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Bindung und Bindungsstörung - Folgen und Auswirkungen auf die ...

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<strong>Bindung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bindung</strong>sstörung<br />

<strong>Folgen</strong> <strong>und</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Entwicklung einer<br />

substanzbezogenen Störung im Jugendalter<br />

5. Fachtagung „Ambulante<br />

Suchthilfeeinrichtungen in Bayern“<br />

Kloster Irsee 2013<br />

ulrike.amann@zfp-zentrum.de


Ausgangslage<br />

Konsum in den letzten Jahren<br />

insgesamt tendenziell rückläufig, aber:<br />

Risikogruppe Jugendlicher mit<br />

exzessiven Konsummustern:<br />

Tendenz zu frühem Beginn, polytoxikomane Konsummuster,<br />

risikofreudiger/unkritischer Konsum, z.B. binge-drinking.<br />

(B<strong>und</strong>esministerium f. Ges<strong>und</strong>heit 2007, 2008, 2009…)<br />

Bedarf an geeigneten<br />

Behandlungsangeboten (Frühintervention)


Funktion Substanzkonsum<br />

• Ersatz für ersehnte, aber vorenthaltene Zuwendung<br />

(Stierlin 1980), Überforderung durch<br />

Parentifizierung, Rollenumkehr etc. in<br />

suchtbelasteten Systemen, Loyalität<br />

• „Droge als Liebesobjekt, das wichtiger ist als jeder<br />

Mensch“ (Rost 2005),<br />

• Suchtmittel als „Pseudo-<strong>Bindung</strong>sobjekt“: immer<br />

verfügbar, befriedigt <strong>Bindung</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Autonomiewünsche (Brisch)


…“ohne Dex war sie einsam…“<br />

„…sie hatte unter Dex immer eine virtuelle Fre<strong>und</strong>in,<br />

mit der sie sich unterhalten konnte, ohne Dex war sie<br />

einsam…“<br />

„Beziehungsbotschaften“ an <strong>die</strong> Suchtmittel:<br />

„du bist das einzige, was mich nicht im Stich lässt“<br />

„du warst immer da“<br />

„durch dich fühlte ich mich teilweise besser“


Gr<strong>und</strong>lagen der <strong>Bindung</strong>stheorie<br />

• Primäre Bezugsperson als „sichere Basis“<br />

• <strong>Bindung</strong>sverhalten (Lächeln, Schreien,<br />

Fortbewegung) /Explorationsverhalten<br />

(Erk<strong>und</strong>en der Umwelt)<br />

• Qualitative Unterscheidung der<br />

<strong>Bindung</strong>ssicherheit<br />

• Feinfühligkeit der Bezugsperson („externe<br />

Regulationshilfe“)


Suchtmittelabhängige Jugendliche…<br />

• weisen eine hohe Komorbidität mit anderen<br />

jugendpsychiatrischen Störungen <strong>auf</strong><br />

• haben meist multiple psychosoziale<br />

Belastungsfaktoren, v.a. Sucht <strong>und</strong> andere psych.<br />

Erkrankungen eines Elternteils, Beziehungsabbrüche,<br />

instabile fam. Beziehungen, traumatische<br />

Erfahrungen


Kinder suchtbelasteter Eltern<br />

• Substanzkonsumierende Jugendliche kommen<br />

überdurchschnittlich häufig aus suchtbelasteten Familien<br />

• Weniger kontinuierliche elterliche Wärme <strong>und</strong> Unterstützung<br />

• Risiko besonders hoch, wenn: häufiger Wechsel von<br />

Bezugspersonen, Gewalt i.d. Familie, keine Inanspruchnahme<br />

von Hilfe<br />

• Sichere <strong>Bindung</strong> zur Mutter bei alk.abh. Vater: weniger<br />

Verhaltensstörungen d. Kinder (Rina Eiden, MC 2011)<br />

• 1/3 der Kinder bleiben psychisch ges<strong>und</strong>!


