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CLUB PASSAGE<br />
PROGRAMMKINO<br />
Manfred Krug Retrospektive<br />
- seine DEFA-Filme zum 70. Geburtstag
Am 8. Februar 2007<br />
wurde einer der<br />
beliebtesten (Film-)<br />
Schauspieler<br />
Deutschlands 70 Jahre<br />
alt; für den CLUB<br />
PASSAGE Anlass<br />
genug, einige der<br />
interessantesten Filme,<br />
in denen "Manne Krug",<br />
wie ihn das Volk gern<br />
nennt, gespielt hat,<br />
dahin zu bringen, wofür<br />
sie eigentlich gedreht<br />
wurden, nämlich auf die<br />
Kinoleinwand. Der Held von nicht zuletzt mehr als<br />
zwei Dutzend DEFA-Filmen und etlichen<br />
Fernsehfilmen und -Serien erblickte 1937 in<br />
Duisburg das Licht der Welt; hier besuchte er<br />
auch das Gymnasium. Nach der Trennung der<br />
Eltern übersiedelten 1949 Vater und Sohn in die<br />
DDR, wo Manfred - dem Wunsche seines Vaters,<br />
eines Stahlschmelzers, folgend - eine Lehre im<br />
Stahl- und Walzwerk Brandenburg aufnahm. Als<br />
1951 in ebendiesem Betrieb der DEFA-Film<br />
"Frauenschicksale" (mit Lissy Tempelhof) gedreht<br />
wurde, beobachtete Manfred Krug höchst<br />
interessiert das Geschehen. Es muss um diese<br />
Zeit gewesen sein, als sich der junge<br />
Hüttenwerker, der zu Hause vor dem Spiegel<br />
gelegentlich schon mal Sterbeszenen übte, für<br />
eine Karriere als Schauspieler entschloss. Und so<br />
kämpfte er nach der Lehre beharrlich darum, an<br />
der Berliner Schauspielschule aufgenommen zu<br />
werden - schließlich mit Erfolg. An dieser<br />
Bildungsstätte absolvierte der frischgebackene<br />
Schauspielschüler ab 1954 die Mimen-<br />
Grundausbildung, allerdings nur anderthalb Jahre<br />
lang. Der Grund: Zu Krugs Stärken zählte nicht<br />
unbedingt die Fähigkeit, sich festen oder gar<br />
starren Regeln zu unterwerfen, was ihn dazu<br />
veranlasste, gegen die heilige Ordnung der<br />
Lehranstalt zu rebellieren, wo immer sich die<br />
Gelegenheit bot - was denn auch folgerichtig mit<br />
seinem Hinauswurf quittiert wurde. Die<br />
Gelegenheit, die so unerwartet abgebrochene<br />
Ausbildung auf andere Weise zu<br />
vervollständigen, bot sich Manfred Krug<br />
schließlich bei einem der führenden Theater der<br />
Hauptstadt, nämlich am Berliner Ensemble.<br />
Bertolt Brecht nahm den ungestümen jungen<br />
Mann als Eleven auf, was diesen in ersten<br />
Kontakt mit dem Publikum brachte. Kleine Rollen<br />
in "Winterschlacht", "Galilei" oder "Held der<br />
westlichen Welt" ließen Krug trotz<br />
Bühnenreifeprüfung erkennen, dass der<br />
Brechtsche Schauspielstil sich nicht mit seinen<br />
Vorstellungen vom Schauspielen deckte, und so<br />
2<br />
verließ er nach Brechts Tod das Theater am<br />
Schiffbauerdamm. Dank selbstfinanzierter<br />
"Künstlerpostkarten" kannten zu dieser Zeit<br />
sowohl das DEFA-Besetzungsbüro als auch<br />
einige Regisseure den ebenso filmbesessenen<br />
wie hartnäckigen (und damals noch lockigen)<br />
Jungschauspieler, und so dauerte es auch nicht<br />
lange, bis man ihn holte. In den 50er Jahren trat<br />
das Phänomen eines bis dato unbekannten<br />
Prototyps, nämlich das des "Halbstarken" ins<br />
Bewusstsein der Öffentlichkeit: Heranwachsende<br />
junge Männer, die ihre Aggressionen auf mehr<br />
oder weniger kriminelle Art gegen die<br />
selbstzufriedene Gutbürgerlichkeit der<br />
Elternhäuser und der Gesellschaft wendeten. Der<br />
