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Redwitz ist ein reines adeliches [...] Filial ... - Bezirk Oberfranken

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KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Beiträge zur Geschichte der Juden in <strong>Redwitz</strong><br />

<strong>Redwitz</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> r<strong>ein</strong>es <strong>adeliches</strong> [...] <strong>Filial</strong>-Kirchdorf, das sich lediglich<br />

nur durch s<strong>ein</strong>e Handelsjudenschaft zu irgend<strong>ein</strong>er Bedeutenheit<br />

in Beziehung auf Bevölkerung, Gewerb und Consumtion erhoben<br />

hat. 1 Diesen Satz schrieb im Jahr 1834 der Marktgem<strong>ein</strong>de-Ausschuss von<br />

Marktzeuln, als er zum Antrag der <strong>Redwitz</strong>er Stellung nehmen sollte, Markt<br />

zu werden. Ähnlich wie Marktzeuln äußerten sich weitere Orte, und auch<br />

der Lichtenfelser Landrichter schrieb in s<strong>ein</strong>em Gutachten an die Regierung:<br />

<strong>Redwitz</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> mittelmäßiges Kirchdorf und nur durch den Handel der dortigen<br />

Juden in das nahe Sachsen von <strong>ein</strong>iger Bedeutung 2 . Die Juden waren<br />

demnach offenbar die bestimmende wirtschaftliche Kraft im <strong>Redwitz</strong> des<br />

frühen 19. Jahrhunderts.<br />

Bei der folgenden Darstellung der Geschichte der jüdischen Gem<strong>ein</strong>de <strong>ist</strong> zu<br />

berücksichtigen, dass die zugrundeliegenden Daten großteils aus amtlichen<br />

Quellen stammen (und selbst diese sind nicht vollständig ausgewertet). Wir<br />

sehen die <strong>Redwitz</strong>er Juden also weitgehend mit den Augen der Beamten in<br />

<strong>Redwitz</strong>, Lichtenfels und Bayreuth, und wir hören fast nur dann von den<br />

Juden, wenn es Veränderungen oder Aus<strong>ein</strong>andersetzungen gab; von ihrem<br />

alltäglichen Leben erfahren wir bestenfalls auf indirektem Weg etwas.<br />

Die Juden 3 hatten im Hochmittelalter <strong>ein</strong>e führende Position im Fernhandel;<br />

ferner trieben sie weitgehend konkurrenzlos Geldgeschäfte. Vor allem im<br />

Spätmittelalter blieben den Juden dann auch rechtlich nur noch diese Möglichkeiten<br />

des Broterwerbs; denn Handwerk und Landwirtschaft verschlossen<br />

sich ihnen im zunehmenden Maß. So ließen sich die Juden in den Städten<br />

nieder, wo gehandelt und Geldgeschäfte gemacht wurden. In Bamberg<br />

lassen sich Juden schon im 11. und 12. Jahrhundert nachweisen, in den kl<strong>ein</strong>eren<br />

Städten in unserer Umgebung – Lichtenfels, Burgkunstadt, Weismain<br />

– im späten 13. Jahrhundert 4 .<br />

Seit dem ersten Kreuzzug 1095/96 waren die Juden immer wieder von Verfolgungen<br />

bedroht 5 . Durch das Gerücht, Juden hätten konsekrierte Hostien<br />

geschändet, stachelte 1298 <strong>ein</strong> Ritter namens Rintfleisch die Öffentlichkeit<br />

auf 6 ; es rotteten sich Chr<strong>ist</strong>en zusammen und brachten Juden um: etwa 135<br />

in Bamberg, fünf in Burgkunstadt, elf im Amt Niesten. In Lichtenfels wurde<br />

der Lehrer verbrannt. In der Folge rissen Übergriffe der durch soziale Umbrüche<br />

verunsicherten Chr<strong>ist</strong>en auf Juden nicht ab.<br />

Günter Dippold<br />

Adliger Judenschutz<br />

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144 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Im 13. Jahrhundert wandelte sich endgültig die Rechtsstellung der Juden:<br />

Sie galten als schutzbedürftige Kammerknechte des Königs. Damit hatten<br />

sie <strong>ein</strong>en eigentümlichen Rechtsstatus zwischen Freiheit und Knechtschaft.<br />

Dieses Verhältnis hatte <strong>ein</strong>e finanzielle Seite: Der König ließ sich s<strong>ein</strong>en<br />

Schutz teuer bezahlen, obwohl er ihn oft genug gar nicht ausübte, wie die<br />

Pogrome des 14. und 15. Jahrhunderts belegen. Nach dem Zerfall des<br />

Stauferreichs bekamen viele Fürsten den Judenschutz in ihre Hand, so der<br />

Bischof von Bamberg, schließlich auch die Niederadligen.<br />

Im Spätmittelalter, besonders im 15. Jahrhundert waren die jüdischen Gem<strong>ein</strong>den<br />

nicht nur von kl<strong>ein</strong>eren oder größeren Pogromen bedroht, sondern<br />

auch vom Entzug des Schutzes durch den Landesherrn, mit anderen Worten:<br />

von der Ausweisung. Fast aus allen deutschen Reichsstädten wurden im 15.<br />

Jahrhundert die Juden vertrieben 7 . Die eigentliche Ursache hierfür waren<br />

wirtschaftliche Veränderungen: Chr<strong>ist</strong>liche Kaufleute beteiligten sich immer<br />

stärker an Handel und Geldgeschäften; die jüdischen Händler und Bankiers<br />

wurden entbehrlich.<br />

1478 wies der Bischof – nachdem <strong>ein</strong> Bekehrungsversuch gescheitert war – die<br />

Juden aus dem Hochstift Bamberg aus 8 . Erst nach über 150 Jahren, während<br />

des Dreißigjährigen Krieges und danach, gelang es den Juden wieder in größerer<br />

Zahl, sich unter bischöflichem Schutz niederzulassen, z. B. in Lichtenfels,<br />

wo sich 1677 Jacob aus <strong>Redwitz</strong> erfolgreich darum bemühte 9 .<br />

Viele vertriebene Juden wanderten im Spätmittelalter nach Osteuropa aus.<br />

Andere zogen ins benachbarte Ausland, so ins Brandenburgische 10 , wieder<br />

andere auf adligen Anwesen oder in adlige Dörfer. Dass Ritter den Judenschutz<br />

ausübten, <strong>ist</strong> für das Hochstift Bamberg schon im ausgehenden Mittelalter<br />

belegt. Bis ins 19. Jahrhundert lebte der überwiegende Teil der fränkischen<br />

Juden in ritterschaftlichen Dörfern.<br />

Mit Hilfe ihrer adligen Schutzherren konnten sich manche Juden sogar in<br />

den hochstiftischen Städten noch länger halten: In Staffelst<strong>ein</strong> lebten auf den<br />

Lehen der Freiherren von Schaumberg noch bis 1506 Juden 11 ; ähnlich verhielt<br />

es sich offenbar in Burgkunstadt. Später, im 16. und 17. Jahrhundert<br />

finden wir Juden vor allem in ritterschaftlichen Dörfern: 1588 sind Juden in<br />

Mitwitz genannt 12 , 1589 in Schney hinter den Schaumberg und in Schwürbitz<br />

hinter den <strong>Redwitz</strong> zu Tüschnitz 13 . Auch auf adligen Lehen in Uetzing 14 ,<br />

Kleukheim 15 , Rothwind 16 und Altenkunstadt 17 wohnten um 1600 Juden. In


Küps sind seit 1622 redwitzische Schutzjuden in schriftlichen Quellen nachzuweisen<br />

18 , und der älteste nachweisbare St<strong>ein</strong> auf dem zerstörten jüdischen<br />

Friedhof von Küps datierte von 1611 19 .<br />

Juden in <strong>Redwitz</strong> werden erstmals 1595 in <strong>ein</strong>em Weismainer Gerichtsbuch<br />

genannt 20 .<br />

Die Adligen nahmen die Juden natürlich nicht aus Menschenfreundlichkeit<br />

auf, sondern um handfester materieller Interessen willen. Die adligen Schutzjuden<br />

waren durch Abgaben schwer belastet.<br />

Die besonderen Auflagen fingen beim Zuzug an: Wollte <strong>ein</strong> Jude sich in<br />

<strong>Redwitz</strong> niederlassen, musste er <strong>ein</strong> doppelt so hohes Einzugsgeld zahlen<br />

wie <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>; so bestimmte es die Dorfordnung von 1721 21 . Ferner musste<br />

der Jude <strong>ein</strong>en Schutzbrief erwerben. In <strong>ein</strong>er Rechnung des Ritterguts vom<br />

Ende des 18. Jahrhunderts heißt es: Wenn <strong>ein</strong> fremder Jud <strong>ein</strong>ziehet oder <strong>ein</strong><br />

hießiger Juden Sohn [...] aus des Vaters Brod tritt, so muß er sich den Schutz<br />

und den dazu gehörigen Schutzbrief lößen. Die Höhe des dafür zu zahlenden<br />

Geldes hängt von der herrschaftl[ich]en Willkühr ab und wird gem<strong>ein</strong>iglich<br />

[...] nach den Vermögen des schutzlößenden Judens reguliret 22 . Darüber hinaus<br />

musste jede Familie <strong>ein</strong> jährliches Schutzgeld zahlen: <strong>ein</strong> vollständiger<br />

Haushalt 6 Reichstaler, <strong>ein</strong>e Witwe 3. Von den 33 Judenhaushalten nahm das<br />

Rittergut <strong>Redwitz</strong> 1797 insgesamt 213 Gulden an Schutzgeld <strong>ein</strong> 23 – das<br />

entsprach dem Wert <strong>ein</strong>es kl<strong>ein</strong>en Wohnhauses.<br />

Nicht nur die adligen Schutzherren zogen ihren Nutzen aus den Juden. So<br />

gab es den Leibzoll, die lästigste und erniedrigendste Abgabe, wie Adolf<br />

Eckst<strong>ein</strong> schreibt 24 . Spätestens seit 1496 mussten die Juden an allen Zollschranken<br />

im Hochstift Zoll zahlen für sich selbst, danach gestaffelt, ob sie<br />

im jeweiligen Ort Handel treiben oder nur durchreisen wollten 25 . 1667 verweigerte<br />

<strong>ein</strong> <strong>Redwitz</strong>er Jude in Lichtenfels den Zoll, ja er verlangte sogar<br />

Einsicht in die Stadtordnung, um die Rechtsgrundlage zu prüfen. Dieses selbstsichere<br />

Auftreten brachte ihm jedoch nur <strong>ein</strong>e Geldstrafe <strong>ein</strong> 26 . Selbst für die<br />

Leiche <strong>ein</strong>es Juden erhob man Zoll, wenn sie auf dem Weg zum Friedhof<br />

<strong>ein</strong>e Zollschranke passierte. Die entehrenden Zollvorschriften hob erst die<br />

bayerische Regierung im Jahr 1808 auf 27 .<br />

Obendr<strong>ein</strong> mussten die Juden Neujahrsgelder an den zuständigen Ortspfarrer<br />

zahlen. Man argumentierte so: Wenn Juden in <strong>ein</strong> Haus zogen, das bisher<br />

Chr<strong>ist</strong>en bewohnt hatten, entgingen dem Pfarrer Einkünfte, die Stolgebühren,<br />

Günter Dippold<br />

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146 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Das Wachsen der<br />

jüdischen Gem<strong>ein</strong>de<br />

<strong>Redwitz</strong><br />

die Zahlungen für von ihm vorgenommene Taufen, Trauungen, Beerdigungen<br />

etc. Dafür hatten die Juden den Pfarrer durch <strong>ein</strong>e alljährliche Pauschalzahlung<br />

zu entschädigen. Da für <strong>Redwitz</strong> der evangelische Pfarrer von Obr<strong>ist</strong>feld<br />

und der katholische Pfarrer von Altenkunstadt zuständig waren, mussten<br />

die Juden an beide Ge<strong>ist</strong>liche zahlen, an den Obr<strong>ist</strong>felder Pfarrer z. B. seit<br />

1749 1 /3 Reichstaler pro Haushalt und Jahr 28 . Ferner hatten sie an die chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Schulen in <strong>Redwitz</strong> entsprechende Zahlungen zu le<strong>ist</strong>en.<br />

1852 beantragte die <strong>Redwitz</strong>er israelitische Gem<strong>ein</strong>de anlässlich <strong>ein</strong>es Pfarrerwechsels<br />

in Obr<strong>ist</strong>feld, die Neujahrsgelder zu streichen, doch ihr Gesuch<br />

wurde abgelehnt 29 . Erst 1881 wurden die Neujahrsgelder durch Gesetz aufgehoben,<br />

was – wie 1909 <strong>ein</strong> evangelischer Pfarrer schrieb – für alle Beteiligten<br />

