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4<br />
Grundlagenartikel<br />
Dimensionen der Schulkultur<br />
Die Schulhauskultur ist wichtig<br />
und gestaltbar<br />
Jede Schule hat eine beschreibbare, auf die Betriebsangehörigen stark wirkende Hauskultur.<br />
«Kultur haben» ist banal, nicht immer Grund zu Stolz.<br />
Dr. Anton Strittmatter<br />
Freiberuflicher<br />
Berater von Schulen<br />
und Kursleiter<br />
in Weiterbildungen<br />
für Schulleitungen<br />
<strong>profi</strong>-L 3 / 12 © Schulverlag plus AG<br />
Kultur ist auch ein Nebeneinander oder<br />
gar Gegeneinander unterschiedlicher<br />
Subkulturen. Oder wenn eine Schule<br />
immer wieder Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter auflaufen und die Flucht<br />
ergreifen lässt. Kultur ist auch, wenn<br />
Resignation und Misstrauen herrschen,<br />
oder wenn ein kleiner Machtzirkel die<br />
Erlaubnis hat, den grossen Rest des<br />
Kollegiums einschüchternd zu dirigieren.<br />
Kultur ist aber auch, wenn man<br />
einander ermuntert, zur kritischen Partizipation<br />
einlädt, zum gegenseitigen<br />
Lernen anstiftet.<br />
Die Fachliteratur zum Thema ist umfangreich<br />
und überhaupt nicht kohärent.<br />
So greife ich – basierend auf<br />
Jahrzehnten Kulturbeobachtung an<br />
Schulen – einige Dimensionen heraus,<br />
die mir wichtig erscheinen. Dies als<br />
Angebot für die Einordnung der in diesem<br />
Heft beschriebenen Fallbeispiele<br />
und der im eigenen Hause erlebten<br />
Schulkultur. In der Praxis findet sich<br />
ein (manchmal fast unverträglich erscheinender)<br />
Mix dieser Ausprägungsformen.<br />
1. Zweckkulturen<br />
Das romantische Ideal: Alle sind hier<br />
tätig, um junge Menschen optimalindividuell<br />
zu fördern und den Bildungsauftrag<br />
gemäss Lehrplan täglich<br />
bewusst einzulösen. Der Blick auf für<br />
die Kinder wenig organischen Stundenpläne,<br />
die Notensammlerei auf<br />
die Zeugnistermine hin, das berührungslose<br />
Nebeneinander einzelner<br />
Teilzeitlehrpersonen oder die übermässige<br />
Behandlung von Schlachten<br />
oder Ökobananen zeigen aber: Im real<br />
gelebten Schulbetrieb haben noch andere<br />
Zwecke eine mehr oder weniger<br />
starke Bedeutung. Es geht dann eben<br />
auch noch (und bisweilen vor allem)<br />
ums Jobben zwecks Lohnerwerb, ums<br />
Einlösen des Selektionsauftrags, um<br />
Selbstdarstellung oder um persönliches<br />
Missionieren für gesellschaftliche<br />
Ideale. Problematisch wird es, wenn<br />
der gesetzliche Kernauftrag durch<br />
andere Motive an den Rand gedrückt<br />
wird.<br />
2. Führungskulturen<br />
Ich habe an Schulen bislang zehn recht<br />
gut unterscheidbare Führungskulturen<br />
angetroffen, die ich hier nur mit einem<br />
zuspitzenden Titel und einem (meist<br />
unausgesprochenen) Leitsatz illustrieren<br />
kann:<br />
Die konsumistische Service-Bestellungs-Kultur<br />
(«Gango-Modell»)<br />
«Der Schulleiter ist unser bezahlter<br />
Butler/Oberkellner, der jede Bestellung<br />
von uns Lehrpersonen rasch, perfekt<br />
und klaglos auszuführen hat.»<br />
Die patronale/matronale Kultur<br />
