*119-158 Daten (f r Kopien) - Deutsche Kinemathek
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58. Internationale Filmfestspiele Berlin 2008<br />
Retrospektive Luis Buñuel<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Kinemathek</strong><br />
Retrospektive Luis Buñuel<br />
CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR<br />
Frankreich/Spanien 1977. ø Regie: Luis Buñuel. ø Regie-<br />
Assistenz: Juan Luis Buñuel, Pierre Lary. ø Drehbuch: Luis<br />
Buñuel, Jean-Claude Carrière, nach dem Roman „La femme<br />
et le pantin“ (1898) von Pierre Louÿs. ø Skript: Suzanne<br />
Durrenberger. ø Kamera: Edmond Richard. ø Kamera-Führung:<br />
Jean Harnois. ø Kamera-Assistenz: Philippe Houdart,<br />
Alain Herpe; Julio Leiva (Spanien). ø Spezialeffekte: François<br />
Sune. ø Schnitt: Hélène Plémiannikov, Luis Buñuel. ø<br />
Ton-Ingenieur: Guy Villette; Oliver Villette (Assistenz).<br />
ø Ton-Schnitt: Gina Pignier. ø Ton-Mischung: Alex Pront.<br />
ø Musik: Richard Wagner, Flamenco-Musik. ø Szenenbild:<br />
Pierre Guffroy; Enrique Alarcón (Spanien); Claude<br />
Moesching (Assistenz). ø Ausstattung: Pierre Lefait. ø<br />
Innen-Requisite: François Sune; Pierre Barbet (Möbel). ø<br />
Kostüme: Sylvie de Segonzac; Mimi Gayo (Assistenz). ø<br />
Kostüme für Ángela Molina und Carole Bouquet: Chloé,<br />
Paris. ø Kostüme für Fernando Rey: Francesco Smalto,<br />
Paris. ø Make-up: Odette Berroyer. ø Frisuren: Jean-Pierre<br />
Berroyer. ø Standfotos: Jean Distinghin.<br />
Darsteller/innen: Fernando Rey (Mathieu Faber) ø Carole<br />
Bouquet (Conchita) ø Ángela Molina (Conchita) ø Julien<br />
Bertheau (Le juge Edouard, le cousin de Mathieu/Richter,<br />
Mathieus Cousin) ø André Weber (Martin, le majordome/<br />
Butler) ø Milena Vukotic (Voyageuse / Reisende) ø Ellen<br />
Bahl (Manolita) ø Valérie Bianco (La jeune fille du train /<br />
Das kleine Mädchen) ø Augusta Carrière (Couturière /<br />
Näherin) ø Jacques Debary (Magistrat) ø Antonio Duque<br />
(Contrôleur) ø André Lacombe (Le concierge/Hausmeister)<br />
ø Lita Lluch-Peiró (Danseuse / Tänzerin) ø Jean Claude<br />
Montalbán (Client du bar / Barbesucher) ø Muni (La concierge<br />
/ Hausmeisterin) ø Bernard Musson (Inspecteur de<br />
police / Polizeiinspektor) ø Isabelle Rattier (Secrétaire du<br />
juge / Sekretärin des Richters) ø Isabelle Sadoyan (Jardinière/Gärtnerin)<br />
ø Juan Santamaría (Employé de l’agence<br />
de voyages / Angestellter des Reisebüros) ø Serge Silberman<br />
(La victime d’un attentat terroriste / Attentatsopfer) ø<br />
María Asquerino (Mère de Conchita / Conchitas Mutter) ø<br />
Claude Jaeger (Propiétaire du bar / Kneipenwirt) ø Pieral<br />
(Psychologue/Psychologe) ø José Luis Barros ø David Rocha<br />
ø Melody Thomas ø Dick Winslow ø Annie Monange.<br />
Produktionsfirmen: Greenwich Film, Frankreich/Les Films<br />
Galaxie, Frankreich/Incine, Spanien. ø Produzenten: Serge<br />
Silberman, Alfredo Matas. ø Produktionsleitung: Ully<br />
Pickard. ø Set-Aufnahmeleitung: Jean Revel; Julio Arriva<br />
(Spanien). ø Aufnahmeleitung: Gille Schneider; Ginette<br />
Billard (Assistenz). ø Filmgeschäftsführung: Jacqueline<br />
Dudilleux, Jacqueline Oblin. ø Drehbeginn: 7. 2.1977. ø<br />
Drehorte: Studios Eclair, Epinay, Frankreich; Originalschauplätze<br />
in Spanien (Madrid, Sevilla) und in der Schweiz<br />
(Lausanne). ø Format: 35 mm, Farbe (Eastmancolor). ø<br />
