VII. Funktionen des Rechts
VII. Funktionen des Rechts
VII. Funktionen des Rechts
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Grundlagen der<br />
<strong>Rechts</strong>wissenschaften<br />
(Vorlesung im WS 2006/2007)<br />
A. Begriff und Wesen <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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I. Warum und wozu diese Vorlesung?<br />
• Berufsperspektiven von PuMa-Absolventen in der öffentlichen<br />
Verwaltung (aber nicht nur dort) sind vielfältig.<br />
• Bezug zum und Bindung an das Recht sind in der beruflichen<br />
Praxis allgegenwärtig (Recht als zentrale Steuerungsressource,<br />
Gesetzesbindung der Verwaltung).<br />
• Systematisches Grundverständnis <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> ist daher<br />
wesentliche Voraussetzung für <strong>Rechts</strong>anwendung in der<br />
beruflichen Praxis.<br />
Deshalb ...<br />
... wollen wir in dieser Vorlesung gemeinsam einen „Fahrplan“<br />
auch für die folgenden Lehrveranstaltungen zum Recht<br />
erarbeiten.<br />
... ist das Ziel der Vorlesung: Das Recht vom Grundsatz her<br />
verstehen und anwenden können! Mitdenken ist gefordert!<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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II. Was ist Recht?<br />
• Versuch einer Begriffsdefinition - Annäherung ist grds. von<br />
zwei grundsätzlichen Ansätzen her möglich:<br />
(1) formales <strong>Rechts</strong>verständnis, das auf die Entstehung und<br />
Wirkungsweise abstellt, oder<br />
(2) inhaltliches <strong>Rechts</strong>verständnis, das sich damit befasst,<br />
welche Wertungen dem Recht zu Grunde liegen, ob es einen<br />
gerechten Interessenausgleich findet und bestimmten Werten<br />
(z.B. Vernunft, Gerechtigkeit, <strong>Rechts</strong>sicherheit) entspricht oder<br />
enstprechen soll<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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II. Was ist Recht?<br />
• Grundproblematik wird an beiden unterschiedlichen<br />
Auffassungen deutlich:<br />
Frage: „Decken sich die Begriffe Recht und Gerechtigkeit?“<br />
Antwort: „Das hängt von der Perspektive ab.“<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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II. Was ist Recht?<br />
• (1) Nach dem formalen <strong>Rechts</strong>verständnis ist Recht die<br />
Summe der geltenden <strong>Rechts</strong>normen (geschriebene und<br />
ungeschriebene), die ihrerseits wiederum Regeln für das<br />
Verhalten einzelner Menschen oder menschlicher<br />
Gemeinschaften sind. Sie dienen dazu, deren Zusammenleben<br />
zu ordnen und Konflikte zu lösen (notfalls mit Zwang).<br />
• (2) Nach dem inhaltlichen <strong>Rechts</strong>verständnis tritt Recht auch<br />
in anderen Erscheinungsformen zu Tage, etwa als Prinzipien<br />
der Gerechtigkeit, als Moral- oder Sittlichkeitsvorstellung.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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II. Was ist Recht?<br />
• Grundsätzlich wird eine allgemeine Definition <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> zu<br />
Grunde gelegt, die ihre Wurzeln eher im formalen<br />
<strong>Rechts</strong>verständnis hat:<br />
„Recht ist der Inbegriff der vom Staat garantierten allgemeinen<br />
Normen zur Regelung <strong>des</strong> menschlichen Zusammenlebens und<br />
zur Beilegung zwischenmenschlicher Konflikte durch<br />
Entscheidung.“ (vgl. etwa N. Horn, § 1 Rn. 4)<br />
• Problem dabei: „Recht“ im formalen Sinne gab (und gibt) es<br />
auch in Unrechtsstaaten.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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II. Was ist Recht?<br />
• Die Frage, ob ungerechtes Recht überhaupt Recht darstellen<br />
kann, klären wir später, wenn es um den Gegensatz von<br />