(Modell «Guter Hirte»)<br />
«Die Schulleiterin ist unsere gute Hausmutter/Schäferin,<br />
die für uns Kinder/<br />
Schäfchen denkt und sorgt, und der<br />
wir deshalb Gefolgschaft leisten.»<br />
Die Guru-Kultur<br />
«Der Schulleiter ist die respektierte Autorität<br />
in allen schulischen Glaubensfragen;<br />
er weiss und weist uns den<br />
Weg. Wir sind stolz, seine Jünger zu<br />
sein.»<br />
Die monarchistische Indivi dual-<br />
anarchie-Kultur<br />
«Die Frau Direktorin darf Queen spie-<br />
len, was sie so liebt. Wir geben ihr ihre<br />
tägliche Ration Hofknickse, solange sie<br />
im Gegenzug uns in nichts reinregiert.»<br />
Die Bürokratie-Kultur<br />
«Alles ist hier wohlgeregelt, es gibt für<br />
alles zertifizierte Regelungen, Check-<br />
listen etc. Das engt zwar etwas ein,<br />
erspart uns aber Selberdenken, Fehler<br />
und Konflikte.»<br />
Die Basisdemokratie-Kultur<br />
«Wir suchen für jede Bleistiftanschaf-<br />
fung in Vollversammlungen den Kon-<br />
sens. Das ist oft anstrengend, aber<br />
immer professionswürdiger als einen<br />
Chef zu haben.»<br />
Die gewerblich-industrielle<br />
Mitarbeiter-Gehorsams-Kultur<br />
«Die Chefin wird sich etwas gedacht<br />
haben bei ihren Entscheiden. Kommt’s<br />
gut heraus, haben wir Arbeit gespart,<br />
wenn nicht, können wir sie immer<br />
noch leerlaufen lassen.»<br />
Die Domina-Kultur<br />
«Unser Hampelmann von Chef lässt<br />
sich – und geniesst das – von drei kompetenten<br />
Lehrpersonen in allen Belangen<br />
führen. So funktionieren wir gut.»<br />
Die Ermöglicher-Kultur<br />
(«Führung von hinten»)<br />
«Unsere Schulleiterin gibt keine Anund<br />
Zurechtweisungen; sie rollt allen,<br />
die was unternehmen wollen, den roten<br />
Teppich aus, sorgt für gute Arbeitsbedingungen.<br />
Das reicht.»
Die reife, funktionale Macht-<br />
teilungs-Kultur<br />
«Wir teilen hier Einflussmacht und<br />
Verantwortung (shared leadership),<br />
haben jeweils klug und klar ausgehan-<br />
delt, wem was obliegt (Autonomieräu-<br />
me) und mit welcher Verantwortung,<br />
schätzen in Aufgabensituationen dazu<br />
passendes Führen und Geführtwerden,<br />
rechnen gelassen mit Konflikten und<br />
klären und lösen diese rasch in einer<br />
Haltung des Lernens voneinander und<br />
miteinander.»<br />
3. Kommunikationskulturen<br />
Unterdimensionen sind hier: Direkte<br />
(face to face) Kommunikation versus<br />
technisch distanzierte (per Formu-<br />
lare, Mails); rasche, unverzügliche<br />
Rückmeldungen versus unterlassene<br />
oder zeitlich stark verzögerte; offener<br />
«Klartext» versus verklausulierte, dip-<br />
lomatische Wattepackungen etc. Zur<br />
Hauskultur gehört in der Regel, dass<br />
gewisse Kommunikationsmuster deut-<br />
lich favorisiert und andere abgewertet<br />
oder gar geächtet werden.<br />
4. Sicherheits-/Wagnis kulturen<br />
Da sind die Schulen, die ständig in<br />
Bewegung sind, Neuland betreten, Risiken<br />
des Misslingens auf der persönlichen<br />
oder der Teamebene eingehen.<br />
Und die Schulen, die deutlich sicherheitsorientiert<br />
funktionieren: Man<br />
hängt an dem, was man kennt und<br />
