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Die Revolution auf dem Lande – das Beispiel ... - Bezirk Oberfranken

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<strong>Die</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Lande</strong> – <strong>das</strong> <strong>Beispiel</strong><br />

des Landgerichts Lichtenfels<br />

Günter Dippold<br />

„Wir leben in schrecklichen Zeiten. In Frankreich ist der Königsthron<br />

umgestürzt und die Republik constituirt; Handel und Wandel stockt;<br />

in Deutschland sind an mehreren Orten Unruhen ausgebrochen und<br />

Gewalttaten (besonders <strong>auf</strong> den Besitzungen einiger Adlichen) gegen<br />

Person und Eigentum ausgeübt worden. In Baden [...] wurde der Versuch<br />

gemacht, die Republik zu proclamieren; die Rebellen sind jedoch<br />

bereits <strong>auf</strong>s Haupt geschlagen und zersprengt. – In Bamberg<br />

verübt eine republikanische Parthei drückenden Terrorismus; die<br />

Gutgesinnten sind eingeschüchtert und schweigen; der allgemein<br />

verehrte Hochwürdigste Herr Erzbischof Bonifacius wurde am Abend<br />

des 30. April von einer Rotte rohen Gesindels heftig insultirt und verließ<br />

am folgenden Tage <strong>das</strong> undankbare Bamberg, welches er von jeher<br />

– besonders aber in den Theuerungs-Jahre 1847 – mit Wohltaten<br />

überschüttet hat. In ganz Deutschland – ja in ganz Europa herrscht<br />

eine sehr gereizte Stimmung. Gebe Gott, daß <strong>das</strong> nach Frankfurt am<br />

Main [...] einberufene Parlament Alles zum Besten schlichte.“ 1<br />

So umriß der katholische Pfarrer von Lichtenfels, Franz Joseph<br />

Pentowsky, am 5. Mai 1848 seine Sicht der Zeitumstände, und zwar<br />

in der Urkunde, die für den neuen Turmknopf der Pfarrkirche bestimmt<br />

war. Der Geistliche wußte offenbar von Ereignissen in ganz<br />

Deutschland, ihn erregten besonders die Vorkommnisse in der Bischofsstadt<br />

Bamberg, aber über seinen eigenen Pfarrsprengel oder<br />

über <strong>das</strong> von Lichtenfels aus verwaltetete Landgericht schrieb er<br />

nichts nieder. Offenbar hatte sich hier nichts zugetragen, was er <strong>auf</strong>zeichnenswert<br />

fand.<br />

Wenn ein Historiker versucht, ein Bild einstiger Wirklichkeit zu<br />

zeichnen, schwebt er immer in einer Gefahr, die er nicht wirklich vermeiden<br />

kann; er muß sich ihrer aber stets bewußt sein. Ihn bedroht<br />

1 Zit. nach Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 2. Der Akt, der <strong>das</strong><br />

Original enthalten dürfte (A 1046), ist derzeit im StadtAL nicht <strong>auf</strong>zufinden. –<br />

Zum sozialen Engagement des Erzbischofs im Hungerjahr 1847 vgl. Kotschenreuther:<br />

Erinnerungen, S. 36; Kleiner: Bonifaz Kaspar von Urban, S. 122, 124.<br />

„Exclamationen der Wühler“ gegen den Oberhirten im Jahr 1848 erwähnt Kotschenreuther:<br />

Erinnerungen, S. 40. Der Erzbischof verließ Bamberg am 1. Mai<br />

1848 laut Zeitungsberichten, um zur Sitzung der Kammer der Reichsräte nach<br />

München zu reisen. Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 599.<br />

193


die Verführung, die schönsten, die buntesten Belege zusammenzutragen,<br />

um ein Ereignis – wie die <strong>Revolution</strong> von 1848/49 – darzustellen,<br />

dabei aber zu übersehen, daß <strong>das</strong>, was in Berlin, Wien, Schweinfurt<br />

oder Bamberg geschah, nicht die ganze Wirklichkeit war, selbst<br />

wenn es rasch <strong>das</strong> Bild dieser Zeit prägte – die Notiz des Lichtenfelser<br />

Pfarrers belegt <strong>das</strong>. Es gab eben auch zahllose Gebiete – und sie,<br />

nicht die Brennpunkte sind in der Mehrheit –, in denen wenig vorfiel,<br />

was überörtliche Aufmerksamkeit erregte, in denen keine Männer<br />

wirkten, deren Ideen bestimmend waren für <strong>das</strong> Tun vieler, in<br />

denen keine politischen Blätter erschienen 2 . Das muß nicht bedeuten,<br />

daß hier nichts geschehen wäre, aber was sich ereignete, blieb<br />

in seiner Bedeutung regional oder sogar lokal begrenzt. Dennoch ist<br />

eine Untersuchung solcher Vorgänge mehr als Erbsenzählerei. Denn<br />

um historische Wirklichkeit zu verstehen, müssen wir beides kennen:<br />

die Denker und ihre Rezipienten, die Agierenden und die Reagierenden,<br />

die Zentren des zeitprägenden Geschehens und die Nebenschauplätze.<br />

Um ein Gebiet letzterer Art soll es gehen, um <strong>das</strong> Landgericht<br />

Lichtenfels.<br />

Das Landgericht Lichtenfels um 1848<br />

Im Landgericht Lichtenfels lagen zwei Städte (Lichtenfels und Staffelstein),<br />

zwei Märkte, 74 Dörfer und 28 Einöden. Im Jahr 1831 lebten<br />

hier rund 21 500 Menschen, von denen 81,4 % katholischen, 16,6 %<br />

evangelischen und 2,0 % jüdischen Glaubens waren. Das Landgericht<br />

Lichtenfels grenzte an die Landgerichte Kronach, Weismain, Scheßlitz<br />

und Seßlach sowie an <strong>das</strong> einem Landgericht gleichgestellte Herrschaftsgericht<br />

Banz 3 , <strong>das</strong> Herzog Maximilian in Bayern (1808 –1888)<br />

unterstand; es versah im Amtssprengel allerdings nur die Aufgaben<br />

der allgemeinen Verwaltung und der Ziviljustiz, für strafrechtliche<br />

Fragen war <strong>das</strong> Landgericht Lichtenfels verantwortlich 4 . Ferner grenzte<br />

<strong>das</strong> Landgericht Lichtenfels im Norden an <strong>das</strong> Herzogtum Sachsen-<br />

Coburg.<br />

Durchbrochen war die staatliche Verwaltung durch die als Zwischenbehörden<br />

fungierenden adligen Patrimonialgerichte, wie sie in<br />

Schney die hier ansässigen Grafen von Brockdorff, in Redwitz <strong>das</strong><br />

2 Zu den Regionen, die die <strong>Revolution</strong> nur am Rande erlebten, vgl. Hummel:<br />

Zonen der politischen Stille (mit Schwerpunkt Altbayern).<br />

3 Rüblein: Statistische und agrikole Beschreibung, S. 8 f., 88.<br />

4 Ebd., S. 4; zur Bildung des Herrschaftsgerichts auch Weiß: Lichtenfels-Staffelstein,<br />

S. 124. – <strong>Die</strong> Steuerhoheit im Herrschaftsgericht übte <strong>das</strong> Rentamt Lichtenfels<br />

aus, und der Lichtenfelser Landgerichtsarzt war ebenfalls für den Banzer<br />

Sprengel zuständig.<br />

194


Abb. 1: Das Landgericht Lichtenfels um 1860<br />

(nach der Angliederung des <strong>auf</strong>gelösten Herrschaftsgerichts Banz)<br />

(Bayerische Staatsbibliothek, cgm 6874/101)<br />

Adelsgeschlecht gleichen Namens für Hintersassen in acht Orten und<br />

in Pferdsfeld die Grafen von Schönborn zu Wiesentheid für Hintersassen<br />

in neun Dörfern unterhielten; ferner lebten im Landgericht<br />

noch Angehörige weiterer sieben Patrimonialgerichte 5 . <strong>Die</strong> adligen<br />

Hintersassen hatten ihre Amtsgeschäfte nicht unmittelbar mit <strong>dem</strong><br />

Landgericht, sondern über <strong>das</strong> Patrimonialgericht abzuwickeln, für<br />

viele ein Ärgernis, wegen individueller Mißstände 6 ebenso wie wegen<br />

des Sonderstatus an sich – nach<strong>dem</strong> die Ritterschaft keinen<br />

5 Rüblein: Statistische und agrikole Beschreibung, S. 3 f.; Addresse- und Handbuch<br />

für <strong>Oberfranken</strong>, S. 74; Weiß: Lichtenfels-Staffelstein, S. 124–127; Arneth:<br />

Von Keller-, Kasten- und Klosterämtern, S. 119 –124.<br />

6 Schon 1810 hatte der Landrichter von Banz, Dr. Martin Aschenbrenner, die Patrimonialgerichte<br />

von Schney und Redwitz als „Gestalten von Gerichten ohne<br />

gehörige Subsistenz, ohne Ansehen, ohne Kraft“ charakterisiert: „Der Anblik<br />

ihres Daseyns läßt nur ihr Aufhören wünschen. <strong>Die</strong> Policei ist bei ihnen in unwürksamen<br />

kraftlosen Händen, bei <strong>dem</strong> Zustande einer aeusserst kärglichen<br />

195


eichsunmittelbaren Status mehr besaß, waren die Hintersassen von<br />

Niederadligen, wie es Bauern im Ries formulierten, Untertanen eines<br />

Untertanen 7 .<br />

Wirtschaftlich dominierten Ackerbau und Viehzucht, in den größeren<br />

Orten hatte <strong>das</strong> Handwerk einiges Gewicht 8 , doch gab es auch<br />

schon mehrere industrialisierte Orte. In Schney bestand seit 1782<br />

eine Porzellanfabrik 9 , die 1830 115 Menschen beschäftigte und 1000<br />

Zentner Porzellan, vornehmlich Pfeifenköpfe und Türkenkoppchen,<br />

henkellose Mokkatassen, herstellte 10 . Noch bedeutender war die 20<br />

Jahre jüngere Fabrik in Hausen unterhalb von Banz 11 , die zwar nicht<br />

im Landgericht Lichtenfels, sondern im Herrschaftsgericht Banz lag,<br />

aber auch Menschen aus Orten jenseits des Mains beschäftigte. Überregionalen<br />

Absatz hatten die Korbmacher 12 , die in den Dörfern rechts<br />

des Mains, in Michelau, Schwürbitz, Marktzeuln und Marktgraitz vor<br />

allem, wohnten; spezialisierte Händler, teilweise von 200 bis 300<br />

Flechtern beliefert, verk<strong>auf</strong>ten die Körbe in ganz Europa, in Nordund<br />

Südamerika. <strong>Die</strong> Produktion war so stark, daß die Weide, zunehmend<br />

aber auch andere Materialien importiert wurden. Zu verweisen<br />

ist schließlich noch <strong>auf</strong> den Floßholzhandel, dessen Zentrum<br />

Besoldung [...] kann ihr Daseyn ihre Guts Herren, derer oeconomische Umstaende<br />

offenkundig sehr gesunken sind, nur mit <strong>dem</strong> lezten Schein einer Gerichtsherrlichkeit<br />

trösten [...]. Was ist nun von diesen Patrimonial Gerichten für<br />

die Policei zu erwarten? – Vernünftig betrachtet sind sie ihren Gerichts Herren<br />

zur merklichen Last, <strong>dem</strong> Gantzen zum nicht geringen Nachtheil. Den oft<br />

nicht unwahrscheinlichen Versuchen ihrer Herrschaft ausgesezt, sie für ihren<br />

Privat Vortheil zu gewinnen, l<strong>auf</strong>en die landesherrlichen Constitutionen und<br />

Verordnungen Gefahr [...] umgangen oder verletzt zu werden. Seine Befugnisse<br />

über die Gebühr auszudehnen, wird wenigstens vom Grafen von Brokdorf<br />

nicht selten versucht, und stete Prozesse und Differenzien haben zwischen<br />

ihm und seinen Gutseingeseßenen statt; in seinen Händen ist jeder<br />

Schein von Gewalt nicht gut niedergelegt.“ StAB, K 3 H, Nr. 312, Banz. – Ähnliche,<br />

gegen Übergriffe der Gutsherren und ihrer Beamten gerichtete Beschwerden<br />

finden sich in Klageschriften der Jahre 1848/49 wieder. Vgl. etwa<br />

Nürnberger Kurier 1848, Nr. 114, 115, 131 (Schney); Der freie Staatsbürger<br />

1849, S. 152 (Küps), 199 (Küps), 246 (Küps), 258 (Unterlangenstadt), 284<br />

(Küps), 288 (Oberlangenstadt), 452 (Oberlangenstadt), 564 (Oberlangenstadt),<br />

654 (Küps).<br />

7 Vgl. Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner Staat, S. 483.<br />

8 Vgl. Gunzelmann: <strong>Die</strong> Kulturlandschaft, S. 75–94.<br />

9 Vgl. Radunz: <strong>Die</strong> Porzellanfabrik Schney.<br />

10 Vgl. Dippold: Anfänge und Entwicklung, S. 146.<br />

11 Über die Porzellanfabrik Hausen vgl. Friedrich: Bamberger Ansichten, S. 105–<br />

108; Dippold: Anfänge und Entwicklung, S. 149–151.<br />

12 Vgl. Dippold: Korbmacherei und Korbhandel; Dippold: Anfänge und Entwicklung,<br />

S. 171–186; Dippold: Korbmacherei und Korbindustrie, S. 388 –394,<br />

403 f.<br />

196


Lichtenfels war, der aber wohl auch in Marktzeuln und Schwürbitz<br />

einen wichtigen Erwerbszweig bildete 13 .<br />

Durch <strong>das</strong> obere Maintal verlief die Ludwig-Süd-Nord-Bahn, die<br />

1848 bereits Nürnberg mit Hof verband 14 . Lichtenfels, Staffelstein und<br />

Ebensfeld 15 besaßen seit Anfang 1846 Bahnstationen. <strong>Die</strong> Teilstrecke<br />

Lichtenfels – Neuenmarkt war Ende 1846 eröffnet worden; dadurch<br />

hatte ein weiterer Ort im Landgericht Lichtenfels, Hochstadt am Main,<br />

einen Bahnhof erhalten. Lichtenfels war auch die Station, zu der sich<br />

bis zum Bau der Werrabahn 1859 die Reisenden aus Coburg und anderen<br />

thüringischen Staaten kutschieren ließen 16 , um von hier aus<br />

die Reise in Richtung Nürnberg oder Hof anzutreten.<br />

Liberale Strömungen im Vormärz<br />

Liberales Gedankengut wurde im Vormärz auch im Raum Lichtenfels<br />

rezipiert. Der Lichtenfelser Landgerichtsassessor Thomas Rüblein<br />

(1781–1846) büßte es in den 30er Jahren mit Amtsenthebung und<br />

fünfjähriger Festungshaft, daß er eine Schrift von Johann Georg August<br />

Wirth (1798–1848) verbreitet hatte 17 . <strong>Die</strong>s geschah um dieselbe<br />

Zeit, als Rübleins Schwager, der Landgerichtsphysikus Dr. Michael<br />

Krappmann (1776–1864) in Lichtenfels, der Zweiten Kammer des<br />

Landtags angehörte 18 und <strong>dem</strong> Landrichter als „<strong>das</strong> Muster eines<br />

Thron- und Ordnungs-Freundes“ erschien 19 .<br />

<strong>Die</strong> Verbreitung von Schriften, namentlich eines antifürstlichen<br />

Spottliedes, brachte <strong>dem</strong> 1809 in Schney geborenen und in Bamberg<br />

tätigen Porzellanmaler Johann Georg Stammberger 20 1834 acht Jahre<br />

Zuchthaus ein, von denen er rund fünf absaß. Er hatte <strong>das</strong> Hambacher<br />

Fest besucht, er war Mitglied des von Johann Georg August<br />

Wirth mitgegründeten Preß- und Vaterlandsvereins 21 , und an seine<br />

Eltern schrieb er 1832: „sagt mir, Theuerste, sagt mir, was wird aus<br />

13 Vgl. Hohn: Geographisch-statistische Beschreibung, S. 206, 209; Rüblein: Statistische<br />

und agrikole Beschreibung, S. 77 f.<br />

14 Vgl. Schäfer: Über die Durchgangsstation, S. 205–211; Dippold: Lichtenfels,<br />

S. 53–55.<br />

15 Vgl. Zenk: Der Eisenbahnbau.<br />

16 Vgl. StAB, K 3 F VI b, Nr. 4676, fol. 1r; BayHStA, MA 8801, Schreiben vom<br />

15.2.1855.<br />

17 Vgl. Jäck: Thomas Rüblein, S. 360.<br />

18 Er war Abgeordneter von 1831 bis 1837. Vgl. Jäck: Zweites Pantheon, S. 60.<br />

19 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 964, fol. 38r.<br />

20 Über ihn Radunz: Johann Georg Stammberger.<br />

21 Über den Verein vgl. Foerster: Der Preß- und Vaterlandsverein.<br />

197


unserm armen deutschen Vaterlande? Es soll zuruckgeführt werden<br />

in die finsteren Zeiten des Pfaffen-Glaubens, zuruck mit gewaltiger<br />

Despoten-Hand unter <strong>das</strong> Joch der rohen Gewalt des Absolutismus.<br />

<strong>Die</strong>ß ist der Beschluß unserer Fürsten, der geheiligten Majestäten, die<br />

mit gierigem Rachen verschlungen, was sie oft mit himmelschreienden<br />

Unrecht durch ihre Schergen <strong>dem</strong> Armen vom Schweiße triefenden<br />

Landmann entreißen laßen. Russen sollen wir werden, und warum?<br />

Weil die 38 Finsterlinge nicht fähig sind, ein erwachsenes<br />

<strong>auf</strong>geklärtes Volk zu regieren.“ 22<br />

So wie hier, <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg über familiäre Verbindungen, gelangte<br />

liberales Gedankengut wohl mehrfach in die Kleinstädte und Dörfer<br />

am Obermain. In Kronach kursierten 1832 „<strong>auf</strong>rührerische“ Schriften,<br />

besonders im Wirtshaus von Georg Melchior Silbermann (1801–<br />

1872) 23 ; er war ein gebürtiger Lichtenfelser, mehrere seiner Brüder<br />

lebten in Lichtenfels und Hausen am Fuß von Banz, wo sie eine Porzellanfabrik<br />

betrieben. Auch der Onkel der Silbermann-Brüder, der<br />

Kronacher Floßhändler Joseph Fillweber 24 , zählte zu denen, die in<br />

politischer Hinsicht „sehr frei sprechen“ 25 .<br />

<strong>Die</strong> Märzunruhen des Jahres 1848 26<br />

Im Raum Kronach brach im März 1848 ein Aufruhr los. Der Zorn richtete<br />

sich gegen die Adligen, genauer: gegen die adlige Patrimonialgerichtsbarkeit,<br />

gegen die Beamten der Patrimonialgerichte und gegen<br />

Juden. Schlösser, Amtsgebäude, Wohn- und Geschäftshäuser von<br />

Juden wurden am 12. und 13. März 1848 gestürmt und geplündert,<br />

die Bewohner bedrängt, beraubt und sogar mißhandelt.<br />

Der Regierungspräsident von <strong>Oberfranken</strong>, Melchior Ritter von<br />

Stenglein (1790–1857), begab sich am 13. März – ab Kulmbach die<br />

Bahn benutzend – nach Bamberg, um von hier aus Gegenmaßnahmen<br />

zu koordinieren, wohl wegen der günstigeren Lage an der erst<br />

22 StAB, K 100/I, Nr. 144, fol. 106r.<br />

23 Vgl. StAB, K 100/I, Nr. 142, fol. 20r–v. Lebensdaten Silbermanns: AEB, Kirchenbücher<br />

Kronach, Bd. 20, pag. 62; Bd. 33, Aufschlag 23.<br />

24 Joseph Fillweber heiratete am 12. Juli 1796 in Kronach Rosina Margaretha Silbermann<br />

(1775–1828), die Schwester des Lichtenfelser Bürgermeisters Joseph<br />

Felix Silbermann (1771–1828). Vgl. AEB, Kirchenbücher Kronach, Bd. 19,<br />

pag. 291; Lebensdaten: Bd. 31, pag. 14.<br />

25 StAB, K 100/I, Nr. 142, fol. 20v.<br />

26 Zum folgenden Dippold: <strong>Die</strong> oberfränkischen Märzunruhen. Da dort die Daten<br />

belegt sind, wird im folgenden weitgehend <strong>auf</strong> Einzelnachweise verzichtet.<br />

Lediglich die Fundstellen wörtlicher Zitate und ergänzender Angaben sind<br />

genannt.<br />

198


Abb. 2: Bahnhof Bamberg um 1852. Lithographie von Georg Könitzer<br />

(Staatsbibliothek Bamberg, V.B.60 ma )<br />

teilweise fertiggestellten Ludwig-Süd-Nord-Bahn. Vier Lokomotiven<br />

wurden ständig unter Dampf gehalten; der Präsident sandte Briefe<br />

per „Extramaschine“ über Kulmbach nach Bayreuth, zum Divisionskommando<br />

nach Ansbach und zum Stadtkommandanten von Nürnberg,<br />

um Militär herbeizurufen. Ein Bayreuther Infanterieregiment<br />

marschierte bereits in der Nacht vom 13. <strong>auf</strong> den 14. März ins Krisengebiet<br />

ab 27 . Am Morgen des 14. März fuhren mit <strong>dem</strong> ersten Zug 144<br />

Infanteristen aus Nürnberg bis Hochstadt am Main, um die Ruhe in<br />

den ritterschaftlichen Dörfern wiederherzustellen; noch am selben<br />

Tag folgte eine Eskadron Chevaulegers aus Bamberg. Weitere Truppen<br />

wurden aus Amberg an die Rodach entsandt. Der Aufstand<br />

wäre wohl kaum so unproblematisch und vor allem so schnell niedergeschlagen<br />

worden, hätte nicht die Eisenbahn als Transportmittel<br />

für Nachrichten wie für Truppen zur Verfügung gestanden.<br />

Das <strong>Beispiel</strong> Redwitz<br />

Der Aufstand hatte sich, wie erwähnt, <strong>auf</strong> den Raum Kronach konzentriert,<br />

war aber auch ins angrenzende Landgericht Lichtenfels<br />

hinübergeschwappt. Besonders gut sind die Ereignisse in Redwitz an<br />

27 Ihr Einsatz auch erwähnt bei Herrmann: Zur Geschichte des Jahres 1848, S.<br />

379.<br />

199


der Rodach durch einen 1849 geführten Strafprozeß überliefert. Darin<br />

wurde festgestellt: „Sonntags den 12. März 1848 verbreitete sich in<br />

<strong>dem</strong> Dorfe Redwitz die Nachricht, daß in einem benachbarten Orte<br />

<strong>das</strong> Schloß der Gutsherrschaft angegriffen und theilweise zerstört<br />

worden sei. <strong>Die</strong>se Nachricht verfehlte nicht, in jener bewegten Zeit<br />

auch unter der Einwohnerschaft von Redwitz große Aufregung hervorzurufen,<br />

in<strong>dem</strong> auch hier mancherlei Beschwerden gegen die<br />

Gutsherrschaft und deren Beamten laut geworden waren. <strong>Die</strong> in<br />

Wirthshäusern versammelte Menge zog mehr als 100 Köpfe stark<br />

Nachts gegen 10 Uhr vor <strong>das</strong> herrschaftliche Försterhaus, warf in<br />

<strong>dem</strong>selben die Fenster ein, umringte den herbeieilenden Gutsherrn<br />

Freiherrn W. v. Redwitz, mißhandelte ihn und ließ sich endlich nur<br />

durch <strong>das</strong> Versprechen, es solle den gegründet befundenen Beschwerden<br />