<strong>ein</strong>e Erlösung war 30 .<br />

Die Juden waren durch die besonderen Abgaben stark belastet. Denn<br />

Schutzbriefgebühr, Schutzgeld, Leibzoll, Totenzoll, Neujahrsgelder mussten<br />

zusätzlich zu den Steuern und Abgaben bezahlt werden, die auch die Chr<strong>ist</strong>en<br />

zu entrichten hatten. Dass sich trotzdem viele Juden in ritterschaftlichen<br />

Dörfern ansiedelten, hatte <strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>fachen Grund: In bischöflichem oder<br />

markgräflichem Schutz waren ebenfalls derartige Abgaben zu bezahlen, und<br />

überdies wurde in ritterschaftlichen Orten den Juden die Ansiedlung leichter<br />

gewährt. Denn die Niederadligen waren weit stärker als Fürsten auf die verschiedenen<br />

Abgaben der Juden und angewiesen. So sahen viele Adlige den<br />

Zuzug von Juden recht gern, wie überhaupt manche fränkische Reichsritter<br />

die Einwohnerzahl – und damit die Steuerkraft – ihrer Dörfer im 18. Jahrhundert<br />

nach Möglichkeit erhöhten.<br />

In <strong>Redwitz</strong> erinnerte sich 1739 der älteste Einwohner, es seien ehedem in der<br />

Gem<strong>ein</strong>d und Dorff <strong>Redwitz</strong> nicht mehr alß vier Haußhaltung von Juden<br />

bewohnet gewesen 31 . 1675 lebten zwölf Juden in <strong>Redwitz</strong> 32 . In <strong>ein</strong>em Lehensverzeichnis<br />

von 1716 ersch<strong>ein</strong>en fünf jüdische Haushalte mit Hausbesitz 33 ,<br />

im Urbar von 1734 bereits acht 34 . In der Folgezeit stieg diese Zahl immer<br />

weiter, wie sich auch andernorts beobachten lässt 35 . Besonders Alexander<br />

H<strong>ein</strong>rich von <strong>Redwitz</strong> (1676–1745) sch<strong>ein</strong>t die Ansiedlung von Juden mit<br />

Wohlwollen betrachtet zu haben. Kurz nach s<strong>ein</strong>em Tod empörte sich der<br />

Obr<strong>ist</strong>felder Pfarrer, die Judenschaft zu <strong>Redwitz</strong> [sei] von zwey biß drey


Haußhaltungen in kurtzen auf 16 bis 17 angewachsen, mithin <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong>enhauß<br />

nach den andern an sich gekaufft, daß dieser Judenköpffe in <strong>Redwitz</strong><br />

über hundert hinnaus sich erstrecken 36 . (Der Pfarrer zielte in diesem<br />

Schreiben auf die Erhöhung der Neujahrsgelder.) Wie er bei anderer Gelegenheit<br />

erwähnte, bildeten Juden 15 der über 90 <strong>Redwitz</strong>er Haushalte 37 ; die<br />

Juden machten damals also rund <strong>ein</strong> Sechstel der Bevölkerung aus. Ihre Zahl<br />

stieg und stieg. 50 Jahre später, 1797, zählte man 33 Judenhaushalte in <strong>Redwitz</strong><br />

38 , 1813 schließlich 38 39 . 1829 lebten 196 Einwohner jüdischen Glaubens;<br />

sie stellten damit 23 Prozent der Einwohnerschaft von <strong>Redwitz</strong> 40 .<br />

Wo in <strong>Redwitz</strong> die Juden wohnten, zeigt das Häuser- und Rustikal-Steuer-<br />

Kataster von 1810 41 . Damals besaßen Juden folgende Häuser:<br />

Bärl<strong>ein</strong> Seligmann Nr. 25a Kronacher Straße 12<br />

Märla, Witwe [Flankauer] Nr. 25b Kronacher Straße 12<br />

Isaac Schneibel Nr. 26 Kronacher Straße 10<br />

Scholum Meier [Kares] Nr. 27a Kronacher Straße 8<br />

Salomon Mayer Nr. 27b Kronacher Straße 8<br />

Bonum David [Hopfmann] Nr. 32a Am Markt 6<br />

Bonum Moses [Lust] Nr. 32b Am Markt 7<br />

„Vorsingers-Wohnung“ Nr. 34 ?<br />

Synagoge Nr. 35 ?<br />

Hirsch Jonas [Cotta] Nr. 36a Hauptstraße 1<br />

Salomon Hirsch [Philo] Nr. 36b Hauptstraße 1<br />

Löb Abraham Nr. 43a Hauptstraße 15<br />

Salomon Baruch [Midas] Nr. 43b Hauptstraße 15<br />

Salomon Abraham Nr. 44 ?<br />

Henoch Marx [Gütermann] Nr. 49 Hauptstraße 29<br />

Samuel Hirsch Nr. 62a Hauptstraße 36<br />

Salomon Baruch Nr. 62b Hauptstraße 36<br />

Kronum Marx Nr. 63 Hauptstraße 32<br />

Wolf Marx [Gütermann] Nr. 68 Hauptstraße 18<br />

Isack Moses [Hallo] Nr. 72a Hauptstraße 2<br />

Kronum Moses [Hallo] Nr. 72b Hauptstraße 2<br />

Wolf Moses [Hallo] 42 Nr. 72c Hauptstraße 2<br />

Jacob Moses [Hallo] Nr. 74 Am Markt 5<br />

Günter Dippold<br />

147<br />

147


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148<br />

148 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Hauptstraße1937 mit<br />

Hausnummer 15 Schreibwaren<br />

Brode früherer<br />

Besitzer Löb Abraham und<br />

Salomon Baruch<br />

Hirsch Michel [Kuh] Nr. 103 Kronacher Straße 3<br />

Kila Hirsch Nr. 106 ?<br />

Wolf Rindskopf Nr. 108a Kronacher Straße 5<br />

Bendert Wolf [Kastor] Nr. 108b Kronacher Straße 5<br />

Seligmann Löser [Wald] Nr. 109a Kronacher Straße 7<br />

Michael Gutmann Nr. 109b Kronacher Straße 7<br />

Aron Wolf [Gosser] Nr. 111a Kronacher Straße 11<br />

Abraham Jacob [Kann] Nr. 111b Kronacher Straße 11<br />

Meier Wolf [Dinon] Nr. 112 Hauptstraße 4<br />

Keela, Kaiums Witwe [Pictor] Nr. 114 ?<br />

Helena, Isacks Witwe Nr. 115 Gässla 1<br />

Es gab <strong>ein</strong>ige Stellen im Dorf, wo viele, andere, wo k<strong>ein</strong>e Juden wohnten,<br />

aber räumlich abgegrenzt waren sie k<strong>ein</strong>eswegs. Die Wohnverhältnisse der<br />

Juden waren sehr beengt. 1810 besaßen nur neun Juden <strong>ein</strong> ganzes Haus;<br />

fünf davon waren Tropfhäuser ohne Garten oder Hofraum. 19 Juden dagegen<br />

mussten sich mit <strong>ein</strong>er Hälfte <strong>ein</strong>es Hauses, zwei gar mit <strong>ein</strong>em Viertel<br />

begnügen. Das heißt: In zehn Häusern – sieben davon Tropfhäuser – lebten<br />

21 Familien. Oft dürfte dann <strong>ein</strong>e Familie im Erdgeschoss, die andere im 1.<br />

Stock gewohnt haben. Weitere sieben Familien, die sich aufgrund der Schutzgeldzahlungennachweisen<br />

lassen, sind im Kataster<br />

nicht genannt; sie<br />

wohnten wohl zur Miete.<br />

Vor 1813 trieben die <strong>Redwitz</strong>er<br />

Juden offenbar fast<br />

ausschließlich Handel.<br />

Diese Einseitigkeit hatte<br />

vor allem zwei Gründe:<br />

Die bürgerlichen Gewerbe,<br />

sprich: Handwerke<br />

waren ihnen weitgehend<br />

verschlossen 43 . Dass es im


18. Jahrhundert in Burgkunstadt und Ebneth jüdische Buchbinder gab 44 , dass<br />

1755 <strong>ein</strong> jüdischer Glaser in Oberlangenstadt saß 45 und dass 1804 in Pretzfeld<br />

<strong>ein</strong> jüdischer Siegel- und Wappenstecher lebte 46 , sind bemerkenswerte Ausnahmen.<br />

Landwirtschaft zu treiben, war mangels der nötigen Acker- oder<br />

Weideflächen nicht möglich. Von den fünf jüdischen Familien, die 1716 in<br />

<strong>Redwitz</strong> nachzuweisen sind, besaß nur <strong>ein</strong>e über ihr Wohnhaus hinaus Grundbesitz<br />

47 .<br />

Im Übrigen waren die finanziellen Auflagen von Seiten des Schutzherrn zu<br />

decken; die Juden mussten, wollten sie unbehelligt leben, Geld verdienen,<br />

und das war im Handel eher – wenn auch risikoreicher – möglich als im<br />

Handwerk. Hinzu kam die Tradition: Wenn die Vorfahren sich, oft schon<br />

über Jahrhunderte, durch Handelsgeschäfte ernährt hatten, dann lag es eben<br />

nahe, dass der Sohn auch Handel trieb.<br />

Womit die <strong>Redwitz</strong>er Juden handelten, wissen wir nur in wenigen Fällen.<br />

Einige kauften und verkauften Getreide. Der <strong>Redwitz</strong>er Jude Gerst erwarb<br />

1691 zusammen mit <strong>ein</strong>em Lichtenfelser Juden vom dortigen bischöflichen<br />

Kastner 200 Simra Weizen 48 – das sind 250 bis 300 Zentner. 1693 schrieb<br />

Gerson Levi – wohl mit dem genannten Gerst identisch – <strong>ein</strong>en Brief an den<br />

Amtmann von Sonnefeld, in dem es um Ankauf von Mehl und Getreide ging 49 .<br />

Mit demselben Amtmann machte auch <strong>ein</strong> anderer <strong>Redwitz</strong>er, Moses Hirsch,<br />

Geschäfte. 1695 forderte er brieflich die versprochenen 10 Simra Korn <strong>ein</strong><br />

für s<strong>ein</strong>e mühsamen undt, ohne Ruhm, fleißigen Verrichtungen wegen des<br />

bewusten Getreidtighandels 50 . Moses hatte hier offenbar als Makler gewirkt.<br />

Pretiosen konnte Jonas Abraham liefern: Die Schlossherrschaft kaufte 1763<br />

bei ihm <strong>ein</strong>e Sackuhr, im folgenden Jahr silberne Löffel 51 .<br />

Jakob Bonum kaufte 1738 von <strong>ein</strong>em Erlanger Kommerzienrat rund 64 Zentner<br />

Eisen. Der Preis betrug knapp 200 Reichstaler – <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es Vermögen.<br />

Von diesem Geschäft wissen wir nur, weil Jakob Bonum das Geld nicht fr<strong>ist</strong>gerecht<br />

erlegen konnte. Aus den Verhandlungen wird der Grund deutlich:<br />

Jakob besaß kaum Bargeld, denn er hatte Geld an Adlige der Umgebung<br />

verliehen, so an die Freiherren von Künsberg zu Nagel und an die Freiherren<br />

von <strong>Redwitz</strong> zu Theisenort, und diese ließen sich mit der Rückzahlung Zeit 52 .<br />

Offenbar gab Jakob Kredite in größerem Umfang. Schon <strong>ein</strong> halbes Jahrhundert<br />

zuvor hatten <strong>Redwitz</strong>er Juden geschäftliche Beziehungen zu ritterschaftlichen<br />

Familien unterhalten 53 . Ferner handelte Jakob mit Immobi-<br />

Günter Dippold<br />

Zur wirtschaftlichen<br />

Struktur der <strong>Redwitz</strong>er<br />

Judenschaft im<br />

18. und frühen 19.<br />

Jahrhundert<br />

149<br />

149


150 150<br />

150<br />

150 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Hauptstraße ca.1920<br />

Das erste Haus rechts<br />

(heute Hauptstraße 29)<br />

gehörte 1810 Henoch<br />

Marx (Gütermann).<br />

1873/74 besaß es Johann<br />

Georg Dressel. In dessen<br />

Lager war das Petroleum<br />

ausgelaufen, das den<br />

<strong>Redwitz</strong>ern den Spitznamen<br />

„Ölpumper“ <strong>ein</strong>brachte<br />

lien; es <strong>ist</strong> belegt, dass Alexander H<strong>ein</strong>rich von <strong>Redwitz</strong> ihm gestattete, die<br />

