mit ernsten, fast durchbohren<strong>de</strong>m Blick lange<br />

in <strong>de</strong>ssen Gesicht, während <strong>de</strong>r Junge <strong>de</strong>n Kopf<br />

streichelte und mit leiser Stimme auf ihn einre<strong>de</strong>te.<br />

Niemals hatte Ajax jeman<strong>de</strong>n so lange gemustert wie<br />

jetzt. Er schien zwar ein wenig unruhig, aber nicht im<br />

geringsten gereizt, murmelte <strong>de</strong>m Jungen irgend etwas<br />

Unverständliches zu und liebkoste ihn dann, wie <strong>de</strong>r<br />

Dompteur es nie bei Ajax mit einem an<strong>de</strong>ren Wesen<br />

erlebt hatte. Schließlich kletterte <strong>de</strong>r Affe in die Loge<br />

hinein und schmiegte sich dort dicht an <strong>de</strong>n Jungen.<br />

Das Publikum war begeistert, und <strong>de</strong>r Jubel wuchs erst<br />

echt als <strong>de</strong>r Dompteur, da die für die Vorführung es<br />

Ajax bestimmte Zeit verstrichen war, <strong>de</strong>n Affen aus<br />

<strong>de</strong>r Loge herauslocken wollte, und das Tier darauf<br />

einfach nicht reagierte.<br />

Der Direktor, wütend ob dieser Störung seines<br />

Programms, ließ <strong>de</strong>m Dompteur sagen, er solle sich<br />

mehr beeilen. Doch als dieser nun die Loge betrat, um<br />

<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rspenstigen Ajax herauszuzerren, wur<strong>de</strong> er<br />

mit weit geöffnetem Rachen und drohen<strong>de</strong>m Geknurr<br />

empfangen.<br />

Das Publikum raste vor Entzücken. Der Affe wur<strong>de</strong><br />

mit Beifallsstürmen überschüttet, man jubelte <strong>de</strong>m<br />

Jungen zu und ließ spott und Hohn auf <strong>de</strong>n Dompteur<br />

und <strong>de</strong>n Direktor nie<strong>de</strong>rprasseln, <strong>de</strong>r<br />

unglücklicherweise auch noch vor das erregte<br />

Publikum getreten war, um <strong>de</strong>m Tierbändiger<br />

beizustehen.<br />

Schließlich wußte <strong>de</strong>r Dompteur vor Verzweiflung<br />

keinen an<strong>de</strong>ren Ausweg, als sich die Peitsche aus<br />

seiner Gar<strong>de</strong>robe zu holen; <strong>de</strong>nn so viel war ihm klar,<br />

dass diese offensichtliche Wi<strong>de</strong>rspenstigkeit das<br />

wertvolle Tier für künftige Schaustellungen<br />

unmöglich machte, wenn er sich nicht auf <strong>de</strong>r Stelle<br />

Gehorsam erzwang. Er kehrte also mit <strong>de</strong>r Peitsche in<br />

die Loge zurück, doch, als er Ajax damit nur einmal<br />

drohte, musste er sich im selben Augenblick auch<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

schon z w e i wüten<strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n gegenübersehen: Der<br />

Junge war aufgesprungen, hatte einen Stuhl gepackt<br />

und stand kampfeslustig neben <strong>de</strong>m Affen - bereit,<br />

seinen Freund zu verteidigen. Kein Lächeln spielte<br />

mehr auf seinem schönen Antlitz, in seinen grauen<br />

Augen flackerte ein unbestimmtes Etwas und machte<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 22 von 271


<strong>de</strong>n Dompteur unsicher. Neben ihm stand <strong>de</strong>r riesige<br />

Menschenaffe, brummend und nicht min<strong>de</strong>r.<br />

kampfbereit. Was bei <strong>de</strong>m geringsten Anzeichen eines<br />

offensichtlichen Angriffs geschehen musste , mag sich<br />

je<strong>de</strong>r selbst ausmalen. Dass <strong>de</strong>r Dompteur auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall gehörig durchgebläut wor<strong>de</strong>n wäre, wenn es damit<br />

überhaupt abging, war bei <strong>de</strong>r Haltung seiner bei<strong>de</strong>n<br />

Gegner mehr als klar.<br />

Der Diener war leichenblass, als er in das<br />

Greystoksche Bibliothekzimmer hineinstürzte und<br />

mel<strong>de</strong>te, dass er die Tür zu Jacks Zimmer verschlossen<br />

gefun<strong>de</strong>n habe. Mit zittern<strong>de</strong>r Stimme berichtete er<br />

weiter, er habe auf sein wie<strong>de</strong>rholtes Anklopfen und<br />

Rufen keine Antwort bekommen. Es sei nur ein ganz<br />

eigenartiges Poltern vom Zimmer her zu vernehmen<br />

gewesen, und dann habe es so geklungen, als bewege<br />

sich ein Körper unten auf <strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n.<br />

Lord Greystoke nahm vier Stufen auf einmal, als er die<br />

Treppe zum oberen Korridor hinauf stürmte. Die Lady<br />

und <strong>de</strong>r Diener folgten in größter Eile. Der Lord rief<br />

seinen <strong>Sohn</strong> einmal laut bei seinem Namen, und, als<br />

keine Antwort kam, warf er sich mit <strong>de</strong>r ganzen Wucht<br />

seines Körpers und unter Einsatz aller seiner<br />

Muskeln, die nicht das geringste von ihrer alten Kraft<br />

eingebüßt hatten, gegen die schwere Tür. Krachend<br />

barsten die Eisenteile, das Holz splitterte in großen<br />

Fetzen auseinan<strong>de</strong>r, und das "Hin<strong>de</strong>rnis" flog nach<br />

innen und <strong>de</strong>ckte dumpf dröhnend Mr. Moore, <strong>de</strong>r<br />

noch immer bewusstlos dicht hinter <strong>de</strong>r Tür lag.<br />

Tarzan sprang hinein, und im nächsten Augenblick<br />

flutete da$ grelle Licht von einem halben Dutzend<br />

elektrischer Lampen durch das Zimmer.<br />

Es dauerte immerhin einige Minuten, bis man <strong>de</strong>n<br />

Lehrer ent<strong>de</strong>ckt hatte, da er unter <strong>de</strong>n Trümmern <strong>de</strong>r<br />

Tür nahezu völlig verschüttet lag. Man zog ihn hervor,<br />

befreite ihn aus seinen Leinenfesseln und entfernte<br />

<strong>de</strong>n Knebel aus <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong>. Durch reichliche<br />

Kaltwasserumschläge wur<strong>de</strong> er auch bald zum<br />

Bewusstsein zurückgebracht:<br />

Wo ist Jack? war <strong>Tarzans</strong> erste Frage. Wer hat das<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

getan? fuhr er sogleich fort; er dachte an Rokoff, und<br />

blitzartig war die Befürchtung in ihm aufgetaucht, es<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 23 von 271


könne sich hier um eine zweite Entführung seines<br />

<strong>Sohn</strong>es han<strong>de</strong>ln.<br />

Langsam und zitternd stand Mr. Moore auf. Seine<br />

Blicke wan<strong>de</strong>rten wie irr durch das Zimmer, und erst<br />

nach und nach schienen Gedanken und Begriffe<br />

wie<strong>de</strong>r wach zu wer<strong>de</strong>n. Die Einzelheiten seines<br />

jüngsten qualvollen Erlebens mochten ihm wie<strong>de</strong>r vor<br />

Augen stehen. Ich vermel<strong>de</strong> Ihnen meinen Verzicht,<br />

einmal etwas mit <strong>de</strong>m Jungen zu erreichen, mein Herr!<br />

waren seine ersten Worte. Sie brauchen keinen<br />

Hauslehrer und Erzieher für Ihren <strong>Sohn</strong>; er braucht<br />

einzig und allein einen Dompteur.<br />

Aber wo steckt <strong>de</strong>r Junge <strong>de</strong>nn? warf Lady Greystoke<br />

mit lauter erregter Stimme ein,<br />

Er ist fortgegangen; er sieht sich <strong>de</strong>n Ajax an .. Tarzan<br />

wur<strong>de</strong> es nicht leicht, ein Lächeln zu verbergen. Er<br />

stellte noch zu seiner Genugtuung fest, dass <strong>de</strong>r<br />

Hauslehrer in <strong>de</strong>r Hauptsache nur unter <strong>de</strong>m großen<br />

Schrecken gelitten hatte, sonst aber nicht irgendwie<br />

verletzt war, und fuhr dann sofort in seinem<br />

geschlossenen Auto nach <strong>de</strong>r bekannten Musikhalle.<br />

Pawlowitschs En<strong>de</strong><br />

Der Dompteur zögerte mit erhobener Peitsche einen<br />

Augenblick vor <strong>de</strong>m Eingang <strong>de</strong>r Loge, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Junge und <strong>de</strong>r Affe ihn erwarteten. Mit einem Male<br />

drängte sich ein großer breitschultriger Herr von<br />

rückwärts an bei<strong>de</strong>n vorbei und in die Loge; über das<br />

Gesicht <strong>de</strong>s Jungen huschte eine leichte Röte, als er<br />

<strong>de</strong>n Ankömmling erblicke.<br />

Vater! rief er ihm zu.<br />

Der Affe nahm <strong>de</strong>n englischen Lord rasch aufs Korn,<br />

dann ein Sprung . und er war dicht an ihn heran und<br />

begrüßte ihn in freudiger Erregung mit einem<br />

unverständlichen jauchzen<strong>de</strong>n Geplapper. Die Augen<br />

<strong>de</strong>s Herrn weiteten sich, er schien bestürzt und blieb<br />

auf <strong>de</strong>r Stelle stehen, wie wenn er zu Stein erstarrt<br />

wäre.<br />

Akut! schrie er dann.<br />

Der Junge blickte verwirrt von <strong>de</strong>m Affen zu seinem<br />

Vater und von seinem Vater zu Akut, und <strong>de</strong>m<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Dompteur stan<strong>de</strong>n Mund und Ohren offen, wie er jetzt<br />

hörte, was sich vor ihm zutrug: über die Lippen <strong>de</strong>s<br />

Englän<strong>de</strong>rs quollen die Kehllaute <strong>de</strong>r Affensprache,<br />

und <strong>de</strong>r riesige Menschenaffe antwortete tatsächlich in<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 24 von 271


gleicher Weise, während er sich dicht an <strong>de</strong>n großen<br />

Herrn schmiegte.<br />

Ein anscheinend vom Alter gekrümmter, hässlicher<br />

Mann verfolgte von <strong>de</strong>r Bühne aus die Vorgänge in <strong>de</strong>r<br />

Loge; man konnte <strong>de</strong>utlich beobachten, wie über sein<br />

mit Narben be<strong>de</strong>cktes Gesicht in krampfhaften<br />

Zuckungen wechseln<strong>de</strong> Empfindungen liefen, die je<strong>de</strong><br />

Schwingung <strong>de</strong>r ganzen Tonleiter von heller Freu<strong>de</strong><br />

bis zum tiefsten Erschrecken wie<strong>de</strong>rgaben.<br />

Lange habe ich nach dir gesucht, Tarzan! sprach Akut.<br />

Jetzt endlich fand ich dich, und nun will ich in <strong>de</strong>ine<br />

Dschungel kommen und immer dort mit dir leben.<br />

Der Herr streichelte <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s Tieres. All die alten<br />

Erinnerungen schossen ihm durch das Hirn, Bild<br />

reihte sich an Bild, er sah sich zurückversetzt in die<br />

Tiefen <strong>de</strong>s afrikanischen Urwalds, weit weg von hier,<br />

dahin, wo dies riesige menschenähnliche Tier vor<br />

Jahren mit ihm Schulter an Schulter gekämpft. Er sah<br />

<strong>de</strong>n schwarzen Mugambi, wie er mit seinem knorrigen<br />

Knüppel zum tödlichen Schlage ausholte, daneben <strong>de</strong>n<br />

Schrecken gebieten<strong>de</strong> Sheeta mit weit geöffneten<br />

Pranken und zittern<strong>de</strong>m Bart und dann Akuts<br />

furchtbare Affenhor<strong>de</strong>, wie sie sich dicht an <strong>de</strong>n<br />

Wil<strong>de</strong>n und an <strong>de</strong>n kampfwütigen Leopar<strong>de</strong>n heran<br />

drängte. Tarzan seufzte. Gewaltig lockte von neuem<br />

das heiße Sehnen nach <strong>de</strong>r Dschungel, das er schon<br />

tot geglaubt, und das nun nur um so schlimmer in ihm<br />

wogte. Ach wenn er nur für einen Monat, für ein paar<br />

kurze Wochen dahin zurückkehren könnte! Nur<br />

einmal wie<strong>de</strong>r fühlen, wie dichtes Buschwerk und die<br />

Blätter <strong>de</strong>r Urwaldriesen seinen nackten Körper<br />

streiften, wie<strong>de</strong>r einmal <strong>de</strong>n dumpfen Duft<br />

versunkener und dahingewelkter Tropenvegetation<br />

einatmen können, wie Weihrauch und Myrrhen wäre<br />

das für ihn, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Dschungelgrün<strong>de</strong>n das Licht<br />

<strong>de</strong>r Welt erblickt hatte! Einmal wie<strong>de</strong>r wittern, wie<br />

die großen Raubtiere <strong>de</strong>s Urwal<strong>de</strong>s leise seiner Spur<br />

folgten, wie<strong>de</strong>r jagen und gejagt wer<strong>de</strong>n, wie<strong>de</strong>r<br />

töten! 0, wie diese Bil<strong>de</strong>r ihn mit ihren schillern<strong>de</strong>n<br />

Farben lockten und umgarnen wollten! Aber dann<br />

traten an<strong>de</strong>re Bil<strong>de</strong>r auf die Schwelle seines<br />

Bewusstseins: ein liebliches Frauenantlitz, schön und<br />

noch so jung; die Freun<strong>de</strong>, das Heim, <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong>. Er<br />

zuckte mit seinen gewaltigen Achseln.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 25 von 271


Es darf nicht sein, Akut! kam seine Antwort. Doch<br />

wenn du zurückkehren möchtest, wer<strong>de</strong> ich dafür<br />

sorgen. Du könntest hier nicht glücklich sein, ich<br />

nicht dort drüben.<br />

Der Dompteur trat einen Schritt vorwärts, doch <strong>de</strong>r<br />

Affe zeigte ihm sofort brummend sein furchtbares<br />

Gebiss.<br />

Geh jetzt mit ihm, Akut, sagte <strong>de</strong>r Affen-Tarzan. Ich<br />

wer<strong>de</strong> dich morgen besuchen.<br />

Der Affe trottete mürrisch und enttäuscht zum<br />

Dompteur, <strong>de</strong>r auf <strong>Tarzans</strong> Befragen noch sein<br />

Quartier genannt hatte. Dann wandte sich Tarzan zu<br />

seinem <strong>Sohn</strong>. Komm mit! sagte er nur, und die bei <strong>de</strong>n<br />

verließen die Musikhalle. Man nahm in <strong>de</strong>r Limousine<br />

Platz. Minutenlang wur<strong>de</strong> kein Wort gesprochen.<br />

Dann brach Jack das Schweigen.<br />

Der Affe kannte dich ja! begann er, und du<br />

unterhieltest dich mit ihm in <strong>de</strong>r Affensprache. Wie<br />

kommt es, dass <strong>de</strong>r Affe dich kennt, und wie hast du<br />

diese Sprache gelernt?<br />

Und so erzählte <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Affen-Tarzan in kurzen<br />

Umrissen seinem <strong>Sohn</strong> zum ersten Male von seinem<br />

früheren Leben, . " von seiner Geburt in <strong>de</strong>r<br />

Dschungel, vom To<strong>de</strong> seiner Eltern, und wie die große<br />

Menschenäffin Kala ihn von klein auf genährt und<br />

gehegt und gepflegt, bis er als Jüngling ihren<br />

schützen<strong>de</strong>n Armen entwachsen sei.<br />

Er verhehlte ihm auch nicht die Gefahren und<br />

Schrecken <strong>de</strong>r Dschungel. Er erzählte von <strong>de</strong>n großen<br />

Raubtieren, die Tag und Nacht an einen<br />

heranschlichen; von <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Hitze, da alles<br />

schier verdorrte, und von Unwettern und endlosen<br />

Regengüssen; von Hunger und Kälte und neuer<br />

Tropenglut; vom Nacktsein und von <strong>de</strong>n Ängsten und<br />

Qualen jener Zonen. Er malte ihm alles das beson<strong>de</strong>rs<br />

aus, was <strong>de</strong>n zivilisierten Menschen am meisten mit<br />

Entsetzen und Abscheu erfüllt, <strong>de</strong>nn er hoffte, dass<br />

die Klarheit über das Leben da drüben <strong>de</strong>m Jungen die<br />

Sehnsucht nach <strong>de</strong>r Dschungel austreiben wür<strong>de</strong>,<br />

wenn sie wirklich schon in ihm irgendwie Wurzel<br />

gefasst haben sollte. Und doch war all das, was er<br />

sagte, im Grun<strong>de</strong> nichts an<strong>de</strong>res als seine<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Erinnerungen aus <strong>de</strong>r Dschungelzeit, nichts an<strong>de</strong>res<br />

als das, was er in buntem Nebeneinan<strong>de</strong>r liebte: das<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 26 von 271