<strong>Rechts</strong>positivismus und Naturrecht geht (unter D.I.).<br />
• Zunächst müssen wir uns mit einem Begriff befassen, der in der<br />
genannten allgemeinen Definition <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> bereits<br />
angeklungen ist: der Norm.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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III. Norm und <strong>Rechts</strong>norm<br />
• Der Blick ins Fremdwörterlexikon:<br />
Norm, die; -,-en 1.zur Pflicht gewordener oder erhobener<br />
Standard, verbindliche Richtschnur 2. allgemein als verbindlich<br />
angesehene Regel in einer Gesellschaft 3. das Normale, das<br />
Gängige, das Übliche, die Regel 4. Soll, vorgeschriebene<br />
Leistung<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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III. Norm und <strong>Rechts</strong>norm<br />
• Was können wir nach dieser „lexikalischen“ Definition<br />
festhalten?<br />
--> Normen sind, allgemein gesprochen, Sollenssätze, d.h. sie<br />
schreiben gegenüber ihren Adressaten (Normadressaten) etwas<br />
als gegeben oder verbindlich vor (in Form von Geboten oder<br />
Verboten).<br />
--> Bsp.: Zehn Gebote <strong>des</strong> Alten Testaments, Strafgesetze,<br />
Sittlichkeitsvorstellungen (z.B. eheliche Treue, § 1353 BGB),<br />
Treu und Glauben (§ 242 BGB) usw.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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III. Norm und <strong>Rechts</strong>norm<br />
• Für die juristische Perspektive ist folgende Klassifizierung von<br />
Normen bedeutsam:<br />
(1) <strong>Rechts</strong>normen = staatlich garantierte Verhaltensnormen,<br />
die in ihrer Summe „das Recht“ ausmachen.<br />
(2) sittliche Normen (Moral, Ethik) = Normen, die sich an das<br />
Gewissen <strong>des</strong> Einzelnen richten und an denen sich <strong>des</strong>sen<br />
Handeln ausrichten soll, und zwar in dem Sinne, das „Richtige“<br />
zu tun.<br />
(3) gesellschaftliche Normen (Sitte) = Normen, die (ohne<br />
öffentlichen Zwang) konsentiert sind und <strong>des</strong>halb von der<br />
Gesellschaft beachtet werden („Das gehört sich nicht!“), also<br />
Bräuche, Gewohnheiten etc.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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III. Norm und <strong>Rechts</strong>norm<br />
• Aber: <strong>Rechts</strong>normen dürfen nicht isoliert betrachtet werden,<br />
denn Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen wirken auf das Recht<br />
und seine Anwendung und Auslegung ein:<br />
Beispiele:<br />
--> Moralvorstellungen im geltenden Recht<br />
(„verrechtlicht“ z.B. in den Grundrechten; § 1353 BGB;<br />
§ 242 BGB; § 211 StGB usw.)<br />
--> Sittlichkeitsvorstellungen im geltenden Recht<br />
(„verrechtlicht“ z.B. in § 157 BGB - Verkehrssitte; § 346 HGB -<br />
Handelsbrauch)<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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III. Norm und <strong>Rechts</strong>norm<br />
• Fazit:<br />
<strong>Rechts</strong>normen bilden unter dem allgemeinen Normbegriff eine<br />
Kategorie, nämlich die der staatlich garantierten<br />
Verhaltenssätze. Deshalb kann man anstelle von<br />
<strong>Rechts</strong>normen auch von <strong>Rechts</strong>sätzen sprechen. Sie haben<br />
verhaltensregelnden Charakter<br />
(Und wir wissen: Auch <strong>Rechts</strong>normen treten häufig in<br />
Wechselwirkung mit den übrigen Normkategorien Moral und<br />
Sitte)<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• Wir können also als nächstes fragen: Woher kommen denn die<br />
<strong>Rechts</strong>normen, über die wir gerade gesprochen haben?<br />
Oder kurz gefragt: Welche <strong>Rechts</strong>quellen gibt es?<br />
• Bevor diese Frage beantwortet werden kann, müssen wir uns<br />
klarmachen, dass die <strong>Rechts</strong>quellen immer auf die<br />
