Hinweise für den Schüler
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Abitur 2008 Katholische Religion Seite 2<br />
<strong>Hinweise</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schüler</strong><br />
Aufgabenwahl:<br />
Ihnen wer<strong>den</strong> zwei Prüfungsarbeiten vorgelegt (Block A und Block B).<br />
Wählen Sie einen Block aus und bearbeiten Sie diesen vollständig.<br />
Bearbeitungszeit:<br />
Die Bearbeitungszeit beträgt 210 Minuten. Zusätzlich wer<strong>den</strong><br />
30 Minuten Einlesezeit <strong>für</strong> die Wahl der Aufgaben gewährt.<br />
Hilfsmittel:<br />
Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung<br />
Bibel<br />
Sonstiges:<br />
Alle Prüfungsunterlagen sind geschlossen zurückzugeben.<br />
Entwürfe zur Reinschrift können ergänzend zur Bewertung nur herangezogen<br />
wer<strong>den</strong>, wenn sie zusammenhängend konzipiert sind und die<br />
Reinschrift etwa 3/4 des erkennbar angestrebten Gesamtumfangs umfasst.
Abitur 2008 Katholische Religion Seite 3<br />
Block A<br />
Thematische Anbindung: Der Mensch vor der Gottesfrage (RP 12/1)<br />
bzw.<br />
Gott (KC 4.2)<br />
Textgrundlage:<br />
„Neue Religion und Ende der Aufklärung“, in: Heinz Zahrnt,<br />
Gotteswende. Christsein zwischen Atheismus und neuer<br />
Religiosität. München 1989, S. 39 ff<br />
Aufgaben:<br />
1. Stellen Sie die Hauptaussagen des Textes in eigenen Worten dar. 20 %<br />
2. Analysieren Sie die Gründe <strong>für</strong> das „Wiedererwachen“ von Religion<br />
und grenzen Sie <strong>den</strong> synkretistischen vom christlichen Religionsbegriff ab. 30 %<br />
3. Überprüfen Sie anhand des engen und weiten Religionsbegriffs,<br />
welche Folgen synkretistische Ten<strong>den</strong>zen <strong>für</strong> <strong>den</strong> Wahrheitsanspruch<br />
des Christentums hätten. 30 %<br />
4. Entwerfen Sie begründete Lösungsansätze <strong>für</strong> das Problem. 20 %<br />
Text:<br />
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Der Mensch scheint in der Tat [...] „unheilbar religiös“ zu sein und die Religion daher nicht<br />
totzukriegen. Sie bildet ein Grundbedürfnis des Menschen, seit <strong>den</strong> frühesten Anfängen in<br />
jeder Epoche der Menschheitsgeschichte nachweisbar gegenwärtig. Wie sehr die Religion<br />
dem Menschen eigen ist und darum in seiner Geschichte allgegenwärtig, zeigt sich daran, dass<br />
sich ihr Wesen nur schwer, wenn überhaupt, einheitlich definieren lässt. Am Anfang aller<br />
Religion steht eine Erschütterung. Es ist das Erlebnis eines Mangels, ein Lei<strong>den</strong> am Leben,<br />
wie es ist, ein Sichwundreiben an der Wirklichkeit; die Erfahrung, dass die Welt zerbrechlich<br />
und nicht heil ist, sondern voller Unheil, dass sie im argen liegt und verloren ist- und man<br />
selbst auch arg und verloren.<br />
Aus dieser Grunderfahrung wächst – über die bloße physische Lebensfristung hinaus - das<br />
Streben nach einer Gesamtdeutungen des Daseins, das Verlangen nach Überwindung des<br />
heillosen Zustandes der Welt, die Erwartung nicht nur eines Besseren, sondern des ganz<br />
Guten, die Sehnsucht nach einem Vollen und Ganzen, kurzum, die Hoffnung auf Rettung und<br />
Erneuerung: dass die Welt nicht im argen und verloren bleiben, sondern heil und gut wer<strong>den</strong><br />
möchte – und man selbst wiederum auch.<br />
Dabei erfährt der Mensch, dass er das Ganze, sein Heil, die Erfüllung und Erlösung nicht<br />
durch eine eigene Tat, auch nicht durch die eigenmächtige Verwirklichung einer moralischgesellschaftlichen<br />
Zielvorstellung vollbringen kann, sondern dass es von außen her, vor dem<br />
Letzten und Ganzen selbst, in dem alles gründet, das alles hält, trägt und bestimmt, geschehen<br />
muss.<br />
Das Vorhan<strong>den</strong>sein von „Religion“ erscheint als Beweis da<strong>für</strong>, dass es mit <strong>den</strong> Tatsachen der<br />
Welt noch nicht getan ist, dass vielmehr in <strong>den</strong> Menschen ein Hunger vorhan<strong>den</strong> ist, der sich
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mit Fakten und Statistiken allein nicht abspeisen lässt; dass nur die Quelle des Lebens selbst<br />
diesen Lebenshunger zu stillen vermag; dass sich im Lauf der Weltgeschichte darum Gottes<br />
Lebenslauf verbirgt und in der Religion ans Licht kommen will.<br />
Eben das ist es, was sich heute unter uns begibt. Geboren aus einem metaphysischen Schock,<br />
aus der Angst vor dem drohen<strong>den</strong> Nicht-Sein angesichts des apokalyptischen Szenarios 1<br />
ringsum, hat die Religion sich in unserer Welt neu einen Weg gebahnt. Weil der Mensch nun<br />
einmal nicht vom Brot allein leben kann, die neuzeitliche Aufklärung aber die Lebensfragen,<br />
die auf das Ganze gehen und die Person betreffen, je länger desto mehr ausgespart hat und<br />
auch die christlichen Kirchen das große Bedürfnis nach Wegweisung und Trost nicht zu<br />
stillen vermochten, haben die Zeitgenossen sich ihrerseits auf eine allseitige Suche nach Hilfe<br />
zum Leben gemacht – und auf dieser „Reise ins Innere“ haben sie die Religion <strong>für</strong> sich<br />
wiederentdeckt.<br />
Als habe es nie eine neuzeitliche Aufklärung gegeben, ist die Scheu vor Mythen, Märchen<br />
und Mystik 2 vor Okkultismus 3 , Spiritismus 4 und Magie 5 auf einmal wie verflogen. Auch<br />
Ökologie, Frie<strong>den</strong>sbewegung, Feminismus und Psychologie haben teilweise eine religiöse<br />
Unterströmung. „Schalom“ meint mehr als nur die politische Ausschaltung bewaffneter<br />
Konflikte und „Gaia“ 6 mehr als nur <strong>den</strong> verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung. Schaut<br />
man sich in einer Buchhandlung um, so stellt man fest, dass die Borde, auf <strong>den</strong>en die so<br />
genannte „Esoterik“ 7 steht, überquellen, dass hier aber auch die Trends und Mo<strong>den</strong> in<br />
raschem Tempo wechseln – kaum gegrüßt, schon vorüber. Dies zeigt, dass es sich bei der<br />
heutigen Wiedererweckung der Religion nicht um eine neue, originäre Religion mit einer klar<br />
konturierten Botschaft handelt, sondern um eine allgemeine, frei schweifende Religiosität,<br />
deren Kennzeichen gerade ein profilloser Synkretismus [= Vermischung von Religionen] ist.<br />
Darum spricht man statt von einer neuen Religion auch sachgemäßer von „Neuer<br />
Religiosität“.<br />
Die Religionen in aller Welt – bis hin zu <strong>den</strong> archaischen Kulturen der Vorzeit – dienen als<br />
ein großer Steinbruch, aus dem man herausklaubt, was einem passt, auch wenn es nicht<br />
zueinander passt. Von überallher, von allen En<strong>den</strong> der Erde und aus allen Zeiten der<br />
Religionsgeschichte strömt es zusammen. Die religiöse Landschaft unserer Zeit gleicht einem<br />
bunten Flickenteppich.<br />
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6<br />
7<br />
Apokalyptisches Szenario: Schreckensbild endzeitlicher Katastrophen<br />
Mystik: (griech.) besondere Form der Religiosität, bei der der Mensch durch Hingabe und Versenkung zu<br />
persönlicher Vereinigung mit Gott zu kommen sucht<br />
Okkultismus: (lat. occultus = verborgen) Beschäftigung mit verborgenen, von der Wissenschaft nicht<br />
anerkannten „übernatürlichen“ Erscheinungen<br />
Spiritismus: (lat. spiritus = Geist) Glaube an die Erscheinung von Seelen Verstorbener<br />
Magie: Glaube an die Beeinflussbarkeit des „Schicksals“ mittels geheimer Kräfte<br />
Gaia: (griech. = Erde) hier gemeint als lebendiger und mütterlich-lebensspen<strong>den</strong>der Organismus<br />
Esoterik: (aus dem griech. esoteros = innen) nur besonders Eingeweihten zugängliches Wissen um höhere Welten
Abitur 2008 Katholische Religion Seite 5<br />
Block B<br />
Thematische Anbindung: Christ in Staat und Gesellschaft (RP 13/2)<br />
bzw.<br />
Lebensmodelle (KC 4.4)<br />
Textgrundlage: Wolf, Notker (Abtprimas vgl. Anm. 1)<br />
Worauf warten wir?<br />
Ketzerische Gedanken zu Deutschland.<br />
Reinbek bei Hamburg, 12. Auflage 2007, S. 211-213<br />
Aufgaben:<br />
1. Geben Sie die Argumentation des Textes mit eigenen Worten wieder. 20 %<br />
2. Setzen Sie die Argumentation des Textes in Beziehung zu <strong>den</strong><br />
Grundaussagen des christlichen Menschenbildes. 40 %<br />
3. Entwickeln Sie Perspektiven, wie <strong>den</strong> im Text umrissenen ethischen<br />
Problemen unserer Gesellschaft aus biblisch-christlicher Sicht zu begegnen<br />
wäre (Konzepte, Ideen, Pläne...). 40 %<br />
Text:<br />
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Wirklich beängstigend finde ich, dass in unseren Tagen der Traum vom Homunkulus wahr<br />
gewor<strong>den</strong> ist, vom Menschenklon, vom Retortenbaby, vom Kind à la carte. Ich frage mich,<br />
wie solch ein künstlich erzeugtes Kind sich fühlen wird, wenn es merkt, dass sein Geschlecht,<br />
seine Talente, sein Charakter und sein Aussehen vorherbestimmt wur<strong>den</strong>, vielleicht aus der<br />
Kartei einer Samenbank stammen, anhand der Spendereigenschaften ausgesucht, dass es<br />
mithin ein Produkt des beschränkten Verstandes und des mittelmäßigen Geschmacks seiner<br />
Eltern ist. Bisher konnte sich ein Mensch sagen: Ich bin durch Gottes Willen oder <strong>den</strong> Zufall<br />
zur Welt gekommen. Wird es in Zukunft heißen müssen: Ein Labor hat mich gezeugt? Ich<br />
bin, wie meine Eltern mich gewollt haben? Eine Kreatur jener Menschen, die mich in dieser<br />
Form ins Leben gerufen haben? Dann wäre es aus mit der Freiheit des Menschen und der<br />
Würde der Person. Denn zur Grundlage der Menschenwürde gehört, dass niemand über mich<br />
und die Umstände meiner Existenz verfügt, weder zu Beginn des Lebens noch am<br />
Lebensende.<br />
Wenn wir uns nicht mehr mit der Vorstellung einer Schöpfung und eines Schöpfergottes<br />
anfreun<strong>den</strong> können, sollten wir eines be<strong>den</strong>ken: Unantastbar bin ich nur als Geschöpf. Nur als<br />
Geschöpf kann ich mich darauf berufen, dass meine Existenz sich einem höheren Willen<br />
verdankt und meine Mitgeschöpfe deshalb keine Macht über mich haben. In dem Augenblick,<br />
wo dieser höhere Wille bestritten wird, stehe ich als Mensch nackt und schutzlos da, einer<br />
Meute von hemmungslosen Schöpfergöttern aus Wissenschaft, Technik und Politik<br />
ausgeliefert, die jetzt nichts mehr hindert, mich als Versuchskaninchen <strong>für</strong> ihre<br />
menschheitsbeglücken<strong>den</strong> Experimente zu benutzen. Wozu es führt, wenn dem Menschen<br />
seine Rechte als Geschöpf Gottes aberkannt wer<strong>den</strong>, das haben wir im 20. Jahrhundert erlebt
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zu geschätzten fünfzig Millionen Toten durch <strong>den</strong> Nationalsozialismus, zu geschätzten<br />
hundert Millionen Toten durch <strong>den</strong> Kommunismus. Und heute könnte der Machbarkeitswahn<br />
zur Deka<strong>den</strong>z unserer gesamten Zivilisation führen. Die Menschenwürde wird mit Füßen<br />
getreten, wo die Unverfügbarkeit der menschlichen Existenz nicht respektiert wird. Heute<br />
droht diese Gefahr weniger von totalitären Regimes als von <strong>den</strong> schier grenzenlosen<br />
Möglichkeiten der Technik. Je mehr technisch machbar ist, desto gründlicher müssen wir die<br />
Konsequenzen be<strong>den</strong>ken. Der Mensch kann heute über alles hinausgehen, er kann jede<br />
Grenze überschreiten, deshalb lautet die Alternative: Selbstbescheidung oder Größenwahn.<br />
Und deshalb müssen wir uns selber Grenzen setzen, müssen wir unser Leben gestalten, indem<br />
wir ihm Form und Inhalt geben und unsere Freiheit dazu benutzen, unsere Grenzen selbst zu<br />
bestimmen. Die Freiheit, auf Form und Grenzen zu verzichten, haben wir nicht. Sich als<br />
Geschöpf zu akzeptieren bedeutet aber auch, einzusehen, dass die Natur uns vorgegeben ist<br />
und wir nicht beliebig in ihre Kreisläufe eingreifen dürfen. Man kann daher auch Fragen der<br />
Liebe, der Ehe, der Sexualität, der Geburtenregelung nicht be<strong>den</strong>ken, ohne zu<br />
berücksichtigen, dass wir als Menschen Teil der Natur sind. Das ist der Grund, weshalb die<br />
Kirche immer darauf geachtet hat, sich in ihren Glaubenssätzen nicht von der Natur und <strong>den</strong><br />
Naturgesetzen zu entfernen. Sie erkennt die Natur als gottgeschaffen an, und diese<br />
Überzeugung bildet die Brücke zwischen Vernunft und Glauben. In diesem Sinne ist die<br />
katholische Theologie sehr rational. Die Kirche tritt also nicht <strong>für</strong> eine willkürliche<br />
Glaubensangelegenheit ein, sondern erhebt einen Universalitätsanspruch — nicht, weil sie<br />
anmaßend über Menschen verfügen möchte, sondern weil sie davon ausgeht, dass es eine<br />
allgemeine Vernunft gibt und eine Natur mit ihren Normen und Gesetzlichkeiten, die es vor<br />
menschlicher Überheblichkeit zu schützen gilt.<br />
Anmerkungen zum Text:<br />
- Anm. 1:<br />
Der Abtprimas (Abbas Primas) ist der oberste Repräsentant der Benediktinischen<br />
Konföderation, des weltweiten Zusammenschlusses der Benediktinerklöster. Er vertritt die<br />
Konföderation nach außen, auch beim Papst.<br />
- “Homunkulus” (Z. 1) - Fiktiver Mensch, <strong>den</strong> jemand künstlich zusammengesetzt, belebt<br />
hat<br />
- “Deka<strong>den</strong>z” (Z. 25) - Überspannter Lebensstil, kultureller Niedergang