Länge: 98 Min. ø CNC-Eintrag: N° 46.801 (Frankreich). ø<br />
FSK: 2.10.1978, Prüf-Nr. 50202, freigegeben ab 16 Jahren,<br />
feiertagsfrei; Neuprüfung: 18.1.1994, freigegeben ab 12<br />
Jahren, feiertagsfrei (BRD). ø Uraufführung: 17. 8.1977,<br />
Paris. ø Spanische Erstaufführung: 26.5.1978, Madrid (ESE<br />
OSCURO OBJETO DEL DESEO). ø <strong>Deutsche</strong> Erstaufführung:<br />
17.11.1978 (DIESES OBSKURE OBJEKT DER BEGIERDE). ø<br />
DDR-Kino-Erstaufführung: 19. 9.1980 (DIESES OBSKURE<br />
OBJEKT DER BEGIERDE). ø <strong>Deutsche</strong> TV-Erstausstrahlung:<br />
6.11.1981, ARD (DIESES OBSKURE OBJEKT DER BE-<br />
GIERDE).<br />
Anmerkungen: Fernando Rey wird in der französichen Version<br />
des Films von Michel Piccoli synchronisiert. ø Der<br />
Pierre Louÿs-Stoff wurde bereits von Reginald Barker (THE<br />
WOMAN AND THE PUPPET, USA 1920), von Jacques de<br />
Borancelli (LA FEMME ET LE PANTIN, Frankreich 1928),<br />
von Josef von Sternberg (THE DEVIL IS A WOMAN, USA<br />
1935, mit Marlene Dietrich), von Wali Edine Sameh (LAA-<br />
BET EL SITT, Ägypten 1946) und von Julien Duvivier (LA<br />
FEMME ET LE PANTIN, Frankreich 1959, mit Brigitte Bardot)<br />
verfilmt. ø 1977 wird CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR<br />
für zwei „Oscars“ der Academy of Motion Picture Arts and<br />
Sciences (Bester fremdsprachiger Film; Bestes Drehbuch)<br />
nominiert.<br />
CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR: Fernando Rey, Carole Bouquet<br />
151 Filme als Regisseur
Filme als Regisseur<br />
(…) Buñuel [besetzte] den Part der Männerfresserin<br />
(…) mit zwei Darstellerinnen: Beide heißen<br />
Conchita [Carole Bouquet, Ángela Molina], beide<br />
verwirren und quälen den großbürgerlichen Roué<br />
bis zu sadomasochistischen Exzessen. (…) Diese<br />
doppelte Conchita – die Auftritte der beiden<br />
Mädchen folgen keinem erkennbaren Muster,<br />
dem Zuschauer bleibt ein Moment ständiger<br />
Spannung – ist in der Tat ein obskures Objekt der<br />
Begierde, deren Objektcharakter durch Buñuels<br />
Besetzungstricks offenbar wird: Mathieu (Fernando<br />
Rey) liebt letztlich keine Mädchen, sondern<br />
ausschließlich seine eigenen Obsessionen.<br />
(…) Mathieu erzählt seine Obsession wie ein zivilisiertes<br />
Gesellschaftsstück; und aus dem Kontrast<br />
zwischen der altmodischen Erzählweise und<br />
den mitunter bizarren Aktionen ergibt sich die<br />
surrealistische Spannung des Films: wie ein<br />
bourgeoiser Erotomane so lange auf der Contenance<br />
seiner Klasse besteht, bis ihn die doppelte<br />
Conchita in einen wimmernden Hampelmann<br />
verwandelt hat, dessen Welt am Ende mit einem<br />
gigantischen Knall in die Luft fliegt. (…) „Against<br />
interpretation“ war Luis Buñuel schon immer, und<br />
man sollte sich und ihm den Gefallen tun, die<br />
sexuellen und politischen Motive nicht allzu<br />
ernsthaft unter die Lupe zu nehmen. Der Film, in<br />
dem schon gleich zu Anfang das Auto eines<br />
mysteriösen Mächtigen explodiert, in dem Spielzeugmäuse<br />
vom Butler gejagt werden, in dem<br />
Keuschheitsgürtel, nächtliche Prozessionen und<br />
ein rosiges Ferkel vorkommen, gleicht mehr einer<br />
Wundertüte als einem Molotowcocktail. Buñuel<br />
zaubert, spielt mit seinen alten Motiven, sehr elegant,<br />
mit leichter Hand und ohne auch nur einen<br />
Hauch von Tragik. Die bürgerliche Angstphantasie<br />