Abhilfe werden, beschwichtigen. <strong>Die</strong> Menge vertheilte<br />

sich hier<strong>auf</strong> wieder in die Schenken, wo bis Nachts gegen 2 Uhr gezecht<br />

wurde. Um diese Zeit sammelte sich wieder ein beträchtlicher<br />

Volksh<strong>auf</strong>e, welcher zunächst vor <strong>das</strong> Schloß zog, in <strong>dem</strong>selben alle<br />

Fenster einwarf und die Thüre gewaltsam erbrach, jedoch ohne im<br />

Schlosse selbst Jemand persönlich zu mißhandeln oder eine Entwendung<br />

zu begehen. Vom Schlosse ging es in <strong>das</strong> Amtshaus, dessen<br />

Fenster und Thüren gleichfalls zertrümmert wurden, wor<strong>auf</strong> aber die<br />

Menge in <strong>das</strong> Innere selbst eindrang und die <strong>auf</strong>gefundenen Acten,<br />

Bücher, Urkunden und Siegel fortschleppte und großentheils in den<br />

vorbeifließenden Bach warf, nach<strong>dem</strong> <strong>dem</strong> Amtmann Dohrer seine<br />

Gewehre, sein Schießbedarf und einige Amtsgelder weggenommen<br />

worden waren.“ 28 Dohrer entging Mißhandlungen nur, in<strong>dem</strong> er sich<br />

im Taubenschlag verbarrikadierte 29 – Jakob Eichhorn aus Schney<br />

spottete deshalb, er habe „sich einen Tag lang als Täubert verbergen“<br />

müssen 30 . Bei erster Gelegenheit floh der verhaßte Patrimonialrichter<br />

nach Lichtenfels.<br />

Nach<strong>dem</strong> <strong>das</strong> Amtshaus geplündert war, zogen Trupps vor die von<br />

Juden bewohnten Häuser, schrien, schlugen Fenster und Türen ein.<br />

Einige Familien versuchten, sich und ihre Habe zu retten, in<strong>dem</strong> sie<br />

Geld oder andere Wertsachen aus <strong>dem</strong> Fenster warfen. Der Familie<br />

des K<strong>auf</strong>manns Marx Gütermann nötigte man den Ladenschlüssel ab<br />

und plünderte den Warenbestand, 1500 Gulden wert. Nur als einige<br />

Männer die Ladentür von Koppel Gütermann (1796–1868) <strong>auf</strong>brechen<br />

wollten, schritten die Nachbarn ein und verjagten die Täter.<br />

28 Bamberger Zeitung vom 28.7.1849.<br />

29 Vgl. Elstner: <strong>Die</strong> von Künsberg, S. 317.<br />

30 Nürnberger Kurier 1848, Nr. 131.<br />

200


<strong>Die</strong> Reaktionen der Juden<br />

Daß Christen eingriffen, um Juden zu schützen, war eine Ausnahme.<br />

<strong>Die</strong> christlichen Einwohner kamen ihren jüdischen Nachbarn kaum<br />

zu Hilfe und auch diese selbst leisteten keinen Widerstand. Gleiches<br />

war in Burgkunstadt beobachtet worden. Dort hatte eine Gruppe von<br />

12 bis 15 jungen Männern, wohl Bürgerssöhnen, des Nachts fast 80<br />

jüdische Haushalte terrorisiert. „Kein Bürger erschien <strong>auf</strong> der Strasse,<br />

um den Bedrängten beizustehen; die Israeliten selbst verkrochen sich<br />

in ihre Häusern“ 31 , ermittelte der Landrichter. Zu Plünderungen von<br />

Juden kam es auch in Fassoldshof (Landgericht Kulmbach). Kein<br />

Wunder, daß mehrere hundert Juden am 13. März mit <strong>dem</strong> Zug ins<br />

sichere Bamberg flohen.<br />

Wie den Redwitzer Juden nach den Erlebnissen zumute war, illustriert<br />

der Brief, den der Redwitzer Distriktsrabbiner Moses Gutmann<br />

(1805–1862) am 21. März 1848 an die Regierung von <strong>Oberfranken</strong><br />

schrieb. Er bat darin, seinen Wohnsitz nach Lichtenfels verlegen zu<br />

dürfen, und erinnerte in diesem Zusammenhang daran, „welche arge<br />

Ruhestörungen in hiesigem Orte stattfanden, wie namentlich die Israeliten<br />

von Seiten des rohen Pöbels mißhandelt, ihr Eigenthum zum<br />

Theil geplündert worden, ja selbst ihr Leben von großer Gefahr<br />

bedroht gewesen sei, wenn sie den verübten Gewaltthätigkeiten Widerstand<br />

geleistet hätten. In Folge dessen, und da bei der herrschenden<br />

Erbitterung eines Theiles der christlichen Bevölkerung über die<br />

militärische Besetzung des Ortes noch immerfort die heftigsten Drohungen<br />

gegen die jüdischen Einwohner laut werden, sind viele, und<br />

gerade die angesehensten jüdischen Familien entschlossen, den hiesigen<br />

Ort zu verlaßen, wo sie ihr Eigenthum und ihr Leben nicht<br />

mehr für sicher halten. Einige haben diesen Entschluß bereits ausgeführt.“<br />

<strong>Die</strong> israelitische Kultusgemeinde drohe „wenn nicht ganz,<br />

doch großentheils einzugehen“ 32 . Tatsächlich konstatierten Ende<br />

1849 Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde Redwitz: „Durch die<br />

betrübenden Vorfälle im hiesigem Orte im März des vorigen Jahres<br />

sind [...] mehrere, und zwar von den reichsten Familien im Begriffe,<br />

sich anderswo ansäßig zu machen“ 33 .<br />

<strong>Die</strong> Juden waren verbittert. <strong>Die</strong>s spürt man, wenn man den 1850<br />

gestellten Antrag des aus Redwitz kommenden Marx Gütermann 34<br />

<strong>auf</strong> <strong>das</strong> Bamberger Bürgerrecht liest: „Bis zum Jahre 1848 betrieb meine<br />

Handlung zu Redwitz schwunghaft und verlegte mich vorzüglich<br />

31 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 39r.<br />

32 StAB, K 3 C III, Nr. 190, fol. 268r–v.<br />

33 StAB, K 3 C III, Nr. 191, Schreiben vom 9.12.1849.<br />

34 Geboren 1813, zunächst Tuch-, in Bamberg Hopfenhändler.<br />

201


<strong>auf</strong> den En-gros-Handel mit Tuchwaaren. [...] <strong>Die</strong> bekannten Ereigniße<br />

zu Redwitz und in der dortigen Gegend im Jahre 1848 unterbrachen<br />

mein Geschäft und veranlaßten mich, mit meiner Familie<br />

hieher zu ziehen, weil zu jener Zeit dort weder Person noch Eigenthum<br />

sicher war. Obwohl ich stets mit den Bewohnern zu Redwitz<br />

freundlich zusammen lebte und dieselben durch mein Geschäft<br />

nur Vortheile zogen, so wurde doch auch mein Laden aus Habgier<br />

mit geplündert. <strong>Die</strong>ß hat es mir verleitet [!], jemals wieder nach Redwitz<br />

zu ziehen.“ 35<br />

Gütermann war kein Einzelfall. <strong>Die</strong> Plünderungen von 1848 bewegten<br />

viele Juden dazu, ihren Wohnsitz an einen sichereren Ort zu<br />

verlegen. So wollte der Bamberger Armenpflegschaftsrat 1852 „seit<br />

einiger Zeit“ beobachtet haben, „daß Israeliten aus allen benachbarten<br />

Gegenden sich in die hiesige Stadt drängen“ 36 . In Redwitz sank<br />

die Zahl der Juden von 189 im Jahr 1832 <strong>auf</strong> 76 im Jahr 1867 37 .<br />

Nachklang der Unruhen<br />

Was in Redwitz geschah, war und blieb im Landgericht Lichtenfels<br />

ein Einzelfall. Auf <strong>das</strong> ritterschaftliche Schney etwa griff der Aufstand<br />

nicht über. Hier wurde lediglich „mehrere Tage vor <strong>dem</strong> Ausbruche<br />

des Tumults ein nächtliches Attentat durch Abfeuern von 10 Schüssen<br />

in die Fenster des gutsherrlichen Schlosses gemacht“; dies stand<br />

offenbar, wie der Regierungspräsident erklärte, mit den Unruhen um<br />

Kronach „in keinem Zusammenhange“, sondern ging <strong>auf</strong> einen Streit<br />

zwischen Friedrich Graf Brockdorff (1782–1853) 38 und <strong>dem</strong> Porzellanfabrikanten<br />

Jakob Eichhorn (1818–1881) zurück 39 . Dazu paßt die<br />

Erinnerung eines alten Schneyers zu Beginn des 20. Jahrhunderts:<br />

„Unordnungen seien nicht vorgekommen bis <strong>auf</strong> einige Schüsse, die<br />

[...] Eichhorn abgegeben hatte“ 40 .<br />

Nach <strong>dem</strong> 13. März 1848 blieb auch Redwitz ruhig, zumal dort<br />

vom 14. an für elf Tage eine halbe Eskadron Chevaulegers einquartiert<br />

war, die am 25. März von zehn Infanteristen abgelöst wurden.<br />

Überhaupt fielen im Landgericht Lichtenfels keine Tumulte mehr vor;<br />

35 StadtAB, C 9/62, Nr. G 219, fol. 3r– 4r.<br />

36 StadtAB, C 9/62, Nr. L 176, fol. 13r.<br />

37 1832: StAB, K 14, Nr. 828, fol. 72r; 1867: Verzeichniß der Gemeinden des<br />

Königreichs Bayern, S. 141.<br />

38 Über ihn vgl. Register zur Matrikel der Universität Erlangen, S. 54.<br />

39 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 14r. Über Eichhorn vgl. Dippold: Anfänge<br />

und Entwicklung, S. 144 f.<br />

40 Pfarrarchiv Schney, Nr. 16 (Degel, Eugen: Allgemeine Pfarrbeschreibung,<br />

1914), pag. 116.<br />

202


Abb. 3:<br />

Schloß Schney.<br />

Zeichnung von<br />

Adam Friedrich<br />

Thomas Ostertag<br />

(1808 –1872)<br />

(Staatsbibliothek<br />

Bamberg,<br />

M.v.O.A.III.253)<br />

als einziges Vorkommnis in der Nacht vom 14. <strong>auf</strong> den 15. März erwähnte<br />

der Landrichter, es sei einem Juden in Mistelfeld ein Fenster<br />

eingeschlagen worden, „ohne daß weitere Gewaltthaetigkeiten oder<br />

Eingriffe <strong>auf</strong> die Habe verübt wurden“ 41 . Ein Wirt in Wolfsloch erhielt<br />

wenige Tage später einen anonymen Brief, es werde sich bei ihm <strong>das</strong><br />

„Freiheitsvolk“, 1000 Mann stark, treffen; er solle für Verpflegung sorgen<br />

42 . Doch blieb es bei diesem kryptischen Schreiben.<br />

Dennoch herrschte bei der Obrigkeit weiter Nervosität, insbesondere<br />

als im Frühjahr 1849 der erste Jahrestag der Märzunruhen herannahte.<br />

Der in Oberlangenstadt stationierte Gendarm wußte im<br />

Februar 1849 zu berichten, man habe „schon bedauerliche Drohungen<br />

<strong>auf</strong> baldiges Widerkommen des Monat März von Seite des Volkes<br />

gehört“ 43 ; freilich bestätigten sich die Befürchtungen nicht.<br />

Ein gerichtliches Nachspiel hatten die nächtlichen Tumulte von<br />

Redwitz im Juli 1849, als sich in Bamberg vor <strong>dem</strong> Schwurgericht –<br />

einer im Zuge der Reformgesetzgebung von 1848 neugeschaffenen<br />

41 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 40r.<br />

42 Ebd., fol. 107r, 108r.<br />

43 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 68r; vgl. auch fol. 74r.<br />

203


Einrichtung 44 – sechs Männer verantworten mußten, drei Floßknechte,<br />

zwei Maurergesellen, ein Korbmacher; er war der einzige Auswärtige.<br />

Einer wurde freigesprochen, zwei zu vier Jahren Arbeitshaus,<br />

drei zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Haupttäter, ein aus Redwitz<br />

stammender Soldat, unterstand der Militärjustiz.<br />

<strong>Die</strong> moralische Verantwortung für die Ausschreitungen in Redwitz<br />

und benachbarten Adelssitzen im Landgericht Kronach wiesen Einsendungen<br />

an Zeitungen einzelnen Adligen und ihren Beamten zu.<br />

Karl von Redwitz habe, nach<strong>dem</strong> ihm einige Fenster im Schloß Küps<br />

eingeschlagen worden seien, sogleich Militär aus Kronach geholt;<br />

Johann Vogel aus Unterlangenstadt warf ihm vor, daß er „dadurch die<br />

Gemüther <strong>auf</strong>regte und die späteren Stürme her<strong>auf</strong> beschwor“ 45 . Namentlich<br />

der Patrimonialrichter von Redwitz, Schney, Ober- und Unterlangenstadt,<br />

Joseph Dohrer, geboren 1791 in Neustadt a. d. Aisch<br />

und mit einer Lichtenfelser Bürgermeisterstochter verheiratet 46 , wurde<br />

vom März 1848 an wiederholt als „edelmännischer Pascha“ in<br />

Nürnberger Blättern angegriffen 47 . „Wer hat <strong>das</strong> Volk schon seit langer<br />

Zeit als verächtliche Canaille behandelt?“ fragte ihn der Schneyer<br />

Porzellanfabrikant Jakob Eichhorn im Mai 1848 in einem offenen<br />

Brief. „Wer drückte die armen Menschen fürchterlich mit Gelderpressungen<br />

und belegte sie bei der geringsten Veranlassung mit den<br />

derbsten Geldstrafen? Wer hat ganz allein in hiesiger Gegend eine böse<br />

Stimmung und ein tobendes Blut unter <strong>dem</strong> Volke hervorgerufen?<br />

Fragen Sie sich und alle Welt, und Jeder wird mit <strong>dem</strong> Finger <strong>auf</strong> Sie<br />

deuten.“ 48 Andererseits wurden auch Stimmen laut, die hinter den<br />

Unruhen Drahtzieher aus Sachsen-Meiningen vermuteten; einen solchen<br />

Verdacht, der freilich nicht zu erhärten war, äußerten Regierungspräsident<br />

von Stenglein 49 und ebenso die Augsburger ALLGEMEI-<br />

NE ZEITUNG 50 .<br />

44 Vgl. Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns, Bd. 3, S. 188; Finken: Gottlieb<br />

Freiherr von Thon-Dittmer, S. 325; Sing: <strong>Die</strong> Memoiren König Maximilians II.,<br />

S. 159.<br />

45 Der freie Staatsbürger 1849, S. 258.<br />

46 Vgl. AEB, Kirchenbücher Lichtenfels, Bd. 13, pag. 19.<br />

47 Der freie Staatsbürger 1849, S. 152.<br />

48 Nürnberger Kurier 1848, Nr. 131.<br />

49 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 165v: „Es wird wohl kaum gelingen, jemals<br />

juridische Beweiße dafür <strong>auf</strong>zubringen, aber meine moralische Überzeugung<br />

steht fest, daß die unsichtbaren Leiter aus <strong>dem</strong> Herzogthum Sachsen-Meiningen<br />

– allenfalls von Hildburghausen aus – operirten.“<br />

50 Allgemeine Zeitung vom 22.3.1848, Beilage: „Soweit man bis jetzt die Fäden<br />

des Aufstands verfolgen kan, so gehen sie in ein benachbartes thüringisches<br />

Herzogthum“.<br />

204


Jagdfrevel<br />

Neben der Patrimonialgerichtsbarkeit, die im Juni 1848 der Reformgesetzgebung<br />

zum Opfer fiel 51 , erregte <strong>das</strong> adlige Jagdprivileg Ärgernis.<br />

Besonders der allzu große Wildbestand im Banzer Revier des<br />

Herzogs Max in Bayern erzürnte seit langem die umliegenden, vielfach<br />

geschädigten Bauern 52 . Im März 1848 schritten die Untertanen<br />

zur Selbsthilfe. Ein damals in Buch am Forst tätiger Forstbeamter erinnerte<br />

sich in den 1880er Jahren: „Es war [...] <strong>das</strong> Erste der revoltirenden<br />

Bauern, in den Wald zu gehen, mit Buechsen jeden Kalibers<br />

und Zeitalters bewaffnet, und Alles zusammenzuschiessen“ 53 . Auch<br />

eine Bamberger Zeitung meldete am 20. März 1848, um Banz hätten<br />

die „Feldbesitzer [...] ein großes Treibjagen gehalten, viele Haasen<br />

und sieben Rehe erlegt, <strong>das</strong> Wildpret aber nicht mitgenommen“ 54 .<br />

Der Lichtenfelser Landrichter trat zwischen März und Mai 1848 wiederholt<br />

den uml<strong>auf</strong>enden Gerüchten entgegen, es bestehe nun ein<br />

allgemeines Jagdrecht 55 , offenbar mit geringem Erfolg. 1915 konstatierte<br />

der in Brückenau und vormals in Weismain tätige Tierarzt Alfred<br />

Ade: „Der stolze ,Edelhirsch‘ [...] war einst überall in Franken<br />

häufig, bis <strong>das</strong> unheilvolle Jahr 1848 durch Aufgebot sämtlicher bäuerlicher<br />

Schießprügel fast den ganzen Edelwildbestand zum Verschwinden<br />

brachte.“ 56 Geändert wurde <strong>das</strong> Jagdrecht im Juni 1848;<br />

<strong>das</strong> adlige Vorrecht wurde zugunsten der Grundeigentümer und Gemeinden<br />

beseitigt 57 .<br />

51 Vgl. Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner Staat, S. 493 – 498; Hesse:<br />

Gesetzgeber und Gesetzgebung in Bayern, S. 83 – 89; Finken: Gottlieb Freiherr<br />

von Thon-Dittmer, S. 308–318.<br />

52 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 254r–v. – Schon 1831 hatte der Lichtenfelser<br />

Landgerichtsassessor Thomas Rüblein „als Besitzer eines Landgutes“,<br />

nämlich des Gutshofes Frankenthal (Vierzehnheiligen), <strong>dem</strong> Landtag eine<br />

Beschwerde gegen den hohen Wildbestand vorgelegt, für den namentlich<br />

Maximilians Großvater, Herzog Wilhelm in Bayern, verantwortlich war. Vgl.<br />

Jäck: Thomas Rüblein, S. 359; auch Rüblein: Statistische und agrikole Beschreibung,<br />

S. 69 –71, der (S. 69) vom „Jagddespotismus in den herzoglich<br />

Banzer Jagdrevieren“ spricht; Text der Eingabe ebd., S. 113–116.<br />

53 StAB, G 35, Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 172 (Notiz vom 11.7.1886 über Mitteilung<br />

von Oberförster Franz Reuder, Koppenwind).<br />

54 Der Wahrheitsfreund 1848, S. 23; vgl. auch Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848,<br />

S. 336 (14.3.1848): „<strong>Die</strong> Bauern haben schon mehrere Tage lang alles Wild<br />

zusammen geschossen, was bisher zum Nachtheil ihrer Felder allzu sehr gehegt<br />

worden sein soll.“<br />

55 Vgl. StadtAL, A 990; Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 1.<br />

56 Ade: <strong>Die</strong> Tierwelt <strong>Oberfranken</strong>s, 3, S. 39.<br />

57 Vgl. Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner Staat, S. 492 f.; Sing: <strong>Die</strong><br />

Memoiren König Maximilians II., S. 158 f.<br />

205


Sicherheitswachen und Freikorps<br />

Der Regierungspräsident rief in den oberfränkischen Zeitungen vom<br />

16. März „alle guten Bürger dringend <strong>auf</strong>, die Behörden [...] kräftigst<br />

zu unterstützen, sich zahlreich der vor Allem zur Erhaltung der Ruhe<br />

und Ordnung berufenen Landwehr, sey es als wirkliche Landwehrmänner,<br />

sey es als Freiwillige anzuschließen, den Ruhestörern, wenn<br />

sie von ihrem gesetzlosen Treiben nicht unverzüglich abstehen, mit<br />

allem Muthe und aller Entschiedenheit entgegen zu treten“ 58 .<br />

In Lichtenfels hatte sich bereits am 13. März <strong>auf</strong> Betreiben des<br />

Landrichters Christoph Heinrich Eschenbach (um 1793–1871) 59 und<br />

des Landwehrhauptmanns eine Sicherheitswache gebildet, die von 21<br />

bis 5 Uhr durch die Stadt patrouillierte. Zu Beginn traten ihr 38 meist<br />

junge Männer bei, die ihre Bereitschaft zum Wachdienst <strong>dem</strong> Magistrat<br />

bekundet hatten, weitere 72 innerhalb einer Woche 60 . <strong>Die</strong>se<br />

Männer gehörten teils zur Landwehr, teils zu einem eigens gebildeten<br />

Freikorps, <strong>das</strong> schließlich den Wachdienst allein übernahm. Der<br />

Magistrat meldete am 10. Mai 1848 <strong>dem</strong> Landgericht, „daß <strong>das</strong> Korps<br />

der neugebildeten Freiwilligen dahier aus 74 Mann und die Landwehr<br />

aus 160 Mann bestehe“ 61 . <strong>Die</strong> hohe Bereitschaft unter den jungen<br />

Bürgern, sich zu einer Schutztruppe zusammenzuschließen, ist<br />

wohl auch aus den vielerorts erhobenen Märzforderungen nach<br />

Volksbewaffnung zu erklären 62 . <strong>Die</strong> an die Landwehr angeglichene<br />

Organisation mit einem Hauptmann an der Spitze 63 und weiteren Offizieren<br />

verlieh <strong>dem</strong> Freikorps einen offiziellen, <strong>auf</strong> Dauerhaftigkeit<br />

ausgerichteten Charakter; dessen äußeres Zeichen war die weißblaue<br />

Fahne, welche die „Iungfrauen“ der Stadt <strong>dem</strong> „Landwehr Freikorps“<br />

im September 1848 schenkten 64 .<br />

58 Bayreuther Zeitung vom 16.3.1848, Beilage.<br />

59 Über Eschenbach vgl. Register zur Matrikel der Universität Erlangen, S. 150;<br />

Meyer: Chronik der Königlich Privilegierten Scharfschützengesellschaft, S. 114.<br />

60 Vgl. Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 1; zur Geschichte des<br />

Lichtenfelser Freikorps auch Hößel: <strong>Die</strong> Lichtenfelser Landwehr, S. 17–20.<br />

61 StadtAL, A 991, Konzept vom 10.5.1848.<br />

62 Zur Forderung nach Volksbewaffnung, der Gründung von Volkswehren und<br />

den daraus entstehenden Problemen vgl. Pröve: Politische Partizipation; ders.:<br />

Bürgerwehren.<br />

63 Hauptmann des Freikorps, <strong>das</strong> sich auch als „Volkswehr“ bezeichnete, war<br />

der K<strong>auf</strong>mann Konrad Baumann († 1849), der Ende 1848 oder Anfang 1849<br />

auch zum Unterleutnant der Landwehr ernannt wurde. Vgl. StadtAL, A 991,<br />

Quittung vom 20.7.1848; Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 2;<br />

Königlich bayerisches Intelligenz-Blatt für <strong>Oberfranken</strong>. Auf <strong>das</strong> Jahr 1849, S.<br />

652.<br />

64 Vgl. Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 2; Hößel: <strong>Die</strong> Lichtenfelser<br />

Landwehr, S. 19 f. (mit Abb. der Fahne).<br />

206


Offenbar trug die Existenz der Lichtenfelser Nachtwache tatsächlich<br />

dazu bei, die Ruhe zu wahren: Aufstände in Schney seien nicht<br />

zu erwarten, meinte am 14. März 1848 der Regierungspräsident, und<br />

zwar nicht zuletzt <strong>auf</strong>grund „der Nähe von Lichtenfels“ und „den<br />

dortselbst angeordneten Maßregeln“ 65 . Um ihre Schlagkraft zu erhöhen,<br />

erhielt die Lichtenfelser Sicherheitswache im Mai 1848 <strong>auf</strong> Anweisung<br />

der Regierung von <strong>Oberfranken</strong> 100 Gewehre aus <strong>dem</strong><br />