Sölde <strong>ein</strong>es verschuldeten Chr<strong>ist</strong>en zu kaufen und zu zerschlagen 54 , d. h. die<br />

zum Anwesen gehörigen Grundstücke <strong>ein</strong>zeln zu veräußern.<br />

Von allen <strong>Redwitz</strong>er Juden hatte Jakob Bonum den größten Grundbesitz: Er<br />

nannte 1734 zwei Häuser mit Stadel, Stall, Hofraum und Garten s<strong>ein</strong> eigen;<br />

auf s<strong>ein</strong>em Grundstück stand die Synagoge. Dazu besaß er <strong>ein</strong> Feld 55 . Es <strong>ist</strong><br />

demzufolge anzunehmen, dass er auch Landwirtschaft trieb. Zu s<strong>ein</strong>em<br />

Schutzherrn, dem Major Alexander H<strong>ein</strong>rich von und zu <strong>Redwitz</strong>, sch<strong>ein</strong>t er<br />

<strong>ein</strong> gutes Verhältnis gehabt zu haben; der Obr<strong>ist</strong>felder Pfarrer Georg Adam<br />

Kümmelmann schrieb 1747, Jakob habe den Herrn Major sehr <strong>ein</strong>ge- und<br />

sich sonsten viel unternommen 56 , und <strong>ein</strong>mal, 1742, wird er als Hoffactor<br />

bezeichnet 57 . Jakob Bonum war wohl die herausragende Gestalt unter den<br />

<strong>Redwitz</strong>er Juden s<strong>ein</strong>er Zeit.<br />

1670 besuchte <strong>ein</strong> <strong>Redwitz</strong>er Jude die Bamberger Messe; wir erfahren nur<br />

deshalb davon, weil er auf dem Rückweg ermordet wurde 58 . 1706, 1713 und<br />

1714 zog Bonum Jakob, der Vater des oben erwähnten Jakob Bonum, auf die<br />

Leipziger Messe 59 . Regelmäßig re<strong>ist</strong>e später Wolf Marx (gest. 1760/61 60 ),<br />

der 1747 zusammen mit Jakob Bonum als Vertreter der jüdischen Gem<strong>ein</strong>de<br />

<strong>Redwitz</strong> auftrat 61 , nach Leipzig: Von 1731 bis 1759 kam er mit <strong>ein</strong>er Ausnahme<br />

alljährlich zur Messe,<br />

in den letzten Jahren oft<br />

begleitet von <strong>ein</strong>em s<strong>ein</strong>er<br />

Söhne oder s<strong>ein</strong>er Frau.<br />

Drei s<strong>ein</strong>er Söhne – Isaak,<br />

Lazarus (Löser) und<br />

Marcus (Marx) – sch<strong>ein</strong>en<br />

das Geschäft ab 1760 weitergeführt<br />

zu haben. Vermutlich<br />

handelten sie vornehmlich<br />

mit Textilien.<br />

Große Geschäfte fanden<br />

eben am ehesten Niederschlag<br />

in den Quellen.<br />

Insgesamt gesehen waren<br />

reiche Juden aber Aus-


nahmeersch<strong>ein</strong>ungen in den jüdischen Landgem<strong>ein</strong>den Frankens 62 . Wenn auch<br />

in <strong>Redwitz</strong> erstaunlich viele wohlhabende Juden lebten, so schlug sich die<br />

Mehrzahl doch armselig durch. 1810 notierte der Banzer Landrichter sogar:<br />

Die Juden zu Redwiz sind sämmtlich Kl<strong>ein</strong>händler 63 . Noch in den 1820er<br />

Jahren hatten neun der 39 <strong>Redwitz</strong>er Judenfamilien gar k<strong>ein</strong> Vermögen, weitere<br />

elf besaßen weniger als 500 Gulden 64 . In früheren Jahren dürfte es im<br />

Verhältnis noch mehr Arme gegeben haben.<br />

Sie ernährten sich vom Kl<strong>ein</strong>-, vom Vieh-, vom Hausier-, vom Lumpenhandel<br />

oder vom Taglohn. Über Maier Wolf Dinon heißt es 1824: Naehrt<br />

sich vom Lumpenhandel, kann sich aber nach s<strong>ein</strong>en Angaben s<strong>ein</strong> Brod<br />

nicht ferner mehr davon verdienen. Abraham Moses Binder, der, hochbetagt<br />

und verwitwet, um dieselbe Zeit in <strong>Redwitz</strong> wohnte, lebte theils von <strong>ein</strong>em<br />

unbedeutenden Viehhandel, theils von Unterstüzzung guter Leute 65 .<br />

Für die Ärmsten der Armen, vagierende jüdische Bettler 66 , bestand <strong>ein</strong>e Herberge,<br />

die sich 1794 nachweisen läßt 67 ; um dieselbe Zeit <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e derartige<br />

Einrichtung auch in M<strong>ist</strong>elfeld erwähnt 68 . Im frühen 19. Jahrhundert wurden<br />

die Herbergen wohl geschlossen, verfügte doch die Landesdirektion Bamberg<br />

im Januar 1807: Betteljuden sollen nirgend in das Land gelassen, sondern<br />

überall, wo sie betreten werden, über die Gränze geliefert werden. 69<br />

Das Ende des Hochstifts Bamberg 1802, die Übernahme der Herrschaft durch<br />

Bayern, die Mediatisierung der Reichsritterschaft bis 1806 blieben nicht ohne<br />

Einfluss auf das Leben der Juden. Das für den jüdischen Alltag grundlegende<br />

Gesetz war das Edikt die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen<br />

im Königreiche Baiern betreffend vom 10. Juni 1813 70 , in der Forschung als<br />

„Judenedikt“ bezeichnet. Den Juden wurde unter anderem geboten, <strong>ein</strong>en<br />

festen Familiennamen anzunehmen 71 . Bis dahin hatten die Juden in <strong>Redwitz</strong><br />

wie in vielen anderen Dörfern in der Regel nur ihren (Vor-)Namen und den<br />

Namen des Vaters getragen, also z. B. Moses Isaak, d. h. Moses Sohn des<br />

Isaak.<br />

Die Namenswahl war den Juden im großen und ganzen freigestellt. In <strong>Redwitz</strong><br />

ersch<strong>ein</strong>en in den 1820er Jahren die Familiennamen Auriel, Kares, Cotta,<br />

Kastor, Geta, Gütermann, Dinon, Endimion, Flankauer, Gosser, Gutmann,<br />

Kuh, Hallo, Hopfmann, Kann, Korn, Lust, Midas, Philo, Pausan (später<br />

Pauson), Pictor, Rindskopf, Schnebel, Wald und Zinn. Wieso gerade diese<br />

Günter Dippold<br />

Veränderungen durch<br />

das Judenedikt von<br />

1813<br />

151<br />

151


152 152<br />

152<br />

152 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Landflucht und<br />

Auswanderung: Das<br />

Schrumpfen der<br />

Gem<strong>ein</strong>de<br />

Namen gewählt wurden, <strong>ist</strong> im Einzelfall kaum zu klären. Einige griffen auf<br />

Namen zurück, die sie bereits vor 1813 geführt hatten (Schnebel, Gutmann,<br />

Rindskopf, Auriel). Auffällig sind die antiken Anklänge etlicher <strong>Redwitz</strong>er<br />

Namen: Cotta und Geta sind B<strong>ein</strong>amen bekannter römischer Familien,<br />

Endimion <strong>ist</strong> wohl aus dem Griechischen abgeleitet (,endemios‘ = der Einheimische),<br />

ebenso Kastor (Bieber), Philo (,philos‘ = Freund) und vielleicht<br />

Dinon (vielleicht von ,dino‘ = tanzen); König Midas <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e mythologische<br />

Gestalt; Pictor kommt aus dem Lat<strong>ein</strong>ischen (,Maler‘).<br />

Ferner bestimmte das Judenedikt von 1813, dass die Polizeibehörden sog.<br />

Juden-Matrikeln anzulegen hatten. In diese Matrikel musste sich jede jüdische<br />

Familie mit ihrem neuen Namen und unter Vorlage ihres alten Schutzbriefs<br />

<strong>ein</strong>tragen lassen.<br />

Durch die Matrikel sollte die Zahl der Juden am jeweiligen Ort festgeschrieben<br />

werden. In der Regel durften k<strong>ein</strong>e zusätzlichen Familien zuziehen. Wenn<br />

<strong>ein</strong> Jude mit s<strong>ein</strong>er Familie dennoch in <strong>ein</strong>en anderen Ort umziehen wollte,<br />

oder wenn er an s<strong>ein</strong>em Heimatort <strong>ein</strong>e Familie gründen wollte, musste er<br />

warten, bis am jeweiligen Ort <strong>ein</strong>e Matrikelstelle freigeworden, d. h. bis <strong>ein</strong>e<br />

andere Familie fortgezogen oder verstorben war. Der Zweck dieser Vorschrift<br />

wird im Edikt ausdrücklich genannt: Die Zahl der Judenfamilien an den<br />

Orten, wo sie dermal bestehen, darf in der Regel nicht vermehrt werden, sie<br />

soll vielmehr nach und nach vermindert werden, wenn sie zu groß <strong>ist</strong>. In<br />

<strong>Redwitz</strong> lebten im Stichjahr 1813 38 Familien; folglich gab es fortan 38<br />

Matrikelstellen.<br />

Diese Vorschriften waren bis 1861 in Kraft; erst von da an hatten Juden in<br />

Bayern dieselbe Freizügigkeit wie Chr<strong>ist</strong>en. Gleichwohl veränderte sich die<br />

Zahl der jüdischen Einwohner von <strong>Redwitz</strong> in dieser Zeit: 1829 wohnten im<br />

Dorf 196 Juden (23,4 Prozent der Einwohner); 35 Jahre später waren es nur<br />

noch 81 (10,4 Prozent) 72 .<br />

1856 notierte der <strong>Redwitz</strong>er Rabbiner: Die Gem<strong>ein</strong>de zählte vor ungefähr 15<br />

Jahren 40 Mitglieder [d. h. Familienvorstände], gegenwärtig sind es kaum<br />

20 mehr, und wenn wiederum 15 Jahre herum sind, werden es kaum 10 mehr<br />

s<strong>ein</strong>, da die me<strong>ist</strong>en Mitglieder betagte Leute sind, <strong>ein</strong>e neue Ansäßigmachung<br />

aber höchst selten vorkommt. 73 Moses Gutmann behielt Recht.<br />

Einen Grund für das Schrumpfen der Gem<strong>ein</strong>de bildete wohl die schwierige


Erwerbslage auf dem Land. Besonders die Handeltreibenden zog es in die<br />

Städte. Andere wollten auswandern 74 , namentlich in die USA, wo Juden die<br />

vollen bürgerlichen Rechte genossen. All<strong>ein</strong> zwischen 1848 und 1854 emigrierten<br />

mindestens 20 all<strong>ein</strong>stehende junge Juden nach Nordamerika 75 :<br />

1837 Bernhard Rindskopf, Schuhmacherme<strong>ist</strong>er, mit s<strong>ein</strong>er Ehefrau<br />

1848 Ludwig Wald<br />

1848 H<strong>ein</strong>rich Zinn<br />

1848 Simon Gütermann<br />

1850 Bernhard Kann<br />

1850 Sigmund Zinn<br />

1850 Rettel Kuh<br />

1850 Martin Gütermann, Schneiderlehrling<br />

1851 Martin Gutmann<br />

1851 Isidor Castor<br />

1852 Sigmund Castor<br />

1852 Alexander Gütermann<br />

1853 Kerl Kuh und Jakob Hallo<br />

1853 Franz und Jette Pausan, Geschw<strong>ist</strong>er<br />

1853 Abraham Kuh<br />

1853 Joel Hallo, Schr<strong>ein</strong>erme<strong>ist</strong>er<br />

1853 Wilhelm Kastor<br />

1854 Babette Pictor<br />

1854 Babette Kuh<br />

Die Ereignisse des Revolutionsjahres 1848 beschleunigten und verstärkten<br />

die Landflucht und die Tendenz zur Auswanderung. Nachdem am 12. März<br />

1848 von <strong>ein</strong>er aufgebrachten Menge das Amtshaus geplündert war, zogen<br />

Trupps vor die von Juden bewohnten Häuser, schrien, schlugen Fenster und<br />

Türen <strong>ein</strong>. Einige Familien versuchten, sich und ihre Habe zu retten, indem<br />

sie Geld oder andere Wertsachen aus dem Fenster warfen. Der Familie des<br />

Kaufmanns Marx Gütermann nötigte man den Ladenschlüssel ab und plünderte<br />

den Warenbestand, 1500 Gulden wert. Nur als <strong>ein</strong>ige Männer die Ladentür<br />

von Koppel Gütermann (1792–1868) aufbrechen wollten, schritten<br />

die Nachbarn <strong>ein</strong> und verjagten die Täter 76 .<br />

Günter Dippold<br />

153<br />

153


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154<br />

154 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Hauptstraße 2, hier lebten<br />

