Kapitel 9 für PDF - Bezirk Oberfranken

KAPITEL 9
Günter Dippold
Industrialisierung im Dorf
Zur wirtschaftlichen Entwicklung von Redwitz im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Am 27. Dezember 1873, einem Samstag, machte sich der Redwitzer
Adam Bauer daran, seinen Pumpbrunnen zu entleeren. Schon seit
Monaten war das Wasser nämlich ungenießbar. Je mehr er pumpte,
desto mehr nahm der Anteil einer öligen Flüssigkeit im Wasser zu. Schließlich
kam reines Öl aus der Leitung; man förderte davon 60 Liter und machte
Brennversuche – erfolgreich.
Noch am selben Tag trug Bauers Schwiegersohn die Sache dem Lichtenfelser
Bezirksamtmann Carl Zeller vor und überbrachte eine Probe der merkwürdigen
Flüssigkeit. Zwei Tage später berichtete das Lichtenfelser Tagblatt,
gerade vollauf beschäftigt mit der bevorstehenden Reichstagswahl, vom
Redwitzer Petroleumfund, und einen weiteren Tag später meldete das Bamberger
Tagblatt lakonisch: Am 27. Dez. wurde in dem Marktflecken Redwitz
bei Kronach eine Petroleumquelle aufgefunden.
Inzwischen hatte man in drei weiteren Redwitzer Brunnen „Petroleumquellen“
entdeckt, und der Lichtenfelser Zeitungsleser konnte gespannt sein: Diese
[...] höchst interessante Naturseltenheit wird dieser Tage von einer amtlichen
Kommission untersucht und bestätigt werden.
Tatsächlich hatte der Bezirksarzt Dr. Georg Badum die Flüssigkeit untersucht:
Es bestehe kein Zweifel, dass es sich um Steinöl, Erdöl, Petroleum,
und zwar der besseren Sorte angehörig, handele. Doch die amtliche Kommission,
bestehend aus Bezirksamtmann und Bezirksarzt, die den Ort des
Geschehens besuchte, erfüllte die Erwartungen des Lichtenfelser Tagblatts
nicht. Denn in Redwitz erklärte der Bürgermeister, der vis-á-vis von Bauer
wohnte, er habe in seinem Lager 13 große Ölfässer stehen, die zum Teil
ausgelaufen seien. Das Petroleum in den Brunnen von Bauer und seinen
Nachbarn sei mit diesem Petroleum identisch. Der Bezirksamtmann war skeptisch,
glaubte, der Bürgermeister habe gewerbliche Interessen, und bat den
Bezirksarzt um ein Gutachten. Dieser erklärte am 2. Januar 1874, die Geschichte
des Bürgermeisters sei wohl wahr. Schließlich sei das geförderte
Petroleum ein bereites raffinirtes, das als solches in Ölquellen nicht aufgefunden
wird – vier Tage vorher war er auf diesen Gedanken nicht gekommen.
Tags darauf klärte auch das Tagblatt seine Leser auf. Geblieben ist den
Redwitzern vom Ölfund 1873 nur der Spitzname 1 .
Auch ohne Ölquellen gilt Redwitz als Industriedorf. Die Entwicklung des
Ortes nach 1949 ist einzigartig, so konnte man 1973 im Obermain-Tagblatt
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Industrialisierung im Dorf
Wandlungen der
Infrastruktur:
Bahn, Elektrizitätswerk,
Telefon
lesen. Die einstige landwirtschaftliche Struktur ist einer gesunden Industrialisierung
gewichen 2 . Im Jahr 1949 hatte sich in Redwitz das Porzellanwerk
der Siemens AG niedergelassen, nachdem schon 1942 das Pressstoffwerk
hierher verlegt worden war.
Doch bei aller Bedeutung der Siemens AG für Redwitz ist doch die Aussage
des Artikels falsch nicht erst durch Siemens zum Industriedorf geworden.
Allerdings gaben vor dem Zweiten Weltkrieg nicht Fabriken dem Ort sein
Gesicht; vielmehr war die als Hausindustrie betriebene Korbmacherei der
wichtigste Erwerbszweig. Wenn sich also die Form der Industrie in Redwitz
erst seit dem Zweiten Weltkrieg gewandelt hat, so ist es schon sehr viel länger
ein Industriedorf.
Als 1866 die Gewerbs- und Handelskammer für Oberfranken eine vollwertige
Eisenbahnstation für Redwitz beantragte, konnte sie darauf verweisen, dass
dieser an der Hochstadt-Kronach-Gundelsdorfer Eisenbahn gelegene Ort
800 Einwohner hat, ansehnliche Korbflechterei-Etablissements besitzt, welche
600 Familien in der Umgegend beschäftigen, jährlich 100 Wagenladungen
Weiden nebst 10000 Centnern anderer Gegenstände ein- und 12000 Kisten
Fabrikate ausführt, außerdem Hopfenhandel, Mulzerei, Brauerei,
Melberei, Seifen- und Lichterfabrikation betreibt 3 . 1914 heißt es in einer Beschreibung
der oberfränkischen Schulen über Redwitz: Bevölkerung meist
Korbmacher und Landwirte; Korbindustrie durch 3 große Firmen vertreten.
4 Und im selben Jahr stellte der Obristfelder Pfarrer das bäuerlich bestimmte
Obristfeld dem industriell geprägten Redwitz gegenüber.
Die Industrialisierung des ritterschaftlichen Dorfes Redwitz im Zeitraum von
etwa 1800 bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs soll im folgenden nachgezeichnet
werden, wobei sich besonderes Augenmerk auf die Korbindustrie
richtet.
Das 19. Jahrhundert wurde – lässt man die 1900 veröffentlichten Bilanzen
Revue passieren – geprägt von technischen Neuerungen, von Erfindungen
und Entdeckungen. Diese bestimmten um 1900 auch die Arbeitswelt, nicht
nur in der Industrie. Unmittelbar ursächlich für die Industrialisierung waren
sie in unserem Raum freilich nicht; die Korbindustrie etwa ist nicht erst nach
dem Bahnanschluss aufgeblüht.
Recht früh lag Redwitz in der Nähe einer Bahnlinie: 1846 wurde der Ab-

schnitt Lichtenfels – Neuenmarkt der Ludwig-Süd-Nord-Bahn von Lindau
nach Hof eröffnet, und die Station Hochstadt am Main (später „Hochstadt-
Marktzeuln“) war nur wenige Kilometer von Redwitz entfernt.
Die Nebenbahn von Hochstadt über Kronach nach Gundelsdorf wurde 1861
eröffnet und 1863 bis Stockheim, bedeutsam durch seine Steinkohlengruben,
verlängert. Der erste Haltepunkt an der Strecke war, von Hochstadt aus gesehen,
Redwitz.
Ab 1874 verfolgte die bayerische Regierung den Plan, die Bahn bis zur Grenze
fortzubauen, und schloss Verträge mit den angrenzenden Fürstentümern Reuß
und Schwarzburg-Rudolstadt über die Fortführung jenseits der bayerischen
Grenze. 1885 wurde die Strecke Stockheim – Probstzella eröffnet 5 . Bei
Eichicht, südlich von Saalfeld, mündete die neue Bahn in die bestehende
Trasse nach Jena, Halle und weiter nach Berlin. Damit lag Redwitz unmittelbar
an der neuen Magistrale München – Berlin, wenn hier auch nur untergeordnete
Züge hielten. Seit Korbmacher verbilligte Arbeiterfahrkarten lösen
konnten, wurde die Bahn von den nach Lichtenfels oder Kronach liefernden
Korbmachern eifrig benutzt, und mancher Redwitzer, der in der 1901 gegründeten
Porzellanfabrik Hochstadt beschäftigt war – 1912 kam ein Großteil
der 84 Mitarbeiter aus Redwitz 6 –, nutzte vermutlich ebenfalls die Bahn.
Als neue Energieform stand seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Elektrizität zur
Verfügung 7 . Schon 1899 hatte der Mühlenbesitzer Georg Wagner (1831–1900)
den Plan gefasst, in und an meiner Mahlmühle zu Redwitz, Hs. N o 6, eine
elektrische Centrale zu errichten und den Ort Redwitz mit elektrischem Licht
und elektrischer Kraft zu versehen. Zur Erzeugung der Elektricität soll die
meiner Mühle zustehende Wasserkraft des Rodachflußes verwendet werden.
Er starb jedoch bereits am 6. März 1900 8 , so dass er seine Absicht nicht mehr
in die Tat umsetzen konnte.