Nürnberger Zeughaus, die sie im Januar 1850 <strong>auf</strong> Geheiß wieder ablieferte;<br />

75 Gewehre wurden an <strong>das</strong> Freikorps abgegeben, <strong>das</strong> sich in<br />

Staffelstein gebildet hatte 66 . Weitere freiwillige Sicherheitswachen etablierten<br />

sich in Altenkunstadt 67 und in Burgkunstadt 68 .<br />

Volksversammlungen in Staffelstein 1848<br />

In Bamberg hatte am 4. März 1848 eine Volksversammlung unter Leitung<br />

des Advokaten und späteren Paulskirchenabgeordneten Nikolaus<br />

Titus (1808–1874) 69 eine Adresse an den bayerischen König<br />

beschlossen, die <strong>dem</strong> Offenburger Programm von 1847 entsprechenden<br />

14 Artikel, in denen die Bürger über die liberalen Forderungen<br />

hinaus <strong>das</strong> allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht, die Abschaffung<br />

ständischer Sonderrechte und die Schaffung eines Nationalstaats mit<br />

Nationalparlament verlangten 70 .<br />

Auch in Staffelstein tagten mindestens drei Volksversammlungen.<br />

Dabei wurde am 16. März eine Forderung nicht an den Staat, sondern<br />

an die Gemeindeoberen gerichtet: <strong>Die</strong> Sitzungen des Magistrats<br />

und der Gemeindeverordneten sollten künftig öffentlich sein 71 . Ferner<br />

verabschiedete die Versammlung noch Adressen an die Kammer<br />

der Abgeordneten und an die Bürger Münchens, wobei sich die<br />

Unterzeichner wohl mit den Münchner Forderungen vom 3. März solidarisch<br />

erklärten. <strong>Die</strong> Forderungen der Staffelsteiner waren umfassend<br />

und weitreichend; die Adresse an den Landtag zielte <strong>auf</strong> eine<br />

radikale Umgestaltung der politischen Verfassung in Bayern und im<br />

Deutschen Bund. Im einzelnen wurde folgendes verlangt: „I. <strong>das</strong><br />

Recht der Initiative zu Verfassungsreformen. II. Umarbeitung der jetzt<br />

65 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 14v.<br />

66 Vgl. StadtAL, A 991, Schreiben vom 17.5.1848.<br />

67 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 827, fol. 67v– 68r; auch Wolf: Von der Geschichte.<br />

68 Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 369.<br />

69 Über ihn grundlegend Winkler: Nikolaus Titus.<br />

70 Edition der Artikel im vorliegenden Band, S. 394 – 400.<br />

71 Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 369.<br />

207


estehenden Verfassung, und zwar: 1) Ein Kammersystem; 2) Abschaffung<br />

des Wahlcensus; 3) Vereidigung des Militärs <strong>auf</strong> die Verfassung;<br />

4) ein Gesetz über Verantwortlichkeit der Minister mit genauen<br />

Strafbestimmungen; 5) Preßfreiheit im vollkommensten Sinne, Aufhebung<br />

der Postdebits-Entziehung; 6) vollkommene Gewissens- und<br />

Lehrfreiheit, Trennung der Kirche vom Staat; 7) unverkümmertes<br />

Recht des Volkes, sich zu versammeln und zu berathen; 8) Einführung<br />

einer gerechten Steuer, Capital- und Einkommensteuer; 9) Oeffentlichkeit<br />

und Mündlichkeit der Rechtspflege mit Geschwornengerichten<br />

nach Englands Muster; 10) Reorganisation der Polizei und<br />

Abfassung eines Polizeistrafgesetzbuches; 11) Abschaffung aller Feudallasten,<br />

namentlich des Jagdregals; 12) Aufhebung aller Privilegien;<br />

13) Erstrebung der möglichsten Vertheilung zwischen Arbeit und Kapital;<br />

14) Einführung allgemeiner Volksbewaffnung, Verminderung<br />

der stehenden Heere; 15) Abschaffung des Lottos. III. Gänzliche Reorganisation<br />

der Bundesverfassung mit vom Volke gewählten Vertretern,<br />

jedoch ohne Ober- und Unterhaus! Ferner: Ermäßigung des<br />

Briefportos, Einführung gleichmäßigen Zeitungsportos; allgemeines<br />

Staatsbürgerrecht, gleiches Civil- und Strafgesetzbuch, Gleichheit des<br />

Rechtes und Gewichtes für Deutschland; Amnestie für alle politischen<br />

Vergehen und Verbrechen.“ 72<br />

Urheber der Staffelsteiner Adressen waren vermutlich der örtliche<br />

Arzt und mehrere junge Leute, Anhänger von Nikolaus Titus. Schlaglichtartig<br />

machen die Berichte über diese Adressen deutlich, welchen<br />

Problemen wir bei der Rekonstruktion schon der reinen Ereignisgeschichte<br />

gegenüberstehen: Dem FRÄNKISCHEN MERKUR zufolge unterzeichneten<br />

rund 100 Bürger, laut TAG-BLATT DER STADT BAMBERG waren<br />

es wenig mehr als 40 73 .<br />

<strong>Die</strong> weitere Entwicklung in Staffelstein zeigt freilich, daß <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

Land die republikanisch-<strong>dem</strong>okratische Propaganda, die in Bamberg<br />

so erfolgreich war – die Wahl von Titus zum Abgeordneten der Nationalversammlung<br />

ist der deutlichste Beleg –, nur sehr langsam an<br />

Boden gewann. Am 9. Mai 1848 versicherte Regierungspräsident von<br />

Stenglein <strong>dem</strong> Innenministerium, „daß der Geist im Landgerichtsbezirke<br />

Lichtenfels sehr gut ist und sich energisch gegen <strong>das</strong> Treiben<br />

der Bamberger Fraktion ausspricht“ 74 .<br />

<strong>Die</strong> Ablehnung <strong>dem</strong>okratischen Gedankenguts hatte sich einige<br />

Wochen zuvor erwiesen, als am 24. April ein Bamberger „Comité“ in<br />

72 Vgl. Fränkischer Merkur vom 26.3.1848.<br />

73 Vgl. Fränkischer Merkur vom 26.3.1848; Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848,<br />

S. 369.<br />

74 BayHStA, MInn 46044, Schreiben vom 9.5.1848.<br />

208


Staffelstein eine Volksversammlung veranstalten wollte. „Vielseitigem<br />

wiederholtem Verlangen entsprechend“ werde „eine Volksversammlung<br />

zur Besprechung der jetzigen hochwichtigen Volksangelegenheiten<br />

in Staffelstein abgehalten werden“, kündigte <strong>das</strong> Organ der<br />

Bamberger Republikaner, der FRÄNKISCHE MERKUR, an 75 . Eingeladen<br />

hatte die Bamberger Anton Stark 76 , 1827 als Sohn eines Rotgerbers in<br />

Staffelstein geboren 77 und Student der Rechte in Würzburg. Ferner<br />

standen hinter <strong>dem</strong> Plan offenbar der einige Jahre in Staffelstein tätige<br />

Arzt Dr. Ott 78 und der Münchner Student Burkhard Glosse, der<br />

sich bei Verwandten in Staffelstein <strong>auf</strong>hielt 79 . Ferner galt Johann Baptist<br />

Müller, der minderjährige Sohn eines K<strong>auf</strong>manns, als einer der<br />

„Agenten“ der Bamberger Demokraten in Staffelstein 80 .<br />

Über die Ereignisse des 24. April sind wir bestens unterrichtet:<br />

durch Meldungen und Erklärungen in Zeitungen verschiedener Couleur<br />

81 , durch Behördenberichte 82 , durch eine zeitgenössische Schilderung<br />

von <strong>dem</strong>okratischer Seite 83 und durch den Privatbrief eines<br />

monarchischen Spitzels 84 . Unter den etwa 25 Bambergern, die am<br />

Morgen des Ostermontags 1848 mit der Bahn nach Staffelstein fuhren,<br />

waren nämlich nicht nur namhafte Bamberger Republikaner wie<br />

der Redakteur Karl Heger (1805–1874), der Arzt Dr. Heinrich Heinkelmann<br />

(1807–1866), der Advokat Ignaz Prell († 1874), der Jurist Dr.<br />

David Morgenstern (1814 –1882) – nachmals der erste bayerische<br />

75 Fränkischer Merkur vom 23./24.4.1848.<br />

76 Vgl. Fränkischer Merkur vom 22.5.1848.<br />

77 Vgl. AEB, Kirchenbücher Staffelstein, Bd. 4, pag. 128.<br />

78 Möglicherweise ist er identisch mit Johann Christian Michael Ott aus Bamberg,<br />

geboren um 1812, der sich 1831, von der Universität Würzburg kommend,<br />

als Medizinstudent an der Universität Erlangen immatrikulierte. Vgl.<br />

Register zur Matrikel der Universität Erlangen, S. 359.<br />

79 Vgl. BayHStA, MInn 46044, Schreiben vom 9.5.1848.<br />

80 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 375v („längst als Anhänger des Titus<br />

bekannt“).<br />

81 Berichte überregionaler Zeitungen: Der freie Staatsbürger 1848, S. 16; Allgemeine<br />

Zeitung 1848, S. 1891; Neue Würzburger Zeitung 1848, Nr. 117. Nachweise<br />

zu den Bamberger Zeitungen im folgenden.<br />

82 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 337r–338v (Gendarmeriestation Staffelstein<br />

an Gendarmerie-Kompanie-Kommando Bayreuth, 24.4.1848), 339r–340v<br />

(Landgericht Lichtenfels an Regierungspräsidium, 24.4.1848), 345r–348r (Regierungspräsident<br />

an Staatsministerium des Innern, 25.4.1848), 371r–377r<br />

(Landgericht Lichtenfels an Regierungspräsidium, 27.4.1848)<br />

83 Dresch: <strong>Die</strong> Umtriebe in Bamberg, S. 8–10.<br />

84 Luthardt: Mein Werden und Wirken, S. 72–79. – August Emil Luthardt<br />

(1824–1906), Sohn des Nürnberger Hauptzollamtsverwalters, war damals Jurastudent.<br />

Er beendete seine berufliche L<strong>auf</strong>bahn als Regierungsdirektor bei<br />

der Regierung von Schwaben und Neuburg. Über ihn vgl. Register zur Matrikel<br />

der Universität Erlangen, S. 304; Ludolphy: Luthardt, Ernst.<br />

209


Abb. 4 (links): Dr. David Morgenstern, Landtagsabgeordneter<br />

1848 –1855 (Staatsbibliothek Bamberg, M.v.O.B.I.53)<br />

Abb. 5 (rechts): Ignaz Prell, Landtagsabgeordneter 1848–1855<br />

(Staatsbibliothek Bamberg, M.v.O.B.I.58)<br />

Landtagsabgeordnete jüdischen Glaubens 85 –, der Zeitungsbesitzer<br />

Hans Julius Ecker von Eckhofen (1796–1848) 86 , sondern auch drei<br />

Studenten, die, vorgeblich Gesinnungsgenossen, im Auftrag des Bamberger<br />

Stadtkommissars die Vorgänge beobachten sollten 87 . Titus, dessen<br />

Ankunft mancher Einwohner des Landgerichts Lichtenfels mit Sorge<br />

erwartete 88 , war wegen einer Erkrankung in Bamberg geblieben 89 .<br />

85 Über ihn vgl. Sponsel: David Morgenstern; Schwarz: Forchheim im Industriezeitalter,<br />

S. 57–61.<br />

86 Lebensdaten in: Gothaisches genealogisches Taschenbuch der freiherrlichen<br />

Häuser <strong>auf</strong> <strong>das</strong> Jahr 1866 (Jg. 16), S. 189.<br />

87 Einer der drei Studenten, der spätere Augsburger Regierungsdirektor August<br />

Emil Luthardt, schrieb Jahrzehnte später an den Sohn des damaligen Stadtkommissars<br />

Stephan von Haupt: „Dein Vater war kein Freund des Polizeisteckens,<br />

er war sehr gutmüthig, für <strong>das</strong> Wohl seines <strong>Bezirk</strong>es <strong>auf</strong>richtig<br />

bemüht und einem wohlgemessenen Fortschritte geneigter als die damalige<br />

Regierung. Er selbst forderte uns zu jener Fahrt nach Staffelstein <strong>auf</strong>; er sagte,<br />

wir könnten da vielleicht etwas Interessantes erleben und jedenfalls ihm<br />

verlässige Nachricht über <strong>das</strong> erwartete Fiasko der Republikaner bringen.“<br />

StAB, G 35, Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 409k.<br />

88 Studenten, die, von Staffelstein kommend, in Lichtenfels eintrafen, wurden<br />

von einem älteren Mann gefragt, ob in Staffelstein „die <strong>Revolution</strong> schon ausgebrochen<br />

sei“. Erläuternd setzte er hinzu: „Ja, der Titus, der Titus soll kommen<br />

und die <strong>Revolution</strong> ausrufen.“ Luthardt: Mein Leben und Wirken, S. 73.<br />

89 Vgl. Dresch: <strong>Die</strong> Umtriebe in Bamberg, S. 8.<br />

210


Als die Gruppe aus Bamberg in Staffelstein angekommen war,<br />

fand im Wirtshaus von Joseph Schmelzing eine vorbereitende Besprechung<br />

statt. Um 1 Uhr sollte die Volksversammlung beginnen. Als<br />

am späten Vormittag die Leute aus der Kirche kamen und sich <strong>auf</strong><br />

<strong>dem</strong> Marktplatz unterhielten, begann Dr. August Geyer eine Ansprache,<br />

um für die bevorstehende Versammlung zu werben.<br />

Geyer, Assistenzarzt im Bamberger Krankenhaus, war 1816 in Lichtenfels<br />

als uneheliches Kind eines Zollbeamten und einer Bürgerstochter<br />

zur Welt gekommen; er starb im September 1848 in Frankfurt<br />

an den Folgen einer Schußwunde, die er beim Barrikadenkampf erlitten<br />

hatte 90 .<br />

Der König solle hoch leben, sagte er, doch die schlechten Beamten<br />

und Pfaffen solle <strong>das</strong> Volk fortjagen. Da widersprach ihm der<br />

Nachtwächter: „Wir brauchen keine Republik, wir haben einen Koenig,<br />

unser Herr Landrichter belehrt uns schon, was wir zu thun haben.“<br />

91 Mit Regenschirmen schlugen die Leute <strong>auf</strong> Geyer ein und<br />

auch <strong>auf</strong> Dr. Heinkelmann, der <strong>dem</strong> Bedrängten zu Hilfe kommen<br />

wollte. Beide zogen sich in <strong>das</strong> Wirtshaus zurück, in <strong>dem</strong> die übrigen<br />

führenden Republikaner saßen. Als sie zusagten, keine Versammlung<br />

abzuhalten, ließ die Menge sie abziehen; etliche Männer<br />

aber liefen ihnen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Weg zum Bahnhof 92 nach. „<strong>Die</strong> Jüngeren<br />

[...] kamen unversehrt davon, Dr. Heinkelmann, Heger und Dr. Geyer<br />

wurden aber erreicht und, des Abwehrens der Magistratsmitglieder<br />

und der Gendarmen ohnegeachtet, geschlagen und mit Steinen geworfen,<br />

bis sie endlich auch Schutz im Bahnhof fanden.“ 93 Es fuhr<br />

gerade ein Zug nach Bamberg ein, den die Bamberger Republikaner<br />

bestiegen. Eine wütende Menge drängte in den Waggon, doch der<br />

mit <strong>dem</strong> Zug angekommene Landgerichtsassessor Johann Friedrich<br />

Schneider (1804 –1852) hielt sie ab, bis der Zug abfuhr.<br />

Eine kleinere Gruppe der Bamberger Republikaner hatte sich frühzeitig<br />

in <strong>das</strong> Wirtshaus zum „Grünen Baum“ begeben und verließ<br />

Staffelstein ohne Aufsehen zu Fuß, als sie erfahren hatten, was ihren<br />

Gesinnungsgenossen widerfahren war 94 .<br />

90 Vgl. AEB, Kirchenbücher Lichtenfels, Bd. 5, pag. 54; zu seinem Tod vgl. auch<br />

einen Brief von Nikolaus Titus, auszugsweise zit. in: Der Freund der Wahrheit<br />

und des Volkes 1848, S. 176.<br />

91 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 337v.<br />

92 Erst nach 1868 wurden allmählich an der Bahnhofstraße Häuser errichtet. Vgl.<br />

Staffelstein und seine Dörfer, S. 36.<br />

93 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 373v–374r. Darüber, wie schwer die ihnen<br />

zugefügten Verletzungen waren, gibt es unterschiedliche Angaben. Von erheblichen<br />

Wunden berichtet Dresch: <strong>Die</strong> Umtriebe in Bamberg, S. 9; vgl. dagegen<br />

den Bericht des Landrichters: StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 375v.<br />

94 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 375v.<br />

211


Offenbar war die geplante Volksversammlung in der Umgebung<br />

<strong>auf</strong> Interesse gestoßen. So machten sich zwar etliche Interessenten<br />

<strong>auf</strong> den Weg nach Staffelstein 95 , manche kehrten aber um, bevor sie<br />

ihr Ziel erreicht hatten, sobald sie von den Unruhen hörten. So notierte<br />

der Coburger Lehrer Philipp Carl Gotthard Karche (1780–1854)<br />

in seiner Chronik: „Viele Coburger waren hinunter gefahren, manche<br />

indeß <strong>auf</strong> Anrathen in Lichtenfels geblieben.“ 96<br />

Welche Ursachen die Ausschreitungen hatten, wurde in den genannten<br />

Quellen ganz und gar unterschiedlich dargelegt. <strong>Die</strong> Gendarmeriestation<br />

und <strong>das</strong> Landgericht gaben <strong>dem</strong> provokanten Auftritt<br />

Geyers die Schuld. Doch war dies wohl nur die halbe Wahrheit. Eine<br />

Rolle spielten gewiß auch die Geistlichen. So überlieferte einer der<br />

Spitzel, im Wirtshaus habe im Anschluß an den Tumult die Wirtin, die<br />

Frau des Bürgermeisters, „mit schadenfroher Miene“ zum hereinkommenden<br />

Kaplan 97 gesagt: „Aber Herr Kaplan, warum haben Sie<br />

uns denn in Ihrer Predigt von der heutigen Versammlung nichts gesagt,<br />

und wie wir uns zu benehmen hätten, so hätten wir uns doch<br />

<strong>auf</strong> einen tüchtigeren Empfang vorbereiten können; aber so haben<br />

Sie blos von den Wölfen in Schafskleidern gesprochen, und von den<br />

falschen Propheten, die im <strong>Lande</strong> herumziehen und Unordnung predigen,<br />

und daß wir uns vor ihnen hüten sollen“. Der Kaplan nahm<br />

diese ironische Bemerkung schmunzelnd <strong>auf</strong> 98 .<br />

Auch Pfarrer Georg Heinrich Daig (1804–1863) 99 predigte gewiß<br />

gegen republikanisches Gedankengut: Er habe, urteilte 1852 der Regierungspräsident,<br />

sich „offen und von der Kanzel trotz wiederholter<br />

Drohungen gegen <strong>dem</strong>okrat. Bestrebungen“ ausgesprochen; ihm sei<br />

deren geringer Erfolg in der Stadt zu verdanken 100 . Ferner sei der einflußreiche<br />

Stadtschreiber Wilhelm Schellerer 101 – eine Nürnberger Zeitung<br />

titulierte ihn als „Großmogul von Staffelstein“ 102 – gegen die De-<br />

95 Der Zug, in den sich die Republikaner flüchteten, brachte „mehrere hundert<br />

Personen aus Lichtenfels, dann mehrere Bewohner von Weismain, Burgkundstadt,<br />

Culmbach, Coburg etc. etc., welche der Volksversammlung beiwohnen<br />

wollten“, nach Staffelstein. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 374r.<br />

96 Stadtarchiv Coburg, Coburgica I/11a.<br />

97 Balthasar Unger (1810–1864) oder Michael Kohlmann (1806–1865).<br />

98 Luthardt: Mein Werden und Wirken, S. 75.<br />

99 Über ihn vgl. Wachter: General-Personal-Schematismus, Nr. 1387.<br />

100 Zinner: Zur <strong>Revolution</strong> von 1848/49 in <strong>Oberfranken</strong>, S. 113 (auch zum folgenden).<br />

101 Wilhelm Schellerer, geboren am 27. Mai 1798 in Neumarkt i. d. Oberpfalz als<br />

Sohn eines Oberlieutnants, heiratete 1826, bereits Stadtschreiber in Staffelstein,<br />

die Bamberger Bäckerstochter Nanni Braun. Vgl. AEB, Kirchenbücher<br />

Staffelstein, Bd. 7, pag. 46.<br />

102 Der freie Staatsbürger 1849, S. 833.<br />

212


mokraten <strong>auf</strong>getreten. Schellerer, deswegen in der Presse attackiert 103 ,<br />

empfing seine Belohnung durch die Wahl zum Landwehrhauptmann<br />

in Staffelstein Ende 1848 oder im ersten Halbjahr 1849 und die kurz<br />

dar<strong>auf</strong> erfolgte Ernennung zum Major und Bataillonskommandanten<br />

der Landwehr im Landgericht Lichtenfels 104 . Schellerer blieb <strong>das</strong> Ziel<br />

von Angriffen: Ende 1848 bemühten sich die Staffelsteiner Demokraten,<br />

den Stadtschreiber und den gesamten Magistrat durch eine Änderung<br />

des Rechtsstatus von Staffelstein zu entmachten 105 .<br />

Demokratische Blätter sahen in den Ausschreitungen eine geplante<br />

Aktion ihrer Gegner, deren „Werkzeug“ 106 der aus Lichtenfels stammende,<br />

in Bamberg lebende K<strong>auf</strong>mann Johann Baptist Silbermann<br />

(geb. 1813) 107 gewesen sei 108 . Entsprechend urteilte der Nürnberger<br />

Publizist Gustav <strong>Die</strong>zel: „Es ist notorisch, daß er sich in Staffelstein eine<br />

Rotte desperater Gesellen um Geld warb und durch Getränke, die<br />

er bezahlte, und durch <strong>auf</strong>reizende Reden fanatisirte.“ 109 Silbermann,<br />

eine im Hinblick <strong>auf</strong> sein Geschäftsgebaren fragwürdige Figur 110 ,<br />

103 Vgl. Der freie Staatsbürger 1849, S. 161, 304, 833.<br />

104 Vgl. Königlich bayerisches Intelligenz-Blatt für <strong>Oberfranken</strong>. Auf <strong>das</strong> Jahr<br />

1849, S. 652, 924; Hößel: <strong>Die</strong> Lichtenfelser Landwehr, S. 30.<br />

105 Im Oktober 1848 hatte ein großer Teil der Bürgerschaft beantragt, Staffelstein,<br />

damals eine Stadt III. Klasse, zur Ruralgemeinde zurückzustufen. Vom<br />

Landgericht befragt, sprach sich eine überwältigende Mehrheit (124 von 140<br />

Bürgern) dafür aus. Eine Ruralgemeinde hatte allerdings keinen Magistrat,<br />

sondern nur ein kommunales Gremium, die Gemeindeverwaltung. „Der alte<br />

Magistrat [...] war somit gesetzlich gestürzt, in die neue Verwaltung wurden<br />

freisinnige Männer gewählt und verpflichtet.“ Gegen die Umwandlung der<br />

Stadt in eine Ruralgemeinde wandte sich jedoch eine Gruppe von Bürgern,<br />

angeführt von Schellerer. Der freie Staatsbürger 1849, S. 161.<br />

106 <strong>Die</strong>zel: Baiern und die <strong>Revolution</strong>, S. 172 Anm.<br />

