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Hinweise für den Schüler

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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 2<br />

<strong>Hinweise</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schüler</strong><br />

Aufgabenwahl: Ihnen wer<strong>den</strong> zwei Prüfungsarbeiten vorgelegt (Block A und Block B).<br />

Wählen Sie einen Block aus und bearbeiten Sie diesen.<br />

Bearbeitungszeit: Die Bearbeitungszeit beträgt 270 Minuten. Zusätzlich wer<strong>den</strong> 30<br />

Minuten Einlesezeit <strong>für</strong> die Wahl der Aufgaben gewährt.<br />

Hinweis: In <strong>den</strong> Quellen wird teilweise die alte Rechtschreibung angewendet.<br />

Hilfsmittel: Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung<br />

Sonstiges: Alle Prüfungsunterlagen sind geschlossen zurückzugeben.<br />

Entwürfe zur Reinschrift können ergänzend zur Bewertung nur<br />

herangezogen wer<strong>den</strong>, wenn sie zusammenhängend konzipiert sind<br />

und die Reinschrift etwa ¾ des erkennbar angestrebten Gesamtumfangs<br />

umfasst.


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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 3<br />

- Block A -<br />

Thema: Die Französische Revolution<br />

Textgrundlage: Robespierre am 5.2.1794 vor dem Nationalkonvent „Über die Grundsätze<br />

der politischen Moral, die dem Nationalkonvent bei der inneren Verwaltung<br />

der Republik helfen sollen“, in: Christiane Tichy, Lutz Tornow,<br />

Französische Revolution, Frankfurt/M.1989, S. 114 f.<br />

Aufgaben:<br />

Konventsbeschluss vom 10.6.1794 zur Ausweitung der Tätigkeit des seit<br />

März 1793 bestehen<strong>den</strong> Revolutionstribunals, in: Christiane Tichy, Lutz<br />

Tornow, Französische Revolution, Frankfurt/M 1989, S. 111 f.<br />

1. Charakterisieren Sie die Quellen und fassen Sie ihren Inhalt mit eigenen<br />

Worten zusammen.<br />

2. Erklären Sie die Ursachen der Französischen Revolution und skizzieren Sie<br />

<strong>den</strong> Verlauf. Ordnen Sie die Quellen in die Französische Revolution ein<br />

und erläutern Sie in diesem Zusammenhang Aufstieg und Fall der Jakobiner.<br />

3. Erklären Sie ausgehend von <strong>den</strong> Begriffen Tugend und Terror die Intention<br />

der Rede Robespierres und beurteilen Sie diese.<br />

4. Bewerten Sie <strong>den</strong> Konventsbeschluss zum Revolutionstribunal mit Blick<br />

auf das Selbstverständnis von Diktaturen.<br />

Gewichtung der Aufgaben: 1 : 2 : 2 : 3<br />

Robespierre am 5.2.1794 vor dem Nationalkonvent „Über die Grundsätze der politischen<br />

Moral, die dem Nationalkonvent bei der inneren Verwaltung der Republik helfen sollen“<br />

[…] Welches Ziel streben wir an? Wir wollen <strong>den</strong> friedlichen Genuß der Freiheit und der<br />

Gleichheit; die Herrschaft jener ewigen Gerechtigkeit […].<br />

Wir wollen die Dinge so ordnen, daß alle niedrigen und grausamen Lei<strong>den</strong>schaften im Zaum<br />

gehalten und alle wohltätigen und edlen Lei<strong>den</strong>schaften durch die Gesetze geweckt wer<strong>den</strong>;<br />

wir wollen eine Ordnung schaffen, in der sich der Ehrgeiz auf <strong>den</strong> Wunsch beschränkt, Ruhm<br />

zu erwerben und dem Vaterland zu dienen; in der Vornehmheit nur aus der Gleichheit entsteht;<br />

wo der Bürger dem Magistrat, der Magistrat dem Volke und das Volk der Gerechtigkeit<br />

unterworfen ist; […].<br />

Welche Regierungsform kann diese Wunder vollbringen? Nur die demokratische oder repu-<br />

blikanische Regierung! […]<br />

Die Demokratie ist ein Staat, in dem das souveräne Volk sich nach Gesetzen richtet, die sein<br />

eigenes Werk sind, indem es von selbst alles tut, was es tun kann, und indem es durch seine<br />