Einige Jahre später griffen die neuen Eigentümer der Mühle, Hugo Hoschke
und Otto Zinke aus Leipzig, das Projekt auf. Ihre Firma, die Vereinigte
Electricitätswerke u. Maschinenbau Gesellschaft Redwitz a.d.R., kündigte
Anfang 1903 die Gründung einer electrischen Centrale an, die auch
Marktgraitz, Unterlangenstadt, Trainau, Obristfeld und Horb am Main mit
Strom versorgen solle. Bereits im Mai 1903 waren in Redwitz drei Elektromotoren
in Betrieb: 1. Schreinermeister Adam Reh zum Schreinereibetrieb
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(Kreissäge), 2. Gutsbesitzer Paul Gampert zum Oekonomiebetriebe (Futterschneiden),
3. Brauereibesitzer Paul Hanna zum Brauerei- und Oekonomiebetriebe.
Das Bayerische Gewerbemuseum in Nürnberg, die heutige Landesgewerbeanstalt,
gutachtete im Juni 1903, dass sowohl die Stromerzeugungsanlage
als auch das Leitungsnetz in einem Zustande sind, die im Interesse der öffentlichen
Sicherheit als äusserst bedenklich bezeichnet werden müssen. [...]
Zur Zeit ist eine Dynamomaschine in Betrieb, welche durch Wasserräder
angetrieben zum Laden einer aus 66 Elementen bestehenden Akkumulatorenbatterie
dient, von welcher aus elektrische Energie an die Bewohner von
Redwitz abgegeben wird. Im September 1903 stellte ein Ingenieur des Gewerbemuseums
fest, die 66 Hausanschlüsse seien sämmtlich unvorschriftsmäßig
hergestellt, das dafür verwandte Material sei teilweise äußerst minderwertig.
Wenig später, am 30. Oktober 1903, ging das Elektrizitätswerk in den Besitz
der Firma Electricitätswerke Redwitz a. d. R. F. H. Pülz & Co. 9 über, von der
sie zwei Monate später der Bürgermeister von Redwitz, Bäckermeister Heinrich
Maier, und der Buchhalter Georg Sturm übernahmen. Während Anfang
1904 die Hausanschlüsse keine wesentlichen Bedenken mehr hervorriefen,
erregten das Elektrizitätswerk und die dort beschäftigten Menschen heftige
Kritik beim Gewerbemuseum: Das dortige Personal erscheint zu einem gefahrlosen
Betrieb des Elektrizitätswerkes und zu der unbedingt nötigen Kontrolle
der Hausinstallationen völlig ungeeignet. Die Errichtung der Zentrale
in ihrem jetzigen Zustande muss seitens der Erbauer mit Rücksicht auf die
Gefährdung des Bedienungspersonals als gewissenlos bezeichnet werden.
Die öffentlichen Stellen waren nicht bereit, den jungen Ingenieur Erich Grabs
aus Eberswalde als Betriebsleiter zu akzeptieren. Als die Eigentümer ihn
nicht durch einen erfahreneren Fachmann ersetzten, ordnete das Bezirksamt
Lichtenfels am 11. März 1904 die sofortige Betriebsstilllegung an. Eindringlich
widersprachen Maier und Sturm. Ein Stillstand des Werks werde dazu
führen, dass die Akkumulatorenbatterien, mit welchen nur unser gesammter
Betrieb aufrecht erhalten werden kann und die eine geradezu enorme Kapitalsanlage
verschlungen haben, durch den Nichtgebrauch in aller kürzester
Zeit vollkommen betriebsunfähig sein würden.
Doch da technische Mängel erkannt wurden – in jedem Augenblick könnten

sich Brände bezw. Unglücksfälle ereignen, meinte das Gewerbemuseum –,
dauerte es sechs Wochen, bis die Mängel behoben waren und der Betrieb
wieder aufgenommen werden durfte. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten Maier
und Sturm bereits Konkurs angemeldet.
Nachdem der Coburger Maschinenfabrikbesitzer Andreas Flocken im März
1905 das Elektrizitätswerk für 30 500 Mark ersteigert hatte 10 , arbeitete es,
geleitet von dem erprobten Maschinisten und Monteur Franz Oswald
Hässelbarth aus Debschwitz bei Gera, ohne Probleme. Ab 1911 wird als Eigentümer
Adolf Mittmann genannt, geboren 1866 in Breslau, verheiratet mit
Anna Elisabeth Flocken und bis 1910 in Schöneberg bei Berlin wohnhaft 11 .
Zu den wichtigsten Innovationen des 19. Jahrhunderts gehört die Erfindung
neuer Kommunikationshilfen. Durch den Telegrafen und das Telefon konnten
Nachrichten unabhängig vom Verkehrsnetz gefördert werden. Die Einrichtung
einer Telegrafenstation in Redwitz befürwortete die Handels- und Gewerbekammer
für Oberfranken schon 1871 mit Blick auf die Korbhandelshäuser
in Redwitz 12 . 1873 wurde das Bahntelegrafenamt Redwitz eröffnet 13 .
Lichtenfels war seit 1897 ans Telefonnetz angeschlossen, und laufend wurde
auf Drängen der dortigen Korbhandelshäuser und Speditionen der Kreis
der zu erreichenden Orte erweitert. 1901 forderte die Handels- und Gewerbekammer
für Oberfranken, in den Korbmacherdörfern, darunter Redwitz,
öffentliche Fernsprechstellen einzurichten, um den Verkehr zwischen den
Industriellen und den Arbeitern zu erleichtern 14 . Doch noch 1905 bestand
eine solche Verbindung nicht 15 ; sie scheint erst kurz darauf geschaffen
worden zu sein.
Die christlichen Einwohner von Redwitz im 18. Jahrhundert waren überwiegend
Bauern, Flößer, Taglöhner und Handwerker. Das Spektrum der Handwerksberufe
in Redwitz war recht breit. Neben Bäckern und Metzgern, für
die 1721 eine eigene Ordnung erlassen wurde 16 , gab es Maurer, Steinmetze,
Zimmerleute, Schreiner, Büttner, Weber, Schneider 17 . Eine Einwohnerliste
von 1815 führt überdies einen Zinngießer, einen Fischer, einen Schlosser,
einen Musikus und 13 Flößer 18 ; ferner erscheint mit dem Bildhauer Friedrich
Fugmann ein Künstler, von dem Werke in der Andreaskapelle zu Wiesen
bei Staffelstein erhalten geblieben sind 19 .
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Zum wirtschaftlichen
Profil von Redwitz
im frühen 19. Jahrhundert
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Industrialisierung im Dorf
Tuch, Seife, Zündhölzer
– Anfänge der
Industrie
Damit zeigte Redwitz ein fast kleinstädtisches Gepräge, wie es typisch war
für ritterschaftliche Orte. Der Ortsadel war bestrebt, die wirtschaftliche Potenz
seiner Herrschaft zu stärken. In den hochstiftischen Dörfern konnte kein
blühendes Wirtschaftsleben entstehen; dafür sorgten die Städte und die städtischen
Zünfte mit Beschwerden beim Landesherrn, dem Fürstbischof. Gegen
die Konkurrenz, die unter dem Schutz ihres adligen Herren arbeitete,
halfen solche Beschwerden aber herzlich wenig. Diese Betriebsamkeit
ritterschaftlicher Dörfer bildete eine der Wurzeln der Industrialisierung in
den ländlichen Regionen Frankens.
Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung gelang es der Gemeinde Redwitz aber
nicht, das Marktrecht zu erlangen 20 . 1834/35 scheiterte ein derartiger Versuch
am Widerstand der benachbarten Städte und Märkte, voran Marktzeuln.
Allerdings hielt Redwitz zwei Jahrmärkte ab, und ab 1862 fand hier ein Saatfruchtmarkt
statt 21 .
Redwitz war ein recht großes Dorf. Gegen Ende des Alten Reiches zählte
man 105 Häuser. 1818 waren es 126 Wohngebäude, in denen 678 Personen
lebten 22 . Bis in die 30er Jahre wuchs die Bevölkerung weiter, dann sank sie
einige Jahrzehnte lang. Verantwortlich dafür waren besonders die Auswanderungen
nach Nordamerika. Allein zwischen 1839 und 1843 wanderten 30
Protestanten aus 23 . Ab etwa 1865 stieg die Bevölkerungszahl wieder sehr
rasch bis auf 1054 im Jahr 1885. Danach sank sie 24 ; erst nach dem Zweiten
Weltkrieg hatte Redwitz wieder mehr als 1000 Einwohner.
Ein Kennzeichen ritterschaftlicher Dörfer ist das Nebeneinander der Konfessionen.
Seit dem 16. Jahrhundert war der überwiegende Teil der Redwitzer
evangelisch. Daneben gab es, namentlich seitdem die gutsherrliche Familie
den katholischen Glauben angenommen hatte, auch Katholiken in Redwitz.
Um 1830 war etwa die Hälfte der Redwitzer evangelisch, ein Viertel war
katholisch. Das restliche Viertel machten die Juden aus 25 .
Ihnen gab das bayerische Judenedikt von 1813 die Möglichkeit, Handwerksberufe
zu ergreifen. In Redwitz blieben die älteren Juden bei ihren angestammten
Handelsgeschäften. Die jüngeren griffen teils bereitwillig nach
den neuen Berufsmöglichkeiten, teils wurden sie von Staats wegen zur Erlernung
von Handwerksberufen oder von Handelsgeschäften mit förmlicher
Buchführung gezwungen. Viele der jungen Redwitzer Juden, die ein Hand-

werk ergriffen, erweiterten ihren Betrieb bald zu Fabriken, zumindest aber
machten sie erste Schritte in diese Richtung. Juden waren in Redwitz der
Motor der Industrialisierung.