107 Über ihn Schwarz: Forchheim im Industriezeitalter, S. 72–75.<br />

108 Vgl. Der freie Staatsbürger 1848, S. 15 f.: „Ueber die Vorgänge in Staffelstein<br />

[...] gehen uns ausführliche Mittheilungen aus bester Quelle zu. [...] Eine Anzahl<br />

Bamberger, welche früh 9 Uhr in Staffelstein angekommen waren, wurden<br />

von einer betrunkenen und offenbar gedungenen Rotte, mit welcher ein<br />

gewisser Silbermann, ein anrüchiges Individuum, Arm in Arm herumgezogen<br />

war, in ein Haus gedrängt und darin eingeschlossen. [...] Jener Silbermann<br />

hatte von Lichtenfels eine weitere, etwa 300 Köpfe starke Rotte herbeigeholt.“<br />

– Dagegen bestritt Silbermann die gegen ihn erhobenen Vorwürfe am<br />

9. Mai 1848. Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 643.<br />

109 <strong>Die</strong>zel: Baiern und die <strong>Revolution</strong>, S. 172 Anm.<br />

110 Der Lichtenfelser Landrichter wußte 1858 zu berichten, Silbermann habe in<br />

Lichtenfels „ein berüchtigtes Schwärzergeschäft“ betrieben – also Schmuggel<br />

organisiert – und durch einen „namhaften Banquerott den meisten seiner<br />

Gläubiger sehr empfindliche Verluste zugefügt“. Zit. nach Schwarz: Forchheim<br />

im Industriezeitalter, S. 74. – Im Jahr 1848 war Silbermann „Geschäftsreisender<br />

für mehrere englische und sächsische Häuser“. Chronik der Familie<br />

Messerschmitt, S. 244.<br />

213


gehörte – anders als seine Kronacher Verwandten – zu den entschiedenen<br />

Gegnern der Republikaner.<br />

Auch andere Namen kursierten; so machte man in Bamberg eine<br />

Reihe von Staffelsteiner Bürgern, die beiden Lichtenfelser Advokaten<br />

111 , einen jüdischen K<strong>auf</strong>mann und den Apotheker in Lichtenfels<br />

sowie den Bamberger Bahninspektor Dr. Georg Heinrich Bernhard<br />

Löhner (1804 –1864) 112 für die Übergriffe <strong>auf</strong> die Republikaner am<br />

Ostermontag 1848 verantwortlich 113 .<br />

Als Silbermann am Abend des 24. April 114 nach Bamberg zurückkehrte,<br />

verhielt er sich ungeschickt. Er führte, heftig gestikulierend,<br />

Gespräche mit Löhner und mehreren Offizieren, denen er zu ihrer<br />

sichtlichen Freude von der mißglückten Volksversammlung erzählte.<br />

Auf seinem Weg in die Stadt wurde er angepöbelt, schließlich schlugen<br />

<strong>auf</strong>gebrachte Bamberger <strong>auf</strong> ihn ein. Verletzt rettete er sich in die<br />

Hauptwache, doch schickte ihn der Standortkommandant, Oberst v.<br />

Stetten, zur Sicherheit der Soldaten wieder hinaus. Nun wurde Silbermann<br />

nach den Aussagen von Augenzeugen halbtot geschlagen –<br />

111 Der Advokat Adam Rapp und sein Bruder, der Bamberger Arzt Dr. Joseph<br />

Rapp, bezeichneten entsprechende Gerüchte „als böswillige Lüge“. Tag-Blatt<br />

der Stadt Bamberg 1848, S. 566.<br />

112 Löhner, ein gebürtiger Nürnberger, hatte ab 1823 in Erlangen Theologie studiert<br />

und anschließend von 1828 bis ca. 1833 als Vikar in Fürth gewirkt. Von<br />

1834 bis 1836 war er Redakteur der ALLGEMEINEN ZEITUNG VON UND FÜR BAY-<br />

ERN in Nürnberg. Möglicherweise ist er identisch mit <strong>dem</strong> George Löhner, der<br />

1835 eine homöopathische Schrift publizierte (<strong>Die</strong> homöopathischen Kochsalzversuche<br />

zu Nürnberg. Als Anhang: Ein <strong>Beispiel</strong> homöopathischer Heilart.<br />

Von einer Gesellschaft wahrheitsliebender Männer veröffentlicht durch<br />

George Löhner. Nürnberg 1835). Ab 1836 war er Kommissar der Eisenbahn<br />

Nürnberg–Fürth, seit 1841 war er im Staatsdienst. Zum Bahnverwalter in<br />

Bamberg wurde er Ende 1844 ernannt. Aufgrund seines anti-republikanischen<br />

Engagements im Jahr 1848 stieg er im folgenden in der Eisenbahnund<br />

Postverwaltung <strong>auf</strong>. 1849 wurde er als Betriebs-Inspektor und Vorstand<br />

an <strong>das</strong> Bahnamt Hof versetzt, 1852 war er Betriebs-Inspektor beim Oberpostund<br />

Bahnamt von Mittelfranken in Nürnberg. Er starb als Postrat in Fürth.<br />

Vgl. Beckh: Deutschlands erste Eisenbahn, S. 245 –250; ergänzend Hof- und<br />

Staats-Handbuch des Königreichs Bayern 1849, S. 171; 1852, S. 150; Register<br />

zur Matrikel der Universität Erlangen, S. 285.<br />

113 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 406r– 408r. Verdächtigt wurde überdies<br />

der Bamberger Appellationsgerichtsratsakzessist Dr. Schüttinger, für den<br />

der Kronacher Stadtmagistrat am 5. Mai 1848 eine öffentliche Ehrenerklärung<br />

abgab. Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 619.<br />

114 Zu den Vorkommnissen dieses Abends vgl. vornehmlich StAB, K 3 Präs.reg.,<br />

Nr. 813/I, fol. 351r–355v; Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 559; Der freie<br />

Staatsbürger 1848, S. 16; Allgemeine Zeitung 1848, S. 1891 (dagegen Der<br />

Wahrheitsfreund 1848, S. 181 f.); Dresch: <strong>Die</strong> Umtriebe in Bamberg, S. 10 f.;<br />

StAB, G 35, Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 428– 459; Luthardt: Mein Werden<br />

und Wirken, S. 77 f.; Chronik der Familie Messerschmitt, S. 244.<br />

214


nur dank seiner Leibesfülle, meinte ein Beobachter, habe er überlebt<br />

115 – und ins Wachlokal gebracht. <strong>Die</strong> Bürger wüteten weiterhin.<br />

Da Oberst v. Stetten nicht <strong>auf</strong> sie schießen ließ, ihrer aber nicht Herr<br />

wurde, mußte schließlich der Advokat Titus geholt werden, der die<br />

<strong>auf</strong>gebrachte Menge mit einer Ansprache beruhigte – ein Auftritt, der<br />

weithin Aufsehen machte und wohl mitverantwortlich für die beinahe<br />

einstimmige Wahl von Titus zum Abgeordneten für die Nationalversammlung<br />

wenige Tage später. Für die <strong>auf</strong>gewühlte Stimmung<br />

jener Tage spricht, daß man in Staffelstein mit Racheakten der Demokraten<br />

rechnete 116 , während in Bamberg am 25. April <strong>das</strong> Gerücht,<br />

3000 Flößer wollten die Stadt plündern, um Silbermann zu rächen,<br />

für Aufregung sorgte 117 . Bahninspektor Löhner verließ Bamberg, um<br />

„<strong>dem</strong> Schicksal des K<strong>auf</strong>mann Silbermann zu entgehen“ 118 .<br />

Einige Täter, die Silbermann mißhandelt hatten, wurden bestraft,<br />

hingegen blieben die in Staffelstein eingeleiteten Untersuchungen<br />

ohne Ergebnis, so daß DER FREUND DER WAHRHEIT UND DES VOLKES fragte,<br />

„warum denn eigentlich die Bamberger Bürger in der Silbermann’schen<br />

Sache sitzen, während die Staffelsteiner frei herumgehen“<br />

119 . Angeblich ruhte die Untersuchung gegen die Täter, so daß<br />

ein Jahr nach der gescheiterten Volksversammlung in einer Coburger<br />

Zeitung „Mehrere der hierbei Mißhandelten“ den zuständigen Staatsanwalt<br />

<strong>auf</strong>forderten, endlich weiterzuermitteln 120 .<br />

In Staffelstein wandte sich die öffentliche Meinung zunächst offenbar<br />

gegen die einheimischen Demokraten. Am 9. Mai 1848 meldete<br />

der Regierungspräsident an <strong>das</strong> Innenministerium, es halte sich „keines<br />

dieser Individuen mehr in Staffelstein <strong>auf</strong>, weil sie allgemein mit<br />

Unwillen und Verachtung angesehen und behandelt werden“ 121 . Dr.<br />

Ott waren schon am Vorabend der geplanten Volksversammlung Fensterscheiben<br />

eingeschlagen worden 122 ; nach der Vertreibung der<br />

Bamberger Demokraten verließ er vorübergehend Staffelstein 123 .<br />

115 Vgl. StAB, G 35, Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 451 (Mitteilung von Oberförster<br />

Franz Reuder an Emil Marschalk von Ostheim, 11.7.1886)<br />

116 Vgl. Hößel: <strong>Die</strong> Lichtenfelser Landwehr, S. 19.<br />

117 Vgl. Chronik der Familie Messerschmitt, S. 245; StAB, G 35, Annalen, Kasten<br />

Nr. 26, Zettel 462– 475.<br />

118 Allgemeine Zeitung 1848, S. 1922.<br />

119 Der Freund der Wahrheit und des Volkes 1848, S. 133. Ähnliche Äußerungen<br />

in: Der Wahrheitsfreund 1848, S. 417– 419; Der freie Staatsbürger 1849, S. 8,<br />

397. Über <strong>das</strong> Urteil gegen mehrere Bamberger berichtet der Nürnberger Kurier<br />

1848, Nr. 301.<br />

120 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 16.4.1849.<br />

121 BayHStA, MInn 46044, Schreiben vom 9.5.1848.<br />

122 Vgl. Luthardt: Mein Werden und Wirken, S. 73.<br />

123 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 340v.<br />

215


Doch hatten die Demokraten in Staffelstein durchaus auch Befürworter.<br />

Am 8. Mai 1848 verfaßten 28 Einwohner der Stadt – einer zog<br />

seine Unterschrift später zurück 124 – einen Aufruf an die Bamberger<br />

Bürger: „glaubt nicht, daß die Gesinnung, der Geist unsrer Gegend<br />

ein so verächtlicher sei! Nein! – theils nur eine Horde feiler Creaturen,<br />

die keinen Begriff von Volksfreiheit haben, theils einzelne Tückische,<br />

die des Volkes Rechte nicht verstehen wollen und böswillig unsrer<br />

Freiheit entgegenstreben, waren die Urheber dieser brutalen Excesse<br />

– es waren nicht Bürger, es war nicht Volk: es war nur Pöbel, gemeiner<br />

Pöbel!“ Ein in großen Lettern gedruckter Wahlspruch schloß<br />

die Annonce ab: „Freiheit, unbeschränkte Volksfreiheit, Gesetz und<br />

Ordnung!“ 125<br />

<strong>Die</strong>ser Erklärung widersprach der Magistrat, in<strong>dem</strong> er namens der<br />

übrigen Bürgerschaft am 16. Mai 1848 im TAG-BLATT DER STADT BAM-<br />

BERG seinerseits eine Erklärung an die Bamberger Bürgerschaft veröffentlichen<br />

ließ. <strong>Die</strong> Verprügelten, hieß es da, seien „Männer, unvermögend<br />

sich Vertrauen zu erwerben“, obendrein „ungeladene Gäste“.<br />

Das „Landvolk“ habe sie „abgefertigt, derb, aber gesinnungstüchtig<br />

[...] weil seine patriotischen und religiösen Gefühle so tief verletzt<br />

wurden“; „nehmt unser Volk wie es ist“, forderte der Magistrat. „Es<br />

hängt mit Liebe an Gesetz und Ordnung, Thron und Altar; es erkennt<br />

in ihnen die einzigen Stützen seiner Freiheiten und Rechte, in ihrem<br />

Umsturz hingegen den brutalsten Exceß, <strong>dem</strong>, wenn kein besseres<br />

Argument ausreicht [...] zuletzt die teutsche Faust zu begegnen sich<br />

berechtigt hielt.“ 126<br />

Von dieser Erklärung wiederum, die der FRÄNKISCHE MERKUR und<br />

der WAHRHEITSFREUND scharf attackierten 127 , distanzierten sich 20 weitere<br />

Staffelsteiner, an ihrer Spitze der Landwehrhauptmann Wilhelm<br />

Böhm (1792–1871) 128 , ein Schuhmacher. Der Magistrat sei nicht befugt,<br />

im Namen aller Bürger zu sprechen 129 . Der Student Andreas<br />

Stark griff öffentlich den Magistrat an: <strong>Die</strong> Bamberger seien keineswegs<br />

ungeladen gewesen; „ich Anton Stark, weiter nichts als mein<br />

ureigenes Ich, war so frei, im Namen von honorigen, guten Bürgern<br />

von Staffelstein, <strong>auf</strong> den Wunsch und im Namen schlichter vernünftiger<br />

Bauern im Itzgrunde, die Einladung an <strong>das</strong> Bamberger Comité<br />

124 Vgl. Der Wahrheitsfreund 1848, S. 263.<br />

125 Der Wahrheitsfreund 1848, S. 236.<br />

126 Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 662 f.<br />

127 Vgl. Fränkischer Merkur vom 19.5.1848; Der Wahrheitsfreund 1848, S. 246 f.<br />

128 Zu den Lebensdaten vgl. AEB, Kirchenbücher Staffelstein, Bd. 7, pag. 26; Bd.<br />

11, pag. 222.<br />

129 Vgl. Fränkischer Merkur vom 22.5.1848; auch Der Wahrheitsfreund 1848, S. 276.<br />

130 Vgl. Fränkischer Merkur vom 22.5.1848.<br />

216


[...] zu geben“. Eine Volksversammlung bedürfe nun einmal keiner<br />

Genehmigung „vom Magistrat oder Landgericht, von gespreizten<br />

Räthen oder Herren, die Räthe werden wollen“. „Doch warum so<br />

ernstlich kämpfen gegen den guten lieben Stadtmagistrat in Staffelstein?<br />

Wenn <strong>das</strong> Volk Geister zu unterscheiden weiß, dann weiß es<br />

auch, daß die Geister dieses Rathscollegiums keine bösen und keine<br />

guten, daß sie gar keine Geister sind.“ 130 Da der Bürgermeister Finzel<br />

hieß, sahen sich auch drei Bamberger Bürger dieses Familiennamens<br />

genötigt, öffentlich dar<strong>auf</strong> hinzuweisen, daß zwischen ihnen und <strong>dem</strong><br />

Staffelsteiner Stadtoberhaupt keine Verwandtschaft bestehe 131 .<br />

Der Annoncenkrieg macht deutlich, daß die Haltung der Staffelsteiner<br />

Bürgerschaft keineswegs so eindeutig anti-republikanisch<br />

war, wie es die Vorfälle vom Ostermontag hätten glauben machen<br />

können. Es gab zumindest eine größere Minderheit von Anhängern<br />

der Bamberger Demokraten; unter den Unterzeichnern der Erklärung<br />

vom 8. Mai war mit Joseph Schmelzing sen. (geb. 1788) sogar ein<br />

Landrat (was mutatis mutandis einem heutigen <strong>Bezirk</strong>srat entspricht).<br />

In seinem Wirtshaus fand im April 1848 die Besprechung der Republikaner<br />

statt, im folgenden Jahr war dort ein „Demokratenball“ geplant<br />

132 .<br />

Der Staffelsteiner Magistrat schritt bald gegen den Demokraten ein,<br />

dessen er sich am einfachsten entledigen konnte. Im Sommer 1848,<br />

als auch in Bamberg einige profilierte Demokraten in Haft saßen,<br />

wies der Staffelsteiner Magistrat Dr. Ott „wegen revolutionären Tendenzen“<br />

aus; die Regierung von <strong>Oberfranken</strong> bekräftigte den Beschluß<br />

als zweite Instanz 133 . Der Hinweis der Bamberger Zeitung DER<br />

FREUND DER WAHRHEIT UND DES VOLKES, es handle sich bei der Ausweisung<br />

um einen glatten Rechtsbruch, blieb ohne Wirkung.<br />

Hingegen war Andreas Stark weiterhin aktiv. Er trat am 17. September<br />

1848 bei einer Volksversammlung zu Rossach im Itzgrund, also<br />

im Herzogtum Sachsen-Coburg, als Redner <strong>auf</strong> 134 . Auch später<br />

muß er noch im Landgericht Lichtenfels in Erscheinung getreten sein,<br />

denn er gab offenbar <strong>dem</strong> Landrichter von Lichtenfels Anlaß zu „heftigen<br />

Invectiven“, gegen die er sich im Februar 1849 öffentlich verwahrte<br />

135 .<br />

131 Vgl. Der Wahrheitsfreund 1848, S. 256.<br />

132 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 28.<br />

133 Der Freund der Wahrheit und des Volkes 1848, S. 85.<br />

134 Vgl. Der Freund der Wahrheit und des Volkes 1848, S. 127. – An der Volksversammlung<br />

sollen „6000 Männer aus <strong>dem</strong> Herzogthume“ Sachsen-Coburg<br />

teilgenommen haben. Vgl. Coburger Tageblatt vom 7.10.1848.<br />

135 Der freie Staatsbürger 1849, S. 166.<br />

217


<strong>Die</strong> Gegner der republikanischen Bewegung<br />

So wie in Staffelstein die tonangebenden Bürger republikanische Pläne<br />

zurückwiesen, so erklärten am 22. April 1848 29 Gemeinden in<br />

den Landgerichten Lichtenfels und Weismain 136 durch eine Zeitungsannonce,<br />

„daß sie des deutschen Vaterlandes Glück, Heil und<br />

Segen nur in einer freisinnigen konstitutionellen Monarchie, nicht<br />

aber in einer Republik suchen wollen. – Unser Wahlspruch ist: Dem<br />

König unserm Vaterland / Biethen treu wir Herz und Hand.“ 137<br />

Auch die Wahlmänner entschieden sich bei der Wahl des Abgeordneten<br />

für die Nationalversammlung für einen Mann, der einen<br />

konstitutionellen Standpunkt vertrat: den Landgerichtsassessor Johann<br />

Friedrich Schneider 138 , der sich in der Nationalversammlung<br />

<strong>dem</strong> linken Zentrum anschloß, genauer: der Fraktion Württemberger<br />

Hof, später Augsburger Hof. In einem Bericht über die Anfänge der<br />

Nationalversammlung, den er am 30. Mai 1848 an seine Wähler sandte,<br />

klingt seine Ablehnung der Republikaner deutlich durch 139 . Zu<br />

Beginn des Jahres 1849 zum Landrichter von Kronach befördert,<br />

schied Schneider aus der Paulskirche aus; seine Nachfolge trat am 6.<br />

Januar 1849 der vormalige gräflich giechische Generalbevollmächtigte<br />

und Oberbeamte am Ober<strong>auf</strong>schlagsamt Würzburg an, Johann<br />

Christoph Carl Gebhard (1797–1881) 140 , der mit <strong>dem</strong> rechten Zentrum<br />

stimmte.<br />

<strong>Die</strong> mißglückte Volksversammlung in Staffelstein und der Sieg der<br />

konstitutionell-monarchischen Kräfte bei der Wahl des Paulskirchenabgeordneten<br />

gaben den antirepublikanischen Kräften wohl Auftrieb.<br />

Doch herrschte immer noch Unruhe, immer noch wurde gewildert,<br />

immer noch wurde Kritik an den Verhältnissen laut. Der langjährige<br />

Lichtenfelser Stadtschreiber Albert Loeser (um 1787–1863) 141 führte<br />

am 10. Mai 1848 darüber beredt Klage: „Ist es nicht ein bejammernswerther<br />

Zustand, der sich tagtäglich vor unsere Blike stellt? – Wie der<br />

rohe Pöbel in den Schänken sich ueber Religion und Gesetz, König<br />

136 Aus <strong>dem</strong> Landgericht Weismain: Weismain, Woffendorf, Baiersdorf, Maineck,<br />

Altenkunstadt, Strössendorf, Burgkunstadt, Weidnitz, Ebneth, Hainweiher,<br />

Gärtenroth, Kirchlein, Theisau, Mainklein, Bernreuth, Giechkröttendorf,<br />

Modschiedel, Wunkendorf, Neudorf. Aus <strong>dem</strong> Landgericht Lichtenfels: Neuses<br />

a. Main, Obristfeld, Redwitz, Marktgraitz, Zeublitz, Burgstall, Spiesberg,<br />

Wolfsloch, Zettlitz, Horb.<br />

137 Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 564.<br />

138 Über ihn vgl. Best / Weege: Biographisches Handbuch, S. 301.<br />

139 Vgl. StadtAL, A 992, Schreiben vom 30.5.1848.<br />

140 Über ihn vgl. Best / Weege: Biographisches Handbuch, S. 151.<br />

141 Über ihn vgl. AEB, Kirchenbücher Lichtenfels, Bd. 23, Aufschlag 9; auch<br />

StadtAL, A 254.<br />

218


Abb. 6:<br />

Franz Joseph Pentowsky,<br />

1835–1853 Pfarrer<br />

von Lichtenfels<br />

(Staatsbibliothek<br />

Bamberg, V.A.311)<br />

und Vaterland, geistliche und<br />

weltliche Obrigkeit ausdrückt,<br />

wie er seinem frevelnden Uebermuthe<br />

und <strong>dem</strong> Ausbruche<br />

seiner Rohheit <strong>auf</strong> offener<br />

Strasse freyen L<strong>auf</strong> läst, – wie er offen seine Absicht <strong>auf</strong> Raub und<br />

Zerstörung zu erkennen giebt, wie er Jagd und Wald mit frecher<br />

Hand zerstört und es nur des Winkes eines gleichgesinnten thatenmuthigen<br />

Anführers bedürfe, um ihn zum Umsturtze alles Bestehenden<br />

zu verleiten und alle menschliche Ordnung zu zerstören?“ Der<br />

einzelne wage meist nicht, sich <strong>dem</strong> Treiben entgegenzustellen und<br />

Übergriffe anzuzeigen, legte Loeser in einem öffentlichen Aufruf dar,<br />

denn man müsse Racheakte befürchten. Als Hilfsmittel schlug er die<br />

Gründung eines „Sicherheits-Commitée[s] aus 24–30 Bürgern“ vor.<br />

Wer von gesetzwidrigen Äußerungen oder Taten erfahre, solle sie<br />

<strong>dem</strong> Komitee melden, <strong>das</strong> dann Anzeige bei den Behörden erstatten<br />

werde; der Meldende müsse mithin nicht fürchten, „als Denunziant<br />

bezeichnet zu werden“ 142 . Es ist allerdings unklar, ob ein solches Komitee<br />

tatsächlich entstand.<br />

Der Abwehr republikanischer Gesinnungen verschrieb sich der<br />

„Lichtenfelser Volksverein“, der im September 1848 durch ein Flugblatt<br />

um Unterstützung warb 143 . Unterzeichner waren der aus Krefeld<br />

stammende Stadtpfarrer Franz Joseph Pentowsky (1798 –1872) 144 ,<br />

142 StadtAL, A 992, „Aufforderung an die Gemeinde dahier zur Vereinigung für<br />

Aufrechthaltung der Ruhe, Ordnung und des gesetzlichen Zustandes“ vom<br />

10.5.1848.<br />

143 Vgl. Meyer: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, Nr. 2.<br />

144 Über ihn vgl. Wachter: General-Personal-Schematismus, Nr. 7388.<br />

219


der Lithograph Johann Schier (1815 –1887) 145 , die Advokaten Adam<br />

Rapp und Peter Wolf. Jedoch dauerte es geraume Zeit, bis sich der<br />

Verein tatsächlich etablierte: erst am 21. November 1848 fand die erste<br />

Sitzung statt. Der Verein hatte sich der „Wahrung und Förderung<br />

der Volksrechte in der constitutionell-monarchischen Staatsform“ verschrieben<br />

sowie der „unbedingte[n] Unterwerfung so der Regierung<br />

wie des Volks unter die Beschlüsse der constituirenden deutschen<br />

Reichsversammlung“. <strong>Die</strong> 300 Mitglieder sprachen bei ihrer ersten Versammlung<br />