1810 Isack Moses (Hallo)<br />

Kronum Moses (Hallo) und<br />

Wolf Moses (Hallo)<br />

Wie den <strong>Redwitz</strong>er Juden nach den Schrecken jener Nacht zumute war, illustriert<br />

der Brief, den der <strong>Redwitz</strong>er D<strong>ist</strong>riktsrabbiner Moses Gutmann (1805–<br />

1862) am 21. März 1848 an die Regierung von <strong>Oberfranken</strong> schrieb. Er bat<br />

darin, s<strong>ein</strong>en Wohnsitz nach Lichtenfels verlegen zu dürfen, und erinnerte in<br />

diesem Zusammenhang daran, welche arge Ruhestörungen in hiesigem Orte<br />

stattfanden, wie namentlich die Israliten von Seiten des rohen Pöbels mißhandelt,<br />

ihr Eigenthum zum Theil geplündert worden, ja selbst ihr Leben<br />

von großer Gefahr bedroht gewesen sei, wenn sie den verübten Gewaltthätigkeiten<br />

Widerstand gele<strong>ist</strong>et hätten. In Folge dessen, und da bei der<br />

herrschenden Erbitterung <strong>ein</strong>es Theiles der chr<strong>ist</strong>lichen Bevölkerung über<br />

die militärische Besetzung des Ortes noch immerfort die heftigsten Drohungen<br />

gegen die jüdischen Einwohner laut werden, sind viele, und gerade die<br />

angesehensten jüdischen Familien entschlossen, den hiesigen Ort zu verlaßen,<br />

wo sie ihr Eigenthum und ihr Leben nicht mehr für sicher halten. Einige<br />

haben diesen Entschluß bereits ausgeführt. Die israelitische Kultusgem<strong>ein</strong>de<br />

drohe wenn nicht ganz, doch großentheils <strong>ein</strong>zugehen 77 .<br />

Tatsächlich konstatierten Ende 1849 Vertreter der jüdischen Gem<strong>ein</strong>de: Durch<br />

die betrübenden Vorfälle im hiesigem Orte im März des vorigen Jahres sind<br />

[...] mehrere, und zwar<br />

von den reichsten Familien<br />

im Begriffe, sich anderswo<br />

ansäßig zu machen<br />

78 .<br />

Wie verbittert die Juden<br />

waren, spürt man, wenn<br />

man den 1850 gestellten<br />

Antrag des aus <strong>Redwitz</strong><br />

kommenden Marx Gütermann<br />

auf das Bamberger<br />

Bürgerrecht liest: Bis zum<br />

Jahre 1848 betrieb m<strong>ein</strong>e<br />

Handlung zu <strong>Redwitz</strong><br />

schwunghaft und verlegte<br />

mich vorzüglich auf den<br />

En-gros-Handel mit


Tuchwaaren. [...] Die bekannten Ereigniße zu <strong>Redwitz</strong> und in der dortigen<br />

Gegend im Jahre 1848 unterbrachen m<strong>ein</strong> Geschäft und veranlaßten mich,<br />

mit m<strong>ein</strong>er Familie hieher zu ziehen, weil zu jener Zeit dort weder Person<br />

noch Eigenthum sicher war. Obwohl ich stets mit den Bewohnern zu <strong>Redwitz</strong><br />

freundlich zusammen lebte und dieselben durch m<strong>ein</strong> Geschäft nur Vortheile<br />

zogen, so wurde doch auch m<strong>ein</strong> Laden aus Habgier mit geplündert. Dieß<br />

hat es mir verleitet, jemals wieder nach <strong>Redwitz</strong> zu ziehen. 79<br />

Gütermann war k<strong>ein</strong> Einzelfall. Die Plünderungen von 1848 bewogen viele<br />

Juden dazu, ihren Wohnsitz an <strong>ein</strong>en sichereren Ort zu verlegen. So wollte<br />

der Bamberger Armenpflegschaftsrat 1852 seit <strong>ein</strong>iger Zeit beobachtet haben,<br />

daß Israeliten aus allen benachbarten Gegenden sich in die hiesige<br />

Stadt drängen 80 . In <strong>Redwitz</strong> sank die Zahl der Juden von 189 im Jahr 1832<br />

auf 76 im Jahr 1867 81 und 67 im Jahr 1869 82 .<br />

Dennoch wurde dem Rabbiner nicht gestattet, s<strong>ein</strong>en Amtssitz nach Lichtenfels<br />

zu verlegen, wo die Gem<strong>ein</strong>de ihre Größe etwa hielt. S<strong>ein</strong> 1848 gestellter<br />

Antrag wurde abgelehnt. Als 1856 <strong>ein</strong>e jüdische Schule in <strong>Redwitz</strong> gegründet<br />

wurde, erfuhr der Rabbiner <strong>ein</strong>e finanzielle Einbuße, hielt er doch<br />

fortan nicht mehr den Religionsunterricht. Deshalb wollte er nach Lichtenfels<br />

übersiedeln, denn dort habe er Gelegenheit, durch Sprachen-Unterricht<br />

so viel zu verdienen, als mir durch den Verlust der Religionslehrersstelle<br />

entgeht 83 . Doch die Gem<strong>ein</strong>den im <strong>Bezirk</strong>samt Kronach und die <strong>Redwitz</strong>er<br />

Juden protestierten, und so verweigerte die Regierung ihm wiederum den<br />

Umzug nach Lichtenfels 84 .<br />

Da gerade die jüngeren Gem<strong>ein</strong>demitglieder in die Städte, besonders nach<br />

Lichtenfels und Bamberg, oder nach Nordamerika übersiedelt waren, war<br />

die <strong>Redwitz</strong>er Gem<strong>ein</strong>de offenbar überaltert. Denn den Fortziehenden standen<br />

nur ver<strong>ein</strong>zelt Zuwanderer gegenüber, wie etwa Max Fleischmann, der<br />

im Sommer 1890 s<strong>ein</strong> Tuch- und Manufakturwaaren-Geschäft von Oberlangenstadt<br />

nach <strong>Redwitz</strong> verlegte 85 .<br />

1875 lebten noch 51 Juden in <strong>Redwitz</strong>, 1880 nur mehr 26 86 . Ihr Anteil an der<br />

Gesamtbevölkerung sank seit 1864 von 10,4 auf 2,5 Prozent. <strong>Redwitz</strong> stand<br />

mit dieser Entwicklung nicht all<strong>ein</strong> da 87 : In Küps wohnten um 1810 weit<br />

über 100 Juden; 1900 zog die letzte Familie jüdischen Bekenntnisses fort 88 .<br />

In Altenkunstadt machte 1837 die 400 Personen starke israelitische Kultusgem<strong>ein</strong>de<br />

die Hälfte der Einwohner aus; 1900 gab es noch ganze 65 Juden<br />

Günter Dippold<br />

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156 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Karoline Lust geb. Kürschner<br />

(1792–1864)<br />

Haustür zum früheren<br />

Anwesen von Bonum Moses<br />

(Lust), Am Markt 7<br />

am Ort. In Horb lebten 1824 48 Juden, 1900 nur mehr <strong>ein</strong>er 89 . Das Ausbluten<br />

der Landgem<strong>ein</strong>den <strong>ist</strong> in ganz Franken zu beobachten. Lebte z. B. in Mittelfranken<br />

1855 erst <strong>ein</strong> Drittel der Juden in Städten, so waren es 1910 80,5<br />

Prozent, Tendenz weiter steigend 90 .<br />

Familiengeschichtliche Studien belegen, wie rasant innerhalb <strong>ein</strong>er Generation<br />

die jüdische Gem<strong>ein</strong>de <strong>Redwitz</strong> Mitglieder verlor, und zwar zuerst<br />

Angehörige der wohlhabenderen Familien. Vier Fälle mögen dies verdeutlichen:<br />

Samuel Marx Gütermann hatte aus zwei Ehen acht Kinder 91 . K<strong>ein</strong>es davon<br />

starb in <strong>Redwitz</strong>. Mehrere Söhne lebten zuletzt als Hopfenhändler in<br />

Bamberg; der älteste, Koppel, zog über Wien nach Agram in Kroatien<br />

(das heutige Zagreb), wo er 1868 starb. Zwei Söhne wanderten in die<br />

USA aus; sie wohnten dort in Steubenville, Ohio. Enkel Gütermanns finden<br />

wir in Bamberg, im mittelfränkischen Georgensgmünd, in Frankfurt<br />

am Main, in Wien, in Agram (Zagreb), in verschiedenen nordamerikanischen<br />

Städten, wobei besonders häufig Cincinnati als Wohnort gewählt<br />

wurde. Einige Enkel von Samuel Marx Gütermann konvertierten zum<br />

Chr<strong>ist</strong>entum, darunter der Seidenfabrikant Maximilian Gütermann, der<br />

den evangelischen Glauben annahm. 92<br />

Ein weiteres Beispiel bildet die Familie Lust. Der wohlhabende Viehhändler<br />

Bonum Lust, gestorben 1855, hatte 13 Kinder, die das<br />

Erwachsenenalter erreichten, und mindestens 46 Enkel. Von s<strong>ein</strong>en<br />

Kindern blieben nur drei bis zu ihrem Tod in <strong>Redwitz</strong> wohnen. Die<br />

übrigen finden wir in Frankfurt, Fürth, Mühlhausen in Thüringen,<br />

Bamberg, Altenkunstadt, Reckendorf bei Baunach und Nürnberg. K<strong>ein</strong><br />

Enkelkind von Bonum Lust starb in <strong>Redwitz</strong>. Dagegen lassen sich<br />

Enkel nachweisen in Bamberg, Memmelsdorf, Fürth, Nürnberg, Regensburg,<br />

München, Aschaffenburg, Frankfurt, Mainz, Darmstadt, Eisenach,<br />

Berlin und Meran. In Paris lebte der Kaufmann Bertrand Lust,<br />

in Brüssel <strong>ein</strong> anderer Enkel. Mehrere Kindeskinder von Bonum Lust<br />

wanderten in die USA aus – bevorzugt wurde New York –, und <strong>ein</strong>e<br />

Enkelin verzog vor 1887 nach Melbourne in Australien. Die überwiegende<br />

Mehrzahl der Nachkommen von Lust bzw. ihre Ehepartner<br />

ernährten sich durch kaufmännische Berufe. In der Enkelgeneration<br />

finden wir lediglich <strong>ein</strong>e Ausnahme: den Rechtsanwalt Herrmann Lust


in Nürnberg, dem der Titel Justizrat verliehen wurde. Ein Urenkel führte <strong>ein</strong><br />

Anwaltsbüro am Broadway in New York; <strong>ein</strong> anderer war Chefingenieur in<br />

Aachen 93 .<br />

Der 1862 verstorbene Rabbiner Moses Gutmann hinterließ fünf Söhne und<br />

<strong>ein</strong>e Tochter 94 . Ein Sohn starb drei Jahre später als Advokat in Bamberg, die<br />

anderen vier lebten als Kaufleute in Nordamerika. Die Tochter Rosalie (1838–<br />

1912) war mit dem jüdischen Lehrer Moses Vogel von Altenkunstadt verheiratet;<br />

von ihren fünf Söhnen wurde <strong>ein</strong>er, Justin Vogel, Arzt, wohl in Würzburg<br />

95 , <strong>ein</strong> anderer, Ignaz Vogel (1871–1922), Professor für Bakteriologie in<br />

Leipzig 96 .<br />

Der Trend in die Städte und nach Amerika setzte sich noch im späten 19. und<br />

frühen 20. Jahrhundert fort. Als der Korbhändler Emanuel Gutmann 1909<br />

starb, hinterließ er elf Kinder im Alter zwischen 33 und 6 Jahren. Schon<br />

damals lebte die älteste Tochter in den USA, genauer: in Brooklyn. Zwei<br />

weitere Töchter wohnten in bzw. bei Frankfurt am Main. Von den sieben<br />

Kindern aus zweiter Ehe fiel <strong>ein</strong> Sohn im Ersten Weltkrieg, <strong>ein</strong> anderer Sohn,<br />

Metzger, von Beruf, zog vor 1922 nach Nürnberg. Nur sechs von elf Kindern<br />

hatten in den 20er Jahren noch ihren Wohnsitz in <strong>Redwitz</strong> 97 .<br />

Mit dem Judenedikt von 1813 traf die bayerische Regierung nicht nur Anordnungen<br />

über Zahl und Wohnorte der Juden, sondern auch und vor allem<br />

über ihre Berufe. Die damit verbundene Zielsetzung findet in § 15 ihren<br />

Ausdruck: Um die Juden von ihren bisherigen ebenso unzureichenden als<br />

gem<strong>ein</strong>schädlichen Erwerbsarten abzuleiten und ihnen jede erlaubte [...]<br />