Dschungelleben in seiner ganzen Gewalt und<br />

Schönheit. Eines bedachte er zu<strong>de</strong>m nicht, wie er so<br />

erzählte, und das war gera<strong>de</strong> die Hauptsache: Der<br />

Junge, <strong>de</strong>r neben ihm saß und ihm mit atemloser<br />

Spannung lauschte, war schließlich doch ... <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong><br />

<strong>de</strong>s Affen-Tarzan.<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Junge zu Bett gebracht wor<strong>de</strong>n war -<br />

wohlgemerkt, ohne die angedrohte Strafe - berichtete<br />

Lord Greystoke seiner Frau <strong>de</strong>n weiteren Verlauf <strong>de</strong>s<br />

Abends, und dass er seinem <strong>Sohn</strong> schließlich das<br />

Wesentliche aus seinem Dschungelleben mitgeteilt<br />

habe. Die Mutter hatte es ja lange vorausgesehen, dass<br />

Jack eines Tages etwas von diesen furchtbaren Jahren<br />

hören musste , in <strong>de</strong>nen sein Vater nackt und als<br />

beutegieriges Raubtier die Dschungel durchstreift<br />

hatte. Sie schüttelte also jetzt nur <strong>de</strong>n Kopf, gab sich<br />

aber <strong>de</strong>r Hoffnung hin - an <strong>de</strong>r sie freilich ab und zu<br />

schon irre zu wer<strong>de</strong>n meinte - dass das, was bestimmt<br />

in <strong>de</strong>r Brust ihres Mannes an locken<strong>de</strong>n Träumen noch<br />

oft und heftig nach <strong>de</strong>r Verwirklichung verlangte,<br />

wenigstens nicht auf ihren <strong>Sohn</strong> abgefärbt sei.<br />

Tarzan suchte Akut am nächsten Tage auf; Jack hatte<br />

er nicht mitgenommen, obwohl er gera<strong>de</strong>zu darum<br />

gebettelt hatte. Bei dieser Gelegenheit bekam er auch<br />

<strong>de</strong>n alten narbenbe<strong>de</strong>ckten Besitzer <strong>de</strong>s Affen zu<br />

sehen, ohne jedoch in ihm <strong>de</strong>n Schurken Pawlowitsch<br />

von einst zu erkennen. Akut brachte wie<strong>de</strong>r sein<br />

gestriges Anliegen vor, und so sah sich Tarzan<br />

veranlasst, <strong>de</strong>n etwaigen Kauf <strong>de</strong>s Affen zur Sprache<br />

zu bringen. Allein Pawlowitsch wollte durchaus keinen<br />

Preis nennen, sagte aber schließlich, er wür<strong>de</strong> sich die<br />

Sache einmal durch <strong>de</strong>n Kopf gehen lassen.<br />

Als Tarzan wie<strong>de</strong>r nach Hause kam, fand er Jack ganz<br />

aufgeregt. Er wollte alles bis ins einzelne von diesem<br />

Besuch erzählt haben und drang dann auf seinen Vater<br />

ein, er solle <strong>de</strong>n Affen ja kaufen und mitbringen.<br />

Lady Greystoke war natürlich über diesen Vorschlag<br />

außer sich, aber ihr Junge blieb nur immer<br />

hartnäckiger bei seiner Bitte. Tarzan erklärte darauf,<br />

er habe schon beabsichtigt, <strong>de</strong>n Affen zu kaufen,<br />

allerdings nur, um ihn wie<strong>de</strong>r in seine<br />

Dschungelheimat zurückbeför<strong>de</strong>rn zu lassen. Dem<br />

pflichtete Jacks Mutter bei.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 27 von 271


Jack fragte hernach, ob er <strong>de</strong>n Affen noch einmal<br />

besuchen dürfe, doch wur<strong>de</strong> ihm dies wie<strong>de</strong>r glatt<br />

abgeschlagen. Er kannte aber die Adresse, die <strong>de</strong>r<br />

Dompteur seinem Vater angegeben hatte, und zwei<br />

Tage später paßte er einen günstigen Augenblick ab<br />

und entwischte seinem neuen Erzieher, <strong>de</strong>r an Stelle<br />

<strong>de</strong>s vom Schrecken arg mitgenommenen Mr. Moore<br />

engagiert wor<strong>de</strong>n war.<br />

Nach langem Hin und her irren in einem Londoner<br />

Stadtviertel, in das er bisher noch nie gekommen war,<br />

fand er endlich <strong>de</strong>n dumpfen düsteren Winkel, in <strong>de</strong>m<br />

jener Pockennarbige Greis hauste. Auf das Klopfen<br />

erschien <strong>de</strong>r Alte selbst an <strong>de</strong>r Tür, und als Jack<br />

erklärte, er wolle sich <strong>de</strong>n Ajax ansehen, machte er auf<br />

und ließ ihn in <strong>de</strong>n kleinen Raum ein, <strong>de</strong>n er mit <strong>de</strong>m<br />

Affenriesen bewohnte.<br />

Früher war <strong>de</strong>r gerissene Pawlowitsch schon etwas<br />

anspruchsvoller gewesen; aber die zehn furchtbaren<br />

Jahre, die er in Afrika unter Kannibalen hatte<br />

zubringen müssen, mochten bei ihm jegliche Spur<br />

feinerer Gewohnheiten weggespült haben. Sein Anzug<br />

war fleckig und halb zerrissen, er wusch sich die<br />

Hän<strong>de</strong> nicht, geschweige <strong>de</strong>nn, dass je ein Kamm an<br />

die paar krausen Haarsträhnen kommen mochte. Das<br />

so genannte Zimmer starrte vor Schmutz und sah wie<br />

eine Rumpelkammer aus. Als <strong>de</strong>r Junge eintrat, hockte<br />

<strong>de</strong>r große Affe gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Bett. Schmutzige<br />

Woll<strong>de</strong>cken und übel riechen<strong>de</strong> Tücher lagen dort<br />

wirr durcheinan<strong>de</strong>r. Sowie <strong>de</strong>r Affe <strong>de</strong>n Jungen<br />

gewahr wur<strong>de</strong>, sprang er zu Bo<strong>de</strong>n und humpelte ihm<br />

entgegen; doch <strong>de</strong>r Alte, <strong>de</strong>r seinen Besuch nicht<br />

wie<strong>de</strong>rerkannte und fürchtete, dass <strong>de</strong>r Affe nichts<br />

Gutes im Schil<strong>de</strong> führte, trat sofort dazwischen und<br />

wies <strong>de</strong>n Affen ins Bett zurück.<br />

Der tut mir nichts zu Lei<strong>de</strong>, rief <strong>de</strong>r Junge laut. Wir<br />

zwei sind gute Freun<strong>de</strong>, und früher war er <strong>de</strong>r Freund<br />

meines Vaters. Lord Greystoke ist nämlich mein<br />

Vater. Er weiß es nicht, dass ich hierher gegangen bin.<br />

Meine Mutter hat es mir übrigens verboten, aber ich<br />

wollte nun einmal Ajax sehen. Und ich will Sie gut<br />

bezahlen, wenn Sie mich oft hierher kommen und <strong>de</strong>n<br />

Affen sehen lassen.<br />

Wie Jack seinen Namen erwähnte, zuckte es<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

unwillkürlich in Pawlowitschs Augen. Seit er Tarzan<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 28 von 271


von <strong>de</strong>r Bühne <strong>de</strong>r Musikhalle zum ersten Male wie<strong>de</strong>r<br />

gesehen hatte, dämmerten in seinem sonst fast<br />

stumpfsinnigen Hirn Gedanken auf, die ihn lange in<br />

Ruhe gelassen, ja es regte sich in ihm so etwas wie ein<br />

Verlangen, nun doch noch Rache zu üben. Es ist<br />

überaus bezeichnend für Schwächlinge und<br />

Verbrecher, dass sie an<strong>de</strong>re für das Unglück<br />

verantwortlich machen, das sie doch nur ihrer eigenen<br />

Min<strong>de</strong>rwertigkeit zuzuschreiben haben. Genau so<br />

stand es mit Alexei Pawlowitsch. Langsam erwachte in<br />

ihm gera<strong>de</strong> jetzt die Erinnerung an sein früheres<br />

Leben, und wenn er nun daran dachte, wie greifbar<br />

nahe er diesen Menschen hatte, <strong>de</strong>n er damals mit<br />

Rokoff unter Einsatz aller Kräfte aus seiner Bahn<br />

schleu<strong>de</strong>rn, ja einfach ins Jenseits beför<strong>de</strong>rn wollte, so<br />

fühlte er von neuem das ganze Unheil, das über ihn<br />

hereingebrochen war, als all die fein gesponnenen<br />

Ränke ins Nichts zerrannen, und ihnen ihr Opfer<br />

entging. Vorerst sah er in<strong>de</strong>ssen keine Möglichkeit,<br />

unter Wahrung seiner persönlichen Sicherheit sich an<br />

Tarzan auf <strong>de</strong>m Umweg über <strong>de</strong>ssen <strong>Sohn</strong> zu rächen.<br />

Aber er war sich darüber klar, dass <strong>de</strong>r Junge ihm<br />

durch seine unvorsichtigen Äußerungen <strong>de</strong>n Weg zu<br />

einer gründlichen Rache freigemacht hatte. So<br />

beschloss er, das häufige Erscheinen <strong>de</strong>s jungen<br />

Greystoke recht zu begünstigen und diesen so an sich<br />

zu fesseln. Hoffte er doch, dass irgen<strong>de</strong>in günstiger<br />

Stern ihm <strong>de</strong>n Jungen eines Tages irgendwie in die<br />

Hand spielen wür<strong>de</strong>.<br />

Darum erzählte er <strong>de</strong>m Jungen zunächst alles, was er<br />

über das Dschungelleben seines Vaters wußte. Als er<br />

dann hörte, dass <strong>de</strong>r junge Greystoke all die Jahre<br />

überhaupt nichts zu erfahren bekommen hatte, dass<br />

ihm <strong>de</strong>r Besuch <strong>de</strong>s Zoologischen Gartens untersagt<br />

war, ja, dass er seinen Erzieher hatte fesseln und ihm<br />

einen Knebel in <strong>de</strong>n Mund stopfen müssen, um sich so<br />

wenigstens einmal die Vorstellung mit Ajax ansehen<br />

zu können, da erriet er sofort, welche geheimen<br />

Befürchtungen die elterlichen Herzen zu dieser<br />

wun<strong>de</strong>rbaren Fürsorge trieben. Vor ihnen stand<br />

drohend wie ein Gespenst <strong>de</strong>r Gedanke, die<br />

Dschungel könnte einmal auch ihren Jack in die Arme<br />

locken, wie sie einst <strong>de</strong>ssen Vater an sich gerissen<br />

hatte.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 29 von 271


Und so re<strong>de</strong>te Pawlowitsch <strong>de</strong>m Jungen zu, ja recht oft<br />

zu kommen, und ging immer bereitwillig auf <strong>de</strong>ssen<br />

Bitten ein, ihm doch viel, recht viel von <strong>de</strong>r wil<strong>de</strong>n<br />

Welt da draußen zu erzählen, die Pawlowitsch in allem<br />

ja nur zu bekannt war. Er ließ ihn auch viel mit Akut<br />

allein, und nach gar nicht zu langer Zeit stellte er zu<br />

seiner großen Überraschung fest, dass <strong>de</strong>r Junge sich<br />

mit <strong>de</strong>m Affen verständigen konnte, weil er tatsächlich<br />

schon viele Worte <strong>de</strong>r primitiven<br />

Menschenaffensprache gelernt hatte.<br />

In dieser Zeit kam Tarzan mehrere Male zu<br />

Pawlowitsch. Es schien ihm sehr daran gelegen, Ajax<br />

zu erwerben, und schließlich erzählte er <strong>de</strong>m Alten<br />

eines Tages ganz offen, dass ihn nicht allein <strong>de</strong>r rein<br />

persönliche Wunsch, <strong>de</strong>m Affen mit <strong>de</strong>r Rückkehr in<br />

die Dschungelheimat seine Freiheit<br />

wie<strong>de</strong>rzuschenken, zu <strong>de</strong>m beabsichtigten Kauf<br />

bestimme. Seine Frau fürchte vielmehr, dass ihr <strong>Sohn</strong><br />

irgendwie Näheres über das Woher <strong>de</strong>s Affen erfahren<br />

könne, und das so - zumal <strong>de</strong>r Junge für das Tier<br />

Feuer und Flamme sei - in ihm gewisse abenteuerliche<br />

Regungen zum Durchbruch kämen, die, wie Tarzan<br />

<strong>de</strong>m Besitzer vertraulich erklärte, sein eigenes Leben<br />

entschei<strong>de</strong>nd beeinflusst hätten. Der Russe konnte<br />

nur mit Mühe das Lachen verbeißen, als Lord<br />

Greystoke ihm dies mitteilte, <strong>de</strong>nn noch vor einer<br />

knappen halben Stun<strong>de</strong> hatte <strong>de</strong>r künftige Lord<br />

Greystoke auf <strong>de</strong>m zerwühlten Bett gesessen und sich<br />

so geläufig wie ein leibhaftiger Affe mit Ajax<br />

unterhalten.<br />

Während dieser Unterredung gewann in Pawlowitsch<br />

ein neuer Plan Gestalt. Der erste Schritt zur<br />

Verwirklichung bestand darin, dass er schließlich in<br />

eine fabelhaft hohe Kaufsumme für <strong>de</strong>n Affen<br />

einwilligte und sich verpflichtete, nach Empfang <strong>de</strong>s<br />

Gel<strong>de</strong>s das Tier auf ein Schiff zu bringen, das in zwei<br />

Tagen seine. Reise von Dover nach Afrika antreten<br />

sollte. Zweierlei hatte er im Sinn, als er Greystokes<br />

Angebot annahm. An erster Stelle war es <strong>de</strong>r<br />

Geldpunkt, <strong>de</strong>r bei seiner Entscheidung stark<br />

mitspielte; <strong>de</strong>r Affe war für ihn ja sowieso nicht mehr<br />

die alte Einnahmequelle, da er sich hartnäckig<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

weigerte, wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Musikhalle aufzutreten, seit er<br />

Tarzan ent<strong>de</strong>ckt hatte. Es war fast so, als ob das Tier<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 30 von 271


nur <strong>de</strong>shalb gedul<strong>de</strong>t hätte, dass man es aus seiner<br />

Dschungelheimat verschleppt und vor Tausen<strong>de</strong>n von<br />

neugierigen Zuschauern seine Kunststücke machen<br />

ließ, weil es unbedingt darauf aus war, seinen<br />

langentbehrten Freund und Gebieter zu suchen. Und<br />

als das Tier ihn nun gefun<strong>de</strong>n, hielt es je<strong>de</strong> weitere<br />

Berührung mit <strong>de</strong>r großen Her<strong>de</strong> gewöhnlicher<br />

menschlicher Wesen für überflüssig. Mochten die<br />

Dinge nun liegen wie sie wollen, die Tatsache blieb<br />

bestehen, dass kein noch so geschickter<br />

Überredungsversuch <strong>de</strong>n Affen dahin bringen konnte,<br />

sich auf <strong>de</strong>r Varietébühne erneut <strong>de</strong>m schaulustigen<br />

Publikum zu zeigen. Und als <strong>de</strong>r Dompteur ein<br />

einziges Mal seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen<br />

suchte, konnte er: von großem Glück re<strong>de</strong>n, dass er<br />

nur mit <strong>de</strong>m Leben davonkam. Seine Rettung hatte er<br />

lediglich <strong>de</strong>m Umstan<strong>de</strong> zu verdanken, dass Jack<br />

zufällig anwesend war. Man hatte ihm erlaubt, das Tier<br />

in seinem beson<strong>de</strong>ren Anklei<strong>de</strong>raum im Varieté<br />

aufzusuchen, und so hatte er sofort eingegriffen, als er<br />

es merkte, dass es <strong>de</strong>m Affen mit seiner Drohung<br />

bitter ernst war.<br />

Abgesehen von <strong>de</strong>r Geldfrage waren es natürlich<br />

aufbrausen<strong>de</strong> Rachegelüste, die Pawlowitsch fast<br />

verzehrten, je mehr er über das ganze Elend seines<br />

Lebens nachbrütete. Schuld an allem war Tarzan, und<br />

nicht zuletzt auch an <strong>de</strong>m neuen schlimmen Unglück,<br />

dass Ajax sich weigerte, weiter für ihn Geld zu<br />

verdienen. Diese Wi<strong>de</strong>rspenstigkeit <strong>de</strong>s Affen schrieb<br />

er Tarzan unmittelbar zu; <strong>de</strong>nn er re<strong>de</strong>te sich ein, dass<br />