<strong>dem</strong> Paulskirchenabgeordneten Schneider ausdrücklich<br />

<strong>das</strong> Vertrauen aus 146 .<br />

An der Spitze des Vereins standen der bereits erwähnte Staffelsteiner<br />

Stadtschreiber Schellerer, der Mistelfelder katholische Pfarrer<br />

Wolfgang Künell (1806 –1872) 147 , die Lichtenfelser Advokaten Rapp<br />

und Wolf. Ein Artikel, der, vermutlich verfaßt von Anton Stark in Staffelstein,<br />

im Dezember 1848 in der Nürnberger Zeitung DER FREIE<br />

STAATSBÜRGER erschien, denunzierte die Mitglieder als Opportunisten:<br />

„Natürlich, hochwürdige Herren, katholisch geschoren und protestantisch<br />

gescheitelt, Beamtenherren, die aus Unterthänigkeit gegen<br />

die Regierung, Practikanten, die um der Carriere willen konstitutionell<br />

seyn müssen; anderen Herren, die erhaben über <strong>das</strong> ,niedere<br />

Volk‘ um gnädiges Wohlwollen der hohen Herren buhlen oder die<br />

Herren Geschäfts halber brauchen.“ 148 Das Landgericht versuche – so<br />

DER FREIE STAATSBÜRGER im November 1848 –, <strong>das</strong> Volk zu „keilen“:<br />

„Der Büttel fängt z. B. die Bauern <strong>auf</strong>, die ins Gericht gehen und fragt<br />

sie: seyd ihr monarchisch oder republikanisch? Wenn ihr monarchisch<br />

seyd, unterschreibt euch hier <strong>auf</strong> der Liste (des projektirten<br />

konstitutionellen Filialvereins) unterschreibt nur, wenn ihr unterschreibt<br />

bekommt ihr keine Soldaten. <strong>Die</strong> Liste wird von Schultheis<br />

zu Schultheis geschickt, der constitutionelle Verein als officielle Gemeindesache<br />

behandelt“ 149 .<br />

Im April 1849 freilich höhnte die in Coburg erscheinende NEUE<br />

DEUTSCHE DORFZEITUNG, es sei „der konstitutionelle Verein in Lichtenfels<br />

von so schwindsüchtiger Konstitution [...], daß er bald den Weg<br />

alles irdischen Daseins gehen wird“ 150 . Tatsächlich trat dieser Verein,<br />

145 Über ihn vgl. Lichtenfelser Tagblatt vom 29.8.1887; Dippold: Anfänge und<br />

Entwicklung, S. 159.<br />

146 Vgl. Bamberger Zeitung vom 24.11.1848; Tag-Blatt der Stadt Bamberg vom<br />

24.11.1848.<br />

147 Über ihn vgl. Urban: <strong>Die</strong> Seelsorger der katholischen Pfarrei Mistelfeld, S. 73 f.<br />

148 Der freie Staatsbürger 1848, S. 230. Der Artikel ist mit „St.“ gezeichnet.<br />

149 Der freie Staatsbürger 1848, S. 136.<br />

150 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 28.4.1849; auch Der freie Staatsbürger 1849,<br />

S. 431.<br />

220


soweit für uns erkennbar, im Jahr 1849 nicht mehr in Erscheinung –<br />

möglicherweise schon deshalb, weil die Satzung nicht mehr mit der<br />

obrigkeitstreuen Grundhaltung des Vereins und seiner Mitglieder vereinbar<br />

war 151 . Denn zu einer Unterwerfung unter die Beschlüsse der<br />

Nationalversammlung verstand sich die bayerische Regierung nicht.<br />

Das Vordringen der republikanisch-<strong>dem</strong>okratischen<br />

Bewegung: die Volksvereine<br />

Im November 1848 wurde die Kammer der Abgeordneten neu gewählt.<br />

Dabei wurde, den Märzforderungen gemäß, erstmals nicht<br />

nach Ständen abgestimmt; allerdings blieb es dabei, daß nicht direkt,<br />

sondern durch Wahlmänner entschieden wurde und nur Steuerzahler<br />

zugelassen waren 152 . Aus den Wahlen ging eine linke Mehrheit hervor.<br />

Drei der vier Abgeordneten, die der Wahlkreis Kronach – zu <strong>dem</strong><br />

Lichtenfels gehörte – damals in den bayerischen Landtag entsandte<br />

153 , wurden Anfang 1849 Gründungsmitglieder des Linken Zentrums,<br />

traten also für die Errichtung eines starken Bundesstaates, die<br />

Anerkennung der durch die Nationalversammlung verabschiedeten<br />

Grundrechte des deutschen Volkes und ihrer sonstigen Beschlüsse<br />

und „die volle Verwirklichung des vernünftigen Gesammtwillens des<br />

Volkes“ in einem konstitutionell-monarchischen System ein 154 : der<br />

aus Kulmbach stammende Schneyer Porzellanfabrikant Friedrich Gerber<br />

(1795 –1878) 155 , der Kulmbacher Bierbrauer und Bäckermeister<br />

Erhard Gummi (1788 –1864) 156 (Abb. 7), der Steinwiesener Posthalter<br />

151 Der wohl von Anton Stark verfaßte Artikel über den Verein hatte diesen Passus<br />

als von vornherein verlogen gegeißelt: „Ein Hauptpunkt des Programms<br />

ist: ,unbedingte Unterwerfung unter die Centralgewalt.‘ Eine fade, faule Phrase!<br />

Windisch-Grätz hat sich nicht im geringsten um eine Centralgewalt<br />

bekümmert und die Constitutionellen vergöttern, bejubeln ihn, freuen sich<br />

herzinniglich, er hat ja, was auch sie wollen, gegen die Anarchie gekämpft.<br />

Sie liebäugeln mit der Centralgewalt, aber nur so lange, als diese mit der Reaktion<br />

im Liebesbündniß steht.“ Der freie Staatsbürger 1848, S. 230.<br />

152 Zum neuen Wahlrecht vgl. Hofmann: Adelige Herrschaft und souveräner<br />

Staat, S. 488 f.; Botzenhart: Deutscher Parlamentarismus, S. 213 –222; Hesse:<br />

Gesetzgeber und Gesetzgebung, S. 70 –74; Finken: Gottlieb Freiherr von<br />

Thon-Dittmer, S. 286 –293.<br />

153 Namen bei Zimmermann: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung, S. 454.<br />

154 Neue Münchener Zeitung 1849, Beilage zu Nr. 32 (7.2.). Über <strong>das</strong> Linke Zentrum<br />

vgl. auch Doeberl: Bayern und die Deutsche Frage, S. 166.<br />

155 Über ihn vgl. Dippold: Anfänge und Entwicklung, S. 145.<br />

156 Über ihn vgl. den Personenakt im StadtA Kulmbach. – Er gehörte <strong>dem</strong> Landtag<br />

auch noch in der folgenden Wahlperiode, von 1849 bis 1855, an. Freundl.<br />

Mitteilung des Landtagsamtes vom 17.2.1998.<br />

221


Georg Schuster 157 . Seit ihrer Abspaltung vom Zentrum stimmten die<br />

Angehörigen des Linken Zentrums mit der Linken 158 , der der vierte<br />

Abgeordnete zuzurechnen ist 159 : der Kronacher Floßherr Georg Joseph<br />

Fillweber (1799–1879) 160 (Abb. 9), ein entschiedener Republikaner<br />

161 , dessen Vater bereits ein Protagonist des Liberalismus in der<br />

Frankenwaldstadt gewesen war 162 .<br />

<strong>Die</strong> Wahl ist mithin ein Beleg dafür, daß allmählich auch im Raum<br />

Lichtenfels republikanisch-<strong>dem</strong>okratische Ideen und ihre Vertreter<br />

Anklang fanden. Es entstanden <strong>dem</strong>okratische Volksvereine. Derartige<br />

Zusammenschlüsse existierten im Frühling 1849 in Staffelstein,<br />

Schney, Ebensfeld, Lichtenfels und Mistelfeld.<br />

157 Er gehörte nur <strong>dem</strong> im November 1848 gewählten und im Juni 1849 <strong>auf</strong>gelösten<br />

Landtag an. Freundl. Mitteilung des Landtagsamtes vom 17.2.1998.<br />

158 Schließlich bildeten Linke und Linkes Zentrum sogar eine parlamentarische<br />

Gemeinschaft. Vgl. Bericht der Linken und des linken Centrums (mit Mitgliederliste<br />

S. 14–16).<br />

159 Vgl. Der Freund der Wahrheit und des Volkes 1849, S. 85–87.<br />

160 Fillweber, der 1825 <strong>das</strong> Kronacher Bürgerrecht erhielt, gehörte ab 1857<br />

mehrmals <strong>dem</strong> Gemeindeverordnetenkollegium an. Freundl. Mitteilung des<br />

Stadtarchivs Kronach vom 29.9.1998. Nachruf <strong>auf</strong> ihn in: Fränkischer Wald<br />

vom 22.1.1879.<br />

161 Vgl. Zuber: Der „Fürst Proletarier“, S. 288.<br />

162 Siehe oben (S. 198).<br />

222<br />

Abb. 7:<br />

Erhard Gummi,<br />

Bäcker und Brauer<br />

in Kulmbach,<br />

Landtagsabgeordneter<br />

1848–1855<br />

(Stadtarchiv Kulmbach,<br />

Personenakt)


Auf die Vertreter <strong>dem</strong>okratischen Gedankenguts in Staffelstein<br />

wurde bereits hingewiesen; der dortige Verein war wohl der älteste<br />

im Landgericht Lichtenfels 163 . Im Mai 1849 trat beim „Congreß der<br />

fränkischen politischen Vereine“ zu Bamberg als Repräsentant des<br />

Staffelsteiner Vereins Joseph Schmelzing jun. <strong>auf</strong> 164 , wohl ein Sohn<br />

des gleichnamigen Wirtes.<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder des Schneyer Vereins, der am 10. Februar 1849 als<br />

neugegründet bezeichnet wurde 165 , sind wohl vornehmlich im Umfeld<br />

der Porzellanfabrik zu suchen – denn ein Fabrikant hatte im<br />

März 1848 <strong>auf</strong> <strong>das</strong> Schloß Schüsse abgefeuert, und bereits in den 30er<br />

Jahren hatten Porzellanmaler wie Stammberger republikanische<br />

Ideen vertreten 166 . Tatsächlich repräsentierte <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Bamberger<br />

Demokratenkongreß im Mai 1849 ein Sohn des Porzellanfabrikanten<br />

und Landtagsabgeordneten Friedrich Gerber, Andreas Gerber, den<br />

Volksverein Schney 167 . Für den Zuwachs der Volksvereine der Umgebung<br />

im Frühling 1849 machte der Lichtenfelser Landrichter nicht<br />

zuletzt einen in Schney ansässigen Zeichner der Eisenbahnbau-Sektion<br />

namens Thiem verantwortlich: „<strong>Die</strong>ser Mensch treibt [...] seine<br />

Werbungen ungescheut <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Lande</strong> und sucht durch alle mögliche<br />

Umtriebe <strong>das</strong> Landvolk <strong>auf</strong>zureitzen und für schlechte Zwecke<br />

zu gewinnen.“ 168<br />

Daß in <strong>dem</strong> landwirtschaftlich geprägten Dorf Ebensfeld ebenfalls<br />

ein <strong>dem</strong>okratischer Verein entstand 169 , ist wohl <strong>auf</strong> den Einfluß eines<br />

ehemaligen Einwohners zurückzuführen. Denn der Bamberger Republikaner<br />

Dr. Heinrich Heinkelmann hatte von 1839 bis 1846 erfolgreich<br />

als Arzt in Ebensfeld gewirkt; vermutlich stand er hinter der<br />

Vereinsgründung. Heinkelmann 170 (Abb. 8), 1807 in Bamberg als<br />

163 Vgl. Der freie Staatsbürger 1849, S. 161, wo der Staffelsteiner Verein erwähnt<br />

wird.<br />

164 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VII, fol. 159r.<br />

165 Der freie Staatsbürger 1849, S. 161.<br />

166 So wurde <strong>dem</strong> bayerischen Innenministerium von Coburg aus bedeutet, der<br />

nach Bamberg übersiedelte Porzellanmaler Carl Schmidt, der ein namhaftes<br />

Malinstitut betrieb, und seine rund 30 Mitarbeiter seien „Anhänger der <strong>Revolution</strong>s<br />

Parthei“. StAB, K 100/I, Nr. 144, fol. 1v. Über <strong>das</strong> Schmidtsche Institut<br />

allgemein Becker: Das Porzellanmalinstitut von Carl Schmidt.<br />

167 Vgl. Zinner: Zur <strong>Revolution</strong> 1848/49 in <strong>Oberfranken</strong>, S. 121.<br />

168 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 387r–v.<br />

169 Vereinslokal war <strong>das</strong> Wirtshaus zum Hirschen. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr.<br />

813/V, fol. 273r. Eine wesentliche Rolle im Verein spielte vermutlich der Gastwirt<br />

Andreas Schmidt, der noch 1850 für die <strong>dem</strong>okratische Sache aktiv war.<br />

Vgl. StAB, Präs.reg., Nr. 813/VII, fol. 206r.<br />

170 Über Heinkelmann vgl. Oeffentliche Verhandlungen des Schwurgerichtshofes;<br />

Dr. Heinkelmann, eine biographische Skizze; Krischker: Bambergs<br />

unbequeme Bürger, S. 59–67.<br />

223


Sohn eines Feldwebels geboren, hatte zunächst in München, Erlangen<br />

und Jena Jura studiert, <strong>das</strong> Studium aber, ab 1829 wegen seiner<br />

burschenschaftlichen Aktivitäten als Aufrührer abgestempelt, nicht<br />

abschließen können. Er hatte sich deshalb der Medizin zugewandt 171 ,<br />

wobei auch dieses Studium über zweieinhalb Jahre lang durch Haft<br />

unterbrochen war. Gemeinsam mit zwei langjährigen Freunden, <strong>dem</strong><br />

Advokaten Nikolaus Titus und <strong>dem</strong> Redakteur Karl Heger, bildete<br />

Heinkelmann die Speerspitze des Republikanismus in Bamberg.<br />

Arzt wie Heinkelmann war Dr. Theodor Rimberger, in <strong>dem</strong> wir den<br />

Motor der <strong>dem</strong>okratischen Bewegung in Lichtenfels zu sehen haben.<br />

1808 als Sohn eines Apothekers und des späteren Bürgermeisters<br />

171 Er immatrikulierte sich im Sommersemester 1832 in München, um schon im<br />

folgenden Semester an die Universität Würzburg überzuwechseln. Von Dezember<br />

1833 bis August 1836 in Untersuchungshaft, studierte er ab Oktober<br />

1836 wieder in München, wo er bereits am 22. Dezember 1836 zum Dr. med.<br />

promoviert wurde.<br />

224<br />

Abb. 8:<br />

Dr. Heinrich<br />

Heinkelmann<br />

(Staatsbibliothek<br />

Bamberg,<br />

M.v.O.B.I.32)


in Kronach geboren 172 , möglicherweise Studienkollege Heinkelmanns<br />

173 , hatte er als praktischer Arzt in Schwarzenbach am Wald,<br />

später in Kronach gewirkt 174 . Er war seit 1845 Schwiegersohn 175 und<br />

seit 1846 auch Stellvertreter 176 des königstreuen Landgerichtsarztes Dr.<br />

Michael Krappmann in Lichtenfels. Sein Schwager war der Kronacher<br />

Floßhändler Georg Joseph Fillweber 177 , der 1848 und 1849 in den<br />

bayerischen Landtag gewählt wurde und dort zur Linken gehörte.<br />

1849 konstatierte Regierungspräsident Melchior von Stenglein,<br />

Rimberger habe sich seit <strong>dem</strong> Ausbruch der <strong>Revolution</strong> gewandelt.<br />

Denn vor 1848 sei sein Verhalten einwandfrei gewesen. „Während<br />

dieser ganzen Zeit genoß er den besten Ruf in politischer wie in jeder<br />

anderen Beziehung und gab niemals zu irgendeiner Einschreitung<br />

oder Verdächtigung die geringste Veranlassung, bis sich mit <strong>dem</strong><br />

Anfange der allgemeinen Bewegung im Monat März v[origen] J[ahres]<br />

allmälig ein ganz anderer als der bisher gezeigte Charakter in ihm<br />

entwickelte. Seit jener Zeit gab er sich den schwindelndsten Ideen in<br />

<strong>dem</strong>okratischer Richtung, einem gänzlichen Indifferentismus in religiöser<br />

Beziehung hin, und kann in dieser doppelten Hinsicht als<br />

wahrhafter Fanatiker für die s.g. freisinnigen Ideen bezeichnet werden.<br />

Er geriet hiedurch in Familienzwistigkeiten aller Art, verfiel in<br />

eheliche Dissidien und entzweite sich mit seinem Schwiegervater Dr.<br />

Krappmann, wie mit seinem eigenen Vater, <strong>dem</strong> wahrhaft würdigen<br />

vormaligen und wegen seines hohen Alters zurückgetretenen Bürgermeister<br />

Rimberger in Kronach.“ 178<br />

Soweit bisher bekannt, trat Rimberger erstmals in Erscheinung, als<br />

er ab November 1848 Beiträge für die Familie des in der Brigittenau<br />

bei Wien füsilierten Paulskirchenabgeordneten Robert Blum sammelte<br />

179 .Neben ihm vertrat der Färbermeister und spätere Floßinspektor<br />

Franz Xaver Krug (1816 –1875) 180 den Lichtenfelser Verein <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

172 Vgl. AEB, Kirchenbücher Kronach, Bd. 7, pag. 505.<br />

173 Rimberger wurde im Wintersemester 1833/34 an der Universität München<br />

immatrikuliert, wo er 1834 zum Dr. med. promoviert wurde. Vgl. Fehn: Chronik<br />

von Kronach, Bd. 3, S. 249. Seine Dissertation beschäftigte sich mit der<br />

Rachitis.<br />

174 Vgl. Jäck: Zweites Pantheon, S. 104; StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 352r.<br />

175 Er war mit der 1821 geborenen Theresia Krappmann verheiratet. Vgl. AEB,<br />

Kirchenbücher Kronach, Bd. 21, Aufschlag 9.<br />

176 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 351r.<br />

177 Fillweber war seit 1829 mit Dr. Rimbergers Schwester Anna Sidonia (geb.<br />

1804) verheiratet. Vgl. AEB, Kirchenbücher Kronach, Bd. 20, pag. 81.<br />

178 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 352r–v.<br />

179 Vgl. Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1848, S. 1724.<br />

180 Über ihn vgl. Lichtenfelser Tagblatt vom 20.1.1875; Meyer: Chronik der Königlich<br />

Privilegierten Scharfschützengesellschaft, S. 110.<br />

225


Demokratenkongreß im April 1849 181 . Der Verein zählte damals, kurz<br />

nach seiner Gründung, „nahe an 100 Mitglieder“ 182 .<br />

Ein fünfter Volksverein mit <strong>dem</strong>okratischem Gepräge im Landgericht<br />

Lichtenfels entstand schließlich in <strong>dem</strong> Dorf Mistelfeld. Hier<br />

scheint der Bauer Johann Will 183 , der den einen Kilometer vom Ort<br />

entfernten Einzelhof Friesenhof bewirtschaftete, als Vorsitzender fungiert<br />

zu haben.<br />

Überdies bestanden in unmittelbarer Nähe des Landgerichts weitere<br />

<strong>dem</strong>okratische Vereine, nämlich im Itzgrund. Der Volksverein<br />

„Itzthal“, gegründet Anfang März 1849 184 , war offenbar in drei Kränzchen<br />

gegliedert: Gleusdorf 185 , Kaltenbrunn 186 und Lahm 187 ; ein gesonderter<br />

Verein hatte sich in Schottenstein gebildet 188 . In Unnersdorf<br />

im Herrschaftsgericht Banz bestand einem Zeitungsartikel vom Juni<br />

1849 zufolge ein Verein, gegen den damals Stimmung zu machen versucht<br />

wurde 189 ; vermutlich verbirgt sich auch hinter diesem Verein<br />

ein Volksverein <strong>dem</strong>okratischer Prägung.<br />

<strong>Die</strong> Gründung der Volksvereine wurde amtlicherseits mit Argwohn<br />

beobachtet. Einem Artikel vom 10. Februar 1849 zufolge, der in der<br />

Nürnberger <strong>dem</strong>okratischen Zeitung DER FREIE STAATSBÜRGER erschien,<br />

habe Landrichter Eschenbach Mitglieder des Schneyer Vereins „durch<br />

Gendarmen und Gerichtsdiener quasi vernehmen [lassen], was der<br />

Verein für eine Tendenz habe, über Mitgliederschaft u. dergl. saubere<br />

Polizeispürungen mehr“ 190 . <strong>Die</strong>se archivalisch nicht zu bestätigende<br />

Angabe ist glaubhaft, denn um dieselbe Zeit forderte auch der<br />

Kronacher Landrichter vom dortigen Märzverein „ein Verzeichniß der<br />

sämmtlichen Theilnehmer dieses Vereines“ an, was der Vorsitzende<br />

freilich zurückwies 191 . Offenbar versuchte der Landrichter, einen<br />

181 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VII, fol. 159r; Zinner: Zur <strong>Revolution</strong> von<br />

1848/49 in <strong>Oberfranken</strong>, S. 121.<br />

182 Der freie Staatsbürger 1849, S. 431.<br />

183 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 438r; Nr. 813/VII, fol. 159r.<br />

184 Vgl. Der freie Staatsbürger 1849, S. 301. Weitere Vereine in der Umgebung<br />

entstanden zwischen 1. und 10. April 1849. Vgl. Der freie Staatsbürger 1849,<br />

S. 397.<br />

185 Vorsitzender: Müllermeister Johann Heinrich Zang. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg.,<br />

Nr. 813/VI, fol. 344v, 436r – 437r, 445r; Nr. 813/VII, fol. 159r (auch zum folgenden).<br />

186 Vorsitzender: Schreinermeister Friedrich Langbein.<br />

187 Vorsitzender: K<strong>auf</strong>mann Christian Schorn.<br />

188 Vorsitzender: Uhrmachermeister Andreas Tischer. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg.,<br />

Nr. 813/VI, fol. 451r–v; Nr. 813/VII, fol. 159r.<br />

189 Der freie Staatsbürger 1849, S. 624.<br />

190 Der freie Staatsbürger 1849, S. 161.<br />

191 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 70r–v.<br />

226


Schulterschluß der einzelnen Vereine seines Amtssprengels zu verhindern:<br />

Er habe, berichtete die Zeitung DER FREIE STAATSBÜRGER, die Mitglieder<br />

des Schneyer Vereins gewarnt, sich mit den Staffelsteiner Demokraten<br />

einzulassen 192 . Nichtsdestoweniger wollten um dieselbe<br />

Zeit, am 11. Februar 1849, die Volksvereine von Schney, Staffelstein<br />

und Ebensfeld in Staffelstein zusammenkommen und anschließend im<br />

dortigen Schützensaal einen „Demokratenball“ veranstalten – es war ja<br />

Faschingszeit –, „wozu die Mitglieder benachbarter Vereine brüderlich<br />

eingeladen werden“ 193 . Doch vereitelte Landrichter Eschenbach <strong>das</strong><br />