Die Grenze zwischen Handwerk und Industrie ist freilich fließend. Kennzeichen
für den industriellen Charakter sind die Trennung von Leitung und Produktion,
eine gewisse Größe des Betriebes und hoher Kapitaleinsatz, doch
Zahlen, bei denen Handwerk endet und Industrie beginnt, sind nicht bestimmbar.
Deutlich wird die Problematik anhand der Redwitzer Textilproduzenten. In
den 1820er Jahren hatten mehrere junge Juden die Weberei erlernt und nach
ihrer Rückkehr nach Redwitz ihr Handwerk erfolgreich ausgeübt. So konnte
1831 der in den Ruhestand versetzte Lichtenfelser Landgerichtsassessor
Thomas Rüblein schreiben: einige neue, jüdische Zeugmacher, Wollen- und
Seidenweber zu Redwitz scheinen ihr neues Gewerbe emporzubringen. Sie
sind die ersten im L.-G. 26 , welche spanische Wolle verarbeiten und liefern
schon beliebte Shawls und Damentücher, Westen und andere Zeuge von seidenen
Stoffen, Sommerzeugen und dergleichen 27 . Fünf Juden arbeiteten zu
dieser Zeit als Textilproduzenten in Redwitz: der Strumpfwirker Marx Wald
(1801–1863), der einem Adressbuch von 1858 zufolge eine Strumpfwarenfabrik
betrieb 28 und auf seinem Grabstein als Fabrikant tituliert wird, ferner
die Zeugmacher Michael Schnebel und Moritz Hallo (1804–1855) und die
Seiden- und Baumwollenweber Wolf und Hirsch Kastor.
Als König Ludwig I. von Bayern im Juni 1830 Bamberg besuchte, fand dort
im Zuge der Empfangsfeierlichkeiten eine Gewerbeausstellung statt. Von
Redwitz nahmen zwei Gewerbetreibende teil: die Weber Michael Schnebel
und Wolf Kastor, die dem König und der Öffentlichkeit Schals und Westen
zeigten 29 .
Über Größe und Form dieser beiden Betriebe wissen wir nichts. Waren ihre
Inhaber noch fortschrittliche Handwerker oder schon angehende Industrielle?
Bei einem anderen Textilbetrieb in Redwitz wird man die Frage wohl eher
zugunsten der Industrie beantworten. Als das Patrimonialgericht Schnebel
und Kastor für die Bamberger Ausstellung anmeldete, erwähnte es in diesem
Schreiben, es gebe auch noch eine kleine Tuchfabrik hier, die aber zur Zeit
blos ordinaire Tücher liefert 30 . Näheres zu dieser Fabrik erfahren wir von
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Landgerichtsassessor Rüblein: Ein Tuchmacher beschäftige schon 4 Gesellen
und 2 Lehrjungen und werde sein Gewerb immer mehr [...] vervollkommen
und zu einer Tuchfabrik [...] erweitern 31 .
Wer der Besitzer war, wissen wir nicht. Wir wissen aus dem Zeitraum von
1834 bis 1842, dass Moritz Hallo und Marx Wald je bis zu drei auswärtige
Gesellen beschäftigten 32 . Dazu kamen sicherlich Arbeitskräfte aus Redwitz.
So arbeiteten bei Marx Wald, dem das Haus Nr. 15 (Gässla 2) gehörte 33 ,
1829 seine beiden kleinen Brüder Meier Löw und Heinrich Wald 34 .
Die Textilhersteller konnten ihre Betriebe nicht oder nur in Ansätzen in Fabriken
umwandeln, und schon um die Jahrhundertmitte sank das Textilgewerbe
in Redwitz zur Bedeutungslosigkeit ab. Einer zog weg; ein zweiter
starb; wieder andere wandten sich anderen, offenbar lohnenderen Berufen
zu: dem Hopfen- und dem Tuchhandel. Der Handel mit auswärts gefertigten
Stoffen war in Redwitz bedeutend und wurde von mehreren jüdischen Familien
betrieben, voran die Gütermann. So besuchte Samuel Marx Gütermann
(1771 - 1841) im Oktober 1833 die Bamberger Messe mit mehr als 33 Zentner
Ware 35 .
Neben den Textilproduzenten fand Landgerichtsassessor Rüblein in Redwitz
nur einen weiteren Gewerbetreibenden bemerkenswert, nämlich einen
Seifensieder und Lichterzieher, der mit mehreren Gesellen und Lehrlingen
arbeitete. Es handelte sich dabei um den 1798 geborenen Seligmann Gütermann,
der 1841 als Seifen- u. Lichterfabrikant bezeichnet wird 36 . Er hatte
um 1835/40 bis zu drei auswärtige Gesellen 37 ; dazu kamen sicher noch einheimische
Arbeitskräfte. Gütermann beschäftigte zeitweilig sogar einen Buchhalter
38 , was auf einen ausgedehnten Geschäftsbetrieb schließen lässt. 1847
verkaufte er sein Haus Nr. 37 (Hauptstraße 3) 39 . Bald darauf zog er wohl
nach Fürth, wo er 1851 lebte 40 .
Wenig später kam aber ein christlicher Seifensieder nach Redwitz: Johann
Georg Dressel (1830–1887) 41 , der im Jahr 1854 das Haus Nr. 49 (Hauptstraße
29) erwarb. Über Dressels Seifen- und Lichterfabrik heißt es in einem
Adressbuch von 1868, sie produziere Kernseife II. Sorte, englische Talgund
englische Seife mit bedeutendem Absaz in Süddeutschland 42 . Daneben
betrieb Dressel einen Kaufladen – ihm gehörte das berühmte Petroleum des
Jahres 1873. Die Seifensiederei führte sein Sohn Konrad Dressel (1861–1904)
weiter. Nachdem dieser kinderlos gestorben war 43 , ließ sein Bruder, der

Eisenhändler und Seifensieder Michael Dressel (1859–1906), 1905 in seinem
Eisenlager zwei Kesselöfen zur Seifenproduktion einrichten; mit ihnen
konnten täglich 5 bis 10 Zentner Seife hergestellt werden 44 . Doch übernahm
sich Dressl damit offenbar finanziell; als er 1906 starb, war der Konkurs
über sein Vermögen verhängt 45 .
1845 erhielten der Arzt Dr. Friedrich Adam Schuster und Ludwig Gantz die
Berechtigung, in der hiesigen Schneidmühle Kreide zu fabrizieren. Die Besitzer
kündigten jedoch an, dies nicht fabrikmäßig betreiben zu wollen 46 .
Im Kataster von 1855 ist als Nebengebäude des Hauses Nr. 9 (Gässla 16) ein
Fabrikgebäude genannt; dabei handelte es sich offenbar um eine Zindholzfabrik.
Das Anwesen gehörte dem Kaufmann Johann Michael Pfeiffer,
der es 1843 von Johann Nepomuk Pfeiffer übernommen hatte 47 und der eine
Specereihandlung betrieb 48 .
Dem Redwitzer Wirt und Schmied Georg Gärtner wurde 1864, gemeinsam
mit vier weiteren Redwitzern, gegen den Willen der Gemeinde der Bau eines
Brauhauses gestattet 49 . 1868 bezeichnete ein Adressbuch Gärtner und den
Redwitzer Brauer Nicolaus Herzog auch als Malzfabrikanten, die Malz für
Brauereien in guter Qualität lieferten; Gärtner setzte ihn in Süddeutschland
ab, Herzog in den Königreichen Bayern und Sachsen 50 . Wie weit die Malzfabrikation
über den Eigenbedarf hinausging, ist freilich unklar.
Doch ob Malz, Zündhölzer, Kreide, Seife oder Textilien – in keinem Fall
können wir mit Sicherheit von Industrie reden; die meisten Betriebe blieben
wohl ihrem Wesen nach handwerklich strukturiert.
Außer Zweifel steht dagegen der industrielle Charakter der Zuckerfabrik
Redwitz. Oberleutnant Philipp Georg Adam Freiherr von Redwitz zu Wildenroth
wollte seiner unbefriedigenden wirtschaftlichen Lage im März 1836
durch eine wirtschaftliche Unternehmung abhelfen. Er beantragte bei der
Regierung des Obermainkreises, im Schloss Wildenroth eine Rübenzuckerfabrik
einrichten zu dürfen. Doch am 22. Juni wurde sein Antrag abgewiesen,
nicht zuletzt auf Betreiben des Landgerichts Lichtenfels, das den hohen
Holzbedarf einer solchen Fabrik fürchtete.
