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Stachlige Argumente 04/2011 - Bündnis 90/Die Grünen Berlin

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Titel<br />

lieber Den sPaTz auF Dem Dach<br />

als <strong>Die</strong> Taube in Der hanD?!<br />

von Reiner Felsberg, Jürgen Wachsmuth und Matthias Tang<br />

Vor einem Jahr hatten wir Großes vor: <strong>Die</strong> Umfragen sahen<br />

<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/<strong>Die</strong> <strong>Grünen</strong> als stärkste politische Kraft in<br />

<strong>Berlin</strong>. Es war beinahe schon ein Muss, Renate Künast als<br />

Kandidatin als Regierende Bürgermeisterin zu nominieren.<br />

Der Landesverband wählte sie mit großer Begeisterung, das<br />

Wahlprogramm wurde einstimmig beschlossen. Der Wahltag<br />

brachte immerhin 17,6 Prozent, ein Rekordergebnis in <strong>Berlin</strong>.<br />

Und doch: Nach den hohen Erwartungen bleibt wieder nur<br />

die Oppositionsrolle, wenn auch als stärkste Kraft in der Opposition.<br />

Auch das ist neu.<br />

FraGen blieben oFFen<br />

Viele innerhalb und außerhalb der Partei sahen uns im Jahr<br />

2010 auf dem Weg von der Milieupartei zur vermeintlichen<br />

Volkspartei. Auf der Strecke blieben die Fragen: Wollen<br />

wir diese Entwicklung? Müssen wir uns neuen Wählerschichten<br />

öffnen oder kommt die hohe Zustimmung in<br />

26<br />

den Umfragen daher, dass sich über die Jahre unser Milieuanteil<br />

in Bevölkerung stark vergrößert hat? Dass diese<br />

Fragen unbeantwortet blieben, ist symptomatisch. Es<br />

ist uns nicht gelungen, ein Verständnis, eine Idee für die<br />

heterogene Gesamtstadt zu entwickeln. Als Oppositionspartei<br />

mit zehn bis fünfzehn Prozent fiel das nicht weiter<br />

auf. Es reichte, in den einzelnen Politikfeldern oder Bezirken<br />

Profil zu gewinnen. Niemand fragte, ob und wie das<br />

jeweils zusammenpasst, niemand hielt es für nötig, Verbindungen<br />

zwischen den Bereichen bzw. Bezirken zu ziehen.<br />

Im Wahlkampf erhoben wir dann mit „Eine Stadt für alle“<br />

einen neuen Anspruch. Das war wohl inszeniert, aber inhaltlich<br />

und strategisch wenig fundiert. Wir waren auf den<br />

Spagat zwischen 30-Prozent-Umfragen und 15-Prozent-<br />

Milieu nicht vorbereitet, weil wir uns in Flügelkämpfen,<br />

Bezirksegoismen und Fachdebatten verloren haben. Dem<br />

Wahlkampf fehlte in der Konsequenz die einende Idee, das<br />

konkrete Ziel – jenseits des Anspruchs, stärkste Fraktion zu<br />

© Slavyana Georgieva - fotolia<br />

werden, was sich schnell als illusorisch herausstellte. Und<br />

wenn dem Wahlkampf die gemeinsame Idee und der Biss<br />

fehlen, kommen handwerkliche und kommunikative Fehler<br />

ganz von alleine: Verwirrende programmatische Aussagen,<br />

langweilige Plakate, Unklarheiten über „Handlungsoptionen“,<br />

die die Stammwählerschaft verunsicherten, die<br />

Unterschätzung der Piratenpartei. <strong>Die</strong> Einbeziehung einer<br />

neuen WählerInnenschaft gelang genauso wenig, wie die<br />

Einbeziehung der breiten <strong>Grünen</strong> Kompetenz in den Wahlkampf.<br />