amerikanische Film "...denn sie wissen nicht, was<br />
sie tun" mit James Dean war der bekannteste<br />
einer Reihe von Spielfilmen, die sich mit diesem<br />
(ersten) Generationsproblem der westlichen Welt<br />
auseinandersetzten. Das Problem wurde<br />
verschiedentlich in anderen Ländern thematisiert,<br />
so auch in der DDR - und wer war geeigneter,<br />
den "klassischen" Halbstarken zu geben, als der<br />
kodderschnauzige kräftige Schlaks mit der<br />
dekorativen Stirnnarbe, Manfred Krug? Die erste<br />
Spielfilmrolle erhielt er in Carl Ballhaus' "Mädchen<br />
von 16 1/2", ähnliche Aufgaben vertrauten ihm<br />
Richard Groschopp ("Ware für Katalonien"),<br />
János Veiczi ("Reportage 57") und andere an.<br />
Der Gefahr, für immer und ewig auf den Typus<br />
des Halbstarken mit leicht kriminellem Einschlag<br />
festgelegt zu werden, entging Krug durch<br />
Mitwirkung in zahlreichen - in den Pionierjahren<br />
des Deutschen Fernsehfunks noch live<br />
gesendeten - Fernsehproduktionen. Die<br />
Bandbreite war erfreulich groß, so dass<br />
Fernsehzuschauer jener Jahre Krug in sehr<br />
unterschiedlichen Rollen erleben konnte, darunter<br />
als Diener in Gogols "Toten Seelen" oder gar als<br />
Kaspar in einer Fernsehfassung von Webers<br />
Oper "Der Freischütz". Die erste Charakterrolle<br />
bei der DEFA spielte Manfred Krug 1959 unter<br />
der Regie von <strong>Frank</strong> <strong>Beyer</strong> in dessen<br />
Spanienkriegsdrama "Fünf Patronenhülsen" - an<br />
der Seite so erfahrener Darsteller wie Erwin<br />
Geschonneck, Edwin Marian, Armin Mueller-Stahl
und anderen. 1961 wurde für Krug Ralf Kirstens<br />
Film "Auf der Sonnenseite" zum Durchbruch.<br />
Es folgten etliche Aufgaben in Komödien,<br />
Gegenwartsfilmen, Dramen und Liebesfilmen -<br />
und in Filmen, die nicht nur, aber hauptsächlich<br />
für Kinder gedreht wurden. Zu diesen Klassikern<br />
gehört neben dem Kinderkrimi "Käuzchenkuhle"<br />
vor allem der legendär-erfolgreiche Märchenfilm<br />
"König Drosselbart", der den Zuschauern die<br />
Gelegenheit gab, einen auch singenden und<br />
Drehleier spielenden Manfred Krug zu erleben.<br />
Die hier - wie oft und gern bei<br />
Kinderfilmproduktionen - angewandte Praxis der<br />
Filmemacher, zeitkritische Anspielungen in der<br />
Handlung zu verstecken, erfuhr mit Egon<br />
Günthers Film "Wenn du groß bist, lieber Adam"<br />
(1965) eine Steigerung: Das konfliktauslösende<br />
Element der Fantasy-Komödie, in der auch<br />
Manfred Krug spielte, ist eine wundersame<br />
Lampe, die Lügner entlarvt, indem es sie in die<br />
Lüfte entschweben lässt. Der Vater des Dresdner<br />
(!) Jungen, der die Lampe besitzt, befürchtet<br />
unterdessen, dass sich aus nahe liegenden<br />
Gründen bald die ganze DDR im<br />
Schwebezustand befinden könnte. Für die<br />
Zensurbehörden der DDR zu starker Tobak, um<br />
ungestraft zu bleiben: Das 11. Plenum des ZK der<br />
SED setzte - neben "Spur der Steine" und<br />
etlichen anderen Filmen - auch diesen Film auf<br />
den Index. Manfred Krugs<br />
Beschäftigungssituation tat das keinen Abbruch,<br />
er spielte weiterhin in Arbeiterfilmen, Liebesfilmen<br />
und Dramen; besonderer Beliebtheit unter dem<br />
Volke erfreute sich seine Mitwirkung in<br />
historischen Abenteuerfilmen wie "Husaren in<br />
Berlin", "Mir nach, Canaillen!" oder auch "Kit &<br />
Co", die neben den obligatorischen Indianerfilmen<br />