Tanzvergnügen. Als der Staffelsteiner Volksverein eine amtliche Tanzerlaubnis<br />

beim Landgericht beantragte, forderte Eschenbach eine<br />

Bescheinigung der Gemeindeverwaltung, daß tatsächlich ein Ball geplant<br />

sei, und als dieses Dokument vorgelegt wurde, verweigerte er<br />

seine Einwilligung mit der Begründung, „er kenne keinen Volksverein“.<br />

Gallig kommentierte die Nürnberger Zeitung DER FREIE STAATS-<br />

BÜRGER: „Traurige Ironie! Ball wegen Einführung der Grundrechte, und<br />

ein königl. bayr. constitutioneller Landrichter erlaubt’s nicht! O Türkei,<br />

was für ein schönes Land bist du im Vergleich zu – Bayern!“ 194<br />

Jedoch waren die Maßnahmen des Landgerichts gegen die Volksvereine<br />

wohl nicht allzu erfolgreich. Denn im Mai 1849 mußte der<br />

Landrichter nach Bayreuth melden, die Vereine im Landgericht, namentlich<br />

der Lichtenfelser, hätten „in neuester Zeit großen Zuwachs<br />

erlangt“ 195 .<br />

Republikanische Propaganda: die Verfassungskampagne<br />

des Jahres 1849<br />

Der Vermittlung republikanischen Gedankenguts dienten nicht zuletzt<br />

Zeitungen, wie sie in Nürnberg, Bamberg und Coburg erschienen.<br />

<strong>Die</strong> im Zuge der Reformgesetzgebung 1848 gewährte Pressefreiheit<br />

196 ermöglichte es den Republikanern – sehr zum Leidwesen<br />

des Königs 197 und der Beamtenschaft 198 –, ihre Ideen zu verbreiten.<br />

192 Vgl. Der freie Staatsbürger 1849, S. 161.<br />

193 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 28.<br />

194 Der freie Staatsbürger 1849, S. 165.<br />

195 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 387r.<br />

196 Zur Gesetzgebung vgl. Hesse: Gesetzgeber und Gesetzgebung, S. 79 f.; Finken:<br />

Gottlieb Freiherr von Thon-Dittmer, S. 305–308.<br />

197 Sing: <strong>Die</strong> Memoiren König Maximilians II., S. 159: „Das neue Preßgesetz förderte<br />

weniger heilsamen Gedankenaustausch als vielmehr Preßfrechheit“; S.<br />

162: „Durch die Preßfreiheit war allen Umsturztendenzen <strong>das</strong> Thor geöffnet“.<br />

198 So schrieb im April 1848 der oberfränkische Regierungspräsident: „Sehr<br />

störend und nachtheilig wirken [...] einige öffentliche Blätter, welche von der<br />

227


Daß die linken Blätter auch im Raum Lichtenfels gelesen wurden,<br />

belegt eine Szene, die sich im Frühjahr 1849 im Fischerschen Wirtshaus<br />

zu Schwürbitz zutrug. Ein Mann las <strong>auf</strong> die Bitte anderer Gäste<br />

aus der NEUEN DEUTSCHEN DORFZEITUNG (Coburg) und <strong>dem</strong> FREIEN<br />

STAATSBÜRGER (Nürnberg) vor, was der Wirt gegen Vorwürfe des<br />

gleichfalls anwesenden pensionierten Landrichters Michael von Gradl<br />

verteidigte 199 .<br />

Spektakulärer waren die Volksversammlungen 200 , die <strong>auf</strong> Initiative<br />

der <strong>dem</strong>okratischen Vereine im Jahr 1849 stattfanden und die vor allem<br />

zwei Absichten verfolgten: <strong>Die</strong> Republikaner wollten ihre Ideen<br />

verbreiten und durch die große Menge der Interessenten ihre Stärke<br />

beweisen, um die Anerkennung der „Grundrechte des deutschen<br />

Volkes“, wie sie die Nationalversammlung zu Frankfurt am 27. Dezember<br />

1848 beschlossen hatte, und der durch die Paulskirche am<br />

28. März 1849 verabschiedeten Reichsverfassung 201 durchzusetzen.<br />

Schon seit <strong>dem</strong> Zusammentreten der Nationalversammlung im Mai<br />

1848 war klar, daß durch die Frage, ob die Beschlüsse der Nationalversammlung<br />

der Zustimmung der einzelnen deutschen Staaten bedürften,<br />

Konflikte vorprogrammiert waren. So hatte der Abgeordnete<br />

Johann Friedrich Schneider seinen Wählern im Wahlkreis Lichtenfels-<br />

Kulmbach am 30. Mai 1848 mitgeteilt: „Am weitesten gehen die Ansichten<br />

darüber auseinander, ob <strong>das</strong> Verfassungswerk nur mit Zustimmung<br />

der einzelnen Regierungen begründet oder ob, wenn eine<br />

Vereinigung der 38 einzelnen Staaten nicht erzielt werden könnte, die<br />

National-Versammlung sich als eine constituirende erklären und eine<br />

Verfassung octroiren soll. Ich meines Theils wünsche sehr, daß eine<br />

Zustimmung der Monarchen erlangt werden möge, außer<strong>dem</strong> würde<br />

die Versammlung doch ihr Werk vollenden und eine Verfassung pro-<br />

erlangten Preßfreiheit keinen ehrenwerthen Gebrauch machen. Dahin muß<br />

ich für den diesseitigen Kreiß vorzugsweiße den fränk. Merkur rechnen, deren<br />

Redaktion ganz offen revolutionaire Tendenzen verfolgt und sich nicht<br />

einmal scheut, durch maßlos <strong>auf</strong>reitzende Artikel <strong>auf</strong> die untersten Schichten<br />

des Volks einzuwirken.“ StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/I, fol. 213v. Der Bamberger<br />

Stadtkommissar Ihl äußerte im Juli 1848, als zwei Redakteure verhaftet<br />

worden waren, die Hoffnung, es würde „vor der Hand die durch die Lokalpresse<br />

fliesende Giftquelle voraussichtlich siecher werden“. Ebd., Nr.<br />

813/III, fol. 206v. Im Februar 1849 sprach er von der „überall als subversiv<br />

hervorleuchtenden Tendenz“ des Bamberger Volksblatts. Ebd., Nr. 813/V, fol.<br />

43v.<br />

199 Vgl. Neue Deutsche Dorfzeitung vom 6.3.1849; übernommen in: Der freie<br />

Staatsbürger 1849, S. 260. – Gradl lebte als Ruheständler in Schwürbitz.<br />

200 Über Abl<strong>auf</strong> und Bedeutung von Volksversammlungen allgemein Kaschuba/<br />

Lipp: 1848 – Provinz und <strong>Revolution</strong>, S. 174 –189.<br />

201 Vgl. den Überblick von Kühne: Eine Verfassung für Deutschland.<br />

228


clamiren, und was dann geschehen könnte, wenn sie von Seite einzelner<br />

Staaten nicht angenommen würde, ist schwer vorauszusehen.“ 202<br />

<strong>Die</strong> ablehnende Haltung Bayerns gegenüber den Grundrechten<br />

wie der Reichsverfassung, die in der Erklärung des Königs vom 23.<br />

April 1849 gipfelte, Bayern erkenne beide nicht an 203 , bewog die Demokraten<br />

zu Demonstrationen in Form von Volksversammlungen.<br />

<strong>Die</strong> zugrundeliegenden Absichten faßt ein Aufruf zusammen, den der<br />

„Congreß der fränkischen Demokraten“ am 29. April 1849 in Bamberg<br />

204 verabschiedete und der im folgenden als Flugbatt verbreitet<br />

wurde 205 :<br />

„Mitbürger! Als <strong>das</strong> deutsche Volk im März des vorigen Jahres sich<br />

erhob, als die Throne zitterten und wankten, da sprach man zu Euch:<br />

,Ueberstürzt Euch nicht; sendet nach Eurer freien Wahl Männer nach<br />

Frankfurt, diese sollen über <strong>das</strong> neu zu schaffende freie und einige<br />

Deutschland entscheiden, und was sie beschließen, soll als Gesetz<br />

gelten, sowohl für Fürsten als Volk.‘<br />

Jetzt, da diese Männer, die in ihren Beschlüssen oft weit genug<br />

hinter den Wünschen und Erwartungen des deutschen Volkes<br />

zurückbleiben, beschlossen haben; sagt uns die Regierung keck ins<br />

Gesicht: ,Auch dieses Wenige sollt Ihr nicht haben; was in Frankfurt<br />

beschlossen ist, erkennen wir nicht an.‘ Kann man ein frecheres Spiel<br />

mit <strong>dem</strong> Volke treiben?<br />

Mitbürger! Der Augenblick ist da, wo wir zeigen müssen, daß <strong>das</strong><br />

Volk mündig ist und sich nicht in die alte, schmachvolle Knechtschaft<br />

zurückwerfen läßt. Niemand ist unter Euch, der nicht <strong>das</strong> undeutsche<br />

und freiheitsfeindliche Treiben dieser Regierung verdammt. Aber wir<br />

dürfen nicht dabei stehen bleiben, wir müssen hanndeln [!]. Und was<br />

haben wir zu thun? <strong>Die</strong> Antwort ist einfach: Wir müssen die Regierung<br />

zu unbedingter Anerkennung der deutschen Reichsverfassung<br />

zwingen.<br />

Mitbürger! Wir stehen <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Boden des Gesetzes, denn die von<br />

<strong>dem</strong> deutschen Parlamente verkündete Reichsverfassung ist Gesetz<br />

für Deutschland. Unsere Regierung steht <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Boden der Rebellion,<br />

denn sie hat sich empört gegen dieses Gesetz.<br />

202 StadtAL, A 992, Schreiben vom 30.5.1848.<br />

203 Zum Streit um die Anerkennung der Reichsverfassung in Bayern vgl. Doeberl:<br />

Bayern und die Deutsche Frage, S. 124 –152, bes. S. 151; Valentin: Geschichte<br />

der deutschen <strong>Revolution</strong>, Bd. 2, S. 490 – 494; Zimmermann: <strong>Die</strong><br />

Einheits- und Freiheitsbewegung, S. 398.<br />

204 Über den Kongreß vgl. Brunner: Politische Bewegungen in Nürnberg, S.<br />

136 f.; Doeberl: Bayern und die Deutsche Frage, S. 188 f.; Zimmermann: <strong>Die</strong><br />

Einheits- und Freiheitsbewegung, S. 399.<br />

205 Zur Rezeption dieses Aufrufs vgl. Zimmermann: <strong>Die</strong> Einheits- und Freiheitsbewegung,<br />

S. 400 f.<br />

229


So eben hat uns <strong>das</strong> Volk von Württemberg durch seine großartige,<br />

siegreiche Erhebung gezeigt, daß keine Macht der Welt im Stande ist,<br />

<strong>dem</strong> freimüthigen Willen eines Volkes zu widerstehen. Wir Franken<br />

werden nicht zurückbleiben hinter unsern Brüdern und Nachbarn.<br />

Mitbürger! Wir fordern Euch <strong>auf</strong>, in jeder Stadt, in je<strong>dem</strong> Dorfe, in<br />

Volksversammlungen Euren Willen kräftig auszusprechen, Ausschüsse<br />

zu wählen und diese zur Leitung der großen Bewegung zu ermächtigen,<br />

welche von einem Ende Frankens bis zum andern sich<br />

fortpflanzen wird. [...]<br />

Mitbürger! erwägt die Wichtigkeit dieses Augenblicks, der, einmal<br />

versäumt, nicht wiederkehrt. Es handelt sich um Eure ganze Zukunft,<br />

um <strong>das</strong> Schicksal Euerer Nachkommen, um <strong>das</strong> Schicksal Deutschlands<br />

und der Freiheit. Gedenket, wie ihr von Junkern und Bureaukraten<br />

bevormundet, geknechtet und geplündert wurdet: die Rückkehr<br />

dieser Zustände steht Euch bevor, wenn ihr zurückbebt vor der<br />

entschiedenen That. Schon jetzt erheben die, welche Euch vor <strong>dem</strong><br />

März gepeinigt und ausgesogen haben, keck wieder ihr Haupt. Macht<br />

ihren voreiligen Triumph zu nichte! Franken hat jetzt eine große Aufgabe,<br />

es muß den Altbayern vorangehen im Kampfe für die Freiheit,<br />

für Deutschland. Vorwärts ihr Männer von Franken! <strong>Die</strong> Franken<br />

müssen Bayern deutsch und frei machen.“ 206<br />

Nach<strong>dem</strong> am 25. März 1849 in Breitengüßbach 207 und am 1. April<br />

1849 in Ebern 208 Volksversammlungen abgehalten worden waren, bei<br />

denen die <strong>dem</strong>okratischen Protagonisten aus Bamberg, Titus und Dr.<br />

Heinkelmann, als Redner <strong>auf</strong>getreten waren, erreichte die Welle der<br />

Volksversammlungen kurz dar<strong>auf</strong> <strong>das</strong> Landgericht Lichtenfels. Drei<br />

derartige Veranstaltungen sind hier belegt.<br />

<strong>Die</strong> Volksversammlung in Hochstadt am 9. April 1849<br />

In Hochstadt am Main strömten am 9. April 1849, <strong>dem</strong> Ostermontag,<br />

<strong>auf</strong> Einladung des „Märzvereins in Cronach“ 3000 bis 4000 Menschen<br />

zusammen, wie die in Coburg erscheinende NEUE DEUTSCHE DORFZEI-<br />

TUNG berichtete 209 . <strong>Die</strong> Kronacher hatten den Ort im Landgericht<br />

Lichtenfels wohl dank seiner guten Verkehrsanbindung gewählt: Er<br />

lag an einer Fernstraße und war Station der Ludwig-Süd-Nord-Bahn.<br />

206 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 295r.<br />

207 Vgl. Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 168; StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol.<br />

221r–222v.<br />

208 Vgl. Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 192, 219; StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V,<br />

fol. 245r–246r.<br />

209 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

230


Abb. 9: Wirtshaus in Hochstadt a. Main, errichtet 1605 durch<br />

<strong>das</strong> Kloster Langheim, heute Drogenklinik des <strong>Bezirk</strong>s <strong>Oberfranken</strong><br />

(Aufnahme vor 1901)<br />

Während die Republikaner von mehreren tausend Teilnehmern<br />

sprachen, bezifferte der Lichtenfelser Gendarmeriebrigadier die<br />

„Menschen, welche der Versammlung beywohnten, Weiber, Kinder<br />

etc.“ mit 1000 bis 1200, „darunter viele Ausländer (Coburger)“ 210 . Ihm<br />

zufolge hatte neben den Kronachern der Volksverein Schney eingeladen<br />

211 .<br />

„Da wegen der Unsicherheit des Wetters die Abhaltung der Versammlung<br />

vor <strong>dem</strong> Dorfe nicht rathsam schien, so wurde der geräumige<br />

Platz vor <strong>dem</strong> Gasthause zum Versammlungsplatze benutzt,<br />

während die Redner aus einem der obern Zimmer des Gasthofes zu<br />

der Versammlung sprachen.“ 212<br />

Der Vorsitzende des Märzvereins Kronach, der K<strong>auf</strong>mann Karl<br />

Pfretzschner 213 , eröffnete die Versammlung „mit einem längeren, mit<br />

210 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 252v.<br />

211 Vgl. ebd., fol. 250r.<br />

212 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

213 Als Vorstand des Märzvereins wird er im Februar 1849 genannt. Vgl. StAB,<br />

K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 70r. – Er war 1810 in Stockheim als Sohn des<br />

nachmaligen Kronacher Stadtrats Gottfried Pfretzschner zur Welt gekommen.<br />

Vgl. AEB, Kirchenbücher Kronach, Bd. 22, pag. 7 f. 1846 wird er als Eisenhändler<br />

bezeichnet. Vgl. AEB, Kirchenbücher Kronach, Bd. 11, Aufschlag 78.<br />

Als Würzburger Student war er 1833 verdächtigt worden, am Frankfurter Wachensturm<br />

beteiligt gewesen zu sein. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 932; Zinner:<br />

Zur <strong>Revolution</strong> von 1848/49 in <strong>Oberfranken</strong>, S. 121.<br />

231


vielem Beifall <strong>auf</strong>genommenen, Vortrage [...], in welchem sich der<br />

Redner über den Werth und Bedeutung der Volksversammlungen<br />

verbreitete, die verschiedenen Arten von Gegnern derselben charakterisirte<br />

und die Richtigkeit ihrer Bedenken und Einwürfe nachwies“<br />

214 . So hieß es in der berichtenden Coburger Zeitung. Dem<br />

zuhörenden Gendarmeriebrigadier zufolge erklärte Pfretzschner, er<br />

und seine Freunde hätten die Versammlung einberufen, um „<strong>das</strong> Volk<br />

zu belehren, was die Demokratie ist, um ein einiges festes Deutschland<br />

zu bilden, sich fest zu halten an den Beschlüßen, welche <strong>das</strong><br />

Parlament zu Frankfurt festgesezt hat“ 215 .<br />

Nach Pfretzschner berichtete, „von wiederholtem Beifall unterbrochen“,<br />

der Landtagsabgeordnete Georg Joseph Fillweber aus Kronach<br />

über „die bisherige Thätigkeit des bayer. Landtags“ 216 . Fillweber hatte<br />

über seine Mutter – eine geborene Silbermann – und seinen<br />

Schwager Dr. Theodor Rimberger enge Verbindungen nach Lichtenfels.<br />

<strong>Die</strong> behördlichen Berichte geben Fillwebers Rede ausführlicher<br />

wieder. Demnach unterrichtete er die Zuhörer über <strong>das</strong> Wirken der<br />

Linken im Landtag 217 und warnte, „daß man wahrscheinlich damit<br />

umgehe, den Landtag <strong>auf</strong>zuheben, damit verdeckt bleibe, welche<br />

Summen nach Griechenland geflossen seyen, <strong>das</strong> Volk soll dieses<br />

aber nicht zugeben und durch die Stände des Reichs dar<strong>auf</strong> bestehen,<br />

daß über Entleerung der Staatskassen Aufschluß ertheilt werde“<br />

218 . In der Tat hatte der König am 8. März 1849 den Landtag, der<br />

ohne Wenn und Aber für die Annahme der in Frankfurt beschlossenen<br />

Grundrechte votiert hatte, vertagt; erst am 16. Mai trat er wieder<br />

zusammen 219 .<br />

Anschließend referierte ein Student namens Lang aus Burgkunstadt.<br />

Er sprach „über die gegenwärtigen Zustände und die Lage der<br />

Dinge im Vaterlande, insbesondere über die Thätigkeit der deutschen<br />

Nationalversammlung, die Grundrechte und die neue Reichsverfassung,<br />

an welcher festzuhalten er die Versammlung dringend<br />

ermahnte; lang anhaltender Beifall folgte <strong>dem</strong> Redner“ 220 – so die<br />

Zeitung. Amtlicherseits wurde festgestellt, Lang habe an die Märzunruhen<br />

des Vorjahres erinnert und dabei beklagt, daß die seinerzeitigen<br />

Chancen nicht ausreichend genutzt worden seien. Er<br />

214 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

215 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 250r–v.<br />

216 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

217 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 250v.<br />

218 Ebd., fol. 254v.<br />

219 Vgl. Rall: <strong>Die</strong> politische Entwicklung, S. 234; Hummel: München in der <strong>Revolution</strong>,<br />

S. 231–233.<br />

220 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

232


Abb. 10: Georg Joseph Fillweber, Floßhändler in Kronach,<br />

Landtagsabgeordneter 1848–1855<br />

(Staatsbibliothek Bamberg, M.v.O.B.I.24)<br />

habe sich gegen die kostspieligen stehenden Heere ausgesprochen<br />

und statt dessen Volksbewaffnung gefordert 221 . Grundsätzlich könne<br />

es „es nur durch <strong>dem</strong>ocratische Einwirkungen besser werden“; Lang<br />

rief daher zur Gründung von Volksvereinen <strong>auf</strong> 222 .<br />

Hauptredner der Veranstaltung war offenbar der Kopf der Coburger<br />

Republikaner, der Jurist Feodor Streit (1820 –1904) 223 , denn über<br />

seine Ansprache berichteten die NEUE DEUTSCHE DORFZEITUNG und die<br />

obrigkeitlichen Teilnehmer am ausführlichsten. Dem Presseartikel zufolge<br />

verglich er Monarchie und Demokratie „im Hinblick <strong>auf</strong> ihre<br />

221 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 250v.<br />

222 Ebd., fol. 254v.<br />

223 Über ihn vgl. Bechstein: Feodor Streit; Bachmann: Das <strong>Revolution</strong>sjahr 1848<br />

in Coburg. – Sein Porträt im vorliegenden Band, S. 141.<br />

233


praktischen Folgen für <strong>das</strong> Volk“. Monarchie sei, so erläuterte er,<br />

„Herrschaft des selbstsüchtigen Eigenwillens eines Einzigen“, Demokratie<br />

die „Herrschaft des vernünftigen Gesammtwillens des Volkes“.<br />

Weiter führte Streit aus: „Jetzt [...] sei die Durchführung der nur in der<br />

Republik möglichen Demokratie durch den Sieg der Reaktion allerdings<br />

wieder vielleicht in weite Ferne gerückt, aber siegen werde die<br />

Sache der Republik doch noch, ihr gehöre die Zukunft, trotz der Verfolgungen,<br />

denen sie – ganz wie <strong>das</strong> in seinen Grundsätzen der<br />

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit der Demokratie so übereinstimmende<br />

reine Christenthum bei seinem ersten Auftreten vor<br />

2000 Jahren – ausgesetzt sei. Es solle für jetzt nur jeder <strong>das</strong> Evangelium<br />

der Demokratie fest im Herzen tragen und pflegen, bis früher<br />

oder später der Tag komme, wo <strong>das</strong> deutsche Volk in sich klar und<br />

einig den letzten völligen Sieg erringen werde. Als wirksames Mittel<br />

zum Siege der Volkssache bezeichnete er [...] die Vereine und Versammlungen<br />

und empfahl dringend die Gründung von Vereinen.“<br />

Wie aus den amtlichen Berichten deutlich wird, untermauerte<br />

Streit seine Monarchiekritik mit handfesten Angriffen <strong>auf</strong> die deutschen<br />

Fürsten im allgemeinen und König Ludwig I. von Bayern im<br />

besonderen. Er verlangte zunächst die „Aufhebung der stehenden<br />

Heere, wo die Söhne von ihren Aeltern und Geschwistern aus der<br />

Mitte herausgerießen und die Arbeit, der Feldbau zuhause liegen<br />

bleibt, und als Schlächter in <strong>das</strong> Feld geführt und ihr Leben, Blud für<br />

die Fürsten opfern müßen“. Der lauschende Gendarm schrieb in holperiger<br />

Sprache nieder, wie Streit nun den Eigennutz der Fürsten anprangerte:<br />

„Das Volk, sprach er weiter, sey wie eine Zitterone, welche<br />

man bis <strong>auf</strong> den lezten Tropfen auspreßen kann; ebenso wird es<br />

[...] von den 34 Fürsten, welche jährlich an 100 Millionen kosten, ausgepreßt.<br />

Der König von Preußen hat 18 Millionen Thaler, ein ganz kleiner<br />

Fürst an 5 Millionen, und der ehemalige König von Bayern 18 Millionen<br />

Gulden <strong>auf</strong> den englischen Banken stehen, wofür sie nur 2<br />

Prozent bezahlt erhalten, welches alles aus <strong>dem</strong> Volke ausgepreßt<br />

wurde, in<strong>dem</strong> dieselben ebenfalls arm geboren worden sind, überhaupt<br />

mit <strong>dem</strong> Gelde treiben, was sie wollen, und dadurch ihr Vergnügen<br />

rechtfertigen zu können. König Ludwig kostete Lola Montez<br />

eine schöne Summa Geld, dieselbe könnte damit nur [!] thun, was<br />

sie wollte.“ 224 Der Lichtenfelser Landrichter, der nicht anwesend war,<br />

wollte erfahren haben, Streit habe behauptet, daß in Schlesien „durch<br />

Vermittlung der Regierung die Grafschaften den Hungertodt der Unterthannen<br />

herbeigeführt hätten, und daß es bei uns auch nicht bes-<br />

224 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 251r–252r.<br />

234


ser gehen würde. Ueberhaupt soll seine Rede <strong>das</strong> Gepräge der größten<br />