Um dieselbe Zeit hatte Karl Sigmund Freiherr von und zu Redwitz (1809–1879)
mit entsprechenden Plänen mehr Erfolg. Seinen Antrag auf Errichtung einer
Runkelrübenzuckerfabrik in Redwitz befürwortete der Lichtenfelser Land-
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Die Zuckerfabrik
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Feierabendziegel vom Dach
der Zuckerfabrik (aus der
Ziegelei Schmölz, 1837)
richter bei der Regierung. Dieses Unternehmen, so schrieb der Beamte am
24. Juni 1836, verdient allen Vorschub und ist geeignet, die sehr armen Einwohner
zu Redwitz, von denen außer vier Landwirten und einigen Juden der
größere Teil Tagarbeiter sind, zu beschäftigen.
Den Unternehmern fehlt es weder an BetriebsCapital, noch weniger an
Localitäten. Die großen maßiven Nebenbauten des Redwitzer Schlosses sind
[...] trefflich zu einer Raffinerie und Zuckersiederei geeigenschaftet, die Gutsherrschaft
und ihre Compagnisten besitzen große, zum Rübenbau vollkommen
geeigenschaftete Gründe und bei der Tätigkeit und dem Speculationsgeiste
der Unternehmer läßt sich nur der beste Erfolg erwarten.
Ferner hätten sich die Unternehmer durch einen großen Aufwand das Geheimnis
der schnellsten und billigsten Zuckerbereitung aus der Runkelrübe
angeeignet. Es handelte sich dabei um die lizenzierte Methode der
Quedlinburger Zuckerfabrikanten Zier und Hanewald.
Karl Sigmund von Redwitz wollte sein Unternehmen nicht allein
betreiben; dazu fehlten ihm sicherlich die Mittel. Wie aus dem
Schreiben hervorgeht, hatte er Kompagnons. Die Fabrikgesellschaft
setzte sich wie folgt zusammen: Karl Sigmund von
Redwitz selbst hatte drei Anteile, sein Vetter Georg Carl von
Redwitz zu Unterlangenstadt zwei, Patrimonialrichter Joseph
Dohrer einen, Forstmeister von Wasmer in Guttenberg zwei, ein
gewisser Liebhardt in Bayreuth zwei, Samuel Marx Gütermann
und sein Sohn Koppel je zwei.
Da die Voraussetzungen für eine Fabrikgründung gegeben waren,
erteilte die Regierung des Obermainkreises am 3. August
1836 die Konzession zur Errichtung und Betrieb einer Runkelrübenzuckerfabrik.
1837 ging die Gesellschaft an die Errichtung
eines Fabrikgebäudes. Vom Plan, die Fabrik im Schloss
einzurichten, war man abgekommen. Der Fabrikbau kostete die
Gesellschafter mit allem Drum und Dran die stattliche Summe
von 40 000 Gulden.
Das Verfahren zur Gewinnung von Zucker aus Runkelrüben war
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt; 1802 eröffnete die
erste Fabrik in Deutschland. Der Ablauf bei der Zuckerherstellung
ist in groben Zügen folgender: Die Rüben werden ge-

einigt und verkleinert, die Schnitzel gekocht und ausgepresst. Der so gewonnene
Rohsaft wird gefiltert und eingedickt. Viele Runkelrübenzuckerfabriken
in den 1830er Jahren waren kleine, billig einzurichtende Betriebe, die
lediglich diesen sirupartigen Dicksaft produzierten.
In Redwitz dagegen wurde der Dicksaft weiterverarbeitet; durch Eindampfen
und Zentrifugieren erhielt man den Rohzucker. Zur Redwitzer Fabrik
gehörte sogar eine Raffinerie, wo dieser Rohzucker gereinigt und mit Hilfe
von tierischer Knochenasche gebleicht wurde. Die Einrichtung einer
solchen Zuckerraffinerie erforderte kostspielige Apparaturen. An der
Redwitzer Fabrik scheint sogar ein Chemiker, Friedrich Kanzmann, tätig
gewesen zu sein 52 .
Die Redwitzer Fabrik konnte 25 000 bis 30 000 Zentner Rüben in einer
Saison verarbeiten; der Ausstoß hätte dann 1200 Zentner Rohzucker betragen.
Die Raffinerie, die einzige in Oberfranken, hatte eine noch größere Kapazität:
Sie sollte in der Lage sein, den Rohzucker aller oberfränkischen
Fabriken zu verarbeiten.
Die Fabrik hatte jedoch große Schwierigkeiten, die benötigten Rohstoffe zu
beschaffen. Die Landwirte standen dem Anbau von Runkelrüben zum Großteil
skeptisch gegenüber; hinzu kam die weitgehende Unerfahrenheit. Eine
gewisse Menge baute die Gesellschaft selbst an. Dies genügte aber nicht. So
schloss die Fabrikgesellschaft Ende 1836 Lieferverträge mit Landwirten aus
der Umgebung und beschaffte ihnen sogar die nötigen Samen zu einem günstigen
Preis. Doch die Hoffnung der Fabrikanten wurde enttäuscht. Statt der
erwarteten 15 000 bis 20 000 Zentner wurden ihnen nur 6000 geliefert; das
ergab 300 Zentner Rohzucker. Ferner hatte man Probleme, die benötigte Menge
von Tierknochen zu beschaffen; man brauchte pro Pfund Zucker immerhin
ein Pfund Asche. Die Kohle zum Betrieb der Raffinerie erhielt man aus
nahegelegenen Gruben; das Holz zur Knochenbrennerei allerdings konnte
die Gesellschaft nur mit großer Mühe kaufen. So verlief das erste Geschäftsjahr
1837 für die Fabrikanten enttäuschend.
Deshalb richtete die Gesellschaft im Februar 1838 eine Reihe von Bitten an
die Bayreuther Regierung, die auf die Beschaffung der nötigen Rüben, Knochen
und Holz hinzielten. Darüber hinaus beantragte man ein unverzinsliches
Darlehen von 15 000 Gulden auf 20 Jahre.
Würde die Regierung nicht auf diese Vorschläge und Anträge eingehen, so
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gebe es für die Rettung der Redwitzer Zuckerfabrik nur einen Weg: Es müsse
die Erlaubnis gegeben werden, Rohrrohzucker aus Übersee zu einem ermäßigten
Zollsatz zu beziehen und zu raffinieren. Nur so könne die Raffinerie
rentabel betrieben werden.
Die Regierung unterstützte diesen Antrag gegenüber der Generalzolladministration
in München wärmstens: Wirklich zeigte es sich schon nach
einem Jahr, daß bei dem bedeutenden Capitale, welches angewendet worden
war, die Bearbeitung der Runkelrübe allein den zu erwartenden Nutzen nicht
abwarfen. Es hat sich nämlich wie in vielen Orten Bayerns bewiesen, daß
der Bau der weißen schlesischen Runkelrübe [...] dem Boden nicht so angemessen
sei, wie anderwärts, daß die Bauern der Umgebung sie wie allerwärts
Neuerungen schwer annahmen [...], sodaß die Unternehmer der Fabrik
kaum den xten Teil der erwarteten Rübenmenge erhielten. Auch für die
nächste Zukunft ist ein Gleiches zu erwarten, sodaß sie geraume Zeit mit
Schaden arbeiten würden. Das einzige Hülfsmittel, um ihre Fabrik nicht ganz
stehen lassen zu müssen, ist nun, mit derselben eine Raffinierung überseeischen
Rohzuckers zu verbinden [...], bis der Bau der Runkelrübe [...] mehr
Eingang in der Gegend gewonnen oder es ihnen gelungen sein wird, Filialenfabriken
bei anderen Gutsbesitzern der Gegend zu errichten.
Der Antrag bei der Generalzolladministration in München war notwendig,
denn für Redwitz war eine Sondergenehmigung nötig. Der Deutsche Zollverein,
dem Bayern seit 1833 angehörte, hatte nämlich beschlossen, neu erstandenen
Zuckerraffinerien den Bezug von Rohzucker zu ermäßigtem Zollsatz
– nur dann war dessen Verarbeitung lukrativ – lediglich zu gestatten,
wenn sich diese am Sitz eines Hauptzollamtes oder eines eigens ermächtigten
Zollamtes befanden, oder wenn ihnen der ermäßigte Bezug von Rohzukker
bereits vor 1838 zugesagt worden war. Beides war für Redwitz nicht der
Fall; die nächsten Hauptzollämter waren in Bamberg und Kronach.
Deshalb wandte sich die Fabrikgesellschaft im März 1839, als ihre Sache
noch in der Schwebe war, an die Regierung von Oberfranken und beschwor
sie, auf eine Genehmigung von Rohzucker mit Zollbegünstigung hinzuwirken.
Sonst müßten wir jetzt schon unser Geschäft aufgeben, und es bliebe
uns nichts übrig, als den Verlust eines Capitals von 50 000 fl zu beklagen. Die
Regierung solle das hiesige folgenreiche Unternehmen nicht in der Geburt
ersticken lassen; die Zuckerfabrik Redwitz werde sonst als ein abschrecken-

des und warnendes Beispiel industrieller Unternehmungen dastehen. Im übrigen
sei zwei unterfränkischen Zuckerfabrikanten der Bezug von Rohzucker
aus Übersee zu ermäßigtem Zollsatz gestattet worden, obwohl dort die Verhältnisse
genauso lagen wie in Redwitz. Und was dem einen recht sei, sei
dem anderen doch wohl billig.