regelmäßig zu den Knüllern der jährlich<br />
stattfindenden Sommerfilmtage zählten.<br />
Es verwundert kaum, dass die Mehrzahl der<br />
Filme mit Manfred Krug unmittelbar auf seine<br />
Erscheinung, seine Art zu spielen und seine<br />
physischen Möglichkeiten abgestimmt wurden.<br />
Gleich, welcher Art die Charaktere in den<br />
unterschiedlichen Filmen sind - Manfred Krug<br />
spielt im Grunde immer sich selbst - die Grenzen<br />
zwischen Natur und Kultur verschwinden. Krugs<br />
Markenzeichen sind die unnachahmlich trockene<br />
Art, Pointen zu setzen, freche Gelassenheit,<br />
mimischer Witz und eine oft schnoddrige<br />
Männlichkeit, die im Umgang mit den Damen<br />
indessen von höchst galantem Charme abgelöst<br />
wird...<br />
Krug, den die Liebe zur Musik und insbesondere<br />
zum Gesang seit der Schauspielschule nie<br />
verlassen hatte, startete 1962 eine zweite<br />
Karriere neben der Schauspielerei: Als gefeierter<br />
Chanson- und Jazz-Sänger tourte er mit unter-<br />
3<br />
schiedlichen Bands durch die DDR, Polen und<br />
durch die damalige ČSSR sowie die Sowjetunion,<br />
nahm mit Günther Fischer bei Amiga Platten auf<br />
(wobei die Nachfrage das zahlenmäßige Angebot<br />
weit überstieg), bestritt Konzertauftritte im<br />
Fernsehen und feierte zwischen 1970 und 1976<br />
sensationelle Theatererfolge als Sporting Life in<br />
Gershwins "Porgy and Bess" in der Komischen<br />
Oper Berlin.<br />
Roland Oehmes Fernfahrerfilm "Wie füttert man<br />
einen Esel?" (1976), die Literaturverfilmung<br />
"Abschied vom Frieden" (1976) und die<br />
Abenteuerkomödie "Feuer unter Deck" (1977)<br />
von Herrmann Zschoche waren die letzten DEFA-<br />
Filme, die Krug in der DDR drehte: Der populäre<br />
DDR-Star unterstützte 1976 den Protest<br />
zahlreicher Künstler gegen die Ausbürgerung des<br />
Liedermachers Wolf Biermann, worauf er und<br />
seine Angehörigen die für solche und ähnliche<br />
Fälle vorgesehenen Repressalien und Schikanen<br />
erleiden mussten: Fertige Filme wurden nicht<br />
abgenommen, Dreharbeiten für neue<br />
Produktionen annulliert, seine Konzerte<br />
planmäßig boykottiert. Der Erwerbsgrundlage<br />
beraubt, entschloss sich Krug 1977, mit seiner<br />
Familie nach Westberlin überzusiedeln. Manfred<br />
Krugs Erfolg in der BRD ließ nicht lange auf sich<br />
warten: Nach Auftritten in TV-Shows und<br />
Spielfilmen wie "Flächenbrand" und "Joseph Süss<br />
Oppenheimer" entdeckte man Krugs Serienpotential<br />
(eine Entdeckung, die der Fernsehfunk
der DDR Mitte der 70er Jahre bereits mit der<br />
beliebten historischen Serie vom "Stülpner Karl"<br />
vorweggenommen oder doch wenigstens<br />
angedeutet hatte). Zunächst sah man ihn als<br />
Trucker in der Fernsehserie "Auf Achse", später<br />
in der "Sesamstraße", als gewitzt-phlegmatischer<br />
Rechtsanwalt in "Liebling Kreuzberg" und<br />
schließlich als Kommissar Stöver in der Krimi-<br />
Serie "Tatort" - hier mit der Spezialität, dass im<br />
Verlauf einer jeden Folge das Ermittlerduo eine<br />
gemeinsam vorgetragene - sich vorgeblich aus<br />
der Handlung ergebende - musikalische Einlage<br />
zu Gehör brachte. Neue und publikumswirksame<br />
Kinofilme mit Manfred Krug (u. a. "Neuner")<br />
blieben auch nach der Wiedervereinigung<br />
Deutschland die Ausnahme, was der inzwischen<br />
gesamtdeutschen Beliebtheit des Schauspielers<br />