Abgeordneten tun lässt, was es nicht selbst tun kann.[…]<br />

Aber um bei uns die Demokratie zu begrün<strong>den</strong> und zu festigen, um zur friedlichen Herrschaft<br />

der verfassungsmäßigen Gesetze zu gelangen, müssen der Freiheitskrieg gegen die Tyrannei<br />

und die Umwälzungen der Revolution glücklich durchgestan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>: Das ist das Ziel des<br />

revolutionären Systems, das ihr entworfen habt. Ihr müsst also zugleich euer Verhalten <strong>den</strong><br />

stürmischen Umstän<strong>den</strong> anpassen, in <strong>den</strong>en sich die Republik befindet; und euer Verwaltungsplan<br />

muß dem Geist der revolutionären Regierung entsprechen und <strong>den</strong> allgemeinen<br />

Grundsätzen der Demokratie verbun<strong>den</strong> sein.


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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 4<br />

Was ist also das grundlegende Prinzip der demokratischen Regierung oder der Volksregierung,<br />

das heißt, was ist die wichtigste Kraft, die sie unterstützen und antreiben soll? Es ist die<br />

Tugend! […]<br />

Ich meine jene Tugend, die nichts anderes ist, als die Liebe zum Vaterland und zu seinen<br />

Grenzen.<br />

Da aber das Wesen der Republik oder der Demokratie die Gleichheit ist, so folgt daraus, daß<br />

die Liebe zum Vaterland notwendigerweise die Liebe zur Gleichheit in sich trägt.<br />

Dieses erhabene Gefühl setzt natürlich voraus, daß man das öffentliche Interesse allen privaten<br />

Interessen vorzieht; daraus ergibt sich, daß die Liebe zum Vaterland alle Tugen<strong>den</strong> vor-<br />

aussetzt oder hervorbringt.[…]<br />

Alles was dahin tendiert, die Lei<strong>den</strong>schaften auf niedrigen Egoismus zu lenken, <strong>den</strong> Hang zu<br />

kleinen Dingen und die Verachtung <strong>für</strong> die großen Dinge zu wecken, müsst ihr verwerfen<br />

oder unterdrücken. Im System der Französischen Revolution ist das Unmoralische unpolitisch<br />

und die Korruption konterrevolutionär. Schwäche, Laster und Vorurteile sind der Weg des<br />

Royalismus. […]<br />

Hierauf würde sich die Darlegung unserer Theorie beschränken, wenn ihr das Schiff der Republik<br />

nur bei Windstille zu steuern hättet. Aber der Sturm wütet; und im Augenblick stellt<br />

euch die Revolution eine andere Aufgabe.<br />

Die lauteren Grundlagen der Französischen Revolution und die Großartigkeit ihres Zieles sind<br />

zugleich das, was uns stark, aber auch schwach macht; stark, weil die Wahrheit uns über die<br />

Heuchelei überlegen macht und weil das Wohl des Volkes über dem des Einzelnen steht;<br />

schwach, weil alle lasterhaften Menschen sich gegen uns vereinigen, alle, die in ihren Herzen<br />

danach trachten, das Volk auszuplündern und ungestraft zu berauben, alle, die die Freiheit wie<br />

ein persönliches Unglück von sich gestoßen haben und alle, die die Revolution als ein Ge-<br />

werbe und die Republik als eine Beute betrachten; daher die Abtrünnigkeit so vieler ehrgeizi-<br />

ger oder habgieriger Männer, die uns seit Beginn unseres Marsches unterwegs verlassen haben,<br />

weil sie sich nicht auf <strong>den</strong> Weg gemacht hatten, dasselbe Ziel wie wir zu erreichen. Man<br />

könnte sagen, daß der gute und der böse Geist, die sich um die Herrschaft in der Natur streiten,<br />

in dieser großen Epoche der Menschheitsgeschichte darum kämpfen, das Schicksal der<br />