Erst ein halbes Jahr später entschied die Generalzolladministration über das
Gesuch der Redwitzer Zuckerfabrik. Es wurde abgelehnt. Dies traf die Zukkerfabrik
hart, deren Lage sich zusehends verschlechterte. Immer weniger
Rüben wurden geliefert. Deshalb suchte Karl Sigmund von Redwitz nochmals
in einem verzweifelten Schreiben bei der Regierung Hilfe. Er verwies
darauf, 1. daß unsere Fabrik vom nächsten Jahre an stillstehen wird, wenn
wir keine Unterstützung oder kein unverzinsliches Darlehen erhalten, mit
welchem wir im Stande sind, die Oekonomie zu vergrößern, damit wir nach
und nach den Bedarf an Rüben [...] selbst erzeugen; 2. daß in jenem Falle
das ganze Anlage-Kapital verloren ist und mehrere Teilnehmer gänzlich ruiniert
sind; 3. daß mit dem Eingehen der hiesigen Fabrik, auf welche Augen
gerichtet sind und von deren Gelingen die Emporbringung der Runkelrüben-Zuckerfabrikation
in Franken abhängt, sobald keine andere mehr entstehen
wird. Folglich sei es billig, uns mit der Zollbegünstigung oder einer
Geldanhülfe zu unterstützen. Wieder setzte sich die Regierung für die Fabrik
ein, wieder kam im März 1840 eine Ablehnung aus München.
Erst nach dreieinhalb Jahren erreichte die Redwitzer Fabrik dank neuer Vereinbarungen
des Deutschen Zollvereins ihr Ziel: Im August 1841 wurde ihr
der Bezug indischen Rohzuckers zum ermäßigten Zollsatz genehmigt. Verbunden
waren damit jedoch einige bürokratische Auflagen. Nach einigem
Hin und Her wurde an Silvester 1841 Karl Sigmund von Redwitz zur Verarbeitung
indischen Rohzuckers förmlich konzessioniert.
Ab 1842 raffinierte die Redwitzer Fabrik also Rüben- und Rohzucker. Aus
den folgenden Jahren ist wenig bekannt. 1843 erbaute die Gesellschaft ein
neues Haus für den Faktor 53 , d. h. den Betriebsleiter. Doch schon im November
1844 kam das Aus. Die Runkelrübenzuckerfabrikgesellschaft verkaufte
ihr Fabrikgebäude mit Nebenhäuschen und einige Grundstücke an den Kaufmann
Marx Gütermann 54 . Die Gesellschaft bestand übrigens noch 1851 55 .
Der neue Besitzer der Fabrik, Marx Gütermann, betrieb die Zuckerherstellung
wohl nicht weiter. Jedenfalls wurde die Redwitzer Fabrik 1845 in einer Auf-
Günter Dippold
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229

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230
230 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
Korbindustrie 56
Belegschaft der Firma
Gutmann 1932
zählung der oberfränkischen Zuckerfabriken nicht genannt. Gütermann nutzte
das Fabrikgebäude, das nach Forschungen von Thilo Hanft auf der Freifläche
um die heutige katholische Kirche stand, wohl entweder anderweitig
oder riss es ab.
Die Fabrik, gescheitert vor allem an der Unbeweglichkeit der Behörden wie
der Landwirtschaft, arbeitete nur acht Jahre. Die wirtschaftliche Entwicklung
von Redwitz hat sie daher nicht merklich beeinflusst.
Den wirtschaftlichen und sozialen Wandel im Redwitz des 19. Jahrhunderts
hat die Korbindustrie herbeigeführt. 1835 notierte der Obristfelder Pfarrer,
Redwitz habe einen leichten Ackerbau und in dem Flößgeschäfte ziemlichen
Erwerb 57 ; die Korbmacherei schien nicht erwähnenswert. 80 Jahre später
berichtete sein Amtsnachfolger, 3 /4 der Gemeindeglieder [seien] industriell
in der Korbmacherei tätig 58 . Redwitz gehörte zu den wichtigsten Korbmacherdörfern
im Dreieck Lichtenfels-Coburg-Kronach.
Korbmacherei lässt sich am Obermain seit Anfang des 17. Jahrhunderts nachweisen.
Einen Aufschwung nahm das Handwerk aber erst um die Mitte des
18. Jahrhunderts. 1770
wurde eine Zunft für die
Weißkorbmacher im Amt
Burgkunstadt gegründet,
der allerdings die Flechter
in den ritterschaftlichen
Dörfern wie Redwitz fernblieben.
1807/08 erneuerte
der Landrichter von
Banz die Zunftorganisation,
die nun auch die
Hintersassen der einst
reichsritterlichen Familien
einschloss.
Zur Ausübung des Korbmacherberufes
war bis
1825 eine obrigkeitliche
Konzession notwendig,

die vor allem handwerkliche Fähigkeiten voraussetzte. Man wies diese im
allgemeinen dadurch nach, dass man das Handwerk zunftmäßig erlernte. 1825
wurde das Korbmachen zur freien Erwerbsart erklärt, die jeder Heimatberechtigte
ergreifen konnte, ohne Prüfung seiner fachlichen Qualifikation.
Die Folge hiervon war ein großer Zulauf zur Korbmacherei (besonders als
Nebenberuf). Nach 1834 war die Flechterei im Landgericht Lichtenfels wieder
konzessionspflichtig; gleichzeitig stand sie dennoch allen Heimatberechtigten
offen. Dieser Zwitterzustand führte zum Niedergang der Zunft;
das Handwerk wurde überlaufen.
Seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zogen Korbmacher mit Schubkarren
ohne genau festgelegten Reiseplan über Land, vor allem ins Ausland,
um ihre Ware dort zu verkaufen. Der Kreis der Korbhändler verengte sich im
Laufe einer jahrzehntelangen, quellenmäßig schwer fassbaren Entwicklung,
die der Nationalökonom Emanuel Hans Sax 1888 wie folgt umriss: an die
Stelle eines naiven Hausierer-Kleinverkaufs von meist selbstgefertigen Waaren
durch die Arbeiter selbst trat immer bedeutsamer und ausschließlicher ein
vielgestaltiger spekulativer Großhandel mit fremden Erzeugnissen, die der
berufsmäßige Unternehmer [...] für eigene Rechnung vom Kleinmeister übernahm
und fortan kaufmännisch zu vertreiben suchte. Der alte bescheidene
Korbführer starb aus, oder entwickelte sich in einzelnen Begünstigten zum
ansehnlichen Handelsherrn 59 . Diese modernen Korbgroßhändler gründeten
Niederlassungen in europäischen Metropolen. Schriftverkehr und gezielte
Reisen, namentlich zu Messen und Ausstellungen, kennzeichneten ihren Handelsbetrieb.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich eine klare Scheidung
zwischen Korbmacher und Korbhändler heraus. Der Letztere entwickelte
sich zum Verleger, für den oft Hunderte von Korbmachern in Heimarbeit die
Handelsware anfertigten. Die Arbeitsform des Korbmachers änderte sich über
alle wirtschaftlichen Entwicklungen hinweg wenig. Der Korbmacher blieb
formal selbständig, wenn auch vielfache Abhängigkeiten vom Großhändler
bestanden.
In Redwitz wird 1720 der Körbmacher Johann Schmidt erwähnt 60 . In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erscheint diese Berufsbezeichnung in
den Kirchenbüchern von Obristfeld nicht. Das heißt freilich nicht, dass es
Günter Dippold
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232 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
Geschäftshaus der Firma
Samuel Zinn & Co. in
Lichtenfels
Postkarte um 1910
Handelshaus Pauson
(Bildmitte) am Bahnhofsplatz
in Lichtenfels, 1906
damals keine Korbmacher in Redwitz gegeben habe. Betrieb jemand die
Flechterei nur nebenbei, so werden wir kaum erwarten dürfen, einen Hinweis
darauf zu finden.
Denkbar ist beispielsweise, dass Korbmacherei die Winterarbeit der Flößerfamilien
war. Das würde zu einer Notiz aus dem Jahre 1780 passen: Die Korbmacher
außerhalb der Zunft wurden von den fürstbischöflichen Beamten und
den Zunftmitgliedern als Pfuscher bezeichnet, wie gut ihre Arbeit auch sein
mochte. Und diese Pfuscher betrieben, so heißt es 1780, mit ihren Körben
regen Handel nach Holland. Flößer, die den Rhein hinabfuhren, könnten Körbe
auf ihren Flößen mitgenommen und am Zielort verkauft haben.
Erst um 1800 erscheint wieder ein als Korbmacher bezeichneter Mann in
Redwitz: Lorenz Gagel aus Michelau, der 1799 nach Redwitz geheiratet hatte
61 . In einer Einwohnerliste von 1815 werden bereits drei Korbmacher genannt:
Lorenz Gagel (Haus Nr. 59 / Hauptstraße 46), Peter Martin (Haus Nr.