Viele Erwartungen sind enttäuscht worden. Auch<br />

die strategische Frage nach dem Umgang mit der SPD,<br />

einschließlich Wowereits eingefrorener A100-Joker-Karte,<br />

blieb unbeantwortet. Stattdessen wurde wenige Tage vor<br />

der Wahl der Konfrontationskurs von grüner Seite ohne<br />

Not verschärft. Erfolgreiche Koalitionen leben jedoch neben<br />

der Übereinstimmung in Sachfragen, die sich in einer<br />

Koalitionsvereinbarung ausdrücken, maßgeblich vom gegenseitigen<br />

Vertrauen der handelnden Personen. Dazu ist<br />

es nach zehn Jahren grüner Opposition gegen rot-rot nicht<br />

gekommen. Wir haben im Abgeordnetenhaus mal mit der<br />

CDU, mal auch als Jamaikaverbund, mal eigenständig gegen<br />

rot-rot opponiert. Durchaus erfolgreich: Wir sind als<br />

Oppositionsführerin und als Gewinner der Auseinandersetzung<br />

mit rot-rot identifiziert worden. Strategische Fragen<br />

wurden aber ausgeblendet, es fehlten vertrauensbildende,<br />

informelle Kontakte zwischen den Spitzen beider Parteien.<br />

FraKTion zerschläGT PoliTisches Porzellan<br />

Spätestens mit dem Ende Koalitionsverhandlungen hätten<br />

wir beginnen müssen, unsere inneren Widersprüche, die<br />

auch ein Resultat der Widersprüchlichkeit <strong>Berlin</strong>s sind, konstruktiv<br />

auszutragen. Vereinfacht ausgedrückt: <strong>Die</strong> „bürgerliche<br />

Mitte“ und die „Kreuzberger Szene“ gehören beide<br />

zu <strong>Berlin</strong>, bei uns stehen sie sich scheinbar unversöhnlich<br />

gegenüber. <strong>Die</strong> einen wittern hinter jedem Kontakt mit der<br />

IHK Verrat, die anderen sehen in der Kritik gleich „Wirtschaftsfeindlichkeit“.<br />

Es müsste darum gehen, eine Politik<br />

zu entwickeln, die mehr ist als die Addition einzelner Teile,<br />

eine Politik, die aus der Binnensicht von Bezirken, Flügeln<br />

und Fachkreisen herauskommt und den Blick tatsächlich<br />

und nicht nur auf Plakaten auf die Stadt als Ganzes richtet.<br />

In einer widersprüchlichen Stadt wie <strong>Berlin</strong> ist das keine<br />

leichte Aufgabe. Es wird Kontroversen und Entscheidun-<br />

gen geben müssen. Sich wahlweise in linken oder rechten,<br />

Kreuzberger oder bürgerlichen Wagenburgen einzurichten,<br />

ist aber kein Ausweg. Doch was passiert? In der Fraktion<br />

wird der Flügelstreit in einer Art und Weise auf die Spitze<br />

getrieben, die bundesweit längst anachronistisch ist. Das<br />

Desaster in der Fraktion ist nicht vom Himmel gefallen,<br />

sondern das Ergebnis der inhaltlichen und strategischen<br />

Defizite. Statt diese anzugehen, haben beide Seiten jede<br />

Menge politisches Porzellan zerschlagen.<br />

Kein „weiTer so“ in alTen DenKmusTern<br />

Mit dem simplen Links-Rechts-Schema lässt sich kein Problem<br />

<strong>Berlin</strong>s lösen. Wir Grüne sind für eine Öffnung der<br />

Politik angetreten, für eine Mit-Mach-Stadt, die niemanden<br />

ausgrenzt, sondern den Dialog mit allen sucht. Aktuell<br />

erleben wir das Gegenteil: In der Fraktion werden Links-<br />

Rechts- Gegensätze zementiert, statt sie konstruktiv auszutragen.<br />

Damit muss Schluss sein!<br />

Wir erwarten, dass diese Selbstblockade schleunigst beendet<br />

wird. Dazu müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leisten.<br />

<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/<strong>Die</strong> <strong>Grünen</strong> wurden von 256.000 Menschen<br />

gewählt, damit sie zur Lösung der Probleme in <strong>Berlin</strong><br />

beitragen.<br />

Wir fordern deshalb die Kreisverbände und die Landesarbeitsgemeinschaften<br />

auf, mit den Abgeordneten der neuen<br />

Fraktion eingehende Gespräche über deren aktuellen<br />

Zustand und die künftige Arbeit als stärkste Oppositionskraft<br />

zu führen und daraus Perspektiven für die Politik von<br />

<strong>Bündnis</strong> <strong>90</strong>/<strong>Die</strong> <strong>Grünen</strong> zu entwickeln.<br />

Der Autor Matthias Tang war Geschäftsführer bzw.<br />

Pressesprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus<br />

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