<strong>Rechts</strong>gemeinschaft bezogen sind, in der wir leben. Und das ist<br />
der Staat. Wir sprechen also von staatlichem Recht, nämlich<br />
dem Recht der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• Daraus lässt sich folgern: Wenn wir wissen wollen, welche<br />
<strong>Rechts</strong>quellen es gibt, müssen wir schauen, wer das Recht in<br />
unserem Staat „macht“ (besser: „setzt“).<br />
• Da wir in einem demokratischen <strong>Rechts</strong>staat leben, gilt insoweit<br />
vor allem der Grundsatz der Gewaltenteilung, wonach es drei<br />
Gewalten gibt, von denen einer, der Legislative, die<br />
Gesetzgebung (Schaffung positiven <strong>Rechts</strong>) obliegt.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• Die wichtigste <strong>Rechts</strong>quelle ist somit das Gesetz, das der<br />
Gesetzgeber in dem in der Verfassung vorgesehenen<br />
Gesetzgebungsverfahren erlässt. Insofern handelt es sich um<br />
geschriebenes Recht (Gesetzesrecht). Weil es in einem<br />
förmlichen Verfahren erlassen wird, spricht man vom<br />
förmlichen Gesetz.<br />
• Das höchste Gesetz (und damit die höchste <strong>Rechts</strong>norm)<br />
dagegen ist die Verfassung (Grundgesetz), die eine<br />
eigenständige <strong>Rechts</strong>quelle (das Verfassungsrecht) darstellt.<br />
Die Verfassung kann auf keine weitere (höhere) <strong>Rechts</strong>norm<br />
zurückgeführt werden. Das einfache Gesetz muss sich daher<br />
nach der Verfassung richten (verfassungskonform sein).<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• Wir haben festgestellt: Im demokratischen <strong>Rechts</strong>staat erlässt<br />
der Gesetzgeber (Bun<strong>des</strong>tag/Lan<strong>des</strong>parlamente) die Gesetze<br />
(und zwar die sog. förmlichen Gesetze).<br />
• Frage: Kann es dann überhaupt <strong>Rechts</strong>normen geben, die nicht<br />
von der Legislative erlassen werden?<br />
Oder anders gefragt: Gibt noch andere <strong>Rechts</strong>quellen außer der<br />
Verfassung (Grundgesetz) und den förmlichen Gesetzen?<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• Antwort: ja, aber nur unter engen Voraussetzungen, nämlich<br />
--> <strong>Rechts</strong>verordnungen (Art. 80 GG)<br />
--> Satzungen (bei verliehener Satzungsautonomie).<br />
• Folgerung: Befugnis der Exekutive, <strong>Rechts</strong>normen zu erlassen,<br />
besteht nur im Rahmen einer entprechenden<br />
parlamentsgesetzlichen (förmlichen) Ermächtigung!<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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IV. <strong>Rechts</strong>quellen<br />
• weitere <strong>Rechts</strong>quellen:<br />
- ungeschriebene (d.h. ohne Gesetzescharakter):<br />
Gewohnheitsrecht, Richterrecht, sog. herrschende Meinung<br />
(h.M.)<br />
- nicht-staatliche:<br />
Völkerrecht, supranationales Gemeinschaftsrecht (EG-Recht),<br />
Kirchenrecht (teilweise)<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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V. Objektives und subjektives Recht<br />
• Objektives Recht:<br />
--> <strong>Rechts</strong>ordnung, also eine Vielzahl abstrakter<br />
<strong>Rechts</strong>sätze, die für eine Vielzahl abstrakter<br />
<strong>Rechts</strong>sachverhalte und <strong>Rechts</strong>subjekte gelten<br />
• Subjektives Recht:<br />
--> Berechtigung, d.h.heißt das, was einem<br />
oder einer Vielzahl von Individuen (<strong>Rechts</strong>subjekten)<br />
aufgrund der <strong>Rechts</strong>ordnung, also aufgrund <strong>des</strong> objektiven<br />
<strong>Rechts</strong>, zusteht.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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VI. Rangordnung von <strong>Rechts</strong>normen<br />
• Normenpyramide (I):<br />
Verfassung<br />
(GG)<br />
förmliche Gesetze<br />