94 / Am Berg 11) und Georg Ebitsch (Haus Nr. 116 / Gässla 3) 62 .
Weitere Korbmacherfamilien kamen hinzu; Redwitzer ergriffen das damals
zukunftsträchtig erscheinende Handwerk. Auch jüdische Einwohner, die seit
dem Edikt von 1813 Handwerksberufe ausüben durften, ja sollten, wandten
sich der Korbmacherei zu. Bemerkenswert ist, dass christliche Meister jüdische
Lehrlinge und Gesellen ausbildeten und beschäftigten und umgekehrt.
Der erste jüdische Korbmachermeister in Redwitz war Baruch Zinn
(1792–1858), der Stammvater einer bedeutenden Korbhändlerfamilie 63 . Nachdem
er sich 1821 als Meister niedergelassen hatte – ihm gehörte Haus Nr. 13
(Gässla 6) –, begann er 1830 mit Körben zu handeln. Sein 17jähriger Sohn
Carl Zinn reiste 1845, gewiss im Auftrag des Vaters, nach Amerika, um neue
Kunden zu gewinnen.
Weitergeführt wurde das Handelshaus jedoch vom anderen Sohn, Samuel
Zinn, der 1862 an der Weltausstellung in London teilnahm 64 . 1868 heißt es
über die Korbwaarenfabrik von Samuel Zinn & Co., sie liefere Körbe in
ungefähr 10,000 Nummern in Weiden in Verbindung mit Schilf und Esparo 65 ,
sowie in Rohr in Verbindung mit Hanfschnüren, theilweise gebleicht, theils
weiss und bemalt, theils ganz farbig durch Anwendung von Anilin. Die Produkte
gingen nach allen Weltrichtungen 66 .
Zinn verlegte die Firma 1876 nach Lichtenfels, wo er bald darauf am Bahnhofsplatz
Geschäftsbauten errichten ließ. Er galt damals als der wohlhabendste

und hoechstbesteuerte Mann der Stadt 67 . In Lichtenfels verstarb Samuel Zinn
61jährig am 24. April 1887. Das Geschäft ging an seine Söhne Philipp
(1853–1926) und Sigmund (1857–1939) über, beide in Redwitz geboren.
1936 mussten die Zinn den Korbhandel infolge der antisemitischen Hetze
des NS-Regimes schließen.
Ähnlich stellt sich die Geschichte eines anderen großen Redwitzer Korbhandelshauses
dar, der Firma Pauson 68 . Ihr Begründer war Salomon Pausan
(erst seit den 1860er Jahren nennt sich die Familie Pauson). Pausan (1809 - 1869),
als Sohn des Viehhändlers und Schächters Michel Hirsch geboren, arbeitete seit
1840 als Korbmachermeister im Haus Nr. 51 (Hauptstraße 39), handelte aber
auch mit Flechtartikeln, ebenso wie sein Bruder, der Korbmachermeister
Moses Pausan/Pauson (1806–1869).
Salomons Söhne Adolph (1846–1914) und Pankraz Pauson (1852–1910),
führten das Geschäft nach dem Tod des Vaters gemeinschaftlich weiter; ihre
drei Brüder Max, Martin und Herrmann Pauson lebten in den USA 69 . 1880
zogen Adolph und Pankraz Pauson – wie einige Jahre zuvor Zinn – nach
Lichtenfels, erwarben ein Haus am Bahnhofsplatz, in unmittelbarer Nachbarschaft
zu Zinn, und erweiterten es 1881 zu einem prächtigen Geschäftshaus
im neugotischen Stil. Das Gebäude verrät noch heute, wie erfolgreich
auch diese Redwitzer Firma
gewesen sein muss. Adolph
Pauson, der 1907 nach
München zog, war übrigens
ein international anerkannter
Fachmann für Weidenanbau
und -verwertung 70 .
1938 löste sich die Firma
Pauson unter dem Druck
der politischen Umstände
auf.
Eine Redwitzer Korbhandelsfirma,
die das Dritte
Reich überstand, sei gleich
an dieser Stelle genannt:
1867 gründete der zwanzig-
Günter Dippold
Belegschaft der Firma
Krötenheerdt ca. 1935
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234 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
Schreibbuch von Georg
Harthan. Eintragungen
von 1818 bis 1846/47
jährige Emanuel Gutmann (1848–1909) aus Schwebheim bei Schweinfurt –
mit Jette Pauson (1847–1889), einer Tochter des Korbmachers und Korbhändlers
Moses Pauson und Nichte von Salomon Pauson, verheiratet – ein
Korbhandelsunternehmen71 . Er wohnte und arbeitete zunächst im Haus seines
Schwiegervaters (Nr. 105a / Kirchberg 12). Zehn Jahre darauf erwarb er
von Samuel Zinn dessen Haus Nr. 74 (Am Markt 5) 72 .
Gutmann stellte regelmäßig auf der Leipziger Messe aus und erhielt zahlreiche
Aufträge aus dem Ausland, besonders aus England. Sein Haupthandelsobjekt
waren neben feinen Korbwaren Einkaufskörbe aus Weide und Rohr.
Emanuel Gutmanns Sohn aus zweiter Ehe, Ludwig Gutmann (1891–1936),
mit einer Christin verheiratet, erweiterte die Firma 1926 um den Großhandel
mit Weiden. Bis in unsere Zeit wird das Unternehmen mit großem Erfolg
von der Familie weitergeführt.
Der Gründer eines weiteren Handelshauses war Salomon
A. Gosser (1812–1879), Sohn eines Schnittwarenhausierers.
Er wandte sich ebenfalls dem Schnittwarenhandel
zu, betrieb ihn jedoch – wie das Judenedikt von 1813 vorschrieb
– nicht als Hausierer, sondern ab 1836 in einem
Laden in seinem Haus Nr. 62 (Hauptstraße 36). Schon bald
versuchte er sein Geschäft auszuweiten: 1840 brachte er
von der Leipziger Messe Schuhe mit und verkaufte sie,
worüber sich der Schuhmacher Jakob Pauson erfolgreich
beschwerte73 .
1845 wurde Gosser vom Landgericht Lichtenfels zum
Korbhandel konzessioniert. Die damals bereits schwer
angeschlagene Zunft machte vergebens dagegen Front.
Bis zu seinem Tod betrieb Salomon Gosser, der als sehr
wohlhabender Geschäftsmann galt74 , erfolgreich den
Handel mit Körben und Spezereien. Bereits 1854 erhielt
er bei der Industrie-Austellung in München eine
Ehrenmedaille 74a . 1868 hatte er Korbwaaren jeder Gattung
[...] aus allen bis jetzt bekannten Rohmaterialien
im Angebot; 300 Korbmacher belieferten ihn. Seine
Hauptabsatzgebiete waren Frankreich, England, Amerika
und die dem Zollverein angehörenden deutschen

Staaten 75 . Auf der Wiener Weltausstellung 1873 erhielt er ein Anerkennungsdiplom
76 .
Der Sohn Arnold (1839–1906) erlernte den Kaufmannsberuf wie sein Vater
und machte sich 1867 als Korbhändler in Lichtenfels ansässig, wo er nicht
nur erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch engagierter Kommunalpolitiker
war. Von 1875 bis zu seinem Wegzug nach Nürnberg 1905 war er
Gemeindebevollmächtigter. Dann führte Arnolds Bruder Ludwig Gosser
(1855–1910) die Firma in Lichtenfels weiter; nach seinem Tod ging sie an
die Aktiengesellschaft für Korbwaren- und Kinderwagen-Industrie
(Hordeaux-Bergmann) über. Das Haus von Salomon Gosser in Redwitz kaufte
1882 der aus Sonnefeld stammende Kaufmann August Heinrich, 1888 dann
der Lehrer Hermann Krötenheerdt, seinerseits Stammvater einer Korbhändlerfamilie.
Um 1870 hatte der Korbhandel in Redwitz einen denkbar hohen Stellenwert
erreicht; wie die Handels- und Gewerbekammer für
Oberfranken 1872 feststellte, belief sich der geschäftliche
Umsatz in Redwitz allein in Korbwaaren auf eine halbe
Million Gulden 77 .
Allerdings ging die Firma Gosser 1879 mit dem Tod ihres
Begründers ein, und um dieselbe Zeit zogen die beiden bedeutendsten
Korbhandelsfirmen von Redwitz nach Lichtenfels.
Neben verkehrstechnischen Gründen – Lichtenfels war
Sitz großer Speditionen – könnten Motive gesellschaftlicher
Art für den Umzug nach Lichtenfels maßgeblich gewesen
sein: Vor allem folgten Zinn und Pauson dem allgemeinen
Trend. Sie erkannten, dass seit etwa 1850 Lichtenfels
auf dem Weg zum Korbhandelszentrum war, und wollten
nicht ins Abseits gedrängt werden.