<strong>Bindung</strong> <strong>und</strong> Trauma<br />

• Traumatische Erfahrungen wirken sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Bindung</strong>sentwicklung aus, v.a. intrafamiliäre<br />

Traumatisierung (Main, Hesse 1990, Schechter 2006,<br />

Brisch 2006)


<strong>Auswirkungen</strong> v. Trauma transgenerational<br />

Gewaltbedingte Traumata in der Generationenfolge<br />

(Schechter 2006):<br />

Beeinträchtigte Wahrnehmung d. Mütter mit PTSD-Symptomatik<br />

Teufelskreis: Stressreaktionen d. Kindes triggern traumatische<br />

Erinnerungen <strong>und</strong> Affekte , lösen defensiven Rückzug aus, was<br />

wiederum beim Kind Verzweiflung erzeugt (<strong>Bindung</strong>ssystem<br />

aktiviert)<br />

Konzept der parentalen Hilflosigkeit (KH Pleyer 2010):<br />

Fehldeutung kindlicher Signale /cotraumatische Prozesse


Forschungsstand<br />

• Transgenerationale Stu<strong>die</strong>n zu <strong>Bindung</strong> bei<br />

suchtmittelabhängigen Jugendlichen<br />

Rosenstein, Horowitz, 1996: Jugendl. psychiatrische<br />

Patienten <strong>und</strong> ihre Mütter, zusätzl. Substanzmissbrauch:<br />

hohe Übereinstimmung zw. Müttern u. Jugendlichen, Zshg.<br />

Verhaltensstörungen - distanzierender <strong>Bindung</strong>sstil, affektive Störungen -<br />

präokkupierter <strong>Bindung</strong>sstil, Substanzmissbrauch schwächerer Prädiktor<br />

als Verhaltensstörung<br />

Schindler (2001, 2005…): transgenerationale Stu<strong>die</strong> an Opiate<br />

konsumierenden Adoleszenten in ambulanter familientherapeutischer<br />

Behandlung:<br />

<strong>Bindung</strong>sstile nach Bartholomew, Horowitz (1991): ängstlichvermeidender<br />

Stil korreliert sign. mit Schwere der Drogenabhängigkeit


Fragestellung<br />

• <strong>Bindung</strong>sverhalten <strong>und</strong> -repräsentationen<br />

suchtmittelkonsumierender Jugendlicher?<br />

• Transgenerationale Zusammenhänge?


Adult Attachment Interview<br />

(George, Kaplan, Main 1984/1985/1996)<br />

• Halbstrukturiertes Interview, erfasst mentale<br />

<strong>Bindung</strong>srepräsentationen<br />

• Bei Jugendlichen ab 16 J. bewährt<br />

• Autobiographische Fakten einbezogen<br />

• Qualitative Auswertung anhand operationalisierter Kriterien<br />

durch externe geschulte Rater


<strong>Bindung</strong>srepräsentationen<br />

• Interne Arbeitsmodelle <strong>und</strong> Organisation von<br />

<strong>Bindung</strong><br />

• Resultiert aus der Gesamtheit der<br />

bindungsrelevanten Lebenserfahrungen (v.a.<br />

mit den Eltern) bis ins Jugendalter<br />

• <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> den Umgang mit<br />

Belastungen <strong>und</strong> Verhaltens- <strong>und</strong><br />

Emotionsregulation


Klassifikation der <strong>Bindung</strong>srepräsentationen<br />

Jugendlicher u. Erwachsener<br />

F: Autonom-sicher<br />

D: Unsicher-distanzierend<br />

E: Unsicher-präokkupiert<br />

(od. u.-verwickelt)<br />

U: Unverarbeitet:<br />

CC (cannot classify): Anteile<br />

von D <strong>und</strong> E oder keinerlei<br />

Strategie<br />

i.d.R. ges<strong>und</strong>e Entwicklung<br />

Organisierte Formen<br />

unsicherer <strong>Bindung</strong><br />

Risikofaktor!<br />

Hochunsichere<br />

<strong>Bindung</strong>srepräsentationen:<br />

Erhebliche Störungen der<br />

seelischen Entwicklung


Weitere Instrumente<br />

• JTCI 12-18 (Junior Temperament and Character<br />

Inventory): Einschätzung von Persönlichkeitsfaktoren<br />

<strong>auf</strong> 7 Skalen<br />

(Cloninger 1999; Goth, Schmeck 2000)<br />

• ACE-Score (Adverse Childhood Experiences):<br />

Quantifizierung von belastenden <strong>und</strong><br />

traumatisierenden Entwicklungsbedingungen,<br />

10 Items (Felliti et al 1998)<br />

• BADO: Basisdokumentation KJPP + Modul Sucht<br />

(Englert et al 1998 / 2000; Gsellhofer et al 1993)