Welt unwiderruflich festlegen zu können, und daß Frankreich der Schauplatz dieses furchtba-<br />

ren Kampfes ist. Von außen wer<strong>den</strong> wir von allen Tyrannen umzingelt; im Inneren konspirieren<br />

alle Freunde der Tyrannei gegen uns: Sie wer<strong>den</strong> so lange konspirieren, bis dem Verbrechen<br />

jede Hoffnung genommen ist. Man muß die inneren und äußeren Feinde der Republik<br />

beseitigen oder mit ihr untergehen. Deshalb sei in der gegenwärtigen Lage der erste Grund-<br />

satz eurer Politik, das Volk durch Vernunft und die Volksfeinde durch Terror zu lenken.<br />

Wenn in friedlichen Zeiten der Kraftquell der Volksregierung die Tugend ist, so sind es in<br />

Zeiten der Revolution Tugend und Terror zusammen. Ohne die Tugend ist der Terror verhängnisvoll,<br />

ohne <strong>den</strong> Terror ist die Tugend machtlos. Der Terror ist nichts anderes als die<br />

unmittelbare, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit; er ist also eine Emanation 1 der Tugend;<br />

er ist nicht so sehr ein besonderer Grundsatz als vielmehr die Folge des allgemeinen Grund-<br />

satzes der Demokratie, angewandt auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes. […]<br />

Wie lange noch soll die Wut der Despoten Gerechtigkeit, und die Gerechtigkeit des Volkes<br />

Barbarei und Rebellion genannt wer<strong>den</strong>? Wie nachsichtig ist man gegen die Unterdrücker und<br />

wie unerbittlich gegen die Unterdrückten! Nichts ist natürlicher, als daß niemand die Tugend<br />

lieben kann, ohne das Verbrechen zu hassen. […]<br />

Nur die friedfertigen Bürger müssen geschützt wer<strong>den</strong>; und in der Republik sind nur die Republikaner<br />

Bürger. Die Royalisten und die Verschwörer sind <strong>für</strong> die Republik nichts als<br />

Fremdlinge oder vielmehr Feinde. […]<br />

Die Unterdrücker der Menschheit zu bestrafen, ist Wohltat; ihnen zu verzeihen, ist Barbarei.<br />

Die Tyrannen sind streng nur um der Strenge willen; die Strenge der republikanischen Regierung<br />

wird von der Wohltätigkeit bestimmt. […]<br />

1) Emanation = Ausfluss


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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 5<br />

Konventsbeschluss vom 10.6.1794 zur Ausweitung der Tätigkeit des seit März 1793 bestehen<strong>den</strong><br />

Revolutionstribunals<br />

Art.4. Der Zweck der Einsetzung des Revolutionstribunals ist es, die Feinde des Volkes zu<br />

bestrafen.<br />

Art.5. Feinde des Volkes sind alle diejenigen, die die öffentliche Freiheit durch Gewalt oder<br />

List vernichten wollen. [...]<br />

Art.7. Die Strafe <strong>für</strong> alle Delikte, deren Aburteilung dem Revolutionstribunal vorbehalten ist,<br />

ist der Tod. [...]<br />

Die Richtschnur bei der Urteilsfindung ist das von der Vaterlandsliebe erleuchtete Gewissen<br />

der Richter, ihr Ziel der Sieg der Republik und der Untergang ihrer Feinde, das Verfahren<br />

besteht in der Anwendung der einfachen Mittel, die der gesunde Menschenverstand an die<br />

Hand gibt, um in <strong>den</strong> gesetzlich festgelegten Formen zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelan-<br />

gen.[...]<br />

Art.9. Jeder Bürger hat das Recht, Verschwörer und Gegenrevolutionäre festzunehmen und<br />

vor die Behör<strong>den</strong> zu bringen; er ist zur Anzeige verpflichtet, sobald er von ihrer Tätigkeit<br />

erfährt. [...]<br />

Art.14. Falls es zu einer Zeugenvernehmung kommt, läßt der öffentliche Ankläger diejenigen<br />

Zeugen vorla<strong>den</strong>, die der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen können, ohne Rücksicht darauf,<br />

ob sie <strong>den</strong> Angeklagten belasten oder entlasten. [...]<br />

Art.16. Das Gesetz gibt <strong>den</strong> verleumdeten Patrioten patriotisch gesinnte Geschworene als<br />

Verteidiger bei; die Verschwörer erhalten keine Verteidiger. [...]


Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 6<br />

Thema: DDR und Sowjetunion<br />

- Block B -<br />

Textgrundlage: Aktennotiz über eine Besprechung bei Walter Ulbricht am 8.1.1954, in:<br />

Die DDR vor dem Mauerbau, Dokumente zur Geschichte des anderen<br />

deutschen Staates 1949-1961, hg. v. D. Hoffmann, K.H. Schmidt u. P.<br />

Skyba, München 1993, S. 197 ff.<br />

Aufgaben:<br />

1. Charakterisieren Sie die Quelle und fassen Sie die wesentlichen Aussagen<br />

mit eigenen Worten zusammen.<br />

2. Erarbeiten Sie aus der Quelle das Verhältnis der DDR-Organe zu <strong>den</strong><br />

sowjetischen Beratern und ordnen Sie dieses in <strong>den</strong> historischen Kontext<br />

von 1949 bis 1955 ein.<br />

3. Beurteilen Sie die Bedeutung des Staatssicherheitsdienstes <strong>für</strong> die Existenz<br />

der DDR. Nehmen Sie Stellung, in welchem Maß die Tätigkeit<br />

der Stasi durch die Verfassung der DDR ermöglicht wurde, und zur<br />

Strafbarkeit von Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes nach dem<br />

heutigen Recht der Bundesrepublik.<br />

4. Der sowjetische Parteichef Breschnew äußerte 1970 vertraulich zum<br />

späteren SED-Chef Erich Honecker: „Erich, vergesse das nie: Die DDR<br />

kann ohne uns, ohne die Sowjetunion, ihre Macht und ihre Stärke, nicht<br />

existieren. Ohne uns gibt es keine DDR.“ 1 Beurteilen Sie diese Aussage<br />

<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anfang und das Ende der DDR.<br />

Gewichtung der Aufgaben: 1 : 2 : 2 : 3<br />

Aktennotiz über eine Besprechung bei Walter Ulbricht am 8.1.1954 zur Zusammenarbeit der<br />

Deutschen Volkspolizei mit der Staatssicherheit in der DDR<br />

Anwesend: Die verantwortlichen sowjetischen Genossen Berater <strong>für</strong> das Staatssekretariat <strong>für</strong><br />

Staatssicherheit, Genosse Willi Stoph [Innenminister u. Polizeichef der DDR], Genosse Ernst<br />

Wollweber [Staatssekretär <strong>für</strong> Staatssicherheit der DDR], Genosse Erich Mielke [stv. Staatssekretär<br />

<strong>für</strong> Staatssicherheit], Genosse Otto Walter [stv. Staatssekretär <strong>für</strong> Staatssicherheit],<br />

Genosse Walter Ulbricht [1. Sekretär des ZK der SED; u. a. hohe Befehlshaber der Polizei<br />

und des Staatssicherheitsdienstes der DDR]<br />

1 Notiz über Mitteilungen Leonid I. Breschnews an Erich Honecker, 28. 7. 1970, zit. nach W. Müller, Die DDR<br />

in der deutschen Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu „Das Parlament“, B28/2001, S. 45


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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 7<br />

[...] Der sowjetische Chefberater schlug vor, daß die Zusammenarbeit in <strong>den</strong> Bezirken durch<br />

<strong>den</strong> 1. Sekretär der Bezirksleitung der Partei erfolgen sollte, der <strong>den</strong> Leiter der Bezirksverwaltung<br />

des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit und <strong>den</strong> Chef der Bezirksverwaltung der Deutschen<br />

Volkspolizei regelmäßig zu Besprechungen zusammenruft und sie zur gemeinsamen<br />

Bearbeitung wichtiger Vorgänge veranlaßt. Wie es die Situation erfordert, müßten die bei<strong>den</strong><br />

Chef[s] möglichst täglich zusammenkommen.<br />

Der Genosse Walter Ulbricht warf ein, daß das wohl richtig sei, aber dann doch ungeklärt sei,<br />

wer in einer ernst[en] politischen Situation <strong>für</strong> die Führung verantwortlich sei, und dies doch,<br />

wenn auch nicht jetzt, so doch später endgültig geklärt wer<strong>den</strong> müßte. [...]<br />