Den genannten Handelshäusern, zu denen noch die offenbar
kurzlebigen Unternehmungen von Theodor Greif 78 und
August Heinrich 79 kamen, stand nur eine Firma von Bedeutung
in christlicher Hand gegenüber: Harthan. Im Gegensatz
zu jenen drei Firmen war der Harthansche Betrieb bis
zu seiner Auflösung 1953 in Redwitz ansässig. Gründer war
Georg Harthan, geboren 1792, der aus einer Maurerfamilie
Günter Dippold
Eine Seite aus dem
Schreibbuch von Georg
Harthan
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236 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
stammte. In den Kirchenbüchern erscheint er bis 1832 als Korbmachermeister,
erst ab 1834 als Korbhändler. Wir wissen jedoch, dass Harthan schon seit
1818 Korbhandel trieb.
Für die Handelsgeschäfte Harthans steht uns eine überaus aussagekräftige
Quelle zur Verfügung: sein Schreibbuch, ein Geschäfts- und Haushaltsbuch,
das als solches von 1818 bis etwa 1846 in Gebrauch war 80 .
Georg Harthan begann sein Handelsgeschäft 1818 zusammen mit Sebastian
Fischer. Schon im nächsten Jahr handelte er teils zusammen mit Fischer,
teils allein. In Zukunft verlor die Zusammenarbeit mit Fischer immer mehr
an Bedeutung. Ab 1829 scheint er ohne Kompagnon gearbeitet zu haben.
Das Handelsgeschäft warf um diese Zeit beträchtliche Gewinne ab; die Einnahmen
überstiegen die Einkaufs- und Geschäftskosten bei weitem. Die Gewinnsätze
schwankten zwischen 7,3 und 27,2 Prozent.
Um mehrere hundert Gulden Gewinn pro Jahr zu erhalten, investierte Harthan
bei Einkauf und Geschäftsbetrieb alljährlich 2000 bis 5000 Gulden. Dieses
Geld musste er sich oft durch kurzfristige Kredite bei anderen Redwitzern –
Christen und Juden – beschaffen. Der Zahlungsverkehr mit den weit entfernten
Kunden war mühselig und langsam; daher überstiegen die Außenstände
meist 1000 Gulden.
Harthan versandte um 1830 pro Jahr 15 bis 35 Kisten, durchschnittlich etwa
25. 85 bis 90 Prozent dieser Lieferungen gingen nach Wien, die restlichen
nach Graz und Linz. In Wien belieferte Harthan etwa 20 Kunden. Vereinzelt
schickte er Ende der 30er und in den 40er Jahren auch Ware an andere Orte,
so nach Nürnberg, Fürth, Schweinfurt, Zeil, Sassanfarth, Sonneberg,
Kleinschmalkalden und Dresden. Von 1845 datiert die erste Rechnung Harthans
für eine Firma in New York. Für Geschäfte mit den USA konnte Georg
Harthan seine dortige Verwandtschaft von Nutzen sein. 1839 war sein Bruder,
der Maurer Georg Heinrich Harthan, ausgewandert und hatte sich in
Cincinnati niedergelassen. Ihm folgte 1840 eine Nichte. 1843 schließlich
ging deren Vater, ein Schwager Georg Harthans, in die Vereinigten Staaten 81 .
Überhaupt waren familiäre Verbindungen in jener Zeit nützlich, da das Netz
der Bankverbindungen sehr weitmaschig war. Harthan erhielt 1834 Zahlungen
von Matthäus Karg in Marktzeuln für Lieferungen an seinen Bruder
Georg Karg in Wien und von Margaretha Schmitt in Burgkunstadt für ihren
Sohn Joseph im ungarischen Mezökövesd.

Es war unerlässlich, dass der Händler seine Kunden aufsuchte. Georg Harthan
tat dies bis in die 30er Jahre. Dann ließ er reisen, vielleicht weil er 1837
Ortsvorsteher wurde. Das Reisen besorgte nun für ihn meist sein Schwager,
der Korbmacher Johann Topf, der dafür Taglohn erhielt. Bereits als 14jährigen
schickte Georg Harthan seinen Sohn Johann Peter mit dem Onkel auf
Geschäftsreise, um ihn frühzeitig ins Geschäft einzuweisen. Aus dem Jahr
1841 ist ein Pass des 15- bzw. 16jährigen Peter erhalten, mit dem er zweimal
nach Wien reiste. Der Weg führte über Regensburg, Passau und Linz. Es ist
aufgrund dieser Route und aufgrund gewisser Notizen im Schreibbuch zu
vermuten, dass die Ware auf dem Wasserweg nach Wien geschickt wurde.
Georg Harthan führte sein Schreibbuch anscheinend bis kurz vor seinem
Tod 1847. Dann leitete seine Witwe Christiana geb. Martin (1795–1864) den
Betrieb; ihr folgte der älteste Sohn, der bereits erwähnte Johann Peter Harthan
(1825–1897). Unter ihm nahm die Firma an der Wiener Weltausstellung 1873
teil, wo sie ein Anerkennungsdiplom erhielt 82 . Peter Harthans Nachfolger
war sein Sohn Karl Harthan (1869–1957).
Zu den jüdischen Korbhändlern und dem Protestanten Harthan kam noch der
katholische Korbindustrielle Georg Geßlein (1837–1908). Er kaufte 1877 von
Samuel Zinn das Haus Nr.
28 (Kronacher Straße 6) 83
und betrieb hier ein Handelshaus,
das sich ab 1880
nachweisen lässt. In seinem
Todesjahr 1908 verkaufte
er das Anwesen und
zog nach Bamberg 84 .
Das Landgericht Lichtenfels
kannte im Jahr 1855
15 Korbhändler von Bedeutung:
Fünf davon lebten
in Michelau, vier in
Redwitz, nur zwei in
Lichtenfels 85 . 1908 zählte
man im Bezirksamt Lichtenfels
32 Korbhandels-
Günter Dippold
Kronacher Straße 6,
bis 1877 im Besitz von
Samuel Zinn, danach
Handelshaus Geßlein,
später Konsum
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238 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
Das Bürgerrecht hatte man
nicht automatisch,es musste
verliehen werden
betriebe. Davon waren 14 in Lichtenfels, sieben in Michelau und nur vier in
Redwitz ansässig, und letztere zählten zu den kleineren Unternehmen. Die
14 Firmen in Lichtenfels hatten 273 Beschäftigte, die vier Firmen in Redwitz
nur elf – einschließlich der Inhaber 86 . 1901 betrug der Umsatz der oberfränkischen
Korbindustrie 10 Millionen Mark. Davon fielen 5 Millionen auf
Lichtenfels, auf Redwitz aber nur 150000.
Redwitz war, so können wir zusammenfassend sagen, um die Mitte des 19. Jahrhunderts
einer der Hauptorte des Korbhandels; 50 Jahre später hatte es bestenfalls
noch Bedeutung für die engere Umgebung.
Die Zahl der Flechterfamilien im Dorf hingegen stieg. 1866 gab es mindestens
30 Familien hier, welche mit Lehrlingen oder ihren Kindern arbeiten” 87 .
Im Jahr 1905 zählte man in Redwitz 159 Flechter 88 .
Solange sich die Zahl der Korbmacher in Grenzen hielt, hing der Verdienst
vom handwerklichen Geschick des einzelnen und der Konjunktur des gesamten
Wirtschaftszweiges ab. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts
war jedoch die Korbmacherei ein überbesetzter
Beruf. Es bestand ein Überangebot an Arbeitskräften.
Dies bot den Händlern, die oft nebenbei einen Material-
und Spezereiwarenladen unterhielten, eine Chance,
ihren Gewinn zu vergrößern. Emanuel Sax hat die
Entwicklung im Rückblick einfühlsam beschrieben: Man
lernte zunächst den Profit an den Weiden schätzen, die
man zu übermäßig hohen Preisen an die hausindustriellen
Arbeiter abgab, ‚sah es dann gerne‘, wenn
diese auch ihren sonstigen Bedarf im Kramladen deckten,
und machte zuletzt, ohne erst viel darüber zu reden,
den Bezug von Weiden und Lebensmitteln zur unerläßlichen
Vorbedingung für die Abnahme von Körben und
sonstiger Flechtwaare. 89 Man nennt dieses Geschäftsgebaren
Trucksystem. Das dies in Redwitz praktiziert
wurde, zeigte die Aussage eines Redwitzer Bauern 1855,
in der es heißt: Ich selbst habe gelegentlich im Gosserschen
Laden gehört, daß den Korbflechtern bedeutet
wurde, es würden Körbe nur dann angenommen, wenn
sie an Zahlungs statt Waaren nehmen würden, was die

Arbeiter dann nothgedrungen thun mußten. 90 Auch Samuel Zinn betrieb 1858
neben dem Korbhandel einen Spezereiwarenladen 91 .