Erwerbsquelle zu eröffnen, sollen dieselben zu allen bürgerlichen Nahrungszweigen,<br />

als: Feldbau, Handwerken, Treibung von Fabriken und Manufakturen<br />

und des ordentlichen Handels [...] zugelassen, dagegen der gegenwärtig<br />

bestehende Schacherhandel allmählich, jedoch so bald immer möglich,<br />

ganz abgestellt werden. Dazu durften die Juden nun Grundbesitz erwerben;<br />

Handwerksberufe standen ihnen offen. Handel durfte treiben, wer das nötige<br />

Kapital und Wissen besaß und Bücher in deutscher Sprache führte. Dem<br />

Hausieren, überhaupt dem Kl<strong>ein</strong>handel sagte die Regierung dagegen den<br />

Kampf an. Freilich konnte man ihn nicht von <strong>ein</strong>em Tag auf den anderen<br />

verbieten, hätte dies doch unzähligen Familien die Ex<strong>ist</strong>enzgrundlage entzogen.<br />

So bestimmte das Edikt in § 20: Nur von denjenigen hierauf schon<br />

Bonum Lust<br />

(1777–1855)<br />

Günter Dippold<br />

Wandlungen der<br />

wirtschaftlichen<br />

Struktur im<br />

19. Jahrhundert<br />

157<br />

157


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158 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Kronacher Straße 12.<br />

Dieses Haus gehörte 1810<br />

Bärl<strong>ein</strong> Seligmann und der<br />

Witwe Märla (Flankauer),<br />

später war hier die Polize<strong>ist</strong>ation<br />

untergebracht.<br />

Besitzer war die Firma<br />

Goldmüller, Kronach<br />

ansässigen jüdischen Hausvätern, welche sich dermal auf andere Art zu ernähren<br />

nicht vermögen, darf derselbe noch insolange fortgesetzt werden, bis<br />

sie <strong>ein</strong>en anderen ordentlichen Erwerbszweig erlangt haben werden.<br />

Männer, die sich von jeher durch Hausieren ernährt hatten, durften dies also<br />

fortsetzen. Die jüngeren unverheirateten Juden aber wurden angehalten, <strong>ein</strong><br />

Handwerk zu erlernen. In der <strong>Redwitz</strong>er Judenmatrikel finden sich hierfür<br />

etliche Beispiele. Bernhard Rindskopf, geboren 1798, Sohn <strong>ein</strong>es Schnittwarenhändlers,<br />

trieb die Handelsgeschäfte s<strong>ein</strong>es Vaters in Sachsen. In den<br />

20er Jahren teilte ihm die zuständige Polizeibehörde mit: Will Bernhardt<br />

der<strong>ein</strong>st in Baiern [sich] ansäßig machen oder geduldet seyn will, so muß er<br />

<strong>ein</strong> gebilligtes Gewerbe erlernen. Er wurde daraufhin 1825 nolens volens<br />

Schuhmacherlehrling 98 . Abraham Zinn, geboren 1786, handelte ebenfalls in<br />

Sachsen. In die Matrikel notierte der Landrichter: Abraham <strong>ist</strong> zum Gewerbestand<br />

anzuhalten, widrigenfalls er als Müßiggänger zu<br />

behandeln <strong>ist</strong>. Zinn zog es vor, sich in Plauen, außerhalb<br />

Bayerns, niederzulassen 99 .<br />

Damit war er aber <strong>ein</strong>e Ausnahme. Die me<strong>ist</strong>en jungen<br />

Juden erlernten auf den staatlichen Druck hin <strong>ein</strong> Handwerk;<br />

andere taten dies freiwillig. Sie wurden Schuhmacher,<br />

Gerber, Seifensieder, Schr<strong>ein</strong>er, Metzger, Korbmacher.<br />

Besonders beliebt war die Textilproduktion.<br />

<strong>Redwitz</strong>er Juden ergriffen den Beruf des Webers, des<br />

Seiden- und Baumwollwebers.<br />

Eine Stat<strong>ist</strong>ik aus dem Jahr 1832 100 zeigt die Auswirkungen<br />

des Edikts. Damals gab es in <strong>Redwitz</strong> 45 jüdische<br />

Familien, sieben davon außerhalb der eigentlichen<br />

Matrikelzahl. Drei ernährten sich durch Großhandel, 16<br />

durch Handwerk, zwei durch Landwirtschaft. Also hatten<br />

gerade erst 21 Familien <strong>ein</strong>en Broterwerb nach dem<br />

Wunsch des Staates, darunter allerdings die me<strong>ist</strong>en jungen<br />

Familien. Von den übrigen 24 lebten fünf von Detailhandel,<br />

zehn vom Hausieren, vier vom Viehhandel;<br />

fünf waren Taglöhner.<br />

Das Edikt setzte sich also schleppend durch. Vor allem<br />

aber scheiterte s<strong>ein</strong> eigentliches Vorhaben, die Juden


langfr<strong>ist</strong>ig vom Handel wegzuführen. Der Gem<strong>ein</strong>deausschuss <strong>Redwitz</strong> stellte<br />

1832 fest: Wenn sich die Juden auch auf Gewerbe ansäßig machen, so lassen<br />

sie solche öfters ganz liegen oder treiben wenigstens nebenbei den Handel<br />

als Hauptnahrungszweig, weil dabei eher etwas verdient wird. 101 In den<br />

fränkischen Gem<strong>ein</strong>den <strong>ist</strong> zu beobachten, dass die jüdischen Handwerker<br />

nicht selten entweder ihr Gewerbe zu <strong>ein</strong>er Fabrik erweiterten oder zu <strong>ein</strong>em<br />

Handelsunternehmen ausbauten 102 . Die Tuchmacher Moritz Hallo und Marx<br />

Wald arbeiteten um 1830 mit mehreren Gesellen und waren auf dem Weg,<br />

ihren Betrieb in <strong>ein</strong>e Fabrik zu verwandeln, nicht anders der Seifensieder<br />

und Wachszieher Seligmann Gütermann. Die Korbmacher wurden zu Korbhändlern:<br />

Baruch Zinn, geboren 1792 als Sohn <strong>ein</strong>es Schnittwarenhändlers,<br />

erlernte bei <strong>ein</strong>em chr<strong>ist</strong>lichen Me<strong>ist</strong>er das Korbmacherhandwerk; später hatte<br />

er übrigens umgekehrt chr<strong>ist</strong>liche Lehrlinge. Seit 1855 wird er als Korbhändler<br />

bezeichnet; aber er hatte wohl schon 1845 s<strong>ein</strong>en 17jährigen Sohn auf<br />

Handelsreise nach Nordamerika geschickt. Salomon<br />

Pausan (1809–1869), der – Sohn <strong>ein</strong>es armen Viehhändlers<br />

– das Korbmacherhandwerk auf staatlichen Druck hin<br />

ergriff, war der Begründer <strong>ein</strong>es bedeutenden Handelshauses.<br />

Auch s<strong>ein</strong> Bruder Moses (1806–1869) sch<strong>ein</strong>t von<br />

der Korbmacherei zum Korbhandel übergegangen zu s<strong>ein</strong>.<br />

Die bestimmende wirtschaftliche Kraft im <strong>Redwitz</strong> des<br />

frühen 19. Jahrhunderts waren die Gütermann. Marx<br />

Wolf, der 1801 starb, hatte mindestens vier Söhne – Wolf<br />

(1763–1839), Samuel (1771–1841), Henoch (1773–<br />

1850), Kronum – sowie zwei sicher nachweisbare Töchter.<br />

Die vier Brüder legten sich, dem Judenedikt gemäß,<br />

<strong>ein</strong>en Familiennamen – nämlich Gütermann – zu.<br />

Ihr Haupterwerbszweig war der Großhandel mit Textilien,<br />

die sie offenbar größtenteils aus Sachsen bezogen. Ihre<br />

Hauptabsatzgebiete waren wohl Altbayern und Württemberg;<br />

sie besuchten aber auch Messen und Märkte, vom<br />

Zeulner Krammarkt bis zur Leipziger Messe 103 . Zur Bamberger<br />

Herbstmesse des Jahres 1833 brachte Samuel Marx<br />

Gütermann über 33 Zentner Woll- und Baumwollwaren.<br />

Günter Dippold<br />

Am Markt 6,<br />

1810 Anwesen von<br />

Bonum David (Hopfmann)<br />

159<br />

159


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160<br />

160 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Daneben waren die Gütermann Bankiers. Aus dem Geschäftsbuch des Korbhändlers<br />

Harthan 104 wissen wir, dass er in den 1820er bis 40er Jahren mehrfach<br />

Kredite von ihnen erhielt. 1831 sind die Brüder als Besitzer des <strong>Redwitz</strong>er Zehnten<br />

nachzuweisen; sie nahmen als solche von den Grundeigentümern des Ortes<br />

pro Jahr Getreide und Gemüse im Wert von ca. 450 Gulden <strong>ein</strong> 105 .<br />

1817 kauften Henoch und Samuel Marx Gütermann <strong>ein</strong>e Glasfabrik in Kronach<br />

106 . Als 1836 in <strong>Redwitz</strong> unter Federführung des Karl Sigmund von <strong>Redwitz</strong><br />

<strong>ein</strong>e Zuckerfabrik gegründet wurde, hielten Samuel Gütermann und s<strong>ein</strong> Sohn<br />

Koppel vier der 14 Anteile in der Fabrikgesellschaft. Und als die Fabrik schon<br />

1844 scheiterte, übernahm <strong>ein</strong> jüngerer Sohn Samuels, der Tuchhändler Marx<br />

Gütermann, die Anlagen, ohne sie allerdings weiter zu betreiben. S<strong>ein</strong>em Schwiegersohn<br />

Löb Friedmann in Burgkunstadt ermöglichte Samuel Marx Gütermann<br />

die Einrichtung <strong>ein</strong>er – allerdings wohl nur kurzlebigen – Essigfabrik 107 .<br />

Auch im Handwerk war die Familie erfolgreich. Seligmann Gütermann, <strong>ein</strong><br />

Neffe Henochs, erlernte das Handwerk des Seifensieders und Lichterziehers.<br />

Er war für den Landgerichtsassessor Thomas Rübl<strong>ein</strong> 1831 neben den Webern<br />

und Tuchmachern der <strong>ein</strong>zige erwähnenswerte Gewerbetreibende in<br />

<strong>Redwitz</strong>. Er arbeitete im großen Stil, mit mehreren Gesellen und Lehrlingen.<br />

Samuel Marx sch<strong>ein</strong>t die herausragende Gestalt gewesen zu s<strong>ein</strong>; er war<br />

nach Ausweis der in den 1820er Jahren angelegten Judenmatrikel auch der<br />

reichste <strong>Redwitz</strong>er Jude. Im Dorf genoss er offenbar <strong>ein</strong>iges Prestige; als<br />

1811 die Brüder Philipp Anton und Karl Sigmund von <strong>Redwitz</strong> <strong>ein</strong>en Vertrag<br />

über den Besitz am Rittergut schlossen, unterzeichnete neben dem Küpser<br />

Pfarrer als Zeuge Samuel Marx auß <strong>Redwitz</strong> 108 .<br />

Wir finden ihn – teils all<strong>ein</strong>, teils zusammen mit s<strong>ein</strong>en Brüdern, namentlich<br />

Henoch – in mancherlei Geschäfte verwickelt, ob es Fabrikgründungen,<br />

Geldgeschäfte, Textil- oder Immobilienhandel waren. Als 1826 die Alte Abtei,<br />

<strong>ein</strong> rund 90 Meter langer Bau, im Kloster Langheim versteigert wurde,<br />

erhielt er den Zuschlag; allerdings verhinderte <strong>ein</strong> Nachgebot des Lichtenfelser<br />

Frühindustriellen Joseph Felix Silbermann, dass das dre<strong>ist</strong>öckige Gebäude<br />

tatsächlich in Gütermanns Besitz überging 109 .<br />

Am Ende s<strong>ein</strong>es Lebens – er starb 1841 – verfügte Samuel Marx trotz wirtschaftlicher<br />

Rückschläge zu Beginn der 1830er Jahre über <strong>ein</strong> beträchtliches<br />

Vermögen, so dass er es sich le<strong>ist</strong>en konnte, jedem s<strong>ein</strong>er acht Kinder 4000<br />

Gulden zu vererben.