Stichprobe<br />

• 15 Jugendliche in stat. Entzugsbehandlung, 12 Elternteile<br />

• Substanzabhängigkeit (F1x.2); nicht substanzbezogene<br />

Komorbidität: 93%<br />

• Alter: 16;1-18;1 (M=16;9)<br />

• Geschlecht: m=11, w=4<br />

• 4 Jugendliche in stat. Jugendhilfe, 8 bei leibl. Mutter (davon 4<br />

+Stiefvater), 3 bei leibl. Vater<br />

• Ausschlusskriterien: Migrationshintergr<strong>und</strong>, Adoption, akute<br />

Psychose, Lernbehinderung<br />

• Hohe Ähnlichkeit mit Gr<strong>und</strong>gesamtheit behandelter<br />

Jugendlicher 2006 (BADO, Fetzer 2008).


Ergebnisse


<strong>Bindung</strong>sklassifikationen Jugendliche<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

F D E U CC<br />

Jugendl.


6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

<strong>Bindung</strong>sklassifikationen<br />

Jugendliche <strong>und</strong> Mütter<br />

F D E U CC<br />

Jugendl.<br />

Mütter


Subgruppenvergleich<br />

unsicher vs. hochunsicher (Jugendliche)<br />

• Kein Unterschied hinsichtlich Alter, Konsumbeginn,<br />

Konsummuster, Auftreten komorbider Störungen (aber:<br />

klinische Ausprägung)<br />

• Sucht <strong>und</strong> psychische Labilität/Erkrankung d. Eltern<br />

Jugendliche Sucht, psych. Labilität<br />

Mutter<br />

Unsicher (N=6) 2 (33%) 5 (84%)<br />

Sucht, psych. Labilität<br />

Vater<br />

Hochunsicher (N=9) 9 (100%) 3 (33%) unbek. 4 (45%)


Subgruppenvergleich<br />

unsicher vs. hochunsicher (Jugendliche)<br />

Jugendliche JTCI (Anzahl<br />

<strong>auf</strong>fälliger<br />

Dimensionen)<br />

ACE-Score Wechsel im<br />

Bezugsumfeld<br />

Unsicher 2,8 (N=5) 2,5 (N=6) 3,3 (N=6)<br />

Hochunsicher 3,7 (N=7) 4,8 (N=9) 5,1 (N=9)<br />

t-Test p = .404 n.s. p = .004**


Jugendliche(r)<br />

unsicher<br />

Jugendliche(r)<br />

hochunsicher<br />

Mutter-Kind-Dyaden<br />

Mutter<br />

unsicher<br />

2 3<br />

0 5<br />

Mutter<br />

hochunsicher


Jugendliche(r)<br />

unsicher<br />

Jugendliche(r)<br />

hochunsicher<br />

Mutter-Kind-Dyaden<br />

Mutter<br />

unsicher<br />

Mutter<br />

hochunsicher<br />

Gruppe 1 Gruppe 2<br />

Gruppe 3


Ergebnisse Mütter<br />

• Mütter G1 (unsicher/unsicher) <strong>und</strong> G2<br />

(hochunsicher/unsicher) ähneln sich mehr als<br />

G2 <strong>und</strong> G3 (beide hochunsicher)<br />

• Mütter mit Erfahrung von Bewältigung,<br />

Stabilisierung (durch PT, tragfähige<br />

Beziehungen, Zufriedenheit in Beruf <strong>und</strong><br />

Freizeit) hatten unsicher geb<strong>und</strong>ene Kinder<br />

(G2), auch wenn selbst hochunsichere BR!