<strong>de</strong>r Affenmensch <strong>de</strong>n großen Menschenaffen bewogen<br />

haben musste , das Auftreten auf <strong>de</strong>r Varietébühne<br />

einfach zu verweigern.<br />

Pawlowitschs natürliche Neigung zum<br />

Verbrecherischen hatte sich unter jahrelangen Qualen<br />

und Entbehrungen und durch die damit verbun<strong>de</strong>ne<br />

Zerrüttung seiner geistigen und körperlichen Kräfte<br />

nur noch mehr verschlimmert. War er früher kühl,<br />

berechnend und mit hochgradiger Schläue an die<br />

Durchführung seiner bösen Pläne herangegangen, so<br />

zeigte sich jetzt insofern eine gewisse Entartung, als<br />

alles, was von ihm drohte, wie bei einem bösartigen<br />

Geisteskranken beinahe unterschiedslos<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 31 von 271


lebensgefährlich für die betroffenen Mitmenschen<br />

war.<br />

Der augenblickliche Plan war an<strong>de</strong>rseits so geschickt<br />

angelegt, dass man immerhin gelin<strong>de</strong>n Zweifel hegen<br />

könnte, ob es mit <strong>de</strong>r Abnahme seiner geistigen<br />

Fähigkeiten wirklich so schlimm bestellt war; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

neue Anschlag sicherte ihm zunächst die stattliche<br />

Summe, die Lord Greystoke für <strong>de</strong>n Rücktransport <strong>de</strong>s<br />

Affen ausgeworfen hatte und außer<strong>de</strong>m die Rache am<br />

Vater auf <strong>de</strong>m Umweg über <strong>de</strong>ssen abgöttisch<br />

geliebten <strong>Sohn</strong>. Und dieser Teil seines Planes war<br />

gemein und brutal. Fehlte auch bei diesen<br />

Racheplänen die raffinierte Steigerung und<br />

Vertiefung, für die die meisterhaften Schachzüge <strong>de</strong>s<br />

Pawlowitsch von einst so bezeichnend gewesen waren,<br />

als er damals noch Hand in Hand mit Nikolaus Rokoff<br />

gearbeitet hatte, so konnte er diesmal wenigstens<br />

jegliche Verantwortung für das, was passieren wür<strong>de</strong>,<br />

von sich abwälzen. Die ganze Schuld wür<strong>de</strong> eben auf<br />

diesen Affen fallen, <strong>de</strong>r damit zugleich dafür bestraft<br />

wer<strong>de</strong>n sollte, dass er sich weigerte, weiter für <strong>de</strong>n<br />

Lebensunterhalt seines Herrn zu sorgen.<br />

Das Schicksal spielte nun mit gera<strong>de</strong>zu teuflischem<br />

Einvernehmen alles so in die Hän<strong>de</strong> Pawlowitschs, wie<br />

er es brauchte. <strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong> hörte zufällig, wie <strong>de</strong>r<br />

Vater seiner Mutter die weiteren Schritte wegen Akuts<br />

sicherer Rückbeför<strong>de</strong>rung in die Dschungelheimat<br />

auseinan<strong>de</strong>rsetzte, und bat die Eltern nochmals, ihm<br />

<strong>de</strong>n Affen doch lieber als Spielgefährten mit nach<br />

Hause zu bringen. Tarzan stand diesem Vorschlag<br />

jetzt nicht ablehnend gegenüber, aber Lady Greystoke<br />

war bei <strong>de</strong>m bloßen Gedanken an eine <strong>de</strong>rartige<br />

Lösung <strong>de</strong>r Frage wie<strong>de</strong>r außer sich. Es gab einen<br />

kleinen Wortwechsel zwischen Jack und seiner<br />

Mutter, ohne dass man zu einem an<strong>de</strong>ren Ergebnis<br />

gekommen wäre. Lady Greystoke blieb fest auf ihrem<br />

Standpunkt, und schließlich schien sich auch <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong><br />

mit <strong>de</strong>m letzten Wort seiner Mutter abzufin<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>de</strong>r Affe unbedingt nach Afrika zurückgebracht<br />

wer<strong>de</strong>n müsse, und dass er, <strong>de</strong>r Jack, nach <strong>de</strong>n Ferien<br />

wie<strong>de</strong>r in die Schule zu gehen habe. An diesem Tage<br />

wagte es Jack nicht, Pawlowitsch wie<strong>de</strong>r zu besuchen,<br />

doch nahm er dafür mit entsprechen<strong>de</strong>r Eile etwas<br />

an<strong>de</strong>res vor. Er hatte immer reichlich Geld in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 32 von 271


Tasche, und wenn er irgend etwas brauchte, war es nie<br />

beson<strong>de</strong>rs schwierig, ein paar hun<strong>de</strong>rt Pfund zu<br />

bekommen. Einen Teil <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>te er<br />

heute zu verschie<strong>de</strong>nen son<strong>de</strong>rbaren Einkäufen, die er<br />

geschickt und unbemerkt mit ins Haus schmuggelte,<br />

als er erst spät gegen Abend zurückkehrte.<br />

Am an<strong>de</strong>ren Morgen fügte es sich, dass er seinem<br />

Vater zuvorkommen konnte. Es galt, sich mit<br />

Pawlowitsch zu einigen, und so eilte Jack ohne Verzug<br />

nach <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>s Russen. Da er sich über <strong>de</strong>n<br />

Charakter dieses Menschen doch nicht ganz im klaren<br />

zu sein glaubte, wagte er es nicht, ihn ganz ins<br />

Vertrauen zu ziehen; <strong>de</strong>nn er fürchtete, <strong>de</strong>r Alte<br />

könnte ihm nicht allein die Unterstützung versagen,<br />

son<strong>de</strong>rn vor allem die ganze Geschichte seinem Vater<br />

hinterbringen. Er bat statt <strong>de</strong>ssen einfach um die<br />

Erlaubnis, Ajax nach Dover mitzunehmen, und fügte<br />

begütigend hinzu, er wolle damit <strong>de</strong>m Alten die<br />

beschwerliche Reise ersparen. Dafür solle er<br />

obendrein auch noch hübsche Goldstücke in die<br />

Tasche bekommen. Jack hatte auch tatsächlich vor,<br />

<strong>de</strong>n Russen für seine Freundlichkeit gut zu bezahlen.<br />

Sie sehen, fuhr er fort, es besteht keine Gefahr, dass<br />

die Sache herauskommt, <strong>de</strong>nn ich soll sowieso mit<br />

einem Nachmittagszug in die Schule zurückfahren.<br />

Wenn die Meinen sich am Zuge von mir verabschie<strong>de</strong>t<br />

haben, wer<strong>de</strong> ich heimlich wie<strong>de</strong>r aussteigen; ich<br />

komme hierher und kann Ajax gut nach Dover<br />

bringen, wie Sie sehen. In <strong>de</strong>r Schule komme ich dann<br />

eben einen Tag später an. Niemand wird etwas davon<br />

erfahren, es wird auch nicht das Geringste passieren<br />

und ich habe wenigstens noch einen Extrazug mit Ajax<br />

gehabt, ehe ich ihn für immer verliere.<br />

Der Vorschlag passte glänzend zu <strong>de</strong>m, was<br />

Pawlowitsch ausgeheckt hatte. Hätte er in<strong>de</strong>ssen nur<br />

geahnt, was <strong>de</strong>r Junge weiterhin im Schil<strong>de</strong> führte,<br />

wür<strong>de</strong> er zweifellos seine eigenen Rachepläne völlig<br />

haben schwimmen lassen; er hätte <strong>de</strong>m Jungen in<br />

seinem Vorhaben sicher aus vollem Herzen<br />

zugestimmt. Am Nachmittag <strong>de</strong>s gleichen Tages waren<br />

Lord und Lady Greystoke mit auf <strong>de</strong>m Bahnhof. Sie<br />

wünschten ihrem <strong>Sohn</strong> gute Reise, als er in einem<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Abteil erster Klasse <strong>de</strong>s Zuges Platz genommen hatte,<br />

<strong>de</strong>r ihn in ein paar Stun<strong>de</strong>n sicher und wohlbehalten<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 33 von 271


nach Dover und damit in die Schule zurückbringen<br />

sollte. Dann gingen sie. Doch kaum waren sie im<br />

Gewühl seinen Blicken entschwun<strong>de</strong>n, so raffte er<br />

schon seine sieben Sachen zusammen, verließ das<br />

Abteil und wandte sich nach <strong>de</strong>m Droschkenhalteplatz<br />

vor <strong>de</strong>m Bahnhof. Dort nahm er eine Droschke, die<br />

ihn zur Wohnung <strong>de</strong>s Russen beför<strong>de</strong>rn sollte. Die<br />

Dämmerung war bereits hereingebrochen, als er am<br />

Ziele war. Pawlowitsch erwartete ihn offenbar schon<br />

länger, er ging nervös im Zimmer auf und ab. Der Affe<br />

war mit einem starken Strick ans Bett gebun<strong>de</strong>n. Es<br />

war zum ersten mal, dass Jack <strong>de</strong>n Ajax so sah.<br />

Fragend blickte er zu Pawlowitsch auf. Der Mann<br />

erklärte ihm brummend, nach seiner Überzeugung<br />

müsse das Tier so etwas wie eine Ahnung davon<br />

haben, dass man es wegschaffen wolle; er fürchte<br />

<strong>de</strong>shalb, dass es einen Fluchtversuch wage.<br />

Pawlowitsch hielt einen zweiten Strick in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n;<br />

<strong>de</strong>r war jedoch an <strong>de</strong>m einen En<strong>de</strong> mit einer Schlinge<br />

versehen, an <strong>de</strong>r er immer in seltsamer Unruhe<br />

herumfingerte. Dazu schritt er beständig im Zimmer<br />

hin und her, bald hier hin, bald dorthin, und in seinen<br />

pockennarbigen Zügen war <strong>de</strong>utlich zu lesen, dass er<br />

schwer mit sich kämpfte, während er irgend etwas<br />

leise und unverständlich vor sich hin murmelte.<br />

Jack hatte ihn nie so gesehen . .seine ganze Art war<br />

ihm daher ein wenig unbehaglich. Schließlich blieb<br />

Pawlowitsch drüben auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s<br />

Zimmers, wo er am weitesten von <strong>de</strong>m Affen entfernt<br />

war, stehen. Komm mal her! wandte er sich an <strong>de</strong>n<br />

Jungen. Ich will dir zeigen, wie du <strong>de</strong>n Affen fesselst,<br />

wenn er dir unterwegs nicht parieren sollte.<br />

Jack lachte gera<strong>de</strong> heraus. Wird nicht nötig sein,<br />

entgegnete er. Ajax wird immer von ganz allein tun,<br />

was ich von ihm will.<br />

Der Alte stampfte unwillig mit <strong>de</strong>m Fuße. Komm<br />

hierher, wie ich dir sage! wie<strong>de</strong>rholte er bestimmt.<br />

Wenn du dich jetzt meinem Wunsche nicht fügst,<br />

darfst du nicht mit <strong>de</strong>m Affen nach Dover. Ich habe<br />

nämlich keine Lust, zu riskieren, dass er durchbrennt.<br />

Noch immer lächelnd ging Jack hinüber und trat dicht<br />

an <strong>de</strong>n Russen heran.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 34 von 271


Dreh dich um! Mit <strong>de</strong>m Rücken zu mir! gebot<br />

Pawlowitsch. Ich muss dir doch richtig vorführen<br />

können, wie du ihn rasch fesseln kannst.<br />

Der Junge tat, wie ihm geheißen, und legte auch seine<br />

Hän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n Rücken, als Pawlowitsch es verlangte.<br />

Sofort zog <strong>de</strong>r Alte die Schlinge um das eine<br />

Handgelenk <strong>de</strong>s Jungen fest, wand <strong>de</strong>n Strick ein<br />

paarmal um das an<strong>de</strong>re Handgelenk und machte ein<br />

paar straffe Knoten.<br />

Sowie nun Jack gefesselt war, än<strong>de</strong>rte sich mit einem<br />

Schlage die ganze Haltung <strong>de</strong>s Alten. Er stieß einen<br />

entsetzlichen Fluch aus, riss seinen Gefangenen<br />

herum, stellte ihm ein Bein, schleu<strong>de</strong>rte ihn heftig zu<br />

Bo<strong>de</strong>n und stürzte sich auf die Brust <strong>de</strong>s<br />

Nie<strong>de</strong>rsinken<strong>de</strong>n. Vom Bett her kam sofort die<br />

Antwort <strong>de</strong>s Affen, <strong>de</strong>r unter wil<strong>de</strong>m Geknurr an<br />

seinen Fesseln zerrte. Jack schrie nicht ... , und diese<br />

Selbstbeherrschung mochte er von seinem wil<strong>de</strong>n<br />

Vater ererbt haben, <strong>de</strong>r es in <strong>de</strong>n langen Jahren seines<br />

Dschungellebens nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> seiner Pflegemutter<br />

Kala, <strong>de</strong>r großen Menschenäffin, erfahren hatte, dass<br />

doch niemand <strong>de</strong>m einmal Unterlegenen zu Hilfe kam.<br />

Pawlowitschs Finger tasteten sich an die Gurgel Jacks<br />

heran, sein Gesicht war zu einem breiten höhnischen<br />

Grinsen verzerrt, als er jetzt in das Gesicht seines<br />

Opfers starrte.<br />

Dein Vater hat mich ruiniert, stieß er hervor. Das will<br />

ich ihm heimzahlen. Er wird meinen, dass <strong>de</strong>r Affe es<br />

tat, und ich wer<strong>de</strong> es ihm auch so sagen. Ha, ich wer<strong>de</strong><br />

ihm erzählen, dass ich <strong>de</strong>n Affen ein paar Minuten<br />

allein ließ, und dass du dich da gera<strong>de</strong> herein stahlst<br />

und vom Affen getötet wur<strong>de</strong>st. Ich wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>inen<br />

Körper dort aufs Bett werfen, wenn ich dich erwürgt<br />

habe; bringe ich dann <strong>de</strong>inen Vater hierher, so wird er<br />

sehen, dass <strong>de</strong>r Affe auf <strong>de</strong>iner Leiche hockt! Von <strong>de</strong>n<br />

Wän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s kleinen Zimmers hallte das Geschrei <strong>de</strong>s<br />

rasen<strong>de</strong>n Riesenaffen wi<strong>de</strong>r. Jack wur<strong>de</strong> zwar blass,<br />

doch lag nichts in seinen Zügen, was auf Furcht o<strong>de</strong>r<br />

gar auf panischen Schrecken hinge<strong>de</strong>utet hätte. Er war<br />

eben ganz <strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong>. Die Finger seines Gegners<br />

griffen immer fester um seinen Hals; kaum dass er<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

noch atmen konnte. Er keuchte, er rang nach Luft.<br />

Der Affe zerrte wütend an <strong>de</strong>m starken Strick, <strong>de</strong>r ihn<br />

ans Bett fesselte. Dann drehte er sich um, wand <strong>de</strong>n<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 35 von 271


Strick um seine Hän<strong>de</strong>, wie es ein Mensch in gleicher<br />

Lage getan haben wür<strong>de</strong>, und riss ihn mit voller Wucht<br />

nach oben. Seine gewaltigen Muskeln schwollen hoch.<br />

Ein Krach ... , es klang, wie wenn Holz in tausend<br />

Splitter zerbarst: Der Strick war ganz geblieben, aber<br />

dafür hatte ein Teil vom Bettuntergestell daran<br />

glauben müssen.<br />

Pawlowitsch blickte auf, sein von wil<strong>de</strong>n<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften durchwühltes Gesicht wur<strong>de</strong><br />

augenblicklich leichenblass, Entsetzen spiegelte sich<br />

in seinen Augen: Der Affe hatte sich losgerissen, das<br />

Tier war frei.<br />

Mit einem einzigen Sprung stürzte sich das Ungeheuer<br />

über ihn. Ein Aufschrei, und die Bestie riss ihn vom<br />

Körper <strong>de</strong>s Jungen weg. Scharfe Krallenfinger gruben<br />

sich tief ins Fleisch, ein Rachen gespickt mit<br />

furchtbaren gelblichen Zähnen gähnte ihm weit<br />

geöffnet entgegen. Wohl suchte er sich mit Hän<strong>de</strong>n<br />

und Füßen zu wehren, doch was half es! Die Seele<br />

Alexei Pawlowitschs wan<strong>de</strong>rte hinüber in das Reich<br />

<strong>de</strong>r Teufelsgeister, die schon lange auf ihn gewartet<br />

hatten.<br />

Jack raffte sich mit Akuts Unterstützung langsam in<br />

die Höhe. Zwei volle Stun<strong>de</strong>n mühte sich <strong>de</strong>r Affe,<br />

nach <strong>de</strong>n Weisungen seines jungen Freun<strong>de</strong>s <strong>de</strong>ssen<br />

Handfesseln zu lösen. Endlich war <strong>de</strong>r Affe hinter das<br />

Geheimnis <strong>de</strong>s Knotens gekommen: Jack war wie<strong>de</strong>r<br />

frei. Er entfernte zunächst <strong>de</strong>n Strick, <strong>de</strong>r noch um<br />

<strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Affen geschlungen war; dann öffnete er<br />

eines seiner Pakete und brachte daraus verschie<strong>de</strong>ne<br />

Kleidungsstücke hervor. Er hatte alles großartig<br />

ausgedacht und vorbereitet. Der Affe wur<strong>de</strong> natürlich<br />

gar nicht erst groß gefragt; er tat auch alles, was ihm<br />

geheißen wur<strong>de</strong>. Dann schlichen sie sich bei<strong>de</strong> aus<br />

<strong>de</strong>m Hause davon. Und mochte ihnen auch hier und da<br />

unterwegs jemand begegnen: Niemand merkte, dass<br />

<strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Passanten ein Affe war.<br />