Der <strong>ein</strong>zige Sohn Samuels aus s<strong>ein</strong>er ersten Ehe mit Edel Koppel aus Burgkunstadt,<br />

deren Familie sich später Thurnauer nannte 110 , war Koppel Gütermann<br />

(1792–1868). Dieser heiratete die um zehn Jahre jüngere Mina Brüll<br />

(1802–1883) aus Lichtenfels, die Tochter <strong>ein</strong>es wohlhabenden Viehhändlers.<br />

Als zweites Kind aus dieser Ehe wurde am 12. Oktober 1828 im Haus<br />

Nr. 74 (Am Markt 5) Marx Gütermann geboren, der sich später Maximilian<br />

nannte. Unter diesem Namen heiratete er am 22. Mai 1854, offenbar in<br />

Lichtenfels, s<strong>ein</strong>e Cousine Sophia Kohn aus Seubelsdorf 111 .<br />

Damals hatte sich Maximilian Gütermann schon in Wien niedergelassen, wo<br />

er uns 1859 erstmals als Geschäftsmann entgegentritt: Er gründete zusammen<br />

mit s<strong>ein</strong>em jüngeren Bruder Sigmund <strong>ein</strong> Unternehmen unbekannter Art; es<br />

bestand noch 1872, aber nicht mehr 1874 112 . Maximilian Gütermann kam, zum<br />

evangelischen Glauben konvertiert, über Rafz in der Schweiz nach Gutach in<br />

Baden, wo er 1867 <strong>ein</strong>e Nähseidenfabrik errichtete. Hier<br />

arbeiteten 1878 fünfzig Personen 113 . Noch zu Lebzeiten<br />

des Gründers – er starb 1896 – erlangte dieses Unternehmen,<br />

zu dem ab 1884 <strong>ein</strong>e Seidenkämmerei in Perosa bei<br />

Turin gehörte, Weltruf; um 1900 beschäftigte die Firma<br />

Gütermann & Co. rund 1000 Menschen 114 .<br />

Neben den Gütermann gab es in <strong>Redwitz</strong> noch weitere,<br />

kl<strong>ein</strong>e Textilhändler. Sie und die Textilproduzenten waren<br />

die maßgeblichen wirtschaftlichen Kräfte, der Motor<br />

der frühen Industrialisierung in <strong>Redwitz</strong>. Um die<br />

Jahrhundertmitte, genauer: 1848 oder kurz danach zogen<br />

die me<strong>ist</strong>en dieser Familien fort in die Städte, vor<br />

allem nach Bamberg. Die Gütermann gaben dort ihren<br />

Tuchhandel auf und widmeten sich dem Hopfenhandel.<br />

Hopfenhandlungen Gütermann gab es in Bamberg, in<br />

Nürnberg und im nordböhmischen Saaz – kurz: an zentralen<br />

Hopfenumschlagplätzen. Auch die Textilproduzenten<br />

Michael Schnebel und Georg Lust 115 gingen<br />

nach Bamberg; sie gehörten hier zu den reichsten Juden<br />

116 . Lust wandte sich wie die Gütermann dem Hopfenhandel<br />

zu.<br />

Günter Dippold<br />

Hauptstraße 1<br />

1810 gehörte dieses Anwesen<br />

Jonas Hirsch (Cotta)<br />

und Salomon Hirch (Philo),<br />

heute <strong>ist</strong> hier der türkischislamische<br />

Kulturver<strong>ein</strong><br />

zuhause, der das Haus von<br />

den Erben der Schr<strong>ein</strong>erei<br />

Alberth ersteigert hatte<br />

161<br />

161


162 162<br />

162<br />

162 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Zum religiösen Leben<br />

in der jüdischen<br />

Gem<strong>ein</strong>de<br />

In der zweiten Jahrhunderthälfte bestimmten in <strong>Redwitz</strong> die jüdischen Korbhändler<br />

das Bild. Zu den bereits erwähnten Zinn und Pausan kam in den 40er<br />

Jahren der Kaufmann Salomon Gosser. 1867 zog ferner der aus Schwebheim<br />

stammende Emanuel Gutmann hier zu. Korbhändler war auch Theodor<br />

Greif, der mit der Familie Gosser verschwägert war und in den 70er Jahren<br />

hier lebte; später verzog er nach Nürnberg 117 .<br />

Die jüdischen Korbhändler waren sehr erfolgreich. So erhielt 1862 Samuel<br />

Zinn, der Sohn des Firmengründers Baruch, auf der Weltausstellung in London<br />

<strong>ein</strong>e Medaille, Salomon A. Gosser 1873 in Wien. Doch zwischen 1870<br />

und 1880 zogen die Familien Zinn und Pauson mit ihren Handelshäusern<br />

nach Lichtenfels. Gosser betrieb s<strong>ein</strong> Geschäft bis zu s<strong>ein</strong>em Tod 1879 in<br />

<strong>Redwitz</strong>; s<strong>ein</strong> Sohn Arnold jedoch war bereits seit 1867 als Korbhändler in<br />

Lichtenfels ansässig. In <strong>Redwitz</strong> blieb von den jüdischen Firmen nur Gutmann<br />

zurück.<br />

Die israelitische Gem<strong>ein</strong>de unterhielt <strong>ein</strong>en Kultusdiener, den Vorsänger.<br />

Neben s<strong>ein</strong>en Aufgaben im Gottesdienst fungierte der Vorsänger als Schächter.<br />

Das führte zu Konflikten mit den chr<strong>ist</strong>lichen Metzgern. Anfang des 18. Jahrhunderts<br />

beschwerten sich diese, daß sie das Dorff unmöglichen mit Fleisch<br />

stetig versehen und <strong>ein</strong>halten könnten, weiln die Juden mit ihren Schäch[t]en<br />

denenselben allzu grosen Inhalt machten, und [...] causirten, daß ihnen öffters<br />

das Fleisch stinkend würde. Was die Juden nicht äßen, würden sie – wohl<br />

billiger als die Metzger – an ihre chr<strong>ist</strong>lichen Nachbarn verkaufen. Der Gutsherr<br />

verbot daraufhin 1721 den Juden, alles Schächten und Fleischverkaufen.<br />

Damit aber die Juden zu koscherem Fleisch kamen, mussten die Metzger für<br />

sie die notwendige Menge schächten lassen 118 . Erst im frühen 19. Jahrhundert<br />

erlangten die <strong>Redwitz</strong>er Viehhändler das Recht, zu schächten und Fleisch<br />

zu verkaufen, woraufhin sie sogar begannen, damit zu hausieren 119 .<br />

Eine weitere kultische Aufgabe hatte der Beschneider; dieses Amt übte um<br />

1830 der Hausierer Aron Gosser (1759–1835) aus 120 . Ihm folgte der Korbmacher<br />

und -händler Baruch Zinn (1792–1858) 121 .<br />

Die Toten der Gem<strong>ein</strong>de begrub man auf dem Judenfriedhof bei Burgkunstadt,<br />

am Ebnether Berg 122 . Er war ursprünglich 46 Meter breit und 30 Meter<br />

lang; ab 1679 musste er immer wieder erweitert werden, denn nach jüdischen<br />

Ritus darf <strong>ein</strong>e Grabstelle k<strong>ein</strong> zweites Mal belegt werden. Verwaltet


wurde der Leichenacker durch <strong>ein</strong>en Beerdigungsver<strong>ein</strong>, dessen Vorsteher<br />

stellvertretend damit belehnt wurde, und zwar von der Stadt Burgkunstadt.<br />

Der erste bekannte Vorsteher war <strong>ein</strong> <strong>Redwitz</strong>er Jude namens Hirsch, der<br />

1687 starb; s<strong>ein</strong> Nachfolger war ebenfalls <strong>ein</strong> <strong>Redwitz</strong>er, Jakob Gerson 123 .<br />

Erwähnenswert <strong>ist</strong> die Bildung der <strong>Redwitz</strong>er Juden. Während viele Chr<strong>ist</strong>en,<br />

vor allem ärmere Leute, noch bis ins 19. Jahrhundert nicht oder kaum<br />

lesen und schreiben konnten, gab es unter den Juden fast k<strong>ein</strong>e Analphabeten.<br />

Das mag exemplarisch <strong>ein</strong> Protokoll aus dem Jahre 1827 verdeutlichen,<br />

das die Orginalunterschriften von 34 – also fast allen – jüdischen Familienvorständen<br />

trägt 124 : 26 unterzeichneten in Deutsch, wobei es in der Schriftqualität<br />

erhebliche Unterschiede gibt, sieben in hebräischer Kursive, und<br />

nur <strong>ein</strong>e Witwe war des Schreibens nicht mächtig; sie bestätigte den Beschluss<br />

nicht – wie chr<strong>ist</strong>liche Analphabeten – mit drei Kreuzen, sondern mit drei<br />

Kreisen. Wo und wie die <strong>Redwitz</strong>er Kinder jüdischen Glaubens aber ihre<br />

schulische Ausbildung erhielten, bleibt unklar. Reichere Juden beschäftigten<br />

wohl Hauslehrer; so <strong>ist</strong> 1812 Michel Küpßer aus Küps als Privatlehrer in<br />

<strong>Redwitz</strong> erwähnt 125 .<br />

Das Judenedikt von 1813 befasste sich ausführlich mit der Einsetzung von<br />

Rabbinern. Die Rabbiner waren bis dahin k<strong>ein</strong>e Ge<strong>ist</strong>lichen im chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Sinn, sondern Gelehrte der Thora und des Talmud. Ihre Aufgabe bestand<br />

<strong>ein</strong>erseits im Lehren; daneben übten sie in vielen Territorien – auch im Hochstift<br />

Bamberg – die Zivilgerichtsbarkeit<br />

unter den Juden aus 126 . Die bischöflichen<br />

und die ritterschaftlichen Schutzjuden<br />

im Bereich des Hochstifts Bamberg<br />

bildeten seit dem 17. Jahrhundert<br />

<strong>ein</strong>e Korporation, die Landjudenschaft,<br />

die den Rabbiner wählte und besoldete<br />

127 ; ihm waren vier Unterrabbiner zur<br />

Seite gestellt, von denen <strong>ein</strong>er s<strong>ein</strong>en Sitz<br />

in Burgkunstadt hatte 128 .<br />

Durch das Judenedikt von 1813 nahm<br />

die bayerische Regierung den Rabbinern<br />

jegliche Richterfunktion, da sie<br />

Sondergerichte außerhalb der staatli-<br />

Günter Dippold<br />

Poststation ca. 1905<br />

Besitzer 1810 waren Samuel<br />

Hirsch und Salomon<br />

Baruch. Heute gehört das<br />

Haus der Familie Krötenheerdt<br />

163<br />

163


164 164<br />

164<br />

164 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

chen Zuständigkeit nicht duldete. Das Edikt bestimmte ferner, dass, wenn in<br />

<strong>ein</strong>em bestimmten Verwaltungsbezirk mindestens 50 jüdische Familien lebten,<br />

diese <strong>ein</strong>e Synagoge und <strong>ein</strong>en Rabbiner haben dürften. Außer dem Rabbiner<br />

oder s<strong>ein</strong>en vom Staat bestätigten Vertreter war k<strong>ein</strong>em anderen erlaubt,<br />

in der Synagoge kirchliche Verrichtungen aus[zu]üben.<br />

Für <strong>Redwitz</strong> stand das Edikt zehn Jahre lang nur auf dem Papier. Erst 1823<br />

ergriffen die staatlichen Stellen hier Maßnahmen, als man erfuhr, dass in<br />

<strong>Redwitz</strong> dem Edikt zuwider gehandelt würde, genauer: daß die Juden ihren<br />

Gottesdienst jetzt noch wie ehedem in der Synagoge ausüben, und daß dabei<br />

die Stelle des Religionslehrers <strong>ein</strong> unwissender, nicht <strong>ein</strong>mal der deutschen<br />

Sprache kundiger [...] Schaechter versiehet. Ein Rabbiner war nicht angestellt.<br />

Nun griff die Regierung des Obermainkreises durch: Die <strong>Redwitz</strong>er wurden<br />

angewiesen, binnen 2 Monaten <strong>ein</strong>en vorschriftsmäßig befähigten Rabbiner<br />

in Vorschlag zu bringen, sonst würde die Synagoge geschlossen. Anfang<br />

1824 machte die Regierung ihre Drohung wahr, nicht nur in <strong>Redwitz</strong>, sondern<br />

auch in Lichtenfels, in M<strong>ist</strong>elfeld und in Horb, also mit allen Synagogen<br />

im Landgericht Lichtenfels. Trotz vielfacher Bitten wurden sie nicht<br />

geöffnet, nicht <strong>ein</strong>mal zum Laubhüttenfest. Erst müsse <strong>ein</strong> Rabbiner <strong>ein</strong>gesetzt<br />

werden. Das stellte die Gem<strong>ein</strong>den vor Probleme, denn es war nicht<br />

damit getan, <strong>ein</strong>e geeignete Persönlichkeit vorzuschlagen; er musste von den<br />

Angehörigen des Rabbinats auch besoldet werden. So erklärten 1825 die<br />

Mitglieder der israelitischen Kultusgem<strong>ein</strong>den in den Landgerichten Lichtenfels<br />

und Kronach – ausgenommen vorerst die Kronacher Juden –, sich dem<br />

Rabbinat <strong>Redwitz</strong> anschließen zu wollen. Die Besoldung war gesichert. 129<br />

Es ging nun um die Besetzung der Rabbinerstelle. Verhandlungen hierüber<br />

nahmen die Gebrüder Gütermann, genauer: Samuel und Henoch sowie dessen<br />

Sohn Seligmann in die Hand. Sie versuchten, den Berliner Prediger Dr.<br />

Isaak Levi Auerbach, <strong>ein</strong>en prominenten Vertreter der jüdischen Reformbewegung,<br />

als Rabbiner zu gewinnen 130 .<br />

Die Reformer versuchten, vom Ge<strong>ist</strong> der Aufklärung beseelt, althergebrachte,<br />

aber rational nicht zu rechtfertigende Formen aus dem religiösen Leben<br />

zu beseitigen. Dadurch sollte auch die kulturelle Trennung von der Außenwelt<br />

beseitigt werden. In der Praxis sollte etwa die deutsche Sprache als<br />

Gebetssprache im Gottesdienst <strong>ein</strong>geführt werden.