(hier ist der Begriff des "Volksschauspielers" wohl<br />
angebracht) nichts anhaben konnte - im<br />
Gegenteil. Der Mime und Sänger, der<br />
gelegentlich auch als Werbeträger in Erscheinung<br />
trat, tourt auch nach dem Rückzug vom<br />
Filmgeschäft bis auf den heutigen Tag mit<br />
Lesungen und Konzerten durch die Republik,<br />
schreibt Lyrik, Prosa und Autobiografien - und<br />
bleibt seinen treuen Fans hoffentlich noch lange<br />
erhalten.<br />
Als 1961 die Gegenwartskomödie "Auf der<br />
Sonnenseite" (DDR, Regie: Ralf Kirsten) in<br />
die Kinos kam, wurde der Film auf Anhieb zum<br />
Kassenschlager - bei DEFA-Filmen eher selten<br />
und bei Lustspielen aus Babelsberg wohl noch<br />
nie zuvor. Der Erfolg des Films leitete sich nach<br />
Auffassung der Kritiker, die mit beiden Händen in<br />
ihre Harfen griffen und anhuben, wahre<br />
Lobeshymnen auf den vom Geheimtipp zum<br />
Publikumsliebling Nummer Eins avancierten<br />
Hauptdarsteller anzustimmen (sogar das<br />
Kulturministerium der DDR meldete sich und<br />
heftete wegen Schöpfung einer gesellschaftlichen<br />
Vorbildfigur dem Filmemacherkollektiv den<br />
Heinrich-Greif-Preis an die von Stolz<br />
geschwellten Brüste), wohl vor allem daran ab,<br />
dass mit der Rolle, die Krug verkörperte, ein Typ<br />
4<br />
Einzug in die Drehbücher gehalten hatte, welchen<br />
es bis dahin so noch nicht gegeben hatte. Der<br />
salopp-charmante respektlose junge<br />
Draufgänger, der keine Neigung zu überflüssigen<br />
Worten zeigt, Regeln gern mal übertritt und im<br />
übrigen eine ironische bis sarkastische Weltsicht<br />
aufweist, fand beim DDR-Kinopublikum eine<br />
enthusiastische Aufnahme. Dass darüber hinaus<br />
die Musikalität des Schauspielers - der<br />
gemeinsam mit dem Filmkomponisten André<br />
Asriel die Titelmelodie des Films ersann - auch<br />
Sangeseinlagen für den Film ermöglichte, sollte<br />
für Krug zugleich der Beginn einer parallelen<br />
Karriere als Jazzsänger werden. Das Drehbuch<br />
stammte von Ralf Kirsten, Gisela Steineckert und<br />
Heinz Kahlau, die das Glück hatten, ihr Produkt<br />
einmal nicht an den Fernsehfunk abgeben zu<br />
müssen. Die Autoren hatten schlicht hinein ins<br />
volle Menschenleben gegriffen - in diesem Falle<br />
in das von Manfred Krug - und auf diese Weise<br />
ihrem Hauptdarsteller eine halbautobiografische<br />
Rolle auf den muskelbepackten Leib geschrieben:<br />
Martin Hoff, ein vierschrötiger ehemaliger<br />
Stahlwerker und Bauarbeiter, wegen<br />
Aufmüpfigkeit und Rebellion von der<br />
Schauspielschule gefeuert, hat sich in die süße,<br />
aber couragierte Ottilie Zinn (Marita Böhme)<br />
verliebt. Weil er mit seinen Prahlereien nicht<br />
ankommt, versucht es der Draufgänger mit<br />
Charme: Mit seinen tollen musikalischen und<br />
schauspielerischen Fähigkeiten gewinnt er Ottilie<br />
fürs Leben und auf Umwegen erfüllt sich auch<br />
sein Traum, wieder auf der Theaterbühne zu<br />
stehen.<br />
Noch während sich der Film "Auf der<br />
Sonnenseite" auf seinem Siegeszug über die<br />
Leinwände der DDR befand, wurde - den<br />
Gesetzen der Serie und der Filmemacherei<br />
gehorchend - der neu kreierte Typ variiert, aus-<br />
und in einen neuen Streifen eingebaut. Unter dem<br />
Titel "Beschreibung eines Sommers"<br />
(DDR 1962) brachte wiederum Ralf Kirsten die<br />
Adaption eines damals in der DDR fast zwei<br />