Eine tolle Fahrt<br />

Die Ermordung <strong>de</strong>s greisen Russen Michael Sabrov,<br />

<strong>de</strong>r keinerlei Freun<strong>de</strong> und Verwandte hinterließ,<br />

durch seinen großen dressierten Affen war eine<br />

Sensation. die ein paar Tage in allen Zeitungen lebhaft<br />

erörtert wur<strong>de</strong>.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 36 von 271


Lord Greystoke las natürlich auch von <strong>de</strong>r Sache, und<br />

während er beson<strong>de</strong>re Vorkehrungen dafür traf, dass<br />

sein Name keinesfalls irgendwie in unmittelbaren<br />

Zusammenhang mit dieser Affäre gebracht wur<strong>de</strong>,<br />

hielt er sich ständig bei <strong>de</strong>r Polizei über das Ergebnis<br />

<strong>de</strong>r Nachforschungen nach <strong>de</strong>m Verbleib <strong>de</strong>s<br />

Menschenaffen auf <strong>de</strong>m laufen<strong>de</strong>n.<br />

Allgemein bekannt war, dass er sich bei <strong>de</strong>r ganzen<br />

Angelegenheit in erster Linie nur für das rätselhafte<br />

Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mör<strong>de</strong>rs interessierte, wenigstens<br />

so lange, bis er einige Tage nach <strong>de</strong>r Tragödie erfuhr,<br />

dass sein <strong>Sohn</strong> Jack nicht nach Dover zur Schule<br />

zurückgekehrt sei, wohin man ihn doch mit jenem<br />

Nachmittagszuge sicher unterwegs geglaubt hatte.<br />

Aber selbst dann konnte sich <strong>de</strong>r Vater das<br />

Verschwin<strong>de</strong>n seines <strong>Sohn</strong>es nicht so erklären, dass er<br />

irgendwie mit <strong>de</strong>m mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

wahrscheinlichen Gerüchten über das Wo und, Wohin<br />

<strong>de</strong>s Affen auf einer Linie lag. Nach einem Monat<br />

hatten in<strong>de</strong>ssen sorgfältige Nachforschungen das<br />

Dunkel schon mehr gelichtet: Es stand fest, dass <strong>de</strong>r<br />

Junge <strong>de</strong>n Zug noch vor <strong>de</strong>r Abfahrt von <strong>de</strong>r Londoner<br />

Station verlassen hatte. Man hatte schließlich auch <strong>de</strong>n<br />

Droschkenkutscher herausbekommen, <strong>de</strong>r ihn nach<br />

<strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>s alten Russen gefahren, und so kam<br />

<strong>de</strong>r Affen-Tarzan <strong>de</strong>nn auch zu <strong>de</strong>r Überzeugung, dass<br />

Akut irgendwie etwas mit <strong>de</strong>m Verschwin<strong>de</strong>n Jacks zu<br />

tun haben musste .<br />

Am Tage nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> Alexei Pawlowitschs hatte<br />

sich ein Junge in Begleitung seiner kränklichen<br />

Großmutter eingeschifft. Die alte Dame war dicht<br />

verschleiert und musste , da sie durch allerlei<br />

Altersbeschwer<strong>de</strong>n und Krankheiten zu sehr<br />

geschwächt war, in einem Krankenfahrstuhl an Bord<br />

<strong>de</strong>s Schiffes gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Junge schob <strong>de</strong>n Fahrstuhl selbst und dul<strong>de</strong>te<br />

keinerlei Unterstützung. Mit eigenen Hän<strong>de</strong>n war er<br />

ihr auch beim Verlassen <strong>de</strong>s Fahrstuhls behilflich und<br />

geleitete sie fürsorglich in die gemeinsame Kabine:<br />

Dies war übrigens das einzige Mal, dass Personal und<br />

Passagiere <strong>de</strong>s Dampfers die alte Dame zu sehen<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

bekamen, ehe sich bei<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r ausschifften; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

Junge ließ es sich auch nicht nehmen, alle Arbeiten,<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 37 von 271


die an sich <strong>de</strong>m Kabinensteward zufielen, selbst zu<br />

erledigen, da, wie er angab, seine Großmutter unter<br />

schweren nervösen Anfällen litt, die sich in Gegenwart<br />

Frem<strong>de</strong>r nur verschlimmerten und für sie<br />

verhängnisvoll wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

Was <strong>de</strong>r Junge in seiner Kabine trieb, wußte niemand<br />

an Bord. War er nicht dort, führte er sich je<strong>de</strong>nfalls<br />

wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re gesun<strong>de</strong> und normale englische<br />

Junge auf. Er knüpfte Bekanntschaften mit <strong>de</strong>n<br />

übrigen Passagieren an, war bald bei <strong>de</strong>n Offizieren<br />

<strong>de</strong>s Dampfers sehr beliebt und schloss mit mehreren<br />

einfachen Matrosen Freundschaft. Er war bisweilen<br />

freigiebig, trug ein natürliches, offenes Wesen zur<br />

Schau und hatte im übrigen noch jenen feinen Hauch<br />

einer gewissen Wür<strong>de</strong> und Selbstbeherrschung an<br />

sich, <strong>de</strong>r ihm die Achtung und Zuneigung seiner<br />

vielen neuen Bekannten sicherte.<br />

Unter <strong>de</strong>n Passagieren befand sich auch ein<br />

Amerikaner namens Condon, ein bekannter<br />

Falschspieler und Hochstapler, <strong>de</strong>r von min<strong>de</strong>stens<br />

einem halben Dutzend größerer amerikanischer Städte<br />

steckbrieflich verfolgt wur<strong>de</strong>. Er hatte <strong>de</strong>n Knaben<br />

anfangs wenig beachtet, doch än<strong>de</strong>rte sich dies als er<br />

ihn eines Tages zufällig beobachtete, wie er ein<br />

Bün<strong>de</strong>l Banknoten zählte. Von diesen Augenblick an<br />

suchte er öfters mit <strong>de</strong>m jungen Briten<br />

zusammenzukommen. Er brachte leicht heraus, dass<br />

<strong>de</strong>r Junge allein mit seiner kranken Großmutter reiste,<br />

und dass sein Ziel ein kleiner Hafen an <strong>de</strong>r Westküste<br />

war; ferner, dass er Billings hieß, und dass die bei<strong>de</strong>n<br />

in <strong>de</strong>r kleinen Kolonie, nach <strong>de</strong>r sie reisten, keine<br />

Freun<strong>de</strong> und Bekannten hatten. Als Condon dann<br />

noch nach <strong>de</strong>m eigentlichen Zweck <strong>de</strong>r Reise fragte,<br />

schwieg sich <strong>de</strong>r junge Englän<strong>de</strong>r völlig aus und ließ<br />

auch nicht weiter in sich dringen. Condon seinerseits<br />

war klug genug, die Sache nicht auf die Spitze zu<br />

treiben; er hatte auch schließlich alles erfahren, was er<br />

zunächst wissen wollte.<br />

Eines Tages ging <strong>de</strong>r Dampfer am Fuße eines<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

bewal<strong>de</strong>ten Vorgebirges vor Anker. Wie ein hässlicher<br />

Schandfleck auf <strong>de</strong>m schönen verlocken<strong>de</strong>n Antlitz <strong>de</strong>r<br />

Natur wirkten die zwanzig o<strong>de</strong>r mehr Häuser mit ihren<br />

Wellblechdächern und schrieen es <strong>de</strong>n Ankommen<strong>de</strong>n<br />

gleichsam entgegen, dass die Zivilisation mit ihren<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 38 von 271


Errungenschaften dort ihr grelles Banner aufgerichtet<br />

hatte. Etwas abseits lagen die strohbe<strong>de</strong>ckten Hütten<br />

<strong>de</strong>r Eingeborenen, malerisch in ihrer Einfachheit und<br />

geboren aus <strong>de</strong>r Urgewalt <strong>de</strong>r Wildnis, wun<strong>de</strong>rbar in<br />

ihrer Harmonie mit <strong>de</strong>m Tropenurwald im<br />

Hintergrund, und in grellem Gegensatz zu <strong>de</strong>n<br />

abstoßend hässlichen Bauwerken <strong>de</strong>r weißen<br />

Kolonisten! Der Junge beugte sich über die Reling.<br />

Seine Blicke schweiften weit hinweg über die kleine<br />

Ansiedlung, dieses nur von Menschenhand hervor<br />

gestampfte Machwerk, weit hinaus in die Dschungel,<br />

die Gott gebaut. Ein eigenartiges Gefühl beschlich ihn<br />

in diesem Augenblick, ein leichter Schauer rann ihm<br />

<strong>de</strong>n Rücken hinab und dann sah er - ganz ohne dass er<br />

es gewollt hätte - auf einmal die lieben<strong>de</strong>n Augen<br />

seiner Mutter vor sich und das strenge Antlitz seines<br />

Vaters, das aber trotz einer gewissen männlichen<br />

Härte und Geschlossenheit keine geringere Liebe<br />

wi<strong>de</strong>rspiegelte. Er fühlte, wie er selbst mit einem Male<br />

schwankend und unschlüssig wur<strong>de</strong> ...<br />

Nicht weit von ihm stand ein Schiffsoffizier und rief<br />

mit dröhnen<strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>r nahen<strong>de</strong>n Bootsflottille<br />

allerhand Befehle zu; <strong>de</strong>nn die Eingeborenen kamen,<br />

um <strong>de</strong>n für diesen kleinen Hafen bestimmten Teil <strong>de</strong>r<br />

Schiffsladung zu löschen. Wann legt <strong>de</strong>r nächste<br />

Dampfer nach England hier an? fragte <strong>de</strong>r Junge.<br />

Der "Emanuel" muss bald vorbeikommen. Ich nahm<br />

eigentlich an, wir wür<strong>de</strong>n ihm hier begegnen, gab <strong>de</strong>r<br />

Offizier zur Antwort und fuhr sogleich fort, das -wüste<br />

Durcheinan<strong>de</strong>r, das auf <strong>de</strong>n Fluten immer näher an<br />

<strong>de</strong>n Dampfer heran schaukelte, zu entwirren und<br />

richtig zu dirigieren.<br />

Es war eine äußerst schwierige Aufgabe, die<br />

Großmutter <strong>de</strong>s Jungen von Bord <strong>de</strong>s Dampfers in ein<br />

bereitliegen<strong>de</strong>s Boot hinabzubeför<strong>de</strong>rn. Der Junge<br />

hielt sich an Bord ständig an ihrer Seite und ließ sich<br />

von nieman<strong>de</strong>m helfen. Erst als sie schließlich unten<br />

im Boot, das sie an Land bringen sollte, sicher<br />

geborgen war, kletterte <strong>de</strong>r Enkel, gewandt wie eine<br />

Katze zu ihr hinab. So sehr hatte er sich bemüht, ihr<br />

alle Unbequemlichkeiten zu erleichtern, dass er nicht<br />

einmal auf das kleine Paket acht gab, das schon aus<br />

seiner Tasche herausgerutscht war, während er mit<br />

zugriff, um die alte Dame auf einem mit Seilen<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 39 von 271


verknüpften Sitz über die Reling ins Boot<br />

hinabzulassen. Er merkte es auch nicht, als das<br />

Päckchen ganz heraus glitt und ins Wasser fiel.<br />

Kaum war das Boot mit <strong>de</strong>m Jungen und <strong>de</strong>r alten<br />

Dame nach <strong>de</strong>m Stran<strong>de</strong> unterwegs, als Condon sich<br />

auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Schiffes einen Eingeborenen<br />

mit seinem Kanu heranrief. Nach<strong>de</strong>m er sich mit <strong>de</strong>m<br />

Manne über <strong>de</strong>n Preis geeinigt, ließ er sein Gepäck<br />

hinab und folgte selber.<br />

Einmal an Land, beobachtete er aus einiger<br />

Entfernung <strong>de</strong>n hässlichen zweistöckigen Bau, <strong>de</strong>r<br />

sich mit <strong>de</strong>r hochtraben<strong>de</strong>n Bezeichnung "Hotel"<br />

geschmückt hatte, um arglose Reisen<strong>de</strong> auf seine<br />

zahllosen Unbequemlichkeiten und so weiter<br />

hereinfallen zu lassen. Erst als es bereits völlig dunkel<br />

war, wagte er hineinzugehen und sich seine<br />

Unterkunft zu sichern.<br />

In einem nach rückwärts gelegenen Zimmer im<br />

zweiten Stock erklärte <strong>de</strong>r Junge seiner "Großmutter"<br />

- allerdings nicht ohne beträchtliche Schwierigkeiten -<br />

dass er sich entschlossen habe, mit <strong>de</strong>m nächsten<br />

Dampfer nach England zurückzukehren. Er gab sich<br />

dabei die größte Mühe, um <strong>de</strong>r alten Dame begreiflich<br />

zu machen, dass sie in Afrika bleiben könne, sofern sie<br />

dies wünsche. Ihn für seine Person zwinge je<strong>de</strong>nfalls<br />

sein Gewissen, sich zu Vater und Mutter<br />

zurückzubegeben; <strong>de</strong>nn bei<strong>de</strong> Eltern grämten sich<br />

zweifellos jetzt bitterlich, weil er ihnen<br />

durchgegangen sei, woraus zu entnehmen ist, dass<br />

seine Eltern nicht in die Pläne eingeweiht waren, die<br />

ihn und die alte Dame zu ihrer abenteuerlichen Reise<br />

in die afrikanische Wildnis geführt hatten.<br />

Schließlich waren die bei <strong>de</strong>n doch einig gewor<strong>de</strong>n;<br />

<strong>de</strong>m Jungen war es gleich ganz an<strong>de</strong>rs zumute, und die<br />

quälen<strong>de</strong>n Gedanken wichen, die ihn manche<br />

schlaflose Nacht wie böse Geister gepeinigt hatten.<br />

Und als sich seine Augen heute zum Schlummer<br />

schlossen, träumte er von einem glücklichen<br />

Wie<strong>de</strong>rsehen mit <strong>de</strong>n Seinen daheim. Doch während<br />

ihm diese Träume ihre trügerischen Bil<strong>de</strong>r<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

vorgaukelten, nahte auf <strong>de</strong>m dunklen Korridor <strong>de</strong>s<br />

schmutzigen "Hotels", in <strong>de</strong>m er schlief, heimlich<br />

und auf leisen Sohlen, grausam und unerbittlich das<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 40 von 271


Verhängnis, das Verhängnis in Gestalt <strong>de</strong>s<br />

amerikanischen Hochstaplers Condon.<br />

Behutsam schlich sich <strong>de</strong>r Mann an die Zimmertür,<br />

presste sich mit <strong>de</strong>m Ohr dicht heran und horchte so<br />

lange, bis ihn die tiefen regelmäßigen Atemzüge<br />

drinnen davon überzeugten, dass die bei<strong>de</strong>n fest<br />

schliefen. Ruhig steckte er dann einen schmalen<br />

Schlüssel in das Schlüsselloch, drehte ihn mit<br />

außeror<strong>de</strong>ntlicher Fingerfertigkeit im Schloss herum<br />

und drückte gleichzeitig die Klinke nie<strong>de</strong>r. Je<strong>de</strong>r hätte<br />

ohne weiteres gesehen, dass Condon solch heimliche<br />

"Bearbeitung" von Schloss und Riegel, hinter <strong>de</strong>nen<br />

sich Hab und Gut seiner Mitmenschen sicherte, lange<br />

gewohnt war. Ein leichter Druck gegen die Tür und<br />

sie glitt langsam in <strong>de</strong>n Angeln nach innen. Der Mann<br />

trat ein und schloss die Tür hinter sich. Draußen<br />

schien <strong>de</strong>r Mond, doch war er von Zeit zu Zeit von<br />

schweren schwarzen Wolken verhüllt. So auch jetzt:<br />

Im Zimmer herrschte nahezu völlige Dunkelheit.<br />

Condon tastete sich nach <strong>de</strong>m Bett hin, in<strong>de</strong>ssen sich<br />

in einer entfernten Ecke <strong>de</strong>s Zimmers etwas an<strong>de</strong>res<br />

bewegte, ganz leise und noch viel vorsichtiger, als es<br />

<strong>de</strong>m gewerbsmäßigen Einbrecher trotz aller seiner<br />

Routine gelang. Condon hörte nichts davon. Seine<br />

ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf das Bett, in<br />

<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n jungen Englän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>ssen hilflose,<br />

gebrechliche Großmutter vermutete.<br />

Der Amerikaner wollte auch nur das Bün<strong>de</strong>l<br />

Banknoten. Konnte er es an sich reißen, ohne dass<br />

man erst auf ihn aufmerksam wur<strong>de</strong>, sollte es ihm<br />

recht sein. Wenn <strong>de</strong>r Junge Wi<strong>de</strong>rstand leistete, auch<br />

gut. Er hatte sich auf alles gerüstet. Anzug und<br />

Unterkleidung <strong>de</strong>s Jungen lagen auf einem Stuhl<br />

neben <strong>de</strong>m Bett. Der Amerikaner wühlte die Sachen<br />

rasch durch: In" <strong>de</strong>n Taschen war nichts von einem<br />

Bün<strong>de</strong>l neuer Banknoten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rgleichen zu<br />

ent<strong>de</strong>cken. Der Junge hatte es zweifellos unter <strong>de</strong>n<br />