worin man sich sicher fühlt, «Abenteuer»<br />
werden gemieden, Neuland wird<br />
nur dann betreten, wenn ein Mehrwert<br />
und eine sehr hohe Gelingenszuversicht<br />
geschaffen werden kann.<br />
5. Verantwortlichkeitskulturen<br />
In extremis: Da sind Schulen, wo Verantwortlichkeiten<br />
sehr gut geklärt sind,<br />
wo sich alle auf ihrer «Spielposition»<br />
für das Geschehen mitverantwortlich<br />
fühlen, passierte Fehler anerkannt und<br />
korrigiert werden, man dafür geradesteht.<br />
Auf der anderen Seite Schulen,<br />
wo niemand für nichts verantwortlich<br />
ist, wo «Verantwortung» nur eine rhetorische<br />
Floskel für die Beanspruchung<br />
von Macht und Gehorsam ist, wo bei<br />
passierten Fehlern der Schwarze Peter<br />
rundherum weitergeschoben wird.<br />
6. Sozialkulturen<br />
Einige Schulen spielen Familie, da gibt<br />
es einen Vater oder eine Hausmutter<br />
und eine Geschwisterhierarchie, man<br />
ist sich gegenseitig Gotte oder Götti<br />
für die Kinder, verbringt die Ferien<br />
miteinander. Die Familie hat als Hauptzweck,<br />
es gut miteinander zu haben.<br />
Familienmitgliedschaft ist unkündbar.<br />
Am anderen Pol sind lose administrative<br />
Ansammlungen von Individualisten<br />
und Jobbern, die möglichst berührungsfrei<br />
aneinander vorbei ihre Lektionen<br />
abhalten wollen. Es gibt eine<br />
gemeinsame und in der Regel belanglose<br />
Sitzung pro Monat am Mittwoch<br />
über Mittag.<br />
Dazwischen sind alle Varianten zu beobachten,<br />
auch die gute professionelle:<br />
Man spielt nicht Familie, sondern<br />
gestaltet eine wichtige Arbeitsbeziehung,<br />
arbeitet auftragsbezogen<br />
zusammen, mag sich gut, hat eine<br />
gleichzeitig wohlwollende und rollenbewusste<br />
Feedback- und Konfliktkultur.<br />
Man ist da auf Zeit, ist kündbar<br />
und hat die Freiheit zu gehen, wenn<br />
es Zeit ist.<br />
Kulturarbeit ist ebenso nötig<br />
wie anspruchsvoll<br />
Die Vielfalt der hierzulande anzutreffenden<br />
Schulhauskulturen zeigt:<br />
Kulturen sind nicht naturwüchsig, sie<br />
werden von den Betriebsangehörigen<br />
geschaffen. Allseits gut erlebte Kulturen<br />
brauchen Pflege. Als belastend<br />
erlebte Kulturen sind veränderbar,<br />
wenn die Beteiligten das mal wollen.<br />
Kulturwandel ist schwieriger, wenn<br />
Ungutes «chronisch» wird. Eine/einer<br />
allein schafft das nie. Es braucht neben<br />
dem Wollen dann auch gemeinsame<br />
Einsicht, Klugheit, Beharrlichkeit, Zeit<br />
und Zuversicht. Da hilft oft ein Blick in<br />
die Erfahrung und das Wissen anderer<br />
Schulen, denen das gelungen ist.<br />
«Die Vielfalt der hierzulande<br />
anzutreffenden Schulhaus kulturen<br />
zeigt: Kulturen sind nicht<br />
naturwüchsig, sie werden<br />
von den Betriebsangehörigen<br />
geschaffen.»<br />
Führen als Vertrag – Anton Strittmatter<br />
Mentale Modelle und Instrumente<br />
Reihe «Impulse zur Schulent wicklung»<br />
2010, 160 Seiten, A4, illustriert, broschiert<br />
84374 38.00<br />
<strong>profi</strong>-L 3 / 12 © Schulverlag plus AG<br />
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BILD: COPYRIGHT © THINKSTOCK.COM