Dr. Auerbach wurde im Juli 1826 von den Vertretern der Kultusgem<strong>ein</strong>den<br />

des Rabbinats tatsächlich gewählt, wenn auch mit knapper Mehrheit. Er lehnte<br />

die Wahl jedoch ab, da ihm die Gem<strong>ein</strong>den als zu un<strong>ein</strong>ig erschienen und das<br />

Gehalt nicht s<strong>ein</strong>en Vorstellungen entsprach.<br />

Nun schrieb man die Stelle in Zeitungen aus, auch in überregionalen Blättern;<br />

so sind die Annoncen im Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten<br />

erhalten. Fünf Bewerbungen gingen <strong>ein</strong>. Am qualifiziertesten<br />

erschien den Gem<strong>ein</strong>devertretern Moses Gutmann. Ihn wählten sie am 20.<br />

November 1826 <strong>ein</strong>stimmig zu ihrem Rabbiner, woraufhin ihn die Regierung<br />

des Obermainkreises am 20. April 1827 ernannte 131 .<br />

Gutmann war 1805 in Baiersdorf als Sohn <strong>ein</strong>es jüdischen Gelehrten geboren.<br />

Er hatte nicht nur, wie üblich, die Talmudschule in Fürth 132 besucht,<br />

sondern auch ab April 1824 fünf Semester an der Universität Erlangen Philosophie<br />

studiert 133 . Damit dürfte er der erste Rabbiner mit akademischer<br />

Bildung in Bayern gewesen s<strong>ein</strong> 134 . Obendr<strong>ein</strong> beherrschte er <strong>ein</strong>e Reihe<br />

toter und moderner Sprachen; er fertigte neben s<strong>ein</strong>er Amtstätigkeit <strong>ein</strong>e kommentierte<br />

Übersetzung des Flavius Josephus und der Apokryphen des Alten<br />

Testaments 135 . Als Sprachenlehrer verdiente er sich <strong>ein</strong> Zubrot zu s<strong>ein</strong>em<br />

magerem Rabbinergehalt. Nach s<strong>ein</strong>er Wahl absolvierte er die Anstellungsprüfung<br />

als Rabbiner bei der Regierung mit der Note sehr gut, fast vorzüglich.<br />

S<strong>ein</strong>er Obhut waren neben <strong>Redwitz</strong> die Kultusgem<strong>ein</strong>den in Lichtenfels,<br />

M<strong>ist</strong>elfeld, Horb, Oberlangenstadt, Küps, Friesen, Mitwitz und Kronach<br />

unterstellt.<br />

Gutmann war Reformer, ebenso wie s<strong>ein</strong>e Rabbiner-Kollegen Dr. Joseph<br />

Aub in Bayreuth, Samson Wolf Rosenfeld in Bamberg, Bär Levi Kunreuther<br />

in Burgebrach oder Leopold St<strong>ein</strong> in Burgkunstadt 136 . Er gehörte dem Ver<strong>ein</strong><br />

jüdischer Gelehrter an 137 und verfasste <strong>ein</strong>e Reihe von Aufsätzen und Gutachten<br />

zu Fragen der Reform 138 . Doch beschränkte er sich nicht auf die Theorie.<br />

So führte Gutmann schon bald nach s<strong>ein</strong>er Einsetzung deutsche Predigten<br />

<strong>ein</strong>. Der <strong>Redwitz</strong>er Patrimonialrichter lobte im Juni 1828, Gutmann habe<br />

an allen Sabbath- und Festtagen theils hier, theils in auswärtigen Synagogen<br />

[...] Predigten in deutscher Sprache gehalten, die in moralischer und<br />

religioeser Hinsicht vielen Beifall gefunden haben 139 . Er habe <strong>ein</strong>ige der<br />

unnöthigen, dem Zweck der Gottesverehrung gar nicht entsprechende<br />

Gebraeuche abgeschafft. Jeder erwachsene männliche Jude durfte der Ge-<br />

Günter Dippold<br />

165<br />

165


166 166<br />

166<br />

166 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

m<strong>ein</strong>de aus der Thora vortragen. Früher war das Recht, am jeweiligen Tag<br />

vorzulesen, in der Synagoge versteigert worden, vermutlich zugunsten karitativer<br />

Zwecke. Gutmann beseitigte diese Praxis; künftig trug jeder in festem<br />

Turnus vor 140 . Obendr<strong>ein</strong> begann Gutmann deutsche Gebete und Gesänge<br />

<strong>ein</strong>zuführen. Spätestens dadurch aber wurde die Frage nach dem Vorsänger<br />

wieder laut 141 . Denn der alte Vorsänger Israel Auriel, seit 1794 im Dienst<br />

der <strong>Redwitz</strong>er, war – so das Landgericht – des Lesens und Schreibens in<br />

deutscher Sprache unkundig. Er konnte deshalb am schriftlichen Teil der in<br />

Bayreuth abgehaltenen Vorsänger-Prüfung nicht teilnehmen und galt folglich<br />

als unqualifiziert. 1828 wurde er s<strong>ein</strong>es Amtes enthoben 142 .<br />

Deutsche Predigten und Gebete, die Absetzung des langjährigen Vorsängers<br />

– das spaltete die Gem<strong>ein</strong>de. Einige, die der Reform zugeneigt waren, freuten<br />

sich, hatten sie doch selbst die Amtsenthebung des alten Vorsängers gewünscht.<br />

Diese Gruppe wurde offenbar angeführt von Samuel und Henoch<br />

Gütermann, dessen Sohn Seligmann, Isaak Hallo, der mit <strong>ein</strong>er Gütermann<br />

verheiratet war, s<strong>ein</strong>em Bruder Wolf Hallo und dem Korbmacherme<strong>ist</strong>er<br />

Baruch Zinn.<br />

Ihnen stand <strong>ein</strong>e Reihe vor allem älterer Juden gegenüber, die am Überkommenen<br />

festhalten wollten. Zu ihnen gehörten der älteste Gütermann-<br />

Bruder, Wolf, der Beschneider Aron Gosser, der reiche Viehhändler Bonum<br />

Lust, der Strumpfwirker Marx Wald und s<strong>ein</strong>e Brüder. Baruch Zinn und<br />

Henoch Gütermann beklagten sich bei der Regierung bitter über diese Gem<strong>ein</strong>demitglieder:<br />

Sie versuchten, andere theils durch abergläubische und<br />

schwärmerische Alberheit, theils aber auch durch Bosheit vom Guten abzulenken<br />

[...], damit so Alles nach ihrem alten Schlendrian und ihrer Hyperorthodoxie<br />

beybehalten und fortgeführt werde. [...] Ja, so scheuen und verbannen<br />

sie jeden Sinn für’s Bessere, daß sie nicht <strong>ein</strong>mal zum Gottesdienste<br />

kommen, wenn vom Rabbiner Vorträge in deutscher Sprache gehalten werden,<br />

die doch von jedem andern Zuhöhrer, sey er, wer er wolle, mit vielem<br />

Beyfalle aufgenommen werden. Daher gingen sie auch an unserm Neujahrsfest,<br />

Bustage und Laubhüttenfeste in die Synagoge zu Horb und Oberlangenstadt,<br />

wo sie nur ungestört schreyen und kräuschen konnten, während in der<br />

hiesigen Synagoge Ordnung herrschte und sechs Predigten in deutscher Sprache<br />

gehalten wurden. 143<br />

Immer wieder brachen die Konflikte auf: 1829 beschwerte sich Gutmann,


dass <strong>ein</strong>ige Juden ohne s<strong>ein</strong>e Erlaubnis <strong>ein</strong>en Privatgottesdienst in der Synagoge<br />

gefeiert hatten. Darüber vernommen, bestätigte der abgesetzte Vorsänger<br />

– aus s<strong>ein</strong>er Sicht – die Spaltung der Gem<strong>ein</strong>de: Die <strong>Redwitz</strong>er Juden<br />

sind tolle Köpfe, es besuchen mehrere von ihnen, seitdem ich nicht mehr<br />

vorbeten darf, den Gottesdienst gar nicht. 144<br />

1828 sollte in <strong>Redwitz</strong> <strong>ein</strong> eigener Judenfriedhof angelegt werden, sehr zum<br />

Gefallen der reformfreundlichen Juden. Ein passendes Grundstück war bald<br />

gekauft. Doch die Orthodoxen hingen am Burgkunstadter Friedhof, wo ihre<br />

Eltern und Vorfahren begraben lagen, und brachten die Gem<strong>ein</strong>de gegen den<br />

Plan auf: Dieß mache <strong>ein</strong>en so starken Kostenaufwand, daß sie am Ende ihre<br />

Häuser noch verkaufen müssen 145 . Die Sache verschleppte sich, und schließlich<br />

blieb alles beim Alten. 1834 erklärten die Gem<strong>ein</strong>demitglieder, k<strong>ein</strong>en<br />

neuen Leichenhof dahier zu errichten 146 .<br />

Sogar über den Leichentransport nach Burgkunstadt gab es Streit. Gutmann<br />

bestimmte, <strong>ein</strong> Leichenwagen oder <strong>ein</strong>e -bahre sei anzuschaffen und der<br />

Leichenzug habe sich ordentlich in Zweierreihe zu formieren. Die Orthodoxen<br />

dagegen erklärten nach den Worten des Rabiners, daß sie weder von der<br />

Anschaffung <strong>ein</strong>es Leichenwagens noch von <strong>ein</strong>er anständigen Todtenbahre<br />

etwas wißen wollten, sondern daß sie ihre Todten wie bisher [...] auf Stangen<br />

fortschleppen und dabey weder <strong>ein</strong>en anständigen Anzug noch <strong>ein</strong>en geordneten<br />

Gang beobachten würden; kurz: es solle Alles beym Alten bleiben 147 .<br />

In den 30er Jahren sch<strong>ein</strong>en sich die Parteien <strong>ein</strong>igermaßen auf<strong>ein</strong>ander zu<br />

bewegt zu haben. Der 1828 abgesetzte Vorsänger Isaak Auriel durfte s<strong>ein</strong><br />

Amt wieder ausüben, wohl ohne dass die Behörden etwas davon wussten.<br />

Nach s<strong>ein</strong>em Tod im Jahr 1840 versah der D<strong>ist</strong>riktsrabbiner das Vorbeteramt;<br />

zur Aushülfe dient <strong>ein</strong> dazu geeignetes unbescholtenes Gem<strong>ein</strong>deglied 148 .<br />

Erst nach Einrichtung <strong>ein</strong>er jüdischen Schule im Herbst 1856 fungierte der<br />

jeweilige Lehrer 149 als Vorsänger: von 1856 bis 1857 Eisenmann Frank aus<br />

Schondra, von 1858 bis 1861 Phineas Seligsberger aus Fuchsstadt, von 1863<br />

bis 1869 Simon Dachauer, zuvor Lehrer in Heiligenstadt, von 1869 bis 1875<br />

Benjamin Freudenthal, zuvor in Neuhaus, von 1875 bis 1879 schließlich<br />

Jonas Nordhäuser (1848–1907) aus Wüstensachsen a. d. Rhön.<br />

Nachdem den Lehrern lange untersagt gewesen war, die Funktion <strong>ein</strong>es<br />

Schächters auszuüben, galt dies in den 1870er Jahren wieder als zulässig. So<br />

schlachtete der <strong>Redwitz</strong>er Lehrer Freudenthal in Oberlangenstadt, wo er seit<br />