Jahrzehnte als literarischer Dauerbrenner<br />
geltenden Buches von Karl-Heinz Jakobs auf die<br />
Leinwand. Krug spielte in diesem Drama den<br />
jungen Bauingenieur Tom Breitsprecher, der einst<br />
für "Führer, Volk und Vaterland" freiwillig in den<br />
Krieg gezogen war, später enttäuscht<br />
zurückkehrte und im Sozialismus eine neue<br />
Hoffnung gefunden hatte. Auf einer Großbaustelle<br />
erweist er sich als Fachmann, der es allerdings<br />
mit den Prinzipien der Partei nicht allzu genau<br />
nimmt: Er beginnt ein Liebesverhältnis mit der<br />
verheirateten Grit (Christel Bodenstein)...<br />
"Beschreibung eines Sommers", Anfang 1963<br />
als Beitrag der Filmschaffenden zum VI. Parteitag
der SED von der DEFA in die Kinos gebracht,<br />
fand zwar nicht die gleiche große Resonanz wie<br />
der Vorgängerfilm, dennoch gehörte die<br />
Sympathie des Publikums dem widerborstigen<br />
Individualisten, der mit Kritik an ideologischen<br />
Phrasen nicht hinter dem Berg hält. Und so wurde<br />
Manfred Krug sowohl 1962 als auch 1963 bei der<br />
Umfrage der DDR-Zeitschrift "Filmspiegel" zum<br />
beliebtesten Schauspieler des Jahres gekürt.<br />
Als der DEFA-Regisseur <strong>Frank</strong> <strong>Beyer</strong> (1932 -<br />
2006) sich 1966 sich daran machte, Erik<br />
Neutschs Bestseller "Spur der Steine"<br />
(DDR) zu verfilmen, glaubte er sich innerhalb der<br />
Grenzen zu bewegen, die für Kulturschaffende<br />
der besten DDR aller Zeiten galten: Hatte nicht<br />
die SED-Führung selbst zur Gestaltung<br />
konfliktreicher Gegenwartsstoffe aufgerufen? Und<br />
erfüllte nicht gerade und ganz besonders<br />
Neutschs literarische Vorlage alle diese<br />
Voraussetzungen? Der Plot des Dramas: Auf der<br />
sozialistischen Großbaustelle Schkona arbeitet<br />
der Zimmermann Hannes Balla (Manfred Krug)<br />
mit seiner Brigade. Es wird viel gearbeitet, damit<br />
das Geld stimmt und man steigt auf die<br />
Barrikaden, wenn Sand im Getriebe ist. Um<br />
fehlendes Material zu beschaffen, geht die<br />
Zimmermannsbrigade oft eigene anarchistische<br />
Wege. Von dieser rauen Truppe sieht der neue<br />
Parteisekretär Horrath (Eberhard Esche) seine<br />
Autorität untergraben. Die beiden Kontrahenten<br />
verbindet eine Mischung aus Respekt und<br />
Rivalität. Neu auf der Baustelle ist auch die<br />
Bauingenieurin Kati (Krystyna Stypulkowska), in<br />
die sich sowohl Balla als auch Horrath verlieben.<br />
Sie ist, was die Probleme auf der Baustelle<br />
angeht, gleicher Meinung mit Balla, ihre Liebe<br />
aber gehört Horrath, von dem sie ein Kind<br />
erwartet. Der Parteisekretär gerät in<br />
Schwierigkeiten, denn er hat bereits Frau und<br />
Kinder. Den Wildwest-Manieren der Ballaschen<br />
Truppe folgend, gestattete sich Regisseur <strong>Beyer</strong><br />
bei der Inszenierung seines Films inszenatorische<br />
Anleihen bei John Sturges' "Die glorreichen<br />
Sieben", der nach nur kurzem Einsatz in den<br />
5<br />
DDR-Kinos zurückgezogen wurde. Noch kürzer,<br />
nämlich ganze drei Tage, währte die öffentliche<br />
Existenz von "Spur der Steine". Dabei hatte der<br />
Film, dessen Planung und Herstellung von<br />
langwierigen Änderungsdiskussionen sowohl mit<br />
der Studioleitung als auch mit dem<br />
Kulturministerium begleitet worden war, seine<br />
erfolgreiche Voraufführung während der<br />
Arbeiterfestspiele zu Pfingsten 1966 erlebt - mit<br />