Zur Tätigkeit der Organe der Staatssicherheit<br />

Der Genosse Chefberater gab eine Einschätzung der Situation anhand der Überprüfungen un-<br />

serer sowjetischen Freunde. Er wies darauf hin, daß in der Arbeit mit <strong>den</strong> Informatoren ein<br />

sehr ernster Zustand besteht. Einmal sei die Zahl der Informatoren noch völlig ungenügend<br />

und zum anderen die Metho<strong>den</strong> zur Werbung von Informatoren fehlerhaft. Er teilte mit, daß<br />

die Organe ungenügend mit <strong>den</strong> Informatoren arbeiten, weder Augen noch Ohren haben. Be-<br />

sonders hemmend auf die richtige Durchführung der Arbeit wirkt sich das Fehlen von Infor-<br />

matoren in <strong>den</strong> Kreisdienststellen aus. Besondere Schwierigkeiten bei der Arbeit mit <strong>den</strong> Informatoren<br />

und Werbung von solchen bereitet die außeror<strong>den</strong>tlich niedrige Qualifikation der<br />

Sachbearbeiter der Kreisdienststellen.<br />

Weil sie ein sehr niedriges Bildungsniveau haben, wagen sie es nicht, Gespräche mit Intelli-<br />

genzlern und anderen Schichten der Bevölkerung zu führen und wählen deshalb ihre Informa-<br />

toren nur unter Arbeitern und einfachen Leuten. In <strong>den</strong> Schwerpunkten der Arbeit, wie in der<br />

Kirche, in <strong>den</strong> anderen Parteien, bei der Intelligenz der Betriebe, in wichtigen Verwaltungsstellen,<br />

fehlen deshalb Informatoren, oder es sind nur solche Informatoren vorhan<strong>den</strong>, die<br />

keinen Überblick über die Situation haben.<br />

Um diesen Zustand zu verändern, ist es erforderlich, so schnell wie möglich die fachliche<br />

Qualifikation und Ausbildung der Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu erhöhen. Ebenfalls<br />

ist zu verzeichnen, daß die Arbeit gegen das Ostbüro 2 keinerlei Fortschritte macht. Die<br />

Ursache da<strong>für</strong> ist, daß viel zu junge und unerfahrene Mitarbeiter mit diesen Aufgaben betraut<br />

sind.<br />

Über <strong>den</strong> Apparat des Innenministeriums und des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit äußer-<br />

te sich der Genosse Chefberater sehr kritisch, da außeror<strong>den</strong>tlich viel Papier verschrieben<br />

wird, aber die Mitarbeiter viel zu wenig mit dem praktischen Leben Verbindung haben und<br />

ihre Arbeit einseitig ist. Der Genosse Chefberater sagte, es genügt nicht, die richtigen Arbeitsdirektiven<br />

und Anweisungen zu geben, dies ist eine verhältnismäßig leichte Aufgabe. Die<br />

viel schwerere Aufgabe ist, die richtige Durchführung der Befehle und Anweisungen herbei-<br />

zuführen und von der obersten bis zur untersten Stelle eine richtige Kontrolle zu organisieren,<br />

wie die Anweisungen verwirklicht wer<strong>den</strong>. Notwendig ist es unter allen Umstän<strong>den</strong>, die Arbeitsdisziplin<br />

und die allgemeine Disziplin und die Verantwortlichkeit eines je<strong>den</strong> Mitarbeiters<br />

zu heben und klar festzulegen. Der Genosse Chefberater schlug vor, daß der Staatssekre-<br />

tär, Genosse Wollweber, jede drei Monate zur Berichterstattung vor der engsten Parteiführung<br />

erscheint. [ ...]<br />

Als sehr ernst bezeichnete der Genosse Chefberater die Kadersituation. Besonders mangelt es<br />

an erfahrenen Genossen, vor allem im Kampf gegen die SPD. Die Werbung solcher Genossen<br />

muß unter allen Umstän<strong>den</strong> verstärkt wer<strong>den</strong>.<br />

Genosse Walter Ulbricht führte aus: In der Leitung des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

hat man aus <strong>den</strong> Ereignissen des 17. Juni noch nicht alle Konsequenzen gezogen. Auf einigen<br />

Gebieten hat sich die Arbeit verbessert und sind Fortschritte erzielt wor<strong>den</strong>, aber in anderen<br />

wichtigen Fragen hat sich die Arbeitsweise noch nicht verändert. Das trifft insbesondere auf<br />

2 Das Ostbüro der SPD organisierte im Westen Aktivitäten von Sozialdemokraten aus Ostdeutschland.


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Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 8<br />

<strong>den</strong> Kampf gegen das Ostbüro, auf die Arbeit auf dem Lande und auf die gesamte Arbeit in<br />

Mitteldeutschland zu. Die Genossen des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit sind nicht in<br />

der Lage, die Parteiführung über die Situation in unserer Wirtschaft zu informieren. Vor allem<br />

kennen sie nicht diejenigen Kräfte, die mit <strong>den</strong> Konzernen in Verbindung stehen, und ebenso<br />

sind die Kräfte, die <strong>für</strong> das Ostbüro arbeiten, nicht bekannt. [...]<br />

Der stellvertretende Chefberater wies ebenfalls noch einmal auf die schwache Qualität der<br />

Mitarbeiter in <strong>den</strong> Kreisen und Bezirken hin und forderte, daß unter allen Umstän<strong>den</strong> die<br />

Kreisdienststellenleiter durch qualifizierte Mitarbeiter verstärkt wer<strong>den</strong> sollen. Auch teilte er<br />

mit, daß die Arbeit mit <strong>den</strong> Informatoren in <strong>den</strong> Kreisen völlig ungenügend ist. Man habe alle<br />

guten Genossen aus <strong>den</strong> Kreisen in das Ministerium genommen und nur die unqualifiziertesten<br />

in <strong>den</strong> Kreisen gelassen. Der Genosse Wollweber warf ein, daß es eine Tatsache sei, daß<br />

durch die verantwortungslose Arbeit von Zaisser 3 die Basis des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

zerstört wor<strong>den</strong> sei und eine völlig verkehrte Linie der Arbeit in der gesamten Staatssicherheit<br />

eingeführt wor<strong>den</strong> sei.<br />

Seine erste Aufgabe sei es gewesen, die richtige Linie der Arbeit herbeizuführen und <strong>den</strong><br />

Kampf um die Stärkung der Basis und die Durchsetzung dieser Linie nach unten hin aufzunehmen.<br />

Er sei sich dessen bewußt, daß diese Arbeit noch keineswegs als erfolgreich beendet<br />

bezeichnet wer<strong>den</strong> dürfte, trotzdem seien in letzter Zeit eine große Anzahl neuer Informatoren<br />

geworben wor<strong>den</strong>. Er wisse, daß dies natürlich noch völlig ungenügend sei, daß die Kontrolle<br />

und Anleitung nach unten zu schwach sei, und er sei bestrebt, die Veränderung jetzt mit allen<br />

Mitteln durchzusetzen.<br />

Anschließend sprach Genosse Mielke und erklärte, daß gute Voraussetzungen geschaffen<br />

wor<strong>den</strong> seien, um in nächster Zeit die Arbeit gegen das Ostbüro mit entsprechen<strong>den</strong> Erfolgen<br />

zu beginnen. [...]<br />

Anschließend führte Genosse Ulbricht aus, daß auch bei der Staatssicherheit eine kämpferische<br />

Haltung der Mitarbeiter herbeigeführt wer<strong>den</strong> muß, daß man endgültig die Fälle des<br />

Versagens von Angehörigen des Staatssekretariats <strong>für</strong> Staatssicherheit in <strong>den</strong> Kreis- und Bezirksdienststellen<br />

ausmerzt und es nicht mehr geduldet wer<strong>den</strong> könne, daß solche, die vor<br />

dem Feind kapituliert haben, noch länger in <strong>den</strong> Reihen des Staatssicherheitsdienstes belassen<br />

wer<strong>den</strong>, und [man] sie entsprechend bestrafen muß.<br />

Genosse Ulbricht nahm die Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit von seiten unserer Freunde<br />

an.<br />

3 Der DDR-Minister <strong>für</strong> Staatssicherheit Wilhelm Zaisser wurde entlassen im Juli 1953; sein Nachfolger Ernst<br />

Wollweber war nur noch Staatssekretär <strong>für</strong> Staatssicherheit beim Innenminister.


Abitur 2007 Geschichte Leistungskurs Seite 9

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