Günter Dippold<br />

167<br />

167


168 168<br />

168<br />

168 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

1871 Religionsunterricht erteilte, Vieh auf die vorgeschriebene Weise. Die<br />

Gem<strong>ein</strong>de <strong>Redwitz</strong> dagegen besoldete <strong>ein</strong>en gesonderten Schächter 150 . Dabei<br />

handelte es sich wohl um den 1878 als Metzger genannten Viehhändler<br />

Hermann Pictor (1840–1903) 151 .<br />

Erwähnenswert <strong>ist</strong> aus diesen Jahren auch die Einrichtung <strong>ein</strong>es rituellen<br />

Tauchbads, <strong>ein</strong>er Mikwe, 1830. Die Regierung, um die Volksgesundheit besorgt,<br />

ordnete an, alle Quellenbäder sollten erwärmbar s<strong>ein</strong>. Daraufhin baute<br />

man <strong>ein</strong> neues Bad – wo sich das alte befand, <strong>ist</strong> unbekannt – im Erdgeschoss<br />

des Vorsängerhauses 152 .<br />

Über das Verhältnis von Chr<strong>ist</strong>en und Juden in dieser Zeit liegen die unterschiedlichsten<br />

Äußerungen vor. 1832 beschwerten sich die chr<strong>ist</strong>lichen<br />

<strong>Redwitz</strong>er über die Störung der Sonntagsruhe durch die Juden. Der Patrimonialrichter<br />

beklagte, dass bei <strong>ein</strong>em großen Teil der ärmeren chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Bevölkerung noch grundlose Vorurteile herrschten, wie etwa das, es<br />

sei Juden von ihrem Religionsgesetz her erlaubt, Nicht-Juden zu betrügen<br />

153 .<br />

Es gab aber auch Zeichen wachsender Toleranz. So <strong>ist</strong> anzunehmen, dass<br />

der evangelische Pfarrer Wolfahrt von Obr<strong>ist</strong>feld <strong>ein</strong>ige Male die Synagoge<br />

besuchte 154 . Als sich 1845 der Verweser der Pfarrei Küps darüber erregte,<br />

dass Gutmann in Oberlangenstadt <strong>ein</strong>e Leichenrede auf offener Straße<br />

vor dem Haus <strong>ein</strong>es Verstorbenen gehalten habe, rechtfertigte sich der Rabbiner<br />

gegenüber dem Landgericht Lichtenfels wie folgt: Ich bin bereits 18<br />

Jahre Rabbiner in <strong>Redwitz</strong>, und habe seitdem hier alle Trauerreden vor<br />

den Häusern der Verstorbenen gehalten [...]. Daß auch Chr<strong>ist</strong>en diese Leichenreden<br />

mit anhören, das wird doch wohl nichts Anstößiges haben. Es<br />

kommen nicht selten auch Chr<strong>ist</strong>en in die Synagoge, um dort die Predigt<br />

mit anzuhören, so wie auch Juden zuweilen in die Kirche gehen, um die<br />

Predigt des Pfarrers zu hören. Dieß möchte sogar die gute Folge haben,<br />

daß dadurch beide Religionspartheien Gelegenheit finden, sich zu überzeugen,<br />

daß in der Synagoge wie in der Kirche <strong>ein</strong>e r<strong>ein</strong>e Moral und ächte<br />

Humanität gelehrt werden, wodurch die gegenseitige Abneigung, welche<br />

hie und da noch besteht, verdrängt und die finstere Intoleranz verscheut<br />

werden können und müßen. 155<br />

Am 1. Februar 1862 verstarb D<strong>ist</strong>riksrabbiner Moses Gutmann im 57. Lebens-<br />

und 35. Dienstjahr. Auf dem Burgkunstadter Friedhof wurde er bei-


gesetzt. Der Nachruf in der ALLGEMEINEN ZEITUNG DES JUDENTUMS endet mit<br />

den Worten: So <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> seltener Mann von uns geschieden, dessen Name die<br />

Geschichte des Judenthums mit Verehrung nennen wird. 156 Im LICHTENFELSER<br />

WOCHENBLATT wurde Gutmanns Tod mit k<strong>ein</strong>er Silbe erwähnt.<br />

Die Stelle des <strong>Redwitz</strong>er D<strong>ist</strong>riktsrabbiners wurde nicht mehr besetzt, da die<br />

Gem<strong>ein</strong>den stark geschrumpft waren. Deshalb ver<strong>ein</strong>igte man das Rabbinat<br />

<strong>Redwitz</strong> mit dem Rabbinat Burgkunstadt.<br />

Immer kl<strong>ein</strong>er wurden die Landgem<strong>ein</strong>den. Der Verfall des Gem<strong>ein</strong>delebens<br />

war die Folge: Die jüdische Schule von <strong>Redwitz</strong>, erst 1856 eröffnet, wurde<br />

um die Jahreswende 1861/62 aufgelöst; die Eltern wollten ihre Kinder fortan<br />

in die katholische Schule schicken. Doch weil Anfang 1862 Rabbiner Gutmann<br />

starb und s<strong>ein</strong>e Stelle nicht wieder besetzt wurde, <strong>ein</strong> Rabbiner als<br />

Religionslehrer also nicht mehr zur Verfügung stand, wurde die Schule wiedergegründet.<br />

Endgültig beantragte die Kultusgem<strong>ein</strong>de ihre Schließung 1879,<br />

als Lehrer Nordhäuser nach Altenkunstadt versetzt worden war. Im Vorjahr<br />

hatten fünf Kinder die Schule besucht: zwei aus <strong>Redwitz</strong>, drei aus Hochstadt,<br />

unter letzteren <strong>ein</strong> Chr<strong>ist</strong> als Volontair. 1879 wurde das <strong>ein</strong>zige schulpflichtige<br />

Kind jüdischen Glaubens in <strong>Redwitz</strong> der katholischen Schule zugewiesen.<br />

157<br />

Ende 1884 verkaufte die israelitische Kultusgem<strong>ein</strong>de ihr Schulhaus und<br />

das ehemalige Vorsängerhaus. Nur die Synagoge blieb vorerst in Gem<strong>ein</strong>debesitz<br />

158 .<br />

Im Januar 1863 wurden die Juden zu Horb am Main der Kultusgem<strong>ein</strong>de<br />

<strong>Redwitz</strong> <strong>ein</strong>verleibt 159 ; die vor 1870 von Horb nach Hochstadt verzogene<br />

Familie des Kaufmanns Abraham Reuter (1827–1904) 160 zählte ebenfalls<br />

zur <strong>Redwitz</strong>er Gem<strong>ein</strong>de. Umgekehrt aber wiesen die <strong>Redwitz</strong>er Juden<br />

1910 die behördlicherseits erhobene Forderung zurück, sie sollten sich<br />

<strong>ein</strong>er anderen Kultusgem<strong>ein</strong>de anschließen. In <strong>Redwitz</strong>, Horb und Hochstadt<br />

lebten damals insgesamt 18 Juden. Darunter waren nur sechs Männer<br />

über 13 Jahre; zum Gottesdienst aber waren zehn vonnöten. Es <strong>ist</strong><br />

demnach k<strong>ein</strong> Wunder, dass die Regierung von <strong>Oberfranken</strong> feststellte:<br />

In der Synagoge in <strong>Redwitz</strong> wird seit mehreren Jahren k<strong>ein</strong> Gottesdienst<br />

mehr abgehalten. Ein Ritualbad <strong>ist</strong> nicht vorhanden, ebensowenig <strong>ein</strong>e<br />

Religionsschule. Die 5 vorhandenen Schulkinder erhalten den Religions-<br />

Günter Dippold<br />

Das Ende der jüdischen<br />

Gem<strong>ein</strong>de<br />

<strong>Redwitz</strong><br />

169<br />

169


170 170<br />

170<br />

170 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Am Markt 5<br />

1810 Anwesen von Jacob<br />

Moses, heute Gutmann;<br />

bis vor wenigen Jahren<br />

Verwaltung der Firma<br />

Gutmann<br />

unterricht in Oberlangenstadt durch den Religionslehrer Wetzler von<br />

Kronach. Aber die Kultusgem<strong>ein</strong>de blieb auf ihren ausdrücklichen Wunsch<br />

hin selbständig; sie wollte sich weder Oberlangenstadt noch Burgkunstadt<br />

anschließen 161 .<br />

Erst nach dem Ersten Weltkrieg kam das Aus für die israelitische Kultusgem<strong>ein</strong>de<br />

<strong>Redwitz</strong>. Die Regierung von <strong>Oberfranken</strong> genehmigte am 13. August<br />

1921 die Ver<strong>ein</strong>igung mit der Kultusgem<strong>ein</strong>de Burgkunstadt. Damals<br />

gehörten zur Gem<strong>ein</strong>de <strong>Redwitz</strong>: die drei ledigen Geschw<strong>ist</strong>er Reuter in<br />

Hochstadt, Clotilde Gebhard in Marktzeuln 162 , Fanny Kuh in <strong>Redwitz</strong>, die<br />

später zu ihrer Tochter nach Nürnberg verzog 163 , sowie die Korbhändlerswitwe<br />

Karolina Gutmann und deren Kinder, ebenfalls in <strong>Redwitz</strong>.<br />

Das letzte Kind aus <strong>ein</strong>er jüdischen Familie, das in <strong>Redwitz</strong> zur Welt kam,<br />

war wohl die am 8. Juli 1924 geborene Edith Gutmann, deren Eltern – der<br />

Korbhändler Siegfried Gutmann (geb. 1893) und s<strong>ein</strong>e aus Hessen stammende<br />

Ehefrau Ida Goldschmidt (geb. 1895) – mit ihr 1932 nach Lichtenfels<br />

zogen und 1937 in die USA auswanderten 164 .<br />

1925 waren in <strong>Redwitz</strong> noch zehn Juden ansässig 165 . Die seit langem unbenutzte<br />

Synagoge verkaufte<br />

man 1927 an den Büttner<br />

Friedmann, der sich<br />

darin s<strong>ein</strong>e Werkstatt <strong>ein</strong>richten<br />

wollte 166 .<br />

1933 lebte in <strong>Redwitz</strong> nur<br />

noch <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziger Jude: der<br />

mit <strong>ein</strong>er Chr<strong>ist</strong>in verheiratete<br />

Korbhändler Ludwig<br />

Gutmann (geb. 1891).<br />

Er starb am 2. August<br />

1936 im Krankenhaus zu<br />

Hochstadt. Mit s<strong>ein</strong>em<br />

Tod endet die jahrhundertelange<br />

Geschichte der<br />

<strong>Redwitz</strong>er Juden.<br />

Auch wenn in <strong>Redwitz</strong><br />

wohnhafte Juden dem


Morden der Nationalsozial<strong>ist</strong>en nicht zum Opfer fielen, so waren doch unter<br />

den Nürnberger Opfern fünf gebürtige <strong>Redwitz</strong>er 167 :<br />

Martin Fleischmann (geb. 1895) 168 , 1937 nach Dachau deportiert,<br />

gestorben 1941 in Cholm bei Lublin<br />

Max Hopfmann (geb. 1868) 169 , 1942 nach Theresienstadt deportiert,<br />

1945 für tot erklärt<br />

Ida Kuh verh. Blüml<strong>ein</strong> (geb. 1891) 170 , 1942 nach Theresienstadt<br />

deportiert, verschollen in Auschwitz<br />

Frieda Kuh verh. Fichtelberger (geb. 1895), 1941 nach Riga-<br />

Jungfernhof deportiert, 1945 für tot erklärt<br />

Emma Midas verh. Gerngroß (geb. 1862) 171 , 1942 nach Theresienstadt<br />

deportiert, verschollen in Minsk<br />

*<br />

Die sichtbaren Spuren der Juden in <strong>Redwitz</strong> sind bescheiden. Einen Friedhof<br />

gab es nie; Synagoge, Vorsängerhaus, Ritualbad sind verschwunden. Nicht<br />

<strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong> Straßenname zeugt von den bedeutenden jüdischen Familien: Es<br />

gibt k<strong>ein</strong>e Moses-Gutmann-Straße, k<strong>ein</strong>e Gütermann-Straße, k<strong>ein</strong>e Zinn- und<br />

k<strong>ein</strong>e Pauson-Straße. Die <strong>Redwitz</strong>er Juden hätten <strong>ein</strong> solches Andenken verdient.<br />

Günter Dippold<br />

171<br />

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172 172<br />

172<br />

172 KAPITEL 5<br />

Eine jüdische Gem<strong>ein</strong>de im ritterschaftlichen Dorf<br />

Gasthof von Johann Eckert<br />

„Weißes Lamm“ ca. 1925<br />

Hauptstraße 36<br />

Anwesen Krötenheerdt mit<br />

Poststation und Kolonialwarengeschäft<br />

1912

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