Riesenapplaus und ausverkauften Häusern. Die<br />
DEFA-Direktion schlug das staatliche Prädikat<br />
"Besonders wertvoll" vor und der Film sollte gar<br />
als Wettbewerbsbeitrag beim Internationalen<br />
Filmfestival in Karlový Varý laufen. Nachdem<br />
jedoch zur Premiere des Films im (Ost-) Berliner<br />
Kino "International" von der SED bestellte Störer<br />
den Film ausgebuht hatten, welchen man dann<br />
"wegen der aufgebrachten Reaktionen des<br />
Publikums angesichts der Verunglimpfung des<br />
Sozialismus" aus dem Verleih nahm, bekamen<br />
die "Verantwortlichen" die Willkür der SED-<br />
Entscheidungsträger mit voller Wucht zu spüren:<br />
Hans Bentzien wurde als Kulturminister<br />
abberufen, Klaus Wischnewski, der<br />
Chefdramaturg der DEFA, verlor seinen Posten,<br />
während <strong>Frank</strong> <strong>Beyer</strong>, der Regisseur des Films,<br />
in die Provinz, an ein Dresdner Theater,<br />
abgeschoben wurde, was praktisch einem<br />
Berufsverbot gleichkam. Der Grund: Das XI.<br />
Plenum des ZK der SED hatte die Parole "Keine<br />
Fehlerdiskussion!" ausgegeben und so<br />
verschwand fast eine komplette Jahresproduktion<br />
der DEFA im ideologischen Gift-Archiv.<br />
Den berühmtesten aller DEFA-"Kellerfilme"<br />
bekam das DDR-Publikum erst nach der "Wende"<br />
zu sehen. Allerdings mahnte Hauptdarsteller<br />
Manfred Krug, man müsse achtgeben, das der<br />
Mythos des Films, der inzwischen zum Kultfilm<br />
geworden ist, nicht größer werde als der Film<br />
selbst.
Einem internationalen Trend der Zeit folgend,<br />
wandte sich die DEFA 1963 dem Genre des<br />
"Mantel-und-Degen-Films" zu und präsentierte mit<br />
"Mir nach Canaillen!" (DDR 1963, Regie:<br />
Ralf Kirsten) beim Pfingsttreffen 1964<br />
dreißigtausend jubelnden Jugendlichen einen<br />
Manne Krug, wie es ihn - noch mehr als sonst -<br />
liebte: In Stulpenstiefeln, Schnürrock und<br />
Dreispitz verkörperte er den jungen<br />
Hannöverschen Bauern Alexander, den im Jahre<br />
1730 ein Werbeoffizier über die Landesgrenze<br />
nach Preußen zu verschleppen gedenkt. Es<br />
kommt aber anders, denn der gewitzte Schäfer<br />
setzt den Leutnant seinerseits fest - welchem, um<br />
der Schande zu entgehen, nur übrigbleibt, die<br />
"Bauerncanaille" als seinen Sprössling<br />
auszugeben. Damit beginnt ein abenteuerlicher<br />
Spaß, der Alexander bis ins Boudoir einer<br />
Mätresse am Hof Augusts des Starken und<br />
schlussendlich in die Arme eines schönen<br />
Mädchens (Monika Woytowicz) führen wird. Das<br />
Drehbuch, welches neben politischen Intrigen und<br />
Liebeleien alle bekannten und beliebten Elemente<br />
des Genres enthielt, verfassten Regisseur und<br />
Hauptdarsteller gemeinsam. Neben<br />
pointenreichen Dialogen und der vom Publikum<br />
erwarteten Gesangseinlage brachte der Film<br />
manche neue Fähigkeiten Krugs zu Tage: Er<br />
focht, ritt, schoss, er warf Messer, kutschierte<br />
einen brennenden Heuwagen, schwamm, sprang<br />
aus Fenstern oder kletterte Fassaden empor -<br />
und er setzte auch nach dreizehn Stürzen all<br />
seinen darstellerischen Ehrgeiz daran, die<br />
sportlichen Kunststückchen seines Helden selbst<br />
auszuführen. Den Erfolg der historischen<br />
Abenteuerkomödie, deren Wirkung nicht zuletzt<br />
darin liegt, dass Krug seine Rolle<br />
augenzwinkernd und sehr heutig interpretierte,<br />