Verordnungen / Satzungen<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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VI. Rangordnung von <strong>Rechts</strong>normen<br />
• Normenpyramide (II):<br />
GG<br />
förmliche Gesetze<br />
Verordnungen / Satzungen<br />
Verfassungen d. Länder<br />
förmliche Gesetze der Länder<br />
VOen / Satzungen auf Lan<strong>des</strong>ebene<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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<strong>VII</strong>. <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />
• Wir erinnern uns: Recht ist nach allgemeiner Definition Inbegriff<br />
der staatlich garantierten Normen zur Regelung <strong>des</strong><br />
menschlichen Zusammenlebens in einem Staat.<br />
• Zu diesem Zweck werden dem Recht bestimmte konkrete<br />
<strong>Funktionen</strong> zugeschrieben, die im Einzelnen näher dargestellt<br />
werden sollen. Es sind im Wesentlichen die folgenden fünf<br />
<strong>Funktionen</strong>:<br />
(1) Friedensordnung<br />
(2) Freiheitsordnung<br />
(3) soziale Sicherung<br />
(4) Kooperation<br />
(5) Integration<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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<strong>VII</strong>. <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />
• (1) Recht als Friedensordnung:<br />
--> Aufgabe <strong>des</strong> Staates ist es, Gewalt auszuschalten, die den<br />
Staat von außen oder im Inneren bedroht.<br />
--> dafür genügt nicht allein das staatliche Gewaltmonopol (vgl.<br />
Ewiger Landfriede v. 1495), sondern es bedarf zur Sicherung<br />
<strong>des</strong> Friedens einer verlässlichen <strong>Rechts</strong>ordnung (bestehend<br />
aus <strong>Rechts</strong>normen)<br />
• (2) Recht als Freiheitsordnung:<br />
--> im demokratischen <strong>Rechts</strong>staat (so auch in der<br />
Bun<strong>des</strong>republik) ist es ebenfalls Aufgabe <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong>, dem<br />
einzelnen Bürger einen Raum eigener Gestaltung durch und<br />
innerhalb <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> zu ermöglichen (Freiheit vom Staat durch<br />
Grundrechte und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung). Früher vor<br />
allem als Schutz vor staatlicher Willkür. Heute ergänzt durch<br />
aktive Teilhaberechte (z.B. aktives und passives Wahlrecht).<br />
Ausprägungen: Grundrechtsgewährleistungen, Privatautonomie<br />
etc.<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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<strong>VII</strong>. <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />
• (3) Soziale Sicherung:<br />
--> Aufgabe <strong>des</strong> Staates ist es auch, vom Staat und der<br />
<strong>Rechts</strong>ordnung eine Garantie der sozialen Existenzsicherung zu<br />
erwarten<br />
--> Ausprägung <strong>des</strong> Sozialstaatsprinzips (vgl. Art. 20 und 28<br />
GG)<br />
• (4) Kooperation:<br />
--> im modernen Staat garantiert das Recht, mit weitgehender<br />
Autonomiegewährleistung im Privatrecht, auch<br />
unterschiedlichste Formen der Kooperation zwischen<br />
Privatrechtssubjekten (BGB, Privatautonomie, Vertragsfreiheit<br />
etc.), aber auch öffentlich-rechtlichen <strong>Rechts</strong>trägern ggü.<br />
Privaten (kommunale Selbstverwaltung)<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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<strong>VII</strong>. <strong>Funktionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />
• (5) Integration:<br />
--> ist eng verwoben mit der Kooperationsfunktion <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong>:<br />
Dort, wo das Recht Kooperationen herstellt, trägt es gleichzeitig<br />
zur Integration bei, indem es Regeln zum konfliktfreien<br />
Zusammenwirken von Menschen aufstellt<br />
Dr. Arne Pautsch<br />
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