von der sexuellen Hörigkeit, die schon so<br />
manche Spießerexistenz vernichtet haben soll,<br />
wird hier eher lächelnd zitiert als mit moralischem<br />
Aufwand untersucht.<br />
Interessanter ist da schon Buñuels Verhältnis<br />
zum Terrorismus. Er, der alte spanische Anarchist,<br />
der Feind von Staat und Kirche, scheint<br />
verstört durch die aktuellen Formen des Terrors.<br />
Aber ernstnehmen mag er sie schließlich doch<br />
nicht: Dazu passen sie einfach zu gut in seine<br />
surrealistische Landschaft, in der die Krater<br />
schon immer wichtiger waren als die Bäume.<br />
Und wenn die Welt schon in die Luft fliegen soll,<br />
dann wenigstens mit einem so gewaltigen Knall,<br />
daß auch der taube Don Luis ihn hören kann.<br />
Hans C. Blumenberg in: Die Zeit (Hamburg),<br />
17.11.1978.<br />
152<br />
Wie zwischen Künstler und Mensch trennen,<br />
zwischen Kino und Realität? Alles weist in CET<br />
OBSCUR OBJET DU DÉSIR, dem neuen Film von<br />
Luis Buñuel, auf eine sehr persönliche Auswahl<br />
hin, auf die Vision eines Moralisten, die zunächst<br />
ganz wörtlich zu nehmen ist – als Kino, als die<br />
Kunst der bewegten Illusion, die gleichzeitig die<br />
hohe Kunst der Lüge offenbart, die Unfähigkeit,<br />
die Triebe zu kontrollieren, die geheime Welt<br />
der Instinkte, die Kapricen, die Begierde … (…)<br />
Gleichwohl sehen wir uns von Luis Buñuel aufgefordert<br />
– vom ersten bis zum vorletzten Bild –,<br />
das latente Melodram dieser beiden Liebenden<br />
nicht allzu ernst zu nehmen. Zwei Eimer Wasser<br />
genügen, um alles Literarische und jede aufkeimende<br />
Rührung wegzuspülen. Es geht darum,<br />
die Psychologie zu brechen, die unvorhersehbaren<br />
Anwandlungen des Herzens und die Menschen<br />
gnadenlos mit ihrem Unverstand und ihren<br />
Widersprüchen zu konfrontieren, die sie selbst im<br />
Innersten zerfressen.<br />
Wie aber entkommt man der Exotik des<br />
Schunds, eines reisebürotauglichen Bilderbuch-<br />
Spaniens? Ganz einfach, indem der Film in einem<br />
Reisebüro seinen Anfang nimmt, das Drehbuch<br />
den Beginn der Geschichte außerhalb Spaniens<br />
ansiedelt und damit den Perspektivenwechsel<br />
austariert, den ingeniösen Kontrast zwischen<br />
dem Licht Sevillas, der Gegenwart einer Kultur<br />
und Zivilisation (Buñuels eigener natürlich) und<br />
dem harten, brutalen Licht der Pariser Landschaft.<br />
Aus Conchita, der spanischen Tänzerin, hat<br />
Luis Buñuel ein Wesen mit zwei Gesichtern und<br />
zwei Körpern gemacht: dem von Carole Bouquet,<br />
der Französin, und dem von Ángela Molina,<br />
der Spanierin (…). Mathieu [Fernando Rey], der<br />
Mann im gesetzten Alter, den seine Leidenschaft<br />
verzehrt, (...) wirkte lächerlich, wäre er nicht von<br />
erschütterndem, unbewußtem Dünkel. (...) Mit<br />
einem Wort: die bürgerliche Ordnung triumphiert.<br />
Bei Buñuel gibt es keine Symbole, alles geschieht<br />
direkt aus der Leidenschaft heraus, aus dem<br />
entfesselten Instinkt, ganz ohne metaphysische<br />
Grimasse (…): Die unerlöste Begierde, verhöhnt<br />
und verdrängt, verschafft sich ein Ventil in der<br />
staubtrockenen Gewalt des Terrorismus. Es gibt<br />
weder Tränen noch Erbarmen. Wahnsinn zieht in<br />
der Ferne auf. (…)<br />
L.M. (= Louis Marcorelles) in: Le Monde (Paris),<br />
18.8.1977. Aus dem Französischen übersetzt<br />
von Helma Schleif.