versuchte die DEFA mit "Frau Venus und ihr<br />
Teufel" (1966), "Hauptmann Florian von der<br />
Mühle" (1968, im 70-mm-Format), "Husaren in<br />
Berlin" (1970) und schließlich 1971 mit "Die<br />
gestohlene Schlacht" - jeweils mit Krug in den<br />
6<br />
Hauptrollen - wenn nicht zu überbieten, so doch<br />
wenigstens zu wiederholen.<br />
Einen als Komödie gemeinten Agentenfilm<br />
inszenierte Lothar Warneke 1969 als sein<br />
Regiedebüt gemeinsam mit Roland Oehme:<br />
"Mit mir nicht, Madam!" (DDR). Der aus<br />
dramaturgischen Gründen teilweise in<br />
Schwarzweiß und in Farbe gedrehte Film erzählt<br />
eine an Verwirrungen reiche Story, die sich<br />
anlässlich eines Haute-Couture-Events am<br />
Mittelmeer ereignet. Mit von der Partie sind drei<br />
rivalisierende Modeunternehmen, die einander<br />
mit Gangstermethoden bekriegen, ein Team der<br />
"Intermode Leipzig", sowie ein total unschuldiger<br />
DDR-Modejournalist (Rolf Römer), der mit einem<br />
französischen Couturier (Rolf Römer) verwechselt<br />
wird. Die Verwechslungsklamotte glänzt mit einer<br />
populären Besetzung (Annekathrin Bürger, Peter<br />
Dommisch, Rolf Herricht u.a.), der seinerzeit<br />
angesagten Musik von Klaus Lenz, vor allem aber<br />
mit Manfred Krug, der in einem knappen Dutzend<br />
Chargenrollen seinem komödiantischen Affen<br />
Zucker geben durfte. Mit sichtlichem Spaß an den<br />
unterschiedlichen Verkleidungen buchstabierte er<br />
alle Stände, Schichten, Rassen und Geschlechter<br />
durch, so dass wohl der Hauptspaß für die<br />
Zuschauer darin bestand, neue Krug-Rollen zu<br />
entdecken. Ohne zuviel verraten zu wollen, sei<br />
hier angemerkt: Die dicke Marktfrau am<br />
Blumenstand wird nicht von Krug gespielt.<br />
Aus der damals ebenso neuen wie mutigen Idee,<br />
eine Komödie im II. Weltkrieg spielen zu lassen,<br />
entstand 1969 unter der Regieführung von<br />
Joachim Hasler der Film "Meine Stunde<br />
Null" (DDR), der trotz des ernsten<br />
Hintergrundes nicht auf abenteuerliche und<br />
humorvolle Elemente verzichtete. Krug spielte<br />
hier den Wehrmachts-Gefreiten Hartung, der<br />
1943 an der Ostfront einen Bombenangriff<br />
überlebt, unmittelbar danach jedoch von seinem<br />
Vorgesetzten Steckbeck (Kurt Jung-Alsen)<br />
gezwungen wird, einen Blindgänger zu<br />
entschärfen.
Kurz darauf wird Hartung, als Späher unterwegs,<br />
von einer russischen Patrouille gefangen<br />
genommen. In der Gefangenschaft gewinnt<br />
Hartung, ohnehin kein Sympathisant Hitlers, neue<br />
Einsichten, darunter die, dass man etwas tun<br />
muss, um den Krieg schneller zu beenden. Und<br />
so übernimmt er den halsbrecherischen Auftrag,<br />
zusammen mit den Russen Gornin (Anatoli<br />
Kusnezow) und Mitja (Lew Prigunow) hinter den<br />
deutschen Linien einen deutschen Offizier zu<br />
kidnappen - und während der gefährlichen<br />
Mission freundet sich Hartung mit den<br />
ehemaligen Feinden an... Krug spielte seine<br />
Filmfigur als eine Mischung aus Schwejk,<br />
Eulenspiegel und Simplicissimus und verlieh ihr<br />
eine mit Mutterwitz gepaarte Unbekümmertheit,<br />
die gelegentlich in Furchtlosigkeit überging. Sein<br />
Gefreiter Hartung besaß genau die<br />
distanzierende Ironie, welche den von den<br />
Autoren Jurek Becker und Joachim Hasler<br />
gewünschten Abstand zur Sache und das<br />
Erzählen vom heutigen Standpunkt aus erst<br />
