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*119-158 Daten (f r Kopien) - Deutsche Kinemathek

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Filme als Regisseur<br />

(…) Buñuel [besetzte] den Part der Männerfresserin<br />

(…) mit zwei Darstellerinnen: Beide heißen<br />

Conchita [Carole Bouquet, Ángela Molina], beide<br />

verwirren und quälen den großbürgerlichen Roué<br />

bis zu sadomasochistischen Exzessen. (…) Diese<br />

doppelte Conchita – die Auftritte der beiden<br />

Mädchen folgen keinem erkennbaren Muster,<br />

dem Zuschauer bleibt ein Moment ständiger<br />

Spannung – ist in der Tat ein obskures Objekt der<br />

Begierde, deren Objektcharakter durch Buñuels<br />

Besetzungstricks offenbar wird: Mathieu (Fernando<br />

Rey) liebt letztlich keine Mädchen, sondern<br />

ausschließlich seine eigenen Obsessionen.<br />

(…) Mathieu erzählt seine Obsession wie ein zivilisiertes<br />

Gesellschaftsstück; und aus dem Kontrast<br />

zwischen der altmodischen Erzählweise und<br />

den mitunter bizarren Aktionen ergibt sich die<br />

surrealistische Spannung des Films: wie ein<br />

bourgeoiser Erotomane so lange auf der Contenance<br />

seiner Klasse besteht, bis ihn die doppelte<br />

Conchita in einen wimmernden Hampelmann<br />

verwandelt hat, dessen Welt am Ende mit einem<br />

gigantischen Knall in die Luft fliegt. (…) „Against<br />

interpretation“ war Luis Buñuel schon immer, und<br />

man sollte sich und ihm den Gefallen tun, die<br />

sexuellen und politischen Motive nicht allzu<br />

ernsthaft unter die Lupe zu nehmen. Der Film, in<br />

dem schon gleich zu Anfang das Auto eines<br />

mysteriösen Mächtigen explodiert, in dem Spielzeugmäuse<br />

vom Butler gejagt werden, in dem<br />

Keuschheitsgürtel, nächtliche Prozessionen und<br />

ein rosiges Ferkel vorkommen, gleicht mehr einer<br />

Wundertüte als einem Molotowcocktail. Buñuel<br />

zaubert, spielt mit seinen alten Motiven, sehr elegant,<br />

mit leichter Hand und ohne auch nur einen<br />

Hauch von Tragik. Die bürgerliche Angstphantasie<br />

von der sexuellen Hörigkeit, die schon so<br />

manche Spießerexistenz vernichtet haben soll,<br />

wird hier eher lächelnd zitiert als mit moralischem<br />

Aufwand untersucht.<br />

Interessanter ist da schon Buñuels Verhältnis<br />

zum Terrorismus. Er, der alte spanische Anarchist,<br />

der Feind von Staat und Kirche, scheint<br />

verstört durch die aktuellen Formen des Terrors.<br />

Aber ernstnehmen mag er sie schließlich doch<br />

nicht: Dazu passen sie einfach zu gut in seine<br />

surrealistische Landschaft, in der die Krater<br />

schon immer wichtiger waren als die Bäume.<br />

Und wenn die Welt schon in die Luft fliegen soll,<br />

dann wenigstens mit einem so gewaltigen Knall,<br />

daß auch der taube Don Luis ihn hören kann.<br />

Hans C. Blumenberg in: Die Zeit (Hamburg),<br />

17.11.1978.<br />

152<br />

Wie zwischen Künstler und Mensch trennen,<br />

zwischen Kino und Realität? Alles weist in CET<br />

OBSCUR OBJET DU DÉSIR, dem neuen Film von<br />

Luis Buñuel, auf eine sehr persönliche Auswahl<br />

hin, auf die Vision eines Moralisten, die zunächst<br />

ganz wörtlich zu nehmen ist – als Kino, als die<br />

Kunst der bewegten Illusion, die gleichzeitig die<br />

hohe Kunst der Lüge offenbart, die Unfähigkeit,<br />

die Triebe zu kontrollieren, die geheime Welt<br />

der Instinkte, die Kapricen, die Begierde … (…)<br />

Gleichwohl sehen wir uns von Luis Buñuel aufgefordert<br />

– vom ersten bis zum vorletzten Bild –,<br />

das latente Melodram dieser beiden Liebenden<br />

nicht allzu ernst zu nehmen. Zwei Eimer Wasser<br />

genügen, um alles Literarische und jede aufkeimende<br />

Rührung wegzuspülen. Es geht darum,<br />

die Psychologie zu brechen, die unvorhersehbaren<br />

Anwandlungen des Herzens und die Menschen<br />

gnadenlos mit ihrem Unverstand und ihren<br />

Widersprüchen zu konfrontieren, die sie selbst im<br />

Innersten zerfressen.<br />

Wie aber entkommt man der Exotik des<br />

Schunds, eines reisebürotauglichen Bilderbuch-<br />

Spaniens? Ganz einfach, indem der Film in einem<br />

Reisebüro seinen Anfang nimmt, das Drehbuch<br />

den Beginn der Geschichte außerhalb Spaniens<br />

ansiedelt und damit den Perspektivenwechsel<br />

austariert, den ingeniösen Kontrast zwischen<br />

dem Licht Sevillas, der Gegenwart einer Kultur<br />

und Zivilisation (Buñuels eigener natürlich) und<br />

dem harten, brutalen Licht der Pariser Landschaft.<br />

Aus Conchita, der spanischen Tänzerin, hat<br />

Luis Buñuel ein Wesen mit zwei Gesichtern und<br />

zwei Körpern gemacht: dem von Carole Bouquet,<br />

der Französin, und dem von Ángela Molina,<br />

der Spanierin (…). Mathieu [Fernando Rey], der<br />

Mann im gesetzten Alter, den seine Leidenschaft<br />

verzehrt, (...) wirkte lächerlich, wäre er nicht von<br />

erschütterndem, unbewußtem Dünkel. (...) Mit<br />

einem Wort: die bürgerliche Ordnung triumphiert.<br />

Bei Buñuel gibt es keine Symbole, alles geschieht<br />

direkt aus der Leidenschaft heraus, aus dem<br />

entfesselten Instinkt, ganz ohne metaphysische<br />

Grimasse (…): Die unerlöste Begierde, verhöhnt<br />

und verdrängt, verschafft sich ein Ventil in der<br />

staubtrockenen Gewalt des Terrorismus. Es gibt<br />

weder Tränen noch Erbarmen. Wahnsinn zieht in<br />

der Ferne auf. (…)<br />

L.M. (= Louis Marcorelles) in: Le Monde (Paris),<br />

18.8.1977. Aus dem Französischen übersetzt<br />

von Helma Schleif.

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