Mütter<br />

<strong>Bindung</strong>srelevante<br />

Lebensereignisse<br />

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3<br />

Nicht einheitlich<br />

innerhalb der Gruppe<br />

Intrafamiliäre Belastung Nicht einheitlich<br />

innerhalb der Gruppe<br />

Paarbeziehungen Früher belastet, aktuell<br />

stabilisiert<br />

wenige viele<br />

hoch hoch<br />

Früher belastet, aktuell<br />

stabilisiert<br />

Kontinuierlich belastet<br />

Beruf Zufriedenheit Hohe Zufriedenheit Wenig Zufriedenheit <strong>und</strong><br />

Kontinuität<br />

Psych. Belastung Gering Früher hoch, jetzt gering Kontinuierlich sehr hoch<br />

Verhältnis Belastungs-<br />

<strong>und</strong> Schutzfaktoren<br />

Ausgewogen Aktuell ausgewogen,<br />

i. d. Vorgeschichte mehr<br />

Belastung<br />

Viele Belastungs-,<br />

wenige Schutzfaktoren,<br />

traumatisierender<br />

Entwicklungskontext


Jugendliche Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3<br />

Trennung der Eltern Nach der Kleinkindzeit Kleinkindzeit Schwangerschaft od.<br />

Wechsel im<br />

Bezugsumfeld<br />

4,5 3 5,2<br />

Kleinkindzeit<br />

Beziehung zur Mutter Gut - idealisierend Idealisierend Sehr eng, Idealisierung<br />

Beziehung u. Kontakt<br />

zum Vater<br />

Beziehung Stief-/<br />

Ersatzväter<br />

Idealisieren, trotz<br />

körperlicher<br />

Misshandlung,<br />

Wenig Kontakt<br />

Wenig bekannt od. nicht<br />

vorhanden<br />

Kaum od. kein Kontakt,<br />

abwertend<br />

<strong>und</strong> Parentifizierung<br />

Nicht kennen gelernt od.<br />

abwertend<br />

Gut, wenn vorhanden Gewalterfahrungen<br />

Sucht in der Familie Väter Väter Väter, Mutter od.<br />

Fremdunterbringung Längere, eher positive<br />

Erfahrung<br />

unbekannt od. keine<br />

Keine Wenn erfolgt, als sehr<br />

belastend erlebt <strong>und</strong><br />

abgebrochen


ACE-Score 3 2,7 4,8<br />

Psych. Beeinträchtigung Mäßig, v.a.<br />

Verhältnis Belastungs-<br />

u. Schutzfaktoren<br />

Mögl. Bedeutung des<br />

Substanzkonsums<br />

Verhaltensebene<br />

Mäßig (ADHS,<br />

Affektlabilität)<br />

(Sehr) hoch: Verhalten<br />

Emotionen, Beziehungen<br />

Auswogen Ausgewogen Viele Belastungs-, wenige<br />

Unbewusste Loyalität<br />

mit idealisiertem Vater<br />

Autonomie/Abgrenzung<br />

Behandlungsverl<strong>auf</strong> Mehrere Intervalle, nach<br />

regulärem Abschluss<br />

stationäre Maßnahme<br />

(Jugendhilfe, LZT)<br />

Symptombewältigung<br />

(z.B. ADHS), Entlastung<br />

bei Überforderung,<br />

Selbstregulation<br />

Teils mehrere Intervalle,<br />

meist initiierte<br />

weiterführende<br />

Maßnahmen<br />

(ambulant/stationär)<br />

Schutzfaktoren, oft<br />

traumatisierender<br />

Entwicklungskontext<br />

Bewältigung trauma-<br />

tischer Erfahrungen,<br />

dysfunktionale Ablösung<br />

<strong>Bindung</strong>sersatz<br />

Aufmerksamkeit/Fürsorge<br />

Mehrere Intervalle, nach<br />

Abbruch Rückkehr zu<br />

Elternteil, kein regulärer<br />

Abschluss, ambulante<br />

Maßnahmen selten <strong>und</strong><br />

unregelmäßig.