Kopfkissen versteckt, und so trat er näher an <strong>de</strong>n<br />

ahnungslos Schlafen<strong>de</strong>n. Eine Hand hatte sich schon<br />

halb unter das Kopfkissen geschoben, als die große<br />

schwarze Wolke, die sich vor <strong>de</strong>n Mond gelagert hatte,<br />

beiseite glitt: Helles Licht flutete in das Zimmer. Der<br />

Junge schlug im gleichen Moment seine Augen auf und<br />

blickte Condon gera<strong>de</strong> ins Gesicht. Der Mann<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 41 von 271


erkannte sofort, dass <strong>de</strong>r Junge allein in <strong>de</strong>m Bett lag<br />

und krallte seine Finger um <strong>de</strong>n Hals seines Opfers.<br />

Der Junge richtete sich in<strong>de</strong>ssen in die Höhe, um sich<br />

zu wehren. Condon hörte in seinem Rücken ein<br />

dumpfes Brummen, dann riss ihn <strong>de</strong>r Junge an <strong>de</strong>n<br />

Handgelenken herum und bewies ihm damit <strong>de</strong>utlich,<br />

dass sich unter seinen schmalen blassen Fingern<br />

Muskeln von Stahl verbargen.<br />

Und noch ein paar Hän<strong>de</strong> grapschten nach ihm, raue,<br />

behaarte Hän<strong>de</strong>. über seine Schulter kamen sie von<br />

hinten heran und langten nach seinem Halse. Condon<br />

warf einen entsetzten Blick rückwärts, die Haare<br />

stan<strong>de</strong>n ihm zu Berge, wie er ein riesig~s<br />

menschenähnliches Affenungetüm im Angriff dicht<br />

hinter sich gewahrte. Die weit geöffneten Fänge <strong>de</strong>s<br />

Menschenaffen musste n ihm im nächsten Augenblick<br />

seine Kehle umschnüren, <strong>de</strong>r Junge hielt ihn an <strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n wie mit eisernen Klammern gefesselt, keiner<br />

von bei<strong>de</strong>n gab einen Ton von sich. Wo war <strong>de</strong>nn die<br />

Großmutter? Mit einem einzigen Blick suchte er das<br />

Zimmer bis in alle seine Winkel ab, und seine Augen<br />

traten ihm vor Entsetzen fast aus <strong>de</strong>n Höhlen, wie ihm<br />

in jenem verzweifelten Moment ein Licht über die<br />

wahren Zusammenhänge aufging. Was waren das für<br />

furchtbare, unheimliche Wesen, in <strong>de</strong>ren Gewalt er<br />

sich ahnungslos gestürzt hatte! Wie ein Rasen<strong>de</strong>r<br />

wehrte er sich jetzt. Es galt erst einmal <strong>de</strong>n<br />

verdammten Jungen abzuschütteln, damit er dann mit<br />

voller Wucht auf das schreckliche Tier hinter seinem<br />

Rücken losgehen könne. Eine Hand hatte er schon<br />

frei, ein heftiger Schlag traf <strong>de</strong>n Jungen ins Gesicht.<br />

Doch damit hatte er seine Lage nur verschlimmert: Es<br />

schien, als sei das struppige Ungetüm mit einem Male<br />

von tausend Teufeln besessen. Wütend würgte es ihn<br />

am Halse, Condon hörte noch ein tiefes wil<strong>de</strong>s<br />

Brummen ... und das war auch das Letzte, was er in<br />

seinem Leben hörte. Er wur<strong>de</strong> nach rückwärts auf <strong>de</strong>n<br />

Bo<strong>de</strong>n herab gezerrt, ein schwerer Körper wälzte sich<br />

auf ihn nie<strong>de</strong>r, mächtige Zähne bohrten sich in seine<br />

Schlaga<strong>de</strong>r und seine Seele wirbelte hinüber in die<br />

schwarze Nacht am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ewigkeit. Im nächsten<br />

Augenblick erhob sich <strong>de</strong>r Affe. Langhingestreckt lag<br />

sein Opfer vor ihm doch Condon wußte nichts mehr<br />

davon, er war tot.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 42 von 271


Der Junge sprang entsetzt aus <strong>de</strong>m Bett und beugte<br />

sich über <strong>de</strong>n Körper <strong>de</strong>s Fremdlings. Er wußte wohl,<br />

dass Akut damals Michael Sabrov in <strong>de</strong>r Notwehr<br />

getötet hatte; doch was wür<strong>de</strong> man hier mit ihm und<br />

seinem getreuen Affen machen, wenn man dies erfuhr?<br />

Hier im wil<strong>de</strong>n Afrika, weit weg von daheim und von<br />

<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n? Der Junge wußte, dass auf Mord die<br />

To<strong>de</strong>sstrafe stand, er wußte auch, dass mit <strong>de</strong>m Täter<br />

<strong>de</strong>r Helfershelfer <strong>de</strong>m gleichen Schicksal verfallen<br />

war. Wer sollte hier Zeuge sein, wer sollte sie bei<strong>de</strong><br />

verteidigen? Alles, alles wür<strong>de</strong> gegen sie sprechen.<br />

Die Leute hier waren kaum mehr als halbzivilisiert zu<br />

nennen, es war nichts an<strong>de</strong>res zu erwarten, als dass<br />

man ihn und Akut bei Morgengrauen hinaus vor die<br />

Stadt schleppte und sie bei<strong>de</strong> am ersten besten Baum<br />

aufknüpfte. Oft hatte er gelesen, dass man es in<br />

Amerika so machte, und in Afrika? Hier ging es sicher<br />

nur noch schlimmer und grausamer zu als im großen<br />

Westen, <strong>de</strong>r Heimat seiner Mutter. Ja, man wür<strong>de</strong> sie<br />

bei<strong>de</strong> eines Morgens hängen! Gab es <strong>de</strong>nn kein<br />

Entrinnen? Er dachte ein paar Minuten ruhig nach,<br />

dann rieb er mit einem Ausruf <strong>de</strong>r Erleichterung die<br />

Hän<strong>de</strong> und griff nach seinem Anzug auf <strong>de</strong>m Stuhle.<br />

Das Geld! Ja, mit Geld wür<strong>de</strong> noch etwas zu machen<br />

sein. Das Geld wür<strong>de</strong> ihn und Akut retten! Er wollte<br />

das Bün<strong>de</strong>l Banknoten aus <strong>de</strong>r Tasche ziehen, in <strong>de</strong>r er<br />

es gewöhnlich trug: es war nicht mehr darin! Erst<br />

suchte er bedächtig in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Taschen, doch von<br />

Sekun<strong>de</strong> zu Sekun<strong>de</strong> steigerte sich seine Unruhe. Fast<br />

wie ein Wahnsinniger rutschte er dann auf Hän<strong>de</strong>n<br />

und Knien im Zimmer herum und tastete <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n<br />

ab. Er machte sich Licht, rückte das Bett beiseite und<br />

suchte Zentimeter für Zentimeter <strong>de</strong>n ganzen Raum<br />

ab. Da lag Condon. Der Knabe zögerte, es war ihm<br />

zuwi<strong>de</strong>r, ihn anzurühren. Doch schließlich riss er sich<br />

zusammen und zog die Leiche beiseite. Auch da war<br />

nichts von <strong>de</strong>m Geld zu sehen. Ihm kam jetzt <strong>de</strong>r<br />

Gedanke, dass Condon eingedrungen sein konnte, um<br />

ihn zu berauben; doch konnte er nicht glauben, dass<br />

<strong>de</strong>r Mann schon genug Zeit gehabt hatte, sich <strong>de</strong>s<br />

Gel<strong>de</strong>s zu bemächtigen. In<strong>de</strong>ssen - sonst war es<br />

nirgends zu fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Tote musste es also schon bei<br />

sich verstaut haben. Jack visitierte die Klei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Amerikaners. Vergeblich! Immer und immer wie<strong>de</strong>r<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 43 von 271


stand er auf, durchsuchte das Zimmer von neuem, und<br />

je<strong>de</strong>s mal kehrte er wie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>r Leiche <strong>de</strong>s<br />

Fremdlings zurück. Das Geld war und blieb<br />

verschwun<strong>de</strong>n.<br />

Er war <strong>de</strong>r völligen Verzweiflung nahe. Was sollten sie<br />

<strong>de</strong>nn nun tun? Am Morgen wür<strong>de</strong> man sie aufgreifen<br />

und einfach töten. Gewiss, er war ein kluger und<br />

stämmiger Bursche, <strong>de</strong>m viele benei<strong>de</strong>nswerte<br />

Eigenschaften von seinen Eltern her gleichsam im<br />

Blute lagen: Doch jetzt, nach alle<strong>de</strong>m, war er<br />

schließlich nicht viel mehr wie ein kleiner Junge, ein<br />

kleiner Junge, <strong>de</strong>n Furcht lind Heimweh gepackt<br />

haben, und <strong>de</strong>r alles vom Standpunkt seiner spärlichen<br />

Jugen<strong>de</strong>rfahrung aus beurteilt.<br />

Er sah alles nur von <strong>de</strong>r einen offenkundigen Tatsache<br />

aus an, dass sie einen Menschen getötet hatten.<br />

Außer<strong>de</strong>m waren sie mitten unter halbwil<strong>de</strong>n frem<strong>de</strong>n<br />

Leuten, <strong>de</strong>nen nicht viel Verständnis für seine<br />

beson<strong>de</strong>re Lage zuzutrauen war. Das und Ähnliches<br />

mehr hatte er sich aus allerlei Schauerromanen<br />

zusammengelesen, das waren seine "Erfahrungen".<br />

Geld brauchten sie bei<strong>de</strong>, sie musste n das Geld<br />

wie<strong>de</strong>r haben!<br />

Er beugte sich wie<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Toten. Diesmal wollte<br />

er aber rücksichtslos und entschlossen vorgehen! Der<br />

Affe hockte in einer Zimmerecke und folgte je<strong>de</strong>r<br />

Bewegung <strong>de</strong>s Jungen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Amerikaner ein<br />

Kleidungsstück nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren auszog und Stück<br />

für Stück minutenlang visitierte. Sogar die Schuhe<br />

durchsuchte er mit peinlicher Sorgfalt und, als er <strong>de</strong>m<br />

Toten auch das Letzte vom Leibe gezogen hatte, warf<br />

er sich aufs Bett. Er schien fast <strong>de</strong>n Verstand zu<br />

verlieren, seine Augen starrten weit geöffnet ins<br />

Leere ... und doch auch wie<strong>de</strong>r nicht. Ein grässliches<br />

Bild stand vor seinem Innern, das war das, was<br />

kommen musste .<br />

Wie lange er so dagesessen hatte, wußte er nicht, als<br />

ihn schließlich ein Geräusch im ersten Stock unten<br />

aufscheuchte. Er sprang rasch auf seine Beine, blies<br />

die Lampe aus, eilte leise zur Tür und schloss sie von<br />

innen. Dann wandte er sich zu <strong>de</strong>m Affen; er war<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

inzwischen zu einem an<strong>de</strong>ren Entschluss gekommen.<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 44 von 271


Gestern Abend war er noch <strong>de</strong>r Ansicht gewesen, dass<br />

es das Beste sei, bei nächster Gelegenheit nach <strong>de</strong>r<br />

Heimat zurückzureisen und seine Eltern um<br />

Verzeihung dieses tollen Abenteuers zu bitten. Jetzt<br />

hatte er das Gefühl, dass er nie wie<strong>de</strong>r nach Hause<br />

kommen wür<strong>de</strong>. Das Blut eines Mitmenschen klebte an<br />

seinen Hän<strong>de</strong>n, ja an seinen Hän<strong>de</strong>n, wie er sich nun<br />

schon fest eingere<strong>de</strong>t hatte. Die gera<strong>de</strong>zu krankhaften<br />

Vorstellungen, die in <strong>de</strong>n letzten Stun<strong>de</strong>n sein Hirn<br />

durchwühlt, hatten ihre Arbeit getan. Er war jetzt<br />

soweit: Nicht <strong>de</strong>r Affe hatte Condon umgebracht.<br />

Nein, in seinen Schreckensnöten und in seiner<br />

Verwirrung legte er die ganze Schuld sich allein zur<br />

Last. Hätte er sein Geld noch, wür<strong>de</strong> er sich vielleicht<br />

<strong>de</strong>n Freispruch erkaufen können. Aber so, nicht einen<br />

Penny in <strong>de</strong>r Tasche? Was sollten Frem<strong>de</strong> hier ohne<br />

Geld in dieser Lage noch zu erhoffen haben?<br />

Wo das Geld nur war? Er suchte sich in die<br />

Erinnerung zurückzurufen, wann er das Bün<strong>de</strong>l<br />

Banknoten zum letzten mal gesehen. Doch er konnte<br />

sich an nichts entsinnen, und selbst wenn er es<br />

gekonnt hätte, wür<strong>de</strong> er sich unmöglich über das<br />

Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Päckchens klar gewor<strong>de</strong>n sein;<br />

<strong>de</strong>nn er hatte eben keine Ahnung davon, dass es ihm<br />

aus <strong>de</strong>r Tasche gerutscht und ins Meer gefallen war,<br />

als er sich über die Reling <strong>de</strong>s Dampfers schwang und<br />

in. das bereitstehen<strong>de</strong> Boot kletterte.<br />

Komm! wandte er sich an Akut in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r<br />

Menschenaffen. Er dachte gar nicht mehr daran, dass<br />

er nur einen leichten Schlafanzug trug, als er zum<br />

offenen Fenster ging, seinen Kopf hinaus steckte und<br />

gespannt in die Nacht hinaus horchte. Nicht weit vom<br />

Fenster entfernt streckte ein einzelstehen<strong>de</strong>r Baum<br />

seine Äste nach oben. Behänd sprang <strong>de</strong>r Junge<br />

hinüber, klammerte sich einen Augenblick katzenartig<br />

dicht am Stamme fest, wie wenn er erst sehen müsste,<br />

ob irgendwie Gefahr drohe, und kletterte dann ruhig<br />

abwärts. Dicht nach ihm kam <strong>de</strong>r große Affe. In etwa<br />

zweihun<strong>de</strong>rt Meter Entfernung berührte ein schmaler<br />

Ausläufer <strong>de</strong>r Dschungel die Siedlung mit ihren<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

verstreut liegen<strong>de</strong>n Häusern, und dorthin lenkte <strong>de</strong>r<br />

junge Englän<strong>de</strong>r seine Schritte. Niemand mochte die<br />

bei<strong>de</strong>n sehen, wie sie hinüber schlichen; im nächsten<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 45 von 271


Augenblick schon tauchten sie in <strong>de</strong>r Dschungel<br />

unter:<br />

Der kleine Jack, <strong>de</strong>r künftige Lord Greystoke, war<br />

<strong>de</strong>m Gesichtskreis <strong>de</strong>r zivilisierten Welt entrückt.<br />

Es war schon spät am an<strong>de</strong>rn Morgen, als <strong>de</strong>r<br />

Hausdiener, ein Eingeborener, an die Tür <strong>de</strong>s<br />

Zimmers klopfte, das man Mr. Billings und <strong>de</strong>ssen<br />

Großmutter zugewiesen hatte. Da er keine Antwort<br />

erhielt, wollte er mit <strong>de</strong>m Hauptschlüssel öffnen; doch<br />

stellte es sich sofort heraus, dass bereits ein an<strong>de</strong>rer<br />

Schlüssel, und zwar von innen her, im Schloss steckte.<br />

Er berichtete dies <strong>de</strong>m Besitzer <strong>de</strong>s Hotels, einem<br />

gewissen Herrn Skopf, <strong>de</strong>r sogleich mit nach <strong>de</strong>m<br />

zweiten Stock hinaufging und kräftig an <strong>de</strong>r<br />

Zimmertür trommelte. Auch diesmal kam keine<br />

Antwort. Er bückte sich und versuchte, ob er irgend<br />

etwas durch das Schlüsselloch erkennen könne. Dabei<br />

verlor er das Gleichgewicht, was bei seiner starken<br />

Figur nicht zu verwun<strong>de</strong>rn war, doch konnte er sich<br />

wenigstens gera<strong>de</strong> noch mit einer Ha~d auf <strong>de</strong>n<br />

Bo<strong>de</strong>n stützen. Er fühlte an seinen Fingern etwas<br />

Weiches, so wie wenn ihnen mit einem Male eine<br />

dicke Flüssigkeit anhaftete, hob die Hand dicht vor<br />

die Augen und suchte, so gut es im Halbdunkel <strong>de</strong>s<br />

Korridors möglich war, das neue Rätsel zu lösen. Ein<br />

Schau<strong>de</strong>r durchlief ihn, als er tiefdunkles Blut an<br />

seiner Hand gewahrte. Er sprang auf und stemmte sich<br />

mit seinem Oberkörper gegen die Tür. Herr Skopf ist<br />

ein starker, stattlicher Mann - o<strong>de</strong>r er war es damals<br />

wenigste~s, <strong>de</strong>nn ich habe ihn ein paar Jahre nicht<br />

wie<strong>de</strong>rgesehen. Die schwache Tür gab je<strong>de</strong>nfalls unter<br />