Zunächst freilich hing das Gelingen solcher Methoden noch von der Konjunktur
ab. Dazu die Aussage des Ortsvorstehers 1855: Solches Bezahlen
der Waaren geht hauptsächlich zu der Zeit, wo der Handel stockt. Vor zwei
Jahren waren die Korbwaaren sehr gesucht, und da ließen sich’s die Korbmacher
nicht gefallen. 92
Doch je mehr die Zahl der Korbmacher stieg, desto leichter konnten die
Händler die Arbeiter zur Bezahlung mit Material und Lebensmitteln nötigen,
die obendrein oft überteuert waren. Denn der Händler war auf den einzelnen
Korbmacher immer weniger angewiesen.
Beschwerden der Korbmacher bei den Behörden, selbst beim König brachten
wenig Erfolg. Abhilfe schuf erst 1884 eine Korbmacherversammlung in
Schney, die auf Anregung des Nürnberger Sozialdemokraten Karl Grillenberger
(1848–1897) beschloss, einen gewerkschaftsartigen Korbmacher-
Verein zu gründen. An der Versammlung nahmen nur wenige Redwitzer teil;
und auch das Gerücht, in Redwitz solle eine solche Versammlung abgehalten
werden, erwies sich als falsch. Redwitz ist der Platz und die Leut nicht
hiezu, kommentierte der Marktgraitzer Bürgermeister 93 . Als Nationalliberale
standen die meisten Redwitzer Grillenbergers Ideen skeptisch gegenüber.
Dennoch nutzte die Schneyer Versammlung auch den Redwitzern. Auf die
Vereinsgründung hin beschlossen die Korbhändler des Bezirks, die Verhältnisse
selbst verbessern zu wollen. So erklärte Samuel Zinn als erster, daß er
bisher Zucker, Caffee u. Cichorien an Zalungsstatt abgegeben habe, solches
aber für die Zukunft unterlassen werde. Die Redwitzer Harthan und Gutmann
hingegen waren zurückhaltend. Schließlich besäßen sie offene
Specereygeschäfte, und es sei unerläßlich [...], daß sie an Korbmacher, wenn
sie ihnen Körbe abliefern, auf deren Verlangen und zu den gewöhnlichen
Ladenpreisen Spezereiartikel an Zalungsstatt abgeben 94 .
Der unmittelbare Truck, das Aufnötigen von Ware statt Geld, ging durch die
Beschlüsse der Korbhändler und durch die strafrechtliche Verfolgung 95 stark
zurück. Aber schon 1888 beklagte das Bezirksamt: Direkter Truck ist allenthalben
zurückgegangen, an dessen Stelle ist jedoch in großem Umfang
indirekter Truck dadurch getreten, daß der Arbeiter an Geldesstatt für seine
fertige Waare Material annehmen und zu entschieden höherm Preise, als er
Günter Dippold
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240
240 KAPITEL 9
Industrialisierung im Dorf
Geschäftshaus der Firma
Julius Schwender,
Inh. Georg Schwender, 1938
es bei vollkommen freien oder genossenschaftlichen Ankaufe erhalten würde,
sich anrechnen laßen muß. 96 Es war kein Zufall, dass um 1900 der Hälfte
der Korbfirmen eine Materialhandlung angegliedert war, und manches Unternehmen
zog den größeren Teil seines Gewinns aus letzterer. Erst die Gründung
von Genossenschaften ab 1901 auf Anregung des Bezirksamtmanns
Friedrich Edler von Braun entspannte die Situation, indem es nun für die
Flechter eine weitere Möglichkeit gab, ihr Material zu beziehen oder sogar
ihre Ware abzusetzen.
Die Behörden ergriffen ferner Maßnahmen, die Lage der Korbmacher zu
verbessern, indem sie die fachliche Aus- und Fortbildung förderten. Seit 1889
war im Bezirksamt Lichtenfels ein Wanderzeichenlehrer für die Korbmacher
angestellt, der in gewissen Abständen auch in Redwitz lehrte. Seit 1904 besteht
in Lichtenfels die Korbfachschule, die jedoch von den Korbmachern
zunächst recht zögernd angenommen wurde. Der erste Redwitzer, der sie
besuchte, war offenbar ab dem Schuljahr 1912/13 der Korbpackerssohn Ludwig
Müller97 . Der Marktzeulner Bürgermeister und Landtagsabgeordnete
Leonhard Partheymüller hatte 1904 wohl recht, als er nach München schrieb:
Die Ortschaften Marktzeuln, Schwürbitz, Lettenreuth, Marktgraitz, Redwitz,
welche das Hauptkontigent [!] der Korbmacher im Bezirke bilden, stellten
bis jetzt noch keinen Teilnehmer zur Fachschule, vorzugsweise deshalb, weil
der Weg nach Lichtenfels
zu weit mit Unkosten und
Zeitversäumnis verbunden
ist und der ständige Aufenthalt
dortselbst für die
beteiligten Schüler zu große
Geldopfer erheischt. 98
Dagegen besuchten die
angehenden Korbmacher
aus Redwitz, aber auch
andere Lehrlinge den vor
Ort stattfindenden Fachzeichenunterricht.
1889
war, um die Fähigkeiten
der Flechter zu heben, ein

Wanderzeichenlehrer angestellt worden, der einmal in der Woche in Redwitz
unterrichtete. Später übernahm dies ein der Korbfachschule zugeordneter
Wanderzeichenlehrer in Küps.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit
der Korbmacher im Obermaingebiet 15 bis 16 Stunden. An den Liefertagen
wurde, wenn die Lieferung drängt, und am vorhergegangenen Montag
,blau gemacht wurde, oft die ganze Nacht durchgearbeitet. Die Einkommensverhältnisse
hingen von einer Reihe von Faktoren ab: von den Rohstoff-preisen,
von der Nachfrage, von der Begabung und dem Fleiß des einzelnen, von
der Zahl der Arbeitskräfte in der Familie, von der möglicherweise nebenher
betriebenen Landwirtschaft oder Kleintierzucht. Eine Feinflech-terfamilie verdiente
etwa 18 bis 25 Mark wöchentlich, Mustermacher noch mehr, bei Grünund
Weißkorbmachern waren es 10 bis 12 Mark. Zum Vergleich: Ein Fabrikarbeiter
arbeitete 10 bis 11 Stunden pro Tag und erhielt dafür 7 bis 26 Mark
pro Woche. Der Lohn des einzelnen Fabrikarbeiters kam also annähernd dem
einer Korbmacherfamilie gleich.
Im Ersten Weltkrieg verbesserten sich die Erwerbsverhältnisse der Korbmacher
dank der Heeresaufträge
(Geschosskörbe)
schlagartig. Viele Ungelernte
strömten in den lohnenswertenKorbmacherberuf.
Nach Kriegsende
fielen die Heeresaufträge
weg, das Exportgeschäft
lief aber nur sehr zögernd
an. Die Folge war Arbeitslosigkeit.
Auswirkungen des Arbeitsalltags
auf Lebenshaltung
und Mentalität der
Menschen blieben nicht
aus. Der Obristfelder Pfarrer
Max Sommer beschrieb
1914 das Wesen
Günter Dippold
Georg Schwender 1938. Er
war in der dritten Generation
in Redwitz als Schlossermeister
tätig. Die Firma
bestand seit 1838
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Industrialisierung im Dorf
Am Berg 2
Anwesen der Bäckerei
Räthlein um 1910
seiner Pfarrkinder, wobei er das bäuerliche Obristfeld dem industriellen Redwitz
gegenüberstellte. Die Redwitzer Einwohner charakterisierte er wie folgt:
Die industrielle Bevölkerung hat im allgemeinen einen leichten Sinn. Sie ist
wohl durchschnittlich sehr fleißig, aber auch schnell bereit, den erworbenen
Verdienst alsbald wieder auszugeben. Eine große Vergnügungssucht, gefördert
durch alle möglichen Vereinsfestlichkeiten; ein Bestreben, namentlich
bei der weiblichen Bevölkerung, alles an Putz und Tand zu hängen, ist leider
nicht zu verkennen. 99 Elf Wirte gab es damals in Redwitz. Einige Vereine
müssen dazu herhalten, daß bald in diesem, bald in jenem Wirtshause irgendeine
Unterhaltung oder eine Tanzmusik oder ein Stiftungsfest abgehalten
wird, so daß [...] fast an jedem Sonntag etwas los ist. Leider weiß man da
sehr oft nicht das rechte Ende zu finden und manche arbeiten dann auch am
Montag nichts und bringen ihre Zeit wiederum im Wirtshaus zu. 100
Ferner beklagte der Pfarrer die Spiele in den Wirtshäusern, lobte aber andererseits
die geistige Offenheit der Korbmacher: Durch den fortwährenden
Verkehr mit den benachbarten Städten, in welchen die
Korbmacher ihre Erzeugnisse wöchentlich abliefern, hat
sich der Sinn für die außerhalb ihres Heimatdorfes liegende
Welt mit all den Fortschritten der Neuzeit geweitet.
Infolgedessen ist auch der Gesichtskreis ein größerer
und der Geist geweckter, was sich [...] schon bei den
Schulkindern zeigt, die meist eine rasche Auffassungsgabe
besitzen 101 .