Gewalt <strong>und</strong> Vernachlässigung<br />

„…meine Mutti hatte zwischendurch en Fre<strong>und</strong> in (…), der aber eigentlich<br />

ziemlich gewalttätig war ja, weil der hat meine Mutti ins Krankenhaus<br />

gebracht.<br />

Ins Krankenhaus ?<br />

Ja. Der hat geschlagen <strong>und</strong> meine Mutti is mit em Kopf gegen so’n<br />

Laternenmast geknallt <strong>und</strong> hatte dann hier so ne offene W<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das<br />

war kurz vor meinem zwölften Geburtstag. Da war ich zwei Wochen allein<br />

zu Hause <strong>und</strong> kein Mensch hat sich um mich gekümmert, weder meine<br />

Oma, meine Tanten, gar keiner. Und ich bin halt jeden Tag ins Krankenhaus<br />

<strong>und</strong> hab dann von ihrem damaligen Fre<strong>und</strong> <strong>die</strong> ganzen Sachen zu Hause<br />

gepackt…“


Unklare Beziehungen,Tabuisierung<br />

„<strong>die</strong> hatten mir beigebracht zu meiner Mutter das war <strong>die</strong> Mutti <strong>und</strong> zu<br />

der Tante hab ich Mama gesagt. Und irgendwann sind wirklich, ganz klein<br />

als, ich war noch nicht in der Schule nee, ich hab viel immer in mich<br />

reingefressen <strong>und</strong> ich hab also net viel so (unverständlich) ausgesprochen<br />

eh, ich weiß noch da haben mich Kinder gefragt, welche ist jetzt eigentlich<br />

deine Mutter, <strong>die</strong> dünne oder <strong>die</strong> dicke nee? (lacht) <strong>und</strong> da wusst ich das<br />

gar net <strong>und</strong> da hab ich gedacht, ich hab se beide arg lieb gehabt <strong>und</strong> mei<br />

Tante hat mich verwöhnt <strong>die</strong> hat me also wirklich alles in Hintern gestopft,<br />

nee, also mehr wie meine Mutter <strong>und</strong> das weiß i noch ganz genau, wie ich<br />

klein war <strong>und</strong> hab gedacht, hoffentlich ist <strong>die</strong> Mutti meine richtige, <strong>die</strong><br />

Mutti is meine richtige Mutter, obwohl ich von der Tante alles betüdelt<br />

<strong>und</strong> hier <strong>und</strong> da…“


Gelungene Bewältigung<br />

„Also es war überhaupt net einschätzbar, ja es war man hat nie g’wusst<br />

wie erwartescht se jetzt, wie ist se jetzt dr<strong>auf</strong> was passiert, das war das<br />

Schlimmschte. Man hat immer in Anspannung <strong>und</strong> in Angscht gelebt“.<br />

„Also ich hab, ich hab null Selbstbewusstsein gehabt wo i (unverständlich),<br />

wirklich null <strong>und</strong> hab mir das peu a peu erarbeite müsse <strong>und</strong> das war e<br />

harter, steiniger Weg, muss ma wirklich sage. Wie g’sagt, es war ja scho so,<br />

dass ich scho fascht paranoid war, ja, denk halt jeder denkt jetzt schlecht<br />

über dich (unverständlich) des war scho schwierig <strong>und</strong> was mir gut gholfe<br />

hat, war wirklich der Sport (..)<br />

Ja, da aktiv zu sein, zu sage, du kriegscht das hin du, du kannsch was<br />

beeinflusse kannsch was bewirke <strong>und</strong> so hat scho gut geholfe do. Drum<br />

war das au genau das Richtige, dass ich’s gemacht hab obwohl ich den<br />

Beruf jetzt nimmer ausüb.“


Zusammenfassung d. Ergebnisse<br />

• Substanzabhängigkeit bei Jugendlichen ist sehr häufig mit<br />

tiefgreifenden <strong>Bindung</strong>s- <strong>und</strong> Beziehungsstörungen<br />

verb<strong>und</strong>en (incl. eingeschränkter Fähigkeit d. Verhaltens- <strong>und</strong><br />