<strong>de</strong>r Wucht dieses Druckes nach, und Herr Skopf<br />

stürzte<br />

kopfüber nach innen.<br />

Vor ihm lag das größte Geheimnis seines Lebens: Da<br />

war die Leiche eines ihm völlig unbekannten Mannes.<br />

Das Genick war gebrochen, die Schlaga<strong>de</strong>r<br />

durchgebissen, wie wenn sich die reißen<strong>de</strong>n Zähne<br />

eines wil<strong>de</strong>n Tieres hineingegraben hätten. Der<br />

Körper war splitternackt, die Klei<strong>de</strong>r lagen<br />

ringsherum auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n verstreut. Die alte Dame<br />

und <strong>de</strong>ren Enkel waren verschwun<strong>de</strong>n, das Fenster<br />

weit geöffnet. Sie musste n also durch das Fenster<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 46 von 271


entkommen sein, <strong>de</strong>nn die Tür war ja von innen<br />

verschlossen gewesen.<br />

Aber wie sollte <strong>de</strong>r Junge seine alte kranke<br />

Großmutter so aus <strong>de</strong>m zweiten Stock hinunter<br />

gebracht haben? Nein, das war doch zu albern, so<br />

etwas überhaupt anzunehmen. Herr Skopf<br />

durchsuchte das kleine Zimmer, er bemerkte, dass das<br />

Bett von <strong>de</strong>r Wand abgerückt war. Und warum? Zum<br />

dritten o<strong>de</strong>r vierten Male blickte er nun unter das<br />

Bett. Es blieb dabei:<br />

Die bei<strong>de</strong>n hatten sich aus <strong>de</strong>m Staube gemacht, und<br />

doch sagte ihm sein gesun<strong>de</strong>r Menschenverstand, dass<br />

die alte Dame unmöglich ohne Träger<br />

hinuntergekommen sein konnte; man hatte sie ja auch<br />

gestern herauftragen müssen.<br />

Die weiteren Nachforschungen bereiteten nur immer<br />

dichtere Schleier über das große Geheimnis. Man fand<br />

sämtliche Kleidungsstücke <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n noch im<br />

Zimmer. Sie musste n sich also nackt o<strong>de</strong>r in ihren<br />

Nachtgewän<strong>de</strong>rn davongemacht haben.<br />

Das Ganze war Herrn Skopf ein großes Geheimnis und<br />

ist es zweifellos auch heute noch.<br />

Die kleine braune Meriem<br />

Der Hauptmann Armand Jacot von <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>nlegion<br />

saß auf seiner Sattel<strong>de</strong>cke, die er unter einer<br />

kümmerlichen Palme ausgebreitet hatte. Mit seinen<br />

breiten Schultern und <strong>de</strong>m fast glattrasierten Kopfe<br />

hatte er sich bequem an <strong>de</strong>n Stamm <strong>de</strong>r Palme gelehnt,<br />

seine langen Beine über die viel zu kurze Decke<br />

hinaus weit von sich gestreckt, die Sporen im<br />

Sandbo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r kleinen weltentlegenen Oase halb<br />

vergraben. Kein Wun<strong>de</strong>r, dass er es sich jetzt so<br />

gemütlich wie möglich machte, <strong>de</strong>nn er hatte einen<br />

langen anstrengen<strong>de</strong>n Ritt durch die Sandwogen <strong>de</strong>r<br />

Wüste hinter sich.<br />

Bedächtig und mit sichtlichem Behagen rauchte er<br />

seine Zigarette; er erwartete je<strong>de</strong>n Augenblick seine<br />

Ordonnanz, die ihm jetzt die Abendmahlzeit fertig<br />

machte. Hauptmann Armand Jacot war heute mit sich<br />

selbst und mit <strong>de</strong>r Welt sehr zufrie<strong>de</strong>n. Ein wenig<br />

rechts von ihm herrschte reges Leben und Treiben.<br />

Seine Leute, lauter sonnenverbrannte kampfer probte<br />

Soldaten, fühlten sich einmal frei von <strong>de</strong>n oft<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 47 von 271


drücken<strong>de</strong>n Fesseln <strong>de</strong>r strengen Disziplin, ihre<br />

mü<strong>de</strong>n Muskeln entspannten sich, man lachte,<br />

scherzte und rauchte, während man sich nach<br />

zwölfstündigem Fasten auch endlich wie<strong>de</strong>r einmal<br />

etwas für <strong>de</strong>n hungrigen Magen zubereiten konnte.<br />

Dort hockten außer<strong>de</strong>m völlig schweigsam und in sich<br />

versunken fünf Araber in weißen Gewän<strong>de</strong>rn. Sie<br />

waren stark gefesselt und ständig unter scharfer<br />

Bewachung.<br />

So oft Hauptmann Armand Jacot zu diesen seinen<br />

Gefangenen hinüberblickte, überkam ihn vor allem das<br />

wohlige Gefühl voll erfüllter Pflicht. Einen ganzen<br />

langen Monat hatte er mit seinem kleinen Trupp in<br />

furchtbarer Glut und unter großen Entbehrungen die<br />

weiten ö<strong>de</strong>n Wüstenflächen durchstreift, und endlich<br />

war ihnen nun die Räuber- und Mör<strong>de</strong>rban<strong>de</strong> ins Garn<br />

gegangen. Unzählige Kamele, Pfer<strong>de</strong> und Ziegen hatte<br />

die Maro<strong>de</strong>ure auf <strong>de</strong>m Gewissen und obendrein<br />

schändliche Mordtaten, die allein schon genügt<br />

hätten, um über die ganze unangenehme Gesellschaft<br />

<strong>de</strong>n Stab zu brechen.<br />

Vor einer Woche war man ihnen auf die Spur<br />

gekommen. Wohl hatte er im Kampf mit <strong>de</strong>n Banditen<br />

zwei seiner Leute verloren, aber die Strafe hatte nicht<br />

lange auf sich warten lassen und die ganze<br />

Gesellschaft nahezu aufgerieben. Nur ein halbes<br />

Dutzend mochte seinem rächen<strong>de</strong>n Arm entronnen<br />

sein, die an<strong>de</strong>ren - mit Ausnahme <strong>de</strong>r fünf Gefangenen<br />

- hatten ihre Taten mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> büßen müssen.<br />

Dafür hatten die Legionäre mit <strong>de</strong>n kleinen Stahl<br />

geschossen im Nickelmantel schon gesorgt. Und das<br />

Allerbeste: Der Rä<strong>de</strong>lsführer Achmet ben Haudin war<br />

gefangen.<br />

Von <strong>de</strong>n Gefangenen schweiften die Gedanken <strong>de</strong>s<br />

Hauptmanns Jacot in die Ferne. Er überlegte; über<br />

wie viele Meilen <strong>de</strong>r Ritt durch <strong>de</strong>n Wüstensand noch<br />

gehen musste , bis er wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m kleinen<br />

vorgeschobenen Standort anlangte. Morgen wür<strong>de</strong> es<br />

soweit sein, morgen wür<strong>de</strong>n ihm seine Frau und die<br />

kleine Tochter freu<strong>de</strong>strahlend aus <strong>de</strong>m Hause<br />

entgegenkommen und ihn willkommen heißen. In<br />

seine Augen trat ein feuchter Schimmer wie stets,<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

wenn er an die Seinen dachte; und er sah es jetzt sogar<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 48 von 271


schon ganz <strong>de</strong>utlich, wie sich das schöne Antlitz <strong>de</strong>r<br />

Mutter in <strong>de</strong>n noch kindlichen Zügen <strong>de</strong>r kleine<br />

Jeanne wi<strong>de</strong>rspiegelte, und wie bei<strong>de</strong> ihm strahlend<br />

zulächeln wür<strong>de</strong>n, wenn er sich morgen spät am<br />

Nachmittag von seinem mü<strong>de</strong>n Reitpferd herab<br />

schwänge. Er fühlte schon die weichen zarten<br />

Wangen, die sich an die seinen schmiegen wür<strong>de</strong>n,<br />

hier die Gattin und da die kleine Jeanne - - wie Samt<br />

auf Le<strong>de</strong>r.<br />

Plötzlich wur<strong>de</strong> er es seinen Träumen aufgescheucht.<br />

Ein Posten hatte <strong>de</strong>m Unteroffizier etwas laut<br />

zugerufen. Hauptmann Jacot blickte hinüber. Die<br />

Sonne war noch nicht untergegangen, aber die<br />

Schatten <strong>de</strong>r paar Bäume drängten sich gleichsam<br />

schon in <strong>de</strong>n Wassertümpel <strong>de</strong>r Oase hinein, während<br />

die seiner Leute samt <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Opfer sich weit<br />

hinaus über die jetzt goldglänzen<strong>de</strong> Sandfläche<br />

<strong>de</strong>hnten. Der Posten <strong>de</strong>utete nach dieser Richtung,<br />

Hauptmann Jacot stand auf. Er war nicht <strong>de</strong>r Mann<br />

danach, dass es ihm genügt hätte, mit <strong>de</strong>n Augen<br />

an<strong>de</strong>rer zu sehen. Er musste alles selber gesehen<br />

haben, ja für gewöhnlich ent<strong>de</strong>ckte er alles, lange<br />

bevor die an<strong>de</strong>ren überhaupt merkten, dass etwas zu<br />

sehen war. Diese außeror<strong>de</strong>ntliche Fähigkeit hatte<br />

ihm übrigens <strong>de</strong>n Spitznamen <strong>de</strong>r "Falke"<br />

eingetragen. Jetzt sah er - weit, weit hinaus über die<br />

langen Schatten - etwa ein Dutzend Pünktchen, die<br />

sich über <strong>de</strong>n Sandflächen hoben und senkten. Sie<br />

verschwan<strong>de</strong>n und tauchten wie<strong>de</strong>r auf, wur<strong>de</strong>n aber<br />

immer größer. Jacot erfaßte sofort, um was es sich da<br />

han<strong>de</strong>lte: Reiter waren das, richtige Wüstenreiter.<br />

Schon kam ein Sergeant zu Jacot herbeigeeilt. Die<br />

Leute blickten alle angestrengt nach <strong>de</strong>m fernen<br />

Horizont. Jacot gab ein paar knappe Befehle, <strong>de</strong>r<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Sergeant grüßte, machte kehrt und ging rasch zu <strong>de</strong>n<br />

Leuten zurück. Sogleich sattelten die zwölf Mann, die<br />

er bestimmt hatte, ihre Pfer<strong>de</strong>, schwangen sich hinauf<br />

und ritten <strong>de</strong>n nahen<strong>de</strong>n Fremdlingen entgegen. Der<br />

Rest <strong>de</strong>s Trupps machte sich fertig, um gegebenenfalls<br />

sofort in <strong>de</strong>n Kampf eingreifen zu können. Denn es<br />

war ja keineswegs ausgeschlossen, dass die Reiter, die<br />

in rasen<strong>de</strong>m Tempo auf das Lager zuhielten, Freun<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Gefangenen waren und die ihre Blutsverwandten<br />

durch einen plötzlichen Angriff befreien wollten. Jacot<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 49 von 271


ezweifelte dies in<strong>de</strong>ssen, da die Fremdlinge offenbar<br />

gar nicht erst <strong>de</strong>n Versuch machten, unbemerkt<br />

heranzukommen. Im Gegenteil, sie ritten in vollem<br />

Galopp und so, dass sie von je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utlich gesehen<br />

wer<strong>de</strong>n konnten, unmittelbar auf das Lager zu. Mochte<br />

sein, dass trotz<strong>de</strong>m o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb Verrat und<br />

Tücke hinter diesem Herannahen in anscheinend<br />

freundlicher Absicht lauerten. Wer in<strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>n<br />

"Falken" richtig kannte, wür<strong>de</strong> sich nie <strong>de</strong>r etwas<br />

fatalen Hoffnung hingegeben haben, dass Jacot sich je<br />

in solch eine Falle locken lassen könnte.<br />

Der Sergeant war mit seinen Reitern etwa zweihun<strong>de</strong>rt<br />

Meter vom Lager entfernt, als er auf die Araber stieß.<br />

Jacot konnte <strong>de</strong>utlich verfolgen, wie er mit einem<br />

großen Mann in weißem Gewan<strong>de</strong>, offenbar <strong>de</strong>m<br />

Führer <strong>de</strong>r Schar, verhan<strong>de</strong>lte. Bei<strong>de</strong> ritten schließlich<br />

Seite an Seite auf <strong>de</strong>n Lagerplatz zu, wo Jacot sie<br />

erwartete. Sie zogen die Zügel straff und stiegen vom<br />

Pfer<strong>de</strong>.<br />

Scheich Amor ben Khatur, mel<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Sergeant kurz<br />

und trat ab.<br />

Hauptmann Jacot blickte <strong>de</strong>m Ankömmling scharf in<br />

die Augen. Ihm war so ziemlich je<strong>de</strong>r einigermaßen<br />

einflussreiche Araber im Umkreis von ein paar<br />

hun<strong>de</strong>rt Meilen bekannt, doch <strong>de</strong>n da hatte er noch nie<br />

gesehen. Es war ein stattlicher, wettergebräunter<br />

Mann mit finster mürrischem Blick; er mochte sechzig<br />

Jahre o<strong>de</strong>r älter sein. Seine zusammengekniffenen<br />

Augen schienen nichts Gutes zu verheißen;<br />

Hauptmann Jacot hatte wenigstens sofort diesen<br />

Eindruck.<br />

Nun? fragte er. Was ist los?<br />

Der Araber machte keine langen Umschweife. Achmet<br />

ben Haudin ist <strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong> meiner Schwester, begann er.<br />

Wenn Sie ihn mir herausgeben, will ich ihn unter<br />

meine Obhut nehmen und dafür sorgen, dass er nie<br />

wie<strong>de</strong>r gegen die Gesetze <strong>de</strong>r Franken verstößt.<br />

Jacot schüttelte <strong>de</strong>n Kopf. Unmöglich, erwi<strong>de</strong>rte er.<br />

Ich muss ihn nach meinem Standort schaffen. Ein<br />

beson<strong>de</strong>res Zivilgericht wird über die ganze Sache zu<br />

befin<strong>de</strong>n haben. Ist er unschuldig, wird man ihn<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

freilassen. Und wenn er es nicht ist? unterbrach ihn<br />

<strong>de</strong>r Araber. Ihm wer<strong>de</strong>n allerdings mehrere Mordtaten<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 50 von 271


zur Last gelegt. Wird ihm eine Schuld o<strong>de</strong>r Mitschuld<br />

auch nur an einem <strong>de</strong>rartigen Verbrechen einwandfrei<br />

nachgewiesen, muss er dies mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> büßen.<br />

Die Linke <strong>de</strong>s Arabers hatte im Burnus gesteckt. Er<br />

zog sie jetzt heraus und brachte zugleich einen<br />

schweren, mit Münzen bis obenan gefüllten<br />

Geldbeutel aus Ziegenle<strong>de</strong>r hervor, <strong>de</strong>n er ohne<br />

Verzug öffnete. Klingend rollte eine Handvoll Münzen<br />

in seine Rechte: Es waren lauter gute Goldstücke.<br />

Hauptmann Jacot Schloss aus <strong>de</strong>m immer noch<br />

prallen, stattlichen Beutel, dass er ein ganz hübsches<br />

kleines Vermögen enthalten mochte. Scheich Amor<br />

ben Khatur ließ ein Goldstück nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

langsam wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Beutel zurückfallen und zog die<br />

Schlinge oben wie<strong>de</strong>r zu. Die ganze Zeit über hatte er<br />

geschwiegen, während Jacot je<strong>de</strong> seiner Bewegungen<br />

aufmerksam verfolgte.<br />

Die bei <strong>de</strong>n waren jetzt allein. Der Sergeant, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Fremdling begleitet hatte, stand ein wenig abseits und<br />

drehte ihnen gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rücken zu. Der Scheich hatte<br />

eben wie<strong>de</strong>r alle Goldstücke in seinen dicken Beutel<br />

zurückgleiten lassen, stellte ihn auf die geöffnete<br />

Hand und wandte sich mit unmissverständlicher<br />

Gebär<strong>de</strong> jetzt an <strong>de</strong>n Hauptmann Jacot.<br />

Achmet ben Haudin, "<strong>de</strong>r <strong>Sohn</strong> meiner Schwester,<br />

wird Monat später war die kleine Jeanne Jacot, die<br />

siebenjährige Tochter <strong>de</strong>s Hauptmanns Armand Jacot,<br />

mit einem Male auf rätselhafte Weise verschwun<strong>de</strong>n.<br />

We<strong>de</strong>r das Vermögen von Vater und Mutter, noch die<br />

unerschöpflichen Hilfsquellen und Maßnahmen <strong>de</strong>r<br />

Regierung schienen auszureichen, um irgendwie Licht<br />

in das Dunkel zu bringen. Das Rätsel war und blieb<br />

unergründlich, kein Mensch konnte irgend etwas über<br />

das Wo und Wohin <strong>de</strong>s Mädchens und seines Räubers<br />

erfahren o<strong>de</strong>r ent<strong>de</strong>cken. Es war gleichsam, als habe<br />

die Wüste sie verschlungen.<br />

Unerhörte Belohnungen hatte man ausgesetzt, und<br />

viele abenteuerlustige Männer waren <strong>de</strong>r Lockung<br />

dieser Jagd nach <strong>de</strong>m Glück gefolgt.<br />

Zwei Schwe<strong>de</strong>n, ein gewisser Carl Jenssen und Sven<br />

Malbihn, waren drei volle Jahre immer auf <strong>de</strong>r falschen<br />

Spur gewesen. Sie befan<strong>de</strong>n sich schließlich weit<br />

unten im Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sahara und kamen zu <strong>de</strong>m<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Entschluss, die Nachforschungen aufzugeben und sich<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 51 von 271


dafür ganz <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utend einträglicheren Jagd auf<br />