Aufreitzung an sich getragen haben.“ 225<br />

Abschließend ergriff der Kronacher Arzt Dr. Leonhard Seligsberg<br />

(1807–1863) 226 , ein Jude, <strong>das</strong> Wort und regte „eine Adresse an die<br />

deutsche Nationalversammlung“ an, „worin die Aufforderung ausgesprochen<br />

war, an der neuen Verfassung unerschütterlich festzuhalten<br />

und sich zu keinerlei Abänderungen im Sinne der Reaktion bewegen<br />

zu lassen“. „<strong>Die</strong> Adresse wurde unter lautem Beifall von der Versammlung<br />

genehmigt und beschlossen“ 227 .<br />

Der Gendarm, der die Volksversammlung überwachte, schätzte den<br />

Erfolg der etwa einstündigen Zusammenkunft dagegen als gering ein:<br />

„<strong>Die</strong> Reden fanden wenig Anklang, blos von den Vereinsmittgliedern<br />

und einigen betrunkenen Bauern, dann Kindern wurde applaudirt.<br />

[...] <strong>Die</strong> beyden Vereine sind sogleich nach bendigten [!] Reden mit<br />

ihren Fahnen von roth, schwarz und gelber Farbe abgezogen.“ 228<br />

<strong>Die</strong> Volksversammlung in Ebensfeld am 22. April 1849<br />

Eine große Zusammenkunft veranstalteten die Demokraten der Obermainregion<br />

am 22. April 1849, einem Sonntag, in Ebensfeld, fast genau<br />

ein Jahr nach der gescheiterten Versammlung in Staffelstein, deren<br />

übrigens auch in Hochstadt gedacht wurde 229 . Doch nun kamen<br />

mehrere hundert Staffelsteiner zur Volksversammlung. Das BAMBER-<br />

GER VOLKSBLATT, ein Organ der Bamberger Demokraten, berichtete<br />

hocherfreut über den Verl<strong>auf</strong>: „Fast alle Vereine der Umgegend kamen<br />

mit ihren schwarz-roth-goldenen Fahnen und unter Musikbegleitung<br />

in <strong>das</strong> festgeschmückte und gastliche Ebensfeld gezogen. [...]<br />

Wohl 3000 Menschen umstanden mit gespannter Aufmerksamkeit die<br />

Tribüne“ – und <strong>das</strong>, obwohl viele Anhänger aus <strong>dem</strong> Itzgrund, wo<br />

<strong>dem</strong>okratische Vereine bestanden, wegen der schlechten Witterungsverhältnisse<br />

nicht kommen konnten 230 . Der Lichtenfelser Landrichter<br />

allerdings behauptete, aus der Dorfmitte, wo sich die Republikaner<br />

225 Ebd., fol. 255v–256r.<br />

226 Seligsberg, 1807 in Kronach geboren, studierte ab 1827 in Würzburg, ab 1828<br />

in München und ab 1830 wieder in Würzburg und ist seit 1834 als Arzt in<br />

Kronach nachweisbar. Er war seit 1838 mit Rosina Mack, der Tochter eines<br />

reichen Altenkunstadter K<strong>auf</strong>manns, verheiratet. Im November 1863 starb er<br />

in Kronach. Central Archives for the History of the Jewish People, G 4/67,<br />

Trauungen, Aufschlag 14; Fehn: Chronik von Kronach, Bd. 2, S. 296; Bd. 3,<br />

S. 227, 249.<br />

227 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 14.4.1849.<br />

228 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 252v–253r.<br />

229 In der Rede von Streit. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 251r.<br />

230 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 283.<br />

235


gesammelt hätten, sei ein Zug von nur 500 Personen zur schwarz-rotgold<br />

geschmückten Tribüne gezogen 231 .<br />

Es sprachen der Bamberger Advokat und Landtagsabgeordnete<br />

Ignaz Prell und Dr. Heinrich Heinkelmann, der „mit vieler Ironie<br />

und Satyre“ Demokratie und Monarchie charakterisierte; „<strong>das</strong> ganze<br />

Heiligthum der Monarchie und des Gottesgnadenwesens“ bestehe<br />

nur darin, erklärte er, „daß man es bisher aus Scheu nicht genau zu<br />

betrachten wagte“ 232 .<br />

Der amtliche Bericht zeigt – anders als der zitierte Artikel im BAM-<br />

BERGER VOLKS-BLATT –, daß die Redner es an Polemik nicht fehlen<br />

ließen. Der Lichtenfelser Landrichter meldete <strong>dem</strong> Regierungspräsidium,<br />

Heinkelmann habe in „einer langen Rede [...] mit vieler Gewandtheit<br />

dargelegt [...], daß zur Herrschaft eines Einzigen nie eine<br />

Berechtigung vorhanden, dagegen die Volksherrschaft nur <strong>das</strong> alleinige<br />

Richtige sey, zu deren Einführung <strong>das</strong> Volk vollkommen berechtiget<br />

wäre. Sodann soll er mit humoristischem Ausschmucke über<br />

die saubere Wirthschaft in Bayern, besonders über die übermäßige<br />

Civilliste des Königs 233 , die bedeutenden und überflüßigen Pensionen,<br />

die Verschwendung der Volksgelder für Huren, die Erbauung<br />

von Pallästen für diese und andere ähnliche Unverdiente, sowie<br />

überhaupt über unverantwortlichen Luxus der Monarchen gesprochen<br />

haben.<br />

Uebergehend <strong>auf</strong> die Beamten, soll er den deßfalls bestehenden<br />

schlechten und beklagenswerthen Zustand geschildert und dargestellt<br />

haben, daß solche bis zum Schreiber herab <strong>das</strong> Volk nur knechten,<br />

und <strong>dem</strong> letzteren begreiflich zu machen gesucht haben, daß<br />

wenn <strong>das</strong> Volk seine Beamten selbst wähle, gewiß eine andere Wahl<br />

getroffen würde, verglich die Beamten zu Schindern, dann Voegeln,<br />

die ihre Schwänze und Köpfe verschiedenartig trügen, sagte, sie seyen<br />

z. B., wie Grünspechte oder Baumhacker, Menschen-Hacker.<br />

Auch soll er ins Lächerliche zu ziehen gesucht haben, daß man den<br />

in Sachsen verjagten von der Pfordten überhaupt als Minister angenommen<br />

habe.“ 234 Der liberale Ludwig von der Pfordten (1811–<br />

1880) 235 war, nach<strong>dem</strong> er in Würzburg, dann an der Universität Leipzig<br />

gelehrt hatte, im März 1848 zum sächsischen Minister des Innern<br />

ernannt worden und im Februar 1849 <strong>auf</strong>grund seiner Konflikte mit<br />

231 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 273r.<br />

232 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 283.<br />

233 <strong>Die</strong> Zivilliste bezeichnet den Haushaltsplan des Königs.<br />

234 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 274r–v. Zu den <strong>dem</strong>okratischen Äußerungen<br />

über Ludwig von der Pfordten vgl. Zimmermann: <strong>Die</strong> Einheits- und<br />

Freiheitsbewegung, S. 396.<br />

235 Über ihn vgl. Franz: Ludwig Freiherr von der Pfordten.<br />

236


<strong>dem</strong> <strong>dem</strong>okratisch dominierten Landtag zurückgetreten 236 – <strong>auf</strong><br />

Druck des Königs hatte sich die Regierung geweigert, die Grundrechte<br />

anzuerkennen –, am 18. April 1849 aber durch König Maximilian<br />

II. von Bayern zum Minister des Äußern und des Königlichen<br />

Hauses berufen worden 237 .<br />

Weiter brachte der Landrichter über Heinkelmanns Rede folgendes<br />

in Erfahrung: „Ueber die Geistlichen, die er mit <strong>dem</strong> Namen<br />

Schwarze oder Pfaffen bezeichnete, soll er geäußert haben, daß sie<br />

weder <strong>das</strong> Seelen- noch <strong>das</strong> irdische Wohl ihrer Pfarrkinder, sondern<br />

lediglich nur ihren eigenen Säckel vor Augen hätten, und eiferte <strong>das</strong><br />

Volk an, besorgt zu sein, die elende Lage des armen Volkes zu verbessern.<br />

Endlich soll er auch über die Grundrechte gesprochen, sie<br />

als Stützpunkte der Demokratie anerkannt und die Annahme derselben<br />

als nothwendig dargestellt haben.<br />

Advokat Prell soll ebenso in sehr <strong>auf</strong>fallenden Ausdrücken gegen<br />

die Civilliste des Königs, gegen die Ministerien und gegen die bisherigen<br />

Kammern gesprochen und <strong>das</strong> Volk <strong>auf</strong>gefordert haben, fest<br />

wie ein Mann zusammen zu treten und so zu wirken, daß diesem<br />

Unwesen gesteuert werde.<br />

Auch soll er den geistlichen Stand sehr unsanft berührt und dieser<br />

sowohl als Heinkelmann <strong>das</strong> Volk <strong>auf</strong>gefordert haben, bis zur Erlangung<br />

ihrer gerechten Wünsche die Steuern zu verweigern, insoweit<br />

sie nicht durch die Stände des Reiches genehmigt seyen. Letzteres<br />

soll von einem großen Theil des Volkes, <strong>das</strong> eine unbedingte Aufforderung<br />

zur Steuerverweigerung entnommen haben will, besonders<br />

begrüßt worden seyn.“ 238<br />

<strong>Die</strong> Volksversammlung in Lichtenfels am 17. Mai 1849<br />

<strong>Die</strong> größte Versammlung der <strong>Revolution</strong>sjahre im Obermaingebiet<br />

fand am 17. Mai – am Feiertag Christi Himmelfahrt – 1849 in Lichtenfels<br />

statt 239 , und zwar <strong>auf</strong> Einladung der Volksvereine von Lichtenfels<br />

und Schney 240 . 6000 bis 8000 Menschen waren <strong>dem</strong>okratischen<br />

Presseberichten zufolge trotz ungünstiger Witterung zusammengeströmt,<br />

unter ihnen die Volkswehren der sächsischen Dörfer Ebersdorf,<br />

Sonnefeld und Weidhausen 241 . <strong>Die</strong> amtlichen Schätzungen lagen<br />

236 Zur politischen Situation vgl. den Überblick bei Rupieper: Sachsen, S. 79 f.<br />

237 Zu den Erwägungen vgl. Valentin: Geschichte der deutschen <strong>Revolution</strong>,<br />

Bd. 2, S. 443.<br />

238 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 274v–275v.<br />

239 Der ausführlichste Bericht in Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 369–371.<br />

240 Vgl. Der freie Staatsbürger 1849, S. 536.<br />

241 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 22.5.1849.<br />

237


auch in diesem Fall weit niedriger: Der Lichtenfelser Gendarmeriebrigadier<br />

sprach von 4000 bis 5000 Menschen 242 , und der Landrichter<br />

meinte, es hätten sich „beiläufig 2000 Zuhoerer versammelt [...], meistens<br />

Bewohner aus <strong>dem</strong> herzogl. Sachsen-Coburgi[schen] Gebiethstheilen.<br />

Ein besonderer Zuzug fand von Sonnefeld statt, von wo aus<br />

gegen 200 Mann in der Kleidung der dortigen Volkswehr mit deutschfarbiger<br />

Fahne und 2 Tromlern, jedoch unbewaffnet ankamen“ 243 . Ein<br />

alter Mann in Schney erinnerte sich kurz vor <strong>dem</strong> Ersten Weltkrieg:<br />

„Ein grosser Zug von Leuten [...] kam von Coburg nach Lichtenfels.<br />

Schneyer schlossen sich <strong>dem</strong> Zuge an und gingen mit nach L[ichtenfels],<br />

wo grosse Reden gehalten wurden.“ 244<br />

<strong>Die</strong> Menschen strömten <strong>auf</strong> den Lichtenfelser Marktplatz und marschierten<br />

von dort aus als „langer unabsehbarer Zug, Musik und Fahnen<br />

voran“, <strong>auf</strong> den Schützenanger, wo eine Rednertribüne errichtet<br />

war 245 . Zwischen 3 und 5 Uhr nachmittags sprachen dort von einer<br />

eigens errichteten Rednertribüne aus Dr. Rimberger, Dr. Heinkelmann,<br />

die Coburger Demokraten Feodor Streit und Friedrich Albrecht<br />

und ein Lebküchner namens Brehm aus Ebersdorf bei Coburg 246 . Der<br />

Ton war gegenüber den Versammlungen in Hochstadt und Ebensfeld<br />

offenkundig schärfer geworden, hatte doch mittlerweile König Maximilian<br />

II. die Reichsverfassung förmlich abgelehnt.<br />

Dem Regierungspräsidenten kam zu Ohren, Rimberger habe in<br />

seiner Eröffnungsrede bereits mit „unbemessenen Ausdrücken zur<br />

Bewaffnung gegen die Staatsregierung und zum gewaltsamen Umsturz<br />

der bestehenden Verfassung“ <strong>auf</strong>gerufen 247 . Der Lichtenfelser<br />

Landrichter meldete am Tag nach der Volksversammlung, der Arzt<br />

habe „in kurzen Worten die bedenkliche[n], jedoch zur Erringung der<br />

Volksfreiheit günstigen Zeitverhältniße geschildert“ und die gegen<br />

<strong>das</strong> Volk gerichteten „Umtriebe der Staatsregierung“ angeprangert 248 .<br />

Heinkelmann äußerte sich ausgesprochen bayernfeindlich, beinahe<br />

separatistisch 249 . Er führte – so der Bericht im BAMBERGER VOLKS-<br />

242 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 65v.<br />

243 Ebd., fol. 60r.<br />

244 Pfarrarchiv Schney, Nr. 16, pag. 116.<br />

245 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 22.5.1849.<br />

246 Letzterer erscheint in den Presseberichten nicht bzw. nur am Rande, ist aber<br />

in den Berichten des Landrichters und des Gendarmeriebrigadiers als Redner<br />

erwähnt. Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 61r, 65v.<br />

247 Ebd., fol. 353r.<br />

248 Ebd., fol. 60v.<br />

249 Eine bayernfeindliche, <strong>auf</strong> ausgeprägtes Selbstbewußtsein der Franken zielende<br />

Haltung der fränkischen Demokraten zeigt sich etwa auch in den<br />

entsprechenden Äußerungen des Nürnberger Publizisten Gustav <strong>Die</strong>zel zu<br />

seinem Widerstand gegen einen Anschluß der fränkischen Volksvereine an<br />

238


BLATT – „in die Geschichte Bayerns und Frankens zurück, zeigte, wie<br />

nur durch fremde Kriegsmacht die fränkischen Provinzen an Bayern<br />

gekommen, wie dessen Regentenhaus, lediglich nach Gebietsvergrößerung<br />

strebend, immer gegen <strong>das</strong> deutsche Reich feindlich <strong>auf</strong>getreten,<br />

sich mit dessen Feinden verbündet und dann mit deren<br />

Hülfe <strong>das</strong>selbe habe zerreißen helfen, daß es die vorzüglichste<br />

Schuld daran trage, daß 1815 nach Besiegung der Franzosen <strong>das</strong><br />

deutsche Volk nicht wieder zur wahren Einheit gelangte, daß in<br />

Franken daher von einer angestammten Anhänglichkeit und hundertjähriger<br />

Treue keine Rede sein könne, daß die bayerische Regierung<br />

im Gegentheile alle reichen Stiften [!] und Klöster verschlungen, für<br />

die materielle Wohlthat und Erhöhung der Volksbildung gar nichts<br />

gethan, im Gegentheile den Gewerbs- und Ackersmann methodisch<br />

ausgebeutet und zu Grunde gerichtet, und ein System der geistigen<br />

und körperlichen Unterdrückung entfaltet, daß Hunderte von Millionen<br />

der Staatsgelder für fremde Zwecke zur Befriedigung der<br />

Herrsch- und Prunksucht, sinnlichere Lüfte und der Eitelkeit der<br />

Herrscher vergeudet worden seien, und daß also Franken, wo selbst<br />

unter geistlichen Regierungen [...] der Wohlstand und die Bildung<br />

mehr gefördert waren, keine Ursache habe, an seiner Verbindung mit<br />

Bayern festzuhalten, daß es vielmehr gegen jedes Sondergelüste des<br />

wittelsbach’schen Hauses ankämpfen und sich fest an <strong>das</strong> neu begründete<br />

Deutsche Reich anschließen müsse. Hiezu sei die Reichsverfassung<br />

<strong>das</strong> geeignete Mittel. Wir Franken, endete der Redner, erkennen<br />

diese Verfassung als allgemeines deutsches Reichsgesetz<br />

feierlich an. Oder ist Jemand in der Versammlung, der dieß widerspreche?<br />

Nein, schrie wie aus einem Munde die Versammlung. Wohlan<br />

denn, wollt ihr freiwillig den Eid dieser Verfassung schwören? Ja,<br />

ja! riefen die Tausende in freudiger Begeisterung. Nun, so entblößet<br />

eure Häupter, erhebet die rechte Hand und schwöret mir nach, im<br />

Angesichte des allmächtigen Gottes, hier unter <strong>dem</strong> großartigen Tempelbogen<br />

der freien Natur. Alle erhoben die Hand und sagten die Eidesformel<br />

nach: ,Ich schwöre Treue der deutschen Reichsverfassung<br />

und Aufrechthaltung derselben, so wahr mir Gott helfe.‘ Feierliche<br />

Stille folgte diesem erheblichen Akte.“ 250<br />

Weniger feierlich stellte sich die Szene für den Gendarmeriebrigadier<br />

dar, der über die Rede seinem Bayreuther Vorgesetzten folgendes<br />

meldete: „Dr. Heinkelmann erklärte ebenfalls, was Monarchie<br />

und Demokratie ist, schimpfte über seine Mayestaet König Ludwig,<br />

den „Zentral-Märzverein“ in München. Vgl. <strong>Die</strong>zel: Baiern und die <strong>Revolution</strong>,<br />

S. 243 f.<br />

250 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 370.<br />

239


daß dieselben <strong>das</strong> Geld vom Staate verbaut, und namentlich liesen<br />

dieselben Steinh<strong>auf</strong>en zusamensetzen, alß eine Walhala, Siegesthor<br />

etc. etc. und <strong>das</strong> überige hat derselbe seiner Wohlust zufolge vergeutet,<br />

aber die Straßen und Wasserbauten sind liegen geblieben. Dann<br />

stellte derselbe aus den Thierreiche ein Gleichniß <strong>auf</strong>, als wenn die<br />

Regierungen die Katzen und <strong>das</strong> Volk die Mäuße wären, und letzte<br />

von erstern nach und nach gefreßen werden. Ferner forderte derselbe<br />

<strong>das</strong> Volk <strong>auf</strong>, sich zu erklären, ob sie die zu Frankfurt a/M. von<br />

der dortigen Nationalversammlung als entgültig beschloßenen Gesetze<br />

und Verfaßung anerkennen, ließ die Mützen, Hüte etc. abnehmen<br />

und sagte den Volke die Eidesformel, welche von Seite der National-<br />

Versammlung zu Frankfurt bestimmt wurde, vor, wobey <strong>das</strong> Volk die<br />

rechte Hand in die Höhe heben mußte, und bezeichnete solches<br />

als Schwur, daß sie am Gesetze und der Verfaßung geschworen haben“<br />

251 . Dem Landrichter zufolge sei der Eid sogar nur „von der<br />

geringeren Anzahl der anwesenden Bevölkerung abgeleistet worden“<br />

252 .<br />

Darüber hinaus habe Heinkelmann – so der Gendarmeriebrigadier<br />

– zur Verteidigung der Reichsverfassung, notfalls mit Waffengewalt,<br />

<strong>auf</strong>gerufen: Für den Fall, daß „die Grundrechten und die Verfaßung<br />

in Bayern nicht anerkannt werden sollten“, forderte er jede Gemeinde<br />

<strong>auf</strong>, sich zu bewaffnen; „sie sollen hinüber nach der Pfalz und Baden<br />

sehen, wie sich ihre Brüder alle als wie ein Mann in Betreffe<br />

fraglichen Gesetzen erhoben haben. Dann sagte er ferner, es gebe<br />

noch ein Ding, die Steuerverweigerung, wenn dieses geschieht, dann<br />

können sie ihre Soldaten brav zahlen, den [!] ohne Sold dient der Soldat<br />

nicht; die drey Franken sind mächtig genug, sich los von Bayern<br />

zu trenen“ 253 .<br />

Friedrich Albrecht habe – so der Landrichter – den Regierungen,<br />

namentlich der bayerischen, „der Freiheit des Volkes entgegen strebende<br />

Umtriebe“ vorgeworfen, die „<strong>das</strong> Volk zu gewaltsamen Handlungen<br />

[...] reitzen“ sollten 254 .<br />

Auch Feodor Streit beschwor die Anwesenden, gemeinsam mit<br />

den Sachsen und Thüringern für die Reichsverfassung zu kämpfen;<br />

„nach Erschöpfung aller gesetzlichen Mittel“ müsse man „Gewalt mit<br />

Gewalt vertreiben“ 255 . Ferner griff er, wie die amtlichen Erkundigungen<br />

ergaben, den Reichsverweser, Erzherzog Johann, an: <strong>Die</strong>ser habe<br />

251 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 64v– 65r.<br />

252 Ebd., fol. 62r.<br />

253 Ebd., fol. 65r.<br />

254 Ebd., fol. 61r.<br />

255 Bamberger Volks-Blatt 1849, S. 371.<br />

240


„die Nationalversammlung verrathen“ und stehe <strong>auf</strong> der Seite der Fürsten.<br />

Unbedingt müsse die Verfassung beibehalten werden; dafür<br />

müsse „jeder mit Gut, Blud, Leib und Leben [...] einstehen“ 256 .<br />

Der Lebküchner Brehm schließlich soll wörtlich gesagt haben:<br />

„Deutsche Brüder, unsere Söhne müßen dermalen wieder einrüken,<br />

wir verweigern dieses, wir laßen unsere Söhne keine Soldaten werden,<br />

wenn uns nicht voraus gesagt wird, zu welchen <strong>Die</strong>nste sie verwendet<br />

werden. <strong>Die</strong> Steuer wollen wir verweigern, in der Art, die<br />

Steuer an den Gemeindevorsteher bezahlen, dort die Summa zu deponiren<br />

und sie zu Staatsmitteln als zur Anschaffung von Waffen etc.<br />

etc. zu benutzen.“ 257 In seiner Rede stieß er – so der Landrichter –<br />

„die schmählichsten Lästerungen gegen die Fürsten, Geistlichen und<br />

Beamten, Gendarmerie sowie gegen alle jene“ aus, die sich <strong>dem</strong><br />

„<strong>dem</strong>okratischen Volkswillen“ entgegenstellten 258 .<br />

Alle Redner, die am 17. Mai 1849 in Lichtenfels <strong>auf</strong>traten, wurden<br />

<strong>auf</strong>grund ihrer Äußerungen des versuchten Hochverrats angeklagt 259 .<br />

Strafrechtlich verfolgt wurde Streit auch durch die Coburger Justiz<br />

wegen einer Rede, die er zwölf Tage später, am 29. Mai 1849, bei<br />

einer Volksversammlung <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Anger zu Coburg gehalten hatte.<br />

Unter den 4000 Teilnehmern dieser Veranstaltung waren auch viele<br />

bayerische Untertanen 260 , wohl auch aus <strong>dem</strong> Landgericht Lichtenfels.<br />

Auch in Schwarzach bei Kulmbach fand am 28. Mai 1849, <strong>dem</strong><br />

Pfingstmontag, eine Volksversammlung mit 4000 bis 5000 Teilnehmern<br />

statt, bei der Redner aus Coburg, Hildburghausen und Kronach<br />

sprachen 261 .<br />

<strong>Die</strong> Volksversammlungen waren keine Zusammenkünfte überzeugter<br />

Republikaner. Mit Blick <strong>auf</strong> die Eberner Volksversammlung vom 1.<br />

April 1849 konstatierte der Bamberger Stadtkommissar Johann Baptist<br />

Ihl, ein glühender Gegner der Republikaner: „<strong>das</strong> Volk war zu<br />