möglich machte. Da man dem Film keine<br />
Bagatellisierung des Krieges vorwerfen konnte,<br />
stießen sich einige eifrige Kritiker wenigstens an<br />
den schwankhaften Elementen, allerdings ohne<br />
große Resonanz: "Meine Stunde Null" erfreute<br />
sich beim Publikum regen Zuspruchs.<br />
Wenige Monate vor der Premiere von "Meine<br />
Stunde Null" war in den Lichtspieltheatern der<br />
DDR ein Film angelaufen, dessen Drehbuch<br />
Ulrich Plenzdorf ("Die Legende vom Glück ohne<br />
Ende", 1973 verfilmt unter dem Titel "Die<br />
Legende von Paul und Paula") nach Motiven der<br />
Erzählung "Endlose Straßen" von Hans-Georg<br />
Lietz geschrieben hatte: "Weite Straßen,<br />
stille Liebe" (DDR 1969, Regie Herrmann<br />
Zschoche). Im Mittelpunkt des Films, welcher<br />
trotz der in ihm zurückgelegten Entfernungen<br />
guten Gewissens ein Kammerspiel genannt<br />
werden kann, steht der Fernfahrer Hannes Kass.<br />
Er sitzt seit 20 Jahren hinter dem Steuer seines<br />
Lasters - bis ihn eines Tages ein junger Spund,<br />
der Anhalter Herb (Jaecki Schwarz) mit<br />
verblüffend phantasievollen Flunkereien aus<br />
seinem gewohnten gleichförmigen Leben reißt.<br />
Hannes ist beeindruckt von der Intelligenz und<br />
dem Wissensdurst seines neuen Beifahrers, dem<br />
Studenten wiederum imponiert die gelassene,<br />
aber klare Weltsicht des Älteren und bald<br />
erwächst aus der zufälligen Begegnung der<br />
beiden unterschiedlichen Männer eine echte<br />
Freundschaft - bis Johanna (Jutta Hoffmann),<br />
eine junge attraktive Zootechnikerin mit ihrem<br />
Kind, beider Weg kreuzt...<br />
7<br />
Die in den DDR-Roadmovies (auch Roland<br />
Oehme betraute Krug in der 1973 entstandenen<br />
Liebeskomödie "Wie füttert man einen Esel?" mit<br />
der Rolle eines Fernfahrers) gewonnenen<br />
Erfahrungen konnte Manfred Krug später<br />
nutzbringend bei der nunmehr in der<br />
Bundesrepublik gedrehten Trucker-Serie "Auf<br />
Achse" einbringen.<br />
Angeregt durch Ingmar Bergmans "Szenen einer<br />
Ehe" und unter Nutzung selbst gemachter<br />
Eheerfahrungen nahm <strong>Frank</strong> <strong>Beyer</strong> 1976<br />
gemeinsam mit Jurek Becker die hintergründigironische<br />
Romanze "Das Versteck" (DDR)<br />
in Angriff: Ein Jahr nach der Scheidung versucht<br />
der Architekt Max (Krug), Wandas (Jutta<br />
Hoffmann) Liebe zurückzugewinnen. Er<br />
behauptet, von der Polizei gesucht zu werden<br />
und quartiert sich unter diesem Vorwand bei<br />
seiner Ex-Frau ein. Obwohl er durchschaut wird,<br />
geht die Rechnung auf und beide erleben einen<br />
zweiten Frühling. Wanda erkennt jedoch bald,<br />
dass Max sich nicht geändert hat und auch nicht<br />
bereit ist, die alten Konflikte zu lösen - sie<br />
entscheidet sich für die endgültige Trennung...<br />
Noch während der Dreharbeiten kam es zum<br />
Eklat zwischen der DDR-Führung und jenen<br />
kritischen Künstlern (unter ihnen Jurek Becker,<br />
<strong>Frank</strong> <strong>Beyer</strong>, Jutta Hoffmann und der als<br />
"Rädelsführer" geltende Manfred Krug), welche<br />
die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf<br />
Biermanns unterzeichnet hatten. In dieser<br />
Situation wurde der bereits festgelegte<br />
Starttermin des Films abgesagt. "Das Versteck"<br />
kam erst 1978 und auch nur für zwei Wochen in<br />
die Kinos der DDR - wurde aber ins Ausland,<br />
auch in die BRD, verkauft.<br />
B.R.