Emotionsregulation)<br />

• Suchtmittel als Kompensations- od. Ersatzobjekt<br />

• Parentifizierung, Rollenumkehr, Loyalitätskonflikte in Zshg. mit<br />

biographisch nachvollziehbaren Beeinträchtigungen der Eltern<br />

führen oft zu eingeschränkter Autonomieentwicklung<br />

(Pseudo-Autonomie)


Relevanz der Ergebnisse<br />

Hochunsichere Mütter haben nicht automatisch<br />

hochunsichere Kinder!<br />

Protektive <strong>und</strong> kompensierende Faktoren:<br />

1. Korrigierende Beziehungserfahrungen<br />

2. Befriedigende berufliche Tätigkeit<br />

3. Sinnvolle, aktive Freizeitgestaltung<br />

4. Positive Bewältigung psych. Belastung (PT)


Klinische Relevanz<br />

Behandlung <strong>und</strong> Diagnostik Jugendlicher muss<br />

<strong>Bindung</strong>saspekte einbeziehen!<br />

Wichtige Faktoren in der Behandlung:<br />

1. Bezugspersonenarbeit<br />

2. Familientherapie<br />

3. Mastery-Erfahrungen, Coping, Planung realistischer<br />

Perspektiven<br />

4. Berücksichtigung traumatischer Erfahrungen in<br />

Therapie <strong>und</strong> Alltag


clean.kick <strong>und</strong> clean.kids<br />

Entwicklung der Jugend-<br />

Drogenentzugsbehandlung 2002-2013


Eröffnung der Jugenddrogenstation clean.kick:<br />

2002<br />

• 15 Behandlungsplätze (Alter 14-18J +-2)<br />

• Freiwillige Übereinkunft, offene Station<br />

• Niederschwelliger Zugang<br />

• Versorgungsgebiet: Ba.-Wü. , angrenzende BL<br />

• Integrierte Jugend-Drogen Fachambulanz<br />

• Qualifizierte Entzugs- u. weiterführende<br />

KJPP- Behandlung<br />

• Evaluiertes Konzept


Behandlungskriterien<br />

Zielgruppe: Jugendliche…<br />

• <strong>die</strong> einen ausgeprägten schädigenden Substanzmissbrauch<br />

betreiben, der schon zu körperlichen oder seelischen<br />

Folgeerkrankungen geführt hat. Einschließlich eines gestörten<br />

Verhaltens oder Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit mit<br />

negativen Konsequenzen in zwischen menschlichen<br />

Beziehungen<br />

• <strong>die</strong> manifest abhängigkeitskrank sind<br />

• <strong>die</strong> psychisch krank sind <strong>und</strong> Suchtmittel missbrauchen


Was war schnell klar?<br />

• Nahtloser Übergang in geeignete Anschluss-<br />

Maßnahmen wichtig!<br />

JUST (2008-2011)<br />

• Gruppe <strong>und</strong> Altersspektrum zu groß!<br />

clean.kids (2010)


Eröffnung clean.kids: 2010


Clean.kick:<br />

– Alter: 16 bis 19J.<br />

– RBZ: 63 Tage<br />

– 12-13 Jugendliche<br />

Rahmenbedingungen<br />

– Aufnahmebereich von<br />

Behandlungsbereich getrennt<br />

– Abhängigkeitsdiagnosen<br />

häufiger als Missbrauch<br />

– Rauchen erlaubt<br />

(bis 10 Zig. tgl. )<br />

Clean.kids:<br />

– Alter: 12-15J.<br />

– RBZ: 84 Tage<br />

– 7-8 Jugendliche<br />

– Ein Behandlungsbereich für<br />

alle Phasen<br />

– Eher Substanzmissbrauch+<br />

Komorbidität<br />

– Absolutes Rauchverbot,<br />

altersangemessenes<br />

Regelwerk


Erfahrungen clean.kids<br />

Jüngere Jugendliche…<br />

- sind seltener bereit freiwillig zu kommen (<strong>und</strong> zu bleiben), übertreten<br />

häufig Regeln, v.a. Rauchverbot<br />

- haben oft ein wenig verlässliches fam. Umfeld, wenig Aufsicht <strong>und</strong><br />

Steuerung, viel Vernachlässigung erlebt<br />

- haben noch größere <strong>Bindung</strong>sprobleme<br />

- kommen oft (zu) spät!<br />

+ Profitieren von verlässlichen Beziehungen, klaren Regeln u. Grenzen,<br />

Erfolgserlebnissen<br />

+ Sind anhänglich, können Zuwendung <strong>und</strong> Fürsorge gut annehmen<br />

+ haben weniger Entzugssymptomatik


Leitgedanken<br />

clean.kick clean.kids<br />

• Motivation ist nicht Voraussetzung<br />

sondern Ziel der Behandlung<br />

• Jeder drogenfreie Tag zählt (Einstieg<br />

in den Ausstieg)<br />

• Transparenz <strong>und</strong> Partizipation<br />

unterstützen den päd.-therap.<br />

Prozess<br />

• Befähigung zu größtmöglicher<br />

Selbstverantwortung<br />

• Behandlungsabbruch ist kein<br />

Beziehungsabbruch<br />

(Intervallbehandlung)<br />

Motivation schwerer zu erreichen<br />

Jeder Tag zählt!<br />

(meist kein tägl. Konsum)<br />

Dto., Partizipation d.<br />

Sorgeberechtigen /BZP<br />

Häufig zu viel Verantwortung, Ziel:<br />

Stärkung d. Verantwortung im<br />

Umfeld<br />

Behandlungsabbruch ist häufiger<br />

auch ein Beziehungsabbruch!


Intervallbehandlung<br />

Clean.kids brechen häufig in der ersten<br />

Woche ab, werden gelegentl. vorzeitig<br />

entlassen (clean.kick: eher diszipl. Entl.)<br />

Einige kommen zeitnah wieder, einige erst,<br />

wenn geschlossene Unterbringung (clean.kick:<br />

Haft) droht<br />

Einige bleiben <strong>auf</strong> der Strecke!<br />

(clean.kick: Die meisten kommen wieder)


Evaluation


Clean.kick (BADO):<br />

Lebenssituation<br />

• 60% der Jugendlichen hatten mind. ein<br />

Elternteil mit einer Sucht- oder anderen<br />

psychischen Erkrankung<br />

• Ca. 25% lebten bei beiden Elternteilen, 24% in<br />

stationärer Jugendhilfe


80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Konsummuster clean.kick<br />

Verteilung Hauptdiagnosen clean.kick 2002 - 2011<br />

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011<br />

• Nur F10, F12 <strong>und</strong> F19 bedeutsam<br />

• Abnahme F12 <strong>und</strong> Anstieg F10 seit 2005<br />

F10<br />

F11.2<br />

F12<br />

F13<br />

F18<br />

F19


16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Konsummuster clean.kids<br />

Verteilung der Hauptdiagnosen clean.kids<br />

F10.1 F10.2 F12.1 F12.2 F15.1 F18.2 F19.1 F19.2<br />

2011<br />

2010


Verteilung komorbider Störungen<br />

27%<br />

21%<br />

clean.kick 2009 bis 2011<br />

7%<br />

8%<br />

23%<br />

7%<br />

2%<br />

2% 1%<br />

2%<br />

F2<br />

F3<br />

F4<br />

F5<br />

F6<br />

F7<br />

F8<br />

F90<br />

F91<br />

F92


Verteilung komorbider Störungen<br />

53%<br />

clean.kids 2010 <strong>und</strong> 2011<br />

0% 1%<br />

5%<br />

9%<br />

1% 2%<br />

0% 3%<br />

32%<br />

F2<br />

F3<br />

F4<br />

F5<br />

F6<br />

F7<br />

F8<br />

F90<br />

F91<br />

F92


Verweildauer


Therapeutische Implikationen<br />

clean.kick u. clean.kids


Bezugspersonenarbeit<br />

• Verlässliche Beziehungen als neue Erfahrung („sichere Basis“)<br />

• Intervallbehandlung: kurze (oder keine!) Unterbrechungen,<br />

Trennungserfahrungen führen häufig zu Rückfällen <strong>und</strong><br />

Beziehungsabbruch<br />

• Feinfühliges Verhalten, externe Regulationshilfe<br />

• Aggression/neg. Affekte als Folge von angsterfüllten<br />

Erlebnissen in der Kindheit sehen ohne Gewalt zu<br />

bagatellisieren (Regulationshilfe!)<br />

• Herantasten an Beziehung (mehrere Ansprechpartner)<br />

Tragfähigkeit wird immer wieder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Probe gestellt<br />