<strong>dem</strong> neuen Spektakel herbeigeeilt, eben weil es ein neues Spektakel<br />

war.“ 262 Obgleich keineswegs alle, die zu den Volksversammlungen<br />

strömten, Anhänger der Demokraten waren, darf doch andererseits<br />

256 Ebd., fol. 65v.<br />

257 Ebd., fol. 65v.<br />

258 Ebd., fol. 61v.<br />

259 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VII, fol. 253r.<br />

260 Vgl. Bachmann: Das <strong>Revolution</strong>sjahr 1848 in Coburg, S. 84. Auch Karche notierte<br />

in seinen chronikalischen Aufzeichnungen, es hätten „viele Fremde aus<br />

Baiern, Ummerstadt etc. etc.“ teilgenommen. Stadtarchiv Coburg, Coburgica<br />

I/11a.<br />

261 Neue Deutsche Dorfzeitung vom 2.6.1849.<br />

262 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/V, fol. 246r.<br />

241


der Eindruck, den die Großveranstaltungen machten – <strong>auf</strong> die Teilnehmer<br />

wie <strong>auf</strong> manchen Zeitungsleser und die Obrigkeit –, nicht<br />

unterschätzt werden.<br />

<strong>Die</strong> Wirkung der Volksversammlungen wie überhaupt der <strong>dem</strong>okratischen<br />

Propaganda im Frühling 1849 faßte der Lichtenfelser Landrichter<br />

in seinem Bericht über den 17. Mai 1849 wie folgt zusammen:<br />

„Leider ist es den <strong>dem</strong>okratischen Bestrebungen gelungen, die Gutgesinnten<br />

<strong>auf</strong> alle mögliche Weise einzuschüchtern, die weniger Einsichtsvollen<br />

für ihre Parthey zu gewinnen und durch Verdächtigung<br />

der geistlichen und weltlichen Beamten deren Einwirkung zu lähmen.“<br />

263 <strong>Die</strong> ablehnende Haltung der bayerischen Regierung in der<br />

Frage der Reichsverfassung trieb den Demokraten offenbar Sympathisanten<br />

zu. Auch „bei einem großen Theil der conservativ Gesinnten“,<br />

legte der Landrichter <strong>dem</strong> Regierungspräsidenten dar, herrsche die<br />

„unbesiegbare Meinung“ vor, es könne „nur durch Anerkennung der<br />

Reichsverfaßung Ruhe und Ordnung hergestellt werden“; daher unterstützen<br />

sie in dieser Frage die Demokraten 264 . Regierungspräsident<br />

von Stenglein urteilte mit Blick <strong>auf</strong> Bamberg, der konstitutionell-monarchisch<br />

gesonnene Teil der Bürgerschaft habe „in diser Beziehung<br />

mit der <strong>dem</strong>okratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht, so<br />

daß zur Zeit eigentlich zwei politische Parteien in Bamberg nicht<br />

mehr bestehen“ 265 .<br />

<strong>Die</strong> Niederschlagung der <strong>Revolution</strong><br />

und der Erfolg der Republikaner<br />

Mit der Ablehnung der Reichsverfassung am 23. April 1849 hatte König<br />

Maximilian II. eindeutig gegen die Paulskirche Position bezogen.<br />

<strong>Die</strong> Gegenbewegung der Republikaner fand, namentlich in Franken,<br />

einen Anklang, der die Regierung beunruhigte, wie schon Veit Valentin<br />

festgestellt hat: „Ganz Franken sieht in diesen Maitagen <strong>auf</strong> den<br />

Kampf in Sachsen; siegt dort die <strong>Revolution</strong>, so wird sich auch Franken<br />

erheben. ,Alles steht <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Spiele‘, meint selbst Pfordten zum<br />

preußischen Gesandten.“ 266<br />

Nach<strong>dem</strong> der pfälzische Aufstand im Mai 1849 niedergeschlagen<br />

war, vollzog der König jedoch den offenen Bruch mit der Paulskirche:<br />

Am 5. Juni 1849 erklärte er, die Nationalversammlung habe zu<br />

263 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 61v.<br />

264 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 61v–62r. <strong>Die</strong>se Haltung war verbreitet.<br />

Vgl. Doeberl: Bayern und die Deutsche Frage, S. 152, 178–181, 187–192.<br />

265 Zit. nach Doeberl: Bayern und die Deutsche Frage, S. 187.<br />

266 Valentin: Geschichte der deutschen <strong>Revolution</strong>, Bd. 2, S. 492.<br />

242


estehen <strong>auf</strong>gehört; wenige Tage später löste er den Landtag <strong>auf</strong>. Um<br />

dieselbe Zeit wurden die Vorkämpfer der republikanisch-<strong>dem</strong>okratischen<br />

Sache verhaftet. Dr. Heinrich Heinkelmann etwa wurde am<br />

Morgen des 10. Juni 1849 festgenommen 267 .<br />

Im folgenden gab es in der Obermainregion keine Volksversammlungen<br />

mehr. Allerdings fand in <strong>Oberfranken</strong> eine solche Veranstaltung<br />

noch am 10. Juni, und zwar in Gräfenberg, statt 268 ; eine für den<br />

17. Juni 1849 geplante Versammlung in Schwarzenbach an der Saale<br />

wurde kurzfristig abgesagt, da die Verhaftung des Protagonisten der<br />

<strong>dem</strong>okratischen Idee im Fichtelgebirge, des K<strong>auf</strong>manns Thomsen in<br />

Alexandersbad, drohte 269 . Für denselben Tag war übrigens auch eine<br />

Volksversammlung <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Judenbühl bei Nürnberg geplant 270 . Spätere<br />

Versammlungen in <strong>Oberfranken</strong> sind nicht nachzuweisen. <strong>Die</strong><br />

konservative NEUE MÜNCHENER ZEITUNG erklärte die Ruhe nach der<br />

Landtagswahl vom Juli 1849 wie folgt: „<strong>Die</strong> Demokraten halten sich<br />

so ziemlich still; sie glauben desto erfolgreicher in der Kammer <strong>auf</strong>treten<br />

zu können. Von Volksversammlungen ist nicht mehr die Rede;<br />

man braucht sie jetzt nicht, denn es ist dermal nicht nöthig, offen zu<br />

wühlen, <strong>auf</strong>zuregen, zu hetzen; man will abwarten, wie sich die Dinge<br />

beim Landtage gestalten, und dergleichen Mittel versparen, bis<br />

man sie je nach <strong>dem</strong> Gange der Verhandlungen dort nothwendig<br />

hält zur Unterstützung oder dienlich zur Ausbeutung des gehofften<br />

Sieges.“ 271<br />

In Lichtenfels provozierte Dr. Theodor Rimberger noch am 7. Juni<br />

1849 Obrigkeit und Bürgerschaft, in<strong>dem</strong> er an Fronleichnam sein<br />

Haus mit Porträts der Anführer des badischen Aufstands, Gustav von<br />

Struves und Theodor Heckers, sowie mit einem Bild Robert Blums<br />

und einer Darstellung seiner Erschießung schmückte 272 . Am 3. Juli<br />

1849 wurde Rimberger <strong>auf</strong>grund seines Auftritts bei der Volksversammlung<br />

vom 17. Mai verhaftet, entkam aber noch am selben Tag<br />

aus der Lichtenfelser Fronveste, in<strong>dem</strong> er aus einem Fenster im ersten<br />

Stock sprang. Wie der Regierungspräsident nach München berichtete,<br />

habe „eine <strong>auf</strong>fallende Vernachläßigung von Seite des Gerichtsdieners<br />

Fugmann zur Flucht die Veranlaßung gegeben, diese wenigstens sehr<br />

267 Vgl. StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 223r.<br />

268 Vgl. ebd., fol. 243r–244v; Ackermann: Gräfenberg, S. 113.<br />

269 Ankündigung im Nürnberger Kurier 1849, Nr. 166. Veranstalter war <strong>dem</strong>nach<br />

der <strong>Bezirk</strong>sausschuß der <strong>dem</strong>okratischen Vereine des Fichtelgebirges. Zur<br />

Absage Jäger: Wunsiedel 1811–1932, S. 113 Anm. 28.<br />

270 Vgl. Brunner: Politische Bewegungen in Nürnberg, S. 156 f.<br />

271 Neue Münchener Zeitung 1849, Beilage zu Nr. 190 (14.8.).<br />

272 Vgl. Neue Münchener Zeitung 1849, S. 571.<br />

243


erleichtert“ 273 . In der mündlichen Überlieferung, die Emil Marschalk<br />

von Ostheim fast vier Jahrzehnte später <strong>auf</strong>zeichnete, wird ein zusätzliches<br />

Detail von Rimbergers Flucht erwähnt: „Seine Frau wußte<br />

sich Zutritt zu ihm [zu] verschaffen, besprach mit wenig Worten einen<br />

Fluchtplan, und während dieselbe außerhalb der Gefängnißthüre<br />

sich mit <strong>dem</strong> Wärter besprach, sprang Rimberger aus <strong>dem</strong> Fenster.“<br />

274 Möglicherweise verschwieg der Regierungspräsident die<br />

Beteiligung von Theresia Rimberger aus Rücksicht <strong>auf</strong> deren Vater,<br />

Hofrat Dr. Krappmann.<br />

Rimberger 275 rannte aus der Stadt, lief nach Coburg, wo er eine<br />

Nacht im Taubenschlag <strong>auf</strong> einem Dachboden verbrachte, und schlug<br />

sich von dort aus nach Paris durch, wo er als junger Arzt zwei Jahre<br />

lang gelebt hatte. Schließlich schiffte er sich in Le Havre nach Nordamerika<br />

ein. Als er 1851 seine Familie abholen wollte, wurde er, der<br />

nach seiner Flucht steckbrieflich gesucht wurde 276 , <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Leipziger<br />

Bahnhof verhaftet. Dank der Intervention seines einflußreichen<br />

Schwiegervaters wurde er freigelassen und wanderte Anfang 1852,<br />

mit einem bayerischen Paß versehen 277 , in die USA aus, wo er sich<br />

in New Orleans niederließ 278 . Ebenso soll der frühere Staffelsteiner<br />

Arzt Dr. Ott in die USA übersiedelt sein 279 .<br />

273 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VI, fol. 354r.<br />

274 StAB, G 35, Annalen, Kasten 31, Zettel 832.<br />

275 <strong>Die</strong> Geschichte seiner Flucht in die USA, seiner Verhaftung und endgültigen<br />

Auswanderung ebd.<br />

276 Vgl. Allgemeine Zeitung 1849, S. 2956; auch Königlich bayerisches Intelligenz-Blatt<br />

für <strong>Oberfranken</strong>. Auf <strong>das</strong> Jahr 1849, S. 708, 715, 721. Das „Signalement“<br />

lautete wie folgt: „Theodor Rimberger ist 40 Jahre alt, 6 Schuh<br />

groß, von magerer Statur, hat schwarze Haare, schwarzen starken Bart, zur<br />

Zeit seiner Entweichung um <strong>das</strong> ganze Kinn, braune gesunde Gesichtsfarbe,<br />

langes schmales Gesicht, blaugraue Augen, etwas gebogene scharfgezeichnete<br />

Nase.<br />

Kleidung: Trug bei seiner Entweichung einen dunkeln kurzen Überrock neben<br />

mit Taschen, hellgraue Sommerbeinkleider, hellgraue Weste, weißen<br />

runden Filzhut. Besondere Kennzeichen: Trägt eine schwarze Haar-Tour,<br />

dann eine Brille, an der er beständig herumrückt und ist im Gesichte etwas<br />

verwundet.“<br />

Typisch für einen Republikaner ist die Barttracht, die Rimberger mit Titus<br />

und Heinkelmann gemeinsam hatte und die der Parade-<strong>Revolution</strong>är Friedrich<br />

Hecker kultiviert hatte. Vgl. Belting: Mode und <strong>Revolution</strong>, S. 82, 84<br />

u. ö.<br />

277 Vgl. StAB, K 3 A I, Nr. 2390/II, Schreiben vom 29.1.1852.<br />

278 <strong>Die</strong> Familie Rimbergers erkrankte, offenbar nach der Ankunft, „am gelben<br />

Fieber“; Theresia Rimberger starb daran. <strong>Die</strong> drei Töchter Rimbergers wurden<br />

dar<strong>auf</strong>hin zurück nach Deutschland zu ihren Großeltern gebracht. StAB,<br />

G 35, Annalen, Kasten Nr. 31, Zettel 833. In seinem 1863 abgefaßten Testament<br />

bedachte Dr. Michael Krappmann seine drei Enkelinnen, schloß aber<br />

244


Der aus Staffelstein stammende Student Anton Stark provozierte –<br />

gemeinsam mit einem Kommilitonen aus Schweinfurt – im November<br />

1849 in Würzburg ein Handgemenge mit einem österreichischen<br />

Offizier und wurde dafür vier Jahre der Universität verwiesen 280 . Im<br />

März 1850 veranstaltete er gemeinsam mit Johann Baptist Müller eine<br />

Tombola zugunsten <strong>dem</strong>okratischer Flüchtlinge, „was aber unter<br />

der Decke anderer wohlthätiger Zwecke angekündet war“ 281 . Nach<strong>dem</strong><br />

sich Stark um 1852 vergeblich um eine Stelle im bayerischen<br />

Staatsdienst bemüht hatte 282 , lebte er 1886 angeblich als Buchdruckereibesitzer<br />

in Schlesien 283 .<br />

Andere Männer, die sich 1848/49 für die Demokratie stark gemacht<br />

hatten, blieben dank der am Jahresende 1849 erlassenen Amnestie<br />

unbehelligt. Politisch trat keiner von den örtlichen Republikanern<br />

mehr nennenswert in Erscheinung, ausgenommen Johann Baptist<br />

Müller aus Staffelstein, der seiner Heimatstadt von 1870 bis zu seinem<br />

Tod 1893 als Bürgermeister vorstand und für eine Periode (1881–<br />

1886) als Liberaler <strong>dem</strong> bayerischen Landtag angehörte 284 .<br />

Nach<strong>dem</strong> König Maximilian II. im Juni 1849, die für die <strong>Revolution</strong><br />

ungünstige Stimmung nutzend, den Landtag <strong>auf</strong>gelöst hatte, wurde<br />

am 17. Juli 1849 eine neue Kammer der Abgeordneten gewählt 285 .<br />

Während sich nun in Bamberg konstitutionell-monarchische Kandidaten<br />

durchsetzten 286 – wie ja überhaupt der Landtag eine liberal-<br />

deren Vater „von jeder Einmischung in ihre Erbschaft und Nuzniesung ihres<br />

erhaltenen Vermögens vollkommen aus“. <strong>Die</strong> Abneigung Krappmanns gegen<br />

seinen Schwiegersohn war wohl noch dadurch gesteigert worden, daß dieser<br />

sich jahrelang „um seine Kinder [...] nicht mehr bekümmerte und nichts<br />

von sich hören ließ“. StAB, K 110 Stadtgericht, NL 1863/64, Nr. 40, Testament.<br />

279 Vgl. StAB, G 35 Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 415.<br />

280 Vgl. Neue Münchener Zeitung 1849, S. 1155, 1198.<br />

281 StAB, K 3 Präs.reg., Nr. 813/VII, fol. 206v.<br />

282 Vgl. Zinner: Zur <strong>Revolution</strong> 1848/49 in <strong>Oberfranken</strong>, S. 119.<br />

283 Vgl. StAB, G 35, Annalen, Kasten Nr. 26, Zettel 411 (Schriftliche Mitteilung<br />

von Pfarrer Franz Link, Staffelstein, an Emil Frhr. Marschalk von Ostheim,<br />

3.3.1886).<br />

284 Freundl. Mitteilung des Landtagsamtes vom 17.2.1998. – Gegen Müller äußerte<br />

sich 1882 unter Hinweis <strong>auf</strong> die revolutionäre Vergangenheit des Bürgermeisters<br />

der streitbare Zapfendorfer Pfarrer in abfälliger Weise. Vgl. Bamberger<br />

Neueste Nachrichten vom 29.7.1882; über Mahr vgl. Urban: Franz<br />

Josef Mahr.<br />

285 Vgl. Hummel: München in der <strong>Revolution</strong>, S. 242–251.<br />

286 Verantwortlich dafür war offenbar die geschlossene Haltung der Landwehr,<br />

die, wie es in der rechten Presse hieß, „als eigentlicher Kern der Bürgerschaft<br />

sich an die Spitze stellten, die Leitung der Wahlen in konstitutionell-monarchischem<br />

Geiste mit männlichem Freimuthe in die Hand nahmen, und mit<br />

Zustimmung der Wähler und Wahlmänner sie durchführten“. Neue Münchener<br />

Zeitung 1849, Beilage zu Nr. 190 (14.8.).<br />

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konservative Mehrheit hatte 287 –, gingen im Wahlkreis Lichtenfels drei<br />

Republikaner aus der Wahl hervor 288 : der Kronacher Floßhändler<br />

Georg Joseph Fillweber 289 , der Gastwirt Georg Amschler (1799–<br />

1856) 290 in Sassendorf bei Scheßlitz und der ehemalige Minister<br />

Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein (1791–1870) 291 , letzterer angeblich<br />

sogar zum Mißfallen manches Demokraten 292 .<br />

Der Regierungspräsident meldete nach München, Fillweber sei<br />

„seit je Demokrat“, und Amschler sei „der <strong>dem</strong>okratischen Richtung in<br />

einer Weise verfallen, die ihn als einen der verderblichsten Wühler in<br />

seiner Umgegend erscheinen läßt“ 293 . Da Fürst Oettingen auch in<br />

Neuburg a. d. Donau gewählt wurde 294 und <strong>das</strong> dortige Mandat annahm,<br />

rückte für ihn der erste Ersatzmann <strong>auf</strong>, der Wirt Nikolaus<br />

Schei<strong>dem</strong>antel († 1855) 295 in <strong>Die</strong>tersdorf bei Seßlach. Erst an fünfter<br />

Stelle stand mit <strong>dem</strong> Steinwiesener Forstmeister ein rechter Kandidat.<br />

<strong>Die</strong>ses Wahlergebnis mag so zu interpretieren sei, daß <strong>dem</strong>okratische<br />

Ideen sich zwar in den Kleinstädten und Dörfern später durchsetzten<br />

als in der Stadt, sich aber dafür auch länger hielten. Das entsprechende<br />

Gedankengut war seit <strong>dem</strong> Frühling maßgeblich von<br />

Bamberger Vorkämpfern einer Republik, daneben auch von Cobur-<br />

287 Der Rechten und <strong>dem</strong> Rechten Zentrum wurden 83 Abgeordnete zugerechnet,<br />

der Linken und <strong>dem</strong> Linken Zentrum 60. <strong>Die</strong> Mehrheitsverhältnisse<br />

hatten sich damit umgekehrt (zuvor 63 : 80). Vgl. Hummel: München in der<br />

<strong>Revolution</strong>, S. 223, 250 f.<br />

288 Vgl. Neue Münchener Zeitung, S. 696.<br />

289 Er gehörte <strong>dem</strong> Landtag noch bis 1855 an. Freundl. Mitteilung des Landtagsamtes<br />

vom 17.2.1998.<br />

290 Zu den Lebensdaten vgl. AEB, Kirchenbücher Breitengüßbach, Bd. 5, Trauungen,<br />

pag. 14, 31; Bd. 7, Aufschlag 7; Bd. 8, Aufschlag 59. Er gehörte <strong>dem</strong><br />

Landtag von 1849 bis 1855 an. Freundl. Mitteilung des Landtagsamtes vom<br />

17.2.1998.<br />

291 Über die Wahl und ihre Vorgeschichte vgl. Zuber: Der „Fürst Proletarier“,<br />

S. 284 –288.<br />

292 <strong>Die</strong> konservative NEUE MÜNCHENER ZEITUNG kommentierte, man frage „sich in<br />

<strong>Oberfranken</strong> jetzt ganz erstaunt, wie man im Wahlbezirk Lichtenfels dazu<br />

gekommen, <strong>dem</strong> Neuburger Wahlbezirk den fürstlichen Proletarier und erlauchten<br />

Demokraten streitig machen zu wollen, geben die Wähler ganz<br />

<strong>auf</strong>richtig die Antwort, daß sie sich von einigen Kronacher Linken damit haben<br />

verblüffen lassen, und soll selbst Hr. Ultsch in Bamberg geäußert haben,<br />

daß er und ,seine Freunde‘ an dieser Wahl keinen Gefallen finden konnten“.<br />

Neue Münchener Zeitung 1849, Beilage zu Nr. 190 (14.8.).<br />

293 Zit. nach Zuber: Der „Fürst Proletarier“, S. 288.<br />

294 Überdies gelang es ihm in Wunsiedel, zum ersten Ersatzmann gewählt zu<br />

werden. Zuber: Der „Fürst Proletarier“, S. 287. – Ein Dankschreiben des Fürsten<br />

an seine Wähler in Lichtenfels in: Neue Münchener Zeitung 1849, S. 818.<br />

295 Er gehörte <strong>dem</strong> Landtag bis 1855 an. Freundl. Mitteilung des Landtagsamtes<br />

vom 17.2.1998.<br />

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ger und Kronacher Demokraten ins Landgericht Lichtenfels getragen<br />

worden; die tonangebenden Vertreter der Linken innerhalb des Amtssprengels<br />

wie Dr. Theodor Rimberger und Anton Stark scheinen in<br />

engem Kontakt mit den Bamberger republikanischen Kräften gestanden<br />

und in Abstimmung mit diesen gehandelt zu haben. Gleichwohl<br />

erwiesen sich die von ihnen allen vertretenen Ansichten <strong>auf</strong> <strong>dem</strong><br />

<strong>Lande</strong> dauerhafter als in der Stadt, von der sie ausgingen.<br />

Als längerfristige Wirkung der <strong>Revolution</strong> sahen Geistliche kirchenfeindliche<br />

Haltungen in ihrer Gemeinde, so in Schney 296 ; Ähnliches<br />

ist in Coburger Landorten zu belegen 297 . Personengeschichtliche<br />

Studien müßten zeigen, inwieweit im politischen Leben Linien von<br />

der <strong>Revolution</strong> zur Sozial<strong>dem</strong>okratie zum einen 298 , die in Schney seit<br />

den 70er Jahren sehr stark war 299 , zum Liberalismus nationaler wie<br />

freiheitlicher Prägung andererseits 300 führten.<br />

296 Vgl. Pfarrarchiv Schney, Nr. 16, pag. 117: „Im Jahre 1856 wurde nach Verfügung<br />

des Kön. Oberkonsistoriums die Liturgie in den Gottesdiensten eingeführt.<br />

Allgemein war man mit Liturgie und Gottesdiensten zufrieden, bis die<br />

<strong>dem</strong>okratische Hetze anhob (Ueberbleibsel des <strong>dem</strong>okratischen Vereins von<br />

1848/49). Ein Protest gegen die Liturgie wurde bes. von unkirchlichen Fabrikarbeitern<br />

unterzeichnet; man erklärte, eine Einführung der Liturgie nicht<br />

dulden zu wollen.“<br />

297 Vgl. Dippold: Bilder der Gemeinde, S. 416.<br />

298 Ein Indiz für die Nähe ehemaliger 1848er zur Sozial<strong>dem</strong>okratie ist etwa der<br />

Besuch August Bebels bei Nikolaus Titus im Jahr 1869. Vgl. Winkler: Nikolaus<br />

Titus, S. 149.<br />

299 Vgl. Dippold: Anfänge und Entwicklung, S. 194 f.<br />

300 <strong>Die</strong> Mitglieder des liberalen Vereins Kronach nahmen 1879 an der Beisetzung<br />

von Georg Joseph Fillweber teil, der in diesem Zusammenhang ausdrücklich<br />

als Freund und Gesinnungsgenosse bezeichnet wurde. Vgl. Fränkischer Wald<br />

vom 23.1.1879. – Liberal war auch der Staffelsteiner Bürgermeister Johann<br />

Baptist Müller.<br />

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