Elfenbein zuzuwen<strong>de</strong>n. Man kannte die bei<strong>de</strong>n<br />

übrigens schon zur Genüge im weiten Umkreis als<br />

rücksichtslose und schier unersättliche Ausbeuter <strong>de</strong>r<br />

"Elfenbeinquellen". Die Eingeborenen hassten und<br />

fürchteten diese Sorte von Fremdlingen, nach <strong>de</strong>nen<br />

auch die Regierungen <strong>de</strong>r betroffenen europäischen<br />

Kolonien unablässig fahn<strong>de</strong>ten. Sie hatten jedoch<br />

während ihrer anfänglichen Streifzüge durch<br />

Nordafrika im "Niemandsland" südlich <strong>de</strong>r Sahara<br />

mancherlei gelernt, was ihnen späterhin zunutze kam;<br />

<strong>de</strong>nn sie kannten nur zu gen au die vielen Schliche<br />

und Pfa<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>nen sie sich <strong>de</strong>r Gefangennahme und<br />

ihren geschickten Verfolgern je<strong>de</strong>rzeit leicht<br />

entziehen konnten. Plötzlich und mit unglaublicher<br />

Schnelligkeit stürmten sie auf ihre Beute, holten sich<br />

das Elfenbein und verschwan<strong>de</strong>n ebenso rasch, wie<strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>m unwegsamen ö<strong>de</strong>n Nor<strong>de</strong>n, noch ehe die<br />

Polizei <strong>de</strong>r heimgesuchten Gebiete sie überhaupt zu<br />

Gesicht bekommen hatte. Es gab keinen Pardon, sie<br />

schlachteten<br />

diese Nacht auf unerklärliche Weise entfliehen ... ?<br />

Nicht wahr? flüsterte er.<br />

Hauptmann Armand Jacot schoss das Blut in <strong>de</strong>n Kopf,<br />

dass er bis unter die Haarwurzeln errötete. Dann<br />

wur<strong>de</strong> er leichenblass. Seine Fäuste ballten sich, und<br />

er rückte einen halben Schritt an <strong>de</strong>n Araber heran.<br />

Doch plötzlich kam ihm ein an<strong>de</strong>rer Gedanke, und <strong>de</strong>r<br />

war entschie<strong>de</strong>n besser. Sergeant! rief er mit lauter<br />

Stimme. Der Unteroffizier stürzte sofort herzu. Er<br />

schlug die Hacken zusammen und stand grüßend vor<br />

seinem Vorgesetzten.<br />

Bringen Sie diesen braunen Hund wie<strong>de</strong>r zu seiner<br />

Ban<strong>de</strong> zurück! befahl er. Und sehen Sie zu, dass die<br />

Gesellschaft auf <strong>de</strong>r Stelle verschwin<strong>de</strong>t. Auf je<strong>de</strong>n -<br />

ganz gleich wer - <strong>de</strong>r sich bei Nacht in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s<br />

Lagers herumtreibt, wird einfach geschossen.<br />

Scheich Amor ben Khatur richtete sich zu seiner<br />

ganzen Größe auf, seine glühen<strong>de</strong>n Augen kniffen sich<br />

zusammen, und er folgte mit <strong>de</strong>m verlocken<strong>de</strong>n<br />

Geldbeutel <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Offiziers, <strong>de</strong>r ihn von oben<br />

bis unten maß.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 52 von 271


Mehr als dies da wer<strong>de</strong>n Sie für das Leben Achmet ben<br />

Haudins, <strong>de</strong>r meiner Schwester <strong>Sohn</strong> ist, zahlen<br />

müssen! Und, fuhr er fort, noch einmal so viel für <strong>de</strong>n<br />

netten Namen, <strong>de</strong>n Sie mir eben zulegten, und das<br />

Hun<strong>de</strong>rtfache an Sorgen und Qualen obendrein!<br />

Scheren Sie sich fort, ehe ich Sie mit einem Fußtritt<br />

hinausbeför<strong>de</strong>re! stieß Hauptmann Armand Jacot<br />

hervor ...<br />

All dies geschah etwa drei Jahre vor <strong>de</strong>r Zeit, in <strong>de</strong>r<br />

unsere Erzählung beginnt. Die gerichtliche<br />

Untersuchung in Sachen Achmet ben Haudins und<br />

seiner Spießgesellen brachte Unerhörtes an <strong>de</strong>n Tag.<br />

Wen es interessiert, <strong>de</strong>r mag die offiziellen Berichte<br />

nachlesen. Achmet erhielt die verdiente Strafe und<br />

ging mit <strong>de</strong>r ganzen stoischen Ruhe eines Arabers in<br />

<strong>de</strong>n Tod. Einen rücksichtslos ab, was ihnen an<br />

Elefanten in <strong>de</strong>n Weg lief, o<strong>de</strong>r plün<strong>de</strong>rten auch wohl<br />

die Elfenbeinvorräte <strong>de</strong>r Eingeborenen. Hun<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r<br />

mehr abtrünnige Araber und Negersklaven<br />

schlimmster Sorte waren ihre Handlanger.<br />

Der Leser wolle sich das, was eben von diesen bei<strong>de</strong>n<br />

blond bärtigen schwedischen Hünengestalten Karl<br />

Jenssen und Sven Malbihn ange<strong>de</strong>utet wur<strong>de</strong>, gut<br />

merken, <strong>de</strong>nn wir wer<strong>de</strong>n ihnen später wie<strong>de</strong>r<br />

begegnen.<br />

Im Herzen <strong>de</strong>r Dschungel und etwas abseits vom Ufer<br />

eines kleinen unerforschten Flusses, <strong>de</strong>ssen Wasser<br />

sich bald mit <strong>de</strong>n Fluten eines großen Stromes<br />

vereinen und sich mit ihnen unweit vom Äquator in<br />

<strong>de</strong>n Atlantischen Ozean ergießen, lag im Wal<strong>de</strong><br />

versteckt ein kleines, ringsum mit starken Palisa<strong>de</strong>n<br />

umzäuntes Dorf. Die zwanzig Hütten, die fast wie<br />

große Bienenstöcke aussahen, waren mit<br />

Palmenblättern ge<strong>de</strong>ckt und boten <strong>de</strong>r schwarzen<br />

Bevölkerung seit langem Schutz und Obdach, während<br />

in <strong>de</strong>r Mitte auf freiem Dorfplatze ein Trupp Araber<br />

seine Zelte aus Ziegenle<strong>de</strong>r aufgeschlagen hatte, die<br />

ihm für die Dauer <strong>de</strong>r Streifzüge als Standquartier<br />

dienten. Die Araber gingen in diesen Gebieten ihren<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger reellen Han<strong>de</strong>lsgelüsten nach, das<br />

heißt sie kauften o<strong>de</strong>r kauften auch nicht, was sie dann<br />

zweimal im Jahr mit ihren "Wüstenschiffen"<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

nordwärts auf <strong>de</strong>n Markt nach Timbuktu abschoben.<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 53 von 271


Vor einem <strong>de</strong>r Araberzelte spielte ein kleines, etwa<br />

zehnjähriges Mädchen; wer das schöne schwarze Haar<br />

und die tiefschwarzen Augen, die nussbraune Haut<br />

und die anmutig schmiegsame Gestalt <strong>de</strong>r Kleinen<br />

betrachtete, musste sie ohne weiteres für eine echte<br />

Tochter <strong>de</strong>r Wüste mit <strong>de</strong>n dieser Rasse eigenen<br />

Merkmalen halten. Ihre kleinen Finger waren gera<strong>de</strong><br />

geschäftig dabei, ein Grashemd für die schon arg<br />

mitgenommene Puppe zu flechten, die ihr ein<br />

kin<strong>de</strong>rlieber Sklave vor ein o<strong>de</strong>r zwei Jahren in einer<br />

freundlichen Anwandlung angefertigt hatte. Der Kopf<br />

<strong>de</strong>r Puppe war etwas unförmig, aber aus Elfenbein<br />

geschnitzt, <strong>de</strong>r Rumpf bestand aus einem mit Gras<br />

ausgestopften Rattenfell, die Arme und Beine aus<br />

Holzstückchen, die er an <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n En<strong>de</strong>n<br />

durchbohrt und an <strong>de</strong>n Rattenfellleib angenäht hatte.<br />

Im ganzen war die Puppe zweifellos unschön, zumal<br />

sie alles an<strong>de</strong>re als sauber geblieben war. Doch für die<br />

kleine Meriem war sie das Schönste und<br />

Liebenswerteste auf <strong>de</strong>r ganzen weiten Welt, und das<br />

ist auch nicht verwun<strong>de</strong>rlich; weil sie das einzige<br />

"Wesen" war, <strong>de</strong>m Meriem rückhaltlos trauen<br />

mochte. Alle an<strong>de</strong>ren, mit <strong>de</strong>nen Meriem in Berührung<br />

kam, kümmerten sich entwe<strong>de</strong>r überhaupt nicht um sie<br />

- o<strong>de</strong>r sie waren ihr gegenüber grausam und<br />

ungerecht. Da war zum Beispiel diese alte schwarze<br />

Hexe Mabunu, <strong>de</strong>r man sie übergeben hatte: die hatte<br />

keine Zähne mehr, lief immer nur schmutzig herum<br />

und verstand sich wie selten jemand auf Keifen. Sie<br />

versäumte keine Gelegenheit, das kleine Mädchen zu<br />

schlagen und - wenn es mit <strong>de</strong>r ewigen Quälerei<br />

gnädiger abging - zu zwicken. Und dann <strong>de</strong>r Vater<br />

erst, <strong>de</strong>r Scheich, <strong>de</strong>n sie mehr noch als Mabunu<br />

fürchtete. Er schalt sie oft für nichts und wie<strong>de</strong>r<br />

nichts, und das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fast Endlosen Schimpferei<br />

war allemal, dass er sie rücksichtslos schlug, bis ihr<br />

kleiner Körper mit blauen und schwarzen Flecken wie<br />

übersät war.<br />

Nur wenn sie für sich allein gelassen wur<strong>de</strong>, war sie<br />

glücklich. Sie spielte dann mit Geeka, schmückte ihr<br />

Haar mit Blumen <strong>de</strong>r Wildnis o<strong>de</strong>r flocht sich aus Gras<br />

Bän<strong>de</strong>r und Schnüre. 0, sie war immer lebhaft und<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

aufgeweckt und trällerte ein Liedchen vor sich hin - so<br />

oft man sie nur mal in Ruhe ließ; <strong>de</strong>nn mochte man<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 54 von 271


noch so grausam und lieblos mit ihr umgehen: in<br />

ihrem kleinen Herzen blieb im Grun<strong>de</strong> die ganze<br />

große Fülle von Anmut und Heiterkeit, die sie mit auf<br />

die Welt gebracht; und die konnte man nicht<br />

ersticken.<br />

War <strong>de</strong>r Scheich in <strong>de</strong>r Nähe, so schwieg Meriem<br />

sofort und spielte lieber nicht weiter; <strong>de</strong>nn sie hatte<br />

vor diesem Manne immer Angst, manchmal sogar so,<br />

dass man hätte annehmen können, sie sei <strong>de</strong>m<br />

Wahnsinn nahe. Und dann fürchtete sie sich auch vor<br />

<strong>de</strong>r dunklen, unheimlichen Dschungel, dieser<br />

grausamen Dschungel, die überall bis zum Dorfe ihre<br />

Arme ausstreckte, am Tage vor <strong>de</strong>n Affen, die dort<br />

schnatterten, und <strong>de</strong>n kreischen<strong>de</strong>n Vögeln, und dann<br />

erst in <strong>de</strong>r Nacht, wenn das Brüllen und Knurren und<br />

Stöhnen <strong>de</strong>r Urwaldbestien herüber hallte. Ja, ihr<br />

bangte wohl vor <strong>de</strong>r Dschungel, aber noch viel, viel<br />

mehr vor diesem Scheich, und nicht bloß einmal war<br />

sie - das kleine ahnungslose Geschöpf, das doch die<br />

Folgenschwere seiner kindlichen Entschlüsse gar<br />

nicht ermessen konnte - nahe daran gewesen, einfach<br />

für immer in die schreckliche Dschungel<br />

davonzulaufen, statt länger bei diesem ewig<br />

drohen<strong>de</strong>n und bösen Gespenst von einem Vater leben<br />

zu müssen.<br />

Wie sie jetzt vor <strong>de</strong>m Le<strong>de</strong>rzelt <strong>de</strong>s Scheichs saß und<br />

<strong>de</strong>r Geeka ein Grashemd flocht, merkte sie mit einem<br />

Male, dass <strong>de</strong>r Scheich sich näherte, und sofort war<br />

das sonnige Lachen, das um ihren Kin<strong>de</strong>rmund<br />

gespielt, dahin. Sie sprang zur Seite, wohl in <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch unbemerkt<br />

<strong>de</strong>m alten Araber mit seinem le<strong>de</strong>rfarbigen Gesicht<br />

entwischen könne. Allein das Kind war nicht schnell<br />

genug. Mit einem harten Fußtritt stieß er die Kleine<br />

nie<strong>de</strong>r, dass sie <strong>de</strong>r Länge nach aufs Gesicht fiel. Still<br />

und ohne Tränen zu vergießen blieb sie liegen; ein<br />

leises Zittern rann durch ihren Körper. Ein Fluch,<br />

eine grässliche Verwünschung - und <strong>de</strong>r Mann trat in<br />

das Zelt. Die alte schwarze Hexe schüttelte sich vor<br />

Lachen und gab dabei wohl ihren einzigen Zahn zum<br />

besten, <strong>de</strong>r wahrscheinlich selber nicht wußte, wie er<br />

zu <strong>de</strong>r Ehre kam, noch zu existieren.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Als das kleine Mädchen sicher war, dass <strong>de</strong>r Scheich<br />

sich ins Zelt verfügt hatte, kroch es hinter das Zelt in<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 55 von 271


<strong>de</strong>n Schatten und blieb dort mäuschenstill liegen. Sie<br />

drückte Geeka fest an ihr Herz und meinte es gut mit<br />

<strong>de</strong>r lieben kleinen Puppe, doch ab und zu war es, als<br />

wollte <strong>de</strong>r ganze Jammer von neuem über sie<br />

hereinbrechen: Sie reckte und streckte dann ihren<br />

kleinen gequälten Körper, nur um das Schluchzen zu<br />

unterdrücken. Laut weinen - nein, das durfte sie nicht<br />

wagen, <strong>de</strong>nn dann wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Scheich von neuem seine<br />

Wut an ihr ausgelassen haben. Was ihr kleines Herz<br />

so bekümmerte, war überdies nicht etwa nur <strong>de</strong>r<br />

Nachhall jener neuen Misshandlung. Unendlich tiefere<br />

innere Nöte bedrängten sie: Man versagte ihr hier<br />

jegliche Liebe, und je<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rherz lechzt doch<br />

gera<strong>de</strong>zu nach allem, was Liebe atmet!<br />

Die kleine Meriem konnte es sich kaum mehr an<strong>de</strong>rs<br />

<strong>de</strong>nken, als dass sie immer nur unter <strong>de</strong>r strengen,<br />

grausamen Hand <strong>de</strong>s Scheichs und Mabunus gelebt<br />

hatte. Ganz dunkel schwebte freilich beinahe wie ein<br />

Traum in <strong>de</strong>n Tiefen ihrer kindlichen Seele ein Bild<br />

un<strong>de</strong>utlich und verschwommen. Dann war es ihr, als<br />

habe sie einmal eine gute, sanfte, freundliche Mutter<br />

gehabt. Aber Meriem meinte, dies sei wohl mehr ein<br />

frommer Wunsch, vielleicht auch bloß <strong>de</strong>r Ausdruck<br />

ihrer großen Sehnsucht nach <strong>de</strong>n Liebkosungen, die<br />

sie nie selber gekostet, aber dafür <strong>de</strong>r herzigen<br />

Geeka-Puppe in Hülle und Fülle schenkte. Kein Kind<br />

wur<strong>de</strong> so verwöhnt, wie Geeka, <strong>de</strong>ren kleine Mutter -<br />

ganz im Gegensatz dazu wie sie von ihren eigenen<br />

"Eltern" behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong> - die Nachsicht und Mil<strong>de</strong><br />

selber war. Geeka bekam tausend Küsse an einem Tag,<br />

und selbst wenn sie beim Spiel o<strong>de</strong>r sonst recht<br />

unartig gewesen, gab es statt <strong>de</strong>r verdienten Strafe<br />

immer neue Liebkosungen. Alles, was die kleine<br />

Meriem ihrem Puppenkin<strong>de</strong> an Zärtlichkeiten<br />

ange<strong>de</strong>ihen ließ, war eben nur ein <strong>de</strong>utlicher Beweis<br />

dafür, wie sehr sie selbst nach einem wahrhaft<br />

lieben<strong>de</strong>n, hegen<strong>de</strong>n Mutterherzen verlangte.<br />

Und als sie jetzt Geeka fest an sich drückte, fühlte sie,<br />

dass das Schluchzen und Zittern langsam nachließ.<br />

Nicht lange mehr und sie hatte auch ihre Stimme<br />

wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Gewalt und konnte nun wenigstens <strong>de</strong>r<br />

einzigen Vertrauten ihr Herz ausschütten.<br />

Geeka liebt Meriem, flüsterte sie <strong>de</strong>r Puppe in ihr<br />

Elfenbeinohr. Warum liebt mich mein Vater, <strong>de</strong>r<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 56 von 271


Scheich, nicht auch? Bin ich <strong>de</strong>nn so ungezogen? Ich<br />

versuche ja immer, brav zu sein; doch idl weiß gar<br />

nicht, warum er mich so schlägt, und da kann ich auch<br />

nicht sagen, was ich getan haben soll o<strong>de</strong>r was ihm<br />

nicht gefällt. Gera<strong>de</strong> vorhin gab er mir einen Fußtritt.<br />

0, das hat mir sehr, sehr wehgetan! Und ich saß doch<br />

bloß vor <strong>de</strong>m Zelt und flocht ein Hemdchen für dich!<br />

Das muss etwas Böses sein, <strong>de</strong>nn sonst hätte er mir<br />

doch nicht dafür einen Fußtritt gegeben. Aber warum<br />

ist das etwas Böses, Geeka? Liebe Geeka, ich weiß es<br />

nicht, weiß es nicht.<br />

Geeka schien gera<strong>de</strong> etwas einwen<strong>de</strong>n zu wollen, doch<br />

sie wur<strong>de</strong> sofort unterbrochen, <strong>de</strong>nn draußen vor <strong>de</strong>n<br />

Toren das Dorfes hatte sich ein heftiger Streit<br />

erhoben. Man hörte lautes Stimmengewirr. Meriem<br />

spitzte die Ohren, und - neugierig wie Kin<strong>de</strong>r nun<br />

einmal sind - wäre sie zu gern hingerannt und hätte<br />

sich selbst davon überzeugt, warum man sich so<br />

entsetzlich anschrie. Die an<strong>de</strong>ren Dorfbewohner<br />

waren schon größtenteils auf <strong>de</strong>n Beinen und stürzten<br />

in <strong>de</strong>r Richtung davon, aus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lärm kam, aber<br />

Meriem getraute sich doch nicht mit. Der Scheich<br />

wür<strong>de</strong> sicher auch dort sein und, wenn er sie sah, nur<br />

wie<strong>de</strong>r die Gelegenheit benutzen, sie von neuem zu<br />

schlagen o<strong>de</strong>r zu stoßen. Meriem blieb also still liegen<br />

und horchte.<br />

Sie hörte bald, dass die Menge sich die Dorfstraße<br />

herauf <strong>de</strong>m Zelt <strong>de</strong>s Scheichs näherte, und so konnte<br />

sie <strong>de</strong>r Versuchung nicht wi<strong>de</strong>rstehen und guckte ganz<br />

vorsichtig um die Zeltecke. Zwei Frem<strong>de</strong> sah sie<br />

mitkommen. Es waren Weiße und sie waren allein.<br />

Aber als man weiter herankam, entnahm sie aus <strong>de</strong>n<br />

Gesprächen <strong>de</strong>r Eingeborenen, die sich um die<br />

Fremdlinge herum drängten, dass das stattliche<br />

Gefolge <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n sich außerhalb <strong>de</strong>s Dorfes gelagert<br />

hatte und dort das Ergebnis <strong>de</strong>r Verhandlungen mit<br />

<strong>de</strong>m Scheich abwartete.<br />

Der alte Araber empfing die Frem<strong>de</strong>n am Eingang zu<br />

seinem Zelt. Er kniff seine Augen zusammen und<br />

musterte die bei<strong>de</strong>n während <strong>de</strong>r üblichen Begrüßung<br />

mehr als geringschätzig.<br />

Sie seien gekommen, um Elfenbein aufzukaufen,<br />

erklärten sie. Der Scheich brummte erst etwas vor sich<br />

hin und entgegnete dann, er habe überhaupt kein<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 57 von 271


Elfenbein. Meriem musste <strong>de</strong>n Atem an sich halten,<br />

um nicht laut dazwischenzurufen und die Wahrheit zu<br />

sagen; <strong>de</strong>nn sie wußte, dass in einer Hütte ganz in <strong>de</strong>r<br />

Nähe Elefantenzahn an Elefantenzahn bis unter das<br />

Dach aufgestapelt war. Sie beugte ihr kleines<br />

Köpfchen noch weiter hervor, um die Fremdlinge<br />

besser erkennen zu können. Wie weiß war doch <strong>de</strong>ren<br />

Haut! Und wie blond die langen Bärte!<br />

Plötzlich bemerkte sie, wie <strong>de</strong>r eine gera<strong>de</strong> zu ihr<br />

herüberblickte. Sie wollte sich noch zurückbeugen,<br />

<strong>de</strong>nn sie fürchtete alle Männer; doch er hatte sie<br />

sicher schon gesehen, das ließ sich daran erkennen,<br />

wie sich mit einem Male Staunen und Überraschung in<br />

seinen Zügen spiegelten. Dem Scheich war diese<br />

Verän<strong>de</strong>rung seines Gegenüber ebenso wenig<br />

entgangen, ja er ahnte sogleich <strong>de</strong>n Anlass.<br />

Ich habe kein Elfenbein, sagte er nochmals. Ich will<br />

außer<strong>de</strong>m nichts von Geschäften wissen. Gehen Sie<br />

nur, aber gleich! Er trat ein paar Schritte vorwärts und<br />

stieß die Frem<strong>de</strong>n halb und halb vor sich her. Sie<br />

sollten nur machen, dass sie wie<strong>de</strong>r zum Tor<br />

hinauskämen! Als sie noch allerlei Einwän<strong>de</strong><br />

vorbrachten, verlegte sich <strong>de</strong>r Scheich aufs Drohen.<br />

Wenn sie nun nicht pariert hätten, wäre das einfach<br />

Selbstmord gewesen und so machten die bei <strong>de</strong>n kehrt<br />

und begaben sich unmittelbar in ihr eigenes Lager<br />

zurück.<br />

Der Scheich trat wie<strong>de</strong>r in sein Zelt zurück, doch bei<br />

Leibe nicht, um nun die Hän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Schoß zu legen.<br />

Die kleine Meriem lag schon ganz verängstigt dicht an<br />

die Le<strong>de</strong>rwand geschmiegt, als <strong>de</strong>r Alte sich um die<br />

Ecke herumschlich. Er bückte sich, packte die Kleine<br />

am Arm, schleu<strong>de</strong>rte sie roh zu Bo<strong>de</strong>n, zerrte sie vor<br />

<strong>de</strong>n Zelteingang und stieß sie hinein. Und damit nicht<br />

genug: Er packte sie von neuem und bleute sie<br />

unbarmherzig durch.<br />

Bleib mir ja hier! brüllte er sie an. Dass du dich nicht<br />

unterstehst, <strong>de</strong>n Frem<strong>de</strong>n noch einmal unter die<br />

Augen zukommen. Passiert es doch, dass du die<br />

Frem<strong>de</strong>n <strong>de</strong>in Gesicht sehen lässt, mache ich dich tot!<br />

Er gab ihr zur Bekräftigung seiner Drohung noch<br />

einen gehörigen Puff in die Seite und stieß sie in die<br />

äußerste Ecke <strong>de</strong>s Zeltes, wo sie mit<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

halbunterdrücktem Schluchzen und Stöhnen liegen<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 58 von 271


lieb, während <strong>de</strong>r Scheich auf und ab ging und dabei<br />

etwas Unverständliches vor sich hin murmelte.<br />

Mabunu saß kichernd am Eingang.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Fremdlinge waren inzwischen wie<strong>de</strong>r in<br />

ihrem Lager angelangt und hatten sich sofort in eine<br />

eifrige Debatte gestürzt.<br />

Malbihn, es ist gar kein Zweifel, die Sache stimmt<br />

ganz gewiss so. Das einzige, was mir noch<br />

Kopfzerbrechen macht: Warum hat sich <strong>de</strong>r alte<br />

Schurke nicht schon lange die unerhörte Belohnung<br />

gesichert?<br />

Ja, es gibt eben doch Dinge, an <strong>de</strong>nen einem Araber<br />

mehr liegt als an Geld, Jenssen! warf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re ein.<br />

Die Rache zum Beispiel!<br />

Mag sein. Aber das sagt doch schließlich noch lange<br />

nicht, dass man es nicht mal auf eine kleine Probe mit<br />

Gold ankommen lassen könnte, erwi<strong>de</strong>rte Jenssen.<br />

Malbihn zuckte die Achseln. Mit <strong>de</strong>m Scheich ist<br />

nichts anzufangen. Wir versuchen es schließlich mal<br />

mit einem seiner Leute; aber er selber? Dem kannst<br />

du noch so viel Gold hinwerfen, <strong>de</strong>r lässt nicht von<br />

seiner Rache. Und wenn wir zu ihm vor sein Zelt<br />

kämen und ihm auch nur mit ein paar Worten etwas<br />

von Gold und Ähnlichem sprechen, wür<strong>de</strong> er sicher<br />

nur noch mehr Verdacht schöpfen ... Und - das sage<br />

ich dir - wir müssten verdammt auf <strong>de</strong>r Hut sein.<br />

Könnten wahrscheinlich von Glück re<strong>de</strong>n, wenn wir<br />

mit <strong>de</strong>m Leben davonkämen<br />

Gut also. Versuchen wir es mit Bestechung! pflichtete<br />

Jenssen bei. Aber auch dieser Versuch schlug fehl. Es<br />

wur<strong>de</strong> eine ganz schreckliche Geschichte daraus. Man<br />

hatte ein paar Tage im Lager außerhalb <strong>de</strong>s Dorfes<br />

verstreichen lassen und glaubte schließlich in einem<br />

großen, kräftigen Mann, <strong>de</strong>r schon lange in <strong>de</strong>r<br />

Kriegerschar <strong>de</strong>s Scheichs die Rolle eines<br />

Unterführers spielte, das geeignete Werkzeug für die<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>s kühnen Wagnisses gefun<strong>de</strong>n zu<br />

haben. Der Mann war natürlich <strong>de</strong>m verlocken<strong>de</strong>n<br />

Funkeln <strong>de</strong>r angebotenen Geldbelohnung erlegen,<br />

zumal er früher an <strong>de</strong>r Küste gelebt hatte und die<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

Macht, die im Gold liegt, nur zu genau kannte. Und so<br />

versprach er <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n, ihnen spät in <strong>de</strong>r Nacht das<br />

Gewünschte zu bringen. Unmittelbar nach Eintritt <strong>de</strong>r<br />

Edgar Rice Burroughs ! Seite 59 von 271


Dunkelheit trafen die bei<strong>de</strong>n Weißen ihre<br />

Anordnungen; es galt, das Lager abzubrechen, um auf<br />

alles gerüstet zu sein. Um Mitternacht war man bereit.<br />

Die Träger lagen neben ihrem Gepäck. Ein Wink, und<br />

<strong>de</strong>r Rückzug konnte beginnen. Die bewaffneten<br />

Askaris hatten sich in <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>m<br />

Lagerplatz <strong>de</strong>r Safari und <strong>de</strong>m Araberdorf eingenistet<br />

und sollten als Nachhut <strong>de</strong>n Abmarsch <strong>de</strong>cken, <strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>m Augenblick zu beginnen hatte, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

gedungene Eingeborene mit <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Weißen<br />

erwarteten Beute zu ihnen gestoßen war. Bald hörte<br />

man auch Schritte auf <strong>de</strong>m Weg vom Dorfe her. Die<br />

Askaris und die Weißen waren sofort scharf auf ihrem<br />

Posten. Doch das klang ja, als käme nicht nur einer<br />

allein? Jenssen schlich <strong>de</strong>n Ankömmlingen entgegen<br />

und rief sie mit gedämpfter Stimme an.<br />

Wer ist das hier? forschte er.<br />

Mbeeda, kam die Antwort.<br />

Mbeeda hieß <strong>de</strong>r Verräter, <strong>de</strong>n die Weißen bestochen,<br />

und so gab sich Jenssen zunächst zufrie<strong>de</strong>n, wenn er<br />

sich auch darüber verwun<strong>de</strong>rte, dass <strong>de</strong>r Mann noch<br />

an<strong>de</strong>re Leute mitbrachte. Dann aber begriff er mit<br />

einem Male: Man schleppte sicher das, nach <strong>de</strong>m sie so<br />

sehnlich begehrten, auf einer Tragbahre heran.<br />

Jenssen unterdrückte einen Fluch. Sollte dieser Narr<br />

ihnen etwa eine Leiche bringen? Dafür hatten sie<br />

natürlich nicht diese Belohnung ausgeworfen.<br />

Die Träger blieben vor <strong>de</strong>m Weißen stehen. Das habt<br />

ihr mit eurem Gold erkauft, sagte <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Träger. Sie setzten die Bahre auf die Er<strong>de</strong>, wandten<br />

sich und verschwan<strong>de</strong>n in Richtung nach <strong>de</strong>m Dorfe<br />

im Dunkel <strong>de</strong>r Dschungelnacht.<br />

Malbihn blickte mit einem sauersüßen Lächeln auf<br />

Jenssen. Die Bahre war mit einem Gewand verhüllt.<br />

Nun? fragte Jenssen. Nimm das da weg und sieh, was<br />

du gekauft hast? Wir wer<strong>de</strong>n schrecklich viel Geld zu<br />

sehen bekommen, nicht wahr? Für eine Leiche ... !<br />

Und vor allem nach <strong>de</strong>n sechs Monaten unter <strong>de</strong>r<br />

glühen<strong>de</strong>n Wüstensonne! Denn so lange brauchen wir<br />

ja sicher, ehe wir sie ans Ziel gebracht haben.<br />

Der Narr hätte wissen können, dass wir sie nur lebend<br />

haben wollten, polterte Malbihn unwillig heraus. Er<br />

fasste das Gewand, das über die Bahre gebreitet war,<br />

an einem En<strong>de</strong> und zog es beiseite.<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

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Bei<strong>de</strong> traten entsetzt einen Schritt zurück, <strong>de</strong>nn das<br />

hatten sie nicht erwartet: Vor ihnen lag tot Mbeeda,<br />

<strong>de</strong>r Verräter seines Herrn. Unwillkürlich stießen sie<br />

ein paar kräftige Verwünschungen hervor - und schon<br />

fünf Minuten später bahnten sich die Safari Jenssens<br />

und Malbihns rasch <strong>de</strong>n Weg nach Westen, während<br />

die sehnigen Askaris, je<strong>de</strong>n Augenblick eines Angriffs<br />

gewärtig, <strong>de</strong>n Rückzug <strong>de</strong>ckten.<br />

Erste Dschungeltaten<br />

An seine erste Nacht in <strong>de</strong>r Dschungel musste<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong> immer und immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nken. Die<br />

Raubtiere <strong>de</strong>r Wildnis hatten ihn in Ruhe gelassen,<br />

kein Wil<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r sonst irgen<strong>de</strong>in zweifelhaftes<br />

Menschenwesen war ihm zu Gesicht gekommen, und<br />

wäre es doch <strong>de</strong>r Fall gewesen, so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Junge bei<br />

seiner damaligen Gemütsverfassung kaum davon<br />

beson<strong>de</strong>re Notiz .genommen haben. Er machte sich<br />

nämlich die schlimmsten Gewissensbisse, wenn er<br />

daran dachte, wie sehr seine arme Mutter jetzt unter<br />

<strong>de</strong>n Sorgen um ihn zu lei<strong>de</strong>n haben musste . Und unter<br />

diesen Selbstanklagen versank er fast in die tiefsten<br />

Tiefen eines nicht min<strong>de</strong>r unglücklichen Daseins. Den<br />

Tod <strong>de</strong>s Amerikaners hatte er an sich leichthin<br />

abgetan, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Bursche verdiente dieses En<strong>de</strong>.<br />

Was ihn aber im Zusammenhang mit Condons Tod am<br />

meisten bekümmerte, war die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Einwirkung dieses To<strong>de</strong>sfalls auf das, was er<br />

vorgehabt hatte. Er konnte jetzt einfach nicht mehr<br />

direkt zu seinen Eltern zurückreisen, wie es doch<br />

schon beschlossen gewesen war. Er fürchtete die<br />

Macht <strong>de</strong>s Gesetzes hier in <strong>de</strong>m einfachen<br />

Kolonialstaate, wo man zweifellos gleich kurzen<br />

Prozess machte, wie er aus all <strong>de</strong>n gelesenen bunt<br />

schillern<strong>de</strong>n und im Grun<strong>de</strong> unwahrscheinlichen<br />

Abenteuergeschichten ohne weiteres schließen zu<br />

müssen glaubte, und so hatte ihm die Flucht in die<br />

Dschungel als einziger Ausweg vorgeschwebt. Hier in<br />

dieser Gegend durfte er sich auf keinen Fall zur Küste<br />

zurück wagen, das stand bei ihm fest. Seine Furcht war<br />

dabei nicht etwa in erster Linie von einer gewissen<br />

Besorgnis um sein eigenes Wohl und Wehe diktiert.<br />

Viel mehr beschäftigte ihn die Frage, wie er Vater und<br />

Mutter das Schmerzliche und Beschämen<strong>de</strong> einer<br />

<strong>Tarzans</strong> <strong>Sohn</strong><br />

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