• Hohe Anforderungen an Bezugspersonen!


Familientherapie<br />

• Erzieherischen Einfluss u. SWE der Eltern(teile)<br />

stärken<br />

• Autonomie <strong>und</strong> Ablösung<br />

• Berücksichtigung von Sucht <strong>und</strong> psychischer<br />

Erkrankung der Eltern <strong>und</strong> <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Bindung</strong>ssicherheit<br />

• Verantwortung angemessen verteilen<br />

• Enttabuisierung abwesender Familienmitglieder<br />

• Akzeptierende Haltung gegenüber allen


Mastery-Erfahrungen<br />

• Erfahrungen gelungener Bewältigung sind (neben<br />

pos. <strong>Bindung</strong>en) wichtige Faktoren f. d. Entwicklung<br />

von Resilienz<br />

• Erfahrungen, <strong>die</strong> unmittelbare Erfolgserlebnisse<br />

ermöglichen, zeigen kurz- <strong>und</strong> langfristig positive<br />

Wirkung: z.B. Erlebnistherapie, (Schag 2009);<br />

konkrete Ziele u. Rückmeldung wichtig<br />

• Unterstützung realistischer schulischer <strong>und</strong><br />

beruflicher Ziele, sinnvoller Freizeitgestaltung<br />

Verbesserung d. Selbstwirksamkeitserwartung


„In <strong>die</strong>ser Woche habe ich beim Klettern<br />

wieder mal erreicht, dass Mädchen<br />

genauso gut sind wie Jungs <strong>und</strong> dass ich<br />

es schaffen kann <strong>und</strong> das bezieh ich<br />

auch <strong>auf</strong> andere Sachen…“<br />

(Tara, 15J. , Wochenbericht)


Traumasensibilität<br />

• Gewaltfreiheit, sicheres Umfeld,<br />

Berechenbarkeit, Regulierung d. Kontakte<br />

• Berücksichtigung der oft komplexen (frühen)<br />

Traumatisierungen<br />

• Traumata der Eltern <strong>und</strong> ihre <strong>Auswirkungen</strong><br />

z.B. <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bindung</strong>sentwicklung?<br />

• Psychoedukation, Symptome verstehbar<br />

machen, Funktion d. Suchtmittel


Was hilft (außer Reden)?


• Ergotherapie<br />

• SKT<br />

Was hilft außer Reden?<br />

• Erlebnistherapie<br />

(z.B. HSG, Klettern,<br />

Bogen schießen)<br />

• Sportliche Aktivierung<br />

• Schule individuell<br />

• Reittherapie<br />

• Entspannung,<br />

Akupunktur<br />

• Klarer Rahmen mit<br />

zunehmenden<br />

Privilegien/Freiheiten<br />

• Ausgang, Heimfahrten<br />

zur Realitätsüberprüfung


Vernetzung


Vernetzung<br />

• Familie: Familiengespräche, Familienseminare<br />

Ziel: Unterstützung von Ablösung od. Verantwortungsübernahme<br />

• Jugendhilfe, Suchthilfe<br />

Initiierung v. geeigneten Anschlussmaßnahmen<br />

• Schule:<br />

pos. Schulerfahrungen i.d. Klinikschule, (Re)integration in<br />

Heimatschule<br />

• Niedergel. KJPP/PIA:<br />

Weiterbehandlung d. comorbiden Störungen<br />

• Polizei:<br />

rm Kooperationsgespräche; Projekt HaLT


Danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

ulrike.amann@